Lauter Einzelteile von halfJack (26 Teile des Lebens, die sich Sterben nennen) ================================================================================ Kapitel 3: Countdown -------------------- Und wieder ist ein Jahr vergangen, die Pforten zu nächsten Neuanfängen sind geöffnet, alte Meinungen können abgestreift werden, kurz: ein neues Leben beginnt. Wie haben Sie Ihren Jahreswechsel vollzogen? Doch hoffentlich auf angenehme Art und Weise, denn mich persönlich stimmt diese Wende immer traurig. Manche Leute sitzen jedes Jahr im Wohnzimmer und sehen sich Dinner for One an, wobei fast, ich betone fast allen Zuschauern die allzu tragische Begebenheit dahinter entgeht. Man trinkt, man plaudert mit Bekannten oder bleibt allein. Nun gut... man besäuft sich, streitet mit Bekannten und bleibt allein. Doch möchte ich nicht zynisch erscheinen. Letztendlich sind das auch nur Bagatellen in Anbetracht der Wucht des alten Jahres, das sich unaufhaltsam in den Abgrund der Vergessenheit stürzt. Mit einem lauten Knall befördert man sich in neue Entschlüsse, neue Vorsätze und Entscheidungen, und bemerkt dabei nicht, dass die paar Sekunden zwischen zwei Jahren völlig unbedeutend sind. So unbedeutend wie alle anderen Sekunden. So unbedeutend wie die Silvesterraketen, die am nächsten Tag nur noch als lauter Einzelteile die Straße verunstalten, anstatt in bunten Lichtern den Himmel zu schmücken. Meist steht am Silvesterabend der Weihnachtsbaum noch im Wohnzimmer, direkt neben dem Fernseher, auf dessen Bildschirm eine der unzähligen Silvestersendungen läuft. Der geschmückte Baum sieht jetzt schon ziemlich lächerlich aus, da er entweder bereits nadelt oder, falls er unecht ist, sowieso nur dümmlich krumm im Wege steht. Sollte man keinen Baum besitzen, macht das die ganze Situation auch nicht weniger trostlos. Sobald sich alles dem Ende entgegenneigt, steht man gemeinschaftlich im Wohnzimmer, jeder ein Glas von dem billigen Sekt in der Hand, da man nicht das Geld hatte, sich Champagner zu leisten, und zählt den Countdown in der Flimmerkiste herunter. ...Drei ...Zwei ...Eins ...Null! Alles jubelt. Jeder tut so, als würde er sich freuen. Man stößt extra lang mit den Sektgläsern an, um es noch ein wenig hinauszuzögern, sich das Gesöff in den Rachen gießen zu müssen. Viele nutzen dann die Methode, auf Freundschaft, wie es im Volksmund heißt, zu trinken, damit es hoffentlich nicht auffällt, dass man nur kurz am Glas nippt. Es sei denn, man war so klug, sich vorher zu betrinken, dann schmeckt das Zeug nur halb so schlimm. Schließlich gehen alle nach draußen, man schaut dem Feuerwerk zu oder beteiligt sich sogar aktiv daran. Jeder Mensch hat dieses bestimmte Glitzern in den Augen. Sie wissen schon, was ich meine: die Tränen in den Augen, da man den Sekt gar nicht so widerlich in Erinnerung hatte. War das im letzten Jahr auch schon so gewesen? Nun steht man auf der Straße, blickt sich um und erkennt viele neue und alte Gesichter. Dort ist der Nachbar, das ist der Enkel, den vorbeilaufenden Mann kennt man nicht... und plötzlich denkt man sich: Eigentlich... ja, eigentlich kennen wir uns alle gar nicht, diese Leute sind wie Fremde. Jeder einzelne. Im nächsten Moment geht man noch einen Schritt weiter. Das Jahr ist vorbei. Wie war es überhaupt? Hat man irgendetwas erreicht? Sie wissen sicher, wovon ich spreche. Wussten Sie, dass sich zu Neujahr unglaublich viele Selbstmorde ereignen? Es ist erstaunlich, es gibt tatsächlich noch kluge Menschen, denen eines klar ist: das letzte Jahr war beschissen, das nächste wird auch nicht besser sein. Auf ein Neues? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)