Lauter Einzelteile von halfJack (26 Teile des Lebens, die sich Sterben nennen) ================================================================================ Kapitel 1: Abschied ------------------- Warum soll man keine Menschen töten? Weil immer jemand deswegen weint. Diese Frage und die vermeintliche Antwort darauf las ich in meiner Kindheit in einem Comicbuch, als verberge sich darin eine unheimlich wichtige Erkenntnis, die einen innerlich tief berühren sollte. Aber mal ehrlich: Ist das wirklich so? Im Grunde genommen gibt es genug Leute, die einsam in ihrer Wohnung verrecken, ohne dass es jemand bemerkt. Alte Menschen, die erst nach ein paar Tagen von ihren Nachbarn gefunden werden, weil diesen im Treppenhaus ein komischer Geruch auffiel. Komischer als sonst, meine ich. Menschen, die von ihren verhungernden Haustieren umgeben an einer Krawatte von der Decke baumeln, als wollten sie nur ihre Seele baumeln lassen. Niemand interessiert sich dafür. Sollte man sich denn überhaupt dafür interessieren? Oder ist es womöglich egal? Hierbei erinnere ich mich an eine Beerdigung, von der ich jetzt nicht mehr weiß, wer eigentlich gestorben war, weil solche Veranstaltungen immer gleich ablaufen. Wie Weihnachten, Neujahr oder Hochzeiten sind Beerdigungen nicht dafür prädestiniert, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, wenn man zu viele davon erlebt hat. Jedenfalls mussten meine Schwester und ich wegen irgendeiner Sache lachen, lauthals, ohne es unterdrücken zu können, während wir von einigen Seiten böse Blicke ernteten. So ist es also, wenn man auf einer Beerdigung lacht, dachte ich damals. Ich erinnere mich daran, dass bei irgendeiner Beerdigung, vielleicht war es dieselbe, sich ein paar Leute darüber aufregten, dass ein Bekannter von mir in Jeanshosen aufgetaucht war. Kann man nur in schwarzer Kleidung trauern? Ist man in Jeanshosen automatisch nicht traurig genug? Und ich erinnere mich heute wie damals an das abgestumpfte Lächeln, mit dem meine Mutter schließlich sagte: "Das passiert halt." Viel früher dachte ich noch nicht, dass so etwas "halt passiert". Aber da nahm ich auch noch an, man müsse auf Beerdigungen weinen und still sein. Jetzt weiß ich, dass man es auf unterschiedliche Weise hinter sich bringen kann, auch durch Lachen und Langeweile. Das passiert halt. Man gewöhnt sich an alles. Mit der Zeit wundert man sich allerdings über das, was bei solchen Ereignissen alles erzählt wird. Von wem spricht der Typ da vorn mit seiner behutsam klagenden Stimme? Und außerdem, kann er das nicht schneller machen? Ein gut gemeinter Ratschlag: Man sollte sich für derlei Veranstaltungen stets einen neuen, frischen Redner aussuchen, sonst hört man stets dasselbe Zeug. Dieser Redner sollte nach Möglichkeit keinen Humor aufweisen und ehrlich sein darf er auch nicht. Denn niemand sagt beim Abschied so etwas wie: "Wurde auch Zeit" oder "Na endlich". Der Tod macht jeden Menschen zum Engel, zum fehlerlosen Nichts. Sobald jemand "ablebt", erfährt sein ehemaliges Dasein eine Generalüberholung. Das gestorbene Leben ist ja sowieso schon tot. Alles im Leben des Toten ist mit einem Schlag höchst ehrenhaft gewesen. Jeder trauert nach Plan. Natürlich hat der Verstorbene keine Fehler und er hat sie auch zu Lebzeiten nicht gemacht, das versteht sich von selbst. Gegen die eigene Perfektion kann man sich im Tod ohnehin nicht mehr wehren. Aber was bleibt am Ende? Jeder Mensch ist nur eine Zusammensetzung lauter Einzelteile, Kopf und Glieder und allem Fleisch daran und einem Herzen und einem Gehirn, dem man fälschlicherweise solche lächerlichen Namen wie "Geist" oder "Persönlichkeit" verpasst hat. Das alles fein säuberlich drapiert in einem Holzkasten oder verbrannt zu einem Haufen Asche in einem simplen Krug. Diesem unbedeutenden Rest erweist man dann die letzte Ehre. Jedes Mal mache ich mir einen Spaß daraus, mich von meinem eigenen Verhalten überraschen zu lassen, ob meine Hand ein wenig Erde ins Grab wirft, obwohl für das Zuschütten eigentlich der Friedhofsbagger zuständig ist, oder ein paar Blumenblätter oder beides, was meist vorkommt, oder einfach gar nichts, man stelle sich das mal vor. Weil so etwas halt passiert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)