Code Geass: Fügung von Shin-no-Noir (Von missglückten Plänen und zweiten Chancen) ================================================================================ Kapitel 2: Entschluss --------------------- Ich lernte, dass der Tod keine schöne Sache ist. Das war es, worüber ich am unglücklichsten war. Ich wollte es nicht wissen. Ich liebte sie so sehr. Sie liebte mich so sehr. Aber als ich die durchlöcherte Leiche sah, dachte ich... Wie schmutzig. Ich übergab mich. Nicht wegen des Geruchs von Blut oder wegen der Eingeweide, sondern aufgrund der Hässlichkeit meines eigenen Herzens. Ich übergab mich und übergab mich, und ich ließ es an allen um mich herum aus. Möglicherweise, weil ich gewalttätig wurde, gaben sie mir etwas und ich schlief ein. Als ich wieder erwachte, hatte meine Schwester ihre Augen geschlossen und der Welt ebenfalls den Rücken gekehrt. - Light Novel: „Stage 1 - Shadow“ (S. 89; freie Übersetzung) * * * „Kann ich… es noch einmal sehen?“ „Sicher.“ Lelouch sah seinen Bruder an und aktivierte sein Geass. „Das war der Deal, nicht wahr?“ Clovis zuckte zusammen, als hätte er ihm einen Schlag ins Gesicht verpasst, und Lelouch kam nicht umhin, den Anflug eines schlechten Gewissens zu verspüren. Sein Bruder mochte kein übler Schauspieler sein, aber in diesem Fall hatte Lelouch kaum Zweifel daran, dass Clovis es ernst meinte – er wollte ihm nicht schaden, und vielleicht hatte er sogar beschlossen, ihn vorerst nicht für seine eigenen Zwecke zu benutzen. Natürlich war das nur ein vorübergehender Zustand, und nicht für eine Sekunde glaubte Lelouch daran, dass sein Bruder keinerlei Hintergedanken hegte; aber zumindest schien Clovis nicht auf Rache dafür zu sinnen, dass er seine Gehirnmasse um ein Haar auf der Rückenlehne seines Throns verteilt hatte, und das allein was bereits erstaunlich genug. Vor allem, wenn man bedachte, dass er ganz offensichtlich nicht so naiv war zu glauben, Lelouch hätte seine Mordpläne so einfach aufgegeben: Am Vorabend hatte Clovis beide Male den Raum hinter sich abgeschlossen, sobald er ihn verlassen hatte, und Lelouch damit in seiner Annahme bestätigt, dass er keineswegs uneingeschränkte Bewegungsfreiheit genoss. Das war ärgerlich, aber durchaus eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme, und inzwischen nahm Lelouch sie seinem Bruder nicht einmal mehr sonderlich übel. Er hatte nach wie vor nicht die Absicht, Clovis etwas von Nanali zu erzählen – lieber sollte sie sich Sorgen um ihn machen, als dass er in Kauf nahm, dass sie wieder zu einem politischen Werkzeug gemacht wurde -, aber Lelouch konnte nicht länger die Augen davor verschließen, dass Clovis nicht ganz so rücksichtslos war, wie er geglaubt hatte. „Ich weiß nicht, woher diese Skrupel plötzlich kommen“, sagte er daher leichthin, „aber sieh es dir ruhig an, wenn du möchtest. Es stört mich nicht.“ Zögerlich ließ Clovis sich neben ihm auf der Bettkante nieder. „Bist du dir sicher?“ Lelouch schnaubte. „Ich bezweifle, dass es mich umbringen wird, wenn du einen Blick darauf wirfst.“ Sein Bruder beugte sich vor, bis ihre Gesichter einander beinahe berührten. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich es einmal mit eigenen Augen sehen würde“, sagte er in einem Tonfall, der an Ehrfurcht grenzte. „Es ist…“ Er schüttelte den Kopf. „Zwingt es Leuten deinen Willen auf?“ Lelouch sah ihn lediglich mit ausdruckslosem Blick an, doch sein Schweigen war Antwort genug. „Aber nur ein Mal?“ Lelouch war nicht überrascht. „Es scheint so.“ Clovis nickte. „Du hast es schon einmal an mir benutzt“, sagte er. Es war keine Frage. „Ja.“ „Wozu?“ „Ich wollte Antworten.“ „Hast du sie bekommen?“ Nichts weiter als mildes Interesse klang in der Stimme seines Bruders mit, und Lelouch zögerte einen Moment mit seiner Erwiderung. „Ja“, sagte er schließlich. „Nicht alle, aber genug.“ „Verstehe.“ Clovis setzte sich wieder gerade hin und schien einen Moment mit sich zu ringen. „Nicht jedem missfiel ihre Herkunft, weißt du“, sagte er dann plötzlich. „Sie hatte viele Bewunderer. Selbst Cornelia…“ Lelouch brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass er von seiner Mutter sprach. Er ignorierte den Kloß in seinem Hals und schnaubte. „Das erklärt, weshalb du mir sie als potentielle Schuldige genannt hast.“ Clovis blinzelte. „Cornelia?“ „Und Schneizel.“ Clovis starrte ihn an. „War das mein genauer Wortlaut?“ Lelouch zögerte. „Nein“, gab er schließlich zu. „Aber es macht keinen Unterschied.“ Offenbar jedoch sah Clovis das anders. „Was genau habe ich gesagt?“, fragte er. „Dass sie etwas wissen.“ Lelouch bedachte seinen Halbbruder mit einem kühlen Blick. „Spielt es eine Rolle?“ Clovis sah zur Seite. „Ich glaube nicht, dass sie die Verantwortlichen sind, Lelouch“, sagte er nach einer Weile. „Ich habe sie darüber reden gehört, ja, und ich bin sicher, dass sie mehr wissen als ich. Aber du solltest dir denken können, wie Schneizel ist – ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein Motiv hat. Und Cornelia…“ Clovis schüttelte den Kopf. „Du hättest sie damals sehen sollen, Lelouch… sie ist die Letzte, die ich verdächtigen würde.“ Lelouch richtete sich auf und achtete nicht auf das brennende Stechen, das sich daraufhin schlagartig von seiner Verletzung durch seinen ganzen Körper ausbreitete. „Also soll ich aufgeben?“, fragte er mit einer Stimme, die vor Wut bebte. „Ich soll diejenigen laufen lassen, die meine Mutter getötet und dafür gesorgt haben, dass Nanali-“ Er brach ab und ihm wurde klar, dass er zu viel gesagt hatte. Wenn sein Bruder ihn auch nur ein bisschen besser kannte als ein vollkommen Fremder, würde Clovis nun keinen Zweifel mehr daran haben, dass Nanali ebenfalls wohlauf und irgendwo in Gebiet Elf untergetaucht war – ansonsten hätte Lelouch sie niemals erwähnt. Überhaupt bezweifelte er, dass er ohne seine kleine Schwester auch nur existieren könnte, aber wenn es jemanden in seiner Familie gab, der das volle Ausmaß seiner Abhängigkeit zu begreifen in der Lage war, dann war das Cornelia – nicht Clovis. Und zu seinem Glück hatte Lelouch diesen offenbar so sehr aus dem Konzept gebracht, dass er auf Anhieb nicht einmal annähernd die richtigen Schlüsse zu ziehen vermochte. „Das meinte ich nicht, Lelouch“, sagte der blonde Gouverneur sichtlich bestürzt. „Ich…“ Er brach ab, schüttelte den Kopf. „Du solltest dich nicht so viel bewegen“, wechselte er abrupt das Thema. „Viel?“, gab Lelouch ungläubig zurück. Seit er einige Stunden nach Sonnenaufgang ein Bad genommen und die unbequeme Uniform gegen die wesentlich angenehmere, wenn auch etwas extravagante Kleidung eingetauscht hatte, die sein Bruder ihm großzügigerweise zur Verfügung gestellt hatte, hatte er das Bett kein einziges Mal verlassen, und inzwischen war es schon beinahe Mittag. „In deinem Zustand hättest du nicht einmal alleine baden gehen sollen - selbst wenn es dir offenbar irgendwie gelungen ist, den Verband nicht völlig zu durchnässen.“ Lelouch gab einen spöttischen Laut von sich. „Ich brauche niemanden, der mir die Hand hält.“ „Nein“, stimmte Clovis ihm zu. „Aber wenn du dich nicht gleich wieder hinlegst, werde ich davon ausgehen, dass du jemanden brauchst, der dich ins Bett bringt. Es mag dir entgangen sein, aber eine Schussverletzung ist kein kleiner Kratzer.“ Lelouch schnaubte. „Was du nicht sagst. Darf ich dich daran erinnern, dass ich diese Verletzung einem deiner Männer zu verdanken habe?“ „Nun“, erwiderte Clovis trocken, „vielleicht hättest du dir diese Unannehmlichkeit ersparen können, wenn du mir keine Waffe an den Kopf gehalten hättest.“ „Oh, so wie in Shinjuku? Als ein paar von deinen Leuten mich dafür umbringen wollten, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein?“ Clovis starrte ihn an. „Was?“ Lelouch schwieg, aber er hatte bereits genug gesagt. Clovis mochte kein Genie sein, aber manchmal verfügte er dennoch über eine erstaunlich rasche Auffassungsgabe. „Das… das wusste ich nicht.“ „Natürlich nicht“, erwiderte Lelouch kühl. „Weißt du überhaupt, was deine Leute machen?“ „Ich habe niemals behauptet, ein guter Befehlshaber zu sein.“ Aber Clovis’ Blick war weich. „Bist du verletzt worden?“ „Nein.“ Lelouchs Stimme war tonlos. „Es gab Leute, denen etwas an meinem Überleben gelegen hat.“ „Oh?“ „Sie sind tot.“ Der Anflug von Neugierde auf Clovis’ Zügen verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war. „Es tut mir leid.“ „Ich bin sicher, das tut es.“ Lelouch zwang sich, nicht an Suzaku zu denken, und lächelte höhnisch. „Eine der beiden war das Mädchen, das du so dringend wiederhaben wolltest.“ „Das Mädchen?“ Damit hatte Clovis ganz offenbar nicht gerechnet. „Bist… bist du dir sicher, dass sie tot ist?“ Lelouch schnaubte. „Sie hat eine Kugel zwischen die Augen bekommen und anschließend in einer Blutlache zu meinen Füßen gelegen. Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass sie tot ist.“ Verständnislos schüttelte Clovis den Kopf. „Der Befehl lautete, sie lebend zurückzubringen.“ Lelouch sah seinen Bruder mit ausdruckslosem Blick an. „Die Kugel war nicht für sie bestimmt gewesen.“ „Ich…es tut mir leid, Lelouch. “ Die Bestürzung auf Clovis’ Zügen war ohne jeden Zweifel echt. „Ich wusste nicht… Kannst du mir verzeihen?“ Der Tonfall seines Bruder war weich, sein Blick nahezu flehend, aber Lelouch blieb ungerührt. „Es gibt nichts zu verzeihen, Clovis“, sagte er kühl. „Du hättest die Leben zahlloser Menschen geopfert, nur, um dein Gesicht zu wahren. Das ist alles, was ich wissen muss.“ Clovis starrte ihn an. „Ich verstehe“, sagte er nach einer Weile und wandte den Blick ab. „Du solltest schlafen. Ich werde heute Abend noch einmal nach dir sehen.“ Er erhob sich, und Lelouch empfand weder Genugtuung noch Reue, als er dabei zusah, wie sein Bruder das Zimmer geradezu fluchtartig verließ. ~ Auf halbem Weg durch den Korridor blieb Clovis stehen und lehnte sich mit dem Rücken gegen eine der weißen Marmorwände. Er schlang die Arme um die Brust, als würde sich dadurch etwas an der Tatsache ändern, dass sein gesamter Körper bebte, als hätte sein Bruder abermals eine Waffe auf ihn gerichtet, und schloss die Augen. Lelouch hatte Recht - er war erbärmlich. Damals war er mit solch großartigen Plänen nach Gebiet Elf gekommen. Er hatte sowohl Cornelias als auch Schneizels gutgemeinte Ratschläge abgelehnt und geglaubt, er könnte etwas bewirken, wenn er diese Angelegenheit auf seine Weise regelte. Stattdessen hatte er sich in einer Situation wiedergefunden, die ihm deutlicher als jemals zuvor bewusst gemacht hatte, weshalb er Politik verabscheute – umgeben von Speichelleckern, die ihn auf überaus ungeschickte Weise zu manipulieren versuchten und ihm jederzeit in den Rücken fallen würden, wenn sie sich einen Vorteil davon versprachen. Von den Terroristen, die hinter jeder Ecke zu lauern schienen und die ihm fortwährend das Leben schwermachten, einmal ganz zu schweigen. Clovis hatte die Sinnlosigkeit seines Unterfangens erkannt und ihm war klar geworden, dass er so sein Leben verbringen würde – als Marionette eines Mannes, der seinen Respekt schon vor langer Zeit verloren hatte, und als Galionsfigur eines Reiches, an das er nicht glaubte; genauso wenig, wie er an irgendetwas anderes glaubte. Sein Vater hätte ihn niemals einen Rückzieher machen lassen – Nachsicht lag nicht in der Natur des britischen Kaisers, und Clovis fragte sich, was ihn jemals dazu getrieben hatte, sich freiwillig für diesen Posten zu melden. Aber im Grunde kannte er die Antwort, und das machte sein Scheitern nur umso schändlicher. Clovis war nicht Gouverneur von Gebiet Elf geworden, weil er nach Ansehen oder Macht strebte – nichts lag ihm ferner, als sich nach den unzähligen Verpflichtungen und der Verantwortung zu sehnen, die mit dergleichen einhergingen -, sondern weil er nicht dazu in der Lage gewesen war, sich mit dem Tod der Person abzufinden, die seit jeher eine seltsame Anziehung auf ihn ausgeübt hatte und die ihm möglicherweise mehr bedeutet hatte als jeder andere Mensch. Cornelia hatte ihn sentimental genannt, aber Clovis hatte sich nicht von seinen Plänen abbringen lassen und darauf bestanden, die Dinge zu einem angemessenen Ende zu bringen, indem er das ehemalige Japan in eine friedliche letzte Ruhestätte für die Geschwister verwandelte, die er verloren geglaubt hatte. Wie töricht er gewesen war. Lelouch lebte, und er verachtete ihn für das, was er geworden war. Und Clovis wünschte, er könnte es ihm verübeln. Er wusste nicht, wann genau in den letzten drei Jahren er sein ursprüngliches Vorhaben und damit auch sich selbst aus den Augen verloren hatte. Es war langsam geschehen, schleichend, aber unbestreitbar und unwiderruflich. Clovis dachte an die Menschen, deren Tod er so gleichgültig befohlen hatte, und fühlte nichts außer der Kälte von Lelouchs Blick und Bestürzung darüber, dass er um ein Haar das Leben seines Bruders auf dem Gewissen gehabt hätte, ohne jemals etwas davon zu erfahren. Clovis war nichts. Sein Leben hatte kein Ziel, keinen Sinn, und er war schon lange nichts mehr weiter als der Schatten der Person, die er einmal gewesen war. Dennoch klammerte er sich mit einer Verzweiflung an seinen gesellschaftlichen Status, die nur als jämmerlich bezeichnet werden konnte, und weigerte sich, sich vollständig mit der Nichtigkeit seiner Existenz abzufinden, die er durch seine Schwäche selbst herbeigeführt hatte. Ja, es war in der Tat erbärmlich. Je länger Clovis jedoch darüber nachdachte, desto weniger kümmerte ihn das. Sollte er nicht froh sein, Lelouch wiederzuahaben, selbst unter diesen bizarren Umständen? Und war es nicht seine Aufgabe, für seinen kleinen Bruder da zu sein, anstatt sich seinem Selbstmitleid hinzugeben – selbst, wenn dieser ihn verabscheute? Es war nur, wenn er in Lelouchs mitleidslose Augen blickte, dass Clovis erkannte, was aus ihm geworden war. Und auch wenn er nicht glaubte, dass er sich jemals dazu bringen könnte, aufrichtige Reue dafür zu empfinden, dass er rücksichtslos die Leben namenloser Fremder seinem Titel geopfert hatte, würde er versuchen, sich zu ändern. Anteilnahme und Mitgefühl waren nichts mehr weiter für ihn als vage Erinnerungen, die im Laufe der letzten paar Monate und Jahre beinahe bis zur Unkenntlichkeit verblasst waren, aber vielleicht könnte er zumindest jemand werden, der Lelouchs Respekt verdiente. Und wenn nicht... nun, dann hatte er es zumindest versucht. Es genügte ihm, seinen Bruder zurückzuhaben; das allein reichte aus, um seine jahrelange Apathie so effektiv fortzuwaschen wie ein Schwall eiskalten Wassers den Zustand morgendlicher Müdigkeit. Es war besser, von Lelouch gehasst zu werden und ihm gegen seinen Willen zur Seite zu stehen, als Tag für Tag nichts anderes zu tun, als für die Medien ein falsches Lächeln aufzusetzen und sich zu fragen, wann alles so unglaublich sinnlos geworden war. Clovis liebte seinen Bruder, und es war offensichtlich, dass Lelouch mehr durchgemacht hatte, als er sich vorstellen konnte, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Trotz all ihrer Meinungsverschiedenheiten in der Vergangenheit hatte Clovis seinen kleinen Bruder noch niemals so kalt, so bitter erlebt - und obwohl er wusste, wie sehr Lelouch seine Mutter geliebt hatte, konnte er nicht glauben, dass Marianne vi Britannias Tod allein solch verheerende Auswirkungen gehabt haben sollte. Er würde alles tun, was in seiner Macht stand, um sicherzugehen, dass nichts mehr seinen Bruder verletzen würde – selbst, wenn er dafür dem Kaiser höchstpersönlich Informationen vorenthalten müsste. Solange es ihm auch nur gelang, einen noch so kleinen Teil von dem wiederwettzumachen, was auch immer Lelouch widerfahren war, machte das in seinen Augen selbst Hochverrat zu einer plausiblen Option. Diese Erkenntnis ließ Clovis einen Moment in Gedanken innehalten; aber sie überraschte ihn nicht so sehr, wie sie es eigentlich hätte tun sollen. Sein kleiner Bruder war die eine Sache, die es vermochte, ihn innerhalb eines einzigen Herzschlags aus seiner ewigen Teilnahmslosigkeit zu reißen - und er hätte ihm keine Waffe an den Kopf halten müssen, um dieses Ergebnis zu erzielen. Bis Lelouch sich zu erkennen gegeben hatte, war die Vorstellung, sein Leben an einen bewaffneten Eindringling zu verlieren, nicht halb so beängstigend gewesen, wie sie es hätte sein sollen. Nicht besonders angenehm, aber es war Clovis ein Leichtes gewesen, eine gleichgültige Miene aufzusetzen und sein Gegenüber zu verspotten. Der Gedanke dagegen, durch die Hand seines eigenen Bruders zu sterben... Clovis schauderte. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals zuvor eine vergleichbare Furcht empfunden zu haben. Und er wusste, dass es eine einzige Sache gab, die er niemals für seinen Bruder tun würde, so sehr er ihn auch liebte. Er würde niemals zulassen, dass Lelouch ihn tötete – nicht einmal, wenn er ihm damit tatsächlich einen Gefallen täte. Es mochte egoistisch von ihm sein, aber Clovis war niemals eine übermäßig selbstlose Person gewesen. Mitfühlend, ja... vielleicht, vor langer, langer Zeit. Aber niemals selbstlos. Mit dieser Erkenntnis öffnete Clovis die Augen wieder und stieß sich mit neu gefundener Entschlossenheit vor der Wand ab. Er mochte eigennützig sein und Lelouchs Respekt nicht verdienen – aber er wäre verdammt, wenn er ein zweites Mal darin versagte, seine Rolle als älterer Bruder zu erfüllen. ~ Das Erste, was Clovis tat, nachdem er keine zwei Stunden später seine Kommandozentrale betrat, war, alle seine Untergebenen inklusive eines irritierten Bartleys nach draußen zu schicken und sich auf seinem Thron niederzulassen, wo er nachdenklich das Kinn auf dem Handrücken abstützte. Es war ein leicht beunruhigendes Gefühl, sich ohne Wachen in dem Raum aufzuhalten, in dem sich sein Gehirn erst kürzlich um ein Haar an Möbeln und Wänden wiedergefunden hätte, aber es war nicht so schwer, wie er erwartet hatte, sich von diesem Umstand abzulenken. Nicht, wenn er eine Entscheidung mit unvorhersehbaren Konsequenzen treffen musste. Schon nach wenigen Minuten hatte Clovis vergessen, woher seine Unruhe ursprünglich gekommen war, und er erhob sich, um unschlüssig im Zimmer auf und ab zu laufen – bis er schließlich begriff, dass er gar keine andere Wahl hatte, als bei dem Entschluss zu bleiben, den er keine sechzig Minuten zuvor getroffen hatte. Inzwischen war er sich bei weitem nicht mehr so sicher, ob die Lösung, die er gefunden hatte, wirklich so ideal war, wie er anfangs geglaubt hatte; aber er brauchte nun einmal einen halbwegs ausgebildeten Mediziner, der sich Lelouch ansehen und weder zu viele Fragen stellen noch seine Schweigepflicht aus Habgier und Eigennutz brechen würde. Und wenn er keinen berufsmäßigen Arzt kannte, der diese Kriterien erfüllte, dann musste eben ein exzentrischer Wissenschaftler herhalten, wenn dieser zufälligerweise auch eine vergleichbare Ausbildung genossen hatte. Clovis hatte Graf Asplund noch nie sonderlich gemocht – der von seinen Forschungen besessene Adlige war überdreht, nervtötend und in jeder Hinsicht unkonventionell - einmal ganz davon zu schweigen, dass Clovis berechtigte Zweifel am Geisteszustand des Mannes hegte. Jedoch war er sich gerade deshalb sicher, dass der leicht wahnsinnig anmutende Wissenschaftler kein übermäßiges Interesse an irgendetwas hatte, das nichts mit seinem Beruf zu tun hatte. Das Schlimmste, was passieren könnte, war, dass Graf Asplund seinen Sponsor informieren würde, wenn er das nächste Mal mit ihm sprach, und immerhin war Schneizel nicht bekannt dafür, voreilig zu handeln. Allerdings wollte Clovis selbst hier kein unnötiges Risiko eingehen - und er hegte den Verdacht, dass Graf Asplund nicht geneigt sein würde, bei der erstbesten Gelegenheit zu plaudern, wenn er die Möglichkeit in Aussicht gestellt bekäme, sein neues Spielzeug in Zukunft noch wesentlich häufiger zum Einsatz zu bringen. Wie nannte er es noch gleich? Lancelot? Clovis erlaubte sich ein kleines, hintersinniges Lächeln, bevor er sich dem Bildschirm zuwandte, über den er den er den exzentrischen Grafen zu kontaktieren gedachte. Die verworrenen Ränkespiele der Politik mochten ihm nach wie vor nicht liegen; aber immerhin hatte Clovis gelernt, wie er am leichtesten das bekam, was er wollte, wenn er es wirklich darauf anlegte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)