Rosa Häschen und Blauer Elefant ♥ von Gmork ================================================================================ Kapitel 1: In Mathe zuhören. ---------------------------- Ich seufzte und schloss die Haustür wieder. Draußen goss es in Strömen und ich war noch nicht einmal losgefahren. Einer von den vielen Nachteilen, wenn man 7,5 Kilometer mit dem Fahrrad zur Schule fahren musste. Wenn es regnete, war man aufgeschmissen und wurde klitschnass. Ich stellte mich vor dem Spiegel und schob meine Haare unter die Mütze und in die Kaputze. So waren die wenigstens vor der Nässe geschützt. Zumindest mehr als meine Klamotten, samt Schulzeug. Ich liebte meine Sachen. Egal ob teuer, oder nicht, wenn sie gut aussahen, mussten die unbedingt in meinen Kleiderschrank. Der war übrigens so groß, wie bei manch anderen Jugendlichen das ganze Zimmer, denn meine Eltern hatten Kohle und ich nutzte das natürlich aus, doch es machte mich nicht arrogant, im Gegenteil. Ich möchte jetzt nicht prahlen, aber ich war einer der beliebtesten Schüler bei uns am Gymnasium. Das machte mich irgendwie verlegen, denn im Grunde war ich genauso, wie alle anderen. Und die meisten wussten nichtmal, dass ich zu einer der reichsten Familien in der Stadt gehörte, also lag meine Beliebtheit schonmal nicht am Geld. Ich warf noch einmal einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Meine Haare waren nicht gemacht und ich war ungeschminkt, aber das konnte ich auch noch in der Schule nachholen. Ich beförderte Kajal, Bürste und Kamm in meine Schultasche, wo alles durcheinander unten zum Liegen kam, Stullenbüchse und Trinkflasche flogen kunterbunt hinterher. Als ich dann wenig später meine Tasche schulterte, musste ich mich ein bisschen überwinden, um rauszugehen. Ich hasste Nässe. Besonders in den Klamotten. Wenn die nasse, kalte Jeans an der Haut klebte, war das einfach nur widerlich. Nichts desto Trotz musste ich langsam los- es sei denn ich wollte die erste Stunde schwänzen und das kam nicht in Frage. Ich blickte noch einmal kurz zur Decke und winkte der Kamera zu, die da hing. Meine Eltern schliefen noch, aber später würden sie die Aufnahme dann sehen. Sie arbeiteten im Ausland und waren höchstens zwei Mal im Jahr zuhause. Daher die Kameras, so konnten sie sehen, was ich machte. Ich fand es irgendwo ein bisschen paranoid, denn ich hielt mich für erwachsen genug, um auf mich selber aufpassen zu können. So, und jetzt raus in die Pracht. Schon nach der Hälfte der Strecke war ich klitschnass. Doch weil ich wiedermal viel zu schnell gefahren war, hatte ich jetzt noch fast eine halbe Stunde Zeit, bis der Unterricht losging. Erstmal aufs Klo gehen und mich frisch machen. Mit wachs durch die Haare fahren und aufschütteln. Ich hatte Glück, sie waren wirklich komplett trocken. Dann mit Kajal einen dünnen strich ziehen, der die Augen nur sehr leicht betonte. Seriös, aber hübsch. Als ich den Schulflur betrat, stand da schon eine ganze Horde von Schulkameraden, die alle früher reingelassen wurden, wegen dem Regen. Ich gesellte mich zu ihnen. Die meisten begrüßten mich herzlich. Ich grüßte zurück und streifte die klatschnasse Jacke ab. Meine Hose begann Gott sei Dank schon wieder zu trocknen. Erste Stunde hatten wir Mathe. Jannik war mein Banknachbar. Er war erst letztes Jahr zu uns in die Klasse gekommen und ich wusste nicht viel über ihn. Ich fand ihn relativ hübsch, er war immer gepflegt und er roch verdammt gut. Ist wirklich so. Leicht blumig, gleichzeitig aber auch schön frisch. Ich saß gern neben ihn. Wir redeten selten miteinander und wenn, dann nicht sehr viel. Er war hier mit der Einzigste, der den Kontakt zu mir nicht suchte. Ich fand das irgendwie schade, weil ich hätte gern so etwas wie Freundschaft zwischen uns beiden aufgebaut. Aber naja, man konnte halt nicht bei jeden beliebt sein. Bevor der Unterricht losging, packte ich meine nasse Jacke über meinen Stuhl und rannte nochmal ins Bad um mich im Spiegel zu begutachten. Frauen sind eitel- Männer sind es nie. Ob dieses Sprichwort bei mir zutraf glaubte ich nicht besonders. Ich fuhr mir noch einmal durch die Haare. Perfekt. Dann betrachtete ich meine Klamotten. Zum Wechseln war es sowieso zu spät, aber wenn sie wirklich nicht zusammen passen sollten, würde ich meinen Zippo zur Not ja noch ausziehen können. Obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte, ich fand ihn viel zu hübsch dafür. Er war rosa- ja, ich liebte rosa. Mit weißen Längsstreifen. Unten rechts am Gummisaum war ein kleiner, blauer Elefant raufgestickt. An den fummelte ich immer wieder rum, wenn ich mich im Unterricht langweilte. Von der Jacke hatte ich früher noch ein Gegenstück gehabt. Die war blau gewesen und hatte unten rechts einen rosanen Hasen. Zwei sehr seltene Exemplare, gute Qualität und relativ preiswert. Ich hab die beiden Teile mal zum Geburtstag oder so geschenkt bekommen. Ich war sofort in sie verliebt gewesen und hab sie, wo immer es auch ging, angezogen. Allerdings das Rosane mit dem blauen Elefant öfters, ganz einfach darum, weil ich rosa toller fand, als blau. Und dann einmal hab ich Scheiße gebaut, ich weiß schon gar nicht mehr was, jedenfalls waren meine Eltern fuchsteufelswild. Und zur Strafe musste ich die Hälfte von meinem Kleiderschrank weggeben- unter anderem auch eine von diesen beiden Jacken- an ein Kinderheim, damit dort jemand was zum Anziehen hatte. Ich hab gebettelt und gebettelt, ob ich auch eine andere Jacke verschenken könnte, doch meine Eltern blieben hart. Nein, es musste auch eine von den beiden sein. Ich war damals so sauer auf die beiden gewesen, ich fand es total kindisch und fies von ihnen, denn sie wussten, dass ich keine der beiden weggeben wollte. Ich hab mich dann für die Häschenjacke entschieden. Trotzdem hab ich fast zwei Wochen mit meinen Eltern nicht gesprochen. Das war vor zwei Jahren, da haben sie noch nicht im Ausland gearbeitet. Die Jacke passt mir jetzt immernoch. Ich war in der Zeit kaum gewachsen. Es klingelte. Und ich stand noch im Bad. Shit. Ich rannte zurück zum Klassenraum und riss die Tür auf. Die Schüler standen an ihren Plätzen, ich platzte mitten in die morgendliche Begrüßung rein. Der Lehrer schaute mich missbilligend an. "Nun, Mitch, schön dass du da bist, wenn auch etwas spät." "Tja, das Aussehen geht eben vor." Einige lachten, auch der Lehrer konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ich ging auf meinen Platz. Als wir uns setzten, fiel mein Blick, automatisch wie jeden Früh auf meinen Banknachbar. Erst dachte ich mich, ich hab mich verguckt. Aber er trug eine blaue Jacke. Mit weißen Streifen. Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich wieder zu fangen und dem Unterricht zu folgen. Doch alle paar Minuten wanderte mein Blick zu ihn. Und dann fand ich, was ich gesucht hatte- ein kleines, rosanes Häschen. Mir wäre der Mund aufgeklappt, hätte ich es nicht gerade noch so verhindern können. Sie war an den Ärmeln leicht ausgefranst, so wie meine damals. Und- Tatsächlich! Die Kaputze hatte ein winzig kleines Loch in der Innenfütterung. Er -Jannik- hatte meine alte Jacke an! WTF? Was ging hier vor? Kapitel 2: In der Cafeteria sitzen. ----------------------------------- Meine Finger zitterten. Ein schlechtes Omen. Mein Blick blieb jetzt auf dem Hasen haften, meine Konzentration flaute langsam ganz ab. Zu spät bemerkte ich, dass Janniks Blick auf mein Gesicht fixiert war. Seine grasgrünen Augen waren völlig neutral, fast schon ausdruckslos. "Gibts was?" Ich schüttelte den Kopf und verneinte. "Was stierst du mich denn so an?" Boah, hatte der vielleicht gute Laune heute wieder. Ich kratzte mich leicht irritiert am Kopf. "Hatte mich festgeguckt." "Ach ja, und das ausgerechnet an mir?" "Was ist denn so schlimm daran? Kann doch Jeden mal passieren." "Ja toll. Das nervt mich aber." "Boah jetzt krieg dich mal wieder ein, Mister Ete Petete!" Er wollte gerade eine patzige Antwort geben, als etwas weißes, hartes zwischen uns hindurchschoss und uns beide nur um haaresbreite verfehlte. Die Kreide landete klappernd auf der Bank hinter uns. Wir hatten beide nicht mitbekommen, dass wir während unserer Auseinandersetzung immer lauter geworden waren. Die Stille, die nun im Raum herrschte, war daher umso peinlicher. Der Lehrer war alles Andere, als erfreut. "Nun ihr beiden, da ihr ja anscheinend wichtigeres zu tun habt, als dem Unterricht zu folgen, nehme ich an, dass ihr alles verstanden habt." Wir beide sahen uns wütend an, sagten aber nichts. "Jannik, bitte an die Tafel." Er warf mir einen vernichtenden Blick zu und erhob sich trotzig. Ich wusste, er war in Mathe eine Niete, im Gegensatz zu mir. Dass er wegen mir jetzt vielleicht eine schlechte Note kassierte, war nicht meine Absicht. Ich musste ihn irgendwie helfen. Er bekam die Aufgabe und stellte sich hinter die Tafel, die anderen sollten im Heft mitarbeiten. Der Lehrer hockte an seinem Tisch und korrigierte irgendwelche Arbeiten, schien vom Rest nicht viel mitzubekommen. Ich fasste einen Entschluss, riss ein Stück von meinem Zettel ab, kritzelte die Frage "Jannik's Handynummer?" rauf und warf ihn arglos in die Klasse. Da mir hier irgendwie alle zu Füßen lagen [was ich natürlich niemals ausnutzen würde], bekam ich schon bald eine Antwort. Ich rechnete schnell aus, dann Tippte ich heimlich unter der Bank alle Antworten und Rechenwege in die Sms ein. Hoffentlich hatte er seinen Ton aus, geschweige denn sein Handy überhaupt mit. Einen Moment tat sich gar nichts. Dann zuckte Jannik, oder viel mehr das Bisschen, was ich von ihm sehen konnte zusammen, so wie ich manchmal auch, wenn meine Hosentasche plötzlich vibrierte. Das kreischende Geräusch der Kreide hielt für einen Moment lang inne. Der Lehrer raschelte mit seinen Blättern, bekam aber nichts von Alledem mit. Jannik schien zu überlegen, dann kritzelte er weiter, nicht mehr so langsam und vorsichtig wie vorhin, sondern schneller und selbstsicherer. Ich lächelte in mich hinein. Na bitte, er war angesprungen. Zwanzig Minuten später klappte der Lehrer die Tafel auf, um seine Ergebnisse zu vergleichen. Jannik musste vorne stehen bleiben und tippelte nervös mit dem Fuß. Er war sich seiner Sache nicht sicher, das sah man ihn an. Doch der Lehrer sagte ab und zu "Mh-Hm." und "Richtig.", dann drehte er sich zu ihn um. "Nun, das sieht ja ganz gut aus...Ja. Die volle Punktzahl. Und das nächste Mal bitte aufpassen, dann muss ich mich nicht gezwungen fühlen, jemanden nachzuprüfen." Jannik nickte knapp, dann setzte er sich hin, so weit weg von mir, wie es die Bank zuließ. Er wusste nicht, dass die rettende Sms von mir kam, da ich meine Nummer unterdrückt hatte, und sah sich neugierig in der Klasse um. Wenig später klingelte es. Ich ging schnellen Schrittes hinter ihn hinterher. Als ich auf seiner Höhe war, bemerkte er mich und verdrehte die Augen. "Du schon wieder." "Ja. Ich wollte nur sagen, sorry wegen der Geschichte gerade eben." "Naja ist ja nochmal gut ausgegangen. Es gibt nämlich nette Menschen auf der Welt, die mir Rettungsnachrichten schicken." Er zeigte mir die Sms. Ich schmunzelte, sagte dazu aber nicht. Jannik zuckte mit den Schultern und steckte das Handy wieder weg. "Ich würde zu gern wissen, wer das war. Die gute Note kommt mir mehr, als gerecht. Ich würde mich gern bedanken. Hast du 'ne Ahnung?" "Nö, hab ich nicht." "Das hab ich mir gedacht." Er war ziemlich abweisend zu mir. Vielleicht lag es daran, dass das unser erstes richtiges Gespräch war. Oder er war noch sauer auf mich. Könnte auch beides gewesen sein, er war so undurchschaubar, dass ich das nicht wirklich einschätzen konnte. Wir betraten die Cafeteria. Ich warf ihn einen schnellen Seitenblick zu. "Hast du was dagegen, wenn ich mich zu dir setzte?" "Mach doch", antwortete er ruppig, "wenn's dich glücklich macht." Wir setten uns, doch keiner von uns beiden packte was zum Essen aus. Ich musste lächeln, war gleichzeitig aber auch verwirrt. "Warum isst du nicht?" Er sah mich mürrisch an. "Warum sollte ich?" "Keinen Hunger?" "Schon, aber kein Essen dabei." "Nichts eingepackt?" "Vergessen." "Die anderen Tage auch schon immer?" "Sag mal, bestalkst du mich vielleicht?" "Nein, interessiert mich nur." "Du regst mich auf. Geh doch zu deinem Fanclub." "Keine Lust." "Weshalb?" "Ich sitz jetzt hier." Er verzog die Lippen zu einer Schnute. Seine Piercings kamen dabei richtig gut zur Geltung. "Die Leute gaffen schon alle." Er behielt Recht. Von allen Seiten wurden uns komische Blicke zugeworfen. Wir saßen allein ein wenig abseits, aßen beide nicht und trugen zu allen Überfluss auch noch eine Jackenkombination. Sehr verdächtig. Ja richtig, die Jacken.. ich hatte sie fast vergessen. Als ich ihn darauf ansprach, versuchte ich meine Stimme so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. "Nette Jacke. Wo hast du die denn her?" Jannik zupfte gedankenverloren an seinem rosanen Häschen rum, sagte im ersten Moment jedoch nichts dazu. Ich wartete geduldig. Seine Antwort klang sehr vorsichtig, als würde er die Worte abwiegen, bevor er sie aussprach. "Hab ich Geschenkt bekommen, warum?" "Keine Ahnung.Nur so." "Du fragst zuviel." "Brauchst ja nicht drauf antworten." Er warf mit einen Seitenblick zu und lächelte schief. "Es klingelt gleich." Er erhob sich und entfernte sich, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen. Ich sah ihn mit gerunzelter Stirn hinterher, immernoch irritiert von diesen, meiner Meinung nach, doch recht gut verlaufenden Gespräch. Die restlichen Stunden verliefen relativ uninteressant und zogen an mir vorüber. Ich war im Gedanken versunken und bekam von den Stunden kaum noch was mit. Meine Gedanken waren die ganze Zeit bei Jannik, ich wollte mehr über ihn herausfinden. Und wo, verdammt nochmal hatte er meine Jacke her? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)