Träume von LorenorMidori ================================================================================ Kapitel 19: ------------ Schlaflose Nächte und "Huch, is´ schon so spät..." resultierte aus diesem Kapitel! ^^ Unglaublich, wie viel man in nur einer Woche so schreiben kann, die wenigen Stunden die ich so Zeit habe nach der Arbeit. Ihr dürft euch in diesem Kapitel übrigens auf zwei Charaktere freuen, die meines (und zum Teil auch eures) Erachtens zu kurz kamen... Dieses Kapi sollte eher als Filler betrachtet werden, um einen Übergang zum nächsten Event zu schaffen. Beim Durchlesen habe ich bemerkt, dass man das eventuell bemerkt. Seid mir also nicht böse. Das nächste Kapi wird GRANDIOS!! Dennoch viel Spaß und - gebt mir euer Feedback! Ach, nur so nebenbei: ich bevorzuge Jogurt-Schokolade ;-) Gruß, LorenorMidori ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Der Gedanke, wieder zurück ins Aufnahmestudio zu gehen, bereitete ihm ungefähr so viel Freude wie die Aussicht auf eine Magenspiegelung. Fröhliche, glückliche, zufriedene Menschen um sich herum war das letzte, was er gebrauchen konnte. Seine Motivation, am neuen Album zu arbeiten, war auf dem absoluten Nullpunkt. Er hasste sie alle. Er konnte es nicht ertragen, ihnen begegnen zu müssen. Er wollte sie nicht sehen, niemanden, egal wen. Immerzu fragten sie ihn nach Bela, wie es ihm ginge, wo er bleibe. Verdammt noch mal, bin ich die scheiß Auskunft oder was?! Was interessiert´s mich?? Jedes Mal, wenn sie ihn allein antrafen, diese dämlichen Fragen. Wenn er sich jetzt wieder zu seinem Arbeitskreis begeben würde, würde die ganze Scheiße wieder von vorne anfangen. Er könnte kotzen. Die Hände tief in den Hosentaschen, den Blick gesenkt, die Miene starr vor Trauer, schlurfte er den Gang zum Studio hinaus. Er hatte den vagen Plan ins Auge gefasst, ins Auto zu steigen und irgendwo hin zu fahren. Oder irgendwo gegen. Innerlich war er sowieso bereits tot, er hatte den Fehler begangen, diesem Menschen, den er einst seinen besten Freund nennen durfte, sein Herz zu schenken, des Menschen wichtigstes Organ. Er hielt es ihm auf dem Serviertablett entgegen, und zunächst zögerte der Ältere, nur um es sich doch zu nehmen und auf dem Boden zu zertrampeln. Und tat dabei so, als täte ihm das alles unendlich leid. Wie gerne würde Farin ihm diese Worte glauben. Wie gut wusste er jedoch, dass jedes Wort gelogen war. "Ich lasse dich gehen, auch wenn es mich zerreißt... es ist vorbei... vorbei... vorbei..." Wie ein Echo klang dieses Wort in seinen Ohren, wie ein immer wieder kehrender Schmerz, der nicht versiegen mochte. Vorbei. Alles war vorbei. Die wunderbarste Beziehung zu einem Menschen, die er je sein eigen nennen konnte, seine Musikkarriere, sein Leben. Alles im Arsch. Wie schnell sich das Schicksal doch zwischen Leben oder Tod entscheiden konnte. Wir sind alle nur Figuren in einem Spiel und wissen nicht einmal, wer mit uns spielt. Zu welchem Zweck. Und wann dieses unbarmherzige Spiel endlich vorbei ist. Hinter sich konnte er schnelle, lauter werdende Schritte vernehmen. Sorry, Rod, aber heut hab ich echt keinen Bock mehr auf euch und das Album. Warum, fragst du? Ich weiß, wer die Antwort kennt! Dein ach so supertoller Schlagzeuger!! Nein, Axel, ich will heute nicht mehr weiterarbeiten. Das geht ein bisschen schlecht, wenn einem soeben das Herz gebrochen wurde, weißt du. Innerlich legte sich Farin schon Antworten für die Personen zurecht, die ihn am ehesten vermissen würden. Doch er hatte jemanden vergessen. Die Schritte, jetzt fast genau hinter ihm, ebbten plötzlich ab, und Farin konnte ein atemloses Keuchen vernehmen, bis die Stimme sprach, die er am liebsten nie wieder hören wollen würde. "Jan, jetzt warte doch bitte!" Farin blieb stehen. Rührte sich nicht. Drehte sich nicht um. Wusste nicht einmal, warum er stehen blieb. Er wusste überhaupt nichts mehr. "Du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen! Hast du dich nicht lang genug in deinem Schneckenhaus verkrochen? Lass mich bei dir sein, ich flehe dich an! Geh nicht fort von mir!!" Farin musste schlucken. Er spürte, wie er schon wieder schwach wurde und kurz davor war, nachzugeben. Aber diesmal, diesmal würden die geheuchelten Worte keine Wirkung bei ihm zeigen. Er war abgehärtet, war sie schon gewohnt. Jedes Mal das selbe, inhaltslose, unehrliche Gelaber. Diesmal würde er ihm zeigen, dass niemand mit ihm spielt. Nie wieder. Farin drehte sich langsam um, und Belas Gesicht hellte sich ein wenig auf. Was es schnell wieder rückgängig machte, als Bela Farins kalten, harten Gesichtsausdruck bemerkte. "Hast du das die letzten... lass mich nachdenken, fünf Milliarden Male nicht auch schon gesagt? Und was ist draus geworden? Deine Worte waren nie mehr als schön verpackte Leere. Und ich war lange genug so dämlich darauf hereinzufallen. Jedes Mal. Ich dachte immer, ich sei klüger. Hattest du ernsthaft geglaubt, dass ich dazu bereit bin, dein selbstverliebtes Spiel weiter mitzuspielen? Bist du eigentlich auch anderen Menschen gegenüber so grausam oder trifft das immer nur mich?" Farins wutentbrannte Worte hatten Bela tief getroffen. Niedergeschlagen blickte der Schlagzeuger, einer Erwiderung unfähig, zu Boden. Wie ein geprügelter Hund. Farin genoss, auf sadistische Weise, den Rollentausch, genoss es Bela leiden zu sehen und einmal nicht als Verlierer aus Belas Heucheleien hervorzugehen. Möglicherweise hatte er noch eine Chance, sein Verhalten zu korrigieren, wenn er am eigenen Leib erfuhr, welche Pein er Farin gegenüber verursachte. Im Normalfall verurteilte Farin das "Auge um Auge"-Prinzip aufs Schärfste, aber in diesem Fall warf er all seine Attitüden über Bord. Es wurde Zeit, dass Bela endlich kapierte, so bei Farin nichts wieder gutmachen zu können. Das jedenfalls hatte gesessen. Wortlos machte Farin auf dem Absatz kehrt und ließ Bela einfach so stehen, und er fühlte sich gut dabei, als Sieger aus dieser Angelegenheit hervorzugehen. Mit erhobenem Haupte. Er hasste es zu verlieren, und er war ein schlechter Verlierer. Doch seine Würde, seinen Stolz, die er als einzige noch sein nennen konnte, wollte er nicht verlieren, nicht auch noch. Und schon gar nicht an den Mann, der ihm ohne Rücksicht auf Gefühle bereits alles andere nahm. Die Tür schloss sich hinter ihm. Er war frei. Kein Bela, der ihm hinterherlief. Keine Arbeit. Keine Verpflichtungen. Nur der Rest seines kümmerlichen Daseins und er. _______ Unterwegs verlor Farin doch den Mut, und er fuhr nicht gegen den nächstbesten Brückenpfeiler, sondern doch nach Hause. Als er seinen Wagen vor seiner Haustür abstellte und sein Zuhause betrat, fühlte er sich noch genau so mies wie im Studiogebäude. Immerhin war er nun weit genug von Bela weg und konnte sich so eventuell auf andere Gedanken bringen. Nicht, dass er ernsthaft daran glaubte. In seinem Wohnzimmer angekommen, legte er seine Jacke über die Lehne seines Sessels, holte aber zuvor noch seine Baseballcap aus der Jackentasche. Automatisch musste er an den Moment denken, an dem er sie von Bela überreicht bekam. Es musste eine Ewigkeit her sein, und dennoch wusste Farin genau, dass dieser Moment erst wenige Stunden alt war. Da waren sie noch Freunde. Da wusste Bela noch nicht, dass Farin weit mehr in ihm sah als einen Freund, der seit ewigen Zeit ein fester Bestandteil von Farins Leben war. Er wünschte sich, er hätte Bela nie seine Gefühle für ihn offenbart. Dann wäre alles noch in Ordnung. Sie wären immer noch unzertrennliche Freunde, die füreinander und für die Musik alles geben würden. Farin schlug sich mit der flachen Hand gegen den Kopf. Er wusste, dass diese Gedankengänge keinen Sinn machten. Was geschehen war, war nun eben geschehen und ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Er vermisste Bela schon jetzt. Er vermisste, die Freundlichkeit, die Herzlichkeit, die Wärme, die dem Schlagzeuger stets anhafteten. Das sonnige, unbeschwerte Gemüt. Die tiefe Zuneigung und die Gewissheit, dass Bela immer, wirklich immer für ihn da gewesen war. Sogar dann, als er aufgrund der Trennung von seiner Freundin an Boden zerstört war. Dennoch war ihm Farins Wohlergehen wichtiger als sein eigenes. "Ich war zu stolz, um zuzugeben Ohne dich kann ich nicht leben." Seltsamerweise hatte Farin in seinem Leben bisher nur traurige Liebeslieder geschrieben, die entweder von einer nicht erwiderten oder von einer zerbrochenen Liebe handelte. Warum eigentlich? Weil er bisher noch nicht den großen Wurf landen konnte und bisher nie die Frau für´s Leben getroffen hatte? Weil er glückselige Liebeslieder zu schnulzig fand? So wie es aussah, würde sich das aber auch nicht ändern. Seine Liebeslieder würden wohl immer von Schmerz und Verlust handeln. Farin schloss die Augen, denn jedes Mal, wenn er den Blick umherschweifen ließ, fand er irgendeinen Bestandteil seiner Wohnung, der ihn an Bela erinnerte. Das Bild, das an der gegenüberliegenden Wand hing, hatte Bela damals ausgiebig gemustert, als er es das erste Mal sah. Und nur abschätzig den Kopf geschüttelt, als Farin ihn nach seiner Meinung fragte. „Zum Kotzen“ hatte er geantwortet. Oder der Wohnzimmertisch. Bela hatte sich aus Übermut mal draufgesetzt und festgestellt, dass Farin eine absolute Niete im Möbel zusammenbauen war. Minutenlang hatten sie sich lachend gepiesakt, während sie sich gegenseitig dafür die Schuld zuschoben, dass der Tisch in sich zusammengeklappt war. Und die Dreisitzer-Couch. Farin wusste noch, als sei es gestern erst passiert, wie sich Bela völlig übermüdet auf jene Couch legte, als sie spät abends nach einer Party noch einen Abstecher zu Farin machten. Der Blonde musste eigentlich nur kurz zur Toilette. Als er zurück kam, war Bela tief und fest eingeschlafen. Farin ließ sich neben ihm nieder und sah ihm einfach dabei zu, wie er schlief. Diesen innigen, intimen Moment konnte er lange nicht vergessen. Er wusste auch heute noch, wie er Bela damals sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, ihm eine Decke holte und ihn behutsam damit zudeckte, bevor er selbst schlafen ging. Als er die Augen wieder öffnete, lief eine einzelne Träne über Farins Gesicht. Zu schmerzhaft war die Erkenntnis, dass solche Erlebnisse von nun an der Vergangenheit angehörten und dazu verdammt waren, lediglich in seinen Gedanken zu existieren. Zu schmerzhaft die Tatsache, dass Farin sich an ein Leben ohne Bela würde gewöhnen müssen. Wieder einmal fragte er sich, wie er sich an etwas gewöhnen sollte, das er nie kennen gelernt hatte. Länger, als er denken konnte, war Bela an seiner Seite gewesen. Und nun war alles vorbei. Vielleicht aber auch nicht. Mittlerweile hatte sich Bela auf dem Sessel gegenüber der Couch, auf der Farin saß, niedergelassen. Als Farin dies bemerkte, durchfuhr ihn ein Stromstoß. Der Umstand, dass seine Halluzinationen zurück kehrten, machten ihm bewusst, dass er gescheitert war. Doch Bela schwieg. „Was ist? Kein besserwisserischer, altkluger Spruch? Du enttäuschst mich“, kommentierte Farin sarkastisch die Situation. Bela seufzte. „Was soll ich dir auch sagen? Dass du es endgültig geschafft hast, Bela zum Teufel zu jagen, wirst du ja in der Zwischenzeit selbst bemerkt haben.“ „Ist ja wohl mein gutes Recht, oder? Ich brauche keinen (Farin beschrieb mehrmals das Gänsefüßchen-Zeichen mit Zeige- und Ringfinger) „besten Freund“, der mir ständig irgendeinen Scheiß erzählt, den er mir zunächst als die Wahrheit verkauft, nur um ein paar Minuten später alles wieder zu revidieren. Falsche Freunde hatte ich wirklich zur Genüge.“ Bela zog spöttisch den Mundwinkel nach oben. „Hmm, lass mich nachdenken. Also wenn ich richtig informiert bin, ist Bela mittlerweile alles andere als ein falscher Freund für dich. Ich weiß, was du dir heute im Proberaum vorgestellt hast...“ „Arsch.“ „Pech! Du hast es versaut! Die vergangenen letzten Tage habe ich eine Predigt nach der anderen rausgehauen, habe dir Mut zugesprochen, dich aufgebaut und dir deine Probleme vor Augen geführt... aber du musstest ja unbedingt die Rampensau spielen. Du bist echt egoistisch!“ „Ich?! Egoistisch?!“ rief Farin außer sich. „ICH habe die ganze Zeit über meine Gefühle im Zaum gehalten, um die Aufnahmen nicht zu gefährden-“ „Ach, so nennst du es also, wenn du mal eben einfach so unangekündigt deinem Freund die Zunge in den Hals steckst?“ fragte Bela spöttisch. Farin schnappte nach Luft. „Abgesehen davon, dass du heute Bela gestanden hast, was du tatsächlich für ihn fühlst...“ ergänzte Bela mit geheimnisvoller Stimme. Farin resignierte. „Also schön. Worauf willst du hinaus?“ fragte er mit dem Tonfall eines trotzigen Kindes. „Ganz einfach! Schon seit Anbeginn deines Dramas standen immer Gefühle im Vordergrund. Nämlich deine eigenen. Schon vergessen, wie du Bela vor gar nicht allzu langer Zeit noch aus diesem Wohnzimmer davon jagtest, was im Übrigen dazu führte, dass er dir per Anrufbeantworter die Freundschaft kündigte? Und weißt du was er gemacht hat?“ Bela sah Farin erwartungsvoll an, doch dieser schüttelte unwissend den Kopf. „Er kam zu dir zurück. Und er kam auch vorhin zu dir zurück. Er ist dir nachgelaufen. Hast du dich bisher mal gefragt, WARUM er immer zurück kam, selbst wenn eure Freundschaft angeblich beendet war? Ich sag es dir: es hat was mit Gefühlen zu tun. Mit Belas Gefühlen. Möglicherweise solltest du die auch mal hinterfragen. Ich bin mir sicher, dass dies Interessantes zu Tage fördert.“ Farin atmete tief aus. Natürlich hatte Hallu-Bela vollkommen Recht. Und natürlich war Farin viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu erkennen, dass auch ein Bela Gefühle hatte. Zunächst noch hatte Bela verkündet, er könne so nicht mit Farin befreundet sein, wollte ihn von sich stoßen, spätestens nach der Fertigstellung des Albums... und doch rannte er ihm hinterher. Wollte oder konnte nicht akzeptieren, dass alles zu Ende war. Wollte vielleicht seine Worte, seine Entscheidung zurücknehmen. Dennoch schien es diesmal unwiderruflich. Farin konnte das alles nicht mehr ertragen. „Weißt du was? Ist mir scheißegal. Ich brauch deine Ratschläge nicht mehr. Verzieh endlich und hör auf dich in meinem Kopf einzunisten. Es is´ vorbei.“ Bela warf ihm noch einen langen, fragenden Blick zu. Dann fing er an, wie eine verschwindende Holografie aus einem Science-Fiction-Film, zu flimmern. „Wenn ich jetzt gehe, werde ich nie mehr zurückkehren“, warnte er Farin. „Bist du immer noch da? Hau endlich ab“, kam die schroffe Anwort. Bela nickte enttäuscht und verschwand. Farins Kopf drohte zu platzen. Dieser Strudel an Gedanken und Gefühlen brachte ihn um den Verstand, an den Rand des Wahnsinns. Er musste einen klaren Kopf bekommen. Eine Dusche, kalt und ausgiebig, würde hoffentlich ihr möglichstes dazu beitragen. Er schlurfte ins Badezimmer, entledigte sich seiner Kleidung, drehte den Wasserhahn auf und stellte sich unter den Strahl. Die Eiseskälte aus der Leitung wollte ihn aufschreien lassen, doch er unterdrückte diesen Drang und zwang sich, tief und ruhig zu atmen. Eine super buddhistische Konzentrationsübung oder so. Zumindest fühlte er sich schon etwas besser. Das Wasser half ihm, seinen Kopf ein wenig frei zu bekommen. Wenn es ihm auch dabei half, sich besser zu fühlen und nicht so innerlich tot, wäre das sogar noch besser. Als er aus der Dusche stieg und ein großes Badetuch aus dem Schrank kramte, versuchte er jegliche Gedanken an Bela zu verdrängen. Wenn er versuchen wollte weiter zu leben, musste er ihn endgültig aus seinem Leben streichen. Der Spiegelschrank. Bela und Farin hatten ihn damals gemeinsam an die Wand montiert. Gab es denn nichts, überhaupt nichts in diesem Haus, das ihn nicht an Bela erinnerte?! Jemanden aus seinem Leben zu verbannen, von dem man gehofft hat, eben dieses gemeinsam mit ihm verbringen zu können, erwies sich als außerordentlich schwer. Einerseits wollte Farin gar nicht, dass Bela nur noch ein verflogener Schatten seiner Erinnerungen würde. Ein Traum, der jedes Mal dann zu Ende war, wenn die Wirklichkeit wieder seine Anwesenheit erforderte. Farin wusste genau, dass er noch viele, viele schlaflose Nächte vor sich hatte, und falls er sich doch irgendwie ins Reich der Träume retten könnte, würde er dort seinem Traumprinzen begegnen, gar keine Frage. Dort würden sie nicht streiten, keiner würde die Gefühle des anderen verletzen. Sie würden ein friedliches, endloses Miteinander erleben, fröhlich, harmonisch, ohne Sorgen und Ängste. Farin wünschte sich, er wäre bereits dort. Doch hatte er viel zu große Angst davor, wieder aufzuwachen. Sich vor Augen zu halten, dass er Bela nur bei sich haben konnte, wenn er schlief und keine bewussten Worte und Handlungen vollziehen konnte. Dass Bela nicht mehr da war. Er bezweifelte, dass sie sich so schnell wieder begegnen würden. Wenn, dann eher aus Zufall. Die Welt war schließlich klein. Bela würde nach seiner Aktion sicher absolut die Schnauze voll haben von ihm. Er konnte es verstehen. Was er jedoch nicht verstehen konnte, war die Tatsache, dass er Bela so schlecht behandelte. Als sie zuletzt miteinander sprachen, hatte Farin sich gut gefühlt, irgendwie befreit. Doch nun tat ihm das alles nur noch Leid. Er konnte sich nicht bei Bela entschuldigen, zu groß waren die Schuldgefühle. Sein schlechtes Gewissen nagte an ihm, fraß ihn langsam, aber sicher auf. Er fühlte sich mal wieder unheimlich mies. Doch auf der anderen Seite war da dieser Mann, der es sich in den vergangenen Tagen zum Hobby machte, mit ihm zu spielen. Der ihn wie ein Jojo nach Belieben wegstieß und wieder zu sich heranholte, ohne jegliche Chance, sich dem ganzen zu entziehen. Und heute hatte dies Farin den Rest gegeben. Er wusste von einem Moment auf den anderen, zum ersten Mal seit beinahe 30 Jahren, nicht, woran er bei seinem Freund war. Vielleicht hatten sie sich auch einfach mit den Jahren verändert uns mussten erst für sich selbst herausfinden, wer sie waren. Möglicherweise kam das mit dem Alter oder mit den Erfahrungen, er wusste nicht genau woher. Die Unbeschwertheit ihrer früheren Jahre bedrückte ihn. So wie Bela es in „Rock Rendezvous“ formulierte. Es machte ihn traurig. Sie hatten keine Sorgen, mussten sich um nichts scheren. Er vermisste diese Zeiten. Damals schien alles so einfach. Sie wollten noch so viele Dinge tun und erleben. Mittlerweile hatten sie alles, wovon sie immer träumten, und wollten dennoch zu neuen Ufern aufbrechen. Nicht stagnieren, nicht stehen bleiben. Sie konnten nicht genug bekommen von dem was sie hatten und wollten immer mehr. Um voreinander zu flüchten, wenn sie zu lang aufeinander hockten, um sich von die ärzte abzulenken. Die Ruhe, die sich ab einem gewissen Alter angeblich einstellen sollte, hatte sie noch nicht erfasst. Farin hielt es nach wie vor nur so lange in Deutschland, wie er Lust hatte, mit den Ärzten oder dem Racing Team zu arbeiten. Eigentlich sollte er es ja gewohnt sein, Bela nicht zu sehen. So oft wie er verreiste. Doch immer, wenn er fremde, ferne Länder bereiste, wusste er, dass in einem kleinen Kaff in der Nähe von Hamburg jemand auf ihn wartete, schon immer. Und nun waren sie in der selben Stadt und sich so fern wie niemals zuvor. Farin atmete laut aus. Sollte er den Rest seines Lebens damit vergeuden, in Erinnerungen zu schwelgen, die ihm doch nur schmerzlich bewusst machten, dass es vorbei war? Er zwang sich dazu, sich etwas zu essen zu machen. Während die Lebensmittel vor sich hin garten, trank er einige Gläser Wasser, da seine Kehle sich wie ausgedörrt anfühlte. Zur Ablenkung beschloss er, während dem Essen eine DVD anzusehen. Doch welche? Forrest Gump? Nein danke, ihm war auch so zum heulen zumute. Eine seiner vielen Reisedokus? Japan vielleicht? Ihm fiel ein, dass er dort schon eine Weile nicht mehr gewesen war. Die Kultur und die Lebensweise faszinierten ihn, und es gefiel ihm dort. Außerdem war es schön weit weg von Bela. Vielleicht sollte später mal den Rechner einschalten und nach Flügen suchen. Während er noch überlegte, was er so ganz allein mit dem angebrochenen Abend anfangen sollte, klingelte es an der Tür. Farin erschrak. Das durfte jetzt nicht wahr sein. Du Volltrottel, mach dich nicht verrückt. Warum sollte ausgerechnet ER...? Entgegen allen inneren Sträubens lief er leise zur Tür (warum schlich er in seinen eigenen vier Wänden umher?) und lugte durch den Türspion. Es war Rod. Aufatmen. Farin öffnete die Tür und versuchte möglichst normal auszusehen. „Hey Jan, tschuldige, dass ich so spät noch aufkreuze. Ich hoffe, ich stör nicht!“ begrüßte Rod den Blonden freundlich. „Och nöö, die Weiber in meinem Schlafzimmer können sich auch ´ne Weile allein beschäftigen“, entgegnete Farin scherzhaft und hoffte, dass sein Spruch nicht ZU gekünstelt war. „Komm doch rein!“ Farin hielt dem Bassisten die Tür auf, und dieser spazierte an ihm vorbei in Farins Wohnung. Dort zog er Jacke und Schuhe aus und schnüffelte argwöhnisch. „Was los? Oh, hab ich vergessen zu lüften?“ fragte Farin stirnrunzelnd. „Nee, das riecht mehr so... verbrannt würd´ ich sagen“, erwiderte Rod, und Farin fiel siedend heiß ein, dass er noch eine Pfanne auf dem Herd stehen hatte. Mit einem panischen „Oh Scheiße!“ stürzte er in die Küche, wollte schnell die Pfanne herunternehmen, verbrannte sich aber stattdessen die Hand, schrie kurz auf, griff hektisch nach einem Topfhandschuh und schaffte es schließlich, die Pfanne auf die Spüle zu stellen. Er atmete kurz durch, stellte den Herd ab und drehte den Wasserhahn auf, um die wunde Stelle zu kühlen. Halb so wild, befand er. Das Gemüse war hin. Wie der Rest des Tages auch, stellte Farin ironisch fest. Zurück im Wohnzimmer sah Rod ihn ungläubig an. „Was´n mit dir los?“ wollte er wissen. „Und wieso seid ihr vorhin einfach so unangekündigt abgehauen, vor allem?“ „Wir?“ hakte Farin nach. „Na Felse und du!“ erklärte Rod. „Ist er nicht bei dir?“ Farin stieß einen gequälten Seufzer aus. „Nein, ist er nicht, und ich weiß auch sonst nicht wo er sich aufhält.“ „Nee, oder?“ Rod konnte die Welt nicht mehr verstehen. „Was zum Teufel is´ mit euch beiden eigentlich los? Seit Tagen lauft ihr total neben der Spur! Habt ihr euch in den Haaren oder was?“ „Nur die üblichen Streitigkeiten während den Albumaufnahmen“, versuchte Farin Rod zu beschwichtigen, wirkte aber nicht sehr überzeugend auf den Bassisten. „Okay. Wenn ich jetzt von deinem Haustelefon aus Bela anrufe, was passiert dann?“ fragte Rod forschend. Farin wusste genau, worauf er hinauswollte, also versuchte er die Frage geschickt zu umgehen. „Na, er geht ran, wenn er daheim is und rangehen kann, oder er tut es nicht“, kam Farins lapidare Antwort. „Du bist so ein schlechter Lügner, Jan.“ Schnauben. Wegdrehen von dem Mann, der ihn nach nicht einmal fünf Minuten durchschaut hatte. Rod hatte ein viel zu gutes Gespür für solche Dinge. Seine Menschenkenntnis hatte Farin zwar immer beeindruckt, aber leider berücksichtigte er nie, dass Rod diese Menschenkenntnis auch problemlos auf ihn selbst anwenden konnte. „Also, was ist wirklich los?“ hakte Rod nochmals nach. Farin lachte innerlich. Hey, weißt du was? Ich hab mich in Bela verschossen! Und weißt du was das geile daran ist? Er weiß es und will offenbar nichts mehr mit mir zu tun haben! Wahre Freundschaft, was? Immer offen gewesen für Partyschwulitäten, aber im richtigen Leben den Schwanz einkneifen. Aber hey- is mir egal. Ich brauch doch Bela nicht! Nein, überhaupt nicht. Ganz und gar nicht... Farin, der mal wieder völlig in Gedanken versunken war, bekam einen aufweckenden Schlag ab. Rod wollte aber auch einfach nicht locker lassen! Missmutig setzte er sich endlich auf die Couch (bloß nicht auf die, wo Bela damals so süß geschlafen hatte!), holte tief Luft und bemerkte, dass er ein furchtbar schlechter Gastgeber war. „Ääh, kann dir nicht was zu trinken anbieten?“ fragte er Rod schnell und war sich der Tatsache, dass er übelst versuchte vom Thema abzulenken, vollkommen bewusst. Aber Rod, der Hartnäckige, ließ sich nicht beirren. „Mensch, jetzt hör doch mal auf mit dem Kram und red endlich!“ forderte er ungeduldig. „Also schön“, willigte Farin ein und gab endgültig auf. „Ähm... ich weiß, das hört sich jetzt absolut unglaubwürdig an, aber... Bela und ich, wir... also, ich...“ Ein letztes Durchatmen. „Ich hab ihm die Freundschaft gekündigt.“ „Du hast WAS?!?“ rief Rod fassungslos und fiel beinahe aus dem Sessel. Mit offenem Mund starrte er Farin an und wollte nicht glauben, was er soeben vernahm. „Ich weiß, wie sich das anhört. Aber es gibt eine längere Geschichte dazu, ich hab mir diese Entscheidung sicherlich nicht leicht gemacht. Im Gegenteil. Es...“ Farins Gesicht nahm einen schmerzenden, traurigen Ausdruck an. Vielleicht half es ihm ja, sich endlich mal alles von der Seele zu reden. Nun ja, fast alles. „Es tut weh. Es tut so weh. Ich hätte nie gewollt, dass es je soweit kommt. Wir hatten so lange keinen Kontakt zueinander, und nun treffen wir uns zu einem neuen Album, was wir erst vor wenigen Monaten beschlossen hatten... nachdem du heim musstest wegen dem Einbruch, sind wir noch eine Weile spazieren gegangen... seine Freundin hatte ihn verlassen und er brauchte etwas Beistand... aber es war so... anders! Verstehst du? Er kam mir fremd vor, verändert. Wahrscheinlich haben wir unsere Freundschaft verkümmern lassen während der langen Pause. Ich finde einfach keinen Zugang mehr zu ihm. Er blockt ständig ab und lässt mich nicht an sich heran, aber dann... überlegt er es sich plötzlich anders und alles ist so wie früher...“ Rod lauschte Farins Worten gebannt und sah, wie Farin mit jedem gesprochenen Wort schlechter aussah. Farin war offensichtlich schwer damit beschäftigt, seine Tränen zurückzuhalten, zu groß war der Schmerz, und die Tatsache dass sie nicht mehr zueinander finden konnten. „Hast du dich jemals gefragt, warum das so ist?“ fragte Rod plötzlich mit fester Stimme. Farin traf dies wie ein Donnerschlag. „Ich verstehe nicht genau, was du meinst...“ „Hast du dich jemals gefragt, warum Bela so launenhaft ist, wie du ihn beschreibst? Was der Auslöser dafür sein könnte? Ist das die Trennung, die er durchmachen muss oder steckt da vielleicht was anderes dahinter? Mir ist auch aufgefallen, dass er schräg drauf ist, für seine Verhältnisse. Irgendwas ist mit ihm! Irgendetwas stimmt nicht! Und ich werde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit dir zu tun hat.“ Rods fester Blick und die Überzeugung, die in seinem Ton lag, brachten Farin zum Nachdenken. Doch noch immer konnte er sich keinen Reim darauf machen. „Woher willst du das so genau wissen? Hat er dir gegenüber was gesagt?“ „Nein, aber ich habe mich bereits mit ihm getroffen,bevor er dir nach all der Zeit wieder begegnete. Und da ging es ihm noch gut! Aber seitdem er dich getroffen hat, ist er wie ausgewechselt.“ Rod stockte. „Sag bloß, das ist dir nicht aufgefallen.“ „Aber du erwähntest doch die Trennung und...“ Farins Verwirrung nahm immer mehr zu. Es stimmte, dass Bela nach ihrem Spaziergang traurig darüber war, dass Farin so schnell gehen wollte. Dummerweise hatte Farin in jenem Moment ganz andere Sorgen. Und es stimmte auch, dass Bela ein rüdes Verhalten an den Tag legte, wenn Farin ihn verließ. Hallu-Bela hatte doch vorhin auch so etwas erwähnt... aber Farin wollte dies von jemandem hören, der nicht seinen seltsamen Gehirnwindungen entsprang. Also tat er, was er immer hasste: sich dumm stellen. „Du meinst also, seine Gefühle und so sind... meinetwegen... durcheinander oder...“ fragte Farin ungläubig. Er wollte nicht so recht glauben, dass sogar Rod bemerkte, dass Bela die Nähe zu ihm suchte, er selbst jedoch nicht. Und das, obwohl Farin es war, der Belas Nähe suchte! Er fühlte mit einem Mal eine unglaubliche Schwäche und Hilflosigkeit in ihm aufsteigen, Schwindel packte ihn und ließ ihn taumeln. Die Lösung des Problems war so greifbar nahe, und er hatte sie einfach übersehen! Rod wirkte zerknirscht. „Sorry, aber für ´nen besten Freund ist das echt ´ne verdammt schwache Leistung!“ „Hallo, ich hab´s vielleicht in letzter Zeit auch nicht einfach gehabt und-“ „Und das ist jetzt deine Entschuldigung oder was ?!“ rief Rod aufgebracht. Sein Temperament brachte Farin augenblicklich zum Schweigen. „Keine Ahnung was du durchmachen musstest, oder immer noch durchmachen musst, aber Bela zu deiner Zielscheibe zu machen ist ja wohl echt... das Letzte!“ rief Rod und war sichtlich empört. „Er ist nicht meine Zielscheibe, Rod“, erwiderte Farin leise und wandte den Kopf ab. Rod registrierte Farins Miene, sah dessen schlechtes Gewissen und beruhigte sich wieder. „Hör zu. Ihr müsst das wieder auf die Reihe kriegen. Ihr müsst miteinander reden und herausfinden, wo der Hund begraben liegt. Ansonsten seh ich echt schwarz für die Band.“ riet Rod dem völlig hilflosen Farin und stand schließlich auf, um sich anzuziehen. „Wo willst´n hin?“ fragte Farin überrascht und wollte eigentlich nicht, dass Rod schon ging. „Du musst´n paar Sachen klären, und du solltest das schnell tun. Ich will dir dabei nicht im Weg sein.“, erklärte Rod und sah Farin dabei aufmunternd in die Augen. Farin ging auf ihn zu und nahm ihn fest in den Arm. „Danke, dass du mir das erzählt hast, Rod. Wir hätten uns schon früher so unterhalten müssen.“ sagte Farin leise, während er das Gefühl der Umarmung genoss. So wusste er, dass er doch nicht ganz allein war. „Schon okay. Mach dir keinen Kopf, das wird schon wieder“, entgegnete Rod aufmunternd und lächelte, als sie die Umarmung wieder lösten. Rod verabschiedete sich mit der Bitte, von Farin Nachricht zu erhalten, wenn die Wogen wieder geglättet waren. Farin versprach es ihm und schloss die Tür. Nun stand er mit seinen Problemen wieder ganz am Anfang. Was sollte er tun? Was sollte er bloß tun? Er konnte doch nach allem nicht einfach so bei Bela ankommen, nach dem Motto „Hey, ich hab endlich verstanden was mit dir los ist! Wieder Freunde?“ Er musste nachdenken. Rod hatte Recht. Das Album musste fertig gestellt werden. Ihre Fans durften nicht unter ihren Midlife-Crisis-Launen leiden. Eine weitere schlaflose Nacht würde Farin Urlaub in seinem Bett erwarten. Schade eigentlich, dass die Rod gegenüber erwähnten Weiber nicht doch in seinem Schlafzimmer warteten. Da hätte er wenigstens Beschäftigung, wenn er schon nicht würde schlafen können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)