In Good Faith von Glasschmetterling ================================================================================ Second Interlude - The Scent of Power ------------------------------------- In Good Faith – Second Interlude: The Scent of Power „Was Krankheiten betrifft, so hat man zwei Möglichkeiten: zu heilen oder wenigstens nicht zu schaden.“ (Hippokrates) „Und hier... sind wir richtig?“ Raven zog in einer Geste der Abscheu, die so gar nicht zu ihr passen wollte, die Nase kraus, während sie die verdreckten Stufen zu der kleinen Kellerwohnung hinabstiegen, ihre schmalen Füße trafen eine Getränkedose, scheppernd fiel das Metall nach unten, landete auf dem abgewetzten Fußabstreifer. Come in stand darauf in kaum noch zu erkennenden Buchstaben und Erik Lehnsherr fragte sich, ob die Frau, zu der sie wollten, diese Einladung ernst meinte; vorsichtig drückte er die Türklinke nach unten. Verschlossen. „Ich denke schon.“ Die Unsicherheit in seiner eigenen Stimme behagte ihm nicht, besonders, weil sie den Eindruck erwecken konnte, dass er sich wegen der stechenden, misstrauischen Blicke Ravens unwohl fühlte und nicht, weil die gesamte Gegend stank wie eine verdammte Kloake. „Die Beschreibung passt zumindest.“ Er hatte eigentlich noch nicht herkommen wollen, sondern warten, weitere Informationen über die Frau zusammentragen, die hier lebte... oder ordinierte, aber Ravens überraschender Besuch hatte ihm keine Wahl gelassen, als nach dem letzten Stohhalm zu greifen, der ihm noch blieb – und er hoffte wirklich, dass dieser Hoffnungsschimmer solider war, als die vagen Gerüchte, die er gehört hatte. „Klopfen wir doch.“ In einer Bewegung, die müder wirkte als es ihm passte, aber wohl seinen momentanen Zustand getreu wiedergab, hob er die Hand, ließ die Knöchel gegen das Holz mit dem abblätternden roten Lack schlagen, zuerst dreimal, dann einmal, dann dreimal. Die elektrische Klingel funktionierte nicht mehr, man hatte den Schalter herausgerissen und blankes Metall schimmerte ihm entgegen, nach dem Erik fast automatisch seine Gedanken ausstreckte, doch ohne Erfolg. „Bald...“ Es war nur ein einziges, gewispertes Wort gewesen, doch er konnte den Hunger, der dahinter steckte, nicht verleugnen, das Bedürfnis, endlich wieder zu fühlen, was ihn umgab, nicht nur zu sehen... und wirklich etwas bewegen zu können, nicht nur Schachfiguren zum Wackeln zu bringen oder den Draht von Glühbirnen. „Wer seid ihr und was wollt ihr?“ Die Tür hatte sich so weit geöffnet, wie die schwere, vorgelegte Kette das zuließ, und ein einzelnes, blaues Auge blickte zu ihnen nach draußen, musterte sie hinter dunklen, blonden Strähnen hervor. „Wir suchen nach Eir... wir haben gehört, dass sie uns helfen kann.“ Es schmeckte Erik nicht, wie ein Bittsteller hier aufzutreten, diese Frau anzuflehen, doch nach allem, was er gehört hatte, konnte sie sogar aussichtslosen Fällen helfen – und wenn Raven und er sich nicht als aussichtslos qualifizierten, wer dann? „Na, dann rein in die gute Stube.“ Trotzdem fiel die schwere Tür für einen Moment ins Schloss, nur um sich sofort wieder zu öffnen und ihn feststellen zu lassen, dass der Sarkasmus in der hellen Frauenstimme nicht untertrieben gewesen war. Die Wohnung war so dunkel, wie er das bereits vor der Tür vermutet hatte, die kleinen Fenster dicht unter der Decke spendeten kaum Licht, umso weniger, als sie dick verdreckt waren... aber der Schmutz war schlimmer. Während sie durch eine knöchelhohe Schicht von Müll wateten, schien Raven sich große Mühe zu geben, so wenig wie möglich davon an ihre eleganten Stiefel zu lassen, ihr rastloser Blick wanderte über den Boden, eine Geste, die er von ihr nicht kannte. Aber vielleicht war es auch die Tatsache, dass ihr Gesicht so anders aussah, als er es in Erinnerung hatte, so viel weicher wirkte ohne die schuppenartigen Zeichnungen auf ihrer Haut, die sie... ängstlicher aussehen ließ, als sie es wohl in Wirklichkeit war. „Ich dachte, Sie wären Ärztin? Sollte Ihre Praxis da nicht... steril sein?“ Die Zweifel waren ihrer Stimme anzumerken, und auch Erik konnte nicht leugnen, dass er sich nun nicht mehr sicher war, ob die Frau – Eir, wie er hoffte – wirklich die war, die er suchte. Schweißperlen bildeten sich an seinem Hals, liefen hinab an seinen Kragen, ließen den langen Schnitt, den Raven ihm zugefügt hatte, jucken, doch er würde sich nicht die Blöße geben, sich zu kratzen. „Ich bin keine Ärztin.“ Obwohl Eir sich nicht umwandte, nicht einmal innehielt, während sie sprach, konnte er die Bitterkeit hören, den unterdrückten Zorn, der ihren Worten innewohnte, und abwesend fragte er sich, was wohl geschehen war, das diese Reaktion auslöste – und wie er es für seine Zwecke nutzen konnte. „Und wenn Sie ein Problem mit dem Etablissement haben... Sie finden ja hoffentlich den Weg zur Tür, oder sind Sie hier, weil Sie Alzheimer haben?“ Raven wirkte, als hätte sie ihr gerne eine entsprechende Antwort entgegengeschleudert, doch ein scharfer Blick von seiner Seite brachte sie zum Schweigen, legte ihr Nahe, dass das... nicht besonders intelligent gewesen wäre. Wenigstens diese Art von Einfluss auf sie besaß er noch – das konnte nützlich werden, wenn dieser kleine Ausflug unerfreulich verlief. Trotzdem wurde die Stimmung durch den kleinen Schlagabtausch der beiden Frauen nicht besonders aufgelockert und das Schweigen wirkte drückend, während Eir sie tiefer in das Kellerapartment führte, schließlich eine abgewetzte Tür öffnete und sie mit einer spöttischen Verbeugung hindurchwinkte. „Bitte.“ Der Raum schien das Behandlungszimmer zu sein und Erik war erleichtert festzustellen, dass wenigstens hier Sauberkeit herrschte, auch wenn die Tapeten nicht mehr besonders neu wirkten und der Fußboden abgewetzt aussah. Einige wenige Topfpflanzen und eine bunte, billige Sitzgruppe fochten einen aussichtslosen Kampf gegen die drückende Atmosphäre, während die Liegen in der anderen Hälfte des Zimmers und die kitschigen Duschvorhänge, die sie behelfsmäßig vor den Blicken der Besucher schützen konnten, wieder an die Ordination eines Arztes erinnerten. Kein besonders angenehmer Eindruck, für niemanden. „Möchte der von Ihnen, der meine Hilfe nicht braucht, bitte Platz nehmen?“ Eir machte sich nicht einmal die Mühe, ihre Stimme besonders freundlich klingen zu lassen, während sie auf das zerknautschte Sofa wies, eher lag in ihr ein Unterton von strapazierter Geduld, der Erik nicht besonders gefiel. Als keiner von ihnen Anstalten machte, sich zu bewegen, seufzte sie auf. „Brauchen Sie etwas, oder wollen Sie mir nur auf die Nerven fallen, Magneto?“ In ihrer Stimme klang nicht der leiseste Unterton des Triumphes mit, als sie seinen ehemaligen Namen aussprach, er musste ihr also lassen, dass sie sich gut unter Kontrolle hatte, doch trotzdem lächelte er leicht. „Beeindruckend... Sie erinnern sich an mich.“ Ein leises, fast amüsiertes Schnauben. „Dann legen Sie andere Maßstäbe an geistige Leistungen an als ich. Sich das Gesicht des Mannes zu merken, der der Menschheit ein Messer an die Gurgel gesetzt hat, würde ich nicht als besonderes Glanzstück bezeichnen.“ Erneut konnte er dieses wütende Geräusch vernehmen, das fast an ein Zischen erinnerte und ihm eindringlich ins Gedächtnis rief, was für eine Frau in Raven schlummerte, doch sein Arm schnellte rasch genug hoch, um sie zurückzuhalten. „Nicht.“ Eirs Augen folgten seiner Bewegung, sie wirkte nicht merklich eingeschüchtert, sondern lächelte nur kühl. „Ich vermute dann, dass Sie Mystique sind... auch wenn die Ähnlichkeit zu Ihrem Fahndungsfoto nicht mehr besonders groß ist... ich meine, nicht, dass dieses Foto bei Ihren Fähigkeiten jemals besonders viel Sinn gemacht hätte.“ Ganz eindeutig war Raven gerade nicht in der Stimmung für trockenen Humor, besonders nicht für Humor, der sie daran erinnerte, was sie verloren hatte, und er gab sich alle Mühe, ihre Erwiderung abzuwürgen, bevor sie noch ihre Lippen erreichte. „Könnten wir jetzt zum... Geschäftlichen kommen?“ „Natürlich.“ Ihre blauen Augen musterten sie beide nachdenklich, sie machte aber keine Anstalten, irgend etwas zu sagen oder vorwegzunehmen, auch wenn Erik sich sicher war, dass sie bereits eine gewisse Ahnung hatte, was er und Raven von ihr wollten. „Unsere Fähigkeiten wurden uns durch dieses... Heilmittel der Regierung geraubt. Können Sie sie uns zurückgeben?“ Das wissende Lächeln auf ihren Lippen zeigte, dass seine Vermutung sich als korrekt erwiesen hatte. „Das kommt ganz darauf an.“ „Worauf?“ Raven war ihm mit ihrer hastigen Frage, die ihre Erregung verriet, so kühl sie im Moment auch auszusehen versuchte, zuvorgekommen, ihr Blick war fast gierig auf die junge Mutantin gerichtet. „Nun... darauf, ob die Worthington Laboratorien Recht haben oder Sie, würde ich sagen.“ Ihr Tonfall wirkte fast süffisant, ganz offensichtlich genoss sie es, sie zappeln zu lassen, während sie sich entspannt auf der Lehne eines ihrer Sessel abstützte. „Verzeihung?“ Es kostete Erik Mühe, seine Nachfrage auch nur halbwegs höflich klingen zu lassen, aber seine schlechte Laune musste wohl durchgedrungen sein, denn Eir schüttelte kurz den Kopf, strich sich eine widerspenstige Strähne aus der Stirn. „Entschuldigen Sie... ich habe mich gerade ein wenig kryptisch ausgedrückt.“ Seiner bescheidenen Ansicht nach war das noch weit untertrieben, doch mit einer kurzen Bewegung bedeutete er ihr, weiterzusprechen. „Was ich meine... es kommt darauf an, ob Ihre – unser aller – Mutation eine Krankheit ist oder nicht.“ „Das ist eine Frage, die sich überhaupt nicht stellen sollte. Natürlich ist sie keine Krankheit.“ Raven war ihm mit ihrer scharfen Erwiderung zuvorgekommen, sie klang erneut wütend, doch diesmal konnte Erik die Regung nachempfinden, spürte selbst, wie der Zorn in ihm hochstieg... Krankheit. Was bildete sich diese Frau eigentlich ein? Anscheinend gar nichts, zumindest der gelassenen Miene nach zu urteilen, mit der sie sie beide musterte und schließlich den Kopf schüttelte. „Das spricht die Ideologin aus Ihnen – aber Ihre Ideologie interessiert mich nicht. Sie können gerne an alles glauben, was Ihnen beliebt, meine Fähigkeiten kümmern sich nicht darum. Was in diesem Zusammenhang aber wichtig ist, ist die Tatsache, dass meine Mutation Ihren Körper in den Zustand zurückversetzt, der für ihn am Besten ist... und wenn Ihr Körper beschlossen hat, sich als Mensch wohler zu fühlen als als Mutantin, kann ich dagegen auch nichts tun.“ Jeglicher neckende oder sarkastische Unterton war während ihrer letzten Sätze aus ihren Worten verschwunden und der Ernst in ihrem Blick erinnerte ihn daran, dass sie, was auch immer sie von sich selbst behaupten mochte, doch so etwas ähnliches wie eine Ärztin war. Und zwar eine, die Mutanten half – eine Tatsache, die in diesem Land noch nie selbstverständlich gewesen war – und in diesem schmutzigen Keller saß, weil es Menschen gab, die ihr das übel nahmen. Ausgesprochen übel. „Natürlich – und ich wäre der Letzte, der Ihnen diese Beschränkung Ihrer Fähigkeiten zum Vorwurf machen würde.“ Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass er die Worte ernst meinte, während er sie aussprach, und dass Eir sie mit einem leichten Lächeln quittierte, in dem auch eine gewisse Bitterkeit mitschwang. „Danke.“ Trotzdem machte sie keine Anstalten, sich zu rühren, sondern starrte abwesend die hässlichen, verblichenen Blumenkörbe auf der Tapete an, schien schwer damit beschäftigt, sie zu zählen, bevor sie sich von ihnen losriss, langsam nickte. „Dann... nehmen Sie Platz.“ Er trat auf eine der Liegen zu, setzte sich darauf, während Raven ihm wie ein Schatten folgte, bedacht darauf, ihn zu beschützen, auch wenn sie dazu kaum mehr in der Lage war, nachdem sie ihre Kräfte verloren hatte. „Muss ich irgend etwas...?“ Eir seufzte auf, schüttelte den Kopf, das Verlangen, endlich wieder zu fühlen, seine Umgebung manipulieren zu können wie er es so lange getan hatte, war in seine Stimme gedrungen und sie schien davon nicht besonders begeistert. Ganz und gar nicht begeistert. „Wissen Sie... im Grunde hoffe ich, dass es nicht funktioniert...“ Es war nur ein Wispern gewesen, und Erik konnte vorgeben, es nicht gehört zu haben, was er in diesem Fall auch vorzog – nichts von dem, was er geantwortet hätte, wäre besonders freundlich gewesen, und sein Verlangen, Eir von ihrem Entschluss abzubringen, war nicht besonders groß. Er spürte, wie ihre schmale, kalte Hand den Ärmel seines Hemdes nach oben schob, sich auf seinen Unterarm legte. „Entspannen Sie sich einfach.“ Er gab sich alle Mühe und vermochte es doch kaum, spürte, wie das Adrenalin schließlich durch seine Adern schoss, als die Chance zum Greifen nahe war – und dann spürte er etwas anderes. Ein kaum merkliches Kribbeln in seinen Gliedern, nicht mehr als die schwache Berührung eines Geistes, der so anders wirkte als der von Charles oder Jean, so... unbewusst, so wenig trainiert, und doch unglaublich zart. Gedanken, die ihn prüften, durch seinen Körper wanderten... fast konnte er spüren, wie sie hier und da nach einem Molekül griffen, es änderten, umbauten, verbesserten... Die subtilen Eindrücke wurden vom Rausch der Macht verdrängt, als sie zurückkehrten – seine Kräfte, seine Fähigkeiten – als er unbewusst nach allem Metall in seiner Reichweite griff, es zum Beben brachte. Mehr tat er nicht... noch rechtzeitig brachte er sich unter Kontrolle, noch reichte die Gewissheit aus, dass er es tun könnte, um ihn davon abzuhalten, noch wirkte der Schwall der Möglichkeiten, die auf ihn einstürzten, narkotisierend genug... Eir zuckte zurück. Für einen Moment weiteten sich ihre blauen Augen, betrachteten ihn, und er konnte den Schrecken darin erkennen, die Zweifel, die sie wieder ergriffen, doch dann schüttelte sie sie ab, zwang ein Lächeln auf ihre schmalen Lippen. „Nun... das scheint die Frage beantwortet zu haben, denke ich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)