Strange World von MissBloodyEnd ================================================================================ Kapitel 37: Frei sein --------------------- Mit einer Strähne ihres flammend roten Haares spielend beobachtete ich meine Freundin beim Schlafen. Sie lag auf dem Bauch und von mir abgewandt, ihr weit ausgeschnittenes T-Shirt war so verrutscht, dass ihr halber Rücken frei lag. Ihr restlicher Körper war von der Bettdecke umhüllt, die sie sich, wie immer, während der Nacht immer weiter für sich beansprucht hatte. Wie sich ihr Brustkorb hob und wieder senkte hatte eine unglaublich beruhigende Wirkung auf mich. Sozusagen meine Entschädigung. Das Sora für mich schon fast zur Droge geworden war, merkte ich allein an dem stetigen Wunsch in mir sie jede Minute küssen zu wollen, meine Finger über ihre Haut gleiten zu lassen und ihren heißen Atem in meiner Halsbeuge spüren zu wollen. Sie war alles für mich. Und kein Wort dieser Welt konnten beschreiben wie erleichtert ich war, das sie bei mir bleiben würde. Für immer. So hoffte ich jedenfalls. Die Nacht hatten wir dieses Mal bei mir verbracht. Meine Mutter, die immer nur bei ihrem Vornamen Natsuko nannte, hatte zugesagt vorbei zu kommen, um über die Wohnung in Nagoya zu reden. Sie hatte sie für mich gefunden und war sogar mit zum Besichtigungstermin gekommen. Ungewohnte Aufmerksamkeit, mit der ich mich noch sehr schwer tat. Seit 13 Jahren waren meine Eltern geschieden und mindestens genauso lange hatte ich meine Mutter gefühlt auch nicht gesehen. Das war in Japan nichts Ungewöhnliches. Wenn sich Eltern scheiden ließen, dann hatten die Kinder oftmals kaum bis gar keinen Kontakt mehr zu einem Elternteil. Wie Fremde. Meine Mutter war mir auch fremd. Doch genau so hatte ich es ja gewollt. T.K. zur Liebe. Seit einigen Monaten bemühte sich Natsuko um ein besseres Verhältnis zu ihrem Erstgeborenen. Nach so einer langen Zeit fühlte man sich dabei leicht verarscht, wenn die Mutter plötzlich aus der Versenkung auftauchte. Und Mutter sein wollte. Für mich. Aber so traurig das auch war: Sie war gerade eine bessere Mutter als mein Vater ein Vater war. Mit diesem lag ich nach wie vor im Klinsch. Immer wieder versuchte er mit mir zu sprechen, fragte nach Sora oder meiner Uni. Er schien zu begreifen, was für einen Scheiß er die letzten Monate gebracht hatte. Aber ich war noch nicht so weit. Mit kurzen bis gar keinen Antworten bedeutete ich ihm, das ich nicht quatschen wollte. Es würde unserem Verhältnis sehr gut tun, wenn ich auszog. Zumindest hoffte ich das. Denn der Idiot hatte mich sturen Esel schließlich groß gezogen. Alleine. Auch wenn ich unfassbar enttäuscht von ihm war, dass er nicht mehr nach Hause kam, mich nur heruntermachte und herum schrie. Ich war es ihm schuldig, dass wir das wieder gerade bogen. Und mein Auszug war der erste Schritt. Schon witzig wie sich mit dem schlechter werdenden Verhältnis zu meinem Vater das zu meiner Mutter besserte. Wie auf einer Waage. Natsuko wollte nach der Arbeit vorbei schauen. Es war erst 10 Uhr und somit noch massig Zeit, sich auf die angespannte und bestimmt gar nicht komische Atmosphäre zwischen meiner Mutter und mir vorzubereiten. Weil ich vor ihr nicht zugeben wollte, das Papa und ich nicht wussten wie man einen sauberen Haushalt führte, wollte ich noch unbedingt alles aufräumen. Sora wollte mich tatkräftig unterstützen. Zum Glück. Lächelnd lauschte ich Soras Atmung und küsste ihren Nacken. Sie seufzte. "Na auch schon wach?", fragte ich legte meinen Kopf auf ihren warmen Rücken. Ihr Herzschlag an meinem Ohr war das schönste Geräusch der Welt für mich. "Wie spät ist es?", murmelte sie verschlafen und gähnte ausgiebig. "10 Uhr irgendwas.", entgegnete ich desinteressiert und strich mit meiner Wange an ihrer sanften Haut entlang. Sie vergrub ihr Gesicht weiter ins Kissen und seufzte. Wie hätte ich das drei Jahre aushalten können? Ohne die Möglichkeit sie immer an jedem Zentimeter ihres Körpers zu berühren und küssen zu können, mit ihr ausgehen zu können, mit ihr sprechen zu können. Natürlich wäre ich sie besuchen gegangen, oder vielmehr geflogen, aber ich hatte gehört wie wie viel Soras Flüge gekostet haben. Ich als baldiger Student hätte wohl von Staub leben müssen, damit ich mir das zusammen sparen könnte. Wenn überhaupt. Das ich das nicht ausgehalten hätte merkte ich schon am Flughafen. Nein, eigentlich schon seitdem Zeitpunkt, an dem Sora anfing zu planen. Es war als hätte sie mein Herz herausgerissen und es als Trampolin benutzt. Denn zu Beginn dieser Frankreich-Scheiße war sie noch so voller Eifer, dass sie dort ihr super tolles Studium machen würde, in ihrem super tollen Wohnheim wohnen würde, und super tolle Erfahrungen machen würde. Und super tolle Franzosen kennenlernen würde und mich dann ganz super toll zu verlassen. Okay letzteres war meiner leichten Eifersucht und Wahnvorstellungen geschuldet. Ich vertraute Sora, aber ich vertraute Frankreich nicht. Mein Großvater lebte dort und ich wusste ganz genau, wie der drauf war: Ein vor Schmeicheleien triefender Charmeur. Und je älter er wurde, desto schlimmer wurde er. Als ich Sora wieder in meinen Armen gehalten hatte wusste ich, dass ich sie nie wieder so einfach gehen lassen würde. Nie wieder. Ich hatte mich die ganzen Wochen zuvor wirklich zusammengerissen, der Freund zu sein, den sie brauchte und meine Gefühle zurückgesteckt. Das mir das alles zu viel war und mich psychisch an meine Grenzen brachte, konnte ich entweder unfassbar gut überspielen oder Sora hatte es nicht bemerkt. Oder sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Was auch immer – ich war keineswegs traurig darüber das sie nun doch in Japan blieb. So konnte ich immerhin meine leicht fanatischen Liebe zu ihr weiter voll und ganz ausleben. Jetzt ging ich meiner eigenen egoistischen Ader nach. Ja, dass Sora mich hier zurückgelassen hätte, fand ich egoistisch von ihr. Aber nur weil ich sie so sehr liebte, und es sich anfühlte, als würde sich das Band zwischen uns lösen, wenn sie das Land verließ. Ich wollte bei ihr sein. Für immer. Das fiel mir nicht erst ein, als sie in den Flieger stieg. Diese Gedanken kreisten seit Wochen, Monaten in meinem Kopf herum. Unausgesprochen. Mitgehen konnte ich nicht. Vielmehr sollte ich nicht. Mein Studienplatz stand länger fest als Soras. Und sie bettelte mich förmlich an, hier zu bleiben und meinen Traum nicht für ihren aufzugeben. Sie war einfach zu herzensgut, es tat weh. Seit sie in den Flieger gestiegen war, hatte ich nichts besseres zu tun gehabt, als nach Flügen zu suchen. Ich wollte ihr hinterher fliegen. Koste es was es wolle. Egal was aus mir wurde, in meinem Kopf war nur diese Frau. Aber jetzt war sie wieder da. Nach nur zwei Tagen. Für mich eine Ewigkeit. Es tat mir wirklich weh, wie sehr sie litt, dass ihr eigentlicher Traum geplatzt war. Es zerriss mich in tausend Stücke, weil ich wusste und spürte, dass das echt ihr Ding gewesen wäre. Doch mein Schmerz, mein Egoismus und Erleichterung waren größer, als ich hörte, sie würde bleiben. Noch nie in meinem Leben war ich glücklicher, als ich erfuhr, dass Sora und ich zusammenbleiben würden. Das wusste sie, zumindest fühlte es sich so an. Tief in meinem Inneren konnte ich spüren, dass auch Sora nicht sonderlich betroffen davon war, dass sie nun nicht in Frankreich studieren würde. Ihre Augen und ihre Körpersprache hatten es mir verraten. Das hatte sie mir vor allem in der Nacht gezeigt, in welcher sie, trotz das sie zwei Flüge hinter sich gebracht hatte, mit mir in meinem 19 Geburtstag gefeiert hat. Und damit meinte ich nicht nur die nette Feier bei den Yagami Geschwistern. „Wann kommt denn deine Mutter?“, wollte Sora wissen, und deutete durch eine Bewegung an, dass sie sich gerne herumgedreht hätte. Mein Dickschädel blieb allerdings an Ort und Stelle, und sie schien auch nicht die Kraft aufbringen zu wollen, sich gegen mich zu wehren. Mich über sie beugend küsste ich mich langsam an ihrem Rücken hinauf zu ihrem Hals. „Wen interessiert das schon...“, hauchte ich Sora ins Ohr und erntete ein leises Kichern. Sora schaffte es, sich unter mir herum zu drehen, und sah mir verschmitzt in die Augen. „Mich. Es geht hier schließlich um deine Wohnung...“ Ich grinste, drückte meinen Körper sanft gegen ihren, mein Gesicht an ihres gepresst und hauchte ihr einen leichten Kuss auf die Lippen. „Unsere Wohnung...“, korrigierte ich sie stolz und sie lächelte, und schlang die Arme um meinen Hals, ihre Hände in meine Haare vergrabend. Lange sah ich ihr verträumt in die Augen. In diese schönen, warmen hellbraunen Augen. Die mich in ihren Bann zogen wie ein schwarzes Loch. Immer und immer wieder. „Du starrst schon wieder so...“, flüsterte Sora mir mit der rechten Hand durch die Haare und mit der linken über die Wange fahrend. Seufzend schloss ich die Augen und genoss die Berührungen. Es kribbelte herrlich durch meinen ganzen Körper. Ich liebte es, wenn man mir durch Haare wuselte, auch wenn mir das aufgrund meiner steht´s top gestylten Matte keiner glaubte. Vielleicht durfte das auch nur Sora. Nein, nicht nur vielleicht. „Ich starre nicht, ich schmachte.“ Meine Hände gruben sich unter die Decke, meine Arme schoben sich unter Soras Oberteil, umfassten ihren schmalen, sportlichen Körper. „Kannst du es mir verdenken? Ich habe die schönste Frau der Welt unter mir liegen, da kann ich nicht anders... Mit deinem süßen Lächeln...“ Sie lachte. Das tat sie immer, wenn ich ihr Komplimente machte. Dieses süße, helle Lachen, dass sich in mein Herz bohrte und meine trübe Welt in bunte Farben tauchte. Ich klang als wäre ich etwas depressiv, aber allmählich glaubte ich, dass genau daran was dran sein könnte. Sora war somit so was wie meine ganz persönliche Therapie. Eine unfassbar schöne Therapie. Mit einem innigen, leidenschaftlichen Kuss riss mich Sora aus den Gedanken. Den süßlichen Duft ihrer Haut einsaugend keuchte ich immer wieder in unseren Kuss und unseren lebhaften Zungenkampf. Immer fordernder drückte ich Sora tiefer ins Kissen, zog einen meiner Arme unter ihr zurück, um mit meiner freigewordener Hand dieses Mal durch ihre Haare zu fahren, mich in ihnen festzukrallen. Sora riss mit dieser Bewegung ihren Kopf seufzend zurück und streckte sich mir entgegen. Als ich mich von ihren Mund löste und zu ihrer Halsbeuge herunter arbeitete, mich immer wieder gierig festsaugte und zu biss, stöhnte meine Freundin leicht auf und versuchte sanft mit ihren Fingerspitzen über meine Schultern und meinen Rücken zu fahren. Natürlich biss ich nicht so, dass ich ihr ernsthaft wehtat. Ich kannte ihre Grenze. Und auch wenn es mir in meiner Lust schwer fiel, konnte ich darauf achten, dass ich ihr nicht aus Versehen wie in Vampir das Blut aussaugen konnte. Ich richtete mich auf, streifte mein T-Shirt ab, und zog sie mit einem Ruck auf meinen Schoss. Sie krallte sich aufgeregt an meinem Oberkörper fest während wir uns weiter küssten. An Soras Oberteil nestelnd bemerkte ich ein dumpfes Geräusch, was mich zunehmend zu stören begann. Sora schien es auch zu hören, denn sie sah mich verwundert an. „Was ist das?“, wollte sie wissen und ich zuckte genervt mit den Schultern. Ich hatte so eine Ahnung, denn das Geräusch wurde zum Klopfen an meiner Tür und einem Räuspern. „Matt? Bist du da?“ Na toll. Mein Vater. Ich ließ meine Arme fallen und atmete angestrengt ein. Das war der wohl beschissenste Augenblick, in dem dieser blöde Arsch nach meiner Aufmerksamkeit verlangte. Es gab echt wirklich viele Momente, in denen ich es mir gewünscht hätte, dass mein Vater an meine Tür klopft. Als ich meinen Schulabschluss in der Tasche hatte zum Beispiel. An dem Tag, als ich meine Aufnahmeprüfung für mein Musikstudium bestanden und meinen Studienplatz bekommen hatte. Am Abend nach dem Sora abgeflogen war. An all diesen gottverdammten Abenden an denen ich einsam Zuhause saß, Gitarre spielte, und darauf wartete, dass mein Vater nicht betrunken nach Hause kam um ein wenig väterliche Ansprache zu erhalten. Nur ein bisschen. Ich war es gewohnt, dass er viel arbeitete. Kannte es nicht anders. Aber seit er sich gewandelt hatte, und ein riesiges Arschloch war, sehnte ich mich einfach nach meinem alten Herren zurück. Der, dem ich mein angebranntes Essen vorsetzen konnte, ohne dass er sich beschwerte, es mit einem Lachen herunterschlang. Mich aufbaute. Trotzdem für mich da war. Und jetzt hatte er nicht besseres zu tun als ein ekelhafter, trinkender Wichser zu sein, der nur dann auftauchte, wenn ich ihn echt nicht gebrauchen konnte. „Matt?“ „Verdammt...“, murmelte ich, küsste Sora auf die Stirn und hob sie mit Leichtigkeit von mir herunter. Sie seufzte, ihr Oberteil zurecht zupfend. Ihr dabei zusehend biss ich mir auf die Lippe und sammelte mein T-Shirt wieder auf. Mit einem Grummeln öffnete ich die Tür, und erschreckte meinen Vater mit meinem unglaublichen emotionslosen Blick und einem Hauch Herablassung. „Sieh an. Welch seltener Anblick...“, hauchte ich zynisch und sah an meinem offensichtlich sehr geschafften, besoffenen Vater herunter. Er trug ein fleckiges Hemd, dass halb aus seiner Hose schaute, und auch diese schien unter dem Dreck, der an ihr klebte, einmal blau gewesen zu sein. Er war barfuß. Seine Haare waren zerzaust und er war unrasiert. Kaum zu glauben, aber ich hatte ihn schon in schlimmeren Verfassungen gesehen. Und erlebt. „Ich habe eben erfahren, dass deine Mutter herkommt?“, fragte er, meine Bemerkung gekonnt ignorierend. Ich nickte. Er musste sich am Türrahmen abstützen, so fertig war er. Sein Anblick schnürte mir die Kehle zu. Wie konnte das aus ihm werden? Sora schob sich an mir vorbei, Richtung Badezimmer. „Ich... geh mal duschen...“, meinte sie, meinem Vater noch zur Begrüßung zu nickend und verschwand dann hinter der Tür. Vor ihr waren mir Begegnungen mit meinem Vater doppelt unangenehm. Ich wollte nicht dass sie das sah. Das sie das Gefühl bekam ich würde vielleicht eines Tages auch so werden. Natürlich würde sie das nicht, aber ich war einfach zu paranoid, als das ich mir nicht übermäßig Sorgen um unsere Beziehung machte. Unsicherheit beherrschte mich. Auch wenn das kaum einer glauben mochte. Ich war eben nicht immer dieser selbstbewusste, mitfühlende, Wort gewandte, groß gewachsene Womanizer, an dessen Schulter man sich anlehnen konnte. Der die Sachen schon regelte. Mit einem Lächeln. Irgendwie. In tiefsten Inneren war ich sehr sensibel, oft überfordert mit mir und meinem Leben und unsicher. Versteck hinter meiner Fassade aus gegelten Haaren, zu viel Deo und engen Klamotten. Ich war ein Schauspieler. Das musste ich auch. Das kannte ich schon von meinen Bühnenerfahrungen, als ich noch in Bands spielte. Anscheinend war ich auch verdammt gut darin, denn kaum einer merkte, wie es wirklich in mir aussah. Eigentlich nur eine. Sora. Deswegen waren mir Situation wie Sora mit nach Hause bringen extrem unangenehm. Augenblicke in denen Sora und mein Vater mit mir in selben Raum waren unerträglich. Sie war der wichtigste Mensch in meinem Leben. Durch diese Situation mit meinem Vater und der Wohnung die immer im Chaos versank hatte ich Angst, dass sie irgendwann keine Kraft mehr dafür hatte. Mich verließ. Noch ein Grund warum ich ausziehen wollte. Ich musste Sora nicht mehr in dieses Drecksloch mit meinem versoffenen Vater schleppen. Das tat ich sowieso schon selten, aber auch das war schon zu viel. „Was willst du?“, zischte ich ihn an, und er taumelte nach hinten, lehnte sich gegen die Wand, weil er sich nicht abfedern konnte. Angewidert sah ich ihn an, wie er da stand und mich krampfhaft versuchte anzuschauen ohne betrunken zu wirken. Doch man roch es. Dazu musste man sich nicht mal besonders konzentrieren. Er verpestete den ganzen Raum. Kein Wunder, dass Sora im Bad Zuflucht gesucht hatte. „Wieso kommt sie her?“, wollte er wissen. Ich verdrehte die Augen. „Du hast gehört das sie kommt, weißt aber nicht wieso?“ Er strengte sich an nicht umzukippen, dass schien ihn allerdings davon abzuhalten, mir zu antworten. Kopfschüttelnd ließ ich ihn im Flur stehen und stapfte in die Küche. Wenn ich schon beim Schäferstündchen mit meiner Freundin gestört wurde, konnte ich mich auch ans Aufräumen machen. Ich musste mich ablenken. Von dem Anblick, den mir mein Vater wieder bot. Von meiner aufkommenden Übelkeit, verschuldet durch den Gestank meines Erzeugers, der sich immer weiter ausbreitete. Ich rannte vor der Peinlichkeit weg. „Ich wollte es von dir hören, Yamato...“, sagte er und schnaufte schwer, als er mir folgte und seinen besoffenen Körper auf einem Stuhl am Esstisch fallen ließ. Ich drehte ihm den Rücken zu, als ich mich mit einem Lappen bewaffnet daran machte, das Geschirr vom Tresen zu räumen und diesen gründlich abzuwischen. An dem verklebten Essensresten und verkrusteten Geschirr konnte ich meine aufkommende Wut super auslassen. Ich konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie er mich grübelnd dabei beobachtete. Wie ich parallel den Geschirrspüler füllte, die Spüle reinigte. Den vollen Müllsack zu knotete. „Ich zieh nach Nagoya. Mit Sora.“, entgegnete ich schließlich und knallte ihm den Sack vor die Füße. Dort wo er hingehörte. Zum noch größeren Müll, dachte ich. Er gab ein angewidertes Geräusch von sich, trat die Tüte von sich weg um danach mit der flachen Hand auf den Tisch zu hauen. „Das kann doch nicht dein Ernst sein, Yamato! Du hast keinen Job, wie willst du das bezahlen?“, schrie er. Mein Vater schien nach wie vor zu glauben, dass ich vor ihm Respekt hatte. In seinem Zustand. Enttäuscht und wütend schmiss ich den Lappen auf den Boden und sah ihn an. „Deswegen kommt ja auch Natsuko! Sie will mir helfen!“ „Pah, sie will dir helfen? Das ich nicht lache... Dich mir wegnehmen will sie!“ Ich erkannte die wahre Angst in seinen Worten und erstarrte. Meine Wut sank und mein Wunsch, meinen Vater zurück zu kriegen kehrte allmählich zurück. Mit weit geöffneten Augen sah ich ihn an, Minuten lang, wortlos. Leise, ganz leise, konnte man die Dusche hören. Den Wasserhahn der Spüle tropfen. Den Kühlschrank surren. „Du nimmst mich dir weg...“, sagte ich schließlich leise, drehte mich verwirrt um und stellte die Geschirrspülmaschine an. Diese ungewohnten Worte machten mich wahnsinnig. Ich unterdrückte es hartnäckig einfach los zu schreien. Ihm alles an den Kopf zu knallen. Alles. Das ich nicht mehr mit ihm klar kam, so wie er war. Das ich erstickte, wenn ich weiter in dieser Wohnung leben würde. Mich wie ein Vogel im Käfig fühlte. Ich wollte Freiheit. Und die konnte ich nur erreichen, in dem ich hier herauskam. Denn nur so konnten wir wieder zusammenfinden. Vater und Sohn werden. Wie früher. „Wie kannst du mir so in den Rücken fallen...“, hauchte er und es klang fast, als würde er weinen. Zähne knirschend drehte ich mich und sah ihn mit dem Kopf auf seinen Händen gestützt am Tisch sitzen. Ich schluckte schwer. „Ich glaube dies bezüglich haben wir beide verschiedene Ansichten...“, antwortete ich und setzte mich ihm gegenüber. Er holte lange und tief Luft. „Dad... ich habe keine Kraft mehr mit dir zu streiten. Keine Kraft mehr für...“ Ich stoppte und sah mich um. Er folgte meinem Blick und seine benebelte Birne schien mir folgen zu können. „Ich will meinen Vater zurück. Wirklich. Aber ich glaube ich kann dir erst helfen, wenn ich... auf eigenen Füßen stehe. Ich bin zwar schon 19 aber... irgendwie auch erst 19, verstehst du? Das überfordert mich. Dein Wandel. Der ist so extrem...“ Ich leckte mir nervös über die Lippen und war irgendwie froh, dass wir echt redeten. Über uns. Das hätten wir schon eher tun sollen. Schon viel eher. „Matt... Ich weiß, ich habe Fehler gemacht... Und das tut mir alles leid... Ich... war.... bin ein furchtbarer Mensch...“ Er wischte sich über die Schweiß nasse Stirn, sah mich flehend an. Er meinte es ernst. Mein Schmerz wurde unerträglich, ich hätte mich am liebsten aus der Haut geschält, oder wäre aus dem Fenster gesprungen. Das hier war zu viel für mich. „Du brauchst Hilfe. Professionelle. Therapie. Und Urlaub. Irgendwie so was...“ Ich beugte mich vor und legte meine Hand auf seine Schulter, er sah auf. „Und ich auch. Von Mum. Das klingt nicht nur für dich bescheuert, aber... ich brauche diese Wohnung, Dad.“ Zweifelnd stand er auf, wischte sich über den Mund. „Ich weiß... Ich weiß...“, stammelte er und scheinbar war für ihn das Gespräch damit zu Ende. Er torkelte stöhnend in die Richtung seines Schlafzimmers, und schloss fast lautlos seine Tür. Ich blieb verunsichert zurück. Zitternd. Am ganzen Körper. Was sollte ich tun? Mein Vater ging mir schier unglaublich auf die Nerven mit seinem betrunkenen Selbst, dem oft ausfallenden Kommentaren. Aber genauso sehr wie es mich nervte wusste ich, dass er mich brauchte, meine Hilfe brauchte. Und ich brauchte meinen Vater zurück. Er war mir wichtig. Meine Familie. Aber ich konnte ihm nicht helfen. Ich konnte mir ja nicht mal selbst helfen. Über meinen Schatten zu springen und ihm die Hand reichen. Mir fehlte die Kraft. Der Mut. Ich war im Grunde nur noch verzweifelt, wenn ich an meinen Vater dachte. Wie er verwahrloste. Erstaunlich, wie er es dennoch schaffte immer seinen Job zu machen. Und das gar nicht mal schlecht. „Habt ihr sprechen können?“, fragte Sora vorsichtig und riss mich aus den Gedanken. Da stand sie, in einem Handtuch eingewickelt, zögernd im Gang und traute sich kaum näher zu kommen. Ihre Haare tropften, ihre Haut glänzte vom restlichen Wasser. Es wirkte fast so, als hätte sie es eilig gehabt aus der Dusche zu kommen. Ich lächelte sie schwach an. „Kurz. Der ist zu voll, als das man länger mit ihm reden könnte.“, antwortete ich angespannt und beschloss seufzend, dass das wohl auch erstmal das letzte Gespräch sein würde. Ein wenig Sorgen machte ich mir um meine Mutter – wenn die meinem Vater so begegnete würde sie sofort rückwärts wieder zur Tür rausgehen. Das musste ich verhindern. Ich brauchte die Wohnung. Wir brauchten die Wohnung. „Das steht dir nicht.“, sagte ich, schwer bemüht die trübe Stimmung im Raum wieder aufzuhellen. Weil ich ja so ein unfassbarer Sonnenschein war. Wie immer. Sora sah schmollend an sich herunter, und rückte das Handtuch zurecht. „Wie meinst du das? Das ist der letzte Schrei, du hast keine Ahnung!“ Sie streckte mir die Zunge raus, als ich aufstand und mich ganz langsam auf sie zu bewegte. Lächelnd drückte ich ihr erneut einen Kuss auf die Stirn, ihren schmalen Kopf in meinen Händen haltend. „Entschuldige Frau Modedesignerin. Ich werde es nie wieder wagen ihren Kleidungsstil in Frage zu stellen.“ Ich zwinkerte ihr zu, was sie mit einem verschmitzten Lächeln beantwortete. Sora löste sich von mir, ging ein paar Schritte zurück und ließ mit einem gekonnten Griff das Handtuch von ihrem Körper gleiten. Der weiße Stoff blieb an ihrer Hüfte hängen, ehe er mit einem sachten Geräusch auf dem Boden aufkam. Mit offenem Mund starrte ich sie an, zu überrascht über diese Handlung. Das hatte sie noch nie gemacht. Nicht das mir das nicht gefielt. Es gefielt mir. Sehr sogar. „W-was wird denn das?“, stotterte ich und musste mich sehr darauf konzentrieren während des Sprechens nicht zu sabbern. In mir stieg eine unglaubliche Hitze auf beim dem Anblick, der sich mir bot. Nicht das ich das nicht schon gesehen hatte. Ich hatte diesen schönen, kurvigen, sportlichen Körper schon oft gesehen. Nackt. Ihre Haut unter meinem Fingern gespürt. Jeden Zentimeter geküsst. „Du hast doch gesagt, das steht mir nicht.“, sagte sie und ich konnte spüren wie sie unsicher wurde. Das lag entweder daran, dass ihr kalt wurde – und anhand ihrer Brustwarzen konnte ich das sogar sehen – oder daran, dass sie so etwas noch nie einfach gemacht hatte, und nun von ihrer Spontanität selbst überrascht wurde. Und damit nicht umgehen konnte. Ich lächelte und folgte ihr mit den Augen, als sie in Richtung meines Zimmers ging. „Nun komm schon her, ich versuche hier mit aller Macht sexy zu sein, und du machst mir das verdammt schwer!“, beschwerte sie sich und verschwand hinter der Tür. Mir über die Lippen leckend folgte ich ihr langsam nach. Ich hatte das Gespräch mit meinem Vater schnell in die hinterste Ecke meines Herzens gepackt. So wie ich alle unsere Gespräche wegschloss. Denn für mich zählte nur eines: Hier rauskommen. Mit Sora. Der Frau, die ich über alles liebte. Mit der ich zusammen sein wollte. Für immer. Mein Halt. Mein Herz. Meine Liebe. 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