Strange World von MissBloodyEnd ================================================================================ Kapitel 32: Des Schwesters Schulter ----------------------------------- Angestrengt saß ich an meinem Schreibtisch und versuchte für anstehende Prüfungen zu lernen, während mein Bruder hinter mir in einem Anflug von Gefühlsduselei seinen aktuellen Herzschmerz herunterbetete. Das, was er mir erzählte, klang nach einem dieser schlechten Liebesfilme, zu denen mich Miyako immer zwang. „Verstehst du?“, fragte Taichi plötzlich, erschrak mich bis ins Mark, denn natürlich hatte ich nicht zugehört. Kleine Schwester at it´s best. Grinsend wand ich mich zu ihm und zuckte mit den Schultern. „Sorry, Brüderchen. Ich hab nicht wirklich aufgepasst. Kommt das morgen im Test vor?“ Mein Bruder verdrehte die Augen und ließ sich mit einem leidenden Seufzer auf mein Bett fallen. Ich schnalzte mit der Zunge und sah zu meinen Büchern. Es gab nur einen Weg hieraus. Ich musste ihm zuhören sonst würde ich ihn nicht loswerden. Außerdem war ich heute Abend noch mit T.K. verabredet und ich sah meinen Bruder leider schon an meiner Hand mit uns gehen. Als Aufpasser. Mich schüttelte es. „Okay, Tai. Was ist denn passiert?“ „Niemand hört mir zu. Du bist wie Matt... Nur mit Brüsten... oder so was Ähnliches...“ Wütend grummelnd bewarf ich ihn mit einem meiner dicksten Bücher, dass ihn mit voller Wucht am Arm traf. Er schrie kurz auf während ich aufstand und kurz davor war, ihn herauszuwerfen. „Hau ab, und lass mich lernen!“, zischte ich. Tai sah mich entschuldigend an und faltete die Hände zum Gebet. Ich verdrehte die Augen. „Komm schon Schwesterchen, ich hab´s nicht so gemeint...“ Er robbte vor mir auf den Knien und bettelte winselnd wie ein Hund um Leckerlis. Ich tätschelte grummelnd seinen Kopf woraufhin er sich freuend die Arme hoch riss. Schwer zu glauben, dass tatsächlich er der Ältere war. So fanden wir uns auf meinem Bett wieder, und mein Bruder erzählte. Und ich hörte zu. Und bekam Ohrenkrebs. Nicht nur, dass es schwer fiel zu glauben, dass Tai mein tatsächlich älterer Bruder war – das er ein männliches Wesen war stand gerade ebenfalls zur Debatte. Denn wie er es erzählte klang für mich verdammt nach meinen Freundinnen aus der Schule, die mich immer als Schulter zum Ausweinen nutzten. „Verstehst du´s jetzt?“, schloss mein großer Bruder ab, mit einem meiner Kissen in seinem Schoß, dass er gerade mit aller Kraft durchknetete. Ich sah Taichi ungläubig an, und konnte mir wage vorstellen, welch gewaltigen Kopfschmerzen der arme Matt oft haben musste, wenn Tai sich bei ihm auskotzte. Denn ich bekam gerade welche. Zumal das alles keinen Sinn ergab. „Du erwartest also von mir zu verstehen, dass du mit Mimi geschlafen hast, ihr beide euch gesagt habt, ihr würdet euch lieben und du auf der anderen Seite zu Matt gesagt hast, dass du das nicht so meinst? Und Mimi wohl auch nicht?“ Als mein Bruder nickte begann ich an seiner Intelligenz zu zweifeln. Vor mir saß ein 18-jähriger junger Mann, der sich über die Jahre ein schier endloses Repertoire an Witzen über Leute angeeignet hatte, die in einer Beziehung waren oder zumindest verliebt waren. Und genau über Leute, die ohne Sinn und Verstand mit Freunden ins Bett hüpften, hatte ich eigentlich die Sprüche des Jahrhunderts erwartet, und nicht, dass mein Bruder Teil einer solchen Geschichte wird. Tai hatte keine Erfahrungen mit Beziehungen. Er hatte sprichwörtlich noch nie zuvor ein Tor geschossen. Also was die Liebe anging. Und jetzt sprang er auf das bunte Mimi-Karussel auf, für das er scheinbar keine Fahrkarte hatte – und auch nicht wollte. „Hast du irgendwelche Drogen zu dir genommen?“, fragte ich und machte mir ernsthaft Sorgen, dass mein Bruder illegale Substanzen zu sich nahm. Und Mimi auch. Anders konnte ich mir das nicht mehr erklären. „Ich weiß was du jetzt denkst.“, begann er, meine Frage ignorierend, doch ich unterbrach ihn direkt. „Du weißt nicht mal annähernd, was ich denke. Und ich verwette mein Taschengeld drauf, dass du während den letzten Tagen nicht einmal selbst gedacht hast. Oder überhaupt mal in deinem Leben!“ „Ey, sei mal nicht so grob, ich bin dein großer Bruder!“ Er schmollte. „Großer Bruder? Dann benimm dich doch auch mal so?! Derartige Gespräche sollten andersrum verlaufen, findest du nicht? Ich sollte dir so einen Scheiß erzählen... Obwohl nein, niemand sollte irgendwem so einen Scheiß erzählen, geschweige denn tun, dass ist doch krank!“ Ich schnaubte etwas verächtlich, während Taichi seine Kopf auf meinen Schoß sinken ließ. Er war in solchen Situation ein echtes Kleinkind. „Matt hat mich auch schon für verrückt erklärt. Ich weiß doch selber nicht, warum ich das einfach gemacht habe...“ Seufzend strich ich über das braune Wuschelhaar meines Bruders. Die Wut, die sich während der letzten Minuten in mir aufgestaut hatte, war verflogen. Ich hatte Mitleid. „Na ja, kannst du es ihm und mir verdenken? Das ist eine absolut verwirrende und schockierende Geschichte.“ „Ich weiß...“ „Und Mimi stieg da einfach mit ein?“ Taichi schaute zu mir auf und nickte, wirkte aber nicht besonders sicher. Wie konnten beide denn so – Entschuldigung – dumm sein? Das Mimi im Moment nicht alle Latten am Zaun hatte, war mir auch aufgefallen. Aber was sie hier in einem Duett mit meinem Bruder abzog, war doch höchst ungewöhnlich. Tai war absolut nicht alleine schuld. Beide waren komplett übergeschnappt. „Nicht dein Ernst, oder? Wie alt seit ihr beide bitte?“ „Man... du benimmst dich wie Mum..“ „Muss ich ja offensichtlich auch. Hat man dir denn nicht erzählt, dass man nicht einfach mit jemandem schläft, dann behauptet, diese Person zu lieben nur um das dann Tage später zurück zu nehmen...?“ Stille. Tai starrte ins Leere, wusste offenbar nichts mehr zu seiner Verteidigung zu sagen. Auch ich war ratlos, kam mir vor, wie in einer schlechten Soap, die nachmittags im Fernsehen lief. „Ich glaube ich wollte einfach nur, dass sie wieder lächelt...“, murmelte Tai tief in Gedanken versunken, sich an das Kissen in seinem Arm klammernd. „Sie hat doch noch immer so gelitten wegen Izzy... Aber...“ Er stoppte und seufzte schwer. „Aber?“, harkte ich vorsichtig nach. Wenn Tai nun scheinbar doch bereit war, sich weiter zu öffnen, würde ich etwas bohren müssen. Es war schließlich meine Pflicht als seine Schwester ihm bei zu stehen. Denn an dieser Misere war ja nicht nur er Schuld. „Als wir miteinander geschlafen haben, hatte ich das Gefühl, dass ich sie befreit habe. Von ihrem Liebeskummer. Von ihrem stetigen Drang Iz und seine Freundin auseinander zu bringen. Ich dachte, ich könne sie wieder auf den richtigen Weg führen. Ich mag sie wirklich gern, Kari. Das sie so litt, dass tat mir leid. Tage zuvor hatte ich sie immer wieder beobachtet, sie aufgemuntert. Sie war so... losgelöst als wir Sex hatten. Ich sah sie zum ersten Mal wieder glücklich. Und in dieser Euphorie mein Ziel erreicht zu haben da... da sagte ich ihr, dass ich sie lieben würde. Für einige Momente glaubte ich das sogar.“ „Glaubst du, dass es ihr ähnlich ging?“, fügte ich hinzu, als mein Bruder eine Pause machte. „Ich mein... weil ihr endlich jemand wieder Aufmerksamkeit gab, die sie so sehr wollte und nicht bekam? Weil du ihr gut getan hast?“ „Kann sein.“, antwortete er knapp. „Oder sie wollte mich nicht verletzen. Eben weil ich ihr gut getan hatte...“ Stille. „An dem Abend von Matts Geburtstagsfeier schenkte sie mir kaum Aufmerksamkeit, begrüßte mich nur mit einem Lächeln. Ich wollte mit ihr sprechen, gerade weil ich mir mit meiner Aussage echt etwas eingebrockt hatte. Doch als ich sie dann dort sah, auf dem Sofa neben Izzy sitzend, als sie ihn so sehnsüchtig ansah, da wusste ich es.“, fuhr er schließlich vor. „Was wusstest du?“ Taichi löste sich von mir und setzte sich auf, den Rücken zu mir. Draußen setzt allmählich die Dämmerung ein, und ich vermutete, dass Takeru bald vor der Tür stehen würde um mich abzuholen. Mein Gefühl verleitete mich dazu, unauffällig mein Handy zu nehmen, um T.K. kurz zu melden, dass ich erst später konnte. Ich würde ihm noch erklären wieso, aber mein Bruder war gerade wichtiger. Mein Bruder war steht´s für alle da. Das vergaß ich manchmal. Wenn ich Probleme hatte, konnte ich auch immer mit seinen offenen Armen rechnen. Er brauchte mich jetzt. „Ich wusste, dass ich nicht mehr mit ihr reden musste. Selbst wenn meine Gefühle wahr gewesen wären, so waren sie von keinerlei Bedeutung mehr...“, antwortete er schließlich und wand sich schwach lächelnd zu mir um. Sein Gesicht hatte sich in tiefe Schatten gelegt, und er wirkte ernsthaft verletzt. Mich beschlich der Gedanke das sein angeblich so daher gesagter Satz „Ich liebe dich“ doch ein Fünkchen Wahrheit beinhaltete. Mein armes Brüderchen. Ich strich ihm sanft über die Schulter und sein Lächeln wurde breiter. „Sie liebt ihn immer noch.“, hauchte er, sichtlich enttäuscht, und ließ sein Gesicht in seine Hände fallen. Nun war vollkommen klar, das Taichi sich wohl doch etwas aus der Geschichte mit Mimi machte – oder vielmehr gemacht hatte. Tröstend rückte ich näher, umarmte den sportlichen Körper meines Bruders, drückte ihn fest an mich. „Es tut mir so leid, Tai...“, murmelte ich. Seine Arme tätschelten dankbar meine. Es war so Herz zerreißend für mich, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Taichi hatte doch echt auch mal jemanden verdient, der ihn aufrichtig liebte. Und damit meinte ich jemanden, der nicht aus seiner Familie stammt. Auch wenn mein Bruder immer so tat, als wenn er kein Interesse hätte – diese Sache nahm ihn mehr mit, als er je zugeben würde. „Ohne böse sein zu wollen, aber wer hätte gedacht, dass der Kurze mal beliebter bei den Mädels ist als ich? Ich mein ich bin groß, sportlich und witzig. Koushiro ist... ein Nerd.“ „Ey, Koushiro ist unfassbar intelligent und liebenswert... und witziger als du!“, scherzte ich, eigentlich, um ihn aufzumuntern, bereute meine Wortwahl aber instant. Doch Tai lachte, wirbelte mich herum und kitzelte mich durch. „So so? Meine eigene Schwester fällt mir in den Rücken?“, entgegnete er in alter Frische, lachend. Ich kicherte, nicht nur, weil ich todeskitzelig war. Scheinbar konnte ich ihm über seinen Schmerz hinweg helfen. Wer war hier jetzt der beste Freund Matt, hm? „Ich ergebe mich!“, rief ich vollkommen außer Atem und mein Bruder ließ von mir ab. Grinsend half er mir in die sitzende Position. Draußen war es mittlerweile so gut wie dunkel geworden, sodass ich ihn nur durch das einfallende Licht erkennen konnte. Mein Handy klingelte, dass mir Tai sofort reichte. Es war T.K. „Na geh schon ran. Dein Bruder hat genug geheult...“, meinte er und stand, mich auf die Stirn küssend, auf. Ich grinste in die Dunkelheit. „Danke, Schwesterchen.“ „Immer wieder gern.“, antwortete ich und nahm den Anruf entgegen, während Tai das Zimmer verließ. „Vielen Dank für Ihre Geduld, Sie werden nun verbunden!“, rief ich ins Telefon, als ich parallel versuchte, ohne über irgendetwas zu stolpern zu meinem Schreibtisch zu gelangen um die Lampe anzumachen. „Na endlich. Ich bin schon seit einer halben Stunde in der Warteschleife!“, entgegnete T.K. lachend. Den Hintergrundgeräuschen zur Folge, war er unterwegs. Ich suchte nach meinen Schuhen und versuchte das Handy an meinem Ohr zu behalten. Was sich als unfassbare akrobatische Leistung herausstellte. „Sorry! Aber ich habe meine Schwesterpflichten wahrgenommen!“ „Alles gut bei euch?“ „Mehr oder minder... Tai ist ziemlich geknickt. Erzähl ich dir alles später. Bist du schon auf dem Weg?“ „Stehe unten vor eurem Haus, Mylady. Ich muss gestehen, dass ich es sogar besser finde, dass wir uns erst jetzt treffen. Wir könnten runter zum Frühlingsfest, und dort mit dem Riesenrad fahren. Das ist doch bei Dunkelheit viel cooler!“, schlug er vor und ich verliebte mich direkt nochmal in den Blonden. Ich grinste ins Telefon. „Cooler? Du meinst wohl romantischer...“ „Säuselst du verliebt vor dich hin, Kari? Du klingst nämlich so, als hätte ich einen verdammt guten Vorschlag gemacht.“ „Ja das hast du. Und wenn ich es geschafft habe, meine Schuhe anzuziehen und meine Jacke zu finden, dann bekommst du auch deinen Orden!“ „Orden? Oh man, du machst es aber spannend.“ Mit diesen Worten legte er auf. Ich stand auf, nachdem ich es endlich geschafft hatte, mir meine Schuhe anzuziehen, und stiefelte gut gelaunt in den hell erleuchteten Flur. Meine Mutter stand wie gewohnt in der Küche, während mein Vater und Tai vor dem Fernseher hockten. Ich seufzte, als ich Tai geknickt auf dem Sofa liegend sah. Als er meine Tür ins Schloss fallen hörte, schaute er auf und lächelte, formte mit seinen Lippen ein „Viel Spaß“ und sah wieder auf den Bildschirm. Ich lächelte. „Soll ich dir etwas vom Essen in den Kühlschrank stellen, Kari?“, fragte meine Mutter, während ich meine Jacke überstreifte und Schlüssel und Portmonnaie in eine Umhängetasche packte. Ich winkte ab. „Danke Mama, aber T.K. und ich holen uns was auf dem Frühlingsfest.“, entgegnete ich. Sofort lief sie zu ihrer Tasche und zückte einige Scheine, zu meinem Erstaunen. Lächelnd reichte sie sie mir. „Ich hab doch schon Taschengeld gekriegt, oder?“, fragte ich, was meinen Vater zum lachen brachte. „Mensch Kari, du bist das einzige Kind auf dieser Welt, dass nicht einfach das Geld der Eltern nimmt und abzischt.“, rief er rüber, und warf meinen armen Bruder mit deutlicher Anspielung mit einem Kissen ab, was er nur mit einem Grummeln kommentierte. Ich kicherte. „Hört auf mit dem Schwachsinn, und kommt an den Tisch ihr Zwei. Essen ist fertig.“ Sie lächelte mich an. „Und du hab viel Spaß und grüß mir Takeru! Passt auf euch auf. Und denk dran, dass du nicht zu lange wegbleiben solltest, Morgen ist Schule! Und du hast Prüfungen!“ „Ja-ha“, rief ich auf meinem Weg zur Tür. Als mir die kühle Luft ins Gesicht pustete sog ich sie fröhlich ein. Ich würde versuchen den Abend zu genießen, auch wenn ich ein schlechtes Gewissen gegenüber Tai hatte. Aber er würde nicht wollen, dass ich seinetwegen zu Hause blieb und ihm weiter den Kopf tätschelte. Er wollte nicht, dass seine Probleme zu meinen wurden. Und so schloss ich unsere Haustür und rannte in Windeseile meinem Freund entgegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)