Götterdämmerung von 35M3R0D ================================================================================ Kapitel 13: Götterdämmerung --------------------------- Ciel war Zuhause. Obwohl 'Zuhause' zu einem relativen Begriff geworden war. Das Haus fühlte sich kalt und fremd an, eine Empfindung, die ihn so nicht einmal nach dem Tod seiner Eltern heimgesucht hatte. Er starrte aus dem Fenster und beobachtete den fallenden Regen. Seine Finger folgten gedankenverloren den kleinen Tropfen, die an der Scheibe nach unten glitten. Die Dinge waren bedeutungslos geworden. "Junger Herr", Sebastian öffnete die Tür und schob einen Trolley mit Tee und der Morgenzeitung hinein. Ciel drehte sich nicht um, es war ein tägliches Ritual und bedurfte keines Kommentars seinerseits. Sebastian platzierte den Trolley vor dem Schreibtisch und begann damit den Tee vorzubereiten. Alles war soweit wie immer, ausser der Tatsache, dass er die bereits halb aufgeklappte Zeitung direkt vor Ciels Platz platziert hatte. Ciel hob eine Augenbraue. Das war ungewöhnlich, denn normalerweise begleitete sie den Tee eher und war nicht die Hauptattraktion. Trotzdem ging er zu seinem Schreibtisch hinüber und nahm Platz. Der Butler enthielt sich jedweden Kommentars, aber so funktionierten die meisten ihrer Interaktionen momentan. Sebastian forderte den jungen Earl nie direkt zu etwas auf, stattdessen suggerierte er unauffällig durch geringe Abweichungen von der Norm. Genauso wie jetzt die Zeitung bereits halb aufgeklappt dalag. Ciel überflog die Titelseite, aber da stach nichts für ihn hervor. Also öffnete er die Zeitung und entdeckte dann auf Seite drei worauf der Butler ihn wahrscheinlich hatte aufmerksam machen wollen: Die Vermisstenanzeigen. Der Text war kurz und sprach lediglich vom mysteriösen Verschwinden Horatio Kents, der wahrscheinlich aus seinem eigenen Haus entführt worden war. Die in Tränen aufgelöste Gattin bat um Hilfe aus der Bevölkerung, welche Scotland Yard bei der Aufklärung dieses Falles behilflich sein könnten. Ciel schluckte. Das Datum von Kents Verschwinden war auf denzehnten fixiert. Das war der Tag, an dem Sebastian ihn zurückgeholt hatte, aber es konnte nicht sein… Sein Blick glitt abwägend zum Butler, welcher ihm aber lediglich ein unbescholtenes Lächeln schenkte. Nein, Sebastian konnte es nicht gewesen sein. Einmal abgesehen davon, dass er ihm praktisch nicht mehr von der Seite wich, war es nicht sein modus operandi. Sofern ihn Ciel nicht explizit damit beauftragte jemanden verschwinden zu lassen, stellte Sebastian normalerweise sicher, dass genug von einem Opfer zurückblieb, um zu vermeiden, dass irgendwer Suchtrupps losschickte. Es war auf eine sehr perfide Weise gnädig jegliche Zweifel aus dem Weg zu räumen. Ciel klappte die Zeitung wieder zu. Wenn Sebastian es nicht gewesen war, wer denn dann? Der Butler schaute ihn mit seinem konstant leicht amüsierten Gesichtsausdruck an, als würde er fragen 'ist es nicht offensichtlich?' Es liess Ciel frustriert die Hände zu Fäusten ballen, aber er würde sich definitiv nicht dazu herablassen nachzufragen. Kent war verschwunden, wahrscheinlich tot, was kümmerte es ihn? Sebastian hatte mehr als klar gemacht, dass der Mann nur peripher etwas mit dem Unfall zu tun gehabt hatte, also musste ihn diese Vermisstmeldung auch nicht kümmern. Er schaute auf und warf Sebastian ein falsches Lächeln zu während er seine Teetasse in die Richtung des Butlers schob. "Was haben wir denn heute?" Ohne zu zögern, antwortete der Butler: "Lemon Balm Tea, Sir. Ich hoffe, er wird Euch munden." Die heisse Flüssigkeit füllte die Tasse und Ciel beobachtete ihr gleichmässiges Wirbeln mit einem gewissen Unbehagen. Während er zum Henkel griff kam ihm allerdings am Rande ein Gedanke. "Ist Lemon Balm nicht ein Abendtee?" Er führte die Tasse zu seinen Lippen und beobachtete über ihren Rand hinweg wie der Butler eine kleine Verbeugung andeutete. "Ich behalte ihn für besondere Anlässe vor." Ciel runzelte die Stirn. "Und was ist der Anlass?" Sein Auge glitt unwillentlich zurück zur zusammengefalteten Zeitung, doch der Butler lachte nur leise. "Oh, nichts dergleichen, junger Herr." Ciel starrte ihn an und wartete auf eine Erläuterung, doch es folgte nichts. Der Butler stand nur da, aufrecht und viel zu bedacht, und wartete. Es frustrierte den jungen Earl masslos und liess ihn beinah den Tee wieder ausspuken. Mit zu viel Kraft stellte er die Tasse zurück auf ihre Untertasse und das Klirren durchbrach die drückende Stille. "Was?!" So ging das schon seit seiner Rückkehr. Sebastian war da und wartete, und das ohne Unterbruch. Er war da, wenn Ciel aufwachte, wenn er arbeitete, wenn er zu Bett ging, und eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte, dass selbst die Schatten in der Nacht sich etwas zu willkürlich zu bewegen schienen. Er liess ihn nicht mehr aus den Augen und kaum eine Minute verstrich, in der der Butler sich nicht in unmittelbarer Nähe befand. Es raubte ihm den letzten Nerv. Sebastian legte den Kopf schief. "Wünscht Ihr noch mehr Tee, junger Herr?" Ciel atmete schwer. Mühsam presste er heraus: "Nein, ich wünsche nicht mehr Tee. Ich wünsche, dass du mich in Ruhe lässt." Mit der allergrössten Sorgfalt stellte Sebastian die Tasse zurück auf den Trolley. "Ich fürchte, dass ist nicht möglich", bemerkte er fast schon nebenbei während er damit fortfuhr das Geschirr zu ordnen. Ciel starrte seinen Butler an während er das Blut in seinen Adern pumpen hören konnte. Seine Hände klammerten sich mit einem Todesgriff an die Tischkante. "Dann befehle ich es dir." Der Butler schaute auf und hob die Augenbraue. "Ihr befehlt es mir? Junger Herr…" Sebastian beugte sich vor und stützte langsam und geschmeidig seine behandschuhten Hände auf der glänzenden Oberfläche des Schreibtisches ab. "…Ihr habt das Recht verwirkt mir Befehle zu erteilen, denn Ihr habt den Vertrag gebrochen." Sebastians Stimme war sinnlich und schien tief in Ciels Innern zu widerhallen. Sie jagte ihm einen Schauer über den Rücken während er in die rotglühenden Augen des Dämons blickte. "Warum hast du mich denn dann noch nicht verschlungen?" fragte er trotzig und versuchte den Blickkontakt nicht zu brechen. Er wollte nicht schwach erscheinen. Fast schon abrupt zog der Dämon sich zurück und stellte sich wieder gerade hin. Er lachte leise bevor er grazil seine Finger an sein Kinn legte. "Ihr amüsiert mich." Dann ging er um den Tisch herum, so dass er direkt vor dem jungen Mann stand, welcher sich instinktiv in seinem Sessel weglehnte. Doch entgegen seiner Erwartung stürzte sich der Dämon nicht auf ihn, sondern ging vor ihm auf die Knie, mit einem Bein angestellt, und ergriff seine Hände. Ciel Augen weiteten sich überrascht, während er beobachtete wie Sebastian seine weissen Handschuhe abstreifte und dann die feingliedrigen Hände seines jungen Herrn auf den Armlehnen platzierte. " Ich habe beschlossen für einmal nachsichtig zu sein und diesen Fauxpas mit eurer mehr als unglücklichen Irrfahrt zu übersehen." Ciels Mund öffnete sich automatisch, um nachzufragen wie Sebastian das meinte, doch der Butler schüttelte lediglich den Kopf. "Ich erwarte allerdings eine Wiedergutmachung." Seine Hände glitten zu den Oberschenkeln des jungen Mannes, und Ciel verstand. "Einen Aperitif." Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)