Die Wichte von somali77 (Beitrag zur Horror-Shortfic-Challenge) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Titel: Die Wichte Autor: somali77 Fandom: original Genre: grusel/Horror Rating: PG13 (?) (Kommentar: Die eigentliche, ursprüngliche Wortbedeutung von “Wicht” ist “Wesen, Ding, Substanz" (althochdeutsch), oder auch nur "irgend etwas", im Gegensatz zu der Verneinung: "Nicht(s)". Als ich die Erklärung gehört hatte, fiel mir die Idee zu dieser Geschichte ein.) -- Die Wichte wohnten unter dem Bett. Sie merkte es bald. Am Anfang schien noch nichts anders zu sein, die Nacht war dunkel, die Kissen dicht, die leisen Geräusche harmlos. Das übliche Knacken und Klopfen von irgendwoher. Holz, das sich ausdehnt. Aber irgendwann kamen neue Geräusche. Ein leises Pfeifen. Ein Zirpen, das nicht klang wie ein Tier, solche komischen Geräusche, die altes Holz nicht erzeugt. Wenn man etwas nicht erklären kann, dann war es normalerweise einfach nicht da und nur Einbildung. Aber irgendwo, unter der dicken Schicht von Verstand, ahnte sie doch, dass etwas passierte. Als das Zirpen zu hören war, waren sie schon längst eingezogen. Sie wusste anfangs nicht, ob es die Gruselfilme waren, die sie sah, oder ob ihr Instinkt mehr wahrnahm. Schließlich waren es nur die Angst und die Dunkelheit. Kinder hatten immer Angst vor der Dunkelheit. Aber Erwachsene konnten SIE auch nicht sehen. Lange bevor sie überhaupt etwas spürte, hatte sie schon das Gefühl. Ein Gefühl, das sie sich enger in die Decke einwickeln ließ, ganz eng, aus keinem besonderen Grund, nur der Ahnung. Als würde die sie vor etwas schützen, während sie auf ihren eigenen Atem lauschte und mit dunkelblinden Augen in das nachtverwandelte Zimmer zu starren versuchte. Sie wagte da schon nicht mehr, das Fenster nachts offen zu lassen, und überlegte auch, die Tür abzuschließen. Sie kamen aber nicht durchs Fenster, und sie kamen auch nicht durch die Tür. Sie kicherten leise, so dass man es nur als Prickeln im Nacken hörte. Die Wichte wohnten unter dem Bett. Sie konnte sich nicht erklären, woher diese Angst kam. Irgendetwas in ihr hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmen konnte. Aber es passierte ja nichts. Kein Monster kam, und kein Mörder rumpelte gegen die Tür. Nur ihr Nacken prickelte, und ihr Rücken auch, ganz besonders dort, wo diese kleine offene Verbindung war, zwischen Decke und Matratze, dort wo kleine, dünne Finger so leicht dazwischenrutschen konnten, ganz lautlos und unvermutet. Es passierte gar nichts, außer dem Zupfen an ihrem Kissen, und dem dumpfen Gefühl als fasste jemand auf die Decke, bis er den Körper darunter spüren konnte, aber das konnte ja gar nicht sein, weil da niemand war, und wo nichts war, sollte man auch nichts fühlen können. Bestimmt gab es eine ganz logische Erklärung. Aber ganz tief, ganz tief in ihrem Bewusstsein, am Grund der unerklärlichen Angst wusste sie es schon längst, sie wusste ganz genau was los war, und warum Schlaf so weit weg war, wenn das Zimmer erst einmal dunkel wurde. Die Wichte wohnten unter dem Bett. Auch wenn sie noch keinen genau zu Gesicht bekommen hatte, wusste sie doch ganz genau, wie sie aussahen. Bleiche Wichte mit haarlosen, runden Köpfen und großen Augen. Sie hatten keine Ohren, aber einen Mund ohne Lippen, wie ein Riss durch den Vollmond. Damit grinsten sie mit winzigen, spitzen Hechtzähnen auf sie herunter, während sie Nachts auf der Decke tanzten und ihre langen, leuchtenden Spinnenfinger in Ritzen der Kissen zu bohren versuchten. Sie lechzten nach einem Fleckchen Haut. Sie krümmten ihre Finger und betasteten die Decke. Sie zupften an den Haaren. Sie grinsten ihr ins Gesicht wenn sie die Augen schloss und lauerten im Verborgenen, wenn sie die Augen wieder aufriss. Sie zirpten und kicherten, und es prickelte an ihrem ganzen Körper. Und sie wurden größer und fetter und mächtiger, je mehr die wabernde Angst sie ernährte. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Wochenlang nur mit Licht geschlafen. Nächte durchgewacht. Ringe unter den Augen, trotzdem wusste sie, das SIE immer noch da waren und nie wieder gehen würden. Irgendwann hatten sie sogar vor Licht keine Scheu mehr. Sie lauerten nur noch darauf, dass sie allein im Zimmer war, am liebsten allein auf dem Bett. Ganz hilflos. Die Wichte kicherten von den Wänden, zupften ihr Haar, berührten mit Eisfingern ihre Haut, grinsten sie aus klaffenden Kopfwunden voller Hechtzähne und riesigen bösen Augen gierig an, und sie wollten mehr. Ihr Hunger wurde immer größer. Schließlich lag sie im Bett des Krankenhauses. Ihr Schlaf war unruhig, trotz der Medikamente. Inzwischen sah sie auch bei Tag, wie sie huschten. Immer aus den Augenwinkeln. So, dass man nur das Gefühl hatte, da sei etwas, aber dann war da doch nichts. Sie waren sehr schlau und ließen sich nie erwischen. Wie kleine Schmarotzer, die man nicht mehr los wird. Man hatte sie mit Gurten angebunden, weil sie sich zu sehr gewehrt hatte sich überhaupt noch einmal hinzulegen. Ihre Haut war schon fahl, ihre Augen groß und eingefallen. Sie hatten sie beinahe ausgesaugt. Fast war sie schon einer von ihnen. Die Uhr an der Wand tickte beständig. Nacht lastete im Krankenzimmer. Bis man ein leises Zirpen hören konnte, ganz leise, fast nicht da, so dass es eigentlich nur Einbildung sein konnte. Sie riss die Augen auf und blickte direkt in ein Hechtzähnegrinsen und böse schmale Augen als ES direkt auf ihrer Brust hockend auf sie hinuntergrinste, ihr den Atem abdrückte und eisige Spinnenfinger zu ihrem Hals krabbelten. Sie wollte schreien, so laut schreien bis alle es wussten, oder wenigstens weinen, weil niemand ihr glaubte, doch da brachte sie schon keinen Ton mehr heraus. Es war Wirklichkeit, eisig kalte, eingebildete Wirklichkeit die niemand wissen wollte, aber es waren die Wichte. Kleine, spinnenfingrige Angstvampire die niemand sah. Die Wichte wohnen unter dem Bett. -- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)