Chroniken des gefallenen Engels von uron (Der Exodus) ================================================================================ Kapitel 4: I. Kapitel - Erinnerungen (4. Teil) ---------------------------------------------- Kaum hatten sie die Ortschaft erreicht, erteilte Vargas Gastgeber Befehle. Der Begriff Kahn war also die Bezeichnung für einen Ortsvorsteher, Dorfältesten oder der Gleichen. Leider erklärten sich nicht alle Begriffe so einfach von selbst und der Sendbote wusste noch immer nicht, was ein Guhna war. Die Tatsache, dass sie sich jedoch zu großen Horden zusammen rotteten und von den Menschen gefürchtet wurden, ließ nur zwei Schlüsse zu. Entweder es waren extrem gefährliche Raubtiere, wie die unbekannten Wesen auf den Wänden aus Khalishs Haus oder… „Verzeiht, aber was genau ist eigentlich ein Guhna?“, entfuhr es dem Halbgöttlichen, noch ehe er seinen Gedanken zu Ende geführt hatte. „Die Guhna.“, begann der Mann zu erklären. „Sind ein Volk, deren Kultur von Gewalt geprägt ist. Sie fürchten weder die Stürme, noch die Kreaturen, die in den Dünenmeeren leben. Sie machen unentwegt Jagd auf alles Lebende, morden und brandschatzen, wo immer sie auftauchen. Bisher ist es nur wenigen gelungen, ihnen standzuhalten.“ „Das klingt als wären die Guhna Dämonen.“ Khalish begann lauthals zu lachen. „Nein, nein. Seid versichert, sie sind keine Dämonen. Man kann sie ebenso töten, wie jedes andere Lebewesen. Auch wenn sie mit ihren hervorstehenden Hauern und ihren über sieben Fuß Körpergröße manchen schrecken mögen, gefährlich sind sie letztendlich nur in Horden.“ Vargas konnte nicht glauben, was er da gerade hörte, waren die Guhna etwa Orks, wie er sie aus Gartapos kannte? Erst als Khalish weiter von den ominösen Kreaturen berichtete und der Sendbote immer mehr Gemeinsamkeiten erkannte, wurde ihm bewusst, dass er am Abend zuvor Ork gegessen hatte. Übelkeit stieg in ihm auf und sein Magen schien sich zu einem Knäuel zusammen zu ziehen. Fassungslos legte der Sendbote eine Hand auf seinen Bauch, indem die gekochte Bestie scheinbar darauf brannte, sich zu befreien und Rache an ihm zu nehmen. Lauthals musste Vargas sich schließlich übergeben. Die größtenteils unzerkauten Fleischbrocken fielen getränkt in einer übel riechenden grünlichen Flüssigkeit in den Wüstensand und sowohl Khalish, der noch immer von den Guhna erzählte, als auch sein Asza erschraken durch die unangenehme Unterbrechung. Sofort hielt der Mensch sein Reittier an und wand sich zu dem hinter ihm Sitzenden. „Seid Ihr in Ordnung, Vargas?“ Als ob dies nicht schon offensichtlich genug war, hob der Sendbote abwehrend die Hand und schüttelte langsam das Haupt hin und her. „Es geht schon wieder. Scheinbar ist mein Körper nur noch etwas ausgelaugt von der langen Reise.“ Der Mensch erkannte die offensichtliche Lüge und beschloss, dass es besser wäre das Thema vorerst ruhen zu lassen. Gemächlich ließ er Skarr durch die Siedlung traben. Die wenigen Menschen, denen sie unterwegs begegneten, wichen rasch aus und machten so dem Asza und seinem Reiter, vor dem sie sich eilig verbeugten, genügend Platz. Schweigend setzten sie ihren Weg fort bis Khalish das Tempo verlangsamte und Skarr schließlich zum Stehen kam. „Hier ist es.“, erklärte er und deutete auf ein Haus, das Vargas nicht von den anderen unterscheiden konnte. „Dies ist unsere Waffenkammer, hier werden wir sicherlich eine Waffe für Euch finden.“ Elegant schwang sich der Mensch aus dem Sattel und der Sendbote folgte weitaus unsicherer. Gemeinsam betraten sie das Gebäude und gingen eine ähnliche Treppe hinab wie Vargas sie in Khalishs Haus benutzt hatte. Nur dass an dem Ende dieser Treppe schweren Eisenstäbe jegliches Weiterkommen oder unerwünschtes Eindringen unmöglich machten. Klimpernd zog der Mann ein Schlüsselbund aus seinem Gewand, suchte kurz nach dem passenden Schlüssel und entriegelte die Gittertür schließlich mit einem Klicken. Der Raum dahinter wurde lediglich durch zwei Fackeln, die an einer Säule in der Mitte der Waffenkammer befestigt waren, erhellt. Wie scheinbar alle Gebäude in Olisha’Kai besaß auch dieses eine runde Grundfläche und ein gewölbte Decken. Nur die Schächte, durch die das Licht sonst hereinfiel, fehlten gänzlich. Dafür erkannte der Sendbote jedoch wieder die Wandmalereien unmittelbar unter der Decke. Diesmal schienen es Menschen zu sein, die gegen einander in die Schlacht zogen und während Vargas Blick langsam durch den gesamten Raum schweifte, unterbrach ihn Khalish. „Sie führen einen ewigen Kampf um ihr Überleben. Selbst wenn sie einen Gegner besiegen, wartet bereits ein weiterer auf sie. Ihr Überlebenskampf hat erst ein Ende, wenn sie – wir - selbst den Tod finden.“ „Sehr eindrucksvoll.“, entgegnete der Halbgöttliche ehrlich mit einem Nicken. Auch wenn die Malereien sehr schlicht waren, so enthielten sie doch eine eindeutige Botschaft und Vargas war sich sicher, dass auch die Malereien im Heim seines Gastgebers etwas zu bedeuten hatten. Noch während er darüber nachsann, räusperte sich der Mensch und unterbrach die Gedanken des Sendboten erneut. „Wenn Euch unsere Kunst schon so beeindruckt, was haltet Ihr dann erst von unseren Waffen?“ Das Khalish das Wort Kunst in einem spöttischem Tonfall ausgesprochen hatte, war Vargas nicht entgangen und als der Sendbote die zahlreichen Waffen sah, die in ihren Ständern darauf warteten in der Schlacht getragen zu werden, verstand er. Die wahre Kunst dieser Menschen bestand nicht etwa in Wandmalereien sondern offensichtlich in der Herstellung von Krummsäbeln und - sehr zu Vargas Freude – exotischen Lanzen zu bestehen. „Das.“, bestätige der Sendbote. „ist wirklich weit aus beeindruckender.“ Khalish lachte zufrieden. Prüfend ging der Halbgöttliche an den Regalen entlang und suchte nach der richtigen Waffe für sich. Schon nach wenigen Augenblicken hatte er sich entschieden. Vor einer zehn Fuß langen Lanze blieb er stehen und fuhr prüfende mit der Hand über das vermeintliche Holz der Waffe. Skeptisch zog er eine Augenbraue hoch, als er feststellte, dass das Material definitiv kein Holz war. Was genau es jedoch war, wollte er nach all den bösen Überraschungen, die er allein in den letzten Stunden erlebt hatte, besser gar nicht wissen. Stattdessen inspizierte er die einen Fuß lange Metallspitze des Speers, von der rechts und links je ein fast genauso langer Widerhaken abging. „Wie nennen sie Tshi-Tei. Nur wenige vermögen sie wirklich effektiv im Kampf zu führen und schon gar nicht vom Rücken eines Asza. Wenn Ihr wünscht, soll sie ein Geschenk an Euch sein.“ „Ihr seid sehr freundlich zu mir Khalish. Ich weiß gar nicht, wie ich Euch je für all das danken kann, was Ihr allein innerhalb eines Tages für mich getan habt.“ Zur Bestätigung seiner Worte verbeugte sich Vargas vor seinem Gastgeber und Lebensretter. „Nein. Ihr müsst Euch nicht bei mir bedanken! Hier in der Wüste gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Jedes Leben ist kostbar. Solange man etwas tun kann, um jemanden am Leben zu halten, tut man es auch. Wenn Euch nun diese Waffe vor Euren Feinden beschützt, habe ich nur dem Gesetz der Wüste gehorcht.“ Anerkennend nickte der Sendbote dem Menschen zu und zog die Waffe aus ihrer Halterung. Da er bereits seit Jahrhunderten mit Waffen dieser Art in die Schlacht zog, erkannte er sofort die Stärken und Schwächen der Waffe. Wollte er sie effektiv benutzen, musste er sein Körpergewicht weiter nach hinten verlagern als üblich, um so das Gewicht der Lanzenspitze auszubalancieren. Weiterhin sollte er besser nicht ausprobieren, wie stabil der Griff der Lanze war, indem er ihn zum Parieren nutzte. Stattdessen sollte er die Widerhaken des Tshi-Tei benutzen, um einen gegnerischen Schlag abzulenken oder den Gegner bestmöglich zu entwaffnen. Weiterhin boten die Eisendornen zahlreiche neue Angriffstaktiken, die Vargas bereits mental durchging. „Diese Waffe ist hervorragend. Sie wird mir gute Dienste erweisen und mich stets daran erinnern, dass ich eine Schuld bei Euch zu begleichen habe.“ Khalish lächelte erneut und erst jetzt erkannte Vargas, welche barmherzige Aura doch von diesem Mann ausging. Es war kein Wunder, dass dieser Mensch Anführer des Dorfes geworden war. Mit seinem Charisma würde er wohl jeden in den Bann ziehen können und seine Männer würden ihm ohne zu zögern in die Schlacht folgen, denn sie wussten, dass sie ihm vertrauen konnten. Für einen Augenblick schien Vargas dieselbe Aura wahrnehmen zu können, wie er sich auch von Agento kannte, wenn dieser nicht in seiner unwirklichen Dämonengestalt gefangen war. Khalishs Züge verschwammen immer mehr und als das Halbblut schließlich vor ihm stand, gaben Vargas Hände die gerade eben neu erhaltene Waffe frei, die daraufhin klirrend zu Boden fiel. Agento sah ihn verwirrt an und rief seinen Namen. Vargas? Vargas was ist mit dir? „Agento, du bist hier! Wie kann das sein? Du…?“, voller Freude streckte der Sendbote seinem einstigen Schüler die Hände entgegen, der ihn darauf hin nur an den Schultern packte und leicht schüttelte. Agentos Abbild verschwamm erneut und schon wenig später sah Vargas wieder Khalish vor sich stehen, der ihn sanft an den Schultern gepackt hatte und seinen Namen rief. „Seid Ihr in Ordnung, Vargas? Erkennt Ihr mich? Ich bin es Khalish!“ „Bitte verzeiht. Meine Augen haben mir einen fürchterlichen Streiche gespielt, wie mir scheint.“ Khalish hingegen schüttelte entschlossen den Kopf und nahm die Hände von den Schultern des Sendboten. „Ich befürchte, dass Euer Verstand durch die Strahlen der Sonne Schaden genommen hat. Es sind nicht Eure Augen, sondern Euer Kopf, der Euch Streiche spielt. Vielleicht ist es besser, wenn Ihr Euch doch noch weiter ausruht und Ihr nicht…“ „Nein!“, widersprach der Halbgöttliche entschlossen. „Es ist nichts. Es geht mir gut. Ihr könnt Euch auf mich verlassen, ich werde euch beistehen, wenn ihr gegen die Guhna kämpfen werdet! So kann ich Euch wenigstens einen Teil von dem zurückgeben, was Ihr mir gegeben habt.“ Als Vargas sah, dass er seinen Lebensretter noch immer nicht überzeugt hatte, beschloss er ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. „Jedes Leben ist kostbar und indem ich mit Euch und Euren Kriegern kämpfe beschütze ich viele Leben vor einem grausamen Ende!“ Schließlich gab sich Khalish geschlagen. „Nun gut. Aber zwingt mit nicht dazu, Euch mit dem Knauf meines Säbels ohnmächtig zu schlagen, wenn Ihr einen der Guhna wieder einmal für Euren Agento haltet.“ Vargas Blick wurde schlagartig ernst. Er hob den Speer vom Boden auf und sah dem Menschen dann tief in die Augen. „Ich habe nicht das erste Mal seinen Namen genannt nicht wahr?“ „In der Tat. Letzte Nacht habt ihr unentwegt nach ihm gerufen. Wer ist dieser Mann, dass er euch so verrückt macht? Ein Zauberer? Ein Dämon? Ein Gott?“ Auch wenn Khalishs letzte Bemerkung nicht mehr als ein gut gemeinter Scherz sein sollte, entging ihm nicht, dass die Mine seines gegenüber vollkommen regungslos blieb. „Wollt Ihr mir etwa sagen, dass ihr von einem Gott heimgesucht werdet?“ „Nein.“, widersprach Vargas und wand seinen Blick von dem Menschen ab, um ihm nicht seine Trauer zu offenbaren. „Ich kämpfte Seite an Seite mit ihm, als er zu einem Gott wurde.“ Diesmal wich das sonst typische Lächeln von Khalishs Zügen einer ernsten Mine und Vargas erkannte dieselbe Neugier, wie er am Abend zu vor bei Khalish gespürt hatte. „Es ist noch etwas Zeit, bis die Guhna angreifen.“, fuhr der Sendbote fort. „Wenn Ihr wünscht, werde ich Euch gern mehr von seinem Schicksal berichten.“ Ohne etwas zu erwidern, bedeute der neugierig gewordene Mensch Vargas die Waffenkammer zu verlassen, damit sie sich an einen anderen Ort für dieses Gespräch zurückziehen konnten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)