Red and Blue von Murtagh ================================================================================ Kapitel 7: The Beginning of the End ----------------------------------- Willkommen zu Kapitel 6. Beim letzten Kapitel hatte ich ja zwei Monate Wartezeit angekündigt und theoretisch war ich auch so schnell fertig. Aber dann hab ich es kurz vor Schluss doch nochmal überarbeitet. Und Version 2.0 gefällt mir persönlich auch besser. =) Kapitel 7 ist bereits in Arbeit und kommt ganz bald. Zum Hören empfehle ich den Soundtrack von 'Inception'. Außerdem bin ich grad sehr verliebt in das neue Album von Evanescence. +++ Murtagh saß auf einem mannshohen Felsen und blickte auf das Dorf hinab, das sich in dem kleinen Tal vor ihm zwischen einen schmalen, ausgetrockneten Fluss auf der einen, und hellbraune Felswände auf der anderen Seite zu quetschen schien. Der Großteil der Häuser war aus dem gleichen dunklen Holz gebaut und machte einen stabilen Eindruck. Es gab auch einige wenige Bauten aus dem sandigen Stein, für den diese Gegend bekannt war. In ihnen lebten vermutlich die Vorsteher und wohlhabenden Händler der kleinen Gemeinde. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals, nicht weit von den Häusern entfernt, erblickte Murtagh den Eingang zu eine großen Höhle. Er vermutete, dass sie zu einer unterirdischen Quelle führte, die den Bewohnern das Wasser lieferte, dass sie während der Trockenperioden für sich und die Bewässerung ihrer Felder benötigten. Früher war es sicher einmal ein schöner Ort zum leben gewesen... Ein Windstoß kam auf und brachte den Gestank von Rauch mit sich. Murtagh stand auf und sprang von dem Felsen hinunter. Der Boden war weich und nur karg bewachsen, das Gras trocken und brüchig. Er richtete sich auf und klopfte sich flüchtig den Staub von seinem Umhang. Dann stieg er langsam den Hang hinab und ging auf das Dorf zu. ~ Es fühlte sich seltsam an, derart unbehelligt durch die Straßen zu gehen. In der Hauptstadt war er niemals alleine gewesen, auch wenn er seine Verfolger nicht immer sehen konnte. Der König ließ seine Untergebenen niemals wirklich unbeobachtet. Besonders ihn nicht, wie Murtagh nur zu genau wusste. Langsam ging er weiter, beobachtete die Menschen, die hastig an ihm vorbei liefen, und die keine Ahnung hatten, wer der Fremde war, der sich da durch ihr Dorf bewegte. Die keine Ahnung hatten, dass er mit schuld daran war, dass sie ihre Heimat verlassen mussten und wahrscheinlich nie wieder zurückkehren konnten... Schon von weitem hatte er die Flüchtlinge beobachten können, die sich in größeren und kleineren Gruppen von dem Dorf entfernten, fort, in Richtung... ... ja, wohin eigentlich? Murtagh hatte seit seiner kopflosen Flucht vollkommen die Orientierung verloren und konnte nur raten, wo Thorn und er sich gerade befanden. Die sandigen Ebenen ließen ihn vermuten, dass sie noch immer in der Wüste waren. Die Berge aber, die hier und in der Ferne in den Himmel ragten, legten die Vermutung nah, dass sie sich tief im Süden befanden. Vielleicht waren sie aber auch ganz woanders... Murtagh strich sich eine dunkle Strähne aus dem Gesicht und schob den Gedanken beiseite. Es war ohnehin nicht von Bedeutung wo er war. Er konnte sich nicht vor Galbatorix verstecken... Er wich einer kleinen Gruppe Menschen aus, die sich mit eiligen Schritten an ihm vorbei durch die enge Straße presste, und stahl sich in eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern. Schwer lehnte er sich gegen eine der Hauswände. Der Stein, über den seine Hände glitten, war rau und von der Sonne aufgeheizt. Murtagh blieb noch einen Moment lang so stehen, dann stieß er sich von der Wand ab und durchquerte die kleine Gasse, die ihn direkt zum zentralen Platz des kleinen Dorfes führte. Weitere Gruppen von Flüchtlingen kamen ihm entgegen, als er sich langsam über den Platz bewegte. Einige von ihnen hatten Pferde, Esel oder sogar Ziegen, die sie vor eilig vollgepackte Karren gespannt hatten. Andere, die weniger wohlhabend waren, trugen ihre wenigen Habseligkeiten auf dem Rücken. Manche trugen so schwer, dass sie unter dem Gewicht beinahe zusammenbrachen. Murtagh ließ seinen Blick über die Häuser schweifen, die in beinahe quadratischer Anordnung um den Platz herum standen. Es waren hübsche, gepflegte Häuser. Zumindest waren sie das früher einmal gewesen. Jetzt waren viele Fenster und Türen eilig mit Brettern vernagelt, um Plünderer abzuhalten. Murtagh lächelte müde, wohl wissend, dass diese Schutzmaßnahmen nicht verhindern würden, dass die Häuser bis auf die letzte Ecke durchwühlt werden würden. Er erreichte die Mitte des Platzes und blieb stehen. Noch immer kamen ihm Menschen entgegen, doch sie waren so in ihre eigenen Angelegenheiten vertieft, dass sie den Unbekannten in ihrer Mitte gar nicht wahrnahmen. Der Boden unter seinen Füßen war aufgewühlt von unzähligen Schritten. Überall fanden sich Spuren der überstürzten Flucht. Ein kaputter Becher, eine fallengelassene Stoffpuppe, ein zerbrochenes Holzbrett. Murtagh hob den Kopf und schloss die Augen. Die Sonne war warm, doch auch sie konnte die quälende Kälte nicht vertreiben, die er tief in sich spürte. „Was tue ich hier eigentlich...?“ fragte er halblaut. Doch die Antwort blieb aus. Nicht, dass er etwas anderes erwartet hätte. Er zwang sich dazu, weiterzugehen. Irgendwann erreichte er ein kleines Wirtshaus am anderen Ende des Platzes. Auch dieses Gebäude war beinahe komplett mit Brettern vernagelt, die sogar recht stabil aussahen und fachmännisch verarbeitet worden waren. Sein eigenes Spiegelbild in einem freien Stück der staubigen Fensterscheiben ließ ihn innehalten. Die Kälte in seinen müden Augen überraschte ihn selbst. Langsam ließ er eine Hand durch seine dunklen Haare gleiten. Sie waren lang geworden und bildeten einen wilden Rahmen um sein abgekämpftes Gesicht. Wie viel Zeit war vergangen, dass er sich das letzte Mal selbst gesehen hatte? Es musste eine kleine Ewigkeit her sein, denn er erkannte sich selbst kaum wieder... Murtagh ließ die Hand sinken und betrachtete den Mann, der ihm aus der trüben Scheibe entgegensah. Er sah nicht aus wie ein Drachenreiter, wie ein Krieger. Nein, das Gesicht, dass er dort sah, gehörte einem gebrochenen Mann, einem Menschen, der einmal zu oft gekämpft und verloren hatte. Vielleicht hatte Galbatorix die ganze Zeit recht gehabt. Murtagh war schwach. Unfähig als Soldat und Kommandant. Unfähig als Reiter. Unfähig als Bruder, als Freund, als Mensch. Was er auch anfasste, alles schien in seinen Händen zu kalter Asche zu zerfallen. So war es sein ganzes Leben lang gewesen und so würde es immer bleiben... Nur mühsam gelang es ihm, den Blick von seinem Spiegelbild in der schmutzigen Scheibe loszureißen. Eine ungewohnte Stille lag über dem Platz. Mittlerweile hatten die meisten Bewohner ihr Dorf hinter sich gelassen. Murtagh erwischte sich dabei, dass er sich wünschte ihre Flucht möge gelingen. Töricht, wenn man bedachte, dass er womöglich er derjenige sein würde, der sie brutal beendete. Ob sie ihn wiedererkennen würden? Er bezweifelte es. Er hob den Kopf und ließ seinen Blick über den Himmel schweifen. Thorn war nicht zu sehen. Wo bist du? fragte er in Gedanken. Auf einer Anhöhe, nicht weit von hier. Verlasse das Dorf, ich führe dich her. antwortete sein Gefährte sofort und schickte ihm das gedankliche Bild einer hinter Felsen verborgenen Senke. Murtagh sah sich ein letztes Mal auf dem Platz um, dann verließ er das Dorf durch eine der Seitenstraßen. Es war bereits Nachmittag, als Murtagh den Hang hinter dem Dorf erklomm und dabei den Hinweisen seines Drachen folgte. Er ließ sich Zeit für den Aufstieg, genoss die Ruhe, den warmen Wind auf seiner Haut. Absurd, dass es in Zeiten wie diesen noch immer solche Momente des Friedens gab. Als ob die Welt kein Interesse an ihnen und ihren Kämpfen hätte. Sie drehte sich weiter, langsam und unparteiisch. Und sie würde sich noch drehen, wenn sie alle längst zu Staub zerfallen waren. Nach einer knappen Stunde erreichte er den Platz, auf dem Thorn gelandet war. Der rote Drache hatte sich unter ein paar niedrigen Bäumen zusammengerollt, richtete sich aber auf, als Murtagh auf ihn zukam. Erschöpft ließ der Reiter sich neben seinem Gefährten ins trockene Gras sinken. „Die Bewohner flüchten. In wenigen Stunden wird das Dorf vollkommen verlassen sein.“ Murtagh wusste, dass er das nur erzählte um überhaupt etwas zu sagen. Die Stille hier oben, die er vor wenigen Momenten noch als angenehm empfunden hatte, schien mit einem Mal schwerer und schwerer zu werden. Mit ruhiger Stimme erzählte er dem Drachen von seinen Beobachtungen. Thorn hörte ihm schweigend zu. Als er geendet hatte, ließ Murtagh sich gegen Thorns mächtigen Körper sinken und starrte gedankenverloren in die Berge hinaus. Sein Besuch in dem kleinen Dorf hatte ihm vor Augen geführt, welche Ausmaße der Krieg bereits angenommen hatte. Ihm war nicht entgangen, dass die Gruppen der Flüchtlinge, die ihm begegnet waren, vor allem aus Frauen, Kindern und alten Menschen bestanden hatte. Wo immer er hier auch war, Galbatorix' Truppen waren bereits lange vor ihm hier gewesen und hatten die Männer des Dorfes für seine Truppen rekrutiert. Die meisten von ihnen würden wohl nie zurückkehren... Murtagh seufzte leise und schloss die Augen. Die Wärme machte ihn müde und er bemerkte nur am Rande, dass er langsam eindöste. Die Bilder aus dem Dorf verschwammen vor seinen Augen und vermischten sich mit anderen Bildern, anderen Erinnerungen... Ich kann ihn spüren. Thorns Worte rissen Murtagh in die Realität zurück. Der rote Drache drehte sich zu ihm um betrachtete seinen Reiter eingehend, wartete auf eine Reaktion auf sein Geständnis. Murtagh schwieg lange. Nachdenklich ließ er seine linke Hand über das Gras neben sich streichen, fühlte die rauen Halme unter seiner Haut, hörte das leise Rascheln, das seine Bewegungen verursachten. Thorns Worte überraschten ihn nicht. Er hatte es gewusst, die ganze Zeit. Es war ihm in der Sekunde klar gewesen, als er nach seinem Kampf gegen Eragon auf Thorns Rücken gestiegen und mit ihm davongeflogen war. Völlig kopflos hatten sie den einzigen Weg eingeschlagen, der ihnen eingefallen war. Weg, nur weg. Es war sinnlos, das wussten sie beide. Doch genauso wussten sie, dass sie keine andere Wahl mehr hatten. Wenn ihn etwas überraschte, dann die Tatsache, dass er immer noch atmete. Dass der König ihn noch nicht zu sich gerufen hatte, mit Worten, mit Bildern, mit Schmerzen. Doch das würde kommen. Und die Strafe für ihren Ungehorsam würde fürchterlich sein... Unbewusst tastete seine Hand zu seiner Brust, suchte den kleinen Anhänger, der an einem schmalen Lederband um seinen Hals hing. Der Stein war warm und fühlte sich feucht an. Sonst nichts. Murtagh ließ den Anhänger wieder los und steckte ihn zurück unter sein Hemd. Wahrscheinlich sollte er sich jetzt bestätigt fühlen. Schließlich hatte er doch von Anfang an nicht an die Macht von Eragons Geschenk geglaubt, oder? Stattdessen fühlte er eine seltsame Gleichgültigkeit. Was tun wir jetzt? fragte Thorn leise und bettete seinen riesigen Kopf neben seinem Reiter. Murtagh hob eine Hand und streichelte ihm über die roten Schuppen. Sie wussten, dass es keine Antwort auf diese Frage gab. Es war völlig bedeutungslos, was sie dachten, was die planten, was sie wollten. Sie konnten nicht entkommen. Und sie konnten nicht zurückkehren. Wie sie es auch drehten, am Ende ihrer Reise stand der Tod. Lass uns aufbrechen, sagte der Reiter schließlich und erhob sich mühsam. Es wird bald dunkel. Thorn betrachtete ihn einen Moment lang, dann nickte er und richtete sich auf. Murtagh stieg wortlos in den Sattel und nur Augenblicke später waren die Häuser des kleinen Dorfes bereits so weit weg, dass er sie kaum noch voneinander unterscheiden konnte. Dann flogen sie weiter. ~ Die Landschaft unter ihnen änderte sich langsam. Aus sandigen Hügeln wurden felsige Berge, die sich bedrohlich in den Himmel erhoben und deren Gipfeln in den Wolken verschwanden. Es war kühler geworden und einige weiße Berghänge verrieten Schnee. Was dem erschöpften Reiter auf dem roten Drachen aber wirklich Sorge bereitete, war der Himmel über ihnen. In den letzten Stunden war es stetig kälter geworden. Riesige Wolkenberge türmten sich über ihnen auf und es wurde rasch dunkler. Es roch nach Sturm und Regen. Hier, am Rande der großen Wüste, regnete es nur selten und Murtagh wusste aus Erfahrung, dass ihnen ein gewaltiges Unwetter bevorstand. Wir sollten nach einem Versteck suchen. sagte Thorn besorgt. Murtagh antwortete nicht sofort. Er wusste, dass Thorn recht hatte. Dennoch kämpfte er mit sich. Er wollte nicht landen. Er wollte fliegen, weiter, immer weiter. Irgendwohin, die Richtung war egal. Weg, nur weg...! Als er nicht antwortete, gab Thorn ein leises Knurren von sich und ließ sich ein gutes Stück hinabsinken. Sie flogen jetzt dicht über die Felsen hinweg. Murtagh konnte schmale Wege und tiefe Schluchten erkennen. Ein erster Blitz erhellte die Umgebung, gefolgt von einem mächtigen Grollen, das erste Felsbrocken aus den steinigen Wänden löste, die unter gewaltigem Gepolter in die Tiefe hinabstürzten. Er hob den Kopf und starrte in die schwarzen Wolken über sich. Du hast recht... presste er mühsam hervor. Der rote Drache nickte erleichtert und stieg wieder ein Stück nach oben, um in der zerklüfteten Landschaft einen geeigneten Landeplatz zu suchen. Dennoch dauerte es noch beinahe eine Stunde, bis sie in den felsigen Hängen eine Stelle fanden, die groß genug war, um den Drachen aufzunehmen. Das Unwetter war inzwischen direkt über ihnen und der Schleier aus eisigem Regen war bereits jetzt so dicht, dass Murtagh nahezu blind war und sich voll auf die Sinne seines Drachen verlassen musste. Sie hatten den schmalen Hang beinahe erreicht, als Thorn plötzlich unter ihm zusammenzuckte. Dann verschwamm die Welt vor seinen Augen und Murtagh hatte das Gefühl, in einen schwarzen Abgrund zu stürzen... ~ Es passierte so schnell, dass Murtagh kaum reagieren konnte. In einem Moment noch blickte er in den grauen Himmel, im nächsten versank sein Bewusstsein in Finsternis. Er kämpfte noch einige verzweifelte Augenblicke gegen den dunklen Strudel an, doch dann ergab er sich und ließ zu, dass sein Verstand in tiefe Schwärze gezogen wurde. Es fühlte sich schrecklich an. Murtagh hatte das Gefühl, von der Schwärze um ihn herum zerdrückt zu werden. Sein Atem ging heftig, unkontrolliert, als er angestrengt versuchte, die Dunkelheit von sich fernzuhalten. Doch sein Widerstand blieb völlig wirkungslos. Immer tiefer und tiefer wurde er hineingesogen, verlor mehr und mehr die Kontrolle über seine Gedanken, die in wildes Chaos zu stürzen schienen. Du kannst nicht davonlaufen. Und plötzlich wusste er mit schrecklicher Gewissheit, was ihn am Ende des Strudels erwartete... Genauso schnell wie das Gefühl kam, so schnell verschwand es auch wieder. Murtagh riss die Augen auf und schrie. Er hob die Hände und presste sie gegen seine Schläfen. Es tat weh, doch er nutzte den Schmerz, um sich wieder in die Realität zurück zu reißen. Nur quälend langsam ließ das furchtbare Gefühl nach. Thorn, bist du da?! fragte er hilflos. Ich bin hier, antwortete der Drache sofort und stützte ihn mit seinen Gedanken. Es ist vorbei. Beruhige dich. Was war das?! Jedes Wort kostete Murtagh enorme Anstrengung. Er ließ die Hände vorsichtig sinken. Der Schmerz ließ nach. Dennoch war ihm so schwindelig, dass er fürchtete, jeden Moment aus dem Sattel zu rutschen. Ganz ruhig. sagte Thorn erneut, doch Murtagh spürte das gleiche Chaos in ihm, was er selbst empfand. Er presste die Lider fest aufeinander und versuchte, sich auf seinen Atem zu konzentrieren. „Was... was war das?!“ wiederholte er keuchend. Seine Stimme klang schrill, sein Hals schmerzte. Galbatorix... Murtagh starrte auf Thorn hinab. Der Klang dieses Namens war ein Schock für ihn. Er hatte es gewusst, die ganze Zeit, hatte darauf gewartet, dass der König nach ihnen griff. Dennoch brachte dieser Name, einmal ausgesprochen, die Mauern um seinen Verstand beinahe zum Einsturz. Thorn landete ungelenk auf der kleinen Anhöhe zwischen hohen Felsen und bodenlosen Tiefen und wandte ihm seinen riesigen Kopf zu. Murtagh wollte absteigen, doch sein Körper zitterte noch immer so heftig, dass er sich kaum bewegen konnte. Der König hatte sie also gefunden. Nein, wahrscheinlich hatte er die ganze Zeit gewusst wo sie waren, war ihnen gefolgt, ohne, dass sie etwas dagegen tun konnten. Zu Angst und Hilfslosigkeit gesellte sich Wut, als Murtagh klarwurde, dass der König einmal mehr mit ihm spielte. Wie sonst konnte man erklären, dass er ihre Flucht zuließ und sie in falscher Sicherheit wog, nur um sie dann mit umso härterer Gewalt zurückzurufen?! Murtagh stieg langsam von Thorns Rücken und tat einen ersten unsichereren Schritt. Seine Beine gehorchten ihm kaum und erst jetzt merkte er, dass er vollkommen durchgefroren war. Ungelenk stolperte er weiter, suchte nach etwas ohne wirklich zu sehen. Weiter, immer weiter, weg von hier, weg von überall. Er sah grauen Fels vor sich, spärlich bewachsen mit blassem Moos... ... in der nächsten Sekunde tat sich unter ihm ein Abgrund auf und zerrte ihn erbarmungslos in schwarze Leere. Dann kamen die Bilder. Der sandige Boden war rot, tiefrot. Er konnte das Blut riechen, der Gestank war beinahe übermächtig. Er hob den Kopf und blickte über die Ebenen. Tod, er sah nur Tod. Tausende von Leichen bedeckten den Boden, ihr Leben durchtränkte die Erde wie blutroter Regen. Stille lag über dem Schlachtfeld, grauenvoll, anklagend. Der Anblick war so entsetzlich, dass er ihn nur einen Moment lang ertrug. Aus rot wurde tiefschwarz, als er auf dem blutigen Sand zusammenbrach... Es war genauso wie so viele Male zuvor. Der Schmerz bohrte sich in seinen Kopf und schien ihn zersprengen zu wollen. Murtagh schrie bis seine Stimme brach, doch er konnte es nicht aufhalten. Die Gedanken und Bilder bohrten sich erbarmungslos in seinen Verstand und ließen ihn würgen. Und auch wenn er ahnte, was er sehen würde, brachten sie ihn beinahe um den Verstand. Er kannte diesen Boden, hatte unzählige Male auf ihm gestanden und sein eigenes Gesicht in den spiegelglatten Steinen betrachtet. Doch so hatte er ihn noch nicht gesehen. Schwarz glänzend von frischem Blut, besudelt, schmutzig. Mittendrin lag ein regloser Körper. Die Glieder waren unnatürlich verrenkt, das Gesicht seltsam bleich. Jemand beugte sich über die Gestalt, den jungen Mann, der dort lag wie ein fallen gelassenes Spielzeug. Der schwere Umhang des Mannes raschelte leise, als er den Arm ausstreckte und mit schlanken Fingern über die blasse Wange des Jungen strich. Der Anblick versetzte ihn in unbändige Wut. Rühr' ihn nicht an! schrie er so laut er konnte. Der Mann erhob sich und drehte ihm das Gesicht zu. Auf seinen Zügen lag ein Ausdruck perversen Vergnügens. Sieh' es dir genau an. Das ist deine Schuld. Die eisige Hand um seine Gedanken verschwand und warf ihn zurück in die Wirklichkeit. Murtagh schüttelte den Kopf und versuchte, die Bilder aus seinem Kopf zu verbannen. Die Vision hatte geendet, bevor er sehen konnte, wer dort auf dem Boden gelegen hatte. Er war auf absurde Art dankbar dafür, auch wenn die Bilder auch so schon furchtbar genug gewesen waren. Denn er wusste genau, in wessen Gesicht er geblickt hätte. Thorn kam zu ihm und stieß ihn sanft mit der Schnauze an. Es ist nicht real... begann der Drache ruhig. Seine Sorge hätte Murtagh trösten sollen, stattdessen erschien sie ihm wie blanker Hohn. „NEIN,“ Murtagh wirbelte herum und schlug nach Thorn. „Denkst du, das wüsste ich nicht?! Denkst du, ich wüsste nicht, wieso er mir diese Bilder zeigt?!“ Der Drache fuhr unter seinen lauten Worten zusammen und zog sich zurück. Murtagh bemerkte seine Reaktion nicht einmal. Er riss sich den vom Regen schwer gewordenen Umhang von den Schultern und schleuderte ihn zu Boden. Dann griff er nach dem erstbesten Stein, den er auf dem schlammigen Boden zu fassen bekam, und schleuderte ihn mit aller Kraft die er noch aufbringen konnte in die Tiefe. Die hilflose Wut in seinem Inneren wurde schier übermächtig. Er lief hierhin und dorthin, ohne Ziel, ohne Ausweg, wie ein gefangenes Tier. Er brüllte Flüche in die graue Dunkelheit, auch wenn seine Stimme längst nur noch ein heiseres Krächzen war, verfluchte den Regen, die Kälte, den König, sich selbst. Er schlug mit den Fäusten gegen die nass glänzenden Felsen bis sein Blut sich mit dem eisigen Regen vermischte. Doch nichts, was er tat, konnte die Bilder von ihm fernhalten, nichts, nichts, nichts...! Diesmal stand er über ihm und konnte sein bleiches Gesicht vor sich sehen. Er blickte in blaue Augen, die jetzt schrecklich leer waren. Tot. Es waren Eragons Augen. Und auch wenn er wusste, dass es nicht real war, dass es nicht real sein konnte, schmerzte der Anblick so sehr, dass er glaubte daran sterben zu müssen. Erneut schleuderte ihn die eisige Hand in die Realität zurück und er fand sich hilflos zitternd auf dem schlammigen Boden wieder. Thorn war bei ihm und Murtagh ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. Es ist eine Lüge, er ist nicht tot. Trau diesen Bildern nicht! warnte der Drache ihn eindringlich. Murtagh nickte kraftlos. Die unbändige Wut, die er nur Augenblicke zuvor empfunden hatte, war aus ihm herausgeflossen wie Wasser aus einem zerschnittenen Wasserschlauch und schien auch noch den letzten Rest Kraft aus seinem Körper gesaugt zu haben. Er sah sie nicht zum ersten Mal, diese Bilder von Eragons Tod. Der König hatte sie ihm schon früher gezeigt, ihn gezwungen, die Leere in seinen blauen Augen zu sehen. Doch auch wenn sein Verstand ihm sagte, dass es nichts weiter als Visionen waren, waren sie schlimmer als jede Folter, zeigten sie ihm doch, was den Jungen erwartete, würde er den eingeschlagenen Weg bis zum Ende gehen. Eragon konnte nicht gewinnen. Er würde sterben. Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte... Was ist mit dem Zauber? fragte Thorn in die düstere Stille seiner Gedanken. Murtaghs Hand tastete unbewusst nach dem kleinen Stein, der noch immer um seinen Hals hing. Er zog die Kette unter seinem Hemd hervor. Drehte den Stein in der Hand, wieder und wieder. Wartete. Zweifelte. Nichts geschah. Du solltest es benutzen. sagte Thorn vorsichtig. Murtagh verengte die Augen: Ich weiß nicht wie... Versuch es. fuhr Thorn fort, diesmal drängender. „Ich weiß nicht wie!“ Mit einem Ruck zog Murtagh die Kette von seinem Hals, ignorierte den scharfen Schmerz als seine Haut riss. Kalt und leer lag der Stein in seiner Hand. Das dünne Lederband sog sich langsam mit Regenwasser voll. „Wahrscheinlich funktioniert es gar nicht. Wahrscheinlich ist es nur ein weiterer Trick...“ Thorn trat zu ihm und senkte den Kopf, bis seine Schnauze Murtaghs Hand mit dem Amulett darin beinahe berührte. Er musste nichts sagen, Murtagh verstand sein stummes Flehen auch so. Der Drache zweifelte, genau wie er. Doch er hoffte auch. Murtagh hob die Hand und hielt den Stein dicht vor sein Gesicht. Im fahlen Licht der Gewitterwolken wirkte er trübe wie der wolkenverhangene Himmel. Erneut durchzuckte ein Blitz die Wolken und für einen Moment war die Welt taghell erleuchtet. Murtagh schloss geblendet die Augen, als der Stein das Licht reflektierte, plötzlich strahlend wie Mondlicht auf der stillen Oberfläche eines Sees. Der Donner grollte nur Augenblicke später über ihnen. Laut polternd lösten sich weitere Felsbrocken aus den Hängen und stürzten in die Täler hinab. „Das hat doch alles keinen Sinn...“ Seine Stimme war tonlos. Thorns Geist legte sich tröstend um seinen, doch seine Wärme erreichte den Reiter nicht. Gib' nicht auf. sagte der Drache leise. Murtagh wollte auf ihn hören, doch sein Verstand weigerte sich. Es war nicht so, dass er glaubte, dass Eragon ihn belogen hatte. Nein, wahrscheinlich glaubte sein Bruder wirklich an diese geheimnisvolle Macht, so töricht es auch war. Bitte... Murtagh öffnete die Augen wieder. Der Stein leuchtete noch immer, ein winziges weißes Licht vor dem Grau des Himmels. Für einen Moment sah Murtagh sein eigenes Spiegelbild auf der glänzenden Oberfläche, fast, als wäre er selbst ein Teil des Schmuckstücks geworden. Dann sah er sie. Worte. Sie hallten in seinem Kopf wider, als seien sie schon immer da gewesen. Er konnte sie greifen und festhalten, einfach so. Murtagh begann zu sprechen. Erst kamen die Worte langsam und stockend, dann immer schneller und flüssiger, schienen sich aus eigenem Willen einen Weg ins Freie zu bahnen. Er hörte einen Schrei und bemerkte nur Augenblicke später, dass es seine eigene Stimme war. Es schien als wäre tief in ihm ein Damm gebrochen, durch den seine Lebenskraft aus ihm herausfloss, plötzlich, gewaltsam, unaufhaltsam. Und da war noch etwas anderes, tiefer, furchtbarer, wichtiger. Etwas, was er auf keinen Fall verlieren durfte. Murtaghs Hände begannen zu zittern, beinahe ließ er die Kette fallen. Er lehnte sich nach vorne und stützte die Hände auf die Knie auf der verzweifelten Suche nach Halt. Nicht... bitte nicht! Der Energiestrom verebbte, quälend langsam. Schwer richtete er sich wieder auf. Die Kette lag noch immer in seiner Hand, fest umklammerten seine Finger den kleinen Stein. Noch immer konnte er die Worte sehen, spürte sie, tief in sich. Er streckte seinen Geist aus, wollte nach ihnen greifen, zögerte aber doch. Lähmende Angst ergriff von ihm Besitz. Was, wenn diese Macht ihn erneut attackierte? Was, wenn er sie nicht mehr aufhalten konnte? Was, wenn er sie nicht mehr aufhalten wollte? Murtagh riss die Augen auf und starrte auf den Stein in seiner Hand hinab. Der Gedanke war seltsam fremd, doch einmal ausgesprochen ließ er sich nun nicht mehr fortwischen. Er verstand sich selbst nicht mehr. Die Lösung schien ganz nah, lag vor ihm. Worte, wundervolle Worte, die alle Qualen beenden könnten, wenn er es nur zuließ. Doch er zögerte. Zweifelte. Und stieß diese Möglichkeit mit aller Macht von sich. Und er sollte es tun. Er hatte keinerlei Garantie dafür, dass es wirklich funktionierte. Das Risiko war zu groß. Und der Preis könnte ein furchtbarer sein... Ist es nicht vielmehr so, dass du gar nicht willst, dass es funktioniert? Der Gedanke tat weh. Weil es die Wahrheit war. Die Wahrheit... Du bist schwach. Du kannst es nicht. Und du verdienst es nicht. Er hatte recht. Die Worte waren da, noch immer, direkt vor ihm. Doch sie verblassten, verschwammen vor seinen Augen als wären sie nichts weiter als ein ferner Traum, der sich immer weiter von ihm entfernte. Er wollte sie packen, sie zurückholen, doch sein Geist hatte alle Kraft verloren. Und es war ihm gleich. Es gab nichts, was er tun konnte, nichts, was ihm helfen könnte. Für dich gibt es keine Rettung. Ich werde dich überall finden und ich werde dich brechen, wieder und wieder. Und du weiß, dass du nichts dagegen tun kannst. Niemand kann das. Jetzt erkannte Murtagh die Stimme, die in seinen Gedanken sprach, so deutlich als stünde Galbatorix direkt vor ihm. Kraftlos sank er in sich zusammen. Der König hatte recht. Und ein Teil von ihm hatte es gewusst, von Anfang an. Es war absurd zu glauben, dass ein simpler Stein etwas an seinem Schicksal ändern könnte. Er hatte es versucht und er hatte versagt. Was blieb, war ein schales Gefühl, eine kalte Gewissheit. Er war schwach, so schwach. Seine klammen Finger schlossen sich um die Kette in seiner Hand. Alles was er tun konnte war warten. Warten auf den nächsten Angriff, warten auf den Schmerz, warten auf das Ende. Und die Worte in seinem Mund verwandelten sich in Asche, nutzlos, tot. Murtagh nahm den Stein und schleuderte ihn von sich. Mit einem leisen Platschen traf die Kette auf den schlammigen Boden und begann zu versinken. Verschwand in Wasser und Staub und nahm seine Hoffnungen mit sich. Er glaubte, noch immer den Schock über das Geschehene in Eragons Gesicht sehen zu können. Blut verklebte seine hellen Haare und trocknete auf seiner Stirn. Davon abgesehen war er beinahe unverletzt. Galbatorix vermochte es, seine Gegner zu töten, ohne sie auch nur zu berühren. Eragons blaue Klinge lag auf dem Boden, weit weg von ihm, unerreichbar. Er hatte keine Chance gehabt. Der König streckte beide Arme aus und packte den schlaffen Körper. Langsam hob er ihn hoch, als hätte er gar kein Gewicht. Eragons Kopf fiel haltlos nach hinten, seine Arme und Beine hingen hinab wie die Glieder einer Marionette. Ein zufriedenes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Königs, als er sich umwandte und mit Eragons leblosem Körper auf den Armen durch das gewaltige Tor nach draußen schritt... Murtagh hörte sich selbst schreien. Nein! Du kriegst ihn nicht! Doch niemand hörte ihn. Murtagh erwachte erneut, zusammengesunken an Thorns schuppigem Körper. Er versuchte, sich aufzurichten, doch sofort schien alles um ihn herum zu verschwimmen. Bleib liegen, sagte Thorn bestimmt. Es wird gleich vergehen. Der Drache bewegte sich vorsichtig, drehte sich ein wenig, und breitete einen seiner Flügel über seinem Reiter aus. Murtagh gehorchte stumm. Er war ohnehin zu geschwächt um zu widersprechen. Langsam ließ er sich wieder nach unten sinken und versuchte, seine verkrampften Glieder zu entspannen. Er atmete schwer, jeder Atemzug brannte wie Feuer in seinem Hals. Was ist mit dir? fragte er schwach. Er wusste, dass Thorn die gleichen Bilder wie er gesehen, die gleichen Schmerzen gespürt hatte. Der rote Drache schüttelte den Kopf. Mach dir um mich keine Sorgen, mir geht es gut. Murtagh hörte seine Antwort kaum noch. Erschöpft lehnte er den Kopf gegen Thorns Körper und schloss die Augen. Die Attacken hatten ihn völlig ausgelaugt. Mittlerweile fror er so heftig, dass seine Zähne zu klappern begonnen hatten. Er zog die Beine an den Körper und umfasste sie mit seinen zitternden Armen. Das letzte, woran er sich erinnerte, war das Geräusch von Regen auf Thorns Flügel und sein stummes Flehen um Gnade... ... dann löschte ein erneuter Angriff sein Bewusstsein endgültig aus. ~ Er rannte, auch wenn er wusste, dass er zu spät kommen würde. Eragon gab einen fast schon überraschten Laut von sich, als die schwarze Klinge ihn durchbohrte. Er senkte den Kopf und starrte verwirrt auf das nass glänzende Metall, das aus seiner Brust ragte. Er keuchte auf, als Galbatorix ihn mit einem Arm umschlang und die Klinge noch tiefer in seinen Leib trieb. Nein, nein, nein! Eragon drehte den Kopf und sah ihn an. In seinen blauen Augen lag Überraschung, Verwirrung. Und ein stummer Hass, der Murtaghs Seele wie Säure zu zerfressen schien. Hass auf ihn. Es ist deine Schuld. Deine Schuld! Du solltest derjenige sein, der stirbt! Das Bild änderte sich. Diesmal war er es, der Eragon in den Armen hielt, den leblosen Körper des Jungen an sich drückte. Jetzt waren es seine Finger, die sanft über Eragons Haut glitten. Noch immer schienen seine blauen Augen auf ihn gerichtet. Und noch immer sah er den stummen Vorwurf, die Enttäuschung, die Wut. Du solltest derjenige sein, der stirbt! Seine Tränen vermischten sich mit Eragons Blut, tropften auf den Boden. Eragon würde nie erfahren, dass er alles gegeben hätte, um ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Eisige Tropfen trafen sein Gesicht und rissen ihn aus seinen wirren Träumen. Mühsam richtete Murtagh sich auf und versuchte, sich daran zu erinnern wo er war und wie er hierhergekommen war. Wie lange war ich...begann er langsam. Ein paar Stunden, antwortete Thorn und schmiegte sich enger an ihn. Wie fühlst du dich? Murtagh hätte über diese Frage gelacht, hätte er die Energie dazu gehabt. Noch immer fühlte er sich so schwach, dass er glaubte, sich nie wieder aufrichten zu können. Wenigstens die Kälte hatte ein wenig nachgelassen. Seine Kleider waren klamm, aber nicht mehr völlig durchnässt. Thorn hatte mit seinen Flügeln den gröbsten Regen von ihm ferngehalten. Murtagh schloss die Augen und rollte sich an Thorns Seite zusammen. Er war müde, so müde. Wen kümmerte es schon, wenn er einfach hier liegen blieb? Einfach hier blieb und einschlief, alles hinter sich ließ, für immer. Es ist deine Schuld! Wen kümmerte es schon, was passierte? Galbatorix hatte ihm gezeigt, wie dieser Krieg enden würde und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Deine Schuld! Erneut sah er sich selbst, über Eragons leblosen Körper gebeugt. Seine blauen Augen blickten ihn an, doch diesmal lag keine Wut in ihnen, sondern nur unendliche Traurigkeit und die Frage nach dem Warum. Warum bist du nicht hier? Warum lässt du zu, dass das passiert? Warum rennst du davon? Warum, warum, warum... Warum... Er wusste keine Antwort auf die Fragen und ein Teil von ihm wollte sie auch nicht. Murtagh öffnete die Augen und starrte auf seine Hände hinab, ballte sie zu Fäusten und versuchte vergeblich, das Zittern zu vertreiben. War er tatsächlich so schwach geworden? Hatte er tatsächlich aufgegeben und hingenommen, dass Eragon seinetwegen starb? Nein... Murtagh riss die Augen auf und richtete sich mühsam auf. Nein! Thorn beobachtete ihn, als er sich langsam auf die Beine kämpfte. Das durfte nicht das Ende sein! Nicht so, nicht... Eragon. Was willst du jetzt tun? fragte der Drache vorsichtig. Murtagh sah ihn an. Als er endlich sprach, war seine Stimme kraftlos: „Ich kann nicht zulassen, dass das passiert. Ich muss ihm helfen.“ Thorn sagte nichts, als Murtagh seinen durchnässten Umhang vom Boden aufhob und ihn um seine Schultern legte. Murtagh war ihm dankbar dafür. Denn die Wahrheit war, dass er Angst hatte. Furchtbare Angst. Doch er wusste auch, was ihn erwarten würde, wenn es ihm jetzt nicht gelang, sich ein letztes Mal aufzurichten. Der stumme Hass in Eragons Augen würde ihn auf ewig verfolgen und er könnte sich das niemals verzeihen. Selbst wenn es bedeutete, dass er sein eigenes Leben für ihn opfern musste. Er bemerkte ein schwaches Glänzen am Boden. Das Amulett. Langsam ließ er sich auf ein Knie sinken und zog die Kette aus dem schlammigen Boden. Der Stein war wieder kalt, die Worte waren verschwunden. Murtagh richtete sich auf und band sich die Kette wieder um den Hals. Galbatorix würde versuchen ihn aufzuhalten. Seine Attacken würden fürchterlich sein. Vielleicht würden sie ihn sogar töten. Doch das war jetzt gleichgültig. Es gab nur noch eins, was zählte. Und er würde dafür kämpfen, was es auch kostete. Thorn schwieg, als Murtagh langsam auf seinen Rücken stieg und sich die nasse Kapuze über den Kopf zog. Mit wenigen kräftigen Flügelschlägen waren sie in der Luft und ließen die dunklen Felsen hinter sich. ~ Mit kraftvollen Flügelschlägen bewegte sich der rote Drache hoch über den sandigen Ebenen. Die Luft war trocken und klar und die Winde trugen seinen mächtigen Körper, als wäre er leicht wie eine Feder. Die Sonne schien hell durch die Wolken hindurch und wärmte seine Flügel. Das Unwetter war weitergezogen, die dunklen Wolkenberge entfernten sich von Stunde zu Stunde weiter von ihnen. Er hätte den Flug genossen, hätte er nicht die düsteren Gedanken seines Reiters gespürt. Seit seinem Anfall hatte Murtagh nicht mehr gesprochen und sich so tief in seinen Geist zurückgezogen, dass Thorn ihn kaum noch erreichen konnte. Er hatte seine Entscheidung getroffen, doch mit jeder Minute die verging, schienen seine Zweifel größer zu werden. Thorn hätte ihn gerne getröstet, ihm beigestanden in seinen stummen Kämpfen, doch er wusste, dass Murtagh ihn von sich stoßen würde. Diese Hilfslosigkeit tat weh. Thorn hatte so lange auf ihn gewartet, seinen Reiter, seinen Partner, sein Schicksal. Und er wollte bei ihm sein, für ihn kämpfen, ihn beschützen. Doch je mehr es es versuchte, desto heftiger stieß Murtagh ihn von sich. Er hatte es bereits gespürt, als Murtagh ihn das erste Mal berührt hatte, damals, vor so unendlich langer Zeit. Er konnte noch immer sein Gesicht sehen, eine bleiche Maske aus abgrundtiefer Fassungslosigkeit. Thorn wusste, dass es nicht an ihm lag, dennoch hatte es furchtbar wehgetan, ihn so zu sehen, den jungen Mann, mit dem er von nun an sein Leben teilen sollte. Murtagh hatte ihn angestarrt, einen Moment, eine Ewigkeit. Sein Körper hatte so heftig gezittert, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Seine Lippen bewegten sich, murmelten die gleichen Worte, immer wieder. „Nein...bitte, nein...“ Es hatte lange gedauert, bis Murtagh akzeptiert hatte, dass er ein Drachenreiter war. Dass sein Leben und das Thorns von nun an untrennbar miteinander verbunden war. In einer anderen Zeit hätte ihn dieses Schicksal vielleicht mit Freude erfüllt. Jetzt aber schien es wie eine Strafe, und auch wenn er es nicht wollte, spürte der Drache diese Tatsache doch jeden Tag aufs neue. Ihre Bindung war lange nicht so stark wie sie hätte sein können oder wie der Drache es sich gewünscht hätte und sie würde es vielleicht niemals sein. Thorn hatte es akzeptiert. So fremd sie sich auch waren, Murtagh war der Mensch, den er sich erwählt hatte und er würde alles für ihn opfern, wenn es ihm die Chance geben würde, Murtaghs Leiden zu beenden. Seine Gedanken wanderten zu dem Amulett, das der andere Reiter Murtagh gegeben hatte, in der Hoffnung, dass es ihn retten würde. Und auch Thorn hatte sich einige verzweifelte Augenblicke lang gewünscht, dass es Murtagh gelingen würde, den Zauber zu benutzen. Doch als sein Reiter die fremden Worte gesprochen hatte und seine Lebenskraft einer Flutwelle gleich aus ihm herausgeströmt war, waren seine leisen Hoffnungen von einer Angst vertrieben worden, wie Thorn sie noch nie zuvor empfunden hatte. Einen schrecklichen Moment lang hatte er gesehen, was der Zauber war, was er bewirken würde und was der Preis dafür war. Er hatte seinen Reiter gesehen, frei, aber zerstört für immer. Thorn stieß ein wildes Fauchen aus und beschleunigte seinen Flug. Nein, er würde nicht zulassen, dass das passierte! Irgendwann schlief der Reiter auf seinem Rücken ein. Der Drache flog weiter. Dem Kampf, dem Ende entgegen. ~ Es regnete. Seit Stunden schon, ohne Pause. Die Wolken hingen tief über dem Lager, so tief, dass Eragon fast damit rechnete, dass sie sich gänzlich hinabsenken und die Zelte einfach unter sich begraben würden. Er schaute unter seiner Kapuze hervor zum Himmel und seufzte. Der andauernde Regen und die unangenehme Kühle, die er mit sich brachte, nagten an ihm, machten ihn nervös und reizbar. Und es ging nicht nur ihm so. Das ganze Lager war von einem allgemeinem Unmut erfüllt. Die Soldaten waren müde und erschöpft, das schlechte Wetter forderte sie bis an die Schmerzgrenze. Und nicht einmal im Lager hatten sie Ruhe und Zeit, sich zu erholen. Viele Zelte waren unter dem Gewicht des Wassers in sich zusammengefallen und wurden hektisch geflickt. Ihre Rüstungen, Waffen und Schilde waren nass, vieles war nur noch schwer zu gebrauchen. In der vergangenen Nacht hatten sie außerdem eines ihrer Vorratszelte an Regen und Schlamm verloren und das bedeutete kleinere Rationen für alle und damit Hunger. Noch nahmen die Soldaten diese Einschränkungen hin. Aber wie lange noch? Eragon beobachtete die sinkende Stimmung unter den Männer besorgt. Lange würde es nicht mehr so ruhig bleiben. Irgendwann würde die Stimmung umschlagen und es würde zu unschönen Szenen kommen. Er hoffte von Herzen, dass sie das nicht würden erleben müssen. Vielleicht ist es ein Zeichen... murmelte er in Gedanken. Ein Zeichen? Für was? fragte Saphira. Sie drehte den Kopf und schaute ihn an. Dicke Tropfen liefen auf ihrer Haut entlang und brachten ihre Schuppen zum glänzen. Das Wasser störte sie nicht, worum Eragon sie beneidete. Er war erst wenige Minuten hier draußen bei ihr, trotzdem war seine Kleidung bereits jetzt klatschnass und klebte unangenehm an seiner Haut. Ich weiß nicht... vielleicht dafür, aufzugeben. Saphira ließ ein leises Knurren ertönen. Sag so etwas nicht. Ich will so etwas niemals von dir hören. Eragon vergrub sich tiefer in seinem Umhang, wohl wissend, dass auch der nichts gegen die kalte Nässe ausrichten konnte. Er seufzte tief. Natürlich meinte er das nicht ernst. Dennoch konnte er die düsteren Gedanken nicht aus seinem Kopf vertreiben. Der schwarze Himmel und der andauernde Regen erschienen ihm wie ein dunkles Omen für etwas weit schrecklicheres... Er wischte sich mit einem Ärmel das Wasser aus dem Gesicht und stand auf. Ich denke ich werde mit ein trockeneres Plätzchen suchen... murmelte er und musste wie zur Untermalung seiner Worte schniefen. Saphira lachte glucksend. Tu' das. Niemand will einen Drachenreiter mit Erkältung. Haha. machte Eragon und stieß sie scherzhaft an. Dann zog er sich die klamme Kapuze tiefer ins Gesicht und machte sich auf dem Weg zu seinem Zelt. Das kleine Zelt empfing ihn mit wohliger Wärme und dem wunderbaren Versprechen von trockener Kleidung und weichen Decken. Eragon zog sich den tropfnassen Umhang von den Schultern und schmiss ihn auf einen Hocker. Dann ließ er sich schwer auf sein schmales Bett sinken und versuchte, seine von der nassen Kälte verkrampften Glieder zu entspannen. Missmutig registrierte er, dass auch sein eigenes Zelt den Kampf gegen den unaufhörlichen Regen zu verlieren schien. An mehreren Stellen drangen Tropfen durch den Stoff, hier und da hatten sich sogar kleine Rinnsale gebildet. Er streckte eine Hand aus und berührte den vor Nässe dunkel gewordenen Stoff neben seinem Lager. Leise murmelte er ein paar Worte. Augenblicklich hörte das Tropfen auf. Zufrieden streifte er die nassen Stiefel von den Füßen, zog er die Knie an den Körper und umschlang sie mit seinen Armen. Noch immer prasselte der Regen unaufhörlich auf sein Zelt. Fast schien es, als hätten sich alle Mächte dort draußen gegen sie verschworen. Eragon ließ sich auf den Rücken sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Der Stoff über ihm war dunkel und schwer von Wasser. Sein Zauber konnte den kalten Regen zwar für eine Weile fernhalten, dennoch schien es, als würde sich die Dunkelheit auch über seine Gedanken legen. Gegen seinen Willen musste er wieder an Arya denken. Es hatte in den letzten Tagen kaum einen Moment gegeben, an dem er nicht an sie und ihre Worte gedacht hatte. Noch nie zuvor hatte sie so mit ihm gesprochen, so unverblümt ihre Gedanken über ihn zum Ausdruck gebracht. Schon beim bloßen Gedanken an ihre Worte spürte er wieder die eisige Kälte, die ihn in jenem Moment gelähmt hatte. Er drehte sich auf die Seite und starrte auf den aufgewühlten Boden neben seinem Lager. Das feuchte Gras war plattgedrückt und schlammig. Hatte sie womöglich recht gehabt? War er wirklich so dumm? Er hatte sie doch niemals verraten wollen, er wollte nur helfen! Er war doch auf ihrer Seite! Oder nicht? Eragon schloss die Augen und seufzte. Was er auch versuchte, am Ende schien er alles nur schlimmer zu machen. Doch durfte er deswegen aufgeben? Es muss doch einen Weg geben, irgendetwas was ich tun kann um ihnen zu helfen, ihnen allen! sagte er frustriert und rieb sich die Augen. Leider ist es nicht so einfach, Eragon. Dann gibst du ihr also recht? Betrachtest du mich auch als Verräter? Saphira schnaubte: Diese Frage würdige ich keiner Antwort, Kleiner. Du weißt, dass ich immer auf deiner Seite bin. Es tut mir leid... sagte Eragon zaghaft. Aber das alles hier ist so schrecklich... ... ausweglos. beendete Saphira seinen Gedanken. Sie zögerte plötzlich. Aber in einem Punkt hatte Arya möglicherweise recht. Wir hätten mit jemandem sprechen müssen. Eragon verfiel in brütendes Schweigen. Dieser ganze Krieg, dieses ganze Leben, erschien ihn wie ein Knoten, in dem er sich immer mehr und mehr verstrickte, ohne eine Möglichkeit, ihn jemals zu lösen. So oder so, sagte Saphira schließlich. Es war nicht gerecht von ihr, so mit dir zu reden. Und wenn es jemand anderes gewesen wäre, hätte ich ihn dafür... Sie schwieg und überließ das Ende ihres Satzes Eragons Interpretation. Der Reiter hätte gelächelt, wäre da nicht diese tiefe Verzweiflung gewesen. ~ Arya trat aus dem schmalen Gang zwischen zwei Zeltreihen heraus und fand sich vor der Anhöhe wieder, auf der Eragon sein kleines Zelt aufgebaut hatte. Sie hatte ihn bei Saphira erwartet, doch der starke Regen hatte selbst den jungen Reiter nach drinnen getrieben. Sie atmete tief durch und ordnete ihre Gedanken, bevor sie die Anhöhe hinaufstieg. Dieses Gespräch war überfällig. Ein Teil von ihr hätte es schon viel früher geführt, wären da nicht das leise Flüstern in ihrem Kopf gewesen, das ihr sagte, dass Eragon es verdient hatte, dass sie ihn im Ungewissen ließ. Irgendwann jedoch war ihr klar geworden, dass ihr Wunsch nach Bestrafung lächerlich war. Sie war wütend auf ihn, das stimmte. Wütender als je zuvor. Dennoch gab ihr diese Wut nicht das Recht, so mit ihm zu sprechen. Sie hatte die Beherrschung verloren, vor ihm, vor Saphira, und, was am schlimmsten war, vor sich selbst. Eine Reaktion, die sie selbst überrascht hatte. Und die ihr leidtat, auch wenn das nichts an ihrem Zorn über Eragons unüberlegtes Verhalten änderte. Sie erreichte das kleine Zelt und straffte sich. „Eragon? Darf ich eintreten?“ Sie hörte einen überraschten Laut von drinnen, gefolgt von einem Rascheln, bevor Eragon sie hereinbat. Der Junge sah müde und abgekämpft aus. Seine Haare waren zerwühlt, seine Kleidung unordentlich. Sie empfand einen Anflug von Mitleid, drängte das Gefühl aber zurück. Sie sah sich in seinem Zelt um. Hier war es überraschend trocken. Scheinbar hatte der junge Reiter einen Zauber benutzt, um den Regen von sich fernzuhalten. Sie lächelte leicht. „Darf ich offen sprechen?“ begann sie höflich. Eragon nickte nur. „Ich bin gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen.“ Eragons blaue Augen weiteten sich. Offenbar hatte er nicht mit einer Entschuldigung gerechnet. „Ich nehme meine Worte nicht zurück. Aber ich weiß, dass es nicht richtig war, so mit dir zu reden. Du bist ein Drachenreiter und hast einen dieser Position angemessenen Respekt verdient. Das schließt auch mich mit ein. Aus diesem Grund bitte ich dich um Verzeihung.“ Eragon schüttelte verwirrt den Kopf und erhob sich schließlich. „Nein. Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss. Ich... ich habe nicht nachgedacht,“ Einmal freigesetzt, sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. „Ich wollte Murtagh nur helfen. Ich... ich ertrage es einfach nicht, ihn so zu sehen. Niemand, nicht einmal er, hat dieses Schicksal verdient.“ Er stockte, eher er deutlich leiser fortfuhr. „Und ich bin zum Teil mit schuld an dem, was er durchleiden muss. Ich habe ihm nicht beigestanden, als er mich gebraucht hat. Ich bin ihm etwas schuldig. Es ist meine Pflicht, als Drachenreiter und als Mensch.“ Arya schwieg überrascht. Sie hatte nicht gewusst, dass er sich wegen Murtagh so schuldig fühlte. Er hatte diese Gefühle sorgsam verborgen, war sich möglicherweise nicht einmal selbst darüber im Klaren gewesen. Aufmerksam betrachtete sie den jungen Mann vor sich. In seine Augen hatte sich eine Traurigkeit geschlichen, die sie nicht von ihm kannte. Nein, was Eragon belastete war mehr als Schuld. Seine Gefühle für den anderen gingen weit tiefer als das. Und wahrscheinlich tiefer als er selbst es wusste... Der Gedanke hinterließ einen bitteren Geschmack in ihrem Mund. „Und vielleicht...“ begann er wieder und sah auf. „Vielleicht ist es noch nicht zu spät.“ Sein trauriges Lächeln berührte Arya. „Eragon...“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, du brauchst nichts zu sagen. Ich... ich weiß, dass du recht hast. Und es tut mir leid, dass ich euch so enttäuscht habe.“ Die Traurigkeit verschwand und an ihre Stelle trat die wilde Entschlossenheit, welche die Elfe gleichzeitig bewunderte und verabscheute, brachte sich Eragon doch ihretwegen ständig in Gefahr. „Dennoch werde ich mich nicht für meine Entscheidung entschuldigen. Ich werde weiter kämpfen. Denn wenn ich es nicht tue, werde ich am Ende wie einer von ihnen.“ Seine Worte trafen sie hart, aber sie konnte dennoch nicht verhindern, ihn zu bewundern. Er verfügte über eine große Macht und eine noch größere Verantwortung, doch nichts vermochte seinen Charakter zu verändern. „Ich verstehe.“ sagte sie verspätet und konnte die Erleichterung in Eragons Gesicht sehen. Offenbar hatte er nur darauf gewartet, ihr diese Dinge sagen zu können. „Ich werde dich jetzt allein lassen,“ fuhr sie fort. „Du solltest dich etwas ausruhen.“ Sie wandte sich um und ging Richtung Eingang, als Eragon sie noch einmal zurückhielt. „Arya.“ Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. „Ich danke dir dafür, dass... du hergekommen bist,“ sagte er leise. „Ich ertrage den Gedanken nicht, mit dir zu streiten.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln und verließ das Zelt. ~ Am Morgen darauf brachen sie wieder auf, auch wenn der Regen nur wenig nachgelassen hatte und der Boden einem schlammigen Moor glich. Nasuada, Orrin und die anderen Anführer ihres Heeres hatten sich bis tief in die Nacht beraten und waren zu dem Entschluss gekommen, dass sie ihren Angriff trotz des anhaltenden Regens fortsetzen würden. Schließlich, so sagte sie, würden Galbatorix' Soldaten mit denselben Problemen zu kämpfen haben. Und vielleicht würde sich gar eine Möglichkeit finden, die Umstände zu ihrem Vorteil zu nutzen. Sie waren schon einige Stunden unterwegs. Eragon schätzte, dass es bereits Mittag war, auch wenn sich das in der grauen Dunkelheit kaum mit Gewissheit sagen ließ. Auf dem völlig aufgeweichten Boden kamen sie nur quälend langsam voran und ihr Heer schien mit jedem Schritt unruhiger zu werden. Der Beginn der finalen Schlacht stand unmittelbar bevor. Die Truppen aus Gil'ead waren ganz in ihrer Nähe, würden aber bald nach Norden schwenken und die Hauptstadt von der anderen Seite aus angreifen. Gemeinsam würden sie versuchen, die feindlichen Krieger in die Wüste zu treiben. Anschließend, so ihre gemeinsame Hoffnung, würde die Stadt ihrem kollektiven Angriff nichts mehr entgegenzusetzen haben. Der Plan schien erfolgversprechend, doch Eragon bezweifelte, dass diese klassischen Angriffsmuster den König beeindrucken würden. In der Vergangenheit hatte er mehr als einmal bewiesen, dass er zu furchtbaren Dingen fähig war. Sie konnten nur erahnen, was er ihnen entgegenschicken würde, wenn sie ihn tatsächlich direkt angriffen. Und wir stapfen durch den Schlamm... sagte Eragon düster. Ja, aber das tun sie auch. bemerkte Saphira. Nasuada hatte ihm wieder gestattet, mit ihr zu fliegen. Jetzt, wo der Angriff unmittelbar bevorstand, mussten Reiter und Drache jederzeit kampfbereit sein. Eragon schaute auf ihren Hinterkopf und seufzte tief. Er wollte ihren Worten glauben, doch er konnte es nicht. Zu präsent waren die Gedanken an schreckliche Kämpfe gegen schier übermächtige Gegner. Gegner, die selbst den Tod besiegt haben zu schienen. Ich hoffe, dass du recht hast... Eragon schaute nach oben. Das Gewitter hatte sich noch immer nicht vollkommen verzogen. Gigantische Wolkenberge verhüllten noch immer den Himmel, türmten sich über ihnen auf, vor ihnen. Es roch nach Regen und Rauch... Eragon stockte und starrte auf die riesige dunkelgraue Wolke vor ihnen. „Das ist...“ begann er atemlos. ... keine Wolke. beendete Saphira seinen Satz. Eragon fuhr zusammen und zog reflexartig seine Waffe. Wie hatten sie so dumm sein können?! Das, was in all dem Regen wie eine weitere tief hängende Wolke ausgesehen hatte, entpuppte sich als gigantische Rauchwolke. Die Flammen, die diesen Rauch erzeugten, mussten riesig sein! Sie wollen uns die Sicht nehmen. bemerkte Saphira kühl. Eragon gab ihr recht, doch er bezweifelte, dass dies der einzige Grund für die Feuer war. Saphira ließ sich nach unten sinken und brachte sie unter die Wolke. Eragon bediente sich ihrer Drachenaugen und sah sich um. In der Ferne tauchten Hügel auf, hellgrau und noch kaum zu sehen. Sie hatten die Hauptstadt fast erreicht. Dann sah er etwas anderes. Feuer. Riesige Feuer, die in langen Reihen brannten und eine Linie aus tödlichen Flammen erzeugten. Verdammt... fluchte er und drehte sich nach hinten. Ihre Truppen waren einige Meilen hinter ihnen, aber auch sie würden die Flammen bald bemerken. Was willst du tun? fragte Saphira knurrend. Eragon drehte sich wieder nach vorne. Seine Gedanken überschlugen sich. Die Feuer standen nicht so dicht beieinander, dass sie sie nicht überwinden konnten. Dennoch stellten sie ein Hindernis da und konnten ihren Angriff entscheidend schwächen. Sie wollen uns zwingen, unser Heer aufzuteilen und uns dadurch zu schwächen. Kleinere Gruppen sind schwächere Gegner als große. Saphira nickte zustimmend. Das dürfen wir nicht zulassen, fuhr Eragon fort. Wir müssen die Feuer löschen. Saphira stieß ein kurzes Brüllen aus. Arya und die Magier sind dazu möglicherweise in der Lage. Es wird sie schwächen, aber wir dürfen nicht riskieren, dass Galbatorix uns derart in die Enge treiben. Eragons Augen verengten sich zu glühenden Schlitzen. Wir müssen herausfinden, was genau uns erwartet. Seine Gedanken verschmolzen mit Saphiras und die Drachendame zögerte keinen Moment. Mit wenigen Flügelschlägen stieg sie wieder nach oben und versank in der Rauchwolke. Schon nach wenigen Augenblicken konnte Eragon nichts mehr sehen und musste die Augen schließen. Saphira flog unermüdlich weiter. Der Rauch wurde dichter und dichter. Eragon konnte ihn auf seiner Zunge schmecken und hustete. Irgendwann durchbrachen sie die Rauchwolke erneut und sahen unter sich das Schlachtfeld. Und Eragon erstarrte. ~ Noch nie zuvor hatte er so viele Soldaten gesehen. Es mussten zehntausende sein, wenn nicht noch mehr. Sie hatten hinter den riesigen Feuern Aufstellung genommen, bereit, den Feind zu empfangen. Eragon erblickte gewaltige Gruppen von Reitern auf muskulösen Pferden, riesige hölzerne Verteidigungsanlagen, von denen ihm nicht wenige völlig unbekannt waren, und mehr Krieger als er je zuvor gesehen hatte. Die tobenden Flammen wurden von unzähligen Rüstungen und Waffen reflektiert, tauchten Pfeile, Klingen und Schilde in grelles Licht und ließen die Männer wie Dämonen erscheinen, die jeden verschlingen würden, der sich in ihre Nähe begab. Der Anblick war so faszinierend und furchtbar zugleich, dass Eragon einen absurden Moment lang glaubte, dass es nur einer seiner Träume war. Doch der Geruch nach Kriegern, Tieren, Feuer... der Gestank des Krieges, machte ihm klar, dass es grauenvolle Realität war. Eragon riss seinen Blick mühsam von den Reihen der Soldaten los und ließ ihn weiter über die Ebenen wandern. Das Heer des Tyrannen zog sich meilenweit dahin. In der Ferne konnte er die Stadt erkennen. Wie ein von Menschen geschaffener Berg ragte sie über den sandigen Ebenen auf. Unzählige Häuser aus hellem Sandstein reflektierten das Sonnenlicht und verliehen der Stadt einen beinahe goldenen Schein. Der Palast, ein riesiger Bau, der sich in mehreren Ebenen über der Stadt türmte, bot einen nicht weniger beeindruckenden Anblick. Jede Ebene war von einer eigenen, riesigen Mauer umgeben und zahlreiche Türme ließen erahnen, wie gut bewacht Galbatorix' Herrschaftssitz war. Eragons Hoffnung schwand. Auch wenn er die Stadt bereits sehen konnte, schien sie doch unendlich weit weg zu sein. Ihre eigenen Heere erschienen ihm plötzlich winzig und hilflos, die Übermacht des Feindes dagegen gewaltig. Und selbst wenn sie es in die Stadt schafften, der Palast schien uneinnehmbar. Saphira meldete sich mit einem leisen Fauchen in seinen Gedanken. Sie haben uns entdeckt. Wir sollten umkehren. Eragon stieß einen leisen Fluch aus. Er war so in seine Beobachtungen vertieft gewesen, dass er keinen Gedanken daran verschwendet hatte, dass man sie entdecken könnte. Saphira drehte sich in der Luft und flog zurück. Eragon wandte sich noch einmal um und starrte zurück in Richtung der Stadt, die langsam wieder hinter dunklen Rauchwolken verschwand. Nein, er hatte keine Ahnung, wie sie diesen Krieg gewinnen sollten... ~ Sie flogen schnell und Eragon konnte schon bald die Reihen ihrer eigenen Soldaten unter sich erkennen. Er hatte die Zeit des Rückfluges genutzt, um den Magiern der Varden und der Elfen von seinen Beobachtungen zu berichten. Grimmig hatten sie ihm zugehört. Seine Berichte deckten sich mit denen ihrer eigenen Beobachter und Spione. Scheinbar hatte Galbatorix seine Soldaten dazu angehalten, auf ihren Angriff zu warten, aber sie wussten, dass diese Informationen trügerisch sein konnten. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, was im Kopf des Tyrannen vor sich ging. Saphira suchte tief in ihren eigenen Reihen nach einem geeigneten Landeplatz und ließ sich zu Boden sinken. Eragon stieg nur widerwillig von ihrem Rücken. Er wollte dabei sein, wenn sie ihren ersten Angriff starteten! Doch Nasuada hatte ihm mehr als deutlich gemacht, was sie von ihm erwartete. Auch wenn ihre Befehle ihm immer absurder erschienen. Während alle anderen sich in den Kampf stürzten, sollte er hier hinten sitzen bleiben und darauf warten, dass er eine Gelegenheit bekam, im Palast nach der Quelle von Galbatorix' Macht zu suchen? Was, wenn er Gelegenheit niemals bekam? Was, wenn er nichts fand? Ich verstehe nicht was das soll. Ich sollte da vorne sein und kämpfen... versuchte er seinem Ärger Luft zu machen. Saphira schnaubte. Du weißt, dass es mir genauso geht. Aber sie haben Recht, deine Aufgabe ist eine andere. Aber vielleicht schaffen sie es nicht ohne uns. sagte Eragon lahm. Sie sind stärker, als du denkst. sagte Saphira und richtete sich wieder auf. Du solltest mehr Vertrauen in sie setzen. Und wenn wie uns wirklich brauchen, können wir ihnen immer noch helfen. Eragon nickte widerwillig und lehnte sich mit verschränkten Armen an ihren Körper. Er gab sich keine Mühe, seine schlechte Laune zu verbergen. Im Lager herrschte hektisches Treiben. Jetzt, da der Angriff kurz bevorstand, war die Anspannung unter den Kämpfern beinahe fühlbar. Wann werden sie wohl losziehen? fragte er. Saphira drehte den Kopf und sah ihn an. Lange wird es sicher nicht mehr dauern. Sobald sie einen Weg gefunden haben, die Feuer zu umgehen. Eragon ließ sich an ihrem Rücken entlang zu Boden sinken. Die Untätigkeit machte ihn halb wahnsinnig! Er hatte sie gesehen, die gigantische Streitmacht des Königs! Er hatte ihre furchtbaren Waffen gesehen und er ahnte, dass die über weitere schreckliche Fähigkeiten verfügten, magische Fähigkeiten, denen normale Menschen nichts entgegenzusetzen hatten! Und sie hatten... Eragon stockte. Er war nicht da. Er sprang auf die Füße, trat um Saphira herum und sah ihr direkt in die Augen. Die Drachendame musterte ihn und schüttelte dann den Kopf. Ich weiß, was du denkst und die Antwort ist Nein. Saphira, begann Eragon aufgeregt. Wir müssen es tun! Murtagh und Thorn waren nicht dort! Das muss etwas zu bedeuten haben und wir müssen herausfinden, was! Saphira senkte den Kopf und funkelte ihn an. Er ist verschwunden, das ist alles was wir wissen. Und wir sollten froh darüber sein. Aber vielleicht ist es nicht wahr! Vielleicht versteckt er sich da draußen! Und wenn es so ist, müssen wir ihn finden! Saphira stieß fauchend eine kleine Rauchwolke aus. Dann richtete sie sich auf und ließ den Reiter auf ihren Rücken klettern. Irgendwann fress' ich dich auf, ich schwöre es... Sie stiegen in die Luft, höher und höher. Der Wind trieb die Rauchwolken noch immer in ihre Richtung und versperrte ihnen die Sicht. Saphira nutzte sie als Deckung und hoffte, dass diese sie vor neugierigen Blicken verbargen, auch wenn diese Taktik bedeutete, dass sie selbst nicht sehen konnten was am Boden vor sich ging. Bald hatten sie die Spitze ihres Heeres erreicht und tauchten aus den Wolken hervor. Eragon hatte das Gefühl, alle Luft würde aus seinen Lungen gepresst. Die Schlacht hatte begonnen. ~ Die Heere bewegten sich unaufhaltsam aufeinander zu und kollidierten unter schrecklichem Krachen und Kreischen. Schwerter trafen auf Schwerter, Pfeile auf eiserne Schilde und bereits jetzt war der Boden von reglosen Körpern bedeckt. Die noch immer hoch lodernden Feuer taten ihr übriges und verbrannten immer wieder hilflose Krieger zu Asche. Der Lärm der Schlacht war so gewaltig, dass Eragon die Schreie der unzähligen Männer selbst hier oben, auf dem Rücken von Saphira, hören konnte. Doch als noch schlimmer als dieser grauenhafte Klang der tobenden Kämpfe unter sich empfand er den Anblick der grausamen Schlacht, die sich da unter ihm abspielte. Die Männer gingen erbarmungslos aufeinander los, verstümmelten und töteten ohne einen Moment des Zögerns, grausam, unmenschlich. Ein Teil von ihm konnte den schrecklichen Anblick kaum ertragen und wäre am liebsten auf der Stelle mit Saphira davongeflogen. Doch ein anderer, und zum Glück stärkerer Teil von ihm wusste, dass er es ertragen musste. Und dass er ein Teil des Geschehens war, unwiderruflich. Langsam riss er den Blick von den Kämpfen am Boden los und suchte den Himmel ab. Saphira lieh ihm ihre Augen und sorgte so dafür, dass er mit geschärftem Blick beinahe bis zum Horizont sehen konnte. Eine dunkle Masse bewegte sich dort, langsam, wie ein Welle schlammigen Wassers. Und sie kam auf sie zu. Soldaten. Noch mehr Soldaten. Was meinst du, wieviele sind es? fragte er Saphira in Gedanken. Der Drache legte den Kopf schief. Ich kann es nicht genau sagen. Es sind viele. Einige zehntausend, möglicherweise noch mehr. Sie verbergen sich zwischen den Hügeln. Wir sollten Nasuada davon berichten. sagte Eragon dann und Saphira begann sofort mit dem Sinkflug. Sobald Eragon in Reichweite eines der Elfenmagier war, welche die Soldaten begleiteten, teilte er einem von ihnen mit was er gesehen hatte. Ich denke, sie werden noch etwa einen halben Tag brauchen bis sie hier sind. Vielleicht auch weniger. schloss er seine Beschreibung. Der angesprochene Magier nickte ihm kurz zu, dann drehte er sich um und verschwand zwischen den Soldaten. Eragon wollte gerade wieder zurück zu seinem Beobachtungsposten fliegen, als gequälte Schreie ganz in der Nähe seine Aufmerksamkeit erregte. Sofort ließ er seinen Blick suchend über die unzähligen Leiber unter sich schweifen und entdeckte bald den Ursprung der Schreie. Einige Soldaten der Varden waren eingekreist worden. Von drei Seiten drängten die feindlichen Krieger gegen sie, in ihrem Rücken loderte eines der gewaltigen Feuer. Sie saßen in der Falle. Eragons Augen verengten sich zu Schlitzen. Wir müssen ihnen helfen. sandte er an Saphira. Der Drache schüttelte den Kopf. Nein. Erinner dich daran was Nasuada zu uns gesagt hat. Du bist zu wertvoll um deine Kräfte in solchen kleinen Kämpfen zu vergeuden. Denk daran was uns erwartet. Wie zur Bestätigung ihrer Worte hörte Eragon ein vertrautes Surren in der Luft. Er beugte sich zur Seite und sah, dass einige der feindlichen Bogenschützen in ihre Richtung zielten und auf sie schossen. Eragon und Saphira waren immer noch viel zu weit oben um ernsthaft in Gefahr zu sein getroffen zu werden, doch das hielt ihre Feinde nicht davon ab, es weiter zu versuchen. Und ihnen klar zu machen, was sie erwartete wenn sie sich weiter nach unten wagen sollten. Siehst du was ich meine? meinte Saphira und stieg noch ein wenig höher. Doch Eragon hörte ihr kaum zu. Mit Grauen beobachtete er, wie die feindlichen Soldaten den Kreis immer enger zogen und immer mehr ihrer Leute fielen. Bitte... sagte er eindringlicher. Bitte flieg runter. Wir können nicht zulassen, dass sie das tun! Wir sind im Krieg, Eragon. Das gehört dazu! versuchte Saphira erneut, ihn zu überzeugen. Bitte! Saphira wartete noch einen quälend langen Moment, dann ließ sich tatsächlich hinabsinken. Na gut, mein Kleiner. Für dich. Einen Angriff. Eragon nickte heftig und zog den Bogen von seinem Rücken. Ich bin bereit. Saphira flog einen weiten Bogen und raste schließlich so tief über das Schlachtfeld hinweg, dass Eragon die Pfeile sehen konnte, die dicht an ihnen vorbeiflogen. Saphira flog jedoch so schnell, dass die Feinde sie kaum zu treffen vermochten. Nur wenige Male war Eragon gezwungen, Geschosse mithilfe seiner Magie abzuwehren. Schließlich fiel Eragons Blick auf ihr eigentliches Ziel. Von den Kriegern ihrer Truppen standen nur noch ein knappes Dutzend und auch wenn sie sich nach Kräften wehrten und einige ihrer Feinde getötet hatten, sah es nicht gut für sie aus. Die Ankunft des saphirblauen Drachen unterbrach den schrecklichen Kampf. Die feindlichen Krieger wirbelten herum und versuchten, den Drachen zu attackieren, doch Saphira konnte ihnen ausweichen. Eragon hatte gehofft, dass ihr Angriff ihren Feinden soviel Angst einflößen würde, dass sie die Flucht ergreifen würden, doch die Männer blieben wo sie waren, bereit zum Kampf. Saphira flog einen schnellen Bogen und griff die Männer nun direkt an. Die Flammenstürme, die sie ausstieß, waren nicht weniger gewaltig als die Flammen des Feuers in ihrem Rücken. Eragon brüllte triumphierend, doch als die Drachenflammen erstarben, verschwand seine Freude so schnell wie sie gekommen war. Saphiras Angriff hatte einige der feindlichen Kämpfer von den Füßen gerissen, doch nicht wenige standen noch immer, ihre Rüstungen zerfetzt, ihre Körper blutig. Eragon starrte fassungslos auf sie herab. Sie müssten tot sein. Wieso stehen sie noch?! Er wusste genau, wie die Antwort auf diese Frage lautete und sie machte ihm Angst. Wir müssen uns etwas einfallen lassen! rief er in Gedanken und zog seinen Bogen vom Rücken. Mit geübten Bewegungen legte er einen Pfeil auf die Sehne und zielte in Richtung des gewaltigen Feuers. Wenn es ihm gelang, die Flammen hinter ihren eigenen Soldaten zu löschen, würde ihnen das die Flucht ermöglichen. Saphira stieß ein Brüllen aus als sie spürte, was ihr Reiter vorhatte. Doch sie konnte ihn nicht mehr aufhalten. Eragon zielte und murmelte ein paar magische Worte. Dann ließ er den Pfeil los. Das Geschoss raste auf das Feuer zu und verschwand in den Flammen. Eragons Hände sanken kraftlos nach unten, als der Zauber seinen Tribut von ihm forderte. Schlagartig schien es kühler zu werden. Die Flammen loderten noch immer, doch ihre Farbe veränderte sich von einem leuchtenden Orange zu einem hellen Blau. Die Soldaten schienen die Veränderung zu bemerken und reagierten sofort. Sie begannen zu rennen, bevor die feindlichen Krieger verstanden hatten was passiert war. Wir haben... es geschafft! keuchte Eragon erschöpft und band sich den Bogen mit zitternden Händen wieder auf den Rücken. Ja, aber das war sehr dumm von dir! knurrte Saphira beunruhigt. Erneut surrte ein Schwall von Pfeilen auf sie zu und wurde von der Magie des Drachenreiters abgewehrt. Ihres eigentlichen Angriffsziels beraubt, hatten die feindlichen Soldaten scheinbar beschlossen, nun den Drachen und seinen Reiter zu attackieren. Saphira stieg mit kräftigen Flügelschlägen nach oben, um den Geschossen zu entgehen. Wie kannst du einen solchen Zauber durchführen, ohne mich vorher zu warnen?! keifte sie weiter. Eragon ignorierte sie. Sein Blick war noch immer auf den Boden geheftet. Überall gab es blutige Gefechte und immer wieder waren es ihre eigenen Soldaten, die in Bedrängnis gerieten. Saphira, wir müssen... Nein, Eragon! Er hob endlich den Kopf und sah sie an. Du weißt, dass ich nichts lieber tun würde, als diese schrecklichen Menschen zu zerreißen, doch wir dürfen es nicht! Du hast gesehen wozu sie fähig sind! Eragon wollte protestieren, doch ihr hilfloser Tonfall brachte ihn zum Schweigen. Er presste die Augen zusammen und atmete tief aus. Das hier war der Krieg, auf den er in den letzten Jahren vorbereitet worden war. Und er hatte ihn herbeigesehnt, immer wieder. Jetzt wollte er nur noch fort von hier. Schreie, Schmerzen, blutgetränkte Erde, Tod. Das alles war so falsch. Und er war mit schuld daran. ~ Der rote Drache verlangsamte seinen Flug und betrachtete die dahinziehenden Ebene unter sich. Er erkannte sie wieder. Sie kamen der Hauptstadt immer näher. Und mit jeder Meile wuchs sein ungutes Gefühl. Auch wenn Thorn sich Murtagh gegenüber nichts anmerken ließ, es kostete ihn beinahe seine ganze Beherrschung, die Entscheidung seines Reiters zu akzeptieren. Ein Teil von ihm wäre am liebsten sofort umgedreht und davongeflogen, über Ebenen, Wälder, Meere, weg, nur weg. Vielleicht gab es irgendwo auf dieser großen Welt einen Ort, an dem der König sie nicht finden konnte, an dem sie sicher waren! Murtagh schlief noch immer, erholte sich langsam von den furchtbaren Angriffen auf seinen Geist. Er hätte es nicht einmal gemerkt, hätte der Drache die Richtung geändert. Doch er wusste, Murtagh würde ihm niemals verzeihen. Thorn stieß ein Knurren aus. Auch wenn er Murtaghs Gefühle teilte, sie spürte als wären es seine eigenen, verstand er doch nur einen Bruchteil von dem was der Reiter empfand. Alles schien sich um den Jungen zu drehen, den anderen Reiter, Eragon. Jeder Gedanke, jede Emotion, jede Faser von Murtaghs Körper schien von ihm erfüllt, auf eine Weise, die zu tief war um sie in Worte fassen zu können. Diese Gefühle sollten wundervoll sein, waren sie doch das, was die Menschen sich von allem am meisten zu wünschen schienen, was sie glücklich machte. Doch das hier war anders. Und es war nicht alleine das Wissen, dass Murtagh und der andere Reiter zu Feinden geworden waren. Nein, diese Gefühle für ihn lösten eine Verzweiflung aus, die unendlich tiefer ging. Sie waren vom selben Blut und das machte diese Gefühle verboten. Murtagh wusste das, mit einer Gewissheit, die ihn beinahe wahnsinnig machte. Dennoch konnte er den Jungen nicht aus seinem Verstand verbannen. Er hatte es versucht, so viele Male, bis seine Seele blutig war und seine Träume ihm Angst machten. Doch nichts hatte sich geändert. Thorn brummte leise. Er verstand es nicht. Wieso konnten diese Gefühle, die für so viele Menschen so wunderbar waren, gleichzeitig so schrecklich sein? Wieso war Murtagh dazu gezwungen, es wieder und wieder zu fühlen, jeden Tag, und daran zu verzweifeln? Wieso suchten sie ihn in seinen Träumen heim, Träumen, die wunderschön waren, bis er am Morgen erwachte? Und wieso war Thorn dazu verflucht, Murtagh an diesen Gefühlen zerbrechen zu sehen, ohne etwas dagegen tun zu können...? Thorn warf einen kurzen Blick über seine Schulter und betrachtete seinen Reiter. Er bewegte sich im Schlaf, die Augen hinter seinen geschlossenen Lidern zuckten hin und her. Thorn konnte sich denken was er sah, auch wenn der Reiter seinen Geist verbarg. Nein, er konnte ihm nicht helfen. Murtaghs Herz gehörte dem blonden Jungen mit den stechend blauen Augen, unwiderruflich. Selbst wenn es Murtagh dazu zwang, für ihn zu kämpfen, für ihn zu sterben. Und Thorn hasste Eragon dafür, hasste ihn für die Gefühle, die er in Murtagh auslöste, für die Qualen, die sie stets begleiteten. Hasste ihn dafür, dass er nichts verstand, gar nichts. Und die Wunde in Murtaghs Innerem weiter aufriss, unbarmherzig, grausam. Murtagh würde alles für ihn aufgeben. Für den Jungen, den er liebte und den er dafür hasste. Und der andere Reiter würde nie davon erfahren. ~ Eragon starrte auf die grauen Schatten des gewaltigen Stadtberges vor sich und betrachtete die dunklen Massen der Krieger, die sich gleich Flutwellen aus der Stadt ergossen. Aus der Ferne sahen sie aus wie Farbtupfer auf einem trüben Teich, die sich ausbreiteten und zusammenzogen und dabei immer wieder neue Muster bildeten. Er hatte es längst aufgegeben, sie zählen zu wollen oder auch nur zu schätzen wie viele es waren. Es war im ein völliges Rätsel woher Galbatorix diese gewaltige Armee hatte. Er hatte nicht einmal gewusst, dass es so viele Menschen gab! Sie waren der Stadt näher gekommen, langsam, aber stetig. Ihre Gegner waren stark, doch der schiere Kampfeswillen ihrer eigenen Truppen schien sie langsam aber sicher zurückdrängen zu können. Bis jetzt. Wenn diese neuen Truppen die Plätze der gefallenen Soldaten einnehmen würden, würde sich das Blatt möglicherweise wenden. Eragon widerstand der Versuchung, einen Blick auf das Schlachtfeld zu werfen. Irgendwann in den letzten Stunden hatte er es tatsächlich geschafft, sich von den Kämpfen am Boden zu lösen und sich in sein Schicksal ergeben. Doch er konnte sie immer noch hören, die unzähligen Schreie, sowohl von ihren eigenen Kriegern als auch denen ihrer Feinde. Es waren schreckliche Schreie, Schreie des Schmerzes, Schreie des Todes. Doch er blendete sie aus und drängte die Schuldgefühle, die das bei ihm auslöste, mit aller Macht zur Seite. Trotzdem fühlte er sich wie ein Verräter, dass er sich hier oben verbarg und zuließ, dass ihre Krieger unter den Schwertern und Pfeilen der Feinde fielen... Gräme dich nicht, Eragon. Unsere Zeit wird kommen. versuchte Saphira, ihn zu besänftigen. „Ich weiß.“ antwortete er tonlos, auch wenn er seine eigenen Worte kaum noch wahrnahm. Er schüttelte den Kopf und versuchte, seine Gedanken auf das zu fokussieren, was vor ihnen lag. Die Schlacht dauerte nun schon mehr als einen Tag. Und bisher kamen sie besser voran, als sie es gehofft hatten. Die Stadt schien nun tatsächlich erreichbar! Dennoch hatten sie noch immer einen langen Weg vor sich. Die Stadt war von mehreren breiten Verteidigungsringen umgeben. Die gewaltigen Feuer waren nur der erste von ihnen gewesen. Eragon gestattete sich etwas Zuversicht, doch er ahnte, dass es ein Fehler sein konnte, sich bereits jetzt in Sicherheit zu wiegen. Der König selbst hatte sich noch immer nicht gezeigt. Eragon runzelte die Stirn. Das konnte alles und nichts bedeuten. Vielleicht verbarg sich der Tyrann. Vielleicht fürchtete er sie tatsächlich. Oder er betrachtete ihren Angriff nicht als ernsthafte Gefahr. Der Gedanke tat weh, doch Eragon spürte, dass er mehr Wahrheit enthielt als ihm lieb war. Noch immer hatte er keine Vorstellung davon, was ihn jenseits der Mauern der Hauptstadt erwartete. Über welche Macht der König und sein Drache tatsächlich verfügten. Die Elfen waren sich ihrer Sache sicher. Gemeinsam würden sie, die Magier und Eragon als Reiter über genug Kraft verfügen um ihn zu besiegen. Sie würden ihm seine Geheimnisse entreißen und sie zu ihrem Vorteil nutzen. Sie würden ihm die Eldunarí stehlen und ihm so die Quelle seiner unvorstellbaren Macht entziehen. Sie würden erst aufgeben, wenn Galbatorix tot zu ihren Füßen lag... Zumindest sagten sie das. Doch Eragon erkannte langsam, dass sie diese Zuversicht wohl vor allem dazu nutzten, sich selbst Mut zuzusprechen. Wenn Galbatorix nur annähernd der war, für den Eragon ihn hielt, dann war jeder Angriff von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Er ballte die Hände zu Fäusten und fluchte lautlos. So oder so, zum Aufgeben war es längst zu spät. Sie mussten weitermachen. Weitermachen, bis einer von ihnen starb. Eragon war so auf seine düsteren Gedanken konzentriert, dass er das Brüllen in der Ferne erst hörte, als Saphira ihrerseits ein lautes Gebrüll ausstieß und so schnell losflog, dass der Reiter fast von ihrem Rücken gestürzt wäre. ~ Das Brüllen wurde schnell lauter. Eragon erkannte es sofort. Er hatte es schon einmal gehört, nein, mehr als einmal! Er zog mit einer schnellen Bewegung sein Schwert und suchte fieberhaft den Himmel ab. Und da war er. Rot wie die untergehende Sonne in der Ferne. „Thorn!“ Der rote Drache kam schnell näher, wurde größer und größer. Dann sah Eragon ihn. Seine Rüstung schimmerte im Sonnenlicht, das sie so rot färbte wie die Haut des Drachens, auf dem er saß. Seine rote Klinge surrte über seinem Kopf durch die Luft. Murtagh. Eragon war so überrascht, dass er ihn nur anstarren konnte. Thorn kam in seine Richtung, aber bevor er Saphira und ihn erreichte, schwenkte er zur Seite und flog eine weite Schleife. Schließlich ging er in den Sinkflug über. Er fliegt zum Lager. erkannte Eragon. Thorns Verhalten verwirrte ihn zutiefst. Hatte Murtagh ihm tatsächlich befohlen, mitten ins Lager der Feinde vorzudringen, völlig allein und ungeschützt? Das war reiner Irrsinn! Saphira reagierte sofort. Sie legte die Flügel an und raste dem roten Drachen hinterher. Eragon keuchte auf, als der Luftzug ihn mit voller Wucht traf. Sie holten rasch auf, doch Saphira attackierte den roten Drachen nicht sofort. Ich will sehen was er vorhat. Wenn er nur eine falsche Bewegung macht, zerfetze ich ihn! Als er den Boden beinahe erreicht hatte, flog Thorn erneut einen Bogen und bewegte sich diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Eragon blickte ihm verwirrt hinterher. Saphira flog erneut ein elegantes Manöver und folgte Thorn. Es dauerte nicht lange, bis der rote Drache sein Ziel erreicht hatte. Saphira stieß ein wildes Fauchen aus und beschleunigte ihren Flug. Nach nur wenigen Augenblicken hatte sie den Drachen erreicht. Sie wollte sich auf ihn stürzen, doch Thorn entging ihrem Angriff knapp. Unter den Soldaten am Boden hatte sich bereits Panik ausgebreitet. Die Männer schrien und rannten durcheinander, etliche griffen zu Schwertern, Bögen und Armbrüsten, bereit, den Feind anzugreifen und zu töten. Thorn vertrieb sie mit einem gewaltigen Feuerstoß und landete schließlich rutschend auf dem matschigen Boden. Saphira landete kurz nach ihm und stieß ein drohendes Fauchen aus. WAS WILLST DU HIER, VERRÄTER? Ihr Brüllen in seinen Gedanken war so laut, dass Eragon das Gefühl hatte sein Kopf würde gesprengt. Thorn wandte ihr den Kopf zu und betrachtete sie mit stolzem Blick. Sprich nicht so mit ihm, Drachenweib! Saphira schnaubte und wandte sich von ihm ab. Ich sollte ihn zerreißen, jetzt und hier! Eragon kletterte von ihrem Rücken und legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. Wir sollten hören was sie zu sagen haben. Er hielt sein Schwert noch immer in der Hand, bereit, sich dem Kampf zu stellen. Auch wenn er hoffte, dass es nicht dazu kommen würde. Sie befanden sich tief in den eigenen Reihen, fernab der Kämpfe. Ganz in ihrer Nähe befanden sich die Quartiere der Anführer. Eragons Gefühl sagte ihm, dass sie das Ziel seines Bruders gewesen waren. Doch was wollte er hier? Wollte er sie angreifen? Wollte er sich ergeben? Oder war sein Auftauchen Teil eines der teuflischen Pläne des Königs? Eragon bemerkte Nasuada. Ihre dunklen Haare wehten im Wind, als sie mit entschlossenen Schritten auf den feindlichen Reiter zukam. Er blickte sie überrascht an. Sie trug noch ihre Rüstung und war mit Blut und Ruß beschmiert. In einer Hand hielt sie ein elegantes Kurzschwert. Offenbar hatte sie den Reiter am Himmel gesehen und hatte sich sofort aus den Kämpfen zurückgezogen. Sie blieb in einiger Entfernung von Reiter und Drache stehen, ihre Leibgarde aus Soldaten und Magiern um sich versammelt. Murtagh bemerkte sie ebenfalls. Er stieg von Thorns Rücken und ging ein paar Schritte in ihre Richtung. Sein Schwert hielt er noch immer in der Hand, die Klinge gesenkt. Eragon lief auf ihn zu, doch Murtagh sah ihn nicht einmal an. Er blickte starr an ihm vorbei, beobachtete Nasuada und die Krieger um sie herum. „Wieso seid ihr noch hier?!“ brüllte er dann, seine Stumme wutverzerrt. Nasuada starrte ihn feindselig an. Dann trat sie einige Schritte in seine Richtung, schob die Wachen vor sich zur Seite. Eragon kam nicht umhin, ihren Mut zu bewundern. „Das sollte ich dich fragen! Was willst du hier, Verräter?“ Sie hob den Arm, ihre blanke Klinge wies direkt auf Murtagh. „Nenne mir nur einen Grund, wieso ich dich nicht auf der Stelle töten sollte.“ Ihre Stimme war schneidend wie Glas. Die beiden Wachen hinter ihr zogen ihre Schwerter und traten an ihre Seite. Murtagh grinste herausfordernd und breitete die Arme aus: „Ihr könnt es gerne versuchen.“ Mehrere Soldaten aus Nasuadas Wache traten auf ihn zu, bereit, seine Provokation mit ihren Schwertern zu bestrafen. Murtagh rollte mit den Augen. „Ihr solltet Eure Wachhunde zurückpfeifen, wenn Euch ihre Leben am Herzen liegen. Ich bin nicht hergekommen um mich mit Fußsoldaten herumzuschlagen,“ Ein kaltes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Wenn ich Euch töten wollte, hätte ich es längst getan. Ihr hättet es nicht einmal gemerkt. Aber Ihr seid noch immer hier, oder?“ „Sprich nicht so mit ihr!“ brüllte eine der beiden Wachen plötzlich, und noch bevor Nasuada reagieren konnte, löste sich der Mann aus der Formation der Wachen und stürmte auf den feindlichen Drachenreiter zu. Murtagh beobachtete seinen Angriff beinahe gelangweilt. Der Mann holte aus und ließ sein Schwert auf seinen Gegner hinabsausen. Wenn der Schlag treffen würde, er hätte den Reiter sofort getötet. Doch Murtagh wich seinem Schlag im letzten Moment beinahe spielend aus, vollführte eine blitzschnelle Drehung, die ihn hinter den Angreifer brachte und rammte ihm seinen Ellbogen so heftig in den Nacken, dass der Mann wie vom Blitz getroffen zu seinen Füßen zusammenbrach. Das alles geschah so schnell, dass keiner der Umstehenden, Eragon eingeschlossen, reagieren konnte. Chaos brach los. Unter lauten Kampfschreien stürzten sich nun beinahe ein Dutzend weiterer Soldaten auf Murtagh, der ihnen mit kalten Augen entgegensah. „Hört auf!“ Nasuadas Brüllen beendete den Angriff der Soldaten augenblicklich. Schwer atmend wichen die Soldaten vor Murtagh zurück. Eragon war entsetzt über den Ausdruck in ihren Augen. Es war die pure Mordlust. Murtagh hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Sein Blick war auf Nasuada gerichtet, und noch immer hatte er ein geradezu unverschämtes Grinsen im Gesicht. Nasuada hielt seinem Blick stand. Ohne die Augen von ihm abzuwenden, wandte sie sich an einen der Soldaten und deutete auf den reglosen Soldaten zu Murtaghs Füßen. „Sieh' nach ob er noch lebt.“ Der Mann gehorchte, wenn auch widerwillig. Murtagh legte den Kopf schief. „Er atmet noch,“ sagte er mit ruhiger Stimme „Und er wird in ein paar Stunden wieder ganz der alte sein. Aber ihr solltet ihm etwas kaltes Wasser besorgen. Er wird es brauchen.“ Der Soldat, der nun neben seinem Kameraden kniete, nickte. „Er sagt die Wahrheit.“ Murtagh lachte kalt. „Ja, sogar ich bin dazu fähig.“ „Wieso bist du hier,“ wiederholte Nasuada erneut. Ihre Stimme war fest. „Hat Galbatorix dich geschickt?“ Das Lachen erstarb, als Murtagh seine Klinge hob und in ihre Richtung wies: „Galbatorix hat nichts damit zu tun, dass ich hier bin. Ich entscheide für mich selbst.“ Nasuadas zog die Augenbrauen in die Höhe. „Ist das so?“ Ein seltsam fremder Hohn schwang in ihren Worten mit. „Wieso sollte ich dir auch nur ein Wort von dem glauben, was du sagst?“ „Weil Euch keine andere Wahl bleibt.“ Ein grausamer Ausdruck breitete sich auf Murtaghs Gesicht aus. „Entweder Ihr vertraut mir und habt damit zumindest den Hauch einer Chance, diesen Krieg zu gewinnen, oder aber Ihr tötet mich und fahrt mit mir gemeinsam zur Hölle. Eure Entscheidung, Lady Nasuada.“ Seine eisigen Worte ließen alle um ihn herum verstummen. Nasuada starrte ihn an, schweigend. Eragon konnte erahnen, welche Kämpfe in diesem Moment in ihrem Inneren ausgefochten wurden. Ein Teil von ihr wusste, dass sie ihn brauchten, dass er eine Trumpfkarte in diesem Krieg sein konnte. Doch ein andere Teil von ihr wollte ihn tot sehen, für alles was er getan hatte. Eragon hatte keine Ahnung, welche dieser Seiten den Sieg davontragen würde... Nach einer gefühlten Ewigkeit schien die Anführerin der Varden zu einer Entscheidung zu kommen. Doch es war nicht die, die Eragon sich erhofft hatte. „Nehmt ihn gefangen.“ Eragon fuhr herum und starrte sie fassungslos an. Das konnte sie doch nicht ernst meinen! Doch Nasuada hatte sich entschieden. Wie aus dem Nichts tauchten um sie herum weitere Krieger und die Magier der Elfen, angeführt von Blödhgarm, auf und bildeten einen weiten Kreis um den feindlichen Reiter. Murtagh machte keine Anstalten zu flüchten. Nasuada trat einen Schritt auf ihn zu und hob ihr Kurzschwert erneut in seine Richtung. „Murtagh Morzansson, im Namen unserer Allianz nehme ich dich und deinen Drachen gefangen. Wenn du versuchst zu fliehen, ist das dein Todesurteil.“ „Nicht, bitte!“ Eragon hatte kaum wahrgenommen, dass er sich bewegt hatte, doch plötzlich fand er sich zwischen Nasuada und Murtagh wieder, die Arme ausgebreitet. „Tu' das nicht.“ Nasuada sah ihn überrascht an. „Wir brauchen seine Hilfe,“ sagte Eragon beschwörend. „Gefangen nützt er uns nichts!“ Die Überraschung im Gesicht der Anführerin der Varden verschwand so schnell wie sie gekommen war. „Geh aus dem Weg, Eragon. Ich habe meine Entscheidung getroffen.“ Eragon wollte aufbegehren, doch Nasuadas eisiger Blick ließ ihn verstummen. Widerwillig ließ er die Arme sinken. „Das ist ein Fehler.“ Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. Sechs der elfischen Magier traten an ihm vorbei nach vorne und bildeten einen Kreis um den feindlichen Reiter. Die anderen taten dasselbe bei Thorn. Der Drache knurrte leise, wehrte sich aber nicht. Nasuada wandte sich erneut an Murtagh. „Gib' deine Waffen heraus.“ befahl sie kalt. Murtagh betrachtete sie einen Moment lang. Dann hob er sein Schwert und warf es vor sich auf den Boden. „Ich hoffe Ihr wisst was Ihr tut.“ Nasuada ignorierte seine Worte. Sie winkte zwei ihrer Soldaten herbei. „Durchsucht ihn.“ Die beiden Männer traten auf den Reiter zu, doch sie wagten es nicht, ihn anzurühren. Murtagh betrachtete sie beinahe belustigt. „Eure Männer sind sehr mutig, Lady Nasuada.“ Er griff an seinen Gürtel und zog mehrere Dolche hervor, die er den Soldaten vor die Füße warf. Weitere Waffen zog er aus seinen Stiefeln und aus einem Gurt um Brust und Rücken. „Ich habe nichts weiter bei mir.“ sagte er dann und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Soldaten griffen nach den Waffen und zogen sich zurück. Scham und Erleichterung fochten einen ungleichen Kampf in ihren Gesichtern aus. Die Magier zogen den Kreis um ihn enger. Gleichzeitig hoben sie die Arme, so dass sich ihre Hände fast berührten. Dann begannen sie zu sprechen, ein melodischer Singsang in der alten Sprache. Zuerst noch ungeordnet, fanden sie schon bald einen gemeinsamen Rhythmus. Murtagh beobachtete sie aufmerksam, rührte sich aber nicht. Einen Moment lang meinte Eragon, dass ihre Zauber bei ihm nicht wirkten. Doch plötzlich entfuhr seinem Bruder ein Keuchen und er begann wie unter heftigen Fieberkrämpfen zu zucken. Die Magier verstärkten ihren Gesang, immer lauter und lauter wurden ihre Stimmen. Eragon konnte ihre Worte jetzt verstehen. Es waren mächtige, schreckliche Worte, einige davon hörte er zum ersten Mal. Angst stieg in ihm auf, als ihm klar wurde, was passieren würde, wenn die Magier ihre gesamte Energie freisetzten. Nasuada musste das hier beenden, bevor es zu spät war! Murtaghs Körper bebte immer heftiger, es fiel ihm immer schwerer, sich auf den Beinen zu halten. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, als er versuchte, die Zauber abzuwehren. Doch die Magie der Elfen war stärker. Dann entfuhr ihm plötzlich ein heiserer Schrei und er brach wie vom Blitz getroffen zwischen den Elfen zusammen. Eragon schrie entsetzt auf, und noch bevor es es wirklich registrierte, war er losgestürzt. Er hatte Murtagh fast erreicht, als der sich plötzlich wieder aufrichtete. Er war schweißgebadet. Dunkle Strähnen klebten ihm wirr im Gesicht. Er musste große Schmerzen haben, atmete nur noch keuchend. „Ich muss zugeben, dass ich beeindruckt bin.“ presste er mühsam hervor und richtete seinen angestrengten Blick auf die Anführerin der Varden. „Eure magische Leibgarde ist stärker als ich dachte.“ Er lachte auf, doch sein Lachen ging schon bald in einen Hustenanfall über, der ihn erneut in die Knie zwang. Nasuada nahm seine Reaktion gelassen hin. „Deine Arroganz wird dir noch leidtun, Reiter.“ Erneut lachte Murtagh, auch wenn seine Stimme beinahe brach. Er hustete erneut und diesmal spuckte er Blut. Die elfischen Magier traten erneut einen Schritt nach vorne und schlossen den Kreis um den feindlichen Reiter endgültig. Die von ihnen ausgehende magische Energie war so gewaltig, dass Eragon sie körperlich spüren konnte. Es erschien ihm wie ein Wunder, dass Murtagh noch immer in der Lage war, ihrer geballten Macht zu widerstehen. Doch seine Macht schwand. Die Magier verstärkten ihre Zauber, webten einen Bann nach dem anderen. Murtaghs Körper zitterte unkontrolliert und er hatte die Augen fest geschlossen. Kurz bevor er endgültig das Bewusstsein verlor, unterbrach Nasuada den Angriff. „Das reicht jetzt.“ Blödhgarm nickte knapp und seine Kameraden gehorchten. Eragon starrte fassungslos auf Murtaghs zusammengesunkenen Körper in ihrem Kreis. Alle Erleichterung darüber, dass die Magier ihre Attacken noch rechtzeitig beendet hatten, wurde von dem überwältigenden Entsetzen über ihre Grausamkeit in weite Ferne gedrängt. Wenn Nasuada sie nicht aufgehalten hätte, sie hätten Murtagh getötet, ohne auch nur einen Moment zu zögern. Der Gedanke war so grauenvoll, dass er Eragon dem Atem raubte... Nasuada trat zwischen zwei der Magier und blickte mit abschätzendem Blick auf Murtagh hinab. „Ich weiß nicht, ob du sehr mutig oder nur sehr dumm bist. Aber jetzt bist du unser Gefangener und dein Schicksal liegt von nun an in unserer Hand.“ Mit diesen Worten wandte sie sich von ihm ab und sah Blödhgarm an. „Und jetzt schafft ihn mir aus den Augen, bevor ich es mir anders überlege.“ Erneut nickte der Elf. Zwei der Magier packten den Reiter und richteten ihn auf. Eragon trat zu ihnen, doch Blödhgarm legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte ihn mit sanfter Gewalt beiseite. „Überlasse ihn uns. Wir haben ihn sehr geschwächt, er hat uns nichts mehr entgegenzusetzen.“ „Aber ich will...“ begann Eragon protestierend, doch der Elf schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Wir werden uns um ihn kümmern. Du solltest zu Nasuada und den anderen Anführern gehen. Sie entscheiden jetzt über sein Schicksal.“ Eragon wollte erneut aufbegehren, doch der Elf wandte sich von ihm ab und schloss sich seinen Kameraden an, die Murtagh fortbrachten. Die anderen Magier blieben bei dem roten Drachen. Keiner der beiden wehrte sich. ~ Auch wenn er darauf brannte herauszufinden, wieso Murtagh zu ihnen gekommen war, blieb Eragon vorerst nichts anderes übrig, als Blödhgarms Ratschlag zu folgen und sich zu den Anführern zu begeben. Die Nachricht vom plötzlichen Auftauchen des Feindes schien sich in Windeseile verbreitet zu haben, denn auf dem großen Platz vor den Zelten der Heerführer hatte sich bereits eine Ansammlung von Kriegern versammelt, die aufgeregt durcheinanderbrüllten. Sogar König Orrin, Arya und Jörmundur waren hier. Eragon hatte sie seit Beginn der Kämpfe nicht zu Gesicht bekommen. Arya erblickte ihn und kam auf ihn zu. „Eragon, was ist passiert? Wieso ist Murtagh hier?“ Eragon erzählte ihr knapp was passiert war. Arya hörte zu, ihr Augen wurden schmal. „Ich verstehe das nicht. Was kann er jetzt wieder vorhaben?“ „Ich weiß es nicht,“ gab Eragon zu. „Aber wir müssen versuchen, es herauszufinden.“ Arya nickte zögerlich. Eragon spürte, dass sie noch etwas auf dem Herzen hatte. Fragend sah er sie an. „Eragon...“ begann sie schließlich. „Ich weiß was du jetzt denkst. Ich kann es in deinen Augen sehen. Aber du solltest dich keinen kindischen Hoffnungen hingeben.“ Sie sah an ihm vorbei und betrachtete die Anführer und Krieger, die sich immer zahlreicher auf dem Platz einfanden. „Was immer er plant, hierherzukommen war der größte Fehler den er machen konnte. Sein Schicksal liegt jetzt in den Händen derer, die seinen Tod wünschen...“ Eragon hielt den Atem an. Arya hatte recht. Jetzt lag es an den Anführern, über Murtaghs Leben zu entscheiden. Er musste etwas tun, bevor es zu spät war... Eragon wandte sich von Arya ab und trat zu den anderen. Die Diskussionen waren hitzig, alle waren völlig aufgewühlt. Das Eintreffen des feindlichen Drachenreiters hatte ihrem Feldzug eine unfreiwillige Unterbrechung bereitet. Die Kämpfe an der weit entfernten Front tobten noch immer, aber in ihre Reihen hatte sich Chaos geschlichen. Die Befehlshaber ihres buntgemischten Heers machten mehr als offen deutlich was sie von der Unterbrechung hielten und wie man ihrer Meinung nach mit dem Eindringling umgehen sollte. Eragon schnappte mehr als ein widerliches Szenario aus ihren Mündern auf und Murtagh im Kampf zu besiegen und zu töten war noch die harmloseste ihrer Ideen. Seine Hoffnungen ruhten auf der Anführerin der Varden, denn im Gegensatz zu ihren Mitstreitern verhielt Nasuada sich ungewöhnlich ruhig. Eragon kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie den anderen bereits einen Schritt voraus war und darüber nachdachte, welche Vorteile man aus dieser Situation ziehen konnte. Zumindest hoffte er, dass es so war. Als Eragon an ihre Seite trat, hatte sie sich gerade zu Jörmundur hinübergebeugt. „Das gefällt mir nicht,“ sagte der Krieger gerade. „Wir müssen etwas tun bevor hier das totale Chaos ausbricht. Nicht wenige wollen den Kopf des Reiters rollen sehen. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn vor ihnen beschützen will...“ Nasuada legte ihm eine Hand auf den Arm und sah ihn beschwörend an. „Wir dürfen nichts überstürzen. Unsere erste Aufgabe wird es sein, herauszufinden was er weiß, und wenn wir es aus ihm herauspressen müssen.“ Jörmundur betrachtete sie zweifelnd. „Ich denke nicht, dass er mit uns sprechen wird. Und selbst wenn, wird jedes seiner Worte eine Lüge sein.“ „Vielleicht ist er aber auch gekommen um uns zu helfen.“ mischte Eragon sich ein. Nasuada wandte sich von Jörmundur ab und sah ihn an. Ihr Blick war feindselig, als sie den Kopf schüttelte. „Ich werde ihn nicht in unsere Pläne einweihen. Und ich verlange von dir, dass du dasselbe tust.“ Ihr befehlender Ton machte ihm mehr als deutlich, dass sie keinerlei Widerspruch dulden würde. Eragon nickte widerwillig. „Ich traue ihm nicht,“ fuhr sie fort. „Er ist ein Sklave des Königs. Und solange wir nicht wissen was er vorhat tun wir gar nichts. Vielleicht ist sein Hiersein nur ein weiterer teuflischer Plan des Königs! Wir dürfen kein Risiko eingehen.“ „Und was, wenn es nicht so ist? Wieso sollte Galbatorix zulassen, dass wir ihn gefangennehmen?“ Nasuadas Augen wurden schmal. „Ich weiß es nicht. Aber es ist nicht deine Aufgabe, das herauszufinden. Du weißt, was du zu tun hast.“ „Nein,“ widersprach Eragon gereizt. „Ich kann euch nicht damit alleine lassen, während ich nach etwas suche, von dem ich nicht einmal weiß, ob ich es überhaupt finden kann.“ Nasuada sah auf, ihr Blick bohrte sich in seinen. „Und doch wirst du es tun. Ich befehle es dir. Um den Reiter werden wir uns kümmern.“ Eragon biss sich auf die Lippen. „Lass mich mit ihm reden.“ Nasuada schüttelte den Kopf. „Nein, Eragon. Du... du hast schon genug Schaden angerichtet. Ich lasse dich nicht in seine Nähe.“ Ihre Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Eragon konnte spüren, wie seine Hände zu zittern begonnen. „Ich... ich schaffe das nicht alleine,“ presste er mühsam hervor. „Ich bin nicht stark genug. Ich weiß das, und du weißt das auch. Ich... wir brauchen ihn!“ Nasuada betrachtete ihn lange, dann schüttelte sie den Kopf und seufzte. „Ich habe meine Entscheidung getroffen, Eragon. Und du solltest sie akzeptieren.“ Sie sah an ihm vorbei, betrachtete die anderen Krieger, die noch immer in hektische Diskussionen vertieft waren. Eragon stellte überrascht fest, dass sogar Angela am Rand des Platzes aufgetaucht war und zu ihnen hinübersah. „Wenn es nach mir ginge, würde ich ihn auf der Stelle töten lassen.“ fuhr Nasuada fort. Eragon sog scharf die Luft ein. „Sein Wissen um Galbatorix ist der einzige Grund, wieso er immer noch lebt. Wir haben ihm schon einmal vertraut und er hat uns hintergangen. Das wird mir nicht noch einmal passieren.“ Eragon widerstand dem Drang, ihr zu widersprechen. Nasuada sah ihn wieder an. „Er bleibt unser Gefangener, solange er uns nützlich ist. Danach werden wir ihn vor Gericht stellen und über eine angemessene Strafe für seine Taten verhandeln. Auch wenn ich bezweifele, dass es eine gibt.“ „Bitte, lass es mich versuchen. Wenn ich ihn zum reden bringe...“ versuchte er es erneut. „Eragon, wieso machst du es mir so schwer...“ Nasuada fuhr sich mit der freien Hand über das Gesicht und betrachtete ihn. Eragon wich ihrem Blick nicht aus. Nach einer quälenden Ewigkeit nickte sie schließlich. „In Ordnung. Versuche es.“ Eragon entfuhr ein Seufzen. „Aber wenn er nicht mit dir redet...“ Nasuada ließ das Ende des Satzes offen. Eragon wusste auch so, was sie sagen wollte. ~ Es war bereits dunkel, als Eragon endlich den Mut fand, zu Murtagh zu gehen. Er fürchtete sich vor der Begegnung, auch wenn er gar nicht recht wusste wieso. Murtaghs Auftauchen hatte ihn völlig überrascht und sein seltsames Verhalten hatte ihn zutiefst verwirrt. Er hatte geglaubt, Murtagh wäre einfach geflohen. Dass es ihm irgendwie gelungen war, sich aus den Fängen des Königs zu befreien. Und Eragon musste zugeben, dass er sogar Verständnis dafür gehabt hätte. Stattdessen war Murtagh zurückgekommen und hatte sich mitten in die Reihen seiner Feinde begeben. Er hatte zugelassen, dass man ihn folterte, dass man ihn gefangennahm. Und er hatte sich kein einziges Mal gewehrt. Vor ihm erschien das Zelt, in dem man Murtagh gefangenhielt und Eragon konnte plötzlich nicht mehr weitergehen. So sehr er es auch versuchte, er verstand das Verhalten seines Bruders nicht. Und Murtagh schien auch nicht daran gelegen zu sein. Er hatte Eragon nicht ein einziges Mal angesehen, geschweige denn angesprochen. Sein Bruder riskierte alles, um ihm eine Nachricht zukommen zu lassen und ihn vor dem König zu warnen. Er wehrte sich gegen seine Befehle und ließ ihn entkommen, wieder und wieder. Und plötzlich beachtete er ihn nicht mehr? Eragon schüttelte den Kopf. Wie er es auch drehte und wendete, Murtagh war ein einziger Widerspruch für ihn. Alle Gesetze, alle Regeln, schienen bei ihm ihre Macht zu verlieren. Immer wenn Eragon glaubte, ihn endlich verstanden zu haben, gab es neue Rätsel, neue Fragen. Und Eragon war sich längst nicht mehr sicher, dass sich das jemals ändern würde. Irgendwann schaffte er es, das Quartier seines Bruders zu betreten. Das weitläufige Zelt war bis auf ein schmales Bett, einen Stuhl und einen tief in die schlammige Erde gerammten Pfahl leer und wirkte trostlos. Sie hatten Murtagh in Ketten gelegt. Ein rein symbolischer Akt, das wusste Eragon. Die elfischen Ketten würden dem anderen Reiter nicht einen Moment lang standhalten, würde er wirklich versuchen sich zu befreien. Murtagh hob den Kopf als er ihn hörte und erhob sich umständlich. Die feingliedrigen Ketten rasselten leise, als er aufstand und auf ihn zukam soweit es seine Fesseln zuließen. Die Wut in seinen Augen traf Eragon wie ein Faustschlag. „Was willst du noch, Eragon? Ich hab dir gesagt, was du tun sollst! Aber ich hätte es wohl wissen müssen, oder? Es ist vollkommen sinnlos mit dir zu reden, du tust ja doch das Gegenteil! Und was immer hier geschehen wird ist allein deine Schuld!“ Eragon blieb stehen und starrte ihn an. „Ist... ist das alles was du mir zu sagen hast?“ Murtagh lachte auf und wandte sich ab. „Für dich ist das sehr einfach, was?“ Seine Überheblichkeit machte Eragon wütend. „Bist du gekommen, um mich zu verhöhnen?“ Das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden, als Murtagh sich wieder zu ihm umdrehte. „Nein, Eragon. Ich bin hier, um euch die Wahrheit zu sagen. Ihr kennt ihn nicht. Er wird kein Mitleid haben. Mit keinem von euch, am allerwenigsten mit dir.“ Der Jüngere starrte ihn bestürzt an. Murtagh beugte sich in seine Richtung, bis die Ketten, die seine Handgelenke in seinem Rücken zusammenhielten, straff gespannt waren. „Hast du dir nie darüber Gedanken gemacht, was Galbatorix mit dir machen wird, wenn er dich jemals in die Finger kriegen sollte?“ fragte er weiter. „Er wird dir nicht den Gefallen tun und dich einfach töten. Er wird ein Exempel an dir statuieren. Er wird dich foltern. Er dich brechen. Er wird dich zu seinem Diener machen, seinem Spielzeug. Alle werden es sehen. Und anfangen, dich zu hassen.“ „Nein!“ unterbrach ihn Eragon. Sein Körper hatte zu zittern begonnen. Murtaghs Worte trafen ihn bis ins Mark und er hasste ihn dafür. Murtagh schien seine Reaktion zu bemerken, denn auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck, den man beinahe als sanft bezeichnen konnte. „Du weißt, dass ich recht habe, Eragon.“ Er trat einen Schritt zurück um den Druck auf seine Arme zu verringern. „Du solltest auf mich hören und aufgeben solange du noch kannst. Du würdest das nicht überstehen und das weißt du.“ „Soweit wird es nicht kommen,“ sagte Eragon und bemühte sich um eine feste Stimme. „Ich werde das nicht zulassen.“ „Dir wird nichts anderes übrigbleiben,“ konterte Murtagh. „Das hier ist kein Märchen, Eragon. Das hier ist Krieg. Und es gewinnen nicht immer die Guten.“ „Dann hilf uns! Du kannst doch nicht einfach aufgeben!“ „Ich bin nicht deswegen hier, Eragon.“ sagte Murtagh leise und zog sich noch weiter zurück. Eragon öffnete den Mund, doch er wusste nicht was er noch sagen sollte. Er wollte Murtagh packen, ihn anschreien, ihm sagen, dass er sich irrte! Doch auch das hätte die Angst nicht besiegt die er tief in sich spürte, wie ein kaum spürbares Zwicken in seinen hintersten Gedanken. Er durfte nicht zulassen, dass sie die Oberhand über ihn gewann. Wenn das passierte, wäre er verloren... „Wofür das alles?“ fragte er schließlich langsam. „Wieso bist zu zu uns gekommen, wenn du nicht kämpfen willst?“ „Ich will nur Galbatorix,“ sagte Murtagh. „Er soll bluten, für alles was er Thorn und mir angetan hat. Und ihr seid der einfachste Weg, an ihn heranzukommen.“ Die so bekannte Kälte war in seine Augen zurückgekehrt und ließ Eragon keinen Zweifel daran, dass er jedes seiner Worte ernst meinte. „Also geht es hier nur um Rache? Das ist alles?“ fragte Eragon bestürzt. „Für mich ist es genug.“ sagte Murtagh langsam. Eragon schüttelte den Kopf. „Ich glaube dir nicht. Das kann... nicht alles sein.“ Zumindest hoffte Eragon das. Er betrachtete seinen Bruder. Murtagh wich seinem Blick aus und starrte auf einen Punkt irgendwo hinter ihm. Das Schweigen stand wie eine Mauer zwischen ihnen. „Das Amulett...“ begann Eragon erneut. „Hast du es benutzt?“ Murtagh verzog das Gesicht und sah ihn endlich an. „Ja, das habe ich. Es hat nicht funktioniert. Aber das sollte mich wohl nicht überraschen, wie?“ Eragon biss sich auf die Lippen. „Ich habe dich nicht belogen.“ Auch wenn das stimmte, fühlte er sich schrecklich schuldig. „Mh...“ machte Murtagh statt einer Antwort und lehnte sich gegen den Pfahl in seinem Rücken. Sein Blick glitt wieder in die Ferne. Eragon machte ein paar Schritte in seinem Richtung. „Ich weiß, dass das schwer ist...“ begann er zögerlich, auch wenn er nicht sicher war, ob sein Bruder ihn überhaupt hörte. Murtagh sah noch immer starr an ihm vorbei, sein Blick verloren. Eragon ballte die Hände zu Fäusten. Die kalte Abwehr des anderen traf ihn. „Murtagh, sieh mich an.“ Er musste sich zwingen, seine Stimme ruhig zu halten. Murtagh zögerte, dann drehte er widerwillig den Kopf und schaute ihn an. „Ich weiß, dass es schwer werden wird, glaub mir, ich weiß es!“ fuhr Eragon fort. „Aber wir haben nur diese eine Chance. Ich bin der Einzige, der das tun kann. Und ich werde nicht aufgeben.“ Murtagh antwortete nicht, also redete Eragon weiter: „Ich verlange viel von dir, das ist mir klar. Du hast keinen Grund, uns zu vertrauen. Aber ich bitte dich: hilf uns. Wie du gesagt hast, du kennst ihn besser als jeder andere von uns. Mit dir an unserer Seite können wir diesen Krieg vielleicht gewinnen. Hilf uns. Hilf mir.“ Murtagh öffnete den Mund, schien etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber doch. Eragon versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Und wenn du jetzt mit uns kämpfst,“ versuchte er es ein letztes Mal. „Dann beweist du allen, dass du anders bist, dass du wirklich auf unserer Seite bist! Sie werden dir vergeben und alles wird wieder wie früher!“ „Glaubst du das wirklich, Eragon?“ Murtagh blickte ihm direkt in die Augen. Seine Stimme klang müde. „Na ... natürlich!“ antwortete Eragon, viel zögerlicher als er eigentlich wollte. Murtagh bemerkte es und grinste schief. „Nein. Wir wissen beide, dass es nicht dazu kommen wird. Du bist hier der Held, Eragon Schattentöter. Ich bin nur... ein notwendiges Übel.“ Eragon sah ihn betroffen an, dann trat er einen Schritt zurück. Er hatte gehofft, Murtaghs Rückkehr würde bedeuten, dass er für sie kämpfen würde. Dass sie sich Seite an Seite in die Schlacht stürzen würden, die beiden letzten freien Drachenreiter, gemeinsam gegen Galbatorix. Wie Freunde, wie Brüder... wie früher. Doch offensichtlich hatte er sich getäuscht. Ich verstehe das nicht. Wieso ist er zurückgekommen? fragte er Saphira hilflos. Ich weiß es nicht... antwortete sie zögerlich. Es tut mir leid. ~ Murtagh sah ihm nach, bis er zwischen den Zelten draußen verschwunden war. Dann sank er langsam in sich zusammen. Erst jetzt merkte er, dass er seine Finger so fest in seine Handflächen gebohrt hatten, dass seine Fingernägel schmerzhafte kleine Wunden hinterlassen hatten. Eragons Besuch hatte ihn aufgewühlt, mehr als er wollte. Es tat weh, die wenige Hoffnung, die Eragon noch hatte, zu zerstören. Der Schmerz in den blauen Augen des Jüngeren traf ihn und machte seine ohnehin schwere Aufgabe zu einer Folter. Doch Murtagh hatte keine Wahl. Wenn er Eragon wirklich vor dem bewahren wollte, was er in seinen finsteren Visionen gesehen hatte, musste er ihn dazu bringen, aufzugeben, endlich aufzugeben, und davonzurennen, so weit er nur konnte. Auch wenn das bedeutete, dass Murtagh den Glauben an das Gute in seinem Herzen zerschlagen musste. Alles wäre besser als zuzulassen, dass Galbatorix ihn langsam zerbrach und nichts mehr bleiben würde außer einer seelenlosen Hülle... Murtagh konnte, er durfte das nicht zulassen! Eragon musste fort von hier, so weit wie möglich. Egal, was dazu nötig war, egal, was das für ihn bedeuten würde. Murtagh würde alles ertragen, die Vorwürfe, den Hass, die Trauer, wenn Eragon nur sicher war. Und dafür gab es nur einen Weg, nur diesen einen Weg. Und Murtagh konnte nur beten, dass Eragon ihm seine Worte glaubte und die richtige Entscheidung traf bevor es zu spät war. Ich hoffe, dass du weißt was du tust, Murtagh. meldete sich Thorn in seinem Kopf. Murtagh senkte den Kopf. Mit einem mal spürte er wieder den kleinen Stein auf seiner Haut, kühl und leer. Das hoffe ich auch. ~ Eragon hörte Schreie und rannte los, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Das plötzliche Chaos im Lager konnte nur eines bedeuten und alles ihm betete darum, dass er sich irrte. Doch sein ungutes Gefühl wurde bestätigt, als er den Platz erreichte, auf dem Murtagh gefangen gehalten wurde. Etwa ein Dutzend Männer lagen vor dem Zelt auf dem Boden, manche vor Schmerzen stöhnend, andere erschreckend reglos. Die Magier waren verschwunden, ob sie verletzt waren oder dem Flüchtigen folgten, vermochte Eragon nicht zu sagen. Er wirbelte herum und rannte los, während er Saphira zu Hilfe rief. Er hatte wohl instinktiv die richtige Richtung eingeschlagen, denn es dauerte nicht lange bis Eragon die ersten Verfolger seines Bruders entdeckte. „Was ist passiert?“ fragte er atemlos, als er den ersten der Magier erreichte. Der hochgewachsene Elf drehte sich um und musterte ihn grimmig. „Der Reiter versucht zu entkommen,“ Ein unheilvolles Funkeln erschien in seinen Augen. „Dafür werden wir ihn töten.“ Es dauerte eine quälende Ewigkeit, bis Eragon sich von dem Schock dieser Worte so weit erholt hatte, dass er antworten konnte. Er legte dem Magier eine Hand auf die Schulter. „Das müsst Ihr nicht. Ich werde ihn finden.“ Er ließ dem anderen keine Zeit für eine Erwiderung und rannte los. Ich werde ihn finden! +++ Wer sich bis hierhin durchgequält hat, ruft Drachenscheisse! XD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)