Red and Blue von Murtagh ================================================================================ Kapitel 2: Encounter -------------------- Eragon, du solltest das nicht tun... Saphiras Stimme war lauernd. Das ist meine Sache! erwiderte Eragon ärgerlich. Aber er konnte nicht verhindern, dass Schuldgefühle in ihm aufstiegen. Nasuada hatte so erschöpft ausgesehen... Er hatte es ihr nicht gesagt, aber er wusste genau, wo dieses 'dort' aus Murtaghs Nachricht war. Und er hatte vor, dorthin zu gehen. Er konnte es nicht erklären, aber tief in seinem Inneren spürte er, dass er es tun musste. Ist es nicht. Eragon, sei vernünftig! Es ist eine Falle, das ist doch mehr als offensichtlich! Wahrscheinlich wird er dort mit einer ganzen Truppe auf dich warten und dich zu Galbatorix schleifen! Oder dich sogar töten! Saphira gab sich nun keine Mühe mehr, ihren Zorn zu verstecken. Eragon blieb stehen. Überblickte seine Möglichkeiten. Und er musste zugeben, dass sie recht hatte. Das Ganze roch geradezu nach einer Falle. Aber dennoch, irgendetwas in ihm flüsterte, dass es keine Falle war. Vielleicht war es die Tatsache dass Murtagh etwas getan hatte was er noch nie getan hatte. Vielleicht war es die Tatsache, dass er ihn um etwas gebeten hatte. Aber vielleicht war es auch nur sein eigener Wunsch... Ich werde hingehen... sagte er langsam. Er spürte Saphiras Wut. Ihr Zorn brannte in ihr wie ein loderndes Feuer. Nein. Jetzt war es an ihm, zornig zu werden. Saphira, ich bin kein kleines Kind mehr! Das ist meine Entscheidung! Wenn das deine Entscheidung ist, dann bist du ein kleines Kind! Ein dummes kleines Kind! Das ist verrückt! Du riskierst nicht nur dein Leben, sondern das Leben aller hier! „Das ist mir egal!“ Eragon schrie fast. Er bemerkte aus den Augenwinkeln, dass die Menschen in seiner Hörweite unsicher stehen geblieben waren und ihn anstarrten. Er erschrak über sich selbst. Es tut mir leid... Saphira antwortete nicht. Es tut mir leid... ich kann es selbst nicht erklären. Aber ich spüre einfach, dass er es ernst meint. Ich muss hingehen. Er... braucht mich! Saphira schwieg eine ganze Weile. Als sie antwortete, wählte sie ihre Worte mit Bedacht. Und du bist sicher, dass du das nicht nur tust, weil du dir wünschst, es wäre so? Eragon fiel darauf keine Antwort ein. Er wusste dass sie recht hatte. Er hatte dieselben Zweifel, aber er versuchte, sie in die hintersten Ecken seines Verstandes zu verbannen. Ich werde gehen... du kannst mich begleiten wenn du willst, aber ich werde gehen... Eragon lief seit Stunden unruhig durch die Zeltreihen. Mittlerweile gab es wohl keinen Teil des Lagers mehr, den er noch nicht kannte. Er wollte rennen, er wollte kämpfen, er wollte schreien... irgendwas tun, was die Anspannung löste, die ihn seit Stunden gefangen hielt. Nach dem Gespräch mit Nasuada wäre er am Liebsten sofort los geflogen, aber er wusste, dass er warten musste. Nasuada würde Verdacht schöpfen wenn er sich jetzt aus dem Staub machen würde. Also hatte er beschlossen, bis zum Abend zu warten und dann unauffällig aus dem Lager zu verschwinden. Aber die Stunden bis zum Abend schienen zäh wie Pech, die Sonne über ihm schien stehen geblieben zu sein... Irgendwann kam er wieder bei seinem Zelt an. Er seufzte und betrat sein Lager. Langsam ließ er sich auf das schmale Feldbett sinken. Sein Blick schweifte ziellos durch den kleinen Raum, blieb mal hier und mal da hängen, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Wieder und wieder ließ er Murtaghs Zeilen vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen. Was willst du... was ist passiert dass du das tust... was hat er dir angetan...? Ein eisiges Gefühl ergriff von ihm Besitz. Eine Kälte die ihn fast lähmte. Drei Tage... drei Tage... drei Tage, in denen soviel passieren konnte... Die Luft war kühl. Es war windstill. Nichts war zu hören bis auf das leise Rauschen eines Baches irgendwo hinter den Bäumen. Die grünen Blätter warfen Schatten auf sein Gesicht. Die Sonne spiegelte sich in seinen Augen. Sie erschienen ihm hell, mit einem leichten goldenen Schimmer. Gerne hätte er gewusst was sie sahen, diese goldenen Augen. Er räusperte sich. Murtagh drehte sich zu ihm herum und sah ihn an. Sein Blick bohrte sich in seinen, schien ihn festzuhalten, machte ihn bewegungsunfähig. Aber es machte ihm nichts aus... Er kam auf ihn zu, seinen Blick auf ihn geheftet. Er hob die Hand, strich ihm leicht über die Wange, lächelte, trat dann an ihm vorbei, löste damit die unsichtbaren Fesseln... Seine Hand fühlte sich so warm an... Eragon schrak aus seinen Tagträumen hoch. Er spürte Saphiras Geist, ganz nah. Wenn du bei deinem Plan bleiben willst, solltest du dich jetzt auf den Weg machen. Sofort war Eragon hellwach. Er sprang auf, zu schnell, wie ein Schwindelgefühl ihm kurz darauf klarmachte. Er schüttelte den Kopf und griff nach Umhang und Tasche, die er für den Fall einer plötzlichen Mission von Nasuada stets bereithielt. Sein Blick fiel auf sein Schwert. Er zögerte einen Moment, doch dann hob er es hoch und band den Gürtel um seine Hüfte. Du kommst also mit? fragte er vorsichtig. Natürlich. Ich kann dich doch nicht alleine in dein Verderben rennen lassen. Eragon musste grinsen. Dann trat er an eine Wand seines Zeltes und horchte hinaus in die anbrechende Nacht. Es war still. Und dennoch spürte Eragon jemanden, ganz in seiner Nähe. Nasuada hat Wachen geschickt. Es überraschte ihn nicht. Er hatte fast erwartet dass Nasuada ihm nicht ganz vertraute. Ich bin wohl doch zu leicht zu durchschauen... stellte er grimmig fest. Saphira ließ ein Geräusch wie ein Lachen erklingen. Mein Kleiner, du bist ein offenes Buch. Eragons Grinsen erstarb. Entschlossen trat er von der Wand weg und versuchte es an der gegenüberliegenden Seite. Hier war niemand. Er wartete noch ein paar Minuten angespannt in der Dunkelheit, aber es blieb still. Er murmelte ein paar magische Worte, Worte, die ihn mit den Schatten der Nacht verschmelzen lassen würden, dann ließ er sich auf die Knie herab und schlüpfte schnell und so gut wie geräuschlos unter der Plane hindurch nach draußen. Er ließ sich Zeit für den Weg, auch wenn er am Liebsten gerannt wäre so schnell ihn seine Beine nur tragen konnten. Es war mitten in der Nacht als er das Lager hinter sich gelassen hatte. Er spürte Saphira in der Ferne. Sie war voraus geflogen. Eragon wusste, dass er viel schneller gewesen wäre, wenn er mit ihr geflogen wäre, aber wenn sie jetzt gelandet wäre, hätte einer der Außenposten sie sicher gesehen. Und das letzte was er jetzt gebrauchen konnte waren lästige Soldaten, die ihm pflichtbewusst überall hin folgten. Je weiter er sich vom Lager entfernte, desto schneller rannte er. Er hatte ein schlechtes Gewissen, dass er sich einmal mehr den Befehlen der Varden und seines eigenen Verstandes widersetzte. Aber ein Teil von ihm schrie danach. Und dieser Teil würde keine Ruhe geben, bis er es getan hatte. Diese plötzliche Entschlossenheit überraschte ihn. Sicher, sein schlechtes Gewissen war da und es war stark, schien ihn in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen. Aber er widerstand dem Drang und es fiel ihm erstaunlich leicht. Es gab ihm ein Gefühl der Freiheit, ein Gefühl, dass er schon so lange nicht mehr gehabt hatte. Er hatte es satt, so satt, immer nur das zu tun, was andere von ihm verlangten. Woher sollten sie wissen, ob das der richtige Weg war? Dass das, was sie ihm sagten, das Richtige für ihn war? Die Antwort war einfach: sie wussten es nicht und hatten es nie gewusst. Und vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Zumindest versuchte er, sich das einzureden... Die Sonne ging bereits auf, als er endlich so weit vom Lager entfernt war, dass er Saphira erlaubte zu landen und ihn aufzunehmen. Schweigend flogen sie Richtung Norden. Eragon wusste, dass sie noch immer sauer auf ihn war. Aber er konnte, und wollte, darauf keine Rücksicht nehmen. Irgendwann tauchten in der Ferne zwischen den Bäumen die Rauchsäulen auf, nach denen er den Horizont die ganze Zeit abgesucht hatte. Die Feuer brannten schon seit ein paar Tagen, fanden scheinbar aber immer noch genug Futter. Kein Wunder... dachte er schmerzvoll. Der Anblick des Schlachtfeldes erinnerte ihn schmerzhaft an das, was wenige Tage zuvor hier passiert war. Der größte Turm der kleinen Verteidigungsanlage stand noch, von den übrigen Gebäuden waren nur noch schwarze, rauchende Reste geblieben, die sich wie Gerippe in den vom Rauch grauen Himmel streckten. Eragon sah sich suchend um. Einige Dutzend Soldaten waren noch immer hier, versuchten, die Spuren des Kampfes zu beseitigen und die Anlage wieder aufzubauen. Ein halbes Dutzend großer Feuer brannten und spien dicke, schwarze Rauchwolken in den Himmel. Der ekelhafte Gestank von brennendem Fleisch stieg ihm in die Nase. War er wirklich am richtigen Ort? Dort wo Blut zu Feuer wird. Diese Stelle war der erste Ort der ihm eingefallen war. Frisches Blut, erst vor wenigen Tagen vergossen, wurde hier verbrannt, wurde eins mit dem Feuer... Sein Blick glitt suchend über die Umgebung. Der Boden war uneben, hohe Felsen und viele kleine Baumgruppen boten zahlreiche Verstecke. Er entdeckte ein kleines Felsplateau, nicht weit vom Schlachtfeld entfernt, verborgen hinter meterhohen Tannen. Er konnte nicht sagen wieso, aber er spürte einfach, dass das der richtige Ort war. Er teilte Saphira seine Gedanken mit und der Drache drehte bei und steuerte die Stelle an. Saphira flog einen großen Bogen und verbarg sie beide hinter dicken Rauchwolken. Der Gestank war so beißend, dass Eragon die Luft anhielt. Nach wenigen Minuten landeten sie auf dem felsigen Boden des Plateaus und Eragon stieg ab. Er sah sich suchend um, entdeckte aber niemanden. Enttäuschung stieg in ihm auf, aber er kämpfte sie nieder. In drei Tagen... er hat drei Tage gesagt! Er kann noch nicht hier sein... Wieder und wieder sprach er diese Worte in Gedanken aus, wie ein Mantra. Aber dennoch blieb ein flaues Gefühl zurück. Es schien zu schön um wirklich real zu sein. Die Sonne versank hinter den Bäumen, tauchte die Lichtung in goldenes Licht. Er stand vor ihm, so nah dass er nur die Hand heben musste um ihn berühren zu können. Er lächelte, lächelte dieses Lächeln, dass seine Knie weich werden ließ. Ihre Gesichter berührten sich fast, er spürte seinen warmen Atem auf seinen Lippen. Nah, so nah. Doch jedesmal, wenn er versuchte, den letzten Abstand zwischen ihnen zu überwinden, zog er sich zurück. Es war ein Spiel, mit Regeln die nur sie beide kannten. Nichts weiter als ein Spiel... Die Sonne ging langsam hinter den Bäumen unter. Es erinnerte ihn an etwas, an wirre Gedanken, einsame Träume, die verschwammen, bevor er sie richtig greifen konnte... Seit Stunden saß er da. Saphira war direkt neben ihm, die Augen wachsam in die Ferne gerichtet. Seine Hand ruhte auf ihrem Kopf, streichelte wieder und wieder über ihre tiefblauen Schuppen. Er schluckte. Und dann stellte er die Frage, die seit Stunden in seinem Kopf kreiste. Was, wenn er nicht kommt...? Saphira seufzte. Sie blieb ihm die Antwort schuldig. Gedankenverloren drehte er den Brief in seinen Händen. Er versuchte, sich vorzustellen wie Murtagh die Zeilen verfasste. Wie er wieder und wieder seine Worte durchstrich, nur um einen Moment später dasselbe nochmal zu schreiben... wie er sich umsah, voller Angst, man könnte ihn dabei beobachten... Ein Kloß bildete sich in Eragons Hals. Ein Geräusch ließ sie beide aufschrecken. Eragon sprang auf und griff nach seinem Schwert. Doch die Lichtung war leer. Hatte er sich das Rascheln nur eingebildet? Nein, jemand war hier, ganz in der Nähe... Auch Saphira war aufgestanden. Ihr Blick glitt unstet über den Himmel, suchte nach einem fernen Schatten. Doch auch sie schien nichts zu entdecken. „Eragon...“ Eragon fuhr herum, so schnell, dass er fast das Gleichgewicht verlor. Er stand direkt hinter ihm, so plötzlich als wäre er gerade aus dem Boden gewachsen. Eragons Hände zitterten mit einem Mal so stark, dass er fast das Schwert fallen ließ. Murtagh sah ihn an. Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht ganz. Hinter ihm landete Thorn, geschmeidig wie eine Katze. Seine Drachenaugen waren auf Saphira gerichtet. Fassungslos starrte Eragon den roten Drachen an. Wo war er hergekommen? Und wieso hatte er ihn nicht kommen hören? Angst beschlich ihn. Er wollte etwas sagen, aber es schien, als hätten alle Worte ihn verlassen. Er konnte sie vor sich sehen, aber keines von ihnen packen. Murtagh sah ihn an, wartend. Als der Blonde schwieg, seufzte er leise. „Eragon...“ Schon alleine der Klang seines Namens aus Murtaghs Mund jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Sein Körper war wie gelähmt. Wenn Murtagh ihn jetzt angreifen würde, würde er sich nicht wehren können... Was ist nur los, verdammt, was ist nur los?! „Es... es tut mir leid, dass ich diesen Weg wählen musste... es ging nicht anders...“ Murtagh sprach langsam, zögernd, als hätte er Angst dass jedes Wort eines zuviel sein könnte. Das gab Eragon die Gelegenheit, ihn genauer anzusehen. Und bot einen schrecklichen Anblick. Er war leichenblass, seine Wangen waren eingefallen und unter seinen Augen lagen tiefe, dunkle Schatten. Es schien ihm fast wie ein Wunder, dass er überhaupt noch aufrecht stehen konnte. Was immer in den letzten Tagen und Wochen mit ihm passiert war, es hatte ihn an seine körperlichen Grenzen geführt. Dann erinnerte Eragon sich an Murtaghs Kampf gegen seinen Meister, Oromis. Murtagh hatte, nein, Galbatorix, er hatte Murtaghs Körper benutzt, seine Hand geführt, als er Oromis... Nein, er wollte nicht daran denken. Er sah Murtagh an. War es das, was aus Menschen wurde, die nicht länger Herr über ihren eigenen Körper waren? Wurden sie zu hilflosen Marionetten? Zu nichts weiter als den Schatten ihrer selbst? Eragon spürte eine lähmende Angst in sich aufsteigen. Diese Macht über jemanden, die Macht ihn vollkommen zu unterwerfen, seelisch, körperlich... nein, niemand sollte diese Kraft besitzen! „Hör zu... ich hab nicht viel Zeit... aber ich musste... mit dir reden...“ Murtaghs Stimme war leise geworden, dennoch riss sie Eragon aus seinen Gedanken. Er starrte Murtagh an. „Weiß... weiß er dass du hier bist?“ Murtagh verzog die Lippen zu einem humorlosen Lächeln. „Was denkst du...?“ Eragon schüttelte langsam den Kopf. Die Frage war dumm gewesen. Aber Murtaghs Antwort hatte auch seine letzten Zweifel davon geschwemmt. Was immer Murtagh hier tat, es hatte nichts mit Galbatorix zu tun. Er war heimlich hierher gekommen, nur um mit ihm zu reden. Und dieser Gedanke war so süß... „Du musst weg von hier, ihr alle müsst weg von ihr. Dieser Krieg ist vorbei.“ „Was meinst du damit?“ fragte Eragon verwirrt. Murtagh sah ihn ernst an: „Es ist vorbei, ihr habt keine Möglichkeit mehr, diesen Kampf zu gewinnen. Galbatorix hat... er hat...“ Er versuchte, weiterzusprechen, aber seine Zunge schien plötzlich wie gelähmt. Er schien mit sich zu ringen, doch den Kampf zu verlieren. Er senkte den Kopf, starrte auf den Boden und begann leise zu murmeln. Eragon machte einen Schritt auf ihn zu, streckte eine Hand aus, wollte seine Schulter berühren. „Murtagh... was ist los?“ Murtaghs Kopf schnellte so schnell nach oben, dass Eragon erschrocken zurückwich. Seine Hand schloss sich instinktiv fester um den Griff seines Schwertes. Murtaghs Blick war gequält, etwas schien ihm schreckliche Schmerzen zu bereiten. „Es ist vorbei.“ sagte er noch einmal. „Ich verstehe nicht...“ „Ihr könnt ihn nicht mehr töten, er hat...“ Erneut brach er ab und vergrub das Gesicht in den Händen. Und Eragon verstand plötzlich. Es war wie bei Sloan. Er hatte den wahren Namen des Mannes erraten und ihn gezwungen, seinem Befehl zu folgen. Aber im Gegensatz zu Galbatorix hatte er das nur getan um ihm zu helfen. Aber er wusste, niemand konnte einem Befehl widerstehen, der von dem kam der seinen wahren Namen kannte. Niemand. Und scheinbar hatte Galbatorix Murtaghs Stimme gelähmt. Es dauerte einen Moment, bis Murtagh die Hände wieder sinken ließ. Sein Gesicht glänzte schweißnass. „Erinnerst du dich an das was er zu dem Elfen gesagt hat?“ Eragon antwortete nicht. Wieso fing er wieder damit an? Er wollte sich nicht erinnern... „Er hat gesagt, er würde ein Gott werden.“ Jetzt horchte Eragon auf. Er erinnerte sich an die Worte des Königs, hatte sie aber als Unsinn, als Übertreibung, abgetan. Niemand, nicht einmal Galbatorix, könnte ein solche Macht erlangen. Das war nicht möglich... Murtagh schien seine Gedanken gelesen zu haben, denn er nickte. „Doch, er hat es getan. Er... er... ich kann nicht sagen wie... aber er kann... er kann nicht mehr sterben!“ Eragon blickte ihn ungläubig an. Nur langsam wurde ihm klar was das bedeutete. Wenn Murtagh wirklich recht hatte und Galbatorix nicht mehr getötet werden konnte... dann waren sie verloren... Nein, das konnte nicht sein, das war unmöglich! Glaub ihm nicht! Die ganze Zeit über hatte Saphira geschwiegen, aber nun platzen die Worte aus ihr heraus und mit ihnen ein unverhohlener Hass. Eragon musste sie nicht einmal ansehen um zu erraten, dass sie Murtagh und seinen Drachen am liebsten auf der Stelle in Stücke gerissen hätte. Als er nicht antwortete, wiederholte sie ihre Worte, diesmal noch eindringlicher. Eragon, er lügt uns an! Er ist der Feind, wir können ihm nicht glauben! Eragon versuchte, ihre Gedanken auszublenden. Er wusste, er verletzte sie damit, aber im Moment gab es wichtigeres! Wenn Murtagh recht hatte... dann war alles, was sie getan hatten, umsonst gewesen... „Und wieso sagst du mir das? Wieso hast du mir diesen Brief geschrieben?“ „Ich habe den Brief nicht geschrieben.“ Eragon erinnerte sich an seine wirren Fantasien und kam sich plötzlich unglaublich dumm vor... „Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte dir nicht schreiben können. Nicht mit meiner eigenen Hand. In dem Moment in dem ich es versucht hätte...“ Murtagh brach ab und sein Blick fiel auf das Stück Papier, das Eragon bei seiner Ankunft achtlos hatte fallen lassen. Eragon nickte knapp. Das hätte er eigentlich wissen müssen. Galbatorix überließ nichts dem Zufall. Und nachdem Murtagh schon einmal seinen Befehl missachtet hatte... Und plötzlich wurde im bewusst, in welcher Gefahr er sich befand, sie beide sich befanden. Wenn der König erfahren würde, was Murtagh getan hatte, würde er ihn... „Ich glaube nicht, dass ich Nasuada davon überzeugen kann, aufzugeben.“ begann Eragon langsam. Murtagh runzelte die Stirn. „In dem Fall werdet ihr sterben.“ sagte er schlicht. Eragon schüttelte den Kopf: „Nein. Ich bin sicher, dass wir einen Weg finden werden. Die Elfen...“ Murtagh lachte auf. Als er weitersprach, war seine Stimme mit Verachtung erfüllt. „Die Elfen! Was haben die Elfen in diesem Krieg bisher geleistet?! Gar nichts! Und sie werden mit euch untergehen!“ Eragons Augen weiteten sich. „Das stimmt nicht und das weißt du. Wir werden einen Weg finden, auch er muss einen Schwachpunkt haben! Es ist noch nicht zu spät! Und mit deiner Hilfe...“ Murtaghs hasserfüllter Blick ließ ihn verstummen. „Glaubst du das wirklich? Glaubst du, ich würde noch hier stehen und mit dir reden wenn er einen Schwachpunkt hätte?“ Seine Stimme war ein leises Zischen geworden. Er trat langsam auf Eragon zu. „Ihr hattet eure Chance, du und dein chaotischer Haufen von Möchtegernkämpfern. Aber ihr habt zu lange gewartet und jetzt ist es zu spät. Ihr habt die Wahl, ihr könnt aufgeben und eure kümmerlichen kleinen Leben retten, oder hier bleiben und sterben.“ Seine Augen funkelten gefährlich. Eragon wich unwillkürlich einen Schritt zurück und umschloss den Griff seines Schwertes fester. Innerlich kochte er vor Wut. Was Murtagh da sagte, war vollkommen absurd...! „Es wäre besser für dich, wenn du tust was ich dir sage.“ „Woher willst du wissen, was besser für mich wäre, du kennst mich nicht!“ Eragon schrie ihn jetzt an, die Stimme von einer Wut erfüllt, die er von sich selbst bisher nicht gekannt hatte. „Du hast ja keine Ahnung, wovon du da redest und was du da verlangst! Und wenn das alles ist, was du zu sagen hast, dann brauche ich dich nicht!“ Das Funkeln verschwand aus den Augen seines Bruders. Und an seine Stelle trat...nichts. Eragon bereute seine Worte plötzlich. Und wusste nicht einmal genau wieso. „Ja... vielleicht hast du recht.“ Murtaghs Stimme war wieder leise geworden, aller Zorn war aus ihr gewichen. Er drehte sich langsam um und ging zurück zu Thorn. Eragon spürte wie Saphira sich hinter ihm bewegte. Tu es, töte ihn! Eragon antwortete nicht. Eine bessere Gelegenheit findet sich vielleicht nie wieder! Sie war angespannt. Ihre Krallen bohrten sich tief in den felsigen Boden. Eragon..! „Es tut mir leid!“ rief Eragon ihm hinterher. Murtagh reagierte nicht. „Lass mich dir helfen!“ Seiner Stimme war seine Hilflosigkeit deutlich anzumerken. Er hoffte nur dass Murtagh es nicht hörte. Endlich blieb er stehen, aber er sah Eragon nicht an als er antwortete: „Du kannst mir nicht helfen.“ „Aber... vielleicht gibt es einen Weg!“ Jetzt wandte er sich doch um. Sein Blick war hart. „Du hast es doch selbst gesagt: ich kann mir nur selbst helfen.“ Eine stumme Verzweiflung schien von Eragon Besitz zu ergreifen. „Ja... aber wenn es einen anderen Weg gibt...“ „Es gibt keinen anderen Weg...“ „Aber...“ „NEIN!“ schrie Murtagh so heftig, dass Eragon zusammenzuckte. Hinter sich konnte er Saphira bedrohlich knurren hören. „Glaubst du, ich hätte nicht alles versucht?! Glaubst du, ich hätte nicht alles getan, um eine Lösung zu finden?! Aber jede noch so kleine Hoffnung die ich hatte ist am Ende doch zu Staub zerfallen!“ Eragon schluckte. Er öffnete den Mund, wollte etwas entgegnen, aber er musste erkennen, dass es nichts gab was er noch hätte sagen können. Murtagh sah ihn lange an. Ein trauriges Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Denk daran was ich dir gesagt habe. Denn wie es aussieht...“ Er schenkte ihm einen düsteren Blick. Eragon schluckte. „Wie es aussieht, werden wir uns wohl nicht wiedersehen...“ Er wandte sich wieder um und ging zu seinem Drachen. Geschickt stieg er in den Sattel und wenige Augenblicke später erhob Thorn sich schon mit ein paar kräftigen Flügelschlägen in die Luft. Noch können wir sie aufhalten! Saphira machte ein paar Schritte vorwärts, wartete auf sein Einverständnis. Doch Eragon hörte ihre Worte gar nicht. Wie hypnotisiert starrte er dem dunkelhaarigen hinterher, der am Himmel immer kleiner und kleiner wurde. Murtagh drehte sich kein einziges Mal zu ihm um. ~ Die Wälder und Wiesen flossen unter Eragon dahin wie ein unendlicher grüner Strom, verschwommen, ohne klare Konturen. Stunden vergingen, aber er spürte es kaum. Wieder und wieder ließ er seine Begegnung mit Murtagh in seinen Gedanken Revue passieren, wieder und wieder hörte er seine Worte, sah sein Gesicht, von heftigen Emotionen verzerrt. Und wieder und wieder stellte er sich die Frage, ob das alles wirklich wahr war. Sein ganzes Wesen sträubte sich gegen den Gedanken, dass alles, wofür sie gekämpft und gelitten hatten, dass all die Opfer die der Krieg sie schon gekostet hatte, dass all dies umsonst gewesen sein sollte. Es konnte, es durfte nicht so sein! Doch auch wenn er tief in seinem Inneren wusste, dass es die Wahrheit war, wünschte er sich in diesem Moment doch nichts sehnlicher als dass jedes Wort aus Murtaghs Mund nichts weiter als eine Lüge gewesen war... ~ Laufen, rennen, immer weiter. Einen Fuß vor den anderen setzen, keine Geräusche hören bis auf das stetige dumpfe Stampfen der eigenen Stiefel auf dem ausgetrockneten Boden. Als Eragon das Lager endlich erreichte, kam es ihm vor, als sei er Tagen oder Wochen weg gewesen. So viel schien passiert zu sein. Hier waren sie, schliefen in ihren Zelten, schärften ihre Waffen, schürten ihren Hass. Und nur sie standen Galbatorix noch im Weg. Sie waren alles, was dieses Land noch hatte... Und dann spürte er sie, eine kriechende Angst, die sich wie lähmendes Gift um seinen Gedanken legte. Verloren, alles verloren... Er lief schneller, dann begann er zu rennen. Als er sein Zelt endlich erreichte und die dünne Plane hinter sich fallen ließ, hatte er das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Keuchend blieb er stehen und schloss die Augen. Doch die Angst verging nur langsam, quälend langsam. Er war so mit sich selbst beschäftigt, dass er die Gestalt nicht bemerkte, die auf seinem Feldbett saß und schweigend zu ihm hinüber sah. 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