Leitartikel von SummoningIsis (Küss mich bis zur Deadline) ================================================================================ Kapitel 21: Wenn man es nur will -------------------------------- SEBASTIAN/JADE „Sag mal, wie bekloppt bist du eigentlich?“, sagte Dirk, als er mit einem letzten Pfeil die Dartscheibe anvisierte. Die Spielmaschine blinkte auf, eine mechanische aufgedrehte Stimme rief aus: „You won!“ Bunte Lichter blitzen in einem wirren Tempo und Jade ließ die Schultern hängen. „Du hast schon wieder gewonnen“, stellte er mit einem müden Lächeln fest und legte seine kleinen Pfeile beiseite. Sie setzten sich wieder an die Theke, übergaben das Spielfeld anderen, bestellten ein weiteres Bier, eine weitere Runde Schnaps. Es war nicht viel los im Pub, jedenfalls weniger als sonst. Eine Tatsache, die dem Schwarzhaarigen in seiner momentanen Verfassung wohl bekam. „Wieso zum Teufel hast du dich bitte bei diesem Sack entschuldig?!“, fuhr Dirk fort. Jade nippte an seinem Bier. Ja, wieso eigentlich? Eigentlich war es doch Michael, der sich bei ihm hätte entschuldigen müssen, der überhaupt in diese miserable Situation hätte einschreiten sollen. Dass seine komische Familie ihm wichtig war, das hatte Jade ja kapiert. Aber dass er seine Schwester ihn so ungehalten am Tisch hatte anfahren lassen? Und dann noch diese Tritte... Ein Benehmen der untersten Kategorie, oder nicht? Eigentlich müsste er wütend sein und hätte Michael eine Standpauke im Wagen halten sollen. Aber in diesem Moment hatte die Angst gesiegt. Die Angst ihn zu verlieren. Und das hatte er jetzt wohl. Oder? Seit vier Tagen hatten sie nicht mehr miteinander geredet. Seit vier Tagen hatten sie sich nicht gesehen. Und Jade sah überhaupt gar keine Anzeichen auf eine Änderung. „Ich weiß auch nicht“, beantwortete er schließlich die Frage. „Ich dachte wir vergessen das erstmal, haben ne schöne Zeit und reden dann irgendwann in Ruhe drüber.“ „Tsk“, kam es in sarkastischer Manier von seinem Freund. „Ich erkenn dich gar nicht wieder. Hätte Mark so ne Scheiße mit dir abgezogen, als ihr noch zusammen wart, wärst du ihm direkt an die Gurgel gegangen. Und zwar vor den Augen seiner Familie. Du benimmst dich wie ne Pussy, echt.“ „Gott, ich hasse diesen Begriff...“ „Und ich hasse es, wie du dich hängen lässt und dich wegen diesem Arschloch kaputt machst. Was ist überhaupt los mit dir?! Mit Torsten bist du auch zerstritten, mich rufst du kaum noch an. Hat dir der Typ ins Gehirn geschissen, oder was?!“, fuhr Dirk ihn an und schüttelte seinen etwas breiteren Kopf. In einem hatte er Recht: Jade verhielt sich nicht so, wie er sich normalerweise verhalten würde. Vielleicht... Weil er das erste Mal so richtig verliebt war... Wahre Liebe tat doch am meisten weh, oder nicht? Und sie war kompliziert, oder nicht? Und sie hatte nie ein Happy End. Er seufzte. Etwas Besseres als in den Pub zu gehen und sich ein wenig volllaufen zu lassen, war ihm auch nicht eingefallen. Mit Dartspielen wollte er sich ein wenig ablenken, ein wenig mit Dirk quatschen. Doch der fand kein anderes Thema als Jades Problem. Und jetzt fing er auch noch mit Torsten an... „Zerstritten kann man das nicht wirklich nennen...“, sagte er. Dirk starrte ihn an. „Wie denn dann?“, hakte er dann etwas bitter nach. „Ihr redet nicht miteinander, ihr geht euch aus dem Weg und reagiert fast schon allergisch, wenn man den Namen des anderen nennt. Naja, Torsten jedenfalls.“ „Ach“, spie Jade aus. „Ist das so?!“ „Siehst du, du reagierst auch schon allergisch!“ Jade verdrehte die Augen, nahm einen großen Schluck Bier und ließ seine Augen ausdruckslos über die Theke wandern. „Frag einfach Torsten, was er hat. Der ist derjenige, der hier das Problem hat, nicht ich.“ „Mit Jana scheint es momentan auch alles andere als gut zu gehen“, bemerkte Dirk plötzlich etwas milder. „Weißt du vielleicht, was da los ist?“ Was für eine Frage das war. Natürlich wusste er, was Sache war. Und dass er selbst der Grund war. Theoretisch. Nicht jedoch, wie Torsten ihm die Geschichte hatte anhängen wollen. Alles hing zusammen. Alles war Scheiße. Wenn er könnte, würde er momentan so vieles einfach rückgängig machen. Den Sex mit Torsten, die Familienfeier mit Michael, vielleicht sogar überhaupt das gesamte Thema Michael! Ja, am besten würde er weit nach hinten reisen und niemals mit Mark Schluss machen, mit Mark zusammenziehen und jetzt vielleicht schon Heiratspläne schmieden. Nein. Das wollte er nicht. Weil er Mark nicht mehr liebte. Und selbst wenn es eine sichere, stabile Bindung geblieben wäre, selbst wenn Mark sein Hafen geworden wäre – wäre er glücklich tagtäglich in den Ort einzukehren, an dem es keine flammenden Gefühle gab? Nein. Wieso dachte er dann eigentlich so einen Mist?! War das schon der Alkohol? So viel hatte er jetzt auch nicht getrunken. „Frag Torsten am besten selber mal“, sagt er zu Dirk. „Der blockt doch ständig ab!“ „Dann wird er wohl seine Gründe haben.“ „Ihr beide führt euch auf wie Idioten.“ „Vielleicht sind wir das ja auch.“ „Das Gefühl habe ich langsam auch...“ Einige Minuten lang schwiegen sie. Gott sei Dank lief Musik. Gott sei Dank redeten die Gäste in den Räumlichkeiten etwas lauter und schon affektierter als vorher. Man konnte Gelächter wahrnehmen, einige Gläser aneinanderstoßen hören. Jade seufzte erneut. Alles war scheiße. Wenn er an Michael dachte, durchfuhr ihn ein Schmerz. Wenn er an Jana dachte, überkam ihn ein Stechen. Wenn er an Torsten dachte, übermannte ihn Scham und er musste gleichzeitig die Fäuste ballen. Und jetzt wurde Dirk zu allem Überfloss noch wütend auf ihn. Und auf Torsten. Wenn er nur wüsste... „Das kotzt mich so mit euch beiden an, echt“, zischte dieser und leerte sein Bier. Noch mit dem Getränk im Mund signalisierte er der Bedienung, einem äußerst attraktiven Mann, ihm ein weiteres zu holen. Dirk konnte eben extrem schnell trinken. Jade griff nach dem Schnaps und spülte ihn herunter. OK, langsam wurde ihm schwindelig. Das war gut! „Das tut mir ja auch Leid, aber das ist halt alles ein bisschen kompliziert“, lenkte der Schwarzhaarige mit sanfter Stimme ein. „Um was ging es denn? Nur so im Allgemeinen, du musst mit keine Details nennen, aber mir ist die ganze Sache nicht so geheuer. Und ich kann halt sehen, dass Torsten leidet.“ „Das bestimmt. Aber das ist auch seine eigene Schuld. Ja ja, ich weiß. Ich weiß, wir sollten einfach reden, aber ich weiß im Moment nicht wie. Ich wollte mich ja wieder mit ihm vertragen, aber jetzt kommt noch diese ganze Scheiße mit Michael hinzu und... Ach, ich weiß auch nicht. Ich weiß ja noch nicht mal, ob ich mit Michi noch zusammen bin oder nicht.“ „Michi“, imitierte Dirk den gesagten Namen, seine Stimme von Sarkasmus durchtränkt. „Ich denke Michi sucht sich jetzt einen Manager, mit dem er gemeinsam mit seiner Schwester im Eliteuniversum schwelgen kann.“ Jade grinste bitterlich. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, sich über Michael lustig zu machen. Noch nicht. Er war verwirrt. Und wütend. Und enttäuscht. Und überhaupt. „Hey, mach mir noch nen Schnaps, ja?“, rief er der Bedienung zu, die ihm daraufhin zuzwinkerte und sich ans Werk machte. „Wenn ich dir irgendwie bei deinen ganzen Problemen helfen kann, dann musst du nur Bescheid sagen...“, bemerkte Dirk nach einer Weile, nachdem sie mit ihren neuen Getränken angestoßen hatten. Jade lächelte dankbar. „Danke, Dirk. Tret Michael einfach in den Arsch.“ „Das würde ich unfassbar gerne tun...“ MICHAEL Im Takt des Musikstückes, welches leise aus dem Radio drang, pochte er mit dem fein angespitzten Bleistift gegen seine leere Kaffeetasse. Es war 20 Uhr. Der Haufen Arbeit hatte ihn lange hier behalten, hatte ihn ablenken können. Doch seit etwa 20 Minuten saß er nun schon in dieser Position und starrte gar apathisch auf den großen Bildschirm, auf dem seit etwa 10 Minuten der Bildschirmschoner zu sehen war – sich immer wieder aufbauende, bunte Rohre. Spannend. Doch er tat alles, um nicht über diesen Samstag nachdenken zu müssen. Diese unangenehme Atmosphäre, die er in Sabines Haus hatte miterleben müssen, die sich anzischenden Stimmen, die unangebrachten Bemerkungen. Zu spät. In seinen Gedanken war er wieder vollends bei der Szene, die alles ins Wanken gebracht hatte. Alles, was ihm noch vor einigen Tagen so richtig und so wunderschön erschienen war, war nur noch als vages Konstrukt wahrzunehmen. Ohne Anfang, ohne Ende, ohne Sinn. Oder? Vier ganze Tage hatte er Sebastian nun nicht gesehen. Wann immer seine Kollegen Kaffeetrinken gegangen waren, war er selbst in der Redaktion zurückgeblieben. Er wusste nicht, ob es Angst oder Trotz war, der ihn zurückhielt. Er wusste nicht einmal, ob er den Schwarzhaarigen wirklich wiedersehen wollte. Und andererseits fühlten sich die vergangenen Tage so unerfüllt an. War Sebastians Abwesenheit dafür der Grund? Ein weiteres Mal seufzte Michael und fuhr sich mit seinen Händen über das leicht verschwitzte Gesicht. Er dachte an die schönen Tage, die sie miteinander verbracht hatten. An dieses ihn beflügelnde Gefühl neben dem Jüngeren einzuschlafen und diese Energie, die Sebastian in seltsamer Manier auf ihn transferierte. Von dieser war nun nichts mehr zu spüren. Er fühlte sich schlapp und müde. Irgendwie ausgelaugt. Hinter dem Steuer schlief er fast ein. Und die nunmehr wieder leere Wohnung veränderte seine Laune auch nicht. Und wenn, dann nur zum Negativen hin. Erneut schlichen sich diese Gedanken in seinen Kopf, als er vergebens auf den Schlaf wartete. Diese Worte, die sein Ex ihm ins Gesicht gespien hatte. „Es kommt mir einfach vor, als würdest du mich manchmal belächeln und von oben herab betrachten. Dein ganze Familie.“ Das hatte er gesagt. Ein unangenehmer Schauer erfasste Michael. Ein Unbehagen, welches er nicht in der Lage war abzuschütteln. Und erneut hallte es durch seinen Kopf: Tim hatte Recht. Erschrocken setzte er sich auf, realisierte erst jetzt, wie herblassend er sich gegenüber Sebastian verhalten hatte. Wie blind er am Tisch gewesen war, dass er ihn sogar getreten hatte! Und dann legte er sich wütend wieder hin. Sebastian war auch nicht ganz ohne. Fast schon egoistisch könnte man sagen. Nannte ihn und seine Familie spießig und verachtete Vorurteile, trat jedoch jedem mit eben diesen entgegen. Oder etwa nicht? Er hätte manches eben einfach runterschlucken können. Manchmal kam es ihm vor, dass Sebastian plante ihn komplett zu verändern. Ohne sich dabei großartig zu verändern. Das klang nicht unbedingt nach Kompromiss… Gott verdammt, der Junge brachte ihn durcheinander! Wie sollte das nur weiter gehen? Sollte es überhaupt weiter gehen…? Michael dachte an diverse Szenen, die er jetzt schon mit Sebastian erlebt hatte. Die peinliche Szene im Pub, das erste Mal Händchen halten, die Filme, die sie sich angesehen hatte, diese leuchtenden Augen des Jüngeren, die Michael so faszinierten und diese Harmonie, die sie in den wenigen Tagen schon erlebt hatten. Er hatte ihre Beziehung erst kürzlich offiziell gemacht. Mit Freude. Er war bereit gewesen, sein neues Leben durchzuziehen und sein altes komplett hinter sich zu lassen. Dieses Gefühl, ein verliebter Teenie zu sein, klopfte an die Tür seines Herzens. Doch die ängstlichen und wütenden Gedanken, versuchten es wieder zu verdrängen. Michael war hin- und hergerissen. Sebastian? Allein sein? Seine Familie? Sebastian? Alleine sein? Harmonie? SEBASTIAN/JADE Er schaffte es die Wohnungstür aufzuschließen. Nach fünf Versuchen. Ihm war verdammt schwindelig. Die Stimmung im Pub hatte sich gebessert. Dirk hatte aufgehört dumme Fragen zu stellen und Rolf und Max, zwei weitere Freunde, waren auch noch aufgetaucht. Und hatten einige Runden spendiert, als Jade ihnen sein Leid geklagt hatte. Max hatte ihm sogar angeboten ihn zu trösten. Doch, naja, dazu hatte der Schwarzhaarige wirklich keine Lust verspürt… Vor allem… Offiziell hatten sie ja noch nicht Schluss gemacht… Er fühlte sein Herz einen erneuten, unangenehmen Sprung machen, als er an ein potenzielles Ende dachte. Michael hatte sich noch immer nicht gemeldet. Und ihm fehlte einfach der Mumm den Blonden anzurufen. Wahrscheinlich weil er nicht hören wollte, dass es aus war. War es jetzt aus, oder nicht?! Sein Schädel dröhnte und er stolperte, als er das Licht im Flur anknipste. „Kacke“, murmelte er, als er sich an der Wand abstützte und sein Zimmer erreichen wollte. Abrupt blieb er dann doch stehen. Torsten stand vor ihm und musterte ihn. „Alles klar, Mann?“, fragte der Rothaarige. „Hm“, antwortete Jade und versuchte sich an Torsten vorbeizudrängeln, was bei der Enge des Flures und seines momentanen Zustandes nicht leicht war, doch sein Mitbewohner ging zur Seite und ließ ihn passieren. Er folgte dem Schwarzhaarigen in sein Zimmer und als dieser sich aufs Bett fallen ließ, setzte Torsten sich auf seinen Schreibtischstuhl und starrte ihn weiterhin an, als würde er auf ein Wort von dem Jüngeren warten. „Was ist?“, raunte der Schwarzhaarige schließlich, seine Augen geschlossen, denn nur so konnte er die Schwindeligkeit etwas besänftigen. „Tut mir Leid“, kam es von Torsten. „Was?“ „Es tut mir Leid, was ich dir an den Kopf geschmissen hab“, erklärte er seufzend. Der Stuhl quietschte ein wenig, als der Rothaarige auf ihm hin und herrutschte. „Ich bin irgendwie ausgerastet.“ „Allerdings…“, murmelte Jade. „Jedenfalls… hab ich keinen Bock, dass das jetzt so zwischen uns weiter läuft… Ich glaube… Ich bin mir halt so unsicher bei der Sache mit Jana, weil sie alles so langsam angehen will und ich schon so starke Gefühle für sie habe. Und das macht mir eben auch Angst, weil ich mich plötzlich für ne Frau entschieden habe… Aber eben auch Männer toll finde. Ich glaub einfach, ich hab meine Gefühle für Männer im Allgemeinen auf dich projiziert, weißt du, was ich meine?“, fuhr er fort. Jade gähnte. „Ich glaube… ich glaube ich weiß was du meinst. Männer sind ja auch viel toller als Frauen“, entgegnete Jade ein wenig grinsend. Torsten lachte. „Ich freu mich auch für dich und Michael“, sagte er dann sanft. Doch Jade lachte bitter auf. „Du bist… noch nicht auf aktuellem Stand, mein Lieber…“, brachte er heraus und gähnte erneut laut. Langsam driftete er in Richtung Traumwelt. „Was? Was ist passiert?“, erkundigte Torsten sich, doch da schlief sein Mitbewohner bereits. MICHAEL Erneut starrte er auf den Applebildschirm. Freitag. Der fünfte Tag ohne ein Wort von Sebastian. Der Blonde wirkte träge, er war müde, der Schlaf hatte auf sich warten lassen. Abermals. Die Konferenz hatte er gerade so ertragen können. Das freudige Geplappere Florians auch. Auch den Smalltalk mit Sibylle. Und auch die Telefonate mit einigen Autoren und dem Verlag. Doch die langsam vor sich hintickende Uhr ging ihm gehörig auf die Nerven. Er ertappte sich, wie er wieder auf sein großes Handydisplay blickte. Michael schnaubte. Er könnte ja auch einfach anrufen. Ja, und dann? Er war sich noch immer nicht sicher, was er fühlte. Geschweige denn, was er wollte. Ein ewiges Hin- und Her. Ein Wechselbad der Gefühle. Seitdem er mit Sebastian zum ersten Mal geschlafen hatte… Wieder tauchte das lächelnde Gesicht des Schwarzhaarigen vor ihm auf. Erneut erklang diese wunderschöne Stimme in seinem Kopf. Er konnte Sebastian regelrecht seinen eigenen Namen aussprechen hören. „Michael…“ Er seufzte. Wie sollte das nur weiter gehen? Und dann tat er das einzige, was ihm in diesem Moment, als Traurigkeit und Wut aufeinanderprallten, einfiel. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer seiner Schwester. „Speier?“, ging sie ans Telefon. „Ich bin’s“, sagte er knapp. „Michael! Michael, es tut mir so Leid, das wollte ich nicht!“, kam es umgehend von ihr. Dem Blonden blieb kurz der Atem weg. Mit so einer schnellen Reaktion hatte er gar nicht gerechnet. Und vor allem nicht in diese Richtung. „Micha?“, hakte sie nach, als er noch immer nichts gesagt hatte. „Bin noch dran“, murmelte er kurz und räusperte sich. Wieder einmal wusste er nicht so recht, was er eigentlich wollte. Oder doch? „Ach Gott, Michael. Ich wollte mich bei dir entschuldigen, aber Markus sagte, ich solle warten, bis du dich bei mir meldest, ich bin echt froh, dass du anrufst. Ich bin so eine dumme Kuh“, fuhr sie mit benommener Stimme fort. „Ich habe als Gastgeberin versagt. Ich hätte Sebastian nicht so behandeln dürfen. Ich glaube… meine Mutterinstinkte sind mit mir durchgegangen. Überhaupt, das war eine Sache, die nicht bei Tisch hätte besprochen werden dürfen. Sebastian ist nicht zufällig bei dir in der Nähe? Ich würde mich unheimlich gern beim ihm entschuldigen…“ „Nein. Ich hab ihn seit fünf Tagen nicht mehr gesprochen“, entgegnete Michael kalt. Sabine schwieg. „Ihr habt euch doch nicht… wegen der Geschichte gestritten, oder?“, fragte sie nach, doch eigentlich kannte sie die Antwort bereits. Michael erzählte ihr von dem Gespräch im Wagen, wie er Sebastian danach gesagt hatte nach Hause zu gehen. „Weißt du, er hat Recht. Ich hätte dir sagen sollen, die Klappe zu halten, oder?“, hakte er ehrlich nach. Sabine seufzte. Und dann antwortete sie: „Ja, das hättest du tun sollen. Und du hättest ihn vor allem nicht unterm Tisch treten sollen, wie eine Gouvernante.“ Michael seufzte und lehnte sich mit geschlossenen Augen in seinem Stuhl zurück. „Weißt du, Sabine, ich glaube in manchen Punkten hatte Tim schon Recht“, sprach er mit milder und trauriger Stimme. „Ich verhalte mich schon manchmal wie ein unfassbarer Idiot, der denkt er stehe über allen anderen.“ „Liegt an der Familie“, bemerkte sie glucksend. Michael musste leicht grinsen. „Micha“, setzte Sabine wieder an. „Wenn er dir etwas bedeutet, dann ist alles andere unwichtig. Und als du hier rein kamst, mit ihm, ich hab’s an deinen Augen gesehen. Der Junge tut dir gut. Auch wenn er ein wenig anders ist. Laura und Martin lieben ihn. Und auch Mama und Papa sagten, dass die ein frischer Wind gut tut. Und jetzt musst du dich eben fragen, was du willst. Als ich Markus kennengelernt habe, war ich auch hin- und hergerissen. Und wir hatten am Anfang auch viele Probleme, die scheinbar unüberbrückbar schienen. Davon habt ihr alle nichts mitbekommen. Aber ich hab mir immer wieder gesagt: „Ich mach’s einfach.“ Und schau wie weit Markus und ich gekommen sind. Er ist der einzige, der es so lange mit mir ausgehalten hat. Und weißt du was? Dasselbe sagt er auch von mir. Man kann sich arrangieren. Wenn man es nur will.“ Wenn man es nur will… SEBASTIAN/JADE „Alter, das ist echt Scheiße…“, murmelte Torsten, als sie am frühen Abend am Küchentisch saßen und Lasagne aßen. Jade zuckte mit den Schultern, nahm einen Schluck Wasser zu sich. Er hatte Torsten alles erzählt. Noch einmal sein Herz auszuschütten hatte gut getan. „Wir gehen heute weg“, beschloss der Rothaarige plötzlich. Jade seufzte. „Ich hab auch keine Lust mehr mich die ganze Zeit wegen Michi volllaufen zu lassen. Auf der Arbeit kann ich mich deswegen schon kaum konzentrieren, echt“, meckerte er. Torsten rollte mit den Augen. „Das ist kein normales Weggehen, du Honk!“, schimpfte er. „Du wirst jetzt dein Handy nehmen, Michael die Adresse des Clubs schicken und ihm ein Ultimatum stellen.“ „Was?“, Jade blickte seinen Mitbewohner ungläubig an. „Ultimatum?“, wiederholte er, als hätte er dieses Wort zum ersten Mal gehört. „Ja, Ultimatum“, bestätigte Torsten. „Entweder er taucht in der Disko auf, so wie er es versprochen hatte, oder er bleibt für immer fern. So einfach ist das.“ „Das ist eben NICHT so einfach!“ „Aber nur, weil dir der Mut fehlt. Wenn du’s nicht tippst, dann klau ich dir dein Handy und tippe es selbst.“ Fünf Minuten später, war die Nachricht bereits gesendet. Und Jades Herz pochte in seiner Brust. Nein, auf eine Antwort zu warten wäre sinnlos. In der SMS stand klar und deutlich geschrieben: „Pink Bar, 23 Uhr – oder es ist aus.“ Der Schwarzhaarige seufzte. Es war erst 18 Uhr. Der Klub öffnete seine Pforten erst um in vier Stunden. Er brauchte eine Dusche, eine lange, heiße Dusche. Genau das. Drei Stunden später waren sie bereits auf dem Weg in die Disko. Sie würden sich vorher noch mit Dirk und Max im Pub treffen, einen Pitcher teilen und dann zur Location zu Fuß gehen. Beide Einrichtungen lagen nahe beieinander. Und das war von Vorteil. Von Vorteil war auch, dass ihn seine Freunde gut ablenken konnten. Erneut spielte er gegen Dirk Dart – und verlor wieder. Mit Max quasselte er ausgiebig über das neue Placebo-Album, von welchen sie beide in den höchsten Tönen schwärmten. Und dann war es auch schon 22 Uhr. Nur eine Viertelstunde später hatten sie bereits ihre Jacken an der Garderobe abgegeben. Um 22.30 Uhr, nach zwei großen Bieren und einem Shot Wodka, erkannten sie, dass der Klub immer voller wurde. Naja, wer wollte die Happy Hour nicht verpassen? Jade wurde immer nervöser. Blickte fast jede einzelne Minute auf das Display seiner Uhr, schaute sich wie ein Wahnsinniger um. „Beruhig dich, Häschen“, sprach Dirk ihm zu. „Wenn er nicht kommt, dann ist er ein Arschloch, dann weiß der gar nicht, was er an dir hat.“ „Mein Tröstangebot steht noch“, zwinkerte Max ihm zu, worauf Torsten die Augen verdrehte und Max spielerisch wegschubste. Sie tanzten. Drei Minuten vergingen. Jade ging auf Toilette. Zwei Minuten vergingen. Er unterhielt sich mit Torsten über Brummer. Fünf Minuten vergingen. Er tanzte mit Max. Vier Minuten vergingen. Er leerte sein Bier. Eine Minute verging. Es war kurz vor elf. Es war elf. Es war zehn Minuten nach elf. Aufgebracht, mit schmerzvoll klopfendem Herzen sah er sich immer wieder um, blickte auf zu den weiten Treppen, die zurück zum Haupteingang führten. Doch zwischen all den Männern entdeckte er den Blonden nicht. 23.30 Uhr. Er setzte sich auf den Barhocker. Das Tanzangebot seiner Freunde hatte er ausgeschlagen. Er wollte allein sein. Er bestellte ein weiteres, großes Bier. Einen weiteren Wodka. Er seufzte. Es war vorbei. Er hätte es wissen müssen. Michael war ein beschissenes, blödes ARSCHLOCH! „Sebastian!“ Er sah auf. Der blonde Mann kam mit hochrotem Kopf angerannt, blieb, laut atmend, vor ihm stehen. „Ich konnte keinen Parkplatz finden und musste in der Tiefgarage hinter dem Hauptbahnhof parken“, brachte er keuchend heraus. Jade starrte ihn mit offenem Mund an. „Sorry“, murmelte er weiter. Seit fünf Tagen nun trafen ihre Blicke aufeinander. „Und… Jetzt?“, fragte Jade. Für einige Sekunden starrten sie sich an. „Jetzt halte ich mein Versprechen“, entgegnete Michael und lächelte leicht. „Und entschuldige mich. Und morgen, morgen reden wir. Über uns. Wenn es noch ein uns geben sollte… Ich… Es kann funktionieren zwischen uns. Wenn wir es wollen.“ „Willst du denn?“, fragte Jade. Und Michael nickte. „Ja, das will ich. Willst du denn so einen Idioten wie mich ertragen?“ Langsam schlich sich ein Grinsen in Jades Gesicht. „Ja“, sagte er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)