Schmerz von Skeru_Seven ================================================================================ ✗✗✗ --- Mit einem lauten Krachen knallte das Fahrrad auf die Fahrbahn und der Junge, der bis eben dort drauf gesessen hatte, stürzte mit einem erschrockenen Schrei auf die Bordsteinkante. Niklas, der gerade in der Küche saß und eine Kiwi zurecht schnitt, eilte erschrocken ans Fenster, um die Ursache des Lärms herauszufinden. Als er den verletzten Jungen am Boden liegen sah, rannte er zu diesem und kniete sich neben ihn. Im Gesicht schien dieser unversehrt zu sein, aber an den aufgeschlagenen Ellbogen lief das Blut entlang und an den Knien war es sicher nicht anders. „Aua!“, jammerte der andere Junge und biss die Zähne zusammen. „So ein Scheiß.“ „Kannst du aufstehen?“, fragte Niklas, weil hier die Gefahr bestand, dass sie von einem vorbeifahrenden Auto erfasst werden konnten. „Glaub schon“, meinte sein Gegenüber, probierte es aus und stellte fest, dass er sich überschätzt hatte, denn er knickte sofort wieder ein und Niklas musste ihn stützen. Aber wenigstens war nichts gebrochen, zumindest fühlte es sich nicht so an. Niklas bugsierte den Anderen ins Wohnzimmer, entfernte das Fahrrad von der Straße und ging zu seinem Gast, der vor Schreck noch ganz benommen auf dem Sofa hockte. Endlich hatte er Zeit, diesen genauer zu mustern und irgendwie kam ihm diese Person auch bekannt vor, nur leider konnte er momentan nicht zuordnen, woher. „Wie heißt du?“ Diese Methode, um ein Gespräch zu beginnen, fand Niklas am besten. „Das musst du eigentlich wissen, Niklas Krämer, oder?“ Der Junge wartete kurz, doch schließlich sah er ein, dass er keine Antwort bekäme. „Wir gehen seit zwei Jahren in denselben Lateinunterricht, schon vergessen?“ Nun erinnerte sich Niklas, zumindest, dass sein Gegenüber der stillste Junge der gesamten Lateinklasse war und deshalb immer eine fünf im Mündlichen erhielt. Doch den Namen wusste er nicht, das schien der andere zu merken. „Ich heiße Adrian.“ „Ach so, stimmt ja.“ Niklas tat so, als wäre es ihm gerade eben selbst wieder eingefallen. „Soll ich dich vielleicht zum Arzt...“ „Nein danke, nicht nötig“, unterbrach ihn Adrian sofort, obwohl er nicht verheimlichen konnte, dass es nicht ganz so harmlos anfühlte, wie er es sich erhofft hatte. „Ja, man merkt es.“ Niklas deutete auf Adrians aufgeschürften Handflächen. „Das sieht echt nicht gut aus. Bis du dir sicher? Soll ich es mir mal angucken?“ „Tu, was du willst, aber lass mich mit irgendeinem Arzt in Ruhe.“ Bereitwillig streckte Adrian seine Hände Niklas entgegen, der sie genau inspizierte und zu dem Schluss kam, Desinfektionsmittel und Pflaster müssten reichen. Während Niklas die Utensilien in der Küche zusammensuchte, breitete sich Adrian auf dem Sofa aus und schloss erschöpft die Augen. Der Sturz hatte ihn mehr erschreckt als er zugeben wollte und außerdem schmerzte fast sein gesamter Körper. Hoffentlich hatte Niklas Ahnung von dem, was er tat, denn er selbst kannte sich in diesem Gebiet kein Stück aus. Kurze Zeit später kehrte Niklas mit allen wichtigen Dingen zurück, setzte sich auf den Boden vor das Sofa und sprühte das Desinfektionsmittel Adrian auf die Hände, dem daraufhin vor Schmerz die Tränen in die Augen stiegen, aber er unterdrückte sie gekonnt. Es gab Sachen, die taten deutlich mehr weh als die Verletzungen eines Fahrradunfalls. „Bitte zieh dein T-Shirt aus.“ Unter anderen Umständen hätte Niklas nie eine derart zweideutige Aufforderung gestellt, allerdings wusste er nicht, wie es um Adrians Oberkörper stand und wollte deshalb auf Nummer sicher gehen, selbst wenn sein Patient nun etwas Falsches von ihm vermutete. Widerstrebend zog Adrian sein Oberteil über den Kopf, blieb aber angespannt liegen. Am schlimmsten hatte es tatsächlich seine Ellbogen getroffen; auf seinem Bauch zeichneten sich wenige schwache Kratzer ab, die er gar nicht spürte, da seine Arme durch das Abfangen des Sturzes wesentlich mehr weh taten. Sorgfältig kümmerte sich Niklas um die größeren und kleineren Abschürfungen, beklebte sie mit Pflastern aller Größen und widmete sich schließlich noch Adrians Knien. „Das hätte ein Arzt auch nicht besser machen können“, meinte Adrian schlicht. „Glaub ich nicht.“ Niklas betrachtete ihn abschließend noch einmal genau, um nicht etwas übersehen zu haben, und entdeckte dabei auf seiner Seite einen blauen Fleck, dessen genaue Größe er jedoch nicht erkennen konnte, da er sich anscheinend auf Adrians Rücken fortsetzte. Unbehagen überkam Niklas, der Fleck musste wirklich groß sein, außerdem besaß er eine ziemlich deutliche Färbung. Ohne um Erlaubnis zu fragte fasste er Adrian an Hüfte und Schulter und begann ihn auf den Bauch zu drehen. „He, was soll das?“, rief Adrian überrascht und wollte sich wehren, doch da war es schon zu spät, denn Niklas starrte entsetzt auf seinen Rücken und brachte kein Wort heraus. Der blaue Fleck zog sich nicht nur bis zur Wirbelsäule und weiter, er befand sich außerdem in guter Gesellschaft von einem dutzend seiner Sorte in allen Varianten und Farbstadien und einer Vielzahl anderer Verletzung, die ebenfalls nicht sehr angenehm anzusehen waren. „Was hast du gemacht?“ Niklas' Stimme zitterte leicht und vorsichtig strich er über einen besonders üblen Kratzer am rechten Schulterblatt. „Sportunfall“, behauptete Adrian automatisch, „sieht schlimmer aus, als es ist.“ „Verarsch mich nicht.“ Langsam wurde Niklas wütend; er kannte keine Sportart, bei der man danach wie aus dem Reißwolf geklettert wirkte. Adrian log ihn absichtlich an, obwohl er ihm nur helfen wollte. „Wie soll das denn passiert sein?“ Doch Adrian schwieg nun eisern und tat nach einige Minuten so, als schliefe er, was Niklas entrüstet den Kopf schütteln ließ. So etwas musste er sich nicht bieten lassen, selbst von einem verletzten Mitschüler. Allerdings beschloss er, sich nicht länger darüber aufzuregen, es brachte ihm rein gar nichts. Stattdessen aß er endlich die angeschnittene Kiwi zu Ende, räumte die Küche auf und probierte eine weitere Konversation mit Adrian; wieder ohne Erfolg, da dieser nun wirklich schlief, jedenfalls vermutete Niklas dies wegen Adrians gleichmäßigen Atmens. Nach zwei Stunden entschied Niklas, dass es für seinen Gast Zeit wurde, aufzuwachen, sonst verpasste dieser noch den Rest des erholsamen Samstagnachmittags. „He, aufwachen.“ Er beugte sich über ihn und rüttelte ihn an der Schulter, allerdings vermied er es, einen der blauen Flecken zu berühren, trotzdem erhielt er keine Antwort. „Hallo, Adrian, hörst du mir überhaupt zu?“ Der Angesprochene reagierte darauf nicht; stattdessen schlang er die Arme um Niklas' Hals, zog ihn zu sich und murmelte ihm etwas ins Ohr, was sich nach 'Ich liebe dich, Kim' anhörte. Starr vor Schreck hing Niklas in der Umklammerung, bis er sich hastig losriss und einen ganzen Schritt zurücktrat. Anscheinend galt diese Attacke nicht ihm, sondern irgendeinem Mädchen, das beruhigte ihn. Aber unwohl war ihm danach trotzdem. Mehrere Minuten später setzte sich Adrian verschlafen auf, achtete aber darauf, dass Niklas seinen Rücken nicht sehen konnte. „Wer ist Kim?“ Schlagartig wurde Adrian deutlich blasser. „Was geht dich das an?“ „Du hast die ganze Zeit im Schlaf von ihr erzählt.“ Zwar war das gelogen, doch vielleicht erfuhr er so ein bisschen mehr. Langsam kehrte das Leben in Adrian zurück und er schüttelte heftig den Kopf. „Und wenn schon, es braucht dich wirklich nicht zu interessieren. Ich gehe jetzt besser, sonst macht sich meine Mutter Sorgen.“ Er zog sein T-Shirt wieder an, stand noch leicht wackelig auf und humpelte zur Haustür. „Bis übermorgen in der Schule.“ Verwirrt schaute Niklas ihm hinterher, er verstand die plötzliche Flucht nicht. Irgendetwas stimmte mit oder bei Adrian nicht, aber was sollte er tun, wenn dieser permanent auswich und sich somit nicht helfen ließ? Adrian ergriff das Fahrrad, das die ganze Zeit an der Wand gelehnt hatte, und schob es neben sich her; einen weiteren Zwischenfall wollte er nicht riskieren. Warum geschah so etwas ausgerechnet vor der Nase von jemand, der sich in die Angelegenheit fast fremder Menschen einmischen musste? Er selbst würde schon klar kommen und es brauchte wirklich niemand etwas zu wissen. Nicht von den Gewalttaten seines Bruders. Und nicht von seinen eigenen Gefühlen zu seinem besten Freund. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)