Kristallherz von GeZ ================================================================================ Kapitel 2: Ignoranz ------------------- Ich war jedenfalls nie auf einer Polizeiwache. Obwohl mich in der Jugend doch öfter der Jähzorn lenkte, als mein Verstand, musste ich mich nie für Schläge verantworten. Ich war auch nie an einem solchen Ort, weil ich jemand anderen anzeigte oder etwas bezeugte. Ich hielt im Gegenteil nie viel von Menschen, die sich durch vermeintliche Zeugenschaft wichtig machen wollten, genauso wenig, wie ich Leute mochten, die alles zur Anzeige brachten. Den zu lauten Fernseher des Nachbarn. Den schrecklich bös knurrenden Hund des Grundstückes, an dem vorbei man zur Schule laufen musste. Die Kinder, die mit ihren mp3-Playern den Bus mit dieser unsittlichen Hip Hop Musik zudröhnten. Das war der eine Teil der Anzeigen. Die Sorte Mensch, die ich liebevoll Lärm-Weichlinge getauft hatte. Dann gab es noch die typischen Nachbarschaftszoff-Liebhaber, die sich über die Höhe von Gartenzäunen und Größe von Bäumen aufregten. Die Absperrung wäre gerade so hoch, dass sich das spielende Kind daran die Augen ausstechen könnte, vorausgesetzt, es würde einmal sein Zimmer verlassen, die Computerspiele und Foren ignorieren und hinaus ins Freie gehen. Der Baum des Nachbargrundstückes wäre so groß, dass er das gesamte eigene Anwesen andauernd in den Schatten stellen würde. Doch die Schlimmsten meiner Auffassung nach sind diejenigen, die Misshandlungen melden oder bestätigen wollen. Was soll das seien, eine ‚Misshandlung’? Eine Handlung, die nicht gebilligt werden kann, weil sie gegen Konventionen verstößt? Es gab genügend Dinge, die gesellschaftlich verpönt waren. War es also eine unrechtmäßige Handlung, wenn man dem Gottesdienst im Bikini beiwohnte? Wenn man während einer Familienfeier lieber stundenlang mit dem Handy telefonierte, um nicht den alten Geschichten, die bei solchen Anlässen mit Vorliebe ausgegraben werden, lauschen zu müssen? Wenn man im Unterricht quatschte oder Zeichnungen zu Papier brachte? Gleichfalls gab es genügend Dinge, die gesetzlich verboten waren. War es also eine Misshandlung, wenn man im Supermarkt Bier und Zigaretten mitgehen ließ? Wenn man ohne Führerschein fuhr? Wenn man Leute anrief und sie nach der Farbe ihrer Unterhose fragte? Wenn man Wände mit Graffiti besprühte? Wenn man ohne Ticket mit der Straßenbahn oder dem Bus fuhr? Wenn man bei Rot über die Ampel ging? Die Antwort ist nein. Misshandlungen werden enger aufgefasst. Nicht jede Tat, die nicht korrekt sein mag, gilt als solche. Eine „üble und unangemessene Behandlung eines anderen Menschen, die dessen körperliche Unversehrtheit oder das ‚körperliche Wohlbefinden’ beeinträchtigt“, gilt als Misshandlung. Doch was ist ‚übel’? Was ist ‚unangemessen’? Woher nehmen sich Menschen das Recht, andere anzuschwärzen, sie hätten jemanden misshandelt? Niemand kann nachvollziehen, warum Leute auf die ihnen eigene Art reagieren. Etwas, das nach außen übel und unangemessen erscheinen mag, kann doch in sich begründet sein und guten Absichten entspringen. Damals habe ich meine Schwester misshandelt. Ich schlug sie. Ich handelte aus einer Laune heraus. Damals habe ich meine Schwester nicht misshandelt. Ich schlug sie. Ich verfolgte damit erzieherische Maßnahmen. Die Welt ist schwer zu deuten. Die Menschen noch schwerer. Ihre Handlungen sind gar nicht zu interpretieren. Darum zeige ich niemanden an. Darum bezeuge ich nichts. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)