A snowman, that brings the death von abgemeldet (A supernatural story) ================================================================================ Kapitel 8: Memories ------------------- Nach langer Zeit habe ich mich mal wieder dazu durchgerungen, hier etwas zu posten. Gerne würde ich wissen, was ihr von meiner FF haltet ... das widerum kann ich jedoch nur erfahren, wenn ihr mir etwas dazu schreibt. Ich freue mich über jedes Review, sei es noch so kurz oder auch lang. Traut euch einfach ^^ 8. Kapitel: Memories „Ich weiß es nicht“, kam es tonlos über Sams Lippen und er wich dem fassungslosen Blick seines älteren Bruders schulterzuckend, als ginge ihn dies alles überhaupt nichts an, rasch aus. Einen überraschten Laut ausstoßend schüttelte der kleinere Winchester ungläubig den Kopf, die Starrsinnigkeit des Hünen zum Teufel wünschend. „Was soll das heißen, du weißt es nicht?“, bohrte er weiter, so schnell würde er sich nicht mit solch einer simplen Antwort zufrieden geben, sah doch das Badezimmer verdächtig danach aus, als hätte sich Sam auf der Flucht vor etwas befunden. „Es heißt das, was ich bereits sagte“, gab der Jüngere jedoch patzig zurück und begann, nach Deans übermäßiger Hilfsbereitschaft aussehend wie eine lebendig gewordene Mumie, in seiner Reisetasche, die ihm Dean mittlerweile vor sein Bett gestellt hatte, nach sauberer Kleidung herumzuwühlen. „Sam“, der Ältere griff behutsam nach dem Arm des Gemeinten, vorsichtig darauf bedacht, seinen Wunden keinen erneuten Schaden zuzufügen. Dennoch zuckte der Dunkelhaarige kurz zusammen, aber was Dean anschließend in dessen Augen las, war kein Schmerz, sondern unbändige Furcht. Mit Verwirrung geschlagen entließ der Jäger den Arm seines Bruders wieder in dessen Besitz, welcher seine volle Konzentration erneut der Auswahl seiner Kleidung widmete. Allerdings bemerkte er dabei nicht, dass er sich Dinge heraussuchte, die in etwa so gut zueinander passten wie eine schlecht gelaunte Katze in Begleitung eines tollwütigen Hundes, was, unbemerkt von ihm, durch Dean bereits kritisch und mit hochgezogenen Brauen beäugt wurde. Ein rot-blau kariertes Hemd lag auf seinem Bett, daneben ein quietschoranges Shirt, welches er sich mal gemeinsam mit Jessica in Palo Alto gekauft hatte, mehr zum Spaß als zum wirklichen Gebrauch. Warum er es überhaupt noch besaß, wusste er nicht wirklich, genauso wenig, wieso er es aus seiner Tasche gekramt hatte. Oder ... eventuell doch? Vielleicht, um ihr auf diese Weise nah zu sein? Ihr fröhliches Lachen, welches über ihre Lippen gehuscht war, flüsternd aus der Ewigkeit an seinem Ohr zu spüren, nachdem er das Shirt triumphierend in den Händen gehalten hatte? Seufzend zog er es von seinem Ruhelager wieder hinunter, nachdem ihm der an seinem Geisteszustand zweifelnde Blick seines Bruders beinahe wie ein ausgehungertes Tier angesprungen hätte und verstaute es möglichst weit unten in seiner Tasche, die Bilder seiner verstorbenen Freundin zwanghaft verdrängend. Beinahe beiläufig zog er ein blaufarbenes, nicht mit quälenden Erinnerungen behaftetes Ersatzteil hervor und schlüpfte etwas ungelenk aufgrund der vielen Verbände und Pflaster, die mit viel Mühe von Dean angelegt wurden und nicht verrutschen sollten, hinein. Die Jeans, in welche er danach den Rest seines langbeinigen Körpers verbarg, war zwar äußerst zerknittert, was an ihrem arg überstürzten Aufbruch nach ihrem letzten Fall lag, aber das war ihm gleich. Schließlich wollte er ja nicht auf einer Hochzeit tanzen. Nachdem er einen Gürtel durch die Schlaufen am Bund seiner Hose gezogen hatte, da diese sich sonst schneller verabschiedete, als ihm lieb war, was leider auch anzeigte, dass er in letzter Zeit nicht ausreichend aß, bemerkte er erst, dass Dean ihn noch immer nach einer Antwort fordernd anstarrte. „Was?“, fragte er gereizt wie ein Panther, der stundenlang in sengender Hitze seiner Beute gefolgt war, um diese am Ende aus den Augen zu verlieren. „Sam, ich bin vielleicht einiges, aber eines auf keinen Fall – blöd“, entgegnete der ältere Winchester in ernstem Tonfall, der ihm eher als ungewohnt anhaftete. „Das Glas, was da in Unmengen auf dem Boden des Badezimmers liegt, zerspringt nicht einfach von Geisterhand. Jedenfalls sah es nicht danach aus“, schob er schnell nach, als er das spöttische Lächeln seines Bruders bemerkte, welches dessen Antlitz derb verzog. Nun gut, natürlich wäre so etwas sicherlich möglich, in ihrem Metier gab es fast nichts, was in das Undenkbare abdriftete, aber hier sah es einfach danach aus, als hätte Sam das Glas selbst zerstört, da es nur an einer Stelle komplett geborsten war. Und diese Stelle zeichnete zwar anfangs unscharf, aber nach ausgiebiger Betrachtung nur zu deutlich den Umriss eines menschlichen Körpers nach. „Was ich damit sagen will ... was ist da drin passiert, Sam? Und sag nicht wieder, du hättest keine Ahnung. Ich hab doch gesehen, wie durcheinander du warst, als ich dich gefunden habe.“ Auf eine Antwort wartend sah Dean den Jüngeren bittend an, hoffte, dass er sich ihm endlich anvertraute, wie es auch auf ihrer Fahrt durch die Nacht halbwegs geschehen war. Und doch wusste er, dass dies vermutlich nicht eintreten würde, denn schon vor wenigen Stunden hatte der Wuschelkopf bereits abwehrend auf seine Frage reagiert, nachdem er schreiend aus dem Schlaf hochgeschreckt war. Zaghafte Furchen bildeten sich auf der Stirn des älteren Winchesters, als er darüber nachdachte. Normalerweise war sein kleiner Bruder ein regelrechtes Plappermaul, klatschte ihm unverblümt und ohne Nachhaken seine Sorgen vor die Füße, sich vertrauensvoll daran klammernd, dass Dean alles wieder richtete. Und nun schien es beinahe so, als würde er, was das betraf, arbeitslos werden. Es fiel ihm ungewöhnlich schwer, damit umzugehen, fühlte er sich doch dabei, als hätte sich ein kostbares Bindeglied, das ihn unsichtbar mit Sam verband, für immer unersetzbar gelöst. „Sam?“ Noch einmal versuchte er, zu seinem Familienmitglied durchzudringen, vorbei an all der Angst und Trauer, die wie unheilvolle Schatten die Fröhlichkeit und Unbeschwertheit vom Antlitz des Jüngeren vertrieben hatten. Aber auch vorüber an grenzenlosem Zorn und Unsicherheit führte Deans Stimme, die er jedoch gewissenhaft sanft gewählt hatte, um nicht einen erneuten Streit herauf zu provozieren. Und siehe da, die höher als in den Himmel ragende Mauer, welche Sam um sich herum errichtet hatte, begann vermeintlich zu bröckeln. Seufzend ließ er die nach oben gezogenen, angespannten Schultern fallen und betrachtete seinen älteren Bruder unter halb gesenkten Brauen nachdenklich, dabei unbewusst die zerknitterten Falten seiner Jeans glatt streichend „Ich muss wohl ... gestürzt sein, ausgerutscht auf dem nassen Boden, denke ich“, kam es zögerlich wie ein Fuchsjunges, welches zum ersten Mal den sicheren Bau verließ, über seine Lippen gekrochen. Es war Sam mehr als nur bewusst, dass Dean ihm diese Sache nicht abkaufen würde, nachdem er nach seiner unwahren Aussage rasch den Blickkontakt mit seinem großen Bruder unterbrach und sich lieber für seine nackten Füße interessierte, die langsam zu frieren begannen. Aber er wollte und konnte es ihm nicht sagen, nicht jetzt, nicht bevor ihn diese verwirrenden Dinge endlich verließen, ihm wieder ein halbwegs normales Leben zurückgaben. Es missfiel ihm, Dean mit noch mehr Sorgen zu belasten und sich wie ein lästiges Anhängsel zu fühlen, das den Älteren ständig zurückwarf. Der wiederum sah plötzlich so aus, als würde er jeden Augenblick wie eine vor dem Ausbruch stehende Supernova zerbersten. Seine Augen zuckten gefährlich im Takt des eigenen Herzschlages und die für ihn bereits unnatürlich anmutende Geduld, welche er sich für den Jüngeren mühevoll bewahrt hatte, war gänzlich in den Weiten des Nirgendwo verschwunden. Vor steigender Nervosität begann Sam seine Unterlippe mit den Zähnen zu bearbeiten wie ein gieriger Papagei seinen heißersehnten Keks, während seine nachtschwarzen Pupillen unruhig hin- und herhuschten ähnlich kleiner Mäuse, die ängstlich einen sicheren Weg an dösenden Katzen vorbei suchten. Er spürte regelrecht, wie sein Bruder um Beherrschung rang und den Kampf mit jeder dahingleitenden Sekunde mehr und mehr verlor, bis er die Hände zu zitternden Fäusten ballte und diese gehaltvoll seine Oberschenkel küssen ließ. Wutentbrannt nagelte er den Hünen mit seinen schilfgrünen, vor Tadel sprühenden Augen fest, bevor er laut tosend wie der Ozean seine Standpauke vom Stapel ließ. „Für wie blöd hältst du mich, Sam?!“ Deans Stimme überschlug sich beinahe ähnlich eines waghalsigen Trapezkünstlers, während seine Rippen schmerzhaft, angereizt durch diesen Gefühlsausbruch, wie ausgehungerte Schakale in seine Lungenflügel bissen. Der jüngere Winchester zuckte angesichts dieses groben Tonfalls kurz zusammen, fing sich aber rasch wieder und betrachtete seinen Bruder besorgt, der sich mit grimmiger Miene die betroffenen Stellen am Oberkörper hielt. Es grämte ihn, zu sehen, dass Dean seinetwegen nun Schmerzen erleiden musste, aber sein Verstand weigerte sich vehement, ihm die Wahrheit zu berichten, obwohl es tief in seinem Inneren regelrecht danach schrie, sich jemandem anzuvertrauen, der ihm nah stand und das war zweifelsohne sein Bruder. Dennoch presste er, gewappnet gegen jegliche weitere Überredungskunst des Älteren, sich zu offenbaren, fest die Lippen aufeinander und sah seinem Gegenüber vorbereitet in die Augen. Dean schickte einen genervten Seufzer hinaus in die Welt, als er bemerkte, wie Sams Festung, in der er seine Gefühle sorgfältig bewahrte, kurz ins Wanken geriet, dann aber sofort erneut an Beharrlichkeit gewann. Seit dem Tod von Jessica war irgendetwas in dem Jüngeren zerbrochen wie zartes Glas, hatte einen Keil zwischen die Brüder getrieben, den Sam zwar auf einfachstem Wege hätte umgehen können, es aber zurzeit aus Gründen, die Dean nicht kannte, verweigerte. Trotz allem würde er es nicht aufgeben, dem Dunkelhaarigen die Wahrheit aus dem Leibe zu kitzeln. Zuversichtlich unternahm er einen weiteren Versuch. „Komm schon, Sam. Im Bad war es eiskalt, ich konnte sehen, wie mein Atem in der Luft kondensierte.“ Er hielt kurz inne, wartete auf eine dementsprechende Reaktion des Angesprochenen, der es jedoch eher vorzog, sich mit voller Konzentration in sein Hemd zu quetschen, was gar nicht so einfach war aufgrund der dick gewickelten Verbände. „Du weißt, was das bedeutet“, schob Dean ungeachtet dessen nach und rückte automatisch den nach innen gerutschten Hemdkragen seines Bruders zurecht, der während seines halb in einen Kampf ausartenden Anziehversuches ein pikiertes Murren hören ließ und das Gesagte des Älteren noch immer achtlos beiseite schob. Diese Reaktion reichte jedoch aus, um das eh halb auseinanderberstende Fass zum Überlaufen zu bringen. Grober als beabsichtigt packte der kleinere Winchester den Hünen bei den Hemdaufschlägen und riss ihn in die Höhe, den eigenen körperlichen Schmerz, der dabei unweigerlich aufgrund seiner Verletzungen entstand, ignorierend. Sam, der dabei keinerlei Ausweichmöglichkeit besaß, wurde unvorbereitet und voller Überraschung, was diesen Ausbruch an Zorn betraf, zwischen sein eigenes Bett und Dean gepresst, der ihn ungehalten und nicht gerade leise anfuhr. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?! Führst dich hier auf wie eine unzufriedene Prinzessin, die nur meint, antworten zu müssen, wenn sie sich angegriffen fühlt!“ Etwas mitfühlender, nachdem der Jüngere von einer Sekunde zur nächsten gefährlich an Farbe verloren hatte, was möglicherweise nicht nur an seinen Worten lag, fuhr Dean fort. „Sam, ich kann mir weiß Gott nicht vorstellen, was du, nachdem, was mit Jess geschehen ist, durchmachst, aber du musst es nicht allein tun!“ Der Ältere holte tief Luft und ließ dem Gescholtenen ein wenig Freiraum, indem er den Griff an seinem Hemdkragen etwas lockerte. „Und außerdem werde ich es mir nicht mit ansehen, wie du dich deswegen total kaputtmachst! Verflucht, ich bin dein Bruder, glaubst du etwa, du könntest es vor mir verheimlichen, was mit dir los ist?“ Prüfend zwängte er seinen Blick in das Antlitz des Jüngeren und öffnete vor Erstaunen ein wenig die nach dem letzten ausgesprochenen Satz soeben noch fest aufeinander gepressten Lippen. Die blaugrünen Augen, welche Sam, um nicht zuviel an Gefühlen preiszugeben, halb unter seinen Lidern verborgen hatte, schwammen in einem Meer von mühsam zurückgehaltenen Tränen, als er sie wieder anhob. Völlig überrumpelt, was diesen Anblick betraf, glitten Deans Finger vom Stoff des Hemdes, so dass sein riesenhaftes Familienmitglied schwerfällig mit dem Hinterteil auf das Bett in seinem Rücken fiel. Sofort bedeckten lange braunfarbene Fransen die verräterischen Empfindungen, die Sam ungewollt zutage gefördert hatte, da er den Kopf rasch senkte und lieber den Fußboden betrachtete, als das vor Bestürzung verzerrte Gesicht seines Bruders. Dieser suchte im selben Moment krampfhaft nach den richtigen Worten, um dem Wuschelkopf, der diesem gerade alle Ehre bereitete, zu bekunden, dass ihm all das sehr leid tat und er es Sammy mehr als nur gegönnt hätte, ein normales und sorgloses Leben zu führen. Doch mit demselben Atemzug wurde ihm bewusst, dass nichts und niemand seinem kleinen Bruder das zurückgeben konnte, was er für immer unwiderruflich verloren hatte, auch Deans vielleicht tröstende Zusprache, die ihm bereits schwer wie Blei auf der Zunge lag, änderte nichts daran. „Weißt du was?“, schoss es daher mit einem Mal verhältnismäßig unbekümmert aus der Kehle des Kurzhaarigen, der sich gleichzeitig Mühe dabei gab, ein sorgloses Lächeln hervor zu zaubern. „Du musst es mir jetzt nicht sagen, wenn du nicht willst. Der Tag ist lang, die Woche ebenso und das Jahr ... du weißt schon.“ Sams Kopf ruckte leicht in die Höhe. Ein verwunderter Ausdruck heftete sich an den älteren Winchester, während der Dunkelhaarige ihn unter halb gesenkten Lidern fragend musterte. „Und jetzt, denke ich, sollte ich mir auch mal etwas Körperpflege gönnen. Da hat man ja das Gefühl, eine Otterherde verfolgt einen die ganze Zeit.“ Prüfend sog Dean den markanten Duft ein, der vor seinem Körper ausging und verzog angewidert das Gesicht. „Buaah, ist ja kein Wunder, dass mich das kleine Sahneschnittchen links liegen lässt.“ Mit gespieltem Vergnügen stolzierte er, als sei nichts gewesen, ins Bad, vorher sich noch beiläufig seine Tasche unter den Arm klemmend, Sams ungläubige Blicke dabei unsichtbare Löcher in seinen Rücken brennend. Dort angekommen sprang ihm sofort das Chaos der unfreiwilligen Zerstörung ins Gesicht und er trat reflexartig einen Schritt zurück, damit seine nackten Füße nicht schmerzhafte Bekanntschaft mit den unzähligen Scherben am Boden machten. „Okay, duschen fällt heute aus“, krakelte er aus dem Bad und begann das Splittermeer mit der Klobürste, die glücklicherweise gereinigt war, in eine Ecke des Raumes zu kehren. Mit dem bereits halb getrockneten Blut, das sich wie eine Landkarte auf den Fliesen ausgebreitet hatte, konnte er zwar nicht genauso verfahren, aber ein mit kaltem Wasser benetztes Handtuch tat es ebenso. „Nun gut, wozu haben wir ein Waschbecken?“, ließ er seine Stimme weiter verlauten, nachdem er das Handtuch in den Wäschekorb geworfen hatte. „Schließlich gibt es nichts auf der Welt, womit ein Dean Winchester nicht fertig wird.“ Eine Katzenwäsche musste in diesem Fall ausreichen und was seine Haare betraf, die waren eh so kurz, dass er sie auch unter einen Wasserhahn gequetscht waschen konnte. Und was Sammy betraf – da musste er einfach abwarten. Diese Taktik hatte ihr Dad stets angewandt, nachdem sein Bruder in das schwierige und äußerst nervenaufreibende Alter gekommen war, in dem man oft und gerne seine Probleme, die einen belasteten, für sich behielt. John hatte das trotzige und launenhafte Verhalten seines jüngsten Sohnes einfach ignoriert, nachdem ihm die Nachfragerei zu anstrengend und zeitaufwendig geworden war. Stattdessen überging er die exzentrischen Ausflüge seines Nesthäkchens stets mit zu guter Laune, bis diesem die Hutschnur platzte, da es niemand ernst nahm und seinem Vater geschlagen und wütend über die gebrochene Abwehr alles vor die Füße knallte. Es gab halt auch weniger anstrengende Methoden, das zu erreichen, was man anstrebte. „Siehst du, Sam?“, gurgelte Dean aus dem Bad hervor, während sein Kopf halb im Bauch des Waschbeckens verschwunden war. „Das klappt doch wunderbar.“ Dass er dabei den Fußboden in einen seichten Pool verwandelte und sich selbst beinahe die Halswirbel ausrenkte, überging er geflissentlich. Die schrägen Gesänge beim allmorgendlichen Haare waschen, welche anschließend an Sams Ohren schallten und in etwa so klangen, als würde eine Meerjungfrau im Stimmbruch gerade ertrinken, hellten die trübsinnigen Gedanken, denen der jüngere Winchester noch immer nachhing, allerdings kein wenig auf. Ihm war bewusst, was sein Bruder mit dieser Aktion bezweckte; er erinnerte sich noch allzu gut an die unzähligen Male, die sein Vater mit ihm auf demselben Weg verbracht hatte, um an ihn heranzukommen. Und wie leicht war er jedes Mal zu brechen gewesen. Aber nun war alles anders. Das Erlebte der vergangenen Wochen hatte den Dunkelhaarigen zu einem vollkommen anderen Menschen werden lassen. Seine heile Welt, die er sich selbst mühevoll errichtet hatte, war in einen niemals zu kittenden Scherbenhaufen zusammengestürzt. In ihm drin schrie es unbändig nach dem Willen, Dean alles zu erzählen, was ihm schwer wie Blei auf der Seele lag und diese wie eine dunkle Wolke vergiftete. Von dem Gefühl, dass man einen Teil seines Herzens brutal herausgerissen hatte, ohne hinterher die klaffende Wunde zu versorgen. Von den schrecklichen Bildern, welche die letzten Minuten in dem viel zu kurzen Leben seiner Freundin zeigten, die ihn Nacht für Nacht unbarmherzig verfolgten. Und nun, seit sie hier waren, von den neuen, noch weitaus furchteinflössenderen Träumen und – wie Sam sie schon vorsichtig zu nennen wagte – Wahnvorstellungen, denen er schutzlos an einem Ort begegnet war, an dem man sich normalerweise sicher fühlte. Aber er konnte es nicht. Wollte es nicht. Weigerte sich regelrecht. Etwas anderes war bei weitem bedeutsamer, als seine verworrenen Empfindungen, mit denen er lernen musste, alleine umzugehen. Ihren Dad zu finden und den Dämon zur Strecke zu bringen stand an erster Stelle, seine Belanglosigkeiten, wie er sie dumpf einstufte, konnten warten. Deans gute, aber leider nur gespielte, voller Scherzen steckende Laune ließ den Hünen tief in Schuldgefühle gegenüber seinem Bruder stürzen, der es doch nur gut mit ihm meinte und sich nichts sehnlicheres wünschte, als dass seine kleine große Nervensäge endlich aus der quälenden Lethargie erwachte. Unweigerlich tauchte plötzlich das Gesicht eines viel jüngeren Dean vor ihm auf, stummer Vorwurf spiegelte sich in seinen schilfgrünen Augen wider, aber auch Verständnis und eine sanfte Spur von Mitempfinden. Er selbst musste den Kopf in den Nacken legen, um den damals Größeren überhaupt ansehen zu können. Ein Kätzchen lag in Sams Armen, sie maunzte kläglich und ihre Glieder lagen in unnatürlicher Konstellation zu ihrem zarten Körper. Blut quoll aus dem einst silbriggrauen Fell hervor und hinterließ dunkle Flecken auf dem Shirt des Jungen. Er erinnerte sich. Das bemitleidenswerte Tierchen hatte am Straßenrand eines Motels gelegen, in dem sie für ein paar Tage untergekommen waren, wie weggeworfen und nicht mehr gewollt. Sam hatte es liebevoll aufgeklaubt und zu seinem großen Bruder gebracht. Dean bekam alles wieder hin, davon war er damals fest überzeugt gewesen. Aber es war dann doch alles anders verlaufen und hatte die naive Welt eines zu jener Zeit Sechsjährigen tüchtig ins Wanken gebracht. „Sammy ...“, die Worte des Älteren erklangen noch so frisch in seinen Ohren wie der süße Tau in der Morgendämmerung das Grün der Natur kitzelte. „Du kannst sie nicht behalten, sie ist sehr krank.“ Behutsam versuchte der sommersprossige Junge dem Kleineren zu erklären, dass das arme Ding sich nie wieder in den wärmenden Sonnenstrahlen des nächsten anbrechenden Tages wohlig würde räkeln können. „Dann müssen wir ihr erst recht helfen“, entschied Sam dagegen äußerst hartnäckig und drückte das winzige Wesen sachte und schutzgebend an seine Brust, als sich ihr die Hände seines Bruders näherten, um sie von ihm fort zu nehmen. Dem entwich ein resigniertes Seufzen, nachdem er beobachtete, wie sein jüngeres Familienmitglied mit der Katze im Bad verschwand. Niedergeschlagen ließ er sich in den alten, feinen Staub aufwirbelnden Sessel fallen, der in ihrem Zimmer direkt vor dem Fernseher postiert war, bis er plötzlich das Geräusch einer sich öffnenden Reisetasche vernahm. Sofort sprang er aus dem Möbelstück hervor und lief ins Bad. Dort prallte er beinahe mit seinem Bruder zusammen, der einen Verband und Pflaster aus der Notfalltasche ihres Vaters hervorgeholt hatte, welcher diese stets bei seinen Jungs ließ, wenn er allein auf die Jagd ging. Ertappt versteckte der Kleine seinen Fund hinter dem Rücken und schielte, die Zähne entschlossen in der Unterlippe vergrabend, zu Dean hinauf, der hilflos die Schultern hängen ließ, nachdem ihn der bittende Welpenblick wie ein brennender Pfeil mitten ins Herz traf. „Sam, was machst du da?“, fragte der größere Winchester überflüssigerweise und mit einem leisen Tadel in der Stimme, während seine Augen nicht nur über den dunklen Schopf seines Bruders wanderten, sondern ebenso den arg gebeutelten Leib des verletzten Tieres streiften, welches der Kleinere mit einem Handtuch auf den Toilettendeckel gebettet hatte. „Das siehst du doch“, antwortete der Angesprochene trotzig und hockte sich mit warmherzigem Blick neben seinen neuen Freund. „Ihr helfen, was sonst? Wenn du es nicht willst, dann werde ich es halt tun.“ Gesagt, getan begann er damit, den Verband anzulegen, obwohl der Körper der Katze eine einzige große Wunde war. Aber ihr Dad ging bei ihnen genauso vor, wenn sie sich weh getan hatten und sobald einige Tage vergangen waren, war nichts weiter zu sehen, als eine kleine helle Narbe. Müde rieb sich Dean seine schmerzenden Augen und beugte sich zu dem Jungen mit dem nussbraunen Haar hinunter, der verzweifelt versuchte, das hervorsickernde Blut durch die Verbände zu stoppen, aber seine Hände, die mit dem Wickeln so rasch gar nicht nachkamen, hatten sich bereits wieder hellrot gefärbt. „Sieh mal, kleiner Bruder“, begann er und legte tröstend eine Hand auf Sammys Schulter, die sich sofort verkrampfte. „Für manche Wesen kommt die Zeit eher als für andere und die kleine Lady da ist bald an einem Ort, wo sie es gut haben wird, ohne Schmerzen und Angst. Lass sie gehen.“ Aber Sam fuhr wie von einer Kobra gebissen herum, riss das wimmernde Bündel Fell voller Verzweiflung an sich und wich vor Dean in die hinterste Ecke des Raumes zurück. „Nein!“, schrie er dabei, als bemerkte, wie ihm der Ältere alarmiert hinterher stürzte und presste sich noch weiter in die kleine Nische, die eine Seite des Gesichtes an die kalten Fliesen gelehnt. „Nein! Nein! Lass mich!“ „Sammy ... bitte ...“, appellierte Dean an die doch schon recht ausgeprägte Vernunft seines kleinen Bruders und bewegte sich langsam auf ihn zu, die Hände zu einer beruhigenden Geste ausgestreckt. „Komm, ich weiß, dass das schwer ist, aber du tust ihr nur noch mehr weh.“ Der Junge mit dem frechen Stoppelhaarschnitt wand sich wie ein gefangenes Tier im Griff der Jäger unter Sams atemlosen Schluchzern. „Gib sie mir, bitte, ich verspreche dir, ich werde es schnell machen, damit sie nicht weiter leiden muss. Okay ... Sam?“ Aber sein kleiner Bruder schien von alldem, was Dean ihm entgegenbrachte, nichts wahrzunehmen. Stattdessen wirkten seine tränenumfluteten Augen leer und stumpf wie eine alte Konservendose und starrten, ohne wirklich etwas zu sehen, an dem Älteren vorbei. „Warum geht immer alles, was ich lieb hab, fort?“, weinte er leise und drückte sein Antlitz in das Fell des sterbenden Tieres. „So wie Mum ... .“ Dann ruckte sein Kopf in die Höhe und sein Blick, plötzlich wieder klar und rein wie ein Gebirgssee, traf den seines großen Bruders. „Du und Dad ... geht ihr irgendwann auch einfach weg und lasst mich allein?“ Seine schmalen Schultern bebten bei diesen Worten so sehr, dass der ganze kleine Leib so durchgeschüttelt wurde, als würde jemand Fremdes an dem Sechsjährigen rütteln. ~~~~~~~~~~~~~ Sam wusste noch zu gut, wie Dean damals auf diese Frage reagiert hatte. So bleich hatte er seinen Bruder nur erlebt, wenn dieser einmal krank gewesen war. Wortlos und schwankend wie ein Betrunkener hatte er das Badezimmer verlassen, sich Töpfe aus den Schränken geschnappt und etwas von Essen machen gestammelt. Und dann, während Sam im Bad die kleine Katze schluchzend auf ihrem Gang aus dieser Welt begleitete, fing Dean an, erst zaghaft, später überzeugender, Scherze während seiner kläglichen Kochversuche zu reißen. Aus dem Radio dudelte kraftvoll Metallica, was der ältere Junge aus vollem Halse mitschmetterte und wie ein Darsteller am Broadway dazu durchs Zimmer fegte. Erst, als seine wachsamen Augen nach einer Weile es wieder wagten, nach seinem Bruder zu sehen, versagte ihm der aufgesetzte Humor und er ließ hilflos den Kochlöffel zu Boden gleiten, Sammy dabei beobachtend, wie er weinend das fellbedeckte Wesen aus seinem Griff entließ und sich, die Beine mit den Armen fest umschlingend und die Stirn auf seine Knie gelegt, neben sie setzte und dabei seinen Körper hin- und herschaukelte. ~~~~~~~~~~~~~~ „Hoffentlich ist der nächste Diner nicht meilenweit entfernt. Ich habe einen Monsterkohldampf.“ Die nach Nahrung gierende Stimme seines nimmersatten Bruders riss Sam aus den unerfreulichen Kindheitserinnerungen, die wie dichter undurchdringlicher Nebel seine Gedanken umhüllt hatten und von diesen nur quälend langsam abließen. Fahrig fuhr er sich mit den Fingern über den Oberkörper, um die Knöpfe seines schief und krumm sitzenden Hemdes zu schließen und erstarrte mit einem Male. Diese Worte … die Worte, denen er als Kind keinerlei weitere Beachtung geschenkt hatte, waren ihm nicht nur damals unüberlegt aus der Kehle entwichen. Erst gestern hatte er sie Dean in seiner Verzweiflung während der Autofahrt durchs schneebedeckte Niemandsland erneut an den Kopf geworfen, sich ihrer Bedeutung für den Älteren keineswegs bewusst, auch, wenn er sie im Zusammenhang weitaus anders gewählt hatte, als an jenem Tage, an dem Sam gewahr wurde, dass man nicht jedes Leben, welches man auserkoren hatte zu retten, bewahren konnte. Genau, wie er das von Jessica nicht hatte erhalten können für all die, in deren Herzen sie einen Platz gefunden hatte. Der dicke, unangenehm an den Wänden seines Halses scheuernde Kloß, welcher sich in den vergangenen Minuten ungefragt in seinem Inneren breit gemacht hatte, platzte ohne Vorwarnung auseinander wie ein zu prall aufgeblasener Luftballon. Er fühlte, wie salzige Tränen unaufhaltsam seine Augen füllten, um sich in Scharen wie eine durch übermäßigen Regen abgehende Lawine sein Antlitz hinab zu stürzen. Unbeholfen strich er das klare Nass aus seinen Lidern hinfort, nur, um daraufhin festzustellen, dass es bereits wieder Nachwuchs gezeugt hatte, welcher nun zart und lautlos seinen Weg bestritt. Jegliche Müh, diese gut verborgenen Emotionen, die ihn in letzter Zeit beinahe den Verstand hatten verlieren lassen, vor seinem Bruder geheim zu halten, war in sich zusammen gesackt wie ein baufälliges Haus. Völlig wehrlos spürte er, wie sich atemlose Schluchzer aus ihrem Gefängnis wühlten und beinahe seine Lunge sprengten, während er versuchte, sie aus Scham zu unterdrücken. Er wollte nicht, dass Dean ihn so sah, so schwach, so völlig unbeherrscht, was seine Gefühle betraf. Sein Bruder hatte sich diesbezüglich weitaus besser im Griff, verstand es, solche Empfindungen, die einen als verweichlicht darstellen könnten, zu verdecken. Sam keineswegs. Seit Jessicas Tod flossen die Tränen manchmal schneller, als ihm lieb war. Sie erschienen so überraschend und unangemeldet wie ein unwillkommener Nachbar, bei dem es einem angenehmer wäre, nur dessen Rückenansicht zu genießen. So wie auch jetzt. Zitternd wischte sich der jüngere Winchester die Tränen aus seinem mittlerweile leicht geröteten Gesicht, den Oberkörper etwas abgewandt vom Badezimmer, in dem sein Bruder noch immer fröhlich plappernd herumwirbelte. Er hasste es, dass er sich nicht besser unter Kontrolle hatte und es dem Älteren nicht gleichtun konnte. Wieso war es ihm nicht möglich, ebenso eine Rolle zu spielen wie Dean? Die Sorgen beiseite zu kehren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren? Lag es etwa daran, weil sein Familienmitglied seit seiner Kindheit in dieses Schema gepresst worden war? Beschütze Sammy, egal, was passiert. Die mahnenden Worte ihres Vaters an Dean hatte Sam oft vernommen. Aber er war kein kleiner Junge mehr, wollte nicht ständig beschützt werden. Und was sollte das eigentlich immer? Egal, was passiert? War sein älterer Bruder denn etwa nicht wichtig? Wie oft hatte er es miterleben müssen, wie Dean seinetwegen in große Gefahr geraten war, nur, um ihn, den Jüngeren, vor Schrecklichem zu bewahren. Dean hatte dies stets mit einem Lächeln auf den Lippen und ohne weiter nachzudenken getan, seinem Kleinen versichernd, dass alles wieder gut werden würde. Aber war es das wirklich? Wenn er recht überlegte, hatten Dean und ihr Vater alles für ihn getan und er hatte es ihnen oft nur mit unzufriedenem Geschmolle oder sogar mit handfesten und lautstarken Auseinandersetzungen gedankt. Und jetzt saß er hier und heulte wie ein kleiner Junge, dem man das Spielzeugauto im Kindergarten gestohlen hatte. Wie erniedrigend. Aber dennoch wirkte es auch irgendwie befreiend. Er hatte das Gefühl, dass mit jeder Träne, welche aus seinen Augenwinkeln floh, auch ein Teil der Düsternis, die sich seiner bemannt hatte, verschwand. Zwar kämpfte er noch immer gegen diesen Zustand, in den er zweifelsohne unfreiwillig gerutscht war, an, konnte aber gleichzeitig eine gewisse Wohltat, die sich wie Balsam auf seine Seele legte, nicht leugnen. Aber dem ungeachtet zerriss ihn diese Gegebenheit beinahe in zwei Teile. Ihm war, als stritten zwei Seiten in seinem Inneren um die unanfechtbare Vorherrschaft, die beide mit einem sicheren Triumph erringen wollten. Dummerweise würde niemand als Sieger oder Verlierer daraus hervorgehen, solange er keiner der beiden Kontrahenten genug an Beachtung schenkte. So versuchte er weiterhin, die kehligen Schluchzlaute, welche sich aus den dunklen Tiefen seines Körpers heraufwühlten wie unverdaute Nahrung, mäßig erfolgreich zu unterdrücken, um parallel dazu den drohenden Schatten zu entrinnen, die wie unsichtbare Geier seinen arg mitgenommenen Geist umkreisten. Dean gab den winzigen Plagegeistern, die in den dunklen und feuchten Ecken jedes Bades lebten, egal, wie sauber man dieses auch halten mochte, seine famoseste Glanzleistung eines Witze reißenden Komödianten. Hätten sie Hände zum Applaudieren besessen oder ein Hirn, welches von der Größe nicht einem Staubkorn glich, sie wären sicherlich bei seiner Eindruck schindenden Vorstellung vor Begeisterung ausgerastet. Weitaus beruhigter und zufriedener hätte sich der ältere Winchester jedoch gezeigt, wenn ein viel größerer Plagegeist, den er schon seit dessen Geburt ständig am Wickel hatte, im positiven Sinne von seinem vor Scherzen überquellendem Einfallsreichtum angetan wäre. Aber von seinem jüngeren Bruder war kein Ton überschwänglicher Freude, hervorgerufen durch seinen unvergleichlichen Ulk, zu ihm durchgedrungen. Seufzend ließ er das Schlafzimmer fürs erste noch außen vor; vielleicht benötigte Sammy einfach etwas mehr Zeit, um sich seiner selbst bewusst zu werden. Wenn Dad nur hier wäre ... er hätte Sammy aus dieser Lethargie gerissen, ohne dabei auch nur ein Fünkchen an Kraft zu verschwenden. Dean fühlte sich nach diesem Alleinunterhalter-Auftritt so ausgelaugt wie das Opfer einer Striga. Doch was ihn am meisten wurmte, ließ ihn in tiefste Grübelei gleiten. Warum konnte er nicht einfach auf den Jüngeren zugehen und das tun, was er stets als großer Bruder tat? Für ihn da sein, wenn er ihn brauchte. Was hielt ihn davon ab, hinderte ihn regelrecht daran? Nachdenklich ließ er sich in die Hocke vor Sams noch feuchten Kleiderhaufen sinken und wickelte diesen aus dem Handtuch, um die gigantischen Sachen seines Bruders in den Seesack für die Waschmaschine zu befördern. Dabei streifte sein Blick die kaum noch erwähnenswerten Blutflecken, welche vor wenigen Stunden noch in einem kraftvollen Rot nicht nur am Stoff ihr beängstigendes Aussehen zum Besten gegeben hatten. Schlagartig und ohne sich dagegen zur Wehr setzen zu können, erschien das schockierende Bild Sams kurz nach dem Unfall wieder vor seinen Augen. Unendlich blass und mit geschlossenen Lidern saß er in sich zusammengesunken im Beifahrersitz des Impalas, so hilflos und angreifbar hatte ihn Dean noch nie gesehen und die bereits überwundene Furcht vor dem Unausweichlichen stieg erneut in ihm auf wie bittere Galle. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er sich blauäugig der Unachtsamkeit ausgeliefert, was einem von Beiden mehr als nur diese Verletzungen hätte kosten können. Aufgewühlt schüttelte er den Kopf, als versuchte er, die in seinem Hirn eingebrannten Erinnerungen an den Unfall wie lästiges Ungeziefer fortzuschleudern. Aber wie verbissen er sich auch bemühen würde, er wusste, dass diese Aktion ein von Misserfolg gekröntes Unterfangen bleiben sollte. Selbst heute sah er noch in manchen Nächten vor dem nicht immer mühelosen Einschlafen die Bilder jener Nacht vor sich, welche ihn brutal und ohne Rücksicht walten zu lassen aus seiner heilen Kinderwelt mit einer liebevollen Mutter, einem überglücklichem Vater und einem sorglosen kleinen Bruder gerissen hatten. Manches Mal spürte er sogar die enorme Hitze der Flammen auf seiner Haut brennen, während er in seiner Erinnerung erneut Sammy ins Freie trug, von der damaligen festen Überzeugung besessen, ihr Dad käme jeden Augenblick mit ihrer Mum im Arm hinterher. Aber John verließ allein das Haus. Und irgendwann hatte Dean aufgehört zu fragen, warum Mary nicht mehr wie sonst jeden Abend vor dem Schlafengehen an ihren Kinderbettchen stand, um ihren beiden Söhnen liebevoll über den Kopf zu streicheln und ihnen einen sanften Kuss auf die Wange zu hauchen. Ein ersticktes Schluchzen aus dem Nebenraum verwischte die lebhaften Erinnerungen wie plötzlich aufkommender Wind den sich ausbreitenden Rauch eines Feuers. Verwirrt blinzelte Dean gegen das Bild an, welches ihm sich nach diesem unerwarteten Geräusch plötzlich bot. Ein kleiner Junge mit haselnussbraunem Schopf saß mit angezogenen Beinen auf seinem etwas windschiefen Motelbett. Die verwuschelten Strähnen hingen ihm wie wilde Efeuranken über den Knien, hinter denen er sein Gesicht verborgen hatte, über das heiße Tränen liefen. „Warum haben alle anderen Kinder eine Mami, nur wir nicht?“, hatte er von Dean wissen wollen. „Haben wir etwas Schlimmes getan, weil sie nicht mehr bei uns ist?“ Den Älteren hatte es damals beinahe das Herz gebrochen, nachdem Sammy ihm diese Fragen gestellt hatte. Selbst war er nicht imstande dazu gewesen, seinem kleinen Bruder eine möglichst plausible und gleichzeitig schonende Form bezüglich des grausamen Ablebens ihrer Mutter zu präsentieren; dafür war er mit seinen zu jener Zeit gerade mal acht Jahren einfach nicht bereit gewesen. Ihr Dad hatte sich dieser angenommen, hatte seinem Jüngsten eine Version geliefert, auf die er noch einige Jahre lang zurückgriff, sofern ihn mal jemand mit sensationsheischendem Mitleid danach fragte. Bis hin zu jenem Abend im Dezember, kurz vor der Weihnachtsnacht, in der Sam dank Dean nicht nur erfuhr, dass der Weihnachtsmann erstunken und erlogen war, sondern auch, dass die Monster aus seinen Träumen tatsächlich, wenn auch etwas abgeändert, existierten und ihre Mum auf dem Gewissen hatten. Wenn auch nicht direkt aus dem Mund seines großen Bruders. Dean hatte noch immer ein ungutes Gefühl in der Magengegend, wenn er daran zurückdachte. Wie Sam an das Tagebuch ihres Vaters gelangt war, wusste er bis heute nicht, nur, dass er es irgendwie gefunden hatte und seine Nase solange darin vergraben hatte, bis er alles wusste, was er und John vor ihm geheim gehalten hatten, einschließlich den Umständen um Marys Tod. Dem älteren Winchester wäre wohler dabei gewesen, sein Bruder hätte noch einige Jahre in seiner naiven Kinderwelt verbracht, in denen die Wesen, die sie nun schon lange jagten, nur Ausgeburten zu lebhafter Fantasie waren und nicht direkt der Hölle entstiegen. Seit diesem Tage an war Sam einer von ihnen, ein Wissender, dessen Neugierde um das Übernatürliche anfangs fast beängstigende Ausmaße annahm. Und später, nachdem John auch den Jüngeren das Drill-Programm zum Zweck des täglichen Überlebenskampfes hatte durchlaufen lassen, ein Jäger, wenn auch zu Beginn nur aus sicherer Entfernung, bis er alt genug war, um sich selbst den Kreaturen zu stellen, von denen eine gewiss seine Mutter getötet hatte. Doch diese anfängliche Begeisterung, jemand Besonderes zu sein, der den ahnungslosen Menschen ihre persönlichen Dämonen vom Hals schaffte, hielt nicht lange an. Zu sehr litt Sam daran, immer wieder die Schule zu wechseln, nie richtige und dauerhafte Freundschaften schließen zu können. Und, was für ihn sicherlich am wichtigsten war, er jedoch nie und ohne dabei den Bruch mit seiner Familie zu riskieren, erlangen würde: Ein ganz normaler Mensch zu sein. Dean hatte das nie wirklich gestört, er war seit jener Nacht in dieses neue Leben mit hineingewachsen, hatte das alte hinter sich gelassen, aber die schönen und kostbaren Momente mit seiner Mutter für immer in einem unantastbaren Teil seines Herzens bewahrt. Sicher hätte er Sammy ein anderes Leben gewünscht – seines war einfach Schicksal gewesen und ließ sich nicht mehr abwenden – aber ihm war damals trotz allem nicht wohl dabei gewesen, nachdem der jüngere Winchester ihren schützenden Kreis verlassen hatte, um zu studieren. Wie oft hatte er sich die schrecklichsten Dinge ausgemalt, seit sein Bruder in dieser Zeit fort war? Verschleppt und ausgesaugt von einer Vampirsippe, die Rache an den Winchesters üben wollten, da diese ihre halbe Brut ausgerottet hatten; von einem Dämon gefoltert, den sie ebenfalls mit allen Regeln der Kunst verhört hatten, bis hin zur drohenden Austreibung; in den Tod gerissen von einem Werwolf, dessen Partnerin sie mit einer Silberkugel vernichtet hatten. Wäre sein Dad nicht regelmäßig in Stanford, natürlich unerkannt, vorbeigefahren, um sich mit eigenen Augen nach dem Wohlbefinden seines Jüngsten zu erkundigen, Dean wäre vermutlich vor Sorge umgekommen, auch, wenn er dies gegenüber Sam nie zugegeben hätte, sondern dann eher von John sprach, als von sich, dem es ja nicht anders ging. Weitere Laute drangen durch sein Bewusstsein zu ihm vor, welches sich weiterhin ungewollt der Vergangenheit hingegeben hatte. Es klang wie eine kleine hilflose Katze, die hoffnungslos versuchte, Haarbüschel aus ihrem Inneren hervorzuwürgen und diesen aussichtlosen Kampf mit den ungewollten Untermietern verlieren würde. Hartnäckig schüttelte Dean nochmals sein Haupt, um wieder Herr über seiner selbst zu werden und die oft traurige und entbehrungsreiche Zeit seiner Kindheit hinter sich zu lassen, als er mit einem Mal bemerkte, dass er Sams klamme Kleidung wie ein schutzbedürftiges Baby an sich gepresst hatte. Wie in jener Nacht ... . Hosted by Animexx e.V. 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