A snowman, that brings the death von abgemeldet (A supernatural story) ================================================================================ Kapitel 5: Handful of sorrow ---------------------------- 5. Kapitel: Handful of sorrow Sam starrte gedankenlos und ohne wirklich etwas zu sehen auf die gegenüberliegende Wand des Flures, in dem er saß und auf Lauren wartete, die nach Deans und Martys Verschwinden losgegangen war, um Verbandsmaterial zu holen. Er hatte sie zwar davon abhalten wollen, da er selbst die Meinung vertrat, dass sie sich keineswegs die Mühe bei ihm machen musste, aber sie hatte ihm nur tadelnd den Finger auf die Nase gelegt und war ihres Weges gegangen. Nachdem nach fünf Minuten noch niemand wieder eintraf, begann er vor Eintönigkeit sich für die vielen Fotografien zu interessieren, die gerade aufgereiht den gesamten Korridor von Anfang bis Ende zierten. Szenen von Rodeos waren darauf zu erkennen; Männer wie Frauen in dementsprechender Kleidung, die sich darin versuchten, auf dem Rücken eines wilden Mustangs zu bleiben. Auch Lauren konnte er unter all den Leuten ausmachen, sie stand fröhlich winkend neben einem gescheckten Pferd, auf dem ein junger Mann in ihrem Alter saß, der liebevoll zu ihr hinunterlächelte. Unwillkürlich musste Sam grinsen. Er fragte sich, ob sich sein Bruder schon irgendwelche Chancen bei dem Mädchen ausgerechnet hatte und sah bereits dessen enttäuschtes Gesicht, sofern er erfuhr, dass die Kleine bereits vergeben war. Denn dieser Blick auf dem Foto sagte mehr als tausend Worte, da war sich der jüngere Winchester hundertprozentig sicher. „Gefallen sie Ihnen?“ Lauren war so geräuschlos neben ihm aufgetaucht, dass er unvorbereitet auf ihre Anwesenheit ein wenig zusammenzuckte. Normalerweise hätte ihm ihr Kommen doch auffallen müssen. Schließlich hatten das jahrelange Training und die Jagden seine Wahrnehmung um ein Mehrfaches im Vergleich zur Normalsterblichen gesteigert. Oder lag es einfach daran, dass er zum einen hundemüde und zum anderen Deans Baby mit voller Wucht geküsst hatte? Mühevoll unterdrückte er ein Gähnen, um sie nicht zu beleidigen und ihr einen falschen Eindruck von seiner Meinung zu geben. „Da hatte jemand ein glückliches Händchen“, beurteilte er die Bilder ehrlich, da er ihr nicht sagen wollte, dass er nichts von Rodeos hielt. „Mein Vater hat sie geschossen“, erklärte sie mit einem gewissen Stolz in der Stimme und setzte sich ihm gegenüber, eine große Tasche neben sich stellend. „Jedes Bild steht für ein Festival, es ist das einzige größere Ereignis hier in der Stadt, mehr hat Coulee City außer seiner Naturschönheiten und Sehenswürdigkeiten nicht zu bieten.“ „Das klingt irgendwie nach ´Eigentlich möchte ich hier furchtbar gerne weg, aber ich kann nicht, weil ich sonst jemanden enttäuschen würde´“, schmunzelte Sam und biss sich anschließend vor Schmerz auf die Lippe, als Lauren mit einem in Desinfektionsmittel getränktem Tuch begann, seine Wunde zu säubern. „Ich glaube, das muss ich klammern, fürs Nähen ist die Verletzung nicht mehr frisch genug“, erwiderte sie auf seine Feststellung, als ob sie diese nicht vernommen hatte, doch dann seufzte sie und ließ das Tuch sinken. Für einen Moment sahen sie sich an, zwei vollkommen verschiedene Menschen und doch hatten sie beide etwas gemeinsam. Und ein jeder von ihnen erkannte es, ohne zunächst ein Wort daran zu verschwenden. Sam war der erste, der sich nach einigen Sekunden des Schweigens wieder fing. „Du sagtest nähen geht nicht mehr? Was bist du? Eine Hobby-Ärztin?“ „Nein.“ Sie unterdrückte ein Lachen und strich ihr langes Haar, welches sich wie eine Flut über ihr Gesicht ergoss, zurück hinter die Ohren. „Eher eine Krankenschwester ohne abgeschlossene Ausbildung.“ „Warum das?“ Er schaute sie etwas irritiert an, nachdem sie eine kleine zugeschweißte Tüte aufriss und daraus die kleinen Klämmerchen entnahm, welche die Wundränder zusammendrücken und die Heilung beschleunigen sollten. Sofort bemerkte sie seinen beinahe misstrauischen Blick und begann dieses Mal tatsächlich zu lachen. „Keine Sorge, ich weiß, was ich tu, schließlich habe ich das alles lernen müssen.“ Flink zog sie sich Handschuhe über die Finger und brachte die kleinen Wunderteile mit größter Sorgfalt, wie er im Stillen bewundernd bemerkte, an der dementsprechenden Stelle an. „Das sollte halten und auch seine Funktion erfüllen.“ Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. „Und jetzt wollen Sie vermutlich wissen, warum ich das alles hingeworfen habe.“ Sam nickte still und konzentrierte sich darauf, den brennenden Schmerz, den das Desinfektionsmittel noch immer verursachte, zu ignorieren. „Meine Mutter wurde krank – Krebs“, berichtete sie und wurde plötzlich ganz still. Sich auf die Unterlippe beißend klebte sie einen Tupfer mit zwei Streifen Pflaster über die geklammerte Stelle. Sam hätte schwören können, Tränen in ihren Augenwinkeln glitzern zu sehen. „Das ... das ist schlimm“, brachte er nur hervor und wagte es kaum, sie anzusehen. Er wusste zwar, wie es war, jemanden zu verlieren, aber einen Menschen, den man über alles liebte, leiden und verfallen zu sehen, das konnte und wollte er sich nicht vorstellen. „Am Anfang sah es zunächst sehr schlecht aus“, erzählte sie mit dumpfer Stimme weiter und krampfte ihre langen schlanken Finger in ihre etwas zu große Jogginghose. „Die Ärzte machten meiner Mutter wenig Hoffnung, sie sagten, ihr Tumor wäre bereits zu groß und zudem noch bösartig, als dass die Operation und die anschließenden Therapien viel Erfolg bringen würden. Aber meine Mum ist eine Kämpferin, sie gibt so schnell nicht auf. Sie hat alles tapfer und stillschweigend über sich ergehen lassen. Und am Ende hat sie die Ärzte zum Staunen gebracht.“ „Sie ist also wieder vollständig genesen?“, wollte Sam wissen und sah Lauren erwartungsvoll an. „Ja oder eher gesagt, fast“, antwortete die junge Frau, während sie mit einer langen Haarsträhne spielte. „Man sagte ihr, sie müsse sich sehr zurücknehmen, was ihr weiteres Leben beträfe. Kein Stress mehr, viel Ruhe, keine körperlichen Überanstrengungen. Die Krankheit hat ihren Körper sehr ausgelaugt, all diese Faktoren könnten zu einem erneuten Ausbrechen führen.“ „Lass mich raten, das ist der Grund, weswegen du sozusagen den Job gewechselt hast“, tippte der Wuschelkopf mehr als richtig, denn Lauren nickte bejahend. „Hast du es freiwillig getan oder haben deine Eltern ... ?“ „Meine Eltern würden mir nie im Weg stehen, was mein Leben betrifft!“, fuhr sie ihm plötzlich wütend dazwischen, so dass Sam überrumpelt zurückwich und mit dem Hinterkopf gegen die Rückwand schlug. „Auuuuu ...“, stöhnte er und hielt sich gepeinigt seinen Denkapparat, in dem nun nicht mehr ein Dutzend kleiner Männer seine Schädelwand mit Spitzhacken bearbeiteten, sondern eine ganze Armee. Bestürzt griff Lauren nach seinen Armen, die sich vollkommen verkrampften, während seine Hände versuchten, seinen Kopf zu sprengen. „Es tut mir so leid, bitte, ich wollte das nicht, ich war nur mit einem Mal so wütend, als ich das hörte und da ...“, sie hielt inne, als er aufsah und ein versöhnliches Lächeln versuchte, das jedoch ein wenig unglücklich anmutete. „Nein, wenn, dann muss ich mich entschuldigen“, beruhigte er sie sanft, nachdem die Armee zur Hälfte in die Mittagspause marschierte. „Ich sollte nicht etwas vermuten, von dem ich gar nichts weiß.“ Sie atmete einmal tief durch. „Es war meine eigene Entscheidung. Meine Eltern haben soviel für mich getan, dass ich dachte, es wäre nun an mir, ihnen etwas davon wiederzugeben.“ Sam nickte verständnisvoll und bedeutete ihr, weiterzuerzählen. „Sicher hätte mein Vater jemanden einstellen können, der ihn bei der Arbeit im Motel unterstützt, aber in der Vergangenheit haben wir damit schlechte Erfahrungen gemacht und deswegen habe ich sofort meine Hilfe angeboten. Sie wollten es natürlich nicht, da es ihnen wichtiger war, dass ihre Tochter eine vernünftige Ausbildung in der Tasche hat.“ „Was ja auch klug ist“, ergriff Sam ein wenig Partei für Laurens Eltern und war plötzlich von dem sehnsüchtigen Wunsch erfüllt, dass sein Vater damals auch soviel Verständnis ihm gegenüber an den Tag gelegt hätte, als er aufs College wollte und dies mit bösen Worten hatte durchsetzen müssen. „Sicher“, stimmte ihm Lauren zu und begutachtete noch einmal kritisch ihr Werk an Sams Stirn. „Aber würdest du wegen so etwas deine Familie im Stich lassen?“ Er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie ihn plötzlich nicht mehr wie einen Fremden anredete, so sehr brachte ihn ihre Frage aus der Fassung. Ohne an ihr eigenes Wohl für die Zukunft denkend hatte dieses Mädchen das getan, was sein Vater von ihm verlangt und er wütend ausgeschlagen hatte – für die Familie dazusein, wenn es die Situation hinterfragte. Die ganze Zeit über hatte er die Menschen, welche ihm am meisten bedeuteten, sich selbst überlassen, hatte kein Interesse gezeigt, an ihrem Schicksal teilzunehmen und sogar vor Jessica störrisch geschwiegen, wenn diese mehr Details über seinen Bruder und seinen Dad erfahren wollte. Nun schämte er sich beinahe ein wenig dafür. Er war schließlich nicht der einzige Mensch auf der Welt, der für so etwas seine Träume und Hoffnungen beiseite schieben musste. Es gab zig Andere verstreut auf jedem Breitengrad der Erde, denen es ähnlich ergangen war wie ihm – allerdings hatten diese nicht ihr halbwegs normales Leben gegen die Jagd auf blutdürstige Untote, krallenbewehrte Mondsüchtige oder sadistische Höllenkreaturen eintauschen müssen. Was das betraf, war er tatsächlich ein Sonderfall. „Sam?“ Laurens beunruhigt klingende Stimme ließ ihn unangenehm berührt erkennen, dass er sie in den soeben verstrichenen Sekunden angestarrt haben musste, ohne auch nur jegliche Reaktion zu zeigen. „Ist auch wirklich alles in Ordnung?“ Mitfühlend wanderte ihre kleine zarte Hand in Richtung seiner unversehrten Wange und wollte erneut über die noch immer jugendlich anmutende Haut des Hünen streichen, doch dieser wich ruckartig zur Seite aus, was seinen Stuhl in eine gefährliche Schräglage brachte. Natürlich genoss es Sam wie jeder andere Mann auch, wenn ihn eine Frau liebevoll berührte und geschah es, wie in Laurens Fall, nur aus einem behutsamen Anflug von Sorge, aber seit es sich in sein Wissen geschlichen hatte, dass sie ihr Leben bereits mit jemand anderem teilte, fühlte er sich unter ihrer Berührung keinesfalls wohl. Es war nicht richtig und er wehrte sich dagegen, es als angenehm zu empfinden, wollte er für dieses Mädchen nicht noch Gefühle entwickeln, die ihn eher ins Unglück als in alles andere stürzten. Sie glich von ihrem Verhalten so sehr einem gewissen blondhaarigen Mädchen, dem er versucht hatte, all seine Liebe zu schenken, um sie dafür sterbend an einer Zimmerdecke vorzufinden. Die Augenlider niedergeschlagen senkend drehte er sich noch mehr zur Seite, um der einfühlsamen Geste Laurens zu entgehen, bemerkte dabei aber kaum, dass seine Sitzgelegenheit nur noch auf einem Bein stand und mit ihrem Gast darauf dem schiefen Turm von Pisa ähnlicher sah als beabsichtigt. Lauren, welche das drohende Missgeschick sofort bemerkte, sprang mit weit ausufernden Armen, um Sam festzuhalten, sollte dieser mit seinem Stuhl zu Boden fallen, nach vorne, aber der große Junge deutete ihre lautlos angebotene Hilfe falsch. In dem festen Glauben, sie wollte ihn umarmen, kippte er mit dem Möbelstück etwas zu schwunghaft ungewollt dieses Mal von der Seite nach hinten und konnte sich nicht mehr rechtzeitig mit seinem Gewicht nach vorne abfangen. Mit einem nur halb unterdrückten Schrei auf den Lippen verschwand er schon wieder gen Erdboden, der eine gewisse Macht auf seine stetige Anwesenheit ausüben musste, jedoch nicht, ohne Lauren unbeabsichtigt mitzureißen, die noch versucht hatte, ihn von der drohenden Erdkundestunde abzuhalten. Auch ihr entwich ein erschrockener Ausruf, dem ein laut polterndes Geräusch, gepaart mit dem Splittern von Holz, folgte. Im selben Moment flog die Eingangstür zum Motel auf und herein kamen zwei alarmiert wirkende Gestalten, die rasch über den Flur eilten, um den beiden Menschen, dessen Schreie sie aufgeschreckt hatten, zur Hilfe zu kommen. Dean hatte soeben seine Hand auf die Klinke gelegt, Marty dicht hinter ihm stehend, als der halb erstickte Laut seines jüngeren Bruders, gefolgt von dem panischen Ausruf des Mädchens an seine Ohren gedrungen war. Sofort war er hereingestürmt, die Angst um den Größeren ein tiefes Loch in seinen Magen grabend. Hatte der Wuschelkopf wieder das Bewusstsein verloren? Falls ja, würde er ihn notfalls zu einem Arzt prügeln, ohne Rücksicht auf Verluste. Was er allerdings dann in der Nische des Wartebereichs für die Gäste des Motels vorfand, verschlug ihm zum ersten Mal seit langem die Sprache. Sein aufgewühlter Begleiter, welcher die Taschen der Jungs quer auf seinem Oberkörper verteilt trug, erging es augenscheinlich nicht anders. Mit einem dumpfen Geräusch fielen die bis zum Rand vollgestopften Reiseutensilien der Brüder zu Boden und Marty stierte wortlos und mit offenem Mund auf die Szenerie, die sich ihm bot. Sam lag hilflos wie eine Schildkröte, die auf ihren Panzer gefallen war, auf den Überresten des Stuhles, welche sich ringsherum am Boden verteilt hatten und ruderte hektisch mit den Gliedmaßen. Sein Blick war jedoch starr auf seine Untermieterin geheftet, die sich krampfhaft und mit vor Schreck geschlossenen Augen an ihm festgeklammert hatte, nachdem er wieder einmal die niederen Gefilde aufgesucht hatte. Langsam hoben sich ihre Lider, als sie die stoische Ruhe bemerkte, die sich in jede kleinste Ritze des Motels gefressen hatte und lief von einer Sekunde zur nächsten puterrot an. Ihre kleine, fein geschwungene Nase berührte beinahe die des jungen Mannes, auf dem sie ungeniert lag und bereits Wurzeln schlug. Vollkommen entgeistert sah sie ihn an, unermesslicher Scham stieg in ihr auf und doch rührte sie sich zunächst keinen Zentimeter, bis die belustigt klingende Stimme seines älteren Bruders in ihre Sinne drang. „Meine Güte, Tiger, konntest du dich nicht etwas zurückhalten? Das arme Mädchen ist ja ganz verschreckt“, spottete Dean unbeirrt los und fing sich sofort einen ärgerlichen Blick des am Boden Liegenden ein, der ihn vermutlich am liebsten sonst wohin verwünscht hätte. Dann trat der ältere Winchester auf Lauren zu, um ihr aufzuhelfen, damit er schleunigst einige Pluspunkte bei ihr sammeln konnte, aber sie sprang sofort wie eine flüchtende Gazelle in die Höhe und rückte, rasch seinen grasgrünen Augen ausweichend, ihre Kleidung wieder in eine ordentliche Form. Verwundert trat Dean einen Schritt zurück, abwechselnd auf seinen jüngeren Bruder hinabsehend und Lauren taxierend, die wie ein in die Ecke gedrängtes Tier dastand und nervös ihre Finger knetete. „Es tut mir leid“, huschte es zerknirscht über ihre zarten Lippen und sie lächelte Sam, der verwundert die Brauen in die Höhe zog, was postwendend ein schmerzhaftes Ziehen in seine linke Gesichtshälfte schickte, entschuldigend an. „Ich habe gedacht, ich könnte ihn noch auffangen“, erklärte sie dann weiter an Dean gewandt ihre in eine womöglich ganz andere Richtung anmutende Lage, „aber ... .“ „ ... aber du bist ja nun mal nicht Arnold Schwarzenegger“, grinste der Angesprochene und wich rasch dem zutretenden Bein seines Bruders aus, das knapp an seinem Fuß vorbeischnellte. „Und da bin ich froh drüber.“ Sein verführerischstes Lächeln aufsetzend sah er sie an, aber die junge Frau antwortete nur mit einem vergnügten Schmunzeln und biss sich feixend auf die Unterlippe, was Dean jedoch in einem Anflug von lautloser Schwärmerei für diese elfengleiche Kreatur komplett übersah. „Weißt du, selbst ich hätte diesen Hosenscheißer von einem kleinen Bruder nicht festhalten können, von daher gesehen brauchst du dir da absolut keine Vorwürfe machen.“ Er unterstrich diese Aussage noch mit einem ernsthaften Nicken und zwinkerte ihr keck zu, was ihr ein ungläubiges Seufzen entlockte, welches er als ein Zeichen von unmissverständlicher Bewunderung betrachtete. „Vielleicht könnte mal irgendjemand diesem ... Hosenscheißer hoch helfen“, mokierte sich Sam wenig begeistert auf dem kalten Fußboden, während er die ganze Zeit über, seit Lauren ihn nicht mehr als Auffangmatte benutzte, versuchte aufzustehen. Wären diese lästigen Punkte vor seinen Pupillen und dieses allmählich an seinen Nerven reibende Schwindelgefühl nicht drauf und dran, zu seinen ständigen Begleitern zu werden, hätte er es sicherlich bereits mehrere Male geschafft, aber so sank er immer wieder geschwächt zu Boden, hoffend, dass niemand den wahren Grund dafür erkannte. Eine kräftig wirkende Hand umfasste behutsam sein nach oben gestrecktes Handgelenk, um ihn hochzuziehen, während Sam sich bereits einen dementsprechenden Kommentar zu Deans Verhalten und netten Koseworten bereitlegte. Doch als er hochsah und den Mund öffnete, die Worte bereits an seiner Zunge kitzelnd, sah er in das freundliche Gesicht des Mechanikers, der sich über ihn gebeugt hatte und ihn mit solcher Leichtigkeit zurück auf die Beine stellte, als sei er eine vom Wind getriebene Feder. Aber der zuvorkommende Ausdruck auf dem Antlitz des Älteren schlug augenblicklich in Sorge um, als Sam aufgrund des etwas zu überstürzten Aufrichtens seiner Person wie ein schutzloser Küstenstrich von einer Welle beängstigender Übelkeit überrollt wurde. Hastig schlug er die Hand vor den Mund, als er spürte, wie ihm das reichhaltige Abendessen einschließlich des in Sahne ertrinkenden Apfelkuchens bereits von Innen vor die Lippen klopfte. Dean, der noch immer heftigst seinem Flirt verfallen war, welcher jedoch nicht auf Gegenseitigkeiten beruhte, fiel das Missempfinden seines Bruders erst auf, nachdem dieser längst kurz davor war, seinen hochgewürgten Essensbrei auf dem fein gesäuberten Parkett des Motels zu verteilen. „Wo ist ...?“, rief Marty alarmiert, sich den größeren Winchester halb unter den Arm klemmend, was gar nicht so einfach war. „Den Gang runter und dann links!“, erwiderte Lauren sofort und machte Anstalten, ihm hinterher zu eilen, aber der Schwarzhaarige bedeutete ihr, bei dem Älteren der Beiden zu bleiben. Es reichte schließlich, wenn sich einer das kommende Desaster mit ansehen musste. Ein wenig überrumpelt schaute Dean seinem leicht grün angelaufenen Bruder und dem Mechaniker nach, wie sie um die Ecke verschwanden. Er hörte nur noch das hektische Aufstoßen einer Tür und die keineswegs appetitanregenden Würgegeräusche Sams, welche immer wieder von trockenen Hustenanfällen unterbrochen wurden. Aufgewühlt und mit einem schlechten Gewissen, welches ihm den Hals abschnürte, trat er schon einen Schritt vor auf dem Weg zum Besucher-WC, wurde aber von der jungen Frau, welche den Geräuschen ebenfalls beunruhigt lauschte, aufgehalten. „Mach dir keine Sorgen um ihn, Mr. Keegan ist ja bei ihm“, versuchte sie ihn zu beruhigen und deutete mit einem Kopfnicken auf den einen verbliebenen, noch intakten Stuhl. Nach einem letzten, etwas unglücklichen Blick in Richtung der gar nicht abklingen wollenden unappetitlichen Laute ließ Dean sich seufzend in das Möbelstück fallen und legte müde den Kopf in die Hände. Er wurde den an ihm nagenden Verdacht einfach nicht los, dass hinter Sammys Kopfverletzung mehr steckte als nur eine harmlose Gehirnerschütterung. An die daraus resultierende Diskussion, dass es in diesem Fall besser wäre, einen Arzt aufzusuchen, mochte er gar nicht denken. Sam würde gegen diesen gut gemeinten Vorschlag so sehr rebellieren, wie er das auch stets gegen Dads Anweisungen tat. „Es wäre sicherlich nicht verkehrt, den Kopf deines Bruders röntgen zu lassen, nur, um ganz sicher zu gehen, dass alles okay ist“, schlug eine weibliche Stimme direkt vor seinem verborgenen Antlitz ein wenig aufmunternd vor. Erschöpft hob er den Kopf und blinzelte in das liebevoll lächelnde Gesicht Laurens, die vor ihm in die Hocke gegangen war und ihn aus großen Rehaugen sanft musterte. Dean musste bei ihrem unschuldig wirkenden Anblick unwillkürlich schmunzeln. Irgendwie war sie recht süß, machte sich um ihn und seinen kleinen Bruder viele Gedanken, obwohl sie die Beiden so gut wie gar nicht kannte, genau wie Marty. „Ich befürchte, dann muss ich ihn erst krankenhausreif schlagen, bis ich ihn verbal dazu überredet habe“, erwiderte der ältere Winchester und zog belustigt die Brauen in die Höhe, nachdem er die Reaktion des Mädchens auf seinen Spruch bemerkte. Mit gespieltem Entsetzen riss sie ihre dunkelbraunen Augen weit auf, brach dann aber in ein leises Kichern aus, was Dean mit einem heiteren Lachen beantwortete. Dass sein Brustkorb dabei auf- und abhüpfte wie ein spielwütiger Welpe machte die um Bruchteile von Sekunden aufgelockerte Situation schlagartig zunichte. Mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen hielt er sich den vorderen Oberkörper, während seine Rippen die von ihnen eigentlich schützenden Lungen als Schaschlikfleisch missbrauchten. Sternchen tanzten vor seinen Augen einen wilden Reigen und hätte Lauren ihn nicht alarmiert am Arm gepackt und ihn zurück in die Wirklichkeit gerissen, er wäre vermutlich haltlos in den tiefen Schlund, der sich bereits gähnend vor ihm auftat, gefallen. Ihre aufgeregt klingende Stimme dröhnte blubbernd und undeutlich an seine Ohren, Sams nicht abklingen wollende Würgegeräusche, die noch immer den Gang des Korridors füllten, dafür um so klarer und lauter. Sicher … Sam … . Die Lippen tapfer aufeinander pressend straffte er seinen Leib und setzte sich wieder aufrecht auf seinem Stuhl hin. Er durfte jetzt nicht schlappmachen, er musste wach bleiben, für seinen Bruder. Was, wenn diese Menschen ihre Freundlichkeit nur vorgaben? Ihre Sorge vortäuschten? John hatte sie gelehrt, dass Misstrauen eine gesunde Eigenschaft war, die Leben retten konnte und wie oft hatte es das schon getan? Sammy legte einfach zuviel Vertrauen in ihm wildfremde Leute, er wog ja sogar ab, ob in ihren übernatürlichen Feinden, die sie bekämpften, nicht doch noch ein Quäntchen Gutes schlummerte, bevor die Brüder sie tatsächlich vernichteten. Sicher, er war ein ausgezeichneter Jäger mit einem vortrefflichen Spürsinn für gewisse Dinge, aber leider auch eine Spur zu gutgläubig. Deswegen konnte es sich Dean keineswegs erlauben, ein ungewolltes Schläfchen einzulegen, nicht, bis Sam wieder da war, wo er hingehörte – an seine schutzspendende Seite. Angenehm kühle Finger legten sich plötzlich an seine Haut unterhalb der Stelle, die ihm der Gurt schmerzhaft abgepresst hatte und er sah überrascht auf, Laurens hochrote Wangen, welche wie die gleißenden Farben der glühenden Abendsonne durch ihr davor gefallenes Haar schimmerten, dicht an seinem Körper. „Was zum …?“, fuhr er sie bezüglich ihrer unterdrückten Scheu ihm gegenüber leicht verwirrt an, hielt aber sofort inne, als ihre zartgliedrigen Hände behutsam über seine Blessuren fuhren und diese sachkundig untersuchten. Verdammt, fühlte sich das gut an! Sein Glück, dass es ihn nicht wie Sammy am Kopf erwischt hatte, das wäre sicherlich nicht mal halb so schön wie dies hier. Ein verzücktes Seufzen glitt ihm wohlwollend über die Lippen, so dass nun Lauren ihrerseits verstört innehielt und ihn abschätzend betrachtete, sein Hemd noch mit der einen Hand hochhaltend. „Tut … tut es sehr weh?“, fragte sie zögerlich, jedoch mit dem Hintergedanken im Kopf, dass seine vermeintlichen Schmerzenslaute nicht im Geringsten mit dem zufrieden wirkenden Gesichtsausdruck zusammenpassten, der sein Antlitz ungeniert zierte. „Oh ja“, versuchte er sie allerdings von dem Gegenteil zu überzeugen und sah so gequält drein wie ein ausgesetzter Hund, den man vorher noch grün und blau geschlagen hatte, aber so perfekt, wie sein jüngerer Bruder dies stets schaffte, gelang es ihm nicht. „Ist mit Sicherheit einiges gebrochen, hab ich recht?“ Ich flehe dich an, mach weiter! „Ähm, nein“, erwiderte sie und musste sich ein belustigtes Grinsen verkneifen, als er eine beinahe enttäuschte Schnute zog. „Aber der Gurt hat sich tief in die Haut gegraben und dort etwas zurückgelassen, dass dem Grad einer Verbrennung ähnelt.“ Kritisch beäugte sie die dunkelroten Veränderungen oberhalb Deans Rippen, welche er selbst noch gar nicht bemerkt hatte. Die Stirn in Falten gelegt betrachtete er seine linke Seite, die auf ihn wirkte, als hätte man ihn quer durch ein Meer aus glühenden Kohlen geschleift. Hübsch sah das bei weitem nicht aus, aber er konnte es wenigstens im Gegensatz zu Sam unter seiner Kleidung verbergen. Hier und da hatten sich aber bereits blaue Flecken auf rotem Untergrund gebildet, die einen recht gemeinen Schmerz in seinem Innenleben verursachten, sobald man darauf drückte. „Aber das ist wohl nicht alles, oder?“, fragte er etwas zerknirscht, sich nun tunlichst wünschend, er hätte gerade das Maul nicht soweit aufgerissen. „Nein, leider nicht“, bestätigte sie seine Vermutung und nickte zustimmend, dabei über die bläulichen Verfärbungen streichend, was in Dean gleich zwei Emotionsstränge auslöste, welche irgendwie nicht zueinander passten, zumindest nicht in seiner Vorstellung – Folter und Zärtlichkeit. „Dadurch, dass … der Gurt sich mit einem Ruck so straff gezogen hat und du mit voller Wucht hineingefallen bist, haben deine Rippen ziemlich üble Quetschungen erlitten, gleichzusetzen mit Prellungen. Das ist meist schmerzhafter als ein Bruch, aber zum Glück schneller wieder Geschichte“, sprach sie weiter, seine seltsam anmutende Fratze versuchend zu deuten, die sich ihr unverblümt präsentierte, als sie hin und wieder vorsichtig zudrückte, um herauszufinden, wie viele Rippen in Mitleidenschaft gezogen wurden. „Wie kommt es, dass du … so viel darüber weißt?“, interessierte sich Dean nun auch für ihren enormen Wissensschatz und verkniff sich in letzter Sekunde ein malträtiertes Stöhnen, als ihre Finger die schlimmste Stelle streiften. „Diese hier scheint angebrochen zu sein …“, murmelte sie ganz in Gedanken bei ihren Untersuchungen, schmunzelte aber, nachdem die Frage des Anderen zu ihr durchgedrungen war. „Komisch, dein Bruder fragte dasselbe.“ „Ach, hat er?“, hakte Dean beinahe etwas beleidigt nach. Dem Riesen schien sie ja einiges anvertraut zu haben, so, wie sie sich angesehen hatten. „Ja, hat er“, grummelte es plötzlich hinter ihm schlechtgelaunt und der ältere Winchester wandte sich vielleicht etwas zu schwunghaft dem Besitzer dieser ihm doch recht bekannten Stimme zu und knirschte vor Pein mit den Zähnen, nachdem seine Rippen unvorteilhaft mit dem umliegenden Gewebe seines Körpers schmusten. „Sammy“, blinzelte er seinen jüngeren Bruder verschmitzt an, der wie aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht war und versuchte dabei, so sorglos wie eh und je zu wirken, was ihm jedoch misslang. „Wieder zurück vom Brillenknutschen? Siehst ja schlimmer aus als Shrek, wenn ich das mal so bemerken darf.“ Er versuchte ein unbekümmertes Grinsen, welches jedoch in das ´freundliche` Lächeln einer Hexe abdriftete, die soeben Hänsel und Gretel Einlass in ihre bescheidene Hütte gewährt hatte. Wie hatte es der College-Boy nur geschafft, sich an ihn heranzuschleichen, als wäre er ein schwerhöriger Hirsch, der zudem noch vergessen hatte, sein Hörgerät zu aktivieren? Unbewusst zog er ein Gesicht wie nach dem Genuss einer äußerst wirkungsvollen Zitrone und konnte es mehr schlecht als recht verbergen, dass seine Hand an die Stelle wanderte, welche von dem Gurt seines Babys liebkost worden war. „Dean.“ Aufgeschreckt ließ sich der Hüne in die Knie sinken und legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter, welche dieser sofort murrend abschüttelte. Ein Seufzen entfuhr Sams Kehle und er stieß auf Laurens weichen Blick, die ihm hilflos zulächelte. Kaum begegnete man dem Kleineren der Jungs mit einem Anflug von Fürsorge, schob dieser das gutgemeinte Angebot angewidert von sich, als handelte es sich dabei um verdorbenes Essen. „Ich bin okay, Sam“, versuchte Dean dem Jüngeren klarzumachen, bevor dieser ihm unmissverständlich zu verstehen gab, dass dies keineswegs der Fall war und ihn selbst in ein Krankenhaus schleifte. Das kam absolut nicht in Frage, bei ihm waren schließlich nicht ständig die Scheinwerfer ausgegangen inklusive heißem Flirt mit dem Erdboden. „Ja, sicher“, gab der Wuschelkopf allerdings nur zurück und richtete sich mit einem Grinsen wieder auf, sofort eine helfende Hand am Oberkörper, da er wiederholt leicht strauchelte. Er nickte dankbar in Richtung Marty, der ihn allerdings mit einem tadelnden Kopfschütteln bedachte, was mehr aussagte, als tausend Worte. Ein mütterlich-fürsorglich geprägter Blick stach ihm wie eine ihren Job ernstnehmende Hornisse frontal in den Leib, nachdem das leichte Aufflammen seines angekratzten Allgemeinzustandes jemand ganz Bestimmtem absolut nicht entgangen war. „Ich bin auch okay!“, keifte er sofort zu seinem älteren Bruder hinunter, ohne sich vorher zu vergewissern, dass es auch dieser gewesen war, der ihn aus sorgsamen Augen gemustert hatte. Aber anstatt der grasgrünen Iris des kleineren Winchesters strahlten ihm die in sanften Erdtönen anmutenden Sehorgane Laurens entgegen, die sich nun zu kleinen wütenden Schlitzen verzogen, nachdem der übergroße Junge sie so ankrakelt hatte. „Ähm ... öh“, machte Sam etwas zerknirscht, während Dean sich die Hand vor den Mund halten musste, um nicht gleich laut loszuprusten. Voller Ärger warf er dem Kurzhaarigen vernichtende Blicke zu, die an diesem jedoch abprallten wie Taschentücher an einer Dartscheibe. „Ihr Zwei seid echt unmöglich!“, polterte die junge Frau ohne Vorwarnung los und warf die Hände entrüstet in die Höhe, dabei jedoch den Kleineren der beiden Männer mit einem ungewollten Kinnhaken eindeckend, der ihn mit einem überraschtem Stöhnen vom Stuhl beförderte, direkt hinein in Sams hastig aufgerissene Arme. „Dean!“, stieß dieser alarmiert aus und gab sich die größte Mühe, den Älteren möglichst behutsam aufzufangen, damit er seine arg gebeutelten Rippen nicht noch mehr in Mitleidenschaft zog. Aber im selben Augenblick zog ein unbeschreiblicher Schmerz wie eine Armada abgeworfener Speere durch sein Hirn, woraufhin er sich mit einem unterdrückten Stöhnen an seine Stirn griff, geschwächt dabei an die Wand sinkend. Dean segelte währenddessen nicht gerade galant an ihm vorbei und wäre vermutlich, ganz nach dem altbewährten Muster seines kleinen Bruders, mit dem Fußboden kollidiert, hätten ihm nicht zwei helfende Hände unter die Achseln gegriffen und neben den Jüngeren gedrückt. „Hey, Sammy“, presste der Ältere unter zusammengebissenen Lippen hervor und musterte den Dunkelhaarigen angestrengt, die nervenden irrsinnig farbreichen Sterne vor seinem Antlitz dabei wegblinkernd. Er war doch hier nicht in einem Disneyfilm, wieso waren diese Dinger so quietschbunt, als hätte er ein gewisses Kraut geraucht, welches er niemals auch nur in die Hände nehmen würde? „Was?“, knurrte der Angesprochene und bemühte sich darum, seine ständig verschwimmende Sicht wieder scharf einzustellen, da Dean auf ihn wirkte wie ein zerlaufendes Ölgemälde. „Hast auch schon mal besser ausgesehen, Alter“, schmunzelte der kleinere Winchester und zog die Brauen amüsiert in die Luft, nachdem Sam vor Unglauben leicht nach Luft schnappte. „Danke, das gebe ich gerne zurück“, erwiderte er daher bissig und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper, schenkte seinem großen Bruder jedoch nur Sekunden später ein erheitertes Lächeln und kicherte leise in sich hinein. Grinsend sahen sie sich an, die beiden Personen, welche besorgt vor ihnen knieten, vollkommen dabei vergessend. Erst, als Marty leicht vorwurfsvoll die Stimme erhob, wandten sich ihre Blicke etwas zerknirscht dem Älteren zu. „Auf einen Haufen Kindergartenkinder ist leichter zu achten als auf euch zwei Chaoten“, seufzte er und fuhr sich leicht genervt durch das nachtschwarze Haar. Dann wandte er sich an Lauren, er klang müde und auch ein wenig gereizt, was man ihm nach all dem Erlebten nicht verdenken konnte. „Brauchst du mich hier noch oder kann ich dich mit den Beiden allein lassen?“ Sie schüttelte verneinend auf den ersten Teil seiner Frage den Kopf. „Ich komm schon klar, Mr. Keegan, keine Sorge.“ „Gut.“ Trotz der seinen ganzen Körper einnehmenden Müdigkeit stand er schwungvoll, als hätte soeben der Wecker nach einer erholsamen Nacht geklingelt, auf und bewegte sich langsam, ohne ein großes Wort des Abschiedes, auf die Haupttür des Motels zu. Doch bevor er die Klinke zum Öffnen herunterdrückte, wirbelte er plötzlich herum und zeigte mit dem Finger ermahnend auf die beiden jungen Männer, die ihn verblüfft musterten. „Wehe, mir kommt etwas zu Ohren, was ich absolut nicht gutheiße, dann solltet ihr euch schleunigst nach einer neuen Bleibe in einem anderen Universum umsehen, ist das klar?“ „Was denn zum Beisp ... prpff“, frotzelte es vorlaut aus Deans niemals still stehendem Plappermaul, welches Sam rasch und mit einem entschuldigenden Ausdruck im Gesicht versiegelte, indem er ihm ohne Rücksicht auf Verluste die Hand vor die Lippen klatschte. „Sicher haben wir das verstanden, nicht wahr, Dean?“ Dessen Augen glühten jedoch wie das niemals erlöschende Feuer eines frisch ausgebrochenen Vulkanes, während Sam seine andere Hand an den Nacken des Älteren legte und dem ausbleibenden Nicken kräftig nachhalf. Kichernd beobachtete die junge Frau diese beiden so ungewöhnlichen Männer, welche sich ständig gegenseitig aufzogen, als seien sie noch zwei freche Schuljungen mit nichts als Flausen im Kopf. „Au, verdammt!“, quiekte der jüngere Winchester protestierend auf, nachdem Dean ihm mit einem angewiderten Gesichtsaudruck in die Finger gebissen hatte. „Hast du nicht schon genug gegessen?“ „Glaub mir, du schmeckst nicht besonders“, antwortete der Kleinere neckend, während sich Sam wie ein Kleinkind die gequetschten Finger in den Mund steckte. „Aber du hast mir ja keine andere Wahl gelassen, was hatten deine Grabscher auch in meinem Gesicht verloren? Ich steh da nicht wirklich drauf.“ „Du bist echt ein Idiot, Dean.“ „Danke, du Schlampe.“ Knurrend wie zwei rivalisierende Wölfe, die sich um ein Stück Fleisch stritten, was nur einen satt machte, musterten sich die Brüder herausfordernd. „Also, ich gehe jetzt, gute Nacht“, grollte es plötzlich etwas ungehalten dazwischen und sie hörten, wie sich eine Tür leise quietschend öffnete. „Schlagt euch doch von mir aus die Köpfe ein. Wozu hat man euch eigentlich hierher gebracht? Kaum zu glauben.“ Das massive Holz ächzte leicht, als die Tür ins Schloss fiel und Marty leise weiter vor sich hinschimpfend in der noch immer wirbelnden schneeweißen Masse verschwand. Sein Truck heulte einmal kurz auf wie ein sterbendes, sich dem ewigen Schicksal ergebenes Tier und wühlte sich anschließend dröhnend durch die eiskalte Nacht, bis er nicht mehr zu hören war. Für einen Moment saßen, beziehungsweise hockten die drei jungen Leute auf dem Boden des Korridors und starrten sich wortlos an, bis Lauren mit einem Male ein amüsiertes Glucksen entfuhr, das sie anfangs noch versuchte, hinter vorgehaltener Hand zu verbergen. Dann aber brach es aus ihr hinaus wie eine ungezügelte Herde von wilden Pferden, die wild und frei in den Schoß der Natur sprengten. Und es dauerte nicht lange, bis die Brüder ihr dabei Gesellschaft leisteten. Dean war der Erste der Beiden, der auf Laurens glockenhelles Gelächter mit einem gutgelaunten Pruster antwortete, was Sam zunächst mit einem leicht entsetzten Ausdruck auf seinem in allen Blautönen angelaufenen Antlitz abtat. Aber nachdem ihm der Ältere spaßeshalber freundschaftlich in die Rippen knuffte und dabei so vergnügt übers Gesicht strahlte wie damals, als ihr Dad ihm erlaubt hatte, den Impala das erste Mal zu fahren, fiel auch Sam in das unbeschwerte Lachen der anderen Beiden mit ein. Es war, als sprengte eine unbekannte Macht alle Mauern der Düsternis und Schwermütigkeit so leichfertig davon wie ein Pferdehuf den Staub, über den er hinwegglitt. Das erste Mal nach Jessicas grausamen und viel zu frühen Tod verspürte Sam wieder so etwas wie Heiterkeit sein in Finsternis getauchtes Herz erfüllen, hielt die kostbare Unbeschwertheit eines unschuldigen Kindes, wenn auch nur für einen kurzen, aber somit unersetzbaren Moment, Einzug in seine betrübte Seele. Wie ein Feuer, dessen Glut sich beinahe dem Tod überantwortet hatte, explodierte es in ihm, vertrieb die dunklen Schatten und wärmte sein Inneres mit einem Gefühl, welches er beinahe für immer verloren hatte. Die Sorgenfältchen in die hinterste Ecke seines Selbst verbannt betrachtete er die beiden anderen – seinen Bruder und Lauren – denen es vermutlich ähnlich erging wie ihm und doch lagen wieder Welten zwischen ihnen. Sie alle Drei wussten, was Leid bedeutete, aber Sam war Derjenige, der es am schwersten ablegen konnte und es am meisten leugnete. Erst, nachdem sich Deans heiteres Gegacker in ein abgehacktes Keuchen verwandelte und er sich mit einer gequälten Grimasse den Brustkorb hielt, erlebte der Frohgemut der jungen Leute einen kurzzeitigen Dämpfer. Sofort huschte ein Schatten wie ein dahingleitender Vogel über das Gesicht des jüngeren Winchesters und er musterte den Hustenden mitfühlend, was ihm allerdings postwendend ein genervtes Augenrollen einbrachte. „Sammy, sieh mich nicht so an, als würde ich jeden Augenblick vor die Hunde gehen“, gab Dean grollend seinen Kommentar zu der Fürsorge seines Bruders ab, der unruhig auf den Knien neben ihm hin- und herrutschte. „Komisch, du wirkst aber so auf mich“, konnte es sich der Wuschelkopf nicht verkneifen und wich dem auf ihn zusausenden Handrücken buchstäblich in letzter Sekunde und mit einem frechen Grinsen auf den Lippen aus. „Schluss jetzt!“, mischte sich Lauren wie eine gestrenge Lehrerin, die einen Streit zwischen ihren Schülern schlichten wollte, ein, lächelte aber umgehend, als Dean eine gespielt beleidigte Schnute zog. Gemeinsam mit Sam zog sie den sich vehement dagegen wehrenden kurzhaarigen jungen Mann in die Höhe und drückte ihn vorsichtig in den Stuhl. Dean schickte daraufhin ein mühseliges Seufzen hinaus in die Weiten des Flures, beobachtete aber das Mädchen wissbegierig dabei, wie sie in ihrer großen Tasche wühlte, aus der sie das Verbandsmaterial für den Jüngeren entnommen hatte. „Was hast du vor?“, wollte dieser auch prompt wissen. „Ich habe irgendwo eine schmerzlindernde Salbe für Prellungen und Abschürfungen“, erklärte sie durch den Vorhang ihrer dichten Haare hindurch, welche ihr Gesicht vollkommen bedeckten. „Wo ist sie nur?“ „Damit schmiere ich dich aber nicht ein“, weigerte sich Sam angewidert und schüttelte sich, nachdem er dem fragenden Blick seines großen Bruders begegnete, der ihn feixend beobachtete. „Brauchst du auch nicht“, erwiderte Lauren und warf ihr Haar wie einen eleganten Vorhang nach hinten. Triumphierend, als hätte sie soeben den heiligen Gral entdeckt, hielt sie eine arg misshandelte Tube in die Höhe, deren Aussehen davon zeugte, schon oft benutzt worden zu sein. „Zeig mir doch noch mal die Stelle.“ Deans Gesicht erhellte sich mit einem Schlag, als würde die Sonne aufgehen, nein, eher eine ganze Armada von lichtspendenden Sternen. Bereitwillig zog er sein Hemd in die Höhe und wirkte so zufrieden wie noch nie. Ein verzücktes Seufzen stahl sich über seine Lippen, nachdem Lauren ihm sanft einen dünnen Film auf die betroffenen Hautpartien auftrug, während Sam mit lautlos geflüsterten Bemerkungen versuchte, an so etwas wie ein gutes Benehmen zu plädieren, welches der kleinere Winchester aber irgendwann einmal irgendwo in gutem Gewissen zurückgelassen hatte, es nicht zu benötigen. „Sag mal, Lauren“, warf Dean zwischen den angestrengt zurückgehaltenen Lauten der Verzücktheit ein, „hast du keine Angst?“ Irritiert hielt sie inne und sah erst ihn, dann Sam fragend an, der gespielt unwissend mit den Schultern zuckte, aber schon ahnte, worauf sein Bruder hinauswollte. Mühsam unterdrückte er ein Schmunzeln, hoffend, dass die Enttäuschung nicht zu arg ausfallen würde. „Na ja, du scheinst ja ganz alleine hier zu sein, ich meine, es ist doch möglich, dass sich hierher auch mal recht ... ungehaltene Typen verirren, oder?“ „Du meinst, so was wie ... dich?“, konterte sie recht geschickt und zwirbelte ihr Haar provokativ lächelnd auf einen ihrer schlanken Finger. „Ja ... äh, nein!“, rief er unvorbereitet auf ihre Antwort aus und sah ärgerlich zu seinem Bruder in die Höhe, der kaum noch an sich halten konnte. „Ich meine ... du weißt schon.“ Wütend auf sich selbst starrte er Löcher in den Fußboden; das war ja noch nie vorgekommen, dass seine gewohnte Schlagfertigkeit ihn verließ, sobald eine Frau seine Geheimwaffe gegen ihn verwendete. „Nun“, begann sie und tauschte mit Sam ein verschwörerisches Lächeln aus, das Dean beinahe zur Weißglut brachte. Was wusste sein kleiner Bruder, das ihm vorenthalten wurde? „Dank Travis fühl ich mich hier recht wohl, solange meine Eltern in Florida einen Teil des Winters verbringen.“ Wer zum Teufel ist Travis? Unwissend zog Dean die Augenbrauen in die Höhe und wartete auf eine Erklärung, welche ihm jedoch bereits laut ins Hirn schrie, aber er ignorierte dies geflissentlich. „Er verbringt hier seine Semesterferien, studiert Medizin im vierten Semester. Kurz bevor ihr hier eintraft, ist er über seinen Lehrbüchern eingenickt, eifrig, wie immer.“ Ein versonnener Ausdruck huschte über das Gesicht der jungen Frau, während sie über diesen Anblick nachdachte. Oh, oh, ich ahne Schlimmes! „Dieser Travis ist also dein Freund“, streute Sam Salz in die offene Wunde und das Nicken Laurens ließ das Kartenhaus des älteren Winchesters krachend in sich zusammensinken. „Der auf dem Bild“, folterte der Jüngere ihn weiter und deutete auf die eine Fotografie an der Wand. Sie zeigte Lauren und einen Typen auf einem Schecken. Und verdammt, der sah nicht mal übel aus! „Ja, wir haben uns im Krankenhaus kennen gelernt, als ich noch dort gearbeitet habe und er ein mehrwöchiges Praktikum absolvierte“, schwärmte das dunkelhaarige Mädchen und betrachtete voller Stolz das Bild, was ihn im vollen Dress eines Rodeoreiters präsentierte. „Und er war sofort Feuer und Flamme für unsere Festivals.“ Dean brauchte gar nicht aufsehen, um das breite Grinsen seines Bruders in voller Pracht zu erleben. Nun war es an dem Jüngeren, dem lebensspendenden Gigant am Firmament ernsthafte Konkurrenz zuteil werden zu lassen. „Ich glaub, ich geh jetzt schlafen“, brummelte der Ältere in die von unsichtbaren Blümchen und Herzchen erfüllte Luft, während er sich ächzend in die Höhe drückte, Sams hilfreiche Griffel mit warnenden Grunzlauten zur Seite schiebend und seine Tasche etwas umständlich schulternd. Der Jüngere tat es ihm gleich und klaubte seine ebenfalls vom Boden auf, wo Marty ihn hatte fallen lassen sowie seine Umhängetasche mit dem Laptop, den er überall mithin schleppte. „Ähm ... ja“, murmelte Lauren und blinkerte mit den Lidern, als wäre sie aus einem wunderschönen Traum erwacht. „Es wird Zeit.“ Sie drückte Sam den Schlüssel für das Zimmer in die Hand und wünschte beiden eine gute und vor allem erholsame Restnacht, bevor sie sich umwandte und auf den Tresen zuhielt. Der größere Winchester schickte ihr noch ein dankbares Lächeln hinterher und wankte eher, als dass er ging, seinem Bruder hinterher, der schon ungeduldig mit dem Griff der Haupttür spielte. Aber bevor dieser die Klinke hinunterdrückte, drehte sich Sam noch einmal um und rief der jungen Frau etwas hinterher: „Er wird doch nicht wirklich sauer sein, oder? Ich meine Marty.“ Ihr glockenhelles Gelächter erfüllte auf seine Frage den Raum mit Wärme. „Mr. Keegan? Nein.“ Aber dann erstarb ihr herzlicher Ausdruck im Gesicht und warf trügerische Schatten auf ihre Wangen. „Er war nur einmal erbost, aber das ist lange her, sehr erbost ... .“ „Was?“, rief Sam, sie hatte diese Worte nur gedankenverloren vor sich her gemurmelt, so dass nicht einmal ein verständlicher Fetzen bei ihm angelangt war, von Dean ganz zu schweigen, der das Antlitz fragend verzog. „Ach, nichts Wichtiges. Geht lieber, bevor ihr noch hier im Stehen einschlaft, dann bin ich Travis sicherlich eine Erklärung schuldig.“ Mit einem leicht angedeuteten Winken drehte sie sich um und verschwand hinter der Tür des Wohnbereiches. „Travis, Travis, ich hör immer nur Travis“, motzte Dean unzufrieden herum und betätigte den Türgriff. „Sehen wir zu, dass wir endlich hier verschwinden. Komm, Sammy.“ Flink stieß er die Tür auf und wurde sofort von einem eisigen Hauch in Empfang genommen, der ihm sprichwörtlich das Blut in den Adern gefrieren ließ. Abrupt blieb er stehen und verzog missfallend das Gesicht, als ihm die Schneeflocken gegen die Wangen klatschten wie kleine Soldaten, die sich zum Angriff abgeseilt hatten, um ihren Feind dementsprechend zu begrüßen. Prompt rannte Sam in ihn hinein, da er mit den Gedanken und auch mit seinem Blick noch völlig woanders war. „Verdammt, Dean! Wieso bleibst du stehen?“, wollte er wissen und starrte ihm wütend auf den Hinterkopf, in dem sich bereits die Flocken wie glückliche Schneeglöckchen tummelten. „K ... kalt“, bibberte der Ältere und machte bereits Anstalten, sich rückwärts wieder in das Gebäude zu schieben, hatte aber die Rechnung ohne Sam gemacht, der ihn kommentarlos in die lebendig gewordene Kühltruhe drückte. Seufzend fasste ihn der Hüne am Arm, nachdem Dean sich keinen Zentimeter weiter vorwärts bewegte und mit den Zähnen klappernd die bis ins Unendliche reichenden Schneemassen betrachtete, welche vor nichts und niemandem Halt machten. „Hey, was soll das?“, beschwerte sich dieser auch sofort, als sein kleiner Bruder ihn kommentarlos hinter sich herschleifte, mühsam darauf bedacht, die Taschen nicht von seinen Schultern gleiten zu lassen. Denn der allzu bekannte Schwindel versuchte bei der geringsten Anstrengung erneut Herr über Sams Sinne zu werden, so dass der Junge den Einwand des kleineren Winchesters einfach ignorierte und Dean weiter hinter sich herzog, die protestierenden Beschimpfungen einfach an sich abprallen lassend. Erst, als sie nach ein paar Schritten, die dem Jüngeren wie ein halber Tagesmarsch erschienen, an ihrer Zimmertür ankamen, lehnte sich Sam schwer keuchend dagegen, Deans üble Verwünschungen mit einem Ruck verstummend, nachdem dieser das Gesicht seines kleinen Bruders in Augenschein nahm. „Sammy ... .“ Dean schrak bestürzt zurück, als sein Blick über die aschfahlen Wangen des Hünen wanderte, die nur durch die blauverfärbten Prellungen die erschreckende Ähnlichkeit mit einer Maske des Todes verhinderten. Schweiß tropfte dem Dunkelhaarigen von der Stirn und verwandelte sich direkt nach dem Verlassen der Haut in winzige Eiskristalle, die lautlos auf dem Boden zersprangen. Von einem Moment zum anderen ließ der kurzhaarige junge Mann seine Tasche zu Boden gleiten und hastete auf seinen Bruder zu, der auf ihn wirkte, als würde er jeden Augenblick das Bewusstsein verlieren und an der Tür hinunterrutschen, an welcher er schwer atmend lehnte. Doch bevor Dean dem Jüngeren seine Hilfe anbieten konnte, streckte dieser abwehrend seine Hand aus und schickte dem Älteren ein, wie er von sich dachte, beruhigendes Lächeln entgegen, das jedoch eher an einen schaurig grinsenden Halloween-Kürbis erinnerte. „Schon ... okay“, sackte Sams Stimme zwischen den abgehackt wirkenden Atemzügen hindurch wie losgetretener Sand zwischen zerklüfteten Felsen. Mühevoll stieß er sich von der Tür ab und versuchte, die von seiner Schulter gesunkenen Taschen aufzunehmen, aber Dean nahm ihm diese schweigend aus der Hand, das Antlitz zu einem vorwurfsvollen Ausdruck verzogen, als der Jüngere protestieren wollte. „Schließ endlich auf, bevor ich dich hier draußen noch zudecken muss“, gab er seinem kleinen Bruder unmissverständlich zu verstehen, seiner Aufforderung ohne Aufmucken nachzukommen. Sam sah ihn für einen Augenblick zerknirscht an. Auch, wenn Dean vielmehr den typischen Befehlston, welchen er von ihrem Dad übernommen hatte, in seine Anordnung gelegt hatte, so war für ihn selbst die unterdrückte Sorge mehr zum Vorschein gekommen, als es dem kleineren Winchester vielleicht lieb war. Es war nicht seine Absicht gewesen, den Älteren mit seinem Zustand zu belasten, der ihm mittlerweile ebenfalls im wahrsten Sinne des Wortes Kopfzerbrechen bereitete. „Sam ... die Tür.“ Deans Organ hallte wie ein weit entferntes Nebelhorn durch seine Gehörgänge und der hochgewachsene Junge schrak sichtlich zusammen. Ein wenig desorientiert sah er den etwas Kleineren an, der ihn teils genervt, teils besorgt betrachtete. „Die Tür, richtig.“ Etwas ungeschickt fummelte Sam den Schlüssel aus seiner Jackentasche hervor und steckte ihn mit zitternden Händen ins Schloss. Ihm war ebenso kalt wie seinem Bruder, aber die Unsicherheit seiner Finger war nicht das Resultat dieser frostigen Winternacht, obwohl er sich nichts sehnlicher wünschte, dass dem so wäre. Mit einem hörbaren Klicken entriegelte sich die Tür und der jüngere Winchester stieß sie im selben Atemzug auf, blieb aber, bevor er die angenehme Wärme des Zimmers willkommen hieß, voller Verblüffung unter dem Türrahmen stehen, so dass nun Dean seinerseits mit ihm zusammenprallte. „Was zum ...?“, knurrte dieser hinter ihm und rieb sich aufgebracht den Riechkolben, versuchte aber gleichzeitig einen Blick ins Zimmer hineinzuerhaschen, indem er sich auf die Zehenspitzen stellte und über Sams Schulter schielte, was sich als gar nicht so einfach erweisen sollte. Was er jedoch davon zu sehen bekam, raubte auch ihm für den Bruchteil einer Sekunde die Sprache. „Wow, wo sind wir denn hier gelandet?“, presste er hervor, nachdem er sich wieder gefangen hatte. „Im Hilton?“ Ungläubig glotzte er die helle Tapete an, die keine Spur von Verunreinigungen oder Alter aufwies. Nirgendwo war eine zerstörte Stelle auszumachen, sie wirkte auf die Brüder, als sei sie erst vor wenigen Stunden angebracht worden. Angenehm überrascht zerrten die Beiden ihr Gepäck hinein in den Raum, der nun für einige Tage ihr Zuhause sein sollte und sahen sich weiter um. Die Möbel waren einfach, aber gut gepflegt. Testversessen schlug Dean auf die schwere Decke des Bettes direkt vor ihm und atmete hörbar verblüfft aus, als sich keine Staubwolke ihren Weg nach oben bahnte. Seine Lippen verzogen sich beeindruckt und er suchte den Blick seines Bruders, welcher es sich bereits auf dem anderen Bett bequem gemacht hatte. Ein Grinsen fuhr über Sams Gesicht, nachdem er Deans übermäßiges Staunen bemerkte, aus dem dieser scheinbar gar nicht mehr allein herausfand. Aber auch er musste im Stillen zugeben, dass ihr Zimmer in einem bemerkenswerten Zustand war. Wie oft waren sie in Absteigen gelandet, in denen die Zudecken ihrer Betten Löcher aufwiesen, hineingefressen von Motten; wo Schimmel an den Wänden klebte oder die Tapeten daran nur noch zu erahnen waren oder auch Badezimmer, bei deren Anblick sie es vermutlich vorgezogen hätten, in einer Pfütze zu baden. Alles in allem hatten sie es dieses Mal gut erwischt; der Teppichboden war zwar nicht mehr der Neueste, aber er war sauber und auch die Bettwäsche roch, als hätte man sie soeben aus einem gut duftenden Blütenmeer gezogen. Seufzend vor Behaglichkeit ließ er sich in die weichen Daunen sinken und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. „Man muss auch mal Glück im Leben haben“, murmelte er versonnen und bemerkte plötzlich, wie schnell sich die Müdigkeit über seine Sinne legte wie ein schweres Tuch. Durch seine immer schwerer werdenden Lider sah er noch, wie Dean zustimmend nickte und sich seine Boots auszog, die er neben sein Bett stellte. Doch plötzlich fuhr etwas ins Sams dahinschwindende Gedanken und er riss die Augen alarmiert auf. Schlagartig drehte er seinen Kopf in Richtung Dean, der gerade damit beschäftigt war, sein halbes Waffenarsenal aus seinen Verstecken am Körper zu befördern und dies unter dem Kopfkissen zu verbergen, damit es stets griffbereit war. „Ist irgendetwas?“, fragte der Ältere argwöhnisch, nachdem er Sams eigentümliche Reaktion bemerkt hatte. Umständlich setzte sich dieser halb auf und legte die Stirn leicht in Falten, seinen Bruder dabei nicht aus den Augen lassend. „Was ist los, Sammy?“, wiederholte Dean und verzog die Lippen zu einem Schmunzeln, da der Jüngere auf ihn wirkte wie jemand, der gerade gehört hatte, dass die Welt doch eine Scheibe sei. Aber sofort wich die Belustigung von ihm, als ihm noch etwas anderes in den Sinn kam. „Etwa eine Vision?“ Sofort ließ er sich auf der Bettkante des Dunkelhaarigen nieder und musterte ihn eingehend. „Nein, ich warte“, kam es allerdings nur von anderer Seite und Deans Besorgnis tauschte den Platz mit ansteigender Verwirrung. „Worauf? Auf den Weihnachtsmann? Dafür ist es noch ein paar Wochen zu früh”, witzelte der kleinere Winchester herum und biss sich amüsiert auf die Unterlippe, als Sam genervt mit den Augen rollte. „Klar, haha. Sehr witzig, wirklich.“ Der Hüne schüttelte über soviel Einfallsreichtum leicht den Kopf; energischere Ausflüge sollte er für die nächste Zeit ausklammern. Selbst diese kleine, nur angedeutete Bewegung reichte aus, um ihn der wildesten Achterbahn-Simulation aller Zeiten auszusetzen. Tief durchatmend konzentrierte er sich wieder auf sein Anliegen. „Was hast du ihm gesagt?“ „Wem?“ Dean hasste es, wenn Sam mit etwas begann und er ihm absolut nicht folgen konnte, geschweige denn wusste, worauf sein Bruder hinauswollte. „Marty, wem sonst? Oder hast du gleich mit der ganzen Stadt über den Inhalt des Kofferraums gesprochen?“ Die letzten Worte hatten gehässiger geklungen, als es beabsichtigt war. Geräuschvoll schickte Sam ein Räuspern hinaus und mied den in Ernsthaftigkeit versunkenen Blick des Älteren. Er wusste ja selbst nicht, was mit ihm los war. So leicht, wie in letzter Zeit waren sie in den vergangenen Wochen nicht mal aneinander geraten. Sam hatte langsam das Gefühl, dass seine Hemmschwelle immer mehr zusammenschrumpfte, genau, wie die Ozonschicht. Er musste versuchen, sich mehr zusammen zu nehmen. Dean hatte ja recht, er durfte sich nicht zu sehr von seinen negativen Gefühlen leiten lassen, die ihn seit Jessicas Tod mehr und mehr beherrschten. Doch das, was sein Bruder dann von sich gab, warf jegliche gute Vorsätze mit einem Mal wieder über den Haufen. „Ich habe ihm die Wahrheit gesagt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)