Assoziatives Schreiben von Ekolabine (Du liest nur einen Satz...) ================================================================================ Kapitel 8: Sonderaktion: Das Weihnachtskind ------------------------------------------- Einmal im Jahr – das wusste Andi ganz genau – einmal im Jahr kam der Weihnachtsmann zu allen Kindern dieser Welt und brachte ihnen Geschenke. Diese versteckte er in einem Strumpf, der am Kamin hang. Weihnachten war nur noch ein paar Tage entfernt. Der Schnee lag draußen und malte eine weiße Winterlandschaft. Doch Andi hatte bisher noch kein einziges Mal darin getobt noch sich in der weißen Herrlichkeit gewälzt. Seine Mama und auch der Arzt meinten, dass er immer noch zu schwach sei, um hinaus zu gehen. Würden sie dies zulassen, dann würde er wieder tagelang mit Fieber im Bett liegen. Andi wusste, dass die beiden Recht hatten. Manchmal kam dieses Monster, das in ihm hauste zum Vorschein. Er bekam dann keine Luft, sein Brustkorb drohte zu zerspringen und er sah nichts mehr. Heute war wieder einer dieser Tage, an dem das Monster in ihm wütete. Andi nahm nur noch verschwommen die Stimmen seiner Eltern wahr. Immer wieder wurde ihm schwarz vor Augen, wenn er wieder minutenlang keinen Luftzug machen konnte. Er musste durchhalten. Nur noch ein paar Tage und Weihnachten war da. Er wollte den Weihnachtsmann sehen, Plätzchen essen und Geschenke auspacken. Dafür kämpfte er. Und verlor. „Der nächste, bitte!“ Verwirrt trat Andi vor. „Herzlich willkommen im Totenreich. Dein Name ist Andreas Berger, acht Jahre alt und Katholik‘. Stimmt das?“ Andi traute seinen Augen nicht recht. Er stand an einem Schalter hinter dem eine Dame saß, deren einer Arm aus Knochen bestand! Ihre Haut war am kompletten Körper modrig und einige Stellen waren gelb unterlaufen. Neben ihr saß eine weitere Dame, die etwas korpulenter schien. Jedenfalls muss sie das mal gewesen sein. Ihre viel zu weiten Klamotten deuteten daraufhin. Das Skelett, das darin saß allerdings nicht. Ihr Kopf war noch da, der mit strohigen Locken umrundet war. Auf ihrer Nase saß eine kleine Brille und auf ihrem Kopf ein rosa Hüttchen. Sie bearbeitete die Schlange neben Andi. „Hallo! Träumst du?“ Die halbe Leichendame schlug ein paar Mal auf den Tisch vor ihr. „‘Tschuldigung“, murmelte Andi schnell. Löste sich aus seiner Starre und antwortete: „Ja, das stimmt alles. Ähm-“ „Prima. Na dann, du bist jetzt in nächster Zeit tot. Zu diesem Anlass ist es dir gestattet einen neuen Namen zu wählen und deine Konfession neu zu bestimmen.“ „Konfess- was?“, fragte Andi verwirrt nach. „Dein Glauben, Kindchen“, rief nun die dickere Dame dazwischen, „du kannst hier im Totenreich neu wählen, an was du genau glaubst. Und glaub’s mir. Ich würde nicht bei den Katholiken bleiben.“ „Wieso nicht?“ „Naja, haben dir deine Eltern nicht erzählt, wo ihr nach dem Tod hinkommt?“ „In den Himmel?“ „Ha ha, ja danach. Aber davor müsst ihr eure Sünden bereuen und kommt ins Fegefeuer.“ Die dicke Dame hatte sich nun komplett auf die Seite der gelben Damen gezwängt und lächelte Andi freundlich an. „Und zu welchem Glauben soll ich wechseln?“, fragte Andi ängstlich nach. Fegefeuer hörte sich gar nicht gut an. Die gelbe Dame schubste ihre Kollegin wieder beiseite und antwortete: „Also zunächst mal gibt es das Christentum, dass sich in evangelisch und katholisch aufspaltet. Dann sind da natürlich die ganzen Sekten, wobei die Zeugen Jehovas bis zur Apokalypse in einen Warteraum müssen, da sich erst dann entscheidet, was mit denen passiert. Die Scientologen streiken immer noch, weil ihre Kreditkarten nicht angenommen werden, die…“ „Ja, ja, ja! Das muss der Junge doch gar nicht wissen. Nenn die fünf großen Glaubensrichtungen. Das reicht!“ „Ganz sicher nicht. Nachher reicht der eine Beschwerde gegen mich ein, wegen unzulänglicher Aufklärung.“ „Helena, er ist ein kleiner Junge. Das du bei jedem Kind diesen Stress abziehen musst.“ „Ich will nur alles richtig machen, Grimhield!“ „Kindchen, es gibt das Christentum, den Buddhismus, den Islam, das Judentum und den Hinduismus. Wähle einfach Christentum evangelisch und alles ist prima.“ „Nichts ist prima“, fauchte die gelbe Helena. Andi war nun völlig verwirrt. Er war an einem ganz komischen Ort mit zwei toten Damen. „Ähm, schon okay. Ich nehme das Christentum evangelisch“, murmelte er daher nur leise. „Hm“, kam nur von Helena, welche sich eine Notiz in ihre Unterlagen machte. „Und wie willst du von nun an heißen?“ „Andreas Berger.“ „Echt? Keinen neuen Namen? Die meisten wählen ja etwas Cooleres, wenn sie gestorben sind.“ Andi überlegte von neuem. „Regreb Saerdna.“ „Was ist denn das für ein komischer Name?“ Helena zog eine Augenbraue hoch bis zum Haaransatz. „Das ist mein Name rückwärts“, antwortete Andi schüchtern. Neben Helena fing Grimhield an schallend zu lachen: „Genial, Kindchen! Darauf ist auch noch keiner gekommen seit meiner Amtszeit hier.“ „Und glaub mir, die ist schon ganz lange hier“, murmelte Helena leise vorgebeugt zu Andi, „guck mal, die ist schon komplett verwest.“ Zurück an ihren Platz gerutscht, fragte sie nun laut: „Nun denn, Regreb Saerdna, als was möchtest du denn im Totenreich arbeiten?“ „Hä? Wieso arbeiten, ich bin doch erst acht“, brachte Andi hervor. „Das hat hier im Totenreich nichts zu bedeuten. Hier arbeitet jeder, dessen Körper arbeitsfähig ist. Also, hast du einen besonderen Wunsch?“ „Ich… ich weiß nicht.“ „Oh nein, nicht noch so einer. Dann erst mal ab mit dir ins Arbeitsamt“ – „Das heißt Amt für Arbeit, meine Liebe.“ – „Das interessiert meinen knochigen Hintern nicht, meine Teuerste. Also ab mit dir ins Arbeitsamt zur Frau Wendelborn. Die kann dir weiter helfen. Hast du noch irgendwelche Fragen?“ Ja, die hatte Andi. Tausende von Fragen. Was wird aus seinen Eltern? Sieht er jemals seine Freunde wieder? Wie soll er es ganz alleine hier unten schaffen? Wo sollte er nun wohnen? Doch hervor brachte Andi nur eine einzige Frage, die nur ein kleines Kinderherz beschäftigen kann. „Wird der Weihnachtsmann mich hier unten finden?“ „HA HA HA!“ Die gelbe Helena brach in schallendes Gelächter aus. Auch Grimhield kicherte leicht. Diese beugte sich nun wieder zu ihm rüber und beachtete ihren Kunden gar nicht, als sie ihm antwortete: „Das hier ist das Reich der Toten, Kindchen. Die Fantasiefiguren der Lebenden haben hierher keinen Zutritt.“ „Oh“, machte Andi traurig. Also würde er nie wieder Weihnachten erleben. „Jetzt guck nicht so traurig, Kindchen! Wir hier im Totenreich haben auch unsere Bräuche und die sind genauso schön, wenn nicht tausendfach besser, wie jene bei den Lebenden. Wir haben sogar auch eine Art Weihnachtsmann hier unten und wir feiern unser eigenes Weihnachten.“ Andis kleines Gesicht hellte sich schlagartig auf. „Wirklich?“ „Ja, Kindchen. Allerdings sind die Regeln bei uns hier unten etwas anders. Oben feiert man die Geburt des Christkindes. Hier unten lassen wir es krachen, wenn das Christkind stirbt.“ „Das ist ja eklig!“, platzte es Andi heraus. „Aber nein, Kindchen. Der Tag, an dem der Herr Jesus stirbt, ist der Tag, wo er zu uns hier ins Totenreich gekommen ist und das feiern wir. Also bis zu unserem Weihnachten ist es noch ein Weilchen hin!“ „Das ist aber genug Getratsche, Grimhield! Schau nur, auf deiner Seite staut sich schon wieder alles. Du bist schon wieder 6453 Leichen im Verzug wegen deiner ewigen Tratscherei!“ Helena schob Grimhield wieder auf ihre Seite und verhakte sich dabei mit ihrer Hand in deren Skelett. Andi schaute immer noch total fasziniert zu, wie die beiden sich versuchten wieder zu enthaken. Schließlich ließ Helena einfach ihren Knochenarm in Grimhield stecken und wandte sich wieder Andi zu. „Also Regreb. Wenn du so scharf auf den Weihnachtsmann bist, wieso bewirbst du dich nicht bei ihm? Er sucht bestimmt gerade wieder ein paar fleißige Helfer.“ „Au ja!“ Kinderaugen begannen zu leuchten. „Na dann, hier dein Ticket. Gleich kommt dein Taxi und sag ihm, er soll mich anrufen, ja?“ Helena reichte ihm das Ticket. „Dankeschön.“ Schon tippte jemand Andi auf die Schulter. Andi drehte sich um und zuckte erschrocken zusammen. Vor ihm stand ein Knochengerüst umhüllt von einem schwarzen Mantel. In einer Hand hielt er einen langen – wirklich langen – Stock. „Hey, du. Hasch du n‘ Taxi bestellt?“ Andi nickte nur leicht erschrocken. „Dann komm mal mit. I bin d’Hons-Dieta und tausendvierhundertunddreiundsiebzigster Todenfährmo der Charon GmbH. Wo wilsch no?“ „Bring ihn zum Santinator, bitte.“ „Viel Glück, Kindchen.“ Grimhield winkte ihm noch ein Weilchen hinterher. Andi folgte Hans-Dieter, dem Totenfährmann hinüber zu dessen Gondel. „Na dänne, stoig mol oin und bittschä ang’schnallt g‘hörsch. Hier golde Toteverkehrsordnungne!“ Andi setze sich in die Gondel und schnallte sich dort mit dem Gurt fest. „Bindsch dia lieba d‘ Gurt en paar Mll um d‘Bauch. Wird koi schäne Fahrt.“ Noch bevor Andi sich den Gurt ein paar Mal um den Bauch schlingen konnte, legte die Gondel in ohrenbetäubender Geschwindigkeit ab. Andi musste sich am Rand seiner Sitzbank festklammern, um nicht weggefegt zu werden. An ihm raste diese neue Welt vorbei und er nahm nur verschwommene Umrisse war. Schon nach nicht mal fünf Minuten kam die Gondel wieder zum Stehen. „Soa, mia sind do. Hab‘ noch enen schäne Tog, klener Mo.“ Kaum als Andi aus der Gondel gestiegen war, brauste diese schon wieder davon. Als Andi sich nun um schaute, stand er am Anfang eines Waldes. Vor ihm eröffnete sich ein kleiner Weg, welcher voller Schilder und Pfeile war, die alle in die selbe Richtung zeigten und alle hatten das selbe drauf stehen: „Santinator: Keep out.“ Hm, was bedeutete denn ‚Keep out‘? Andi kannte das Wort nicht und somit tapste er tapfer los, auf der Suche nach dem Weihnachtsmann. Tief im dunklen Wald endete der Weg vor einer alten verwahrlosten Hütte. Am Klingelschild stand in schlampiger Schrift ‚Santinator‘ geschrieben. Doch der Klingelknopf war nur eine Attrappe. Ein lebendiger Käfer um genau zu sein. Andi drückte nur leicht drauf und schon öffneten sich die Flügel des kleinen Tieres und er flog summend einmal ums Haus, bevor er sich auf die Dachspitze setzte und ein seine kleinen Kiefer öffneten. Ein ohrenbetäubender Gong ertönte und ließ den Boden und die Bäume um das Häuschen erbeben. Das hervorgerufene Erdbeben war so heftig, dass Andi sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und auf seinen Hintern plumpste. „Wer stört da?“, schrie eine bärige Stimme von innen. Schwere Schritte kamen in Richtung Haustür und ein grimmiges Gesicht öffnete Andi die Tür. Andi stieß erschrocken einen Schrei aus. Vor ihm stand ein riesiger Mann mit schwarzem Bart, Sonnenbrille und Lederklamotten. Den Bierbauch nicht zu vergessen. „Was willst du, Bengel?“ Er beugte sich zu Andi hinab, um ihn besser begutachten zu können. „Tschuldigung, aber ich suche den Weihnachtsmann. Ich bin hier für einen Job“- „Ich bin nicht der Weihnachtsmann!“, schrie der schwarze Mann los, „wieso kapiert ihr Kinder das nicht? Ich – bin – nicht - der – Weihnachtsmann!“ Böse schnaufte er Andi an, diesem rollten nun die Tränen über die Wangen. Er heulte und schniefte umher. Zwischendurch gab er Wortfetzen von sich wie: „…tut mir leid… wollte nur… Weihnachtsmann… Job…“ Die Tränen kullerten nur so über die roten Bäckchen und ein Kinderschniefen durchbrach den Wald. „Na na, jetzt sei mal nicht so sensibel“, nun war Santinator doch etwas überfordert. Mit Kindern konnte er nun mal nicht so gut umgehen. „Jetzt komm, hör auf. Ich hab’s doch nicht so gemeint… Wenn du nicht aufhörst, dann… oh shit…“ Nun kullerten auch dem großen schwarzen Santinator die Tränen über die Wangen und er heulte wie ein Kleinkind. Andi hatte sich derweil beruhigt und beobachtete den heulenden Riesen. „Du bist ja doch nett.“ „Ach, halt die Klappe“, schniefte die Heulsuse. Nun stand Andi auf, klopfte sich den Dreck von der Hose. „Ich bin Andi und soll herkommen für Arbeit.“ Andi hielt dem großen Weihnachtsmann des Totenreichs seine Hand hin. Santinator nahm sie zögernd entgegen. Schüttelte sie schnell und wischte sich dann erstmal das Gesicht ab, bevor er aufstand. „Na dann komm mal mit. Ich zeig dir meine Spielzeugfabrik und deinen neuen Job.“ „Jippie!“ Andi rannte aufgeregt in das kleine wacklige Häuschen hinein. Der schwarze Santa Claus erhob sich schwermütig und blickte dem kleinen hinterher. „Eigentlich bräuchte ich nur noch einen kleinen Freund, der mich wieder zum Lachen und Weinen bringt. Eine Sache hat er ja schon geschafft.“ Damit folgte er einer kleinen neuen Hoffnung in seine Hütte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)