Vom Sterben und neu Geboren werden von Archimedes (Final Fantasy XII) ================================================================================ Kapitel 1: Vom Sterben und neu Geboren werden --------------------------------------------- Es war die wohl dümmste Idee, die seit Anbeginn des Reiches Dalmasca einem seiner überklugen Architekten in den Sinn gekommen war. Er hatte es gewusst, von dem Moment an, als Ashe sie aufgesucht hatte, um sie beide für den Flug nach Bur Omisace zu gewinnen, derart überschwänglich begeistert von dem glänzenden Vorhaben, sodass man gar nicht hätte ablehnen können. Und selbst wenn doch, er war ein Mann, dem dumme Ideen und glänzende Vorhaben gefielen, bargen sie schließlich Abenteuer und Spannung und in der Regel eine große Portion Risiko, Risiko, bei dem seine Nase herrlich zu jucken begann. Und bei dieser Idee war seine Nase Feuer und Flamme gewesen: In Rabanastres Stadtzentrum, auf den Platz an den Toren, eine Eislaufbahn zu bauen, das war die Idee. Das benötigte Eis aus den Paramina-Schluchten zu holen, das war der Plan. Die Örtlichkeit im Stadtinneren war bewusst gewählt worden, würden doch alle Reisenden dort vorbeikommen und mit ihnen an den leeren Kassen des Königreichs das ein oder andere Sümmchen. Für das Unterfangen hatte gar der Geleits-Brunnen, ein altehrwürdiges Wahrzeichen der Stadt, versetzt werden müssen. Und all das in hochoffiziellem Auftrag der neuen Königin. Es hatte nach jeder Menge Aberwitz und ordentlich Spaß geklungen, und dementsprechend schnell waren sie in der Luft und auf ihrem Weg gewesen. Jetzt, umgeben von der weißen Pracht und ihrer Kälte, dachte er anders darüber. Gefangen in einem in den Gletscher hieingefrästen Stollen unter dem Berg Kilitia und mit einem verschütteten Eingang, durch den nichts hinaus gelangte, war der Ausflug alles andere als ein Vergnügen. Nun, sie hätten es schlimmer treffen können, dachte Balthier. Denn, wo nichts hinaus kam, da kam immerhin auch nichts hinein. So versperrten die massiven Eisplatten wenigstens dem Schneedrachen, einem reichlich gereizten Muttertier, auf dessen Gelege sie während des Grabens gestoßen waren, den Zutritt. Seit einer Weile schabte und kratzte es auch nicht mehr an der Gletscherwand, schrie und heulte nicht mehr kummervoll, weil es von seinen Eiern getrennt war. Der Kampf mit dem Untier war nach ein paar ungezielten Schlägen seines eigenen Schwanzes schnell vorbei gewesen, mit dem leidigen Ergebnis, dass Fran und er fest saßen, bedauerlicherweise auf der falschen Seite des Durchgangs. Balthier stieß mit dem Fuß eines der hüfthohen Ova an, nicht fest genug, um ein Loch in die Schale zu treten, aber allemal ausreichend, um es wackeln zu lassen. Es waren lediglich zwei an der Zahl, aber hungriger Nachwuchs war hungriger Nachwuchs, und wenn er schlüpfte, würde es hässlich werden. Klüger wäre es wohl, die Eier aufzubrechen und die Jungdrachen zu erschlagen, solange sie wehrlos waren. Er sah erwartungsvoll hinüber zu Fran. Die Viera, in ihrer unantastbaren Ruhe, saß mit erhobenem Haupt am anderen Ende des Nestes. Sie tat nichts, sprach nicht, sah gerade aus an die gegenüberliegende Wand und wartete. Es schien fast so, als sei sie zu einer der bronzenen und ewig geduldig drein blickenden Gebetsstatuen geworden, die in den Tempeln Ivalices standen, um dem spendenfreudigen Pilger einen Ort zum Niederknien zu bieten, nebst einem Plätzchen, an dem er seine Börse erleichtern konnte. In jedem Schlamassel, und war er noch so groß, blieb Fran gelassen. Er seufzte. Diese Momente gehörten zu jenen, in denen er sich fragte, was wohl im Kopf der Frau vor sich ging. Es war nicht zu leugnen, dass er sie und was sie tat häufig nicht verstand. Wenn er es dennoch versuchte, drohte ihm recht schnell der Kopf zu platzen. Wahrlich, ein komisches Gespann waren sie: War er ausgelassen, trieb er seine Späße und triezte die Mädchen, hielt Fran sich desinteressiert im Hintergrund oder schraubte schweigend an der Strahl. War er jung und beizeiten übermütig, war sie besonnen. Ihr Alter allerdings, mochte er nicht schätzen oder gar ansprechen, nicht zuletzt, weil die Erfahrung gezeigt hatte, dass Fran zumindest in dieser einen Hinsicht nicht anders reagierte als Frauen der Hume. Balthier fröstelte und rieb sich die Arme. Und war sie frei von Mitleid für im Kampf Gefallene, gewährte sie schließlich einem Gegner auch niemals Gnade, bedauerte und gedachte Balthier der Toten. Zur gleichen Zeit hegte und pflegte sie aber jedes verlorene Tier, das ihrer Hilfe bedurfte. Strauchelte er begeistert von Abenteuer zu Abenteuer, ja, suchte er regelrecht danach, war es ihr unlängst egal, wohin sie gingen. Und wollte er mit ihr sprechen, und sei es über Belangloses, antwortete sie, - wenn überhaupt-, kryptisch. Zu welcher Zeit hatte eine Viera einem Hume auch jemals eine klare Antwort gegeben? Balthier linste zu ihr hinüber, Fran sah nicht zurück. Die deprimierende Wahrheit war: Es war nie anders zwischen ihnen gewesen. Fran war nie anders gewesen. Stets hütete sie ihre Geheimnisse wie eine versteckte Schatztruhe ihre Kleinodien. Während sie annähernd alles über ihn und seine Familie wusste, hatte sie einiges damals in Archadis selbst miterlebt, wusste Balthier nach sieben Jahren Freundschaft nicht viel mehr über sie als am ersten Tag. Und was für ein Tag das heute vor sieben Jahren gewesen war! Balthier erinnerte sich an ihn als ein Tag der Veränderungen, als ein Tag der Entscheidungen und der Wende. Er verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich an die Wand in seinem Rücken und rutschte in die Bequemlichkeit. Und auch wenn Fran nie über die vergangenen Ereignisse gesprochen hatte, so glaubte er, dass sie es genauso sah. * * * “Seine Majestät, Kaiser Gramis Solidor entsendet Euch, Richter Ffamran Mid Bunansa, seine besten Wünsche und dies Geschenk zu Eurem siebzehnten Namenstag.“, lallte die Stimme des bärtigen Hünen, der sich in aller Form zu verbeugen versuchte und ihm ungelenk ein edles Päckchen mit weitaus edlerer Schleife in die Hände drückte. Es war ganz erstaunlich, dass Premier Zoran das zerbrechliche Gebilde noch nicht in seinen gepanzerten Pranken zermalmt hatte, weit erstaunlicher aber, dass er in seinem beschwipsten Zustand einen vollständigen Satz gerade heraus brachte und nicht über die eigenen Füße strauchelte. Ffamran hob belustigt die Brauen, doch bevor er sich über den rotnasigen Richter erheitern konnte, traf ihn auch schon dessen ebenso unerwarteter wie mächtiger Schlag gegen die Brust. Er ließ ihn aus dem Gleichgewicht geraten, nach hinten taumeln und dann mit einem Fluch auf den Lippen geräuschvoll zu Boden stürzen. “Und das ist mein Geschenk, Söhnchen!”, grunzte er und griff nach einem weiteren Becher fein schmeckenden yensaischen Ales, das er in einem Zug hinunterstürzte, “Und wie immer bist du unaufmerksam und wacklig auf den Beinen wie eine frisch geschlüpfte Cockatrice!” Danach widmete er sich den Gästen: “Singt, meine Freunde, singt! Heute feiern und trinken wir! Feiert, tanzt und lebt!” Die Umstehenden lachten und prosteten dem Primus Magnus zu, stimmten in das Ehrenlied mit ein, das der weinselige Mann für Ffamran anstimmte. Es war ein erbauliches Fest, mit einem Bankett von großer Pracht und mit viel Klamauk, Musik und reichlich Konversation. Es war ein Fest, unpassend wie kein zweites für den heutigen Abend. Es war ein Fest, an dem sich Ffamran nicht recht erfreuen wollte. Aber es war Tradition. Den Namenstag eines Richters zu feiern, gehörte zu Archadia wie der stete Wandel, den der einhaltende Fortschritt mit sich brachte. Erfindungen und die Erforschung neuer Wissenschaften, an denen sein Vater nicht ganz unschuldig war, sorgten dafür, dass die Hauptstadt zu einem Zentrum der Macht und das Kaiserreich zu einer erfolgreichen Mischung aus einem alten Erbe und sprunghafter Modernität wurden. Kaiser Gramis allerdings, obwohl gerecht und gut, war ein schwacher Regent. Schon lange interessierte sich der alternde Mann nur noch sporadisch für die Politik und jeder, auch wenn er es nicht offen aussprach, wusste, dass im Geheimen Vayne und seine Brüder längst begonnen hatten, die Geschäfte des Reiches zu übernehmen. Und den Weg, den die Prinzen dabei beschritten, missfiel Ffamran zutiefst. Es war ein notwendiges Übel, den Status des Imperiums gegen das benachbarte Rozzaria zu verteidigen, die Rohstoffe des Kontinents für Archadia zu sichern und wenn es die Lage bedurfte, in einen Krieg zu ziehen. Aber die seit drei Monaten anhaltenden Gefechte gegen Nabradia, einem neutralen Königreich zwischen den Fronten, hatten den Zweifel in ihm geschürt. Auf dem Weg nach Rozzaria musste die Streitmacht des Reiches unweigerlich durch das Territorium des Königsgeschlechtes Heos geführt werden, und es war abzusehen gewesen, dass der König und sein Sohn sie nicht freiwillig passieren lassen würden. Für diesen Fall hatten die Solidors einen kurzen und heftigen Überfall des Landes im Sinn gehabt. Es mit einer Übermacht zu überrennen, sodass König Heos einsah, wie wenig vorteilhaft ein Krieg für das kleine Land wäre und eine Kapitulation die Verluste auf beiden Seiten begrenzte, war ein ehrbarer Gedanke gewesen. Daher waren sie auf einen derart erbitterten Widerstand, wie er gegenwärtig geleistet wurde, nicht vorbereitet gewesen. Sie hatten den Fehler begangen, den Stolz des nabradianischen Volks zu unterschätzen. Verwunderlich war es daher kaum, dass sich schon wenige Wochen nach Beginn der Feldzüge die ersten Klagen geregt hatten, und obwohl es keine Neuigkeit war, dass in den Gefechten Menschen starben und dass Opfer von den eigenen Bewohnern gefordert wurden, so sahen sie doch alle eines überdeutlich: Archardis, die Hauptstadt, litt. Der Krieg kostete die Menschen und das Reich Unsummen. Die einstmals goldene Altstadt war der beste Beweis. Sie hatte sich in den letzten Sonnenläufen zu einem heruntergekommenen Pferch aus gescheiterten Existenzen, einem Armenhaus und einem Sammelsurium aus Bürgern, die Archadia nicht mehr dienlich waren, verwandelt. Die Menschen hausten mehr, als dass sie lebten. Häuser fielen dem Moder anheim, Straßen und Wege der Zermürbtheit. Einwohner verschwanden spurlos, insbesondere jene, die wagten ihre Stimme gegen den Krieg und die Solidors zu erheben. Zu Kaiser Gramis gelangten diese Informationen freilich nicht. Der Mantel der Verschwiegenheit wurde über diese Tatsachen ausgebreitet, und Ffamran wusste auch von wem, denn nicht selten fiel bei schauerlichen Vorkommnissen Vaynes Name. Wegen dieser Art zu handeln, trauten er und viele andere ihm nicht weiter, als sie ihn werfen konnten. Wie ungemein gelegen musste ihm dieses Fest also kommen. Der monströse Ball in den heiligen Hallen der Väter war über die Maßen erheiternd für die Aristokratie, und selbst das Volk lockte der Zinnober, denn alles aß und trank, tanzte und schwelgte in der Freude, vergaß darüber aber die Verluste. Er, Ffamran, konnte es nicht. Noch vor einem Jahr war es ihm in seiner idealistischen Art eine Ehre gewesen, die kaiserliche Familie zu schützen, Recht in Archadis zu sprechen und jene, die ein schlechtes Wort über die Solidors verlören, auf Gedeih und Verderb Lügner und Verräter zu schimpfen. Jetzt, nachdem er gesehen hatte, wie Vayne und seine älteren Brüder die Schwierigkeiten des Reiches hinter dem Rücken des Vaters handhabten, jetzt, nachdem er gesehen hatte, welchen Preis sie alle für den Erhalt der Macht zu zahlen hatten, war es nunmehr eine Bürde. Ffamran seufzte und rieb sich die malträtierte Stelle auf seiner Brust. Es war nicht das erste Mal, dass er durch Premier Zoran zu Boden gegangen war. Zu Beginn seiner Ausbildung hatte er sich des Öfteren dort unten, zu Füßen des ranghöchsten Richters wieder gefunden. Manchmal glaubte er gar, dass es dem alten Haudegen ein geradezu bösartiges Vergnügen bereitete, ihn zu piesacken und es nur der Spaß daran war, der seine morschen Knochen am weiteren Verfall hinderte. Er entließ einen quengeligen Laut des Protests. “Trag es mit Fassung, Ffamran. Das ist seine Art dir zu zeigen, dass er dich in sein Herz geschlossen hat.”, sagte eine blecherne Stimme hinter ihm. Freundschaftlich wurde ihm auf die Schulter geklopft, bevor sich ein paar kräftige Hände unter seine Arme gruben und ihn trotz des stattlichen Gewichts seiner Rüstung in die Höhe wuchteten. “Ich weiß, ich weiß. Aber verzeih, Zecht, wenn ich mich glücklich schätze, dass die Stunde meiner Geburt im Jahr nur einmal feierlich begangen wird.” Mit einem Ächzen hob Ffamran das Päckchen auf, richtete seinen Schwertgurt und wandte sich um, “schön dass du gekommen bist.” Der andere Richter winkte ab. “Naaah, keine Ursache. Du weißt ja, für einen ordentlichen Krug Bier und ein Stück saftigen Braten mit Kartoffeln laufe ich freiwillig bis in die Nabreussümpfe und wieder zurück.”, antworte jener gedankenlos und sah auf den Jungen, der kaum am Erwachsenenalter kratzte und dessen Miene sich bei der Erwähnung der moorigen Gewässer Nabradias verfinsterte. “Apropos“, erkundigte er sich, “wenn wir gerade dabei sind, sag, wie verlief der Einsatz heute Vormittag? Man hört allen Ortes, dass er… nun ja, ein wenig unglücklich ausging.“ Zecht setzte den mit Hörnern besetzen Helm ab. Zum Vorschein kamen ein ermüdetes Gesicht mit einem weißen Bartkranz, der ums Kinn spross und eine mit glänzendem Schweiß beperlte Glatze. “Es war aufreibend.”, seufzte Ffamran, “Für jeden getöteten oder gefangen genommenen Kämpfer Nabradias gaben zehn der unseren ihr Leben. Wir kämpften wie die Berserker, aber wir waren ihnen trotz ihrer Unterzahl nicht gewachsen. Seit die Kämpfe in den Sümpfen angelangt sind, gibt es kein Vorankommen mehr.” Nachdenklich drehte er das Päckchen in seinen Händen. “Ich bin kein großer Feldherr oder Stratege, Zecht, aber selbst ich erkenne, wenn ein Angriff wahnwitzig wird. Unsere Unkenntnis des Gebiets und seine Eigenheiten verhindern, dass Nabudis einzunehmen ist. Betrachtet man ihn also nüchtern, so war der Einsatz für unsere Männer nicht mehr als der Weg zur Schlachtbank.” “Hat Premier Zoran nicht eingelenkt?”, hakte Zecht mit starrer Miene nach und nickte in Richtung des Richters, der noch immer zu dudelnder Musik sang, “Es ist ja nicht so, dass der alte Kauz unbedacht wäre.” “Auf Befehl von Imperator Gramis soll ein Rückzug nicht befohlen werden.”, rezitierte Ffamran die Anweisung, die ihnen gegeben worden war, “Welch Spielraum wäre ihm da geblieben?” Der andere Richter schnaubte und betretene Stille fiel zwischen die beiden Männer. Beide hätten sie jeden Eid abgelegt, dass dieser Befehl nicht vom Kaiser selbst gekommen war... Zecht trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, bis das betretene Schweigen zu drückender Peinlichkeit führte. Wahrlich, der ältere Richter war geübt im Feiern und Trinken, das wusste Ffamran aus eigener leidvoller Erfahrung. Nicht selten hatten sie sich bei Gelagen bis zur Unvernunft überfressen und in ätherische Gefilde gesoffen, aber seit der Krieg begonnen hatte, hatte der andere keinen Tropfen Bier mehr angerührt und rühmte sich der Abstinenz jeglichen Vergnügens. Verzichtete er auch noch auf die Frotzeleien mit den Hofdamen, machte er sich zum formvollendeten Asketen. Zecht war also kaum gekommen, nur um der Tradition zu frönen. Ffamran sah es ihm an der kurzen Nasenspitze an, dass ihm etwas auf dem Herzen lag, das nur darauf wartete den Weg auf seine Zunge zu finden und das mühevoll hinterm Berg gehalten wurde. Wie er ihn kannte, würden seine Worte in einem begnadeten Wutausbruch enden, dass Fenster klirrten und Karaffen surrten, und je länger er damit wartete, desto schlimmer würde er werden. Zecht war durchaus ein fähiger Mann, einer der würdevollsten Richter, die Ffamran kannte, und aufrichtig bei all seinen Entscheidungen, aber ebenso war er gefürchtet für sein loses Mundwerk und nicht gerade berühmt für ein gelassenes Gemüt. Eine Weile standen sie nebeneinander und betrachteten das legere Wirrwarr und muntere Gegacker der Festivitäten, bis es Zecht zu viel wurde. “Es ist zum Haare raufen, wie es mit Archadia in mehr als nur einer Weise bergab geht!“, schimpfte er schließlich und machte seinem Unmut lautstark Luft, “wohin soll dieser Krieg denn noch führen, in welchen Abgrund das Reich gesteuert wer-?!” “Still”, unterbrach Ffamran wenig heiter, “nicht hier”, und blickte sich um, “Komm!” Eilig schritt er durch den Saal auf eines der Nebenportale zu, das in die kaiserlichen Gärten führte. Zecht folgte ihm. Mühsam schoben sie sich an gratulierenden Gästen, tanzenden Paaren und hübschen Damen vorbei, vorbei an Gardisten, die das Treiben überwachten und zwischen den Siegessäulen der Alten hindurch, die ein jeden der Eingänge flankierten, bis sie zusammen dem freudigen Getöse entkommen waren und sie hinter sich das Tor zur Unhörbarkeit schlossen. Zecht ließ sich nicht lange bitten und trat Ffamran gegenüber: “Du weißt, das Gerücht verbreitet sich, dass Lord Rasler und Lady Ashelia von Dalmasca sich einander angenähert haben und dass König Raminas bereit ist, eine Vermählung der beiden zu akzeptieren.” Er stapfte zornig auf und ab. “Sie ist ein wenig jung für die Liebe, meinst du nicht? Mit einem Erben wird es da düster aussehen.” “Scherze nicht.”, mahnte Zecht streng, “Wenn diese Liaison zustande kommt, dann-” “Dalmasca ist rückständig”, unterbrach Ffamran ihn erneut und bahnte sich seinen Weg durch das nächtliche Gras. “Es wird Archadia kaum etwas entgegenzusetzen haben. Selbst wenn Nabradia sich tapfer schlägt und mit der Hilfe Dalmascas der Krieg noch einige weitere Monate andauert, so wird der Ausgang letzten Endes doch derselbe sein.” Der Pflichten eines Richters müde, ließ sich Ffamran auf eine der marmornen Bänke fallen, legte das Präsent von Imperator Gramis neben sich und streckte die schweren, in Eisen gefassten Beine vor sich aus. “Sie werden bezwungen werden. Sorge dich also nicht.” Zecht setzte sich und legte ihm die Hand auf die Schulter. “Genau das ist es, was ich fürchte. Ich bin nicht länger der Ansicht, dass Nabradia und Dalmasca diesen unseligen Krieg verlieren sollten” Ffamran blickte ihn überrascht an. Sicher, Zecht zweifelte nicht minder am Kurs, den die Solidors eingeschlagen hatten, als er, aber niemals zuvor hatte er sich derart untreu geäußert. Unfähig den fragenden Augen stand zu halten, starrte jener auf seine Stiefelspitzen hinab und setzte zu einer Erklärung an: “Heute Morgen kam dein Vater zu mir, um einen inoffiziellen Auftrag Vaynes zu überbringen.” “Ach tatsächlich?”, murrte Ffamran. Seit sein alter Herr nach Giruvegan, einem antiken und längst verfallenen Archipel, gereist war, war er keinesfalls gut auf ihn zu sprechen. In den letzten Wochen war er recht wunderlich geworden, wunderlicher als zuvor, wenn das denn ging. Cid pflegte sich seit einer Weile tagelang in die Draklor-Labs einzuschließen, allein und ohne Willen einem anderen Zugang zu gewähren, arbeitete und forschte an ganz erstaunlichen Dingen, Dinge, von denen Ffamran nur die Hälfte so gut verstand, wie er vorgab, und die andere Hälfte zweimal so stark wünschte nur halb so gut zu verstehen, wie er es tat. Auch hatte sein Vater begonnen mit sich selbst zu sprechen. Nun, viele kluge Köpfe taten das, das war ihm nicht fremd. Jedoch erweckte der Wissenschaftler bei seinem Sohne mehr den Eindruck, der Mann habe einen unsichtbaren Freund und sah Dinge, die es nicht gab. In diesen Momenten ließ Cid es sich nicht nehmen, wie toll zu lachen und Experimente von absonderlichster Natur zu entwerfen. Ffamran zog die Nase kraus. Das ein ums andere Mal war es vorgekommen, dass der Vater den Sohn nicht mehr erkannte und letzteren veranlasst hatte, an der geistigen Gesundheit des Doktors zu zweifeln. Und er war nicht zu seiner Feier gekommen. Es hatte gar den Anschein, dass der einst geliebte Sohn ihm lästig geworden wäre, etwas, das Ffamran als nicht erträglich empfand, da er sich keinen Reim darauf machen konnte, warum. Ffamran blinzelte zu den Sternen und den zwei Monden Ivalices hinauf. “Hörst du zu?” “Nein”, antwortete er, lächelte dann aber versöhnlich, als er das sorgenvolle Gesicht seines Freundes sah, “Mit was drücken dir die beiden denn aufs Haupt?” “Inwieweit bist du unterrichtet von den Versuchen künstliches Nethizit waffenfähig zu machen und innerhalb der archadianischen Luftflotte einzusetzen?” , fragte Zecht gegen. Ffamran hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. “Ich weiß, dass sie stattfinden und dass sie zu Vaters Eilaufträgen gehören, die ihm von Imperator Gramis auferlegt wurden. Bisher waren die Ergebnisse nicht sonderlich zufrieden stellend. Es gibt Probleme bei der Stabilisation der Kühlaggregate. Das letzte Mal, als er in einer Miniatur versuchte einen Kaskadenstrahl aus Nethizit zu erzeugen, brauchte die zweite Ebene der Laboratorien nach der Explosion neue Deckenpfeiler. Warum?” Über das Antlitz des Richters zog ein feindlicher Schatten hinweg und Ffamran ahnte Grässliches. “Vayne schickt mich nach den Feierlichkeiten am Neujahrsmorgen nach Nabudis, als Kommandant über eine geringe Anzahl an Schiffen. Die Katarakte, obwohl nicht ausgereift, sollen an der Wehr erprobt werden, weil die Streitmacht nicht durch die Sümpfe gelangt. Doktor Cid ließ verlauten, die Fehler bis dahin behoben zu haben und gibt sein Einverständnis.” “Und?” “Die Flüge wurden als Aufklärungsmission deklariert und Gramis als solche zur Abzeichnung vorgelegt. Ich musste beim Grabe meiner Ahnen mit meinem Blute schwören, verschwiegen und Vayne treu zu sein, aber ich sage dir, ich spüre es im kleinen Finger, dass das keine gute Sache wird, weder für uns noch für diese Stadt.”, er kratzte sich an seinem Bart, “Nenn mich einen Anarchisten, aber ich glaube, dass Vanye vorhat, Nabradia hinter dem Rücken des Kaisers in den Untergang zu stürzen! Und jetzt überdenke noch einmal eine Heirat von Lord Rasler und Lady Ashelia. Was denkst du, wird auf die Zerstörung Nabradias folgen, wenn Dalmasca mit ihm im Bunde steht? Es wird dem Erdboden gleich gemacht werden, das wird passieren!” Zecht verbarg den Kopf in beiden Händen. “Ffamran, ich habe mich dem Königshaus nicht verpflichtet, um Völker und Nationen abzuschlachten.” In seiner betrüblichen Sorge ereiferte er sich noch weiter, erschütterte Ffamran mit seinen Berichten über das eigene Süppchen, das der Prinzregent und der Doktor kochten und mehrte minutenlang das bereits bestehende Misstrauen. Irgendwann hielt es Ffamran nicht mehr auf seinem Platz. Er erhob sich von dem steinernen Sitz unter dem Sternenhimmel, der ihm vorkam wie ein Altar, auf dem sein Gewissen als Opfer dargebracht wurde. Er wusste recht genau, was Zecht von ihm erwartete und konnte ihn verstehen. Archadia beschritt Pfade, für die sie beide nicht einstehen wollten. Er sah auf das edle Päckchen mit der weitaus edleren Schleife, das einsam und grau auf dem Marmor neben seinem Freund lag. Die Loyalität gegenüber dem Kaiserhaus und dem Geist der Hume abwägend, flüsterte er schließlich: “Na schön, ich rede mit ihm.” Zufrieden ergriff Zecht seine Hand und drückte sie freundschaftlich. “Bring ihn zur Vernunft. Selbst wenn es ihm in der verbleibenden Zeit gelingen sollte, die magischen Strömungen unter Kontrolle zu bringen, so darf eine solche Waffe keine Option sein.” Sie redeten noch über allerlei belanglosen Firlefanz, scherzten und lachten viel, doch über dem unsinnigen Geplapper zweier junger Männer hing unheilvoll eine böse Ahnung. Ffamran sah Zecht nach, als er die Gärten verließ und in den Bankettsaal zurückkehrte. Es war in der Tat ein Fest, unpassend wie kein zweites für den heutigen Abend. * * * Es war spät geworden, die Zeitenwende, die den einen Tag vom nächsten schied, war nur noch wenige Stunden entfernt. In den langen Gängen, die über Aufzüge spiralförmig übereinander angeordnete Ebenen miteinander verbanden, war das Licht gedämmt worden. Nur selten drang aus einem der verlassenen Forschungsräume mehr als der flirrend bleiche Schein natürlich gewachsener Energiekristalle, und noch seltener traf Ffamran, neben der ein oder anderen Wache, auf nächtliche Herumtreiber. Er schob seine Erkennungskarte in den Öffnungsschlitz der Sicherheitstür zu den Werkstätten seines Vaters, die in der obersten Etage siedelten. Er wäre nicht überrascht gewesen, den Doktor über einem seiner vielen Schreibtische hängend und vertieft in seine Aufzeichnungen vorzufinden, selbst zu solch später Stunde. In letzter Zeit schlief er kaum. Das Schloss piepste schnarrend, das rote Signal sprang widerwillig auf grün, und die Türen öffneten sich für Ffamran. Mit schweren Schritten durchmaß er den muffigen Vorraum, in dem allerlei obszöne Gerätschaften und ulkige Skurrilitäten unter dem Staub vergangener Jahre ein Heim gefunden hatten, ging vorbei an blubberndem Inventar, gläsern und schummrig, modrigem Mobiliar, lädiert und ausgefranst, und längst vergessenen Bücherschränken mit vergilbtem Blätterwerk, auf dem nächtliche Betrübnisspinnen gemächlich von einem Regal zum nächsten wechselten. Aus dem gegenüberliegenden Raum fielen durch einen geöffneten Spalt der geschwärzten Türen grüne, rote, gelbe, manchmal auch blaue Schimmer, welche lang gezogene Schatten über den talgigen Flur warfen, weitläufig, bis fast vor Ffamrans gerundete Stiefelkuppen. Beim Näherkommen hörte er seinen Vater sprechen, sodass er inständig hoffen musste, dass jemand anderes im Raum bei ihm war. Wäre dem nicht so, dann wäre er in seiner launenhaften Seltsamkeit nicht zu ertragen und sein Geist gewiss nicht zu erreichen für einsichtige Gespräche. Dann würde er die Bitte nicht vorbringen können, die Versuche mit der Mysth vorübergehend einzustellen, bis Zecht und er die Pläne Vaynes dem Kaiser offenbart hätten. “Ja, ja, ich verstehe. Polare Partikel hier, Umformungen der Substanzen dort. Doch wird die Modulation auch hilfreich sein, dass die Hume lernen das Nethizit zu beherrschen? Du weißt Venat, die rebellischen Aufrührer erweisen sich als äußerst widerspenstig, wollen gar Hilfe aus Dalmasca einfordern. Das Kuriosum muss gewaltig werden, denn sie sind sehr zäh. Sie lassen sich nicht durch Harmlosigkeiten einschüchtern! Künstliches Nethizit in den Waffen unserer Schiffe wird wohl nicht genügen.” Ffamran trat heran und spähte durch den offenen Türspalt. Er atmete klagend: Der Doktor wanderte über den blanken Boden, höchst geschäftig und reichlich fahrig, tippte Daten, drückte Knöpfe, brachte Dinge zum Leuchten, andere zum Erlischen, und eifrig gestikulierte er in eine Richtung, in der sich nichts anderes als Luft die Zeit vertrieb. Wieder war er in einer seiner irrigen Anwandlungen gefangen. Ein Gespräch mit ihm würde die Hölle werden, wusste Ffamran. Also beobachtete er zunächst. “Was sagst du? Als Vorhut?”, fragte sein Vater, drehte sich von einem der Schaltpulte weg, rückte den Zwickel auf seiner Nase zurecht und blickte ins Leere. Dann lachte er laut auf, wie im Wahn: “Ahahaha, Recht hast du. Schickt mehr Truppen! Schickt Schiffe! Schickt alles, was das Land hergibt, bis die Hume in der Lage sind, das Nethizit im Angesicht der anderen selbst anzuwenden, bis sie es ohne Hilfe kontrollieren. Was für einen Unterschied machen schon einige weitere hundert Tote?!” Plötzlich hielt er inne, “Meine Söhne?”, er blickte zu Boden, “Sie werden tun, was ich von ihnen verlange.”, und seufzte, ”Sie sind gute Kinder, aber sie verstehen nicht, niemand versteht. Aber das macht nichts. Denn alles wird besser werden, wenn das Schicksal endlich in den Händen von Ivalice liegen wird. Wir alle werden Geschichte neu schreiben!” Mit nachdenklicher Miene marschierte er weiter, hin und her, her und hin, bis er mit einem überraschend grazilen Schritt nach links aus dem Blickfeld Ffamrans hinaus polterte. “Zerwürfnisse können repariert werden, wenn wir erst die Splitter des Gespinstes an uns gebracht haben und mit ihnen nach Ridorana gelangt sind.” Ffamran lehnte sich in die Schatten und schob die Türe vorsichtig weiter auf, um ihn erneut einzufangen, was sich als schwierig erwies, denn sein Vater hatte die empörende Angewohnheit entwickelt, in seinen konfusen Momenten im Kreise zu gehen. So wartete Ffamran, bis der Doktor zur Ruhe kam und stehen blieb, neben einem anderen, außergewöhnlichen Geschöpf. Es verwunderte ihn, dass seine Anwesenheit ihm nicht früher aufgefallen war, denn auffallen tat es außerordentlich, wie es so da saß in seinem Glasgefängnis, das sich am Rande des Labors an eine Wand neigte und in dessen eiserne Beschläge die Nummer “Gamma 381” eingestanzt war. Ffamran hatte Abbildungen von diesen Wesen in Büchern gesehen und er wusste, dass einige von ihnen vor langer Zeit, nachdem sie ihre Heimat in einem Krieg verloren hatten, die Welt der Hume betreten hatten. Nie hatte er eines persönlich zu Gesicht bekommen. Es war von schlankem aber kraftvollem Wuchs und von einer stattlichen Höhe. Selbst in seiner sitzenden Haltung reichte sein Haupt dem Doktor bis weit über den kleinen, von zu viel Hammelrücken mit Soße herrührenden Bauchansatz, und seine feingliedrigen Ohren, denen eines Hasen nicht unähnlich, ragten noch ein gutes Stück höher, fast so, als strebten sie himmelwärts der Decke entgegen. Sie zuckten aufmerksam bei jedem Geräusch. Beugte sein Vater sich nur ein wenig vor, und wäre nicht das Glas zwischen ihnen, so würde seine Nase sich von den weißen Haaren an den Spitzen kitzeln lassen können. Ffamran fragte sich, ob er zu diesem Geschöpf, eindeutig war es erwachsen und weiblich, gesprochen hatte und warum Doktor Cid sie gefangen hielt. Nach eine Gegnerin des Reiches sah sie nicht aus. Sein Vater betrachtete die Frau lange, bevor ein strahlendes Glänzen sein Antlitz erleuchtete. “Venat! Ich habe es!”, rief er aus, “Wir testen das Nethizit! An ihr!” Ffamrans Herz rutschte tiefer. Das war nicht der Vater, den er kannte. Dicht stellte der Doktor sich vor den Käfig. Höchst bemerkenswert war jedoch, dass die roten Augen des Wesens, die aus einem fein geformten Gesichtsoval zu ihm herauf blickten, Interesse, geradezu fühlbare Neugierde zeigten, keine Scheu oder Furcht, wie er es erwartet hätte. Doktor Cid war schrullig geworden, nicht viele mochten ihn noch leiden, ängstigten sich sogar beizeiten vor ihm, und auch Ffamran und seine zwei Brüder nahmen Abstand von ihm, seit er diese Anwandlungen hatte. Erstaunlich war es demgemäß, dass der Frau etwas Erhabenes anhaftete, ja, es schien so, als sei nicht sie der Gegenstand der Betrachtung, sondern vielmehr er. Ffamran war tief beeindruckt. “Natürlich ist es eine gute Idee. Grandios ist sie sogar! Es wird erzählt, dass diese Rasse in ganz besonderer Verbindung mit Mysth stünde. Sie sehen sie, fühlten die natürlichen Vorkommen, keineswegs beherrschen sie sie, nein, nein, werden aber auch nicht von ihr beherrscht. Mysterium! Mysterium!” Mit erneuerter Begeisterung stürmte der Doktor zu seinen Pulten zurück, tippte und kritzelte, drückte Knöpfe, brachte Dinge zum Leuchten, andere zum Erlischen und Gerätschaften zum Dampfen. “Lass uns untersuchen, wie es sich bei künstlichem Nethizit verhält. Hörst du Venat, lass uns schauen, wie ihr Organismus reagiert und ob sie sich die Kraft unterwerfen kann,”, Cid warf lächelnd einen kurzen Blick über seine Schulter, “oder ob sie es nicht vermag und zugrunde geht. Wenn es ihr gelingt, warum dann nicht auch einem Hume? Wir müssen nur beobachten.” So viele Freiwillige hatten schon versucht, sich die Macht der Nethzite zu eigen zu machen, doch alle waren sie an den immensen Strömungen, die den Körper durchfluteten, gescheitert. Die Götter hatten vor Jahrhunderten einen Mann nur auserwählt, diese Macht zu besitzen, um das Land, das im Aufruhr gewesen war, zu einen und zu befrieden, Raithwall, der sagenhafte Dynastkönig. Kein anderer nach ihm fand Erfüllung und Glück in dieser Macht. Es sollte nicht sein, dass die Hume sie besaßen. Auch sein Vater würde das eines Tages einsehen müssen. Ffamran trat einen Schritt vor und stieß versehentlich gegen die Tür. Sie quietschte, nicht laut genug, um vom Doktor in seiner Hysterie gehört zu werden, dafür von dem Geschöpf. Sein Kopf wandte sich ihm zu und seine Augen sahen ihm direkt ins Herz. Hätte man ihn später gefragt, warum ihn beklemmender Schrecken dabei überfiel, er hätte es nicht zu erklären vermocht. Er wusste nur eines: Wie falsch es war, sie dort eingeschlossen zu sehen. Mit einem Räuspern klopfte er an, “Vater, bist du zu sprechen?”, bis jetzt war ihm ganz entfallen, weshalb er gekommen war, “ich habe ein Anliegen.” Ein Anliegen, das keinen Aufschubs duldete, rügte Ffamran sich in Gedanken. “Komm nur herein. Ich bin in guter Laune!” Er nahm einen Atemzug Tapferkeit und betrat das Labor. “Was gibt es wichtiges, Sohn, dass du nicht auf deiner Feier bist und deinen Ehrentag genießt?”, fragte sein Vater und wandte sich ihm zu. Er hob tadelnd den Zeigefinger. “Sag nicht, dass es dir nicht gefällt. Alle haben sich sehr viel Mühe gegeben, sei also nicht undankbar. Es zeugte von schlechtem Betragen.” “Nein Vater, es ist ein schönes Fest, alle freuen sich. Du bist nur leider nicht gekommen.”, erwiderte er, während er einen Blick in die Richtung der Frau in ihrem Gefängnis warf. Diese betrachtete den Neuankömmling mit ebenso interessierter Gelassenheit wie zuvor den Doktor. Nichts schien sie erschüttern, nichts ihre ausdruckslosen Züge verfinsterten zu können. Und sie war hübsch… auf ihre eigene Art und Weise. “Gut. Das ist gut. Sei mir nicht böse, dass ich nicht da war, aber du weißt ja, die Geschäfte.” Der Doktor kam auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und wartete darauf, dass Ffamran sie ergriff. Widerwillig tat er es. Bei früheren Gelegenheiten hatten sie einander umarmt, mit Herzlichkeit, die es zwischen ihnen einstweilen nicht mehr gab. Man grüßte sich, wie es Höflichkeit und Etikette erforderten, man zeigte Respekt in der Gegenwart von dritten und man sprach nüchtern über die Belange des Reiches, um allgemein seine Pflicht zu tun. Ansonsten ging man sich gesittet aus dem Weg. “Ich gratuliere dir Ffamran. Sag, hast du das Geschenk des Imperators schon ausgepackt? Es kostete mich einiges an Überredungskunst” Ffamran riss sich vom Antlitz der Frau los, schüttelte den Kopf und sah zurück. In der Tat, sie war sehr hübsch. Sein Vater redete weiter: “Höre, es ist eine große Ehre, dass du den Prototypen der nächsten Flugschiffklasse testen darfst. Der Bau des neuen Typs ist kostspielig, und die Solidors beweisen mit dieser Entscheidung großes Vertrauen in dich, obwohl du das Flaggschiff der letzten Generation in einem Anflug von Übermut zerstört hast” “Ich verstehe”, murmelte Ffamran, hörte jedoch nicht hin. Ungewohnt und befremdlich war ihr schmal geschnittenes Gesicht, das von dem langen, weißen Haar eingerahmt wurde und aus dem eine kleine runde Nase mit gräulichen Punkten keck herausschaute. Sie war ein erstaunliches Geschöpf. “Erspare meinem Herz also bitte einen Absturz. Du bist manchmal zu unbesonnen, gehst gerne Risiken ein, die nicht sein müssten. Mach aus meinem neuen Schatz keinen wertlosen Schrotthaufen, nur weil dich wieder einmal das Fell juckt.”, mahnte er. Doktor Cid legte ihm die Hand auf die Schulter, sodass Ffamran zusammenfuhr. “Entschuldige, ich war in Gedanken. Was sagtest du?” “Dass du das neue Kampfschiff nicht zu Schrott fliegen sollst!” Nur langsam dämmerte es ihm, wovon sein Vater gesprochen hatte. Das Geschenk, das hatte er vergessen! Er zog das kleine Päckchen aus seiner Hosentasche, entfernte Schleife und Papier, entriegelte das schmale hölzerne Kästchen, auf dessen Deckel das Wappen der kaiserlichen Familie eingraviert war und öffnete es. Freude entstand in seiner Brust, denn darin lagen drei Kristalle, Starterelemente für ein Flugschiff. Zu Fliegen war wunderbar. Früher hatte er die Reden der Piloten für klischeehaftes Geplapper gehalten, wenn sie erzählten, wie leicht sie sich hoch über den Wolken fühlten, wenn die Länder Ivalices unter ihnen hinweg zogen, sie zu friedlichen Landstrichen wurden, einer bunten Mischung aus braun, grün und blau, und nichts und niemand sie in ihren Schiffen erreichen konnte, wenn sie der Sonne entgegen flogen und nichts sie halten konnte. Ja, er hatte es für pathetisches Gefasel gehalten. Bis er selbst zum ersten Mal geflogen war. “Und du bist sicher, dass du mir das Schiff anvertraust?”, fragte Ffamran spitzbübisch, denn für einen Moment waren sie wirklich wieder wie Vater und Sohn, und mehr als er sich über dieses Geschenk freute, freute er sich über die ausgelassene Stimmung, die es auslöste. “Hach!”, stöhnte Cid und rollte mit den Augen. Weiter sagte er nichts. Ffamran lachte auf. Diese seltenen Augenblicke waren ihm kostbar, teurer, als der zyklopischste Schatz, des Ruhmes voll. Denn in ihnen hatte er die Hoffnung, dass sein Vater sich eines fernen Tages aus den Klauen der Besessenheit befreien konnte, er sich an die Gutherzigkeit erinnerte, von der er glaubte, noch nicht gänzlich erloschen zu sein. In einem solchen konnte er es wagen, den bevorstehenden Angriff auf Nabradia anzusprechen: “Ich habe gehört, dass deine Forschungen Früchte tragen und du kurz davor stehst, die Versuche mit den Maginiten erfolgreich abzuschließen.“, begann er behutsam, “Es würde deinen Enthusiasmus erklären.”, lächelte er gewinnend, “so begeistert habe ich dich nur ein paar Mal erlebt. Ein schönes Bild, muss ich sagen.” Es war Ffamran nie aufgefallen, wie gut er sich verstellen konnte, wenn er musste, wie einfach ihm Lügen über die Lippen kamen, dienten sie einem guten Zweck. Die Quittung jedoch kam prompt und unerwartet. “So?”, entgegnete der Doktor, plötzlich gereizt und sehr unzufrieden, “Hast du das also gehört? Ich muss wohl nicht fragen, wer zu dir gelaufen kam und dir das gepetzt hat?! Dass du Dinge weißt, die nicht für dich bestimmt sind. Ganz besonders nicht für dich!”, giftete er, “Ich habe es kommen sehen, zu lange schon hängst du mit diesem unbequemen Freigeist zusammen. Und jetzt kommst du, um zu klagen?! Nicht wahr, klagen, klagen?! So denn, klage!” Beschwichtigend hob Ffamran die Hände wie zu einem stummen Gebet. Nichts wollte er weniger, als dass er Zecht Ärger einbrockte. “Er wird dich verderben! Verderben wird er dich!”, spuckte sein Vater aus. “Der Krieg gegen Nabradia dauert sehr lange, zu lange, wie mancher urteilt. Die Waffen würden einen schnellen Sieg erzielen, aber…”, versuchte Ffamran es weiter, obwohl ihm sein Gefühl entgegen jammerte, dass die Gelegenheit vertan war. Der Doktor rieb sich die Lippen, krallte die Nägel hinein, nicht in der Lage den aufwallenden Zorn zu bezwingen. “Und ich sagte ihm noch, dass Zecht eine schlechte Wahl für diesen Einsatz ist, Schwur hin oder her.”, zischte er aufgebracht in recht furiosen Formulierungen, “Warum konnte er nicht hören und Bergan wählen. Dieser empfände Vergnügen an seiner Aufgabe, der andere ist von zu freundlicher Natur. Das Töten liegt ihm nicht im Blut. Wenn er zum Kaiser geht, was dann?” Vom Sohn nahm er keine Notiz mehr, jetzt da sein Lebenswerk auf dem Spiele stand. Der Doktor raufte sich die Haare und begann eine weitere Wanderung, im Kreise, hin und her, her und hin, mit so wunderlichem Gemüte, dass Ffamran drohte schwindelig zu werden. “Nein, den Plan beeinträchtig das nicht. Er wird durchgeführt werden, das verspreche ich dir. Zecht wird gehorchen. Er wird! Nur wie? Wie?” Da kam ihm ein Gedanke und er packte Ffamran. “Hat er gesagt, dass er zum Imperator gehen will? Mach den Mund auf, denk nach, du weißt es bestimmt. Er vertraut dir, sicher hat er es dir gesagt!” “Vater!”, rief Ffamran ihn an, überrumpelt von der körperlichen Bedrängnis, “besinne dich!” Der Doktor ließ ihn nicht los, kratzte sich den Nasenrücken und überlegte laut: “Nein, das würde er nicht. Er hat geschworen. Die ehrliche Haut bricht keinen Schwur” Ffamran war wie vom Donner gerührt. Dieser Ausbruch übertraf alle, von denen er Zeuge gewesen war, oder von denen er gehört hatte, einer der nicht ohne Folgen bleiben würde. Für keinen von ihnen. Leise flüsterte er: “Weißt du überhaupt noch, was du tust? Diese Experimente, unsere Männer, Nabradia, Sie!” Sein Vater sah ihn mit tadelnden Augen an, die ihn fest froren, mehr noch aber sein Gekicher. “Schämen solltest du dich. Sohn, du hast gelauscht.” “Ja Vater. Und ich erschrecke mich vor dir. Wie kann dir unser Volk und das Nabradias derart egal sein?” Daraufhin verstummte der Doktor, zurück kehrte vorübergehende Klarheit. “Ich erkenne dich nicht wieder. Aus Giruvegan bist du verändert zurückgekommen. Seltsam warst du immer, wer wüsste das besser als ich, aber niemals warst du furchtbar, grausam und gemein. Ist dir denn entgangen, dass wir dich meiden, nicht nur ich, sondern auch deine anderen Söhne? Ich beschwöre dich: Lass die Experimente sein, du vergisst alles um dich herum, selbst den Geist der Hume!” Der Doktor zuckte die Achseln. “Lass uns überdenken, was du sagst: Du weinst um deine Männer, weh dir, tätest du es nicht. Ein edler Anführer wärst du dann. Aber das hier ist Krieg! Und Nabradia hatte die Gelegenheit sich Archadia anzuschließen, ihn zu beenden, bevor er überhaupt begonnen hätte. Allein die Halsstarrigkeit des Königs sorgt jetzt für dessen Untergang.”, er lachte auf, “Wie dieser aussieht… was spielt es schon für eine Rolle, ob die Reichstruppen das Land einnehmen oder die Mysth der Maginite.” Ffamran machte sich von ihm los. Er resignierte. “Ffamran, ich bin Wissenschaftler und diene dem Geist.”, fuhr der Doktor fort, das mit einer Selbstverständlichkeit, dass es ihm kalt den Rücken hinunterlief. “Erkenntnis und Weisheit sind erstrebenswerte Ziele, die allen zugutekommen, nicht nur einzelnen. Das ist die wahre Macht: Zu wissen, wie die Dinge funktionieren und das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Und wenn es auch bedauernswert ist, ja sogar tragisch, dass Opfer erbracht werden müssen und Unschuldige dafür fallen, so werden meine Ergebnisse die Hume später einmal in die Unabhängigkeit führen!” Cid stellte sich ihm gegenüber, wurde streng und unnachgiebig. “Weder erwarte ich, dass du das verstehst, noch fordere ich deine Achtung oder die deiner Brüder. Klagt mich an, wenn es euch gut tut, hasst mich, wenn ihr nicht anders könnt, aber seid loyal. Du begibst dich auf dünnes Eis, mein Sohn, bist du es nicht.” “Drohst du mir?”, fragte Ffamran kühl. Cid seufzte, wollte Ffamrans Gesicht väterlich zwischen die Hände nehmen, doch er wich zurück. “Nein“ antwortete er und schüttelte den Kopf, „Aber ich will nicht zusehen, wie das Eis unter dir bricht. Folge den Solidors und mir mit Stolz und Zuversicht. Nimm, was der Imperator und Vayne dir anbieten, dieses gute Leben, für das nichts von dir verlangt wird außer Gehorsam und Pflichterfüllung.” “Und dass ich gegen das handele, wozu Mutter mich einst erzogen hat: Ehrfurcht vor dem Leben, Aufrichtigkeit, Anstand und Treue meinem Gewissen gegenüber.” Besorgnis befiel den Doktor, und Ffamran wollte so gerne glauben, dass er es ehrlich meinte. Doch der Moment verflüchtigte sich mit der Geschwindigkeit, wie er gekommen war, das Band, das einst zwischen Vater und Sohn gesponnen war, zerbrach: “Wie du willst. Dann geh. Willst du nicht geben, was verlangt wird, so bist du mir und Archadia nicht länger willkommen.” Der Wahn kehrte auf die Züge des Doktors zurück, als er den Kopf schräg legte, Herzlosigkeit sich in seiner Mimik niederschlug, er weithin alles hörte, nur nicht den Aufschrei des Sohns und er leise zu lachen begann. Ohne ein weiteres Wort stürmte er aus dem Raum und in die Flure, ließ Ffamran alleine zurück mit dieser quälenden Wahl. Verzweifelt rammte der junge Richter die Faust gegen die Wand. Was sollte er tun? “Du stehst an einem Scheideweg, Hume.”, sprach da die Viera ein einziges Mal, “Nur, welchen Pfad fürchtest du mehr?” Sie wies in den finsteren Gang hinein, in dem der Vater, den Ffamran geliebt hatte, verschwunden war, “Deinen eigenen oder den deines Clans?” Er spürte ihren durchbohrenden Blick auf seinem Rücken, als er aus dem Labor floh. * * * Lange stand Ffamran vor dem Portrait von sich und seinem Vater, das der große Marginal del Sol kurz nach seiner Geburt als Anerkennung des Kaisers für Cids Treue und Ergebenheit angefertigt hatte. Er strich mit den Fingern sanft über das ockerfarbene Pergament, das ein Bildnis einfing voller Liebe und Fürsorglichkeit, voll einfacher Schönheit und unerreichter Anmut. Es war lange her, dass sein Vater ihn auf diese Weise angesehen hatte, mit Stolz und gutmütiger Zufriedenheit. So lange. Er stellte das Bild zurück auf den Schreibtisch, an dem er viele Tage und Nächte Entscheidungen über die Bürger dieses Reiches gefällt, an denen er für Recht und Gerechtigkeit in Archadis gesorgt hatte und an denen er glücklich gewesen war. Tage, an denen sein Gewissen und seine Loyalität gegenüber seiner Heimat und seinem Vater noch nicht entzweit gewesen waren. Die Briefe an seine Familie und Zecht legte er davor nieder. Zecht würde ihm grollen, sah es doch so aus, dass er Archadia aufgab. Aber er würde ihn verstehen lernen. Ffamran hoffte es. Er sah sich in den Räumen seines bisherigen Lebens ein letztes Mal um, tastete jeden vertrauten Winkel mit dem prüfenden Auge eines Magistrates ab, der aus dem Amte schied, um nie wieder zurückzukehren: Da war der Kammerschrank, in dem seine Rüstung stand, sauber und poliert, die Schreibfedern und Tintengläser, die selbst jetzt unaufgeräumt waren und oft auf den Edikten ihre Spuren hinterlassen hatten. Da waren die angrenzenden Türen, die zu den Räumen seiner beiden Brüder führten und letztendlich der Sessel mit den Seidenstickereien neben seinem Bett, den er nicht leiden mochte, aber in dem seine Mutter vor ihrem Tod gesessen hatte, wann immer er des Nachts von einem schlechten Traum erwacht war. Sie ruhte in seinem Herzen als schemenhafte Erinnerung, ewig lächelnd und mit gütigem Antlitz und auf ewig teuer. Er betrachtete alles, das aussah wie immer, alles, das ihm heimtückisch schleichend und doch mit einem Male fremd geworden war. Hier war nicht länger sein Heim. Als Ffamran hinter sich die Türen zu seinen Gemächern unwiderruflich schloss, er nichts mitgenommen hatte, außer das, was er am Leibe trug, die zweiläufige Winchester, die er von Zecht zur Ernennung in den Richterstand geschenkt bekommen hatte und drei Starterkristalle, die ihm den Weg in ein neues Leben wiesen, gab es nur noch eines, das er zu tun hatte. * * * Seine Beine trugen ihn rastlos, hasteten über die Flure, nahmen die Aufzüge bis ins oberste Geschoss. Die Türen waren schnell geöffnet, niemand hatte ihn bemerkt in der Stille, so kurz vor Beginn des nächsten Tages. Keuchend erreichte er die Viera. Sie schlief nicht, machte auch nicht den Eindruck, dass sie das jemals tat. Ffamran öffnete die Verriegelungen ihres Gefängnisses. Es war keine Entscheidung zugunsten dieses Geschöpfes. Es war viel mehr als das. Er ging einige Schritte zurück, als sie sich erhob, die langen Glieder streckte und heraus trat, würdevoller und stolzer, als eine Hoheit und Majestät es je hätte tun können. “Geh”, forderte er sie auf, doch die Viera rührte sich nicht. “Du wirst niemals zurückkehren können. Du bist ein Verräter”, antwortete sie. Ffamran zögerte, legte an und zerschoss Steuerpulte und Gerätschaften, alles, was ihm bedeutsam für die Forschung seines Vaters erschien und möglicherweise ein Feuer auslösen würde. Umgehend erklang Alarm. Es würde den Doktor und Vayne nur geringfügig behindern, da machte er sich keine Illusionen, aber jeden Tag, den die Nabradianer dadurch gewannen, war ein guter Tag. Er lächelte der Viera zu. “Nie war ich weniger ein Verräter als in diesem Augenblick. Vielleicht wird er das eines Tages erkennen.” * * * Es war einfach in den Hangar einzudringen, wobei ´eindringen´ keinesfalls das zutreffende Wort war. Der Vorteil einer großen Stadt war es zweifellos, dass Informationen von einem Ende nur langsam zum anderen gelangten. Und Ffamran forderte lediglich ein, was ihm zugesagt worden war: Einen Testflug mit der neuen Schiffsgeneration ´Strahl´. Er würde diesen Flug bloß etwas ausdehnen. Wenn man es genau betrachtete, war es folglich nicht einmal Diebstahl. Die Wachbrigade maß ihn mit einem skeptischen Blick, den Richter, der nicht in der für gewöhnlich getragenen Rüstung erschien, aber von dem bekannt war, dass er der Sohn des verrückten Entwicklers war und wie dieser das ein oder andere seltsame Verhalten an den Tag legte. Warum also nicht ein Flug bei Nacht, um den neuen Tag zu begrüßen? Ffamran sah ihnen die Gedanken an und lächelte in sich hinein. Sie schickten ihm noch den scherzhaften Rat hinterher, den teuren Prototypen an einem Stück zurückzubringen. Oh, wie sie sich am nächsten Morgen in den Hintern beißen würden. Als Ffamran die Strahl bestieg, war es ihm, als ob dieses prächtige Schiff ihn regelrecht willkommen hieß! Kaum hatte er auch nur einen Fuß in das Cockpit gesetzt, da fiel mit jedem weiteren Schritt die Last von seinen Schultern ein Stück mehr. Sie wollte, dass er hier war. Er fühlte es in allem, in den Motorengeräuschen, als die Triebwerke zündeten, in dem sanften Vibrieren der Schaltflächen und Steuerelemente, wenn er seine Hand über sie gleiten ließ und wie es sich anfühlte die drei Starterkristalle in die Öffnungen einzuführen und im Sessel des Kapitäns zu sitzen, wie es sich anfühlte, befreit und erneuert zu werden. Es durchflute ihn wie ein Strom des Friedens und des Glücks. Alles sagte, schrie ihm förmlich entgegen, dass dies hier seine Zukunft war. Er würde dieses prächtige Mädchen, sein Schiff, kennen lernen, besser als er irgendetwas sonst kennen würde, das wusste er. Woher? Das war nicht wichtig. Er würde fliegen und alleine seinem Gewissen dienen. Ffamran schickte mehr Energie an die Triebwerke und schoss durch die Hangartore in den Nachthimmel. Nur einmal noch verweilte er im Umkreis seiner Geburtsstadt: Um die Viera aufzunehmen und sie nach Hause zu bringen. * * * „Wie ist dein Name? Ich wüsste schon gerne, wer du bist, bevor ich mich von dir mit nach Hause nehmen lasse.”, tändelte Ffamran und bewegte seine Augenbrauen anrüchig. Die Viera war nicht gesprächig, das widerstrebte seinem Naturell. Schweigen war ihm meistens unlieb. Nach einer Weile, in der sie nur geradeaus sah und Ffamran die Hoffnung auf eine Erwiderung aufgab, antwortete sie endlich: “Mein Clan gab mir den Namen ´Fran´“ Ein schöner Name, wie er fand. “Die Hume geben sich auch Namen, nicht wahr?” Ffamran grinste. “Ja” “Wie lautet deiner, Hume?” “Ehrlich gesagt, das weiß ich noch nicht”, sagte er, überlegte und flog weiter. Nach einer langen Weile, in der sie dasaßen, kein weiteres Wort fiel und endlich die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne sich hinter dem Horizont hervorwagten, um die dunklen Schatten von Ivalice hinfort zu heben, hatte Ffamran sich entschlossen alles aus Archadis zurückzulassen, Vergangenheit und Namen sterben zu lassen. So verkündete er: “Balthier. Ja. Das soll fortan mein Name sein. An ihm ist nichts besonderes, aber er hat einen außergewöhnlich schönen Klang. Oder nicht?” Balthier sah hinüber zu Fran. Die Welt stand ihm offen, an diesem neu geborenen Tag. Er wusste noch nicht, wohin er gehen würde, oder was ihn erwartete, aber so eine Ahnung sagte ihm, dass er dabei nicht alleine sein würde. Die Viera nickte und blickte geradeaus. Manchmal, sagte er sich, war es nötig, dass dünnes Eis brach, damit man in der Kälte des Wassers lernte, nicht zu erfrieren. * * * Ein leises Knacken holte Balthier in das hier und jetzt zurück. Eines der Eier hatte einen Riss! Er lehnte den Kopf gegen die Wand und drehte ihn zur Seite. “Hey Fran, wie wär´s? Sehen wir zu, dass wir hier raus kommen? So langsam wird es ungemütlich.” Er erhob sich, klopfte sich den Schnee von den Beinen und legte sich seine Winchester gelassen über die Schultern, jene, die Zecht ihm einst geschenkt hatte und die er über dessen Tod hinaus in Ehren hielt. Auf die beiden Eier deutend, sagte er: “Du solltest dir was einfallen lassen. Umbringen will ich sie nicht, aber wenn einer von ihnen den Kopf aus der Schale steckt, bevor der Ausgang offen ist, gibt’s Drachenklein.” Fran trat neben ihn, zog aus ihrer ledernen Weste einen Gegenstand, der sich bei eingehender Betrachtung als eine Art… Fernbedienung erwies?! Während Balthier auf das nichts sagende Ding in ihren Fingern starrte, sprach die Viera einen Zauber, rief die Mysth in sich um Hilfe an und umhüllte sie alle mit einem Schild aus bläulichem Licht. “Geh beiseite”, wies sie ihn an, drückte einen Knopf und gab Befehle an die Strahl. Balthier formte ein stummes ´oh`, doch noch bevor der Gedanke, dass er auf einen Kommunikator blickte, seinen Verstand erreicht hatte, krachte und malmte, donnerte und lärmte es um sie herum. Gerade noch rechtzeitig schloss er die Augen. Eis, Schnee und das wenige Geröll darunter stoben durch die Luft, fraßen sich gegenseitig auf und brachen sich an dem Schild, der ihn, Fran und die Eier schützte. Von dem Stollen blieb nichts übrig. Als Balthier die Augen wieder öffnete, standen sie zusammen unter dem freien Himmel, über ihnen die Strahl, die ihre Waffen herunterfuhr und dann in einiger Entfernung zur Landung ansetzte. Er stemmte die Hände in die Seiten, schnaubte empört durch die Nase. “War es das, woran du die letzten Wochen gearbeitet hast?” Fran ging an ihm vorbei, wortlos wie stets, und drückte ihm den Kommunikator in die Hände. “Hey!”, keifte er hinter ihr her, “Warum hast du nicht früher gesagt, dass mein Baby das kann?!” Fran verblieb auf ihrem Fleck, wandte sich jedoch nicht um. “Jeder Held braucht eine Heldin”, wiederholte sie die Worte, die sie ihm vor mehr als einem Jahr in der Luftfeste zugewispert hatte, “und manchmal braucht er eine Weile der Besinnung.” Über ihre Schulter hinweg zeigte sie hinter sich, auf den gewaltigen Drachen, auf das Muttertier, das in ausreichendem Abstand die zu kurz geratenen Wesen misstrauisch beäugte und nicht wagte zu den Jungen zu laufen. Balthier ging ein Licht auf. Er sah auf den Rücken der Viera und lächelte. Ja, die meiste Zeit über konnte er Fran nicht verstehen, und wenn er es dennoch versuchte, drohte ihm recht schnell der Kopf zu platzen. “Wir”, begann er zögerlich, “könnten sie Nabradia und Dalmasca nennen. Oder Fran und Balthier. Immerhin verdient unser erster Nachwuchs würdevolle Namen.” Schnell schloss er zu ihr auf. Unter seinen monologischen Witzen, triezenden Späßen und eleganten Possen schlenderten sie zu ihrem gemeinsamen Schiff. Nein, verstehen musste er Fran nicht, solange sie nur ihn verstand. Und das tat sie meistens. Finis… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)