Aus Summen kürzen nur die Dummen von Yusuke ================================================================================ Kapitel 14: ------------ Kaoru Wütend schmeiße ich deine Akte auf den Tisch. Verdammt, wie konntest du nur… Und wie konnte ich nur so dumm sein? Hast du das geplant? Hast du dein Spiel gespielt und am Ende gewonnen? Aber was hast du davon? Verdammt… Was bringt dir das? Verzweifelt wische ich mir die aufkommenden Tränen aus meinem Gesicht, kann einfach nicht fassen, was gerade passiert ist, was dabei ist, zu passieren. Aber eigentlich bin ich selbst Schuld. Warum hab ich mich auch darauf eingelassen? Immerhin gibt es extra Gesetzte, die so etwas verbieten, aber mich hält so was ja nicht auf. Für mich gelten die normalen Regeln ja nicht. Geschieht mir ganz Recht. Ehrlich gesagt, will ich hier nur noch weg. Weg von dieser Schule und ebenso weg von dir. Aber ob ich das wirklich will? Dich nie wieder sehen? Dich nie wieder berühren? Natürlich will ich das nicht. Weil ich dich liebte und es immer noch tue. Und ich habe wirklich geglaubt, dass du genauso für mich empfindest. Tja, Irren ist menschlich, nicht? Trotzdem werde ich wohl nie wirklich verstehen können, was du dir dabei gedacht hast, warum du so handelst, wie du es tust. Vielleicht war ich wirklich einfach nur blind, weil ich nicht gemerkt habe, was du tust, was du die ganze Zeit getan hast. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Nein, nicht, weil ich glücklich bin, endlich die Wahrheit erkannt zu haben. Pure Verzweiflung. Oder lache ich vielleicht doch? Über mich? Über meine Naivität? Was sollst du schon mit mir wollen? Immerhin bist du ganze neun Jahre jünger als ich. Bist hübsch, gut in der Schule. Du hattest es doch eigentlich gar nicht nötig, warum also? Ich dachte, dass ich dich kenne, dass ich alles von dir weiß und nun wird mir so schlagartig bewusst, dass du anders bist, als ich dich kennen gelernt, dass ich dich komplett falsch eingeschätzt habe. Wolltest du dich vielleicht doch nur ausprobieren? Immerhin hast du doch gesagt, dass du noch nie jemanden gehabt hattest, so war es doch! Und es war dir verdammt peinlich, mir das zu gestehen. Also wolltest du wirklich nur deine Erfahrungen sammeln… Aber wieso lässt du es so enden? Hättest du mich nicht einfach verlassen können? Was mache ich mir eigentlich vor? Als ob das besser gewesen wäre… Es geht doch nur um dich, es geht doch nur darum, dass ich dich nicht mehr sehen darf, dass ich nie wieder bei dir sein kann. Was wäre also anders, wenn du mich einfach verlassen hättest? Dass ich hier weiter arbeiten darf? Es ist mir egal… Das ist nicht das, was ich will… Aber was spielt das noch für eine Rolle? Nun hab ich nichts mehr. Ich hab meine Liebe verloren… Hab ich das? Dann würde ich dich nicht mehr so lieben können, wie ich es tue. Du bist doch der, der es so enden lässt, du bist derjenige, der seine Liebe zu mir verloren hat. Sollte sie jemals bestanden haben… Seufzend schüttele ich meinen Kopf, nehme einige meiner Habseligkeiten, die auf meinem Schreibtisch stehen und packe sie in meine Tasche. Hierhin werde ich sowieso nicht mehr zurückkehren. Was bringt es noch, weiter darüber nachzudenken? Ich kann eh nichts mehr an dieser Situation ändern. Und eigentlich ist es mir vollkommen egal. Der Job hier und mein Beruf sind mir plötzlich unwichtig. Ich wünschte einfach, dass das alles nicht passiert wäre… wünsche ich mir das? Nein… Ich will die Zeit mit dir auch nicht einfach vergessen, auch wenn sie einfach nur falsch war. Die letzten Sachen landen in meiner Tasche, bevor ich sie wieder verschließe. Ich hab hier nichts mehr zu suchen, sollte einfach gehen. Noch einmal wische ich über meine Augenlider, auch wenn sowieso jeder sehen wird, dass ich geweint habe. Eigentlich ist es einfach nur lächerlich, dass ich wegen die rumheule. Ich sollte sauer auf dich sein, dich dafür hassen, aber das kann ich nicht und das werde ich auch niemals können. Ich hoffe einfach, dass dich das glücklich macht, dass du das erreicht hast, was du damit bezwecken wolltest. Ich unterstelle dir nicht einmal, dass du mich mit Absicht so verletzt hast. Vielleicht war das ja sogar nur eine von den dummen Wetten, die Leute in deinem Alter nun einmal eingehen. Wer weiß? Und eigentlich möchte ich es auch nicht wissen. Es ist vorbei und damit werde ich mich irgendwie abfinden müssen. Wir werden uns nicht mehr sehen. War auch ziemlich naiv von mir zu denken, dass das mit uns eine Zukunft hätte. Leise schließe ich die Tür hinter mir, hab keine Lust drauf, dass mich jetzt noch jemand hört und mir womöglich irgendwelche Fragen stellt oder mir noch mehr Vorwürfe macht. Ich mache mir selbst genug. Ich will einfach nach Hause, heiß duschen oder baden und mich einfach nur verkriechen. Versuchen zu vergessen, auch wenn ich weiß, dass ich das niemals schaffen werde. Schleichend husche ich durch die Gänge der Schule, wie ein Verbrecher, der nicht entdeckt werden will, laufe herüber zu dem kleinen Lehrerparkplatz. Welch Ironie, steh ich nicht eigentlich schon wieder im absoluten Halteverbot? Immerhin bin ich eben suspendiert worden… Kyo Du bist nicht mehr hier. Ohne zu wissen, was ich tun soll, stehe ich nun hier in deinem Büro. Deinem ehemaligen. Du wirst auch nicht mehr wieder hier herkommen. Wirst nie wieder bei mir sein. Leere. Das einzige, was du auf deinem Schreibtisch zurück gelassen hast, ist eine der vielen Akten, die hier in der Schule liegen. Ich weiß, dass es meine ist, ohne einen Blick herein zu geworfen zu haben. Du hast mir davon erzählt, dass du sie mitgenommen hast, um meine Adresse herauszufinden, das war der Tag, an dem du mir gesagt hast, dass du mich liebst… Und ich, der es zunächst nicht verstanden hat, was du mir sagen wolltest. Immer wieder hallen deine Worte, die du mir in mein Ohr geflüstert hast, in meinem Kopf wieder. ‘Du wirst geliebt!’ Ich wurde geliebt, zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich wirklich das Gefühl, nicht mehr allein zu sein, jemanden an meiner Seite zu haben, der für mich da ist, dem ich wichtig bin. Jemandem, dem ich vertrauen konnte, meine Liebe zu geben ohne enttäuscht zu werden. Und nun ist alles vorbei. Ich merke, wie mir die Tränen in die Augen schießen und wie mir schwindelig wird. Eine Hand, die sich auf meine Schulter legt. Meine Eltern. Wieso folgen sie mir? Lasst mich doch einfach in Ruhe. Ich will allein sein, niemandem mehr um mich haben, wenn es nicht du bist, der mich in seinen Armen hält und mich fest an sich drückt. Aber du warst doch eben noch hier, ich hab doch noch in deinem Auto gesessen, in deinem Bett geschlafen und bin in deinen Armen aufgewacht. Du musst doch noch hier sein. Du musst… Tapfer wische ich mir die Tränen aus meinen Augenwinkeln, verdränge das Gerede meiner Eltern. Ich weiß, dass sie auf mich einreden, höre ihre Stimmen als verzerrte Laute in meinen Ohren. Seid still! Ich will es nicht hören, schüttele immer wieder meinen Kopf, bis ich es endlich schaffe, mich loszureißen, mit geschlossenen Augen durch die Gänge stürme und endlich durch die Ausgangstür laufe, direkt auf den Lehrerparkplatz zu. Endlich bin ich raus aus diesem Bau, weg von den Leuten, die versuchen mir zu helfen. Das können sie nicht. Sie haben doch keine Ahnung, was los ist. Was mit mir ist, was ich habe. Seufzend atme ich die frische Luft ein, fülle meine Lungen wieder mit Sauerstoff, öffne meine Augen. Warum muss diese verdammte Sonne ausgerechnet heute so strahlen? Welch Ironie! Erneut schüttele ich meinen Kopf. Es wäre egal, ob es regnen oder ein Orkan über uns toben würde, es ändert nichts. Gar nichts… Irritiert blicke ich auf, als ich plötzlich das Starten eines Motors höre, geschockt auf dein Auto starre, das etwas weiter weg von mir parkt und gerade dabei ist loszufahren. Nein! Nein, warte doch auf mich. Lauf nicht weg. Komm zurück. Siehst du mich nicht? Willst du mich vielleicht gar nicht sehen? Es tut weh, zu sehen, wie sich dein Wagen langsam auf den Ausgang zubewegt. Nein. Bitte… ein letztes Mal. Ohne weiter nachzudenken renne ich einfach los, renne dir hinterher. Du darfst mich nicht allein lassen. Nimm mich mit. Das ist doch das einzige, was ich will, einfach nur bei dir sein. Wieso hältst du nicht an? Warte doch auf mich… Ich spüre, wie schon wieder Tränen rote Bahnen über meine Wangen ziehen, ich beginne verzweifelt deinen Namen zu schreien. Immer wieder rufe ich nach dir, laufe dir weiter hinter her. Du wirst nicht langsamer, rollst immer schneller davon, als würdest du vor mir fliehen. Ich liebe dich doch, will bei dir, nicht ohne dich sein. Denkst du nicht genauso? Lass mich hier nicht stehen. Ich brauche dich doch… Immer wieder wische ich mir die aufkommenden Tränen aus meinem Gesicht, um überhaupt noch etwas sehen zu können, auch wenn ich am liebsten meine Augen verschließen würde. Ja, einfach meine Augen schließen und deine Nähe wieder spüren können. Ich will diese Realität nicht sehen, will nicht in dieser leben. Ich will überhaupt nicht ohne dich existieren. Ich werde nicht einfach so aufgeben, werde nicht zulassen, dass sie uns auseinander reißen. Das können sie nicht! Erneut wandert mein Handrücken über meine Augenlider, streift die letzten Tränen fort. Unermüdlich laufe ich deinem Auto hinterher, kann es kaum fassen, als dein Wagen langsamer wird, kurz vor der Ausfahrt zum Stehen kommt. Hast du mich gesehen? Willst du mich mitnehmen, mich ebenso wieder bei dir haben, wie ich es will? Mich wieder lieben, so, wie ich dich liebe? Auch meine Schritte werden langsamer, ehe ich gänzlich hinter deinem Auto stehen bleibe, durch die Rückscheibe deines Wagens schaue. Ein kleines, überglückliches Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, als ich erkenne, dass du mich endlich gesehen hast. Schon wieder sind da die Tränen. Tränen der Freude. Nimm mich mit, lass uns fliehen, woanders hingehen. Ich kann es immer noch nicht wirklich glauben, starre dich weiter durch den Rückspiegel an, ebenso, wie du es tust. Doch dein Blick ist kalt, durchdringend, löst in mir ein Gefühl von Unbehagen aus und allmählich erstirbt das Lächeln, das bis eben auf meinen Lippen gelegen hat. Keine Freude in deinen Augen, keine Hoffnung, pure Enttäuschung und Wut und Leere… Du hast deinen Blick abgewendet, siehst mich nicht mehr an und mit einem Mal heult der Motor wieder auf, lässt die Reifen durchdrehen, ehe sie dich und dein Gefährt davon tragen, du einfach wegrast, mich hier stehen lässt. Fassungslos starre ich dir hinterher, lasse meinen Blick auf deinem Auto ruhen, das immer kleiner wird, bis es irgendwann verschwunden ist. Du kommst doch wieder. Du musst mich doch mitnehmen. Du hast mich gesehen. Mich angesehen. Warum? Ohne mich zu regen, stehe ich einfach an der Stelle, blicke weiter geradeaus, warte darauf, dass du wieder auftauchst, dass du mir sagst, dass das ein Scherz ist, dass mein Gesichtsausdruck gerade zu komisch ist, dass du mich wieder in deine Arme ziehst und mich küsst. Und all das bleibt naive Hoffnung und das wird mir bewusst, als ich hinter mir wieder die vertrauten Stimmen hören, die plötzlich einfach nur noch fremd wirken. Kraftlos lass ich mich auf meine Knie sinken, schaue weiter auf den einen Punkt, an dem der Horizont dich verschluckt hat. Dich nicht mehr hergibt… Bis auch diese Sicht wieder unter meinen Tränen verschwindet, in dem salzigen Wasser untergeht, ertrinkt. Unaufhörlich kullern Wasserperlen über meine Wangen, während ich deinen Namen leise vor mich herflüstere, meine Arme um mich selbst schlinge, Halt suche, den mir kein anderer geben kann. Irgendwann gleiten meine Augenlider einfach nach unten, versuche Schlaf zu finden, auch, wenn ich noch immer auf dem harten Asphalt des Parkplatzes kauere. Ich will vergessen, mich wegträumen und verdrängen… Noch ehe ich die ersten süßen Bilder eines idyllischen Traumes sehe, spüre ich, wie mich jemand an meinem Oberteil packt, ich hochgezogen werde. Ich lasse es einfach geschehen, sehe sowieso keinen Sinn darin, mich zu wehren. Mit mir macht doch eh jeder, was er will… Dennoch öffne ich meine Augen wieder, sehe in die hasserfüllten Augen meines Vaters, der mir gleich darauf eine Ohrfeige verpasst, mich weiter voller Wut ansieht. Ich wende meinen Blick ab, gebe keinen Laut von mir, seufze nur leise. Haben sie endlich erkannt, was los ist? Sind sie endlich hinter die Wahrheit gekommen? Und dennoch verstehen sie mich nicht, werden es niemals tun. Ich habe Hausarrest bekommen, nachdem mein Vater mich angeschrien hat, sich immer wieder beherrschen musste, um mir nicht noch eine zu knallen. Er hat mir tausende von Fragen gestellt, wie ich auf die Idee komme, etwas mit meinem Lehrer anzufangen. Warum ich so was abscheuliches freiwillig getan habe. Warum ich so ein verdammter Psycho bin, der nichts mit Mädchen anfangen kann. Tatsachen. Was für ein kleines Flittchen ich doch bin, für gute Noten meine Beine breit machen würde. Bis ihm eingefallen ist, dass ich dich wirklich geliebt habe, dass es nicht um irgendwelche Zensuren ging. Ein abwertender Blick. Weitere Kommentare, Vorwürfe, Beleidigungen. Ich weiß nicht mehr genau, was er mir alles an den Kopf geworfen hatte. Seither redet er kein Wort mehr mit mir, hat mich auf mein Zimmer geschickt, mir gesagt, dass ich nicht mehr rausgehen darf. Verbote. Er lässt mich nicht mehr allein zur Schule gehen, will so jeden Kontakt, der zwischen uns entstehen könnte, unterbinden. Er hat mir verboten, mit jemandem darüber zu sprechen. Er will nicht, dass das rauskommt, will nicht, dass er seinen guten Ruf verliert, den er was weiß ich woher hat. Wenn mich jemand drauf anspricht, muss ich lügen, das hat er deutlich gemacht. Ich muss sagen, dass es deine Schuld war. Dass ich das alles nicht wollte, dass du mir wehgetan hast… Mein Handy hat er mir auch weggenommen, damit ich ja nicht auf die Idee komme, dich anzurufen oder dich irgendwie zu kontaktieren. Aber das hätte ich eh nicht gemacht, immerhin wolltest du mich nicht mehr sehen, bist einfach davon gerast, hast mich allein dort stehen lassen… Meine Mutter kann ich nicht einschätzen. Ich weiß nicht, ob sie zu mir hält oder gegen mich ist. Ich weiß, dass sie geweint hat, dass sie das noch immer tut, abends. Manchmal höre ich ihr Schluchzen durch die Wände unseres Hauses und sofort zieht sich alles in mir zusammen. Ich wollte doch niemandem verletzen, ich wollte doch nur einmal in meinem Leben glücklich sein. Wie sollte ich denn ahnen, dass es so endet? Aber auch sie spricht nicht mehr viel mit mir, nicht so, wie sie es sonst immer getan hat, das muss ich erfahren, als sie mich nach dem Wochenende zur Schule fährt, so wie mein Vater es mir angedroht hat, werde ich jetzt jeden Tag weggebracht und wieder abgeholt. Schweigend lausche ich der Musik, die im Radio gespielt wird, die einem morgens gute Laune verschaffen soll, aber irgendwie schlägt dieser Versuch, wie so viele zuvor fehl. Nicht einmal mein Schokomüsli hat mir geschmeckt, obwohl ich doch sonst für Süßigkeiten hätte sterben können. Ich hab nicht einmal mehr Hunger. Vielleicht auch nur, weil ich meine Eltern nicht sehen will und das muss ich ja, wenn ich runter komme, um in der Küche mit ihnen zu frühstücken oder zu Abend zu essen. Müde lege ich meinen Kopf an die kalte Fensterscheibe, bin froh, wenn ich endlich in der Schule ankomme, um zumindest ein wenig abgelenkt zu werden. Zu Hause hocke ich nur noch in meinem Zimmer herum, liege auf meinem Bett und starre an die weiße Decke des Raumes. Ich weiß einfach nicht, was ich mit der Zeit anfangen soll. Ich hab sogar versucht zu lernen. Mathe. Doch jedes Mal, wenn ich mein Buch aus meiner Tasche hervor ziehe, laufen wieder endlose Tränen über meine Wangen, lassen sich einfach nicht aufhalten. Immer wieder denke ich nur an dich, an unser Kennenlernen, an unsere schöne Zeit miteinander. Ich will es einfach immer noch nicht wirklich wahrhaben, was am Freitag passiert ist. Vielleicht versuche ich das alles auch nur zu verdrängen, mir langsam meine kleine Fantasiewelt aufzubauen, in der doch alles wieder ist, wie noch vor einer Woche. Doch so wird es nie mehr sein… “Tooru? Wir sind da. Dass du nachher auch ja wieder hier stehst!” Das ist das erste, was sie heute zu mir gesagt hat. Leicht beginne ich zu nicken, klettere schnell aus ihrem Wagen. Das letzte Mal, als sie mich zur Schule gefahren hat, war am Tag unseres Ausfluges, an dem du mich überrascht hast. Nur für mich bist du mitgekommen, damit ich nicht so allein bin. Ein kleines Lächelnd schleicht sie auf meine Lippen, als ich die noch kühle Sommerluft in meine Lungen eintreten lasse, meine Augen schließe und die ersten Sonnenstrahlen dieses Tages auf meiner Haut genieße. Sogleich wandern meine Gedanken wieder zu unserem gemeinsam Nachmittag, den wir auf dem Dach der Schule verbracht haben, anstatt Mathe zu lernen. Die Sonne schien ebenso, nur viel stärker, kitzelte meine Haut, als ich auf deinem Bauch lag, deine Hand in meiner spüren konnte. Seufzend wende ich mich wieder von der Sonne ab, gehe einfach weiter auf das Schulgebäude zu. Ohne dich kann ich nicht einmal die Wärme des Sommers genießen, will das auch gar nicht. Es fühlt sich falsch an, so zu tun, als wäre nichts gewesen. Aber was bleibt mir anderes übrig? Meine Familie zwingt mich so zu tun, als ob alles in Ordnung sei, redet nicht mit mir. Es ist ihnen egal, wie es mir geht, wie ich mich fühle, versuchen einfach nur ihr angeblich so gutes Image zu schützen. Und vor den anderen? Ich hab doch nur Shinya und der ist immerhin der Auslöser für die derzeitige Situation, auch, wenn er mir nur helfen wollte. Ich weiß nicht, wie ich ihm gegenüber treten und ob ich ihm die Wahrheit erzählen soll oder einfach nur das Opfer spielen, für das mich alle nun halten? Tausende Gedanken wandern durch meinen Kopf und dennoch finde ich keine Lösung, weiß noch immer nicht, was ich tun, wie ich reagieren soll. Von Weitem höre ich schon den Lärm, der aus meinem Klassenraum dringt. Wie ich mich wieder auf die dummen Sprüche freue, die sie mir gleich wieder an den Kopf knallen werden… Schwuchtel. Schlampe. Bitch. Und irgendwie haben sie sogar Recht damit. Vielleicht haben sie einfach schon viel früher gemerkt, als ich selbst, was für eine Person ich bin. Was für ein widerlicher Mensch ich sein muss, wenn sogar du mich verlassen hast, obwohl du mir so oft gesagt hast, dass du mich liebst… Doch entgegen all meinen Erwartungen fliegen keine Beschimpfungen durch den Raum, nur absolute Stille, als ich das Klassenzimmer betrete. Irritiert bleibe ich im Türrahmen stehen, erkenne, wie mich alle anstarren ohne das auch nur ein Laut über ihre Lippen kommt. ‘Sie wissen es’, schießt mir sofort durch den Kopf. Sie müssen es wissen, sonst würden sie niemals so reagieren. Ich frage mich, ob mich das wirklich wundern soll. So etwas bleibt doch nie geheim, wird immer weiter getratscht. Die Frage ist nur wer das wieder getan hat. Mein Blick fällt zu Shinya, der mich eben so ansieht, wie die anderen. Derselbe mitleidige Ausdruck, wie am Freitag, als er mir sagte, dass er alles weiß. Schnell schreite ich durch den Raum, lasse mich auf meinem Platz nieder. Ich will nicht auch noch vorne, wie auf dem Präsentierteller stehen und mich angaffen lassen. Bringt natürlich nichts, ihre Blicke folgen, liegen weiter auf mir. Und dann beginnt das Getuschel, das Gerede, als ob ich es nicht hören würde, als wüsste ich nicht, dass es um mich geht. Seufzend packe ich die Sachen aus meiner Tasche aus, lege sie vor mir auf meinen Tisch, gehe meine Hausaufgaben für den Tag noch mal durch. Das hab ich gestern schon einige Male getan, um mich abzulenken, um einfach nicht an dich denken zu müssen, geholfen hat es nicht. Immer wieder habe ich aufs Neue angefangen zu weinen. Die verschwommene Tinte auf dem Papier zeigt es, verrät mich. Und auch jetzt, versuche ich einfach irgendwas zu tun, das mich davon abhält, mich mit Shinya unterhalten zu müssen. Ich bin so verdammt wütend auf ihn, obwohl er das nicht verdient hat, obwohl er mir am Freitag gezeigt hat, dass er ein wirklich guter Freund ist, hasse ich ihn dafür. Ich will es nicht an ihm auslassen, das wäre einfach nicht fair. Ich kann fast spüren, wie er verwirrt zu mir rüber schaut und wahrscheinlich versteht, dass ich nicht reden möchte. Wer würde das in so einer Situation schon wollen? Es wäre so oder so erzwungen. Mir geht es einfach nicht gut und das weiß er, auch wenn er den wahren Grund dafür nicht kennt und wahrscheinlich auch nie erfahren wird. So ist es vielleicht am einfachsten… Am einfachsten für mich und du stehst als perverser, notgeiler Verbrecher da, nur weil ich mich nicht traue, meine Stimme zu erheben, ihnen allen zu sagen, wie es wirklich war. Und so starre ich einfach weiter auf die tränenverschmierten Zeilen in meinem Heft, lese mir alles noch mal durch ohne den Inhalt wirklich aufzunehmen. Wirklich verwunderlich, dass ich es überhaupt geschafft habe, Texte zu verfassen, die dem Thema einigermaßen entsprechen. Selbst, als die Schulglocke ertönt, sehe ich nicht auf. Erst als ich die Stimme unserer Stufenleiterin höre, hebe ich meinen Kopf an, sehe zu ihr herüber. Auch sie sieht mich für den Bruchteil einer Sekunde an und ich kann mir denken, warum sie vor uns steht, anstatt unserem Geschichtslehrer. Die ganze Aufmerksamkeit der Klasse liegt auf ihr, als sie sich kurz räuspert, beginnt den Zettel, den sie sicher vom Direktor bekommen hat zu verlesen. Erklärt uns allen, warum du nicht mehr an unserer Schule unterrichten wirst. Vom ‘bestätigtem Verdacht’ und ‘sexuellem Missbrauch’ ist die Rede. Immer mal wieder drehen sich einige Köpfe zu mir um. Meinen Blick habe ich schon längst wieder abgewendet, kann sie einfach nicht ansehen, denn schon wieder spüre ich die Tränen, die sich in meinen Augenwinkeln ansammeln. Du hast nichts getan, was ich nicht wollte und nun denken alle, dass du so ein verdammtes Arschloch bist, dass du mir wehgetan hast, wünschen dir sonst was an den Hals. Meine Hände ballen sich zu Fäusten, als sie immer weiter fortfährt, beginnt von mir zu erzählen natürlich ohne einen Namen zu nennen. Es wäre sowieso überflüssig, jeder weiß, dass ich gemeint bin, als sie mich nur als “Opfer” betitelt. Ich bin kein Opfer, immerhin durfte ich deine Liebe spüren und das war das schönste, das ich in meinem Leben erfahren durfte, auch wenn es so enden musste. Die Zeit war wunderschön, auch wenn sie nun vorbei ist… Du hast dich darauf eingelassen, obwohl du wusstest, dass alles rauskommen kann, hast deinen Job riskiert, deine Freiheit, denn wer weiß, was nun mit dir passieren wird? Du hast das alles für mich aufs Spiel gesetzt, auch wenn du am Freitag einfach davon gefahren bist. Ich weiß, dass du mich noch immer liebst. Ich weiß es. Und das bin ich dir schuldig. Mit einem Lächeln auf meinen Lippen erhebe ich mich von meinem Platz, sehe auf, als meine Lehrerin verstummt, mich irritiert ansieht. Sie will mich fragen, was ich habe, doch noch ehe ein Laut ihre Lippen verlässt, schneide ich ihr das Wort ab. “Das ist nicht wahr. Es ist alles gelogen. Kaoru hat mich nicht vergewaltigt, noch mich zu irgend etwas gezwungen oder genötigt. Alles, was passiert ist, war freiwillig. Ich wollte das alles. Ich liebe ihn.” Ja, ich liebe dich und ich glaube, es war richtig, das alles zu sagen, dich zu verteidigen und dich nicht als schlechten Menschen dastehen zu lassen. Ich lächele einfach weiter, als ich mich wieder auf meinen Platz setze, höre, wie das Getuschel von Neuem losbricht. Sollen sie doch reden, zumindest zerreißen sie sich jetzt ihre Mäuler über die Wahrheit und nicht über irgendwelche Lügen. Unsere Stufenleiterin steht einfach nur fassungslos vorn, sieht mich an. Ja, ich hab sie aus dem Konzept gebracht, so wie auf unserer Klassenfahrt, als sie uns in deinem Zelt erwischt hat. Leicht schüttele ich meinen Kopf. Wir waren so verdammt unvorsichtig. Und trotzdem trage ich noch immer ein Lächeln auf meinen Lippen. Ich bin glücklich, dass ich den Mut gefunden habe, ihnen allen zu sagen, wie es wirklich war. Auch wenn es einfacher für mich hätte sein können. Ich musste das tun und es fühlt sich gut an, dir meine Liebe so ein letztes Mal beweisen zu können. Meine Lehrerin hat dazu einfach nichts mehr gesagt, hat unseren Klassenraum daraufhin ziemlich bald verlassen und der normale Unterricht wurde fortgesetzt, so als wäre nie etwas gewesen. In den Pausen bin ich Shinya und seinen Fragen die ganze Zeit ausgewichen, immer wieder wollte er wissen, ob du mich dazu gezwungen hast, das zu sagen, bis ich ihm endlich gesagt habe, dass ich das wirklich alles freiwillig gemacht habe, dass ich es genossen hab, von dir berührt zu werden und dass ich jeder Zeit wieder mit dir schlafen würde. Danach war er erst einmal ziemlich sprachlos, so wie meine anderen Klassenkameraden, die sich mit ihren Kommentaren und Beleidigungen wirklich zurückgehalten und mich einfach in Ruhe gelassen haben. Deswegen waren die Pausen auch nicht allzu schlimm, wie sie sonst immer waren, da mussten Shin und ich uns nämlich jedes Mal verstecken, wenn wir nicht wieder blöd angemacht werden wollten. Zumindest kann ich nun einfach auf dem Schulhof sitzen, die nun stärker werdende Sonne genießen, die ihre Wärme strahlenförmig zu mir schickt, meine Haut leicht kitzelt. Ich bin allein. Ich weiß auch nicht, wo Shin ist, aber ich verstehe, dass er nicht bei mir sein will. Ich würde es sogar verstehen, dass er mich nie wieder sehen will, dass er mich widerlich findet und abstoßend, dass er einfach nichts mehr mit mir zu tun haben möchte. Vielleicht macht er sich nun auch Vorwürfe… Daran habe ich vorhin nämlich nicht gedacht, dass Shinya dann auch weiß, wie es wirklich war und dass er nun weiß, was er damit angerichtet hat. Aber er soll sich nicht wegen mir schlecht fühlen. Wie schaffe ich es nur immer wieder den Leuten wehzutun, die mir so wichtig sind? Sofort erhebe ich mich von meinem Sonnenplatz. Ich muss ihn finden und ihm sagen, dass er sich deswegen nicht fertig machen soll, dass es auf irgendeine Weise okay ist… Tatsächlich finde ich ihn endlich gegen Ende der Pause in unserem Klassenraum an seinem Platz sitzen. Sein Kopf liegt auf seinen Armen, die er auf dem Tisch vor sich liegen hat. “Hey.” Ich versuche irgendwie die Stille zu brechen, aber bekomme keine Antwort. Erst als ich mich neben ihn setze und seinen Namen leise flüstere, sieht er mich an, als hätte er gar nicht gemerkt, dass jemand im Raum ist. Sofort fällt er mir um den Hals, drückt mich nahe an sich und schluchzt leise auf. “Tooru. Es tut mir so Leid.” Er hat mich sicher schon seit dem Kindergarten nicht mehr bei meinem richtigen Namen genannt. Es ist komisch, das von ihm zu hören, aber es ist in Ordnung so. Ich versuche ihn irgendwie zu beruhigen, sage ihm immer wieder, dass ich nicht sauer auf ihn bin, dass ich wahrscheinlich genauso gehandelt hätte, dass ich selbst Schuld bin, weil ich es vor ihm verheimlich habe und weil wir so verdammt unvorsichtig waren. Nach einer gewissen Zeit lässt er sich so auch beruhigen, nickt nur noch. Doch schon seine nächste Frage, bringt mein Inneres dazu, sich krampfartig zusammen zu ziehen. “Seht ihr euch noch?” “Die letzten Tage nicht.” Ich versuche der Frage einfach irgendwie auszuweichen, will nicht aussprechen, dass wir uns nicht mehr gesehen haben, dass wir und nicht mehr sehen werden, so als würde das die Realität verändern, als würde es noch ein kleines Hintertürchen offen lassen, als würde dadurch eine neue Chance erkennbar, dass wir uns doch noch einmal wieder sehen. “Shin? Findest du mich… jetzt kein bisschen widerlich oder ekelhaft, weil ich…” Doch noch bevor ich meinen Satz zu Ende sprechen kann, erkenne ich wie er schnell seinen Kopf schüttelt, mir ins Wort fällt. “Nein. Du bist doch mein bester Freund.” Ich kann nicht anders, als einfach nur zu lächeln, ihn noch ein bisschen näher an mich zu drücken und ihm leise zu danken. Es tut einfach gut zu wissen, dass da doch noch jemand ist, dem ich vertrauen kann, dass es ihn gibt und er für mich da sein wird. Sogar die anderen sind still, als sie nach dem Klingeln erneut in die Klasse treten, uns sehen müssen, wie wir uns in den Armen liegen, dennoch folgt kein Kommentar und ich bin auch ihnen dafür dankbar. Es ist schon ironisch zu sehen, dass die Leute, die einen so gehasst haben, einem das Leben so zur Hölle gemacht haben, plötzlich Rücksicht nehmen. Ebenso tut es weh, zu wissen, dass die Menschen, die nun für einen da sein sollten, einen verachten. Erst als ich das leise Räuspern eines Lehrers höre, lasse ich Shinya los, schaue schnell nach vorne, blicke in das unbekannte Gesicht eines älteren Mannes. Erneut zieht sich alles in mir zusammen, schnürt mir die Luft ab. Mathematik. Und du bist nicht hier. Starr richte ich meinen Blick auf das Heft vor mir, fixiere dieses, will den verdammten, neuen Lehrer hier nicht sehen, will ihm nicht zuhören, als er sich vorstellt, ignoriere ihn, beginne kleine Zeichnungen in meine Arbeitsunterlagen zu kritzeln, will mich einfach nur wieder ablenken, nicht wieder daran denken müssen, dass wir uns nicht einmal mehr hier sehen können. “Kyo?” Ich schrecke auf, als Shinya meinen Namen flüstert, mich zusätzlich in meine Seite pickst und nach vorne deutet. Der strenge Blick des neuen Lehrers, dessen Namen ich leider verpasst habe, ruht auf mir. Fragend sehe ich zu meinem besten Freund, der mir leise zuflüstert, dass ich an die Tafel soll. Ich kann das doch alles nicht. Du hättest das nie mit mir gemacht… Was bleibt mir anderes übrig? Seufzend erhebe ich mich, schlendere nach vorne und der Gedanke, dass er nicht weiß, was passiert ist, schießt mir durch den Kopf. Oder er gehört zu den Arschlöchern, denen es egal ist! Fragend besehe ich mir die Aufgabe, die an der Tafel geschrieben steht. Sinnlose Zahlen, die keinen Sinn ergeben. Für den kurzen Zeitraum, in dem wir zusammen waren, waren sie in sofern wichtig, dass wir uns dadurch kennen gelernt haben, dass ich Mathematik nicht verstanden habe, dass wir uns deswegen näher gekommen sind. Aber nun? Was soll ich mit den Ziffern? Und dennoch beginne ich zu rechnen, meine Lösung an die Tafel zu schreiben, ehe ich meinen neuen Lehrer fragend ansehe. “Wie kommst du auf das Ergebnis?” Indem ich rechne? Was sollen die blöden Fragen? Warum schaut er so arrogant, so voller Hass? Ich vermisse deinen liebevollen Blick, deine freundliche Art… “… weil man aus Summen nicht kürzen darf.” Das hast du mir so oft gesagt und das ist auch das einzige, was ich noch weiß, von all dem, was du mir über die Mathematik, Formeln und Rechengesetzte gesagt hast. “Die Regel stimmt zwar, aber das Ergebnis ist trotzdem falsch. Da hat dir dein Lehrer aber nicht viel beigebracht… was Mathematik angeht. ” Er weiß es. Elender Bastard. Meine Hände ballen sich zu Fäusten, als ich mich einfach umdrehe zu meinem Platz zurückgehe, mir meine Tasche schnappe und einfach aus dem Raum stürme. Der kann mich mal. Die können mich alle mal. Ich höre noch die Stimme des neuen Lehrers, der meinen Namen brüllt, doch ich laufe einfach weiter, lasse mich nicht aufhalten. Wie kann er nur? Wie schon am Freitag renne ich heulend durch die Korridore der Schule, bis ich den Ausgang endlich erreiche, einfach davon laufe. Irgendwann lasse ich mich einfach erschöpft auf den Boden sinken, schaue gen strahlend blauen Himmel. Wie konnte er das nur sagen? Vor allem konnte er doch gar nicht wissen, dass ich damit einverstanden war, was wir getan haben, wie kann er also solch einen Kommentar mir gegenüber fallen lassen? Oder hat unsere Stufenleiterin schön gepetzt, so dass es jetzt alle wissen? Es ist doch egal. Ich frage mich, was ich nun tun soll. Zurück in den Unterricht werde ich heute sicher nicht mehr gehen, aber was dann? Es sind noch knapp zwei Schulstunden, bis meine Mutter mich wieder abholen wird. Allein nach Hause gehen kann ich nicht, sie würden mir gleich unterstellen, dass ich den ganzen Tag geschwänzt habe mir vorwerfen, dass ich mich mit dir treffen wollte. Vielleicht ist es genau das, was ich nun tun sollte, vielleicht ist das hier die letzte Gelegenheit, dich noch mal zu sehen. Schnell richte ich mich auf, will nicht noch mehr Zeit verlieren und renne zu der nächsten Bushaltestelle, schaue nach, wann der früheste Bus kommt, der mich zu deinem Haus bringen wird, immerhin weiß ich zum Glück, wo du wohnst. Knapp zwanzig Minuten später entlässt mich der Bus aus seinem Inneren und ich gehe die paar Straßen, die mich zu deinem Haus führen zu Fuß weiter, bis ich dein Grundstück endlich erreiche. Zögerlich gehe ich auf die Eingangstür zu, weiß nicht, wie du reagieren wirst und ob du mich überhaupt sehen willst. Ich spüre, wie schnell und hart mein Herz gegen meinen Brustkorb schlägt mit jedem Schritt, den ich auf dein Haus zugehe, stärker wird. Ich hab wirklich Angst davor, von dir abgewiesen zu werden, aber dann könnte ich vielleicht einfacher abschließen und noch mal von vorne anfangen, es vielleicht wirklich schaffen, dich zu vergessen. Aber ein letztes Mal will ich dich noch sehen, will dich noch ein einziges Mal bei mir spüren. Nur langsam überwinde ich die letzten Meter, bis ich an deiner Tür ankomme, deinen Namen auf der Türklingel unzählige Male lese, bevor ich sie doch endlich durchdrücke und das Klingegeräusch von innen nach außen dringt. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich sie zum ersten Mal höre. Du warst immer dabei, hast mir die Tür geöffnet, mich sogar über die Schwelle getragen. Ungeduldig und mit klopfendem Herzen, warte ich darauf, dass du mir endlich öffnest, dass du mich wieder in deine Arme ziehst und mich küsst. Doch nichts geschieht. Die Tür bleibt vor mir verschlossen, du mir verwehrt. Nochmals betätige ich die Klingel, warte erneut, noch länger und auch jetzt passiert nichts. Das kann doch nicht wahr sein! Warum bist du nicht hier? Völlig verzweifelt laufe ich zu dem nebenstehendem Fenster, durch das ich in dein Wohnzimmer schauen kann, doch du bist nicht zu finden. Ich laufe weiter, schaue durch die Glasscheiben, die mir den Blick in dein Haus gewähren und mich immer wieder enttäuschen, weil ich dich dahinter einfach nicht entdecken kann. Das letzte Fenster. Dein Schlafzimmer. Sogleich schweift mein Blick herüber zu deinem Bett, meine Gedanken wandern zurück zu unserer gemeinsamen Nacht, die so wunderschön war. Irgendwie bin ich froh, dass wir sie zusammen verbracht haben, auch wenn wir nun nie wieder zusammen sein werden. Aber wo bist du nur hin? Dein Auto steht doch auch in der Einfahrt, nur du willst dich mir einfach nicht zeigen. Vielleicht sollte ich lieber wieder gehen, damit ich rechtzeitig zurück an meiner Schule bin und so tun kann, als wäre ich die ganze Zeit dort gewesen, aber ich kann meinen Blick einfach nicht von deinem Schlafzimmer nehmen und auch meine Gedanken hängen fest an diesem einen Abend, dieser einen Nacht und dem Morgen… “Was willst du hier?” Erschrocken zucke ich zusammen, als ich deine Stimme höre, drehe mich sofort um und kann es kaum glauben, dass du dort am Straßenrand stehst und zu mir herüber siehst. Mein Herz beginnt wieder zu rasen und ich spüre, wie ich beginne zu lächeln, zu strahlen, einfach weil ich dich wieder sehe, weil ich dich so sehr vermisst habe. Ohne weiter nachzudenken, laufe ich einfach auf dich los, rufe deinen Namen und ich spüre wie mir wieder Tränen aus meinen Augenwinkeln perlen. Freudentränen. Zum ersten Mal seit diesem Wochenende weine ich, weil ich einfach nur überglücklich bin, weil ich mich so sehr freue, dich ernuet zu sehen, auch wenn wir uns vielleicht nur kurz wiedersehen können. “Bleib stehen!” Deine Stimme klingt kalt und völlig emotionslos und ich gehorche deinem Befehl, werde langsamer und komme in einigen Metern Entfernung vor dir zum Stehen, schaue dich irritiert, fragend an. Da ist kein Lächeln auf deinem Gesicht und keine Freude in deinen Augen. Nichts. Einfach nur Leere. Du wirkst blass, deine Augen gerötet und ich erkenne sogar die dunklen Schatten, die unter deinen Augenlidern liegen. Du siehst nicht gut aus, müde. Natürlich auf deine Gesundheit bezogen, denn du selbst siehst immer noch verdammt gut aus, so wie immer. Trotzdem tut es weh zu hören, dass du nicht willst, dass ich mich dir nähere. Was hab ich dir denn getan, dass du plötzlich so kalt zu mir bist? “Ich hab auf dich gewartet.” Ich versuche erneut dich anzulächeln, doch wieder kommt nichts zurück, außer einem gefühlslosem Ausdruck auf deinem Gesicht. “Ich darf mich dir bis auf 200m nicht mehr nähern, aber ich würde gern trotzdem noch mein Grundstück betreten dürfen, also geh jetzt bitte.” Geschockt sehe ich dich an, hab genau verstanden, was du gerade gesagt hast, aber ich verstehe nicht, warum du das von mir verlangst. Was hab ich dir denn getan? Ich will dich fragen, aber kein Laut verlässt meine Lippen, spüre den Klos, der in meinem Hals steckt, mich zwingt zu schweigen. Du willst mich nicht mehr sehen, mich nicht mehr bei dir haben und das werde ich akzeptieren müssen, oder? Die Tränen, die eben noch aus Freude über meine Wangen gekullert sind, ziehen weiter rote Bahnen über meine Haut, zeigen meine Enttäuschung deutlich auf meinem Gesicht, meine Traurigkeit, die nun in meinen Augen liegt. Ich wollte nicht, dass es so zu Ende geht, dass uns andere auseinander reißen, aber nun bist du der jenige, der es tut, der es auf so unschöne Weise für immer enden lässt. Schniefend wische ich mir die salzige Flüssigkeit aus meinen Augenwinkeln, gehe langsam weiter, an dir vorbei. Ich werde nicht darum betteln, dass du mich noch ein Mal in deine Arme schließt, werde einfach gehen und versuchen das alles zu vergessen. Werde versuchen zu verstehen, was plötzlich in dich gefahren ist. Gibst du mir die Schuld dafür, dass du alles verloren hast? Ich kann und will einfach nicht glauben, dass du so plötzlich nichts mehr für mich empfindest, dass ich dir plötzlich egal bin. Ich schließe meine Augen, als ich an die vorbei gehe, spüre, wie mein Herz quälend beginnt wieder schneller zu schlagen, nur weil ich weiß, dass du für diesen einen Moment wieder so nah bei mir bist und weil ich weiß, dass du es nie wieder sein wirst. Mit diesem schmerzenden Gefühl in meiner Brust, setzte ich meinen Weg fort, bis ich plötzlich etwas warmes auf meiner Schulter spüre, schnell erhebe ich meinen Blick, erkenne deine Hand, die auf meiner Schulter liegt, höre dein leises Flüstern, das zu mir vordringt. "Kyo!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)