Happy ohne Ende? von Schumeriagirl ================================================================================ Kapitel 61: Eine bittere Wahrheit --------------------------------- Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit. Vielen Dank für deinen Kommentar, Sunny. Ich hoffe, du freust dich nach der langen Warterei über ein neues Kapitel. Mit besorgtem Blick betrachtete Per Lena von der Seite. Sie schien vollkommen in Gedanken versunken, so als würde ihr Mund ihm zwar die Geschichte erzählen – ihre Seele jedoch erlebte jeden Augenblick noch einmal hautnah mit. Seine Hand lag immer noch auf der ihren, doch das bemerkte sie anscheinend nicht. Die kleine Schwester des „Lutschers“ schien tief in ihre Erinnerungen versunken, so als würde sie den Abschiedsschmerz erneut erleben, denn in ihren schönen, dunkelblauen Augen glitzerten Tränen. Das hatte der Per nicht gewollt. Ja, er hatte Antworten haben wollen, er hatte wissen wollen, wie die Chancen für eine gemeinsame Zukunft standen, aber er hatte sie nicht zum Weinen bringen wollen. Nicht, in dem er sie all die schmerzlichen Erinnerungen wieder erleben ließ. Aber woher hatte er auch wissen sollen, dass sich hinter diesem liebevollen Lächeln solch eine Vergangenheit verbergen konnte? „Lena?“, fragte der Innenverteidiger leise und hoffte, dass sie ihn endlich wieder ansehen würde, statt einfach weiter auf den Baum vor ihr zu schauen. „Ich wollte dir nicht wehtun, wirklich nicht. Es tut mir Leid“, entschuldigte sich Per zaghaft und griff nach der anderen Hand der Blondine. Leicht erwiderte sie seinen Händedruck und so saßen einen Augenblick einfach nur schweigend da – Händchen haltend. „Weißt du Per, Menschen haben an den überraschendsten Stellen Narben. Und damit meine ich nicht die der Blinddarm-Operation oder die, wo einen die Katze ganz schlimm gekratzt hat. Das sind die Offensichtlichen, deren Geschichte man häufiger erzählen muss, so dass die Erinnerungen daran irgendwann gar nicht mehr so wehtut.“ Zögerlich ließ Lena Pers Hand los, rückte ein wenig näher an ihn heran und zog ihr Oberteil bis kurz unter den BH-Verschluss hoch, so dass ihr Bauch vollkommen freilag. Ohne es tatsächlich zu wollen, konnte Per nicht anders als auf die helle, so zart anmutende Haut zu schauen. Bei jeder Atembewegung bewegte sie sich und der Verteidiger konnte seine Augen gar nicht mehr von ihr nehmen, bis Lena überraschend seine Hand nahm und seine Finger geschickt über die Haut am Bauchnabel fahren ließ. Die Gänsehaut, die Lena bei diesen Berührungen empfand, konnte auch Per spüren und es machte ihn sichtlich verlegen. Er wusste nicht, worauf die Psychologin hinauswollte, bis sie seine Hand weiter über ihren Bauch führte und er mit einem Mal eine Veränderung spürte. Dort war die Haut so viel weicher, dünner – verletzlicher. Man konnte einen tiefen Einschnitt spüren, ohne überhaupt fest zuzudrücken. Und da verstand Per plötzlich, was Lena ihm hatte zeigen wollen. „Woher kommt die Narbe?“ „Eine Blinddarm-Operation, damals war ich 13.“ „Und wo hat dich die Katze gekratzt?“, wollte er wissen, da er erkannt hatte, dass Lena eben nicht irgendwelche Beispiel aus der Luft gegriffen, sondern sich selbst gemeint hatte. Und mit seiner Vermutung schien er recht zu haben, denn sie hielt ihm stumm ihren linken Arm hin, auf dem Per einen hellen, dünnen Strich erkennen konnte. Mit bloßem Auge und ohne scharfes Hinsehen hätte er vermutlich keine der beiden Narben auf Lenas Körper entdeckt. Vermutlich auch, weil er niemals nach ihnen gesucht hätte. „Narben sind so etwas wie geheime Straßenkarten unserer persönlichen Geschichte. Ein Diagramm alter Verletzungen, wenn du so willst“, sagte Lena und fuhr selbst noch ein letztes Mal über ihre Narbe am Bauch, bevor sie ihr T-Shirt wieder zurecht zog und stockend weitererzählte. „Die meisten Wunden heilen und es bleibt nichts weiter als eine Narbe zurück – manche jedoch heilen nicht. Manche Verletzungen tragen wir ständig mit uns herum und auch wenn sie schon lange her sind – halten die Schmerzen an“, fuhr Lena mit erstickter Stimme fort und griff nach dem kleinen Anhänger, den sie immer noch um ihren Hals trug. Vorsichtig hob sie das dünne Kettchen über ihren Hals und ließ die Kette in ihre Handfläche gleiten. Gedankenverloren blickte sie den Anhänger an, bevor sie ihn in ihrer Faust einschloss. „Vielleicht haben uns unsere alten Wunden etwas zu erzählen. Sie erinnern uns daran wie wir damals waren und was wir überstanden haben. Und sie lehren uns, was wir in der Zukunft vermeiden sollen“, schloss die Psychologin und Per war klar, dass sie mit den Dingen, die sie zukünftig als Lehre aus den Narben „vermeiden“ würde, definitiv die Liebe gemeint hatte – als könnte man die Liebe so einfach vermeiden. „Das hättest du wohl gerne, Lena. Aber leider ist das nicht so, oder? Und wenn du ehrlich mit dir selbst bist, weißt du das auch. Es gibt Dinge, die müssen wir einfach immer wieder durchmachen – immer und immer und immer wieder“, flüsterte Per, bevor er Lena ohne auf eine Antwort zu warten endgültig wieder in seine starken Arme zog. In diesem Moment war es ihm egal, wer sie sehen konnte oder dass Lena eigentlich noch nicht bereit zu so viel Körperkontakt war – er spürte einfach, dass diese Umarmung jetzt richtig war. Also wiegte er Lena wie ein kleines Kind in seinen Armen hin- und her, strich ihr über den Scheitel und hauchte ihr in einem mutigen Augenblick sogar einen leichten Kuss auf den Scheitel, von dem Torstens kleine Schwester jedoch nichts mitbekam – viel zu sehr hatte sie sich an die starke Brust des Innenverteidigers gekuschelt, der einfach für sie da war. Und so, wie sie jetzt hier saß, diese Haltung und diese Gefühl in ihr, erinnerten sie schließlich daran, dass sie ihre Geschichte noch nicht zu ende erzählt hatte. Zwar hatte Per aufgehört nachzubohren, hatte nicht mehr nachgefragt aber das vermutlich auch nur, weil er glaubte, dass es nichts mehr zu erzählen gab. Dabei hatte sie von der eigentlichen Tragödie noch gar nichts erwähnt – aber das hatte er sich redlich verdient. Wenn sie ihm schon die Wahrheit über ihre Beziehung zu Ricardo erzählte, dann sollte er auch die ganze kennen. „Da gibt es noch etwas, was du über meine Beziehung zu Ricardo wissen solltest. Das, was das alles eigentlich überhaupt erst so schmerzhaft gemacht hat“, versuchte Lena das Gespräch wieder zu ihrem ursprünglichen Ausgangspunkt zurück zu führen, doch der Innenverteidiger in Diensten der Bremer wollte gar nicht weiter darüber sprechen. „Reicht es nicht, dass er zu seiner Frau zurückgekehrt ist, um mit ihr ein Kind groß zu ziehen? Ist das nicht schon schmerzhaft genug gewesen?“, fragte er deshalb provozierender als eigentlich geplant und hoffte, dass Lena das Thema ruhen lassen würde – noch mehr ertrug er nämlich nicht. Die junge Psychologin löste sich vorsichtig aus dem Umarmung und sah Per offen ins Gesicht. Ein wenig wunderte sie sich schon, woher dieser plötzliche Sinneswandel kam, doch letztlich spielte es keine Rolle, denn wer einmal nach der Wahrheit fragte und so darauf bestand, sollte sie auch ertragen können – egal wie schwer es war. „Ja, das hat mir das Herz gebrochen, aber ich wusste, dass ich das Richtige tat – schließlich gab ich einem ungeborenen Baby seinen Vater zurück“, antwortete Lena mit ruhiger Stimme und verscheuchte eine Fliege, die sich auf Pers Schulter niedergelassen hatte, bevor sie fortfuhr. „Damals bin ich nach Barcelona gegangen, um zu vergessen. Ich wollte alles hinter mir lassen.“ „Um neu anzufangen?“, harkte der 1,98m Mann nach und lächelte die Blondine neben sich hoffnungsvoll an. Die schüttelte jedoch nur den Kopf. „Schön wär’s, aber nein, ich hatte keine Pläne mehr. Alle meine Träume und Pläne waren zerstört. Ich hatte sie mir selbst zerstört und fand nun eigentlich auch keinen Antrieb noch mal von vorne anzufangen.“ Auf der einen Seite verstand Per, was Lena meinte: Sie hatte allein die Entscheidung getroffen die Beziehung zu beenden, sie hatte zwar triftige Gründe gehabt, aber am Ende war es doch immer in gewisser Weise sie selbst gewesen, die sich diesen Schmerz angetan hatte – weil ihr Gewissen ihr keine Ruhe gelassen hatte. Hätte sie so weiter gemacht wie bisher, hätte es ihr nicht mit einem Mal das Herz gebrochen. Es wäre vermutlich schleichend gekommen, Stück für Stück und mit jedem Mal, an dem sie Ricardo mit Familie gesehen hätte, ein kleines Bisschen mehr. Andererseits fand er es nicht fair, dass Lena sich die Alleinschuld für die Geschehnisse gab, immerhin gehörten zu einer Beziehung immer zwei und Per glaubte fest daran, dass Ricardo einen anderen Ausweg hätte finden können. Hätte finden müssen, wenn die Liebe tatsächlich so groß gewesen wäre, wie Lena sich scheinbar seit Jahren einredete. „Als ich Mailand verließ, war ich nur noch eine Hülle. Alles, was mich damals ausgemacht hat, hatte ich verloren. Das wollte Paolo aber nicht wahrhaben, deshalb besorgte er mir den Teilzeitjob bei den Kleinen von Barca – er meinte, Kinder um mich herum würden mir gut tun. Dann würde ich Christian und Daniel nicht so sehr vermissen. Im Nachhinein muss ich ihm wohl dankbar sein, dass er so hartnäckig geblieben ist. Damals jedoch fügte ich mich nur widerwillig.“ Nachdenklich fuhr Lena sich durch die Haare, ein bitteres Lächeln auf den Lippen, als sie sich an die erste Zeit in der katalanischen Metropole erinnerte. „Ich war nicht mehr ich, nicht die Frau, die jetzt neben dir sitzt. Und das will schon was heißen, denn eigentlich fühle ich mich gerade auch wieder wie ein Wrack. Ich atmete noch, aber viel mehr tat ich nicht. Ich redete, wenn man mich ansprach und lächelte eigentlich nie. Kurz, ich war zu dieser Zeit sehr einsam, bemerkte es aber nicht.“ Jetzt, nach all der Zeit, wusste Lena, dass sie damals ihr Leben hatte an sich vorbeiziehen lassen. Es war nicht mehr ihr Leben gewesen, sondern das einer Fremden, die sie nicht kannte und die sie noch nicht einmal mochte, weil sie Dinge tat, die sie sonst niemals getan hätte. Außenstehende hätten vielleicht gesagt, dass sie jetzt immer noch nicht in der Lage war, ihr Leben wirklich zu leben, aber denen hätte sie widersprochen. Sie war einen weiten Weg gekommen bis hier und das wollte sie sich von niemandem schlecht reden lassen. Natürlich war sie noch nicht wieder die Alte, aber das würde sie auch nie wieder werden – wollte sie nie wieder, denn das hieße ja, sich wieder so angreifbar und verletzlich zu machen. Das hatte sie hinter sich – ein Mal und nie wieder, hatte sie sich geschworen. „Und was hat dich aufgeweckt?“ „Nicht was, sondern wer“, berichtigte die kleine Schwester des „Lutschers“ den Kollegen ihres Bruders und ein versonnenes Lächeln schlicht sich auf ihr eben noch so trauriges Gesicht, als sie anfing von ihrem ganz persönlichen Sonnenschein zu berichten. „Schon an meinem ersten Tag lief mir Lionel über den Weg – nicht, dass ich es bemerkt hätte, aber er hat mich bemerkt. Vor allem hat er die Leere in meinen Augen gesehen, die Traurigkeit und vielleicht hat er auch etwas von der früheren Lebenslust gespürt, ich weiß es nicht.“ Wenn sie es sich jetzt so überlegte, wusste sie wirklich nicht, was Lionel damals in ihr gesehen hatte. Mehr als ein todtrauriges, mageres und vor allem schweigsames Ding konnte sie doch nicht gewesen sein – nichts, was einen normalen Mann dazu bewegte eine Frau ein zweites Mal anzusehen. Aber Lionel war in vielen Beziehungen noch nie normale gewesen, vielleicht hatte er sich deshalb nach einer ebenso anormalen Freundin gesehnt? Lena konnte nur spekulieren, nahm sich aber fest vor ihn das nächste Mal, wenn sie telefonieren würden, zu fragen. „Was auch immer es war, irgendetwas brachte ihn dazu mich jeden Tag zu besuchen. Zuerst wiegelte ich seine Gesprächsversuche ab, aber irgendwann fehlte mir eine passende Ausrede und so gingen wir tatsächlich einen Kaffe trinken – wo doch keiner von uns beiden Kaffee trank“, amüsierte sich Lena über die abstruse Situation. Sie hatten an diesem Nachmittag gemeinsam in dem kleinen Straßencafé gesessen und sich eine große Tasse dieses grässlich-bitteren Gebräu hinuntergequält, da keiner von ihnen hatte zugeben wollen, dass sie keinen Kaffee tranken. Hinterher hatten sie darüber herzlich lachen können, aber in diesem Nachmittag in dieser durch und durch verkrampften Atmosphäre, in der jeder fürchtete etwas Falsches zu sagen und den anderen damit zum Gehen zu bewegen, war es alles andere als amüsant gewesen. „Tja, und von dem Tag an lehnte ich seine Aufmunterungsversuche nicht mehr ab. Wir unterhielten uns viel, wenn auch nicht über Ricardo und das, was in Mailand geschehen ist. Leo hat damals akzeptiert, dass ich noch nicht darüber sprechen konnte.“ Die Spitze hatte gesessen, musste Per feststellen, versuchte es sich aber nicht anmerken zu lassen. Schließlich wirkte Lena nicht so, als wäre die Geschichte schon vorbei. Deshalb ließ er sie reden und verkniff sich eine Entschuldigung, die er eh nur halbherzig gemeint hätte, denn ein Teil vom ihm schämte sich nicht dafür Lena zum Reden gebracht zu haben. Dieser Teil war froh an und versuchte ihm einzureden, dass es auch seiner kleinen Maus am Ende besser gehen würde. „Und dann, nach ein paar Wochen nahm er mich auf eine kleine Kneipentour mit seinen Kollegen mit – das erste Mal seit langer Zeit, dass ich überhaupt mit mehreren Leuten unterwegs war. Und gerade an diesem Abend, wo ich so langsam anfing über das alles hinwegzukommen, kam plötzlich und völlig unerwartet der letzte Schlag. Der, der mir vermutlich das Genick gebrochen hätte, wenn Lionel nicht für mich da gewesen wäre.“ Entspannt nippte Lena an ihrem Cocktail und lauschte Carles Puyol, dem Kapitän der Katalanen, der gerade eine Anekdote aus seiner Jugendzeit zum Besten gab. Immer wieder klopften sie ihm auf die Schulter oder brüllten vor Lachen, so dass die anderen Gäste neugierig herüberschauten, was jedoch keinen der Fußballer interessierte. Die gelöste Atmosphäre in der kleinen spanischen Kneipe ließ die Blondine ihre Sorgen und Probleme vergessen und endlich einmal wieder vollkommen sorglos sein. Dieses Gefühl hatte sie schon so lange nicht mehr gespürt, dass es ihr seltsam fremd vorkam – und doch so unheimlich gut. Unterm Tisch fühlte sie Lionels Hand, die ihr gedankenverloren das Bein tätschelte, während er mit der anderen an seinem Bierglas herumspielte. Das war typisch für den kleinen Wirbelwind, der einfach nicht still sitzen konnte oder wollte. Lena konnte einfach nicht anders als ihn dankbar anzulächeln, was wiederum dem kleinen Argentinier ein fröhliches Lächeln ins Gesicht zauberte. Schließlich hatte es ihn viel Überredungskunst gebraucht, bis Lena zugesagt hatte ihn und seine Freunde zu begleiten. Dass es ihr jetzt augenscheinlich gut ging und sie nicht traurig über die Vergangenheit nachgrübelte, machte den Dribbler ungeheuer froh. Als Lena fühlte, wie ihr Handy in der Hosentasche vibrierte, nickte sie Lionel kurz entschuldigend zu, deutete auf das kleine Mobilfunkgerät und verließ die rauchige Kneipe. Auf der Strandpromenade Barcelonas war trotz der späten Uhrzeit immer noch relativ viel los, so dass sich die Psychologin entschied ans Wasser zu gehen, um in Ruhe zu telefonieren. Das Display zeigte eine Unbekannte Nummer an und Lena fragte sich, wer das wohl sein könnte und was dieser jemand von ihr wollte, bis sie sich innerlich zur Raison rief und einfach auf den grünen Hörer drückte und sich meldete. „Hallo Lena.“ Als ihr Ricardos tiefe, vertraute Stimme entgegenkam, war Lena mit einem Mal wieder vollkommen nüchtern. Sie hatte zwar bisher nur drei Cocktails getrunken, doch deren Wirkung war wie weggeblasen. All das leichte und sorglose löste sich mit einem Mal in Luft auf. Dafür kamen ihre Sorgen und der Kummer wieder, die sie seit ihrer Trennung nicht mehr losließen. „Ricardo“, flüsterte Lena zittrig und sie wusste, dass ihre Stimme brechen würde, wenn sie versuchte lauter mit ihm zu sprechen. Ohne es verhindern zu können, traten ihr Tränen in die Augen und Lena verfluchte sich selbst dafür, dass ihr Herz auch nach acht Wochen immer noch schneller schlug, wenn sie seine Stimme hörte. Das sollte es doch nicht, schließlich hatte sie ihn verlassen – wollte ihn loslassen. Endgültig mit ihm und ihrer Vergangenheit abschließen, bis nichts mehr blieb als die graue, trübe Erinnerung an das, was einmal war. Es sollte nicht mehr wehtun und es sollte sie nicht mehr so mitnehmen – tat es aber trotzdem, ob sie wollte oder nicht. Unverständliche Worte drangen durch den Hörer und erst jetzt begriff sie, dass ihr ehemaliger Geliebter getrunken haben musste. Nein, noch nicht einmal getrunken, sondern gesoffen. Der Mittelfeldspieler klang stockbesoffen und lallte Unzusammenhängendes Zeugs in den Hörer. „Ricardo, was ist los? Was ist passiert?“, fragte sie und es versetzte ihr einen schmerzhaften Stich, dass er sie jetzt anrief. Betrunken und scheinbar völlig von Sinnen. Womit hatte sie das verdient? Wieso riss er völlig ohne Grund diese Wunde wieder auf, die langsam, ganz langsam durch Lionel und die anderen Jungs zu heilen begann? Was hatte sie ihm getan, dass er so grausam war? Seit dem Abschied in ihrem Liebesnest hatten sie sich nur noch zwei, vielleicht drei Mal kurz gesehen, bevor sie Mailand verlassen hatte. Wirklich miteinander gesprochen hatten sie nicht – war auch nicht nötig gewesen, denn Lena hatte die glücklichen Bilder der werdenden Familie in allen Illustrierten gesehen. Mehr brauchte es nicht, um ihr zu zeigen, dass Ricardo sein Versprechen erfüllt hatte. Und sie eigentlich zufrieden sein sollte. „Es war alles umsonst, Lena, alles umsonst“, lallte der Brasilianer und klang dabei fast schon richtig verzweifelt. „Wovon sprichst du? Ich verstehe dich nicht.“ „Unser Opfer – alles umsonst“, kam jedoch nur die bruchstückhafte Antwort, aus der sich Lena selbst etwas zusammenbasteln musste. Einen Augenblick überlegte die Psychologin, was Ricardo meinen konnte, bis es ihr wie Schuppen von den Augen viel: Es konnte nur einen Grund geben, warum er betrunken und verzweifelt bei ihr anrufen und diese Worte von sich geben würde! „Ricardo, was ist mit dem Baby, geht es deinem Kind gut?“, fragte die Psychologin aufgeregt und malte sich das Schlimmste aus, als Ricardo ihr nicht antwortete. Nur ein schlimmes Unglück konnte ihn so aus der Bahn werfen, dessen war Lena sich sicher. Und als sie nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch keine Antwort bekam, fragte sie noch einmal nach, diesmal ärgerlicher und weniger ruhig als noch zuvor: „Verdammt, sprich mit mir! Was ist mit Caroline und dem Baby?“, bohrte sie nach und merkte selbst, wie sich ein Klos in ihrem Hals bildete. Es kam ihr alles so unwirklich vor, hier stand sie am Strand von Barcelona und telefonierte mit ihrem besoffenen Ex-Geliebten, dessen Frau und Baby irgendetwas sehr Schlimmes zugestoßen sein musste. Paradox, war das einzige Wort, das der Blondine dazu in diesem Augenblick einfiel. Es war paradox. Und falsch, so grässlich falsch, dass Ricardo jetzt nicht bei Caroline war und ihre Hand hielt, sondern irgendwo die Flasche umarmte und mit ihr sprach – ihr, Lena, der ehemaligen Geliebten. Die aus seinem Leben verschwunden war, damit er eine glückliche Familie haben konnte. „Nichts“, drang es da plötzlich aus dem Hörer und Lena brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was Ricardo da eigentlich meinte. Als er jedoch nichts weiter sagte und nur schweigen herrschte, meldete sich Lena wieder zu Wort, die mittlerweile nur noch Bahnhof verstand. „Was meinst du mit „nichts“? Geht es den beiden gut?“, stellte sie ihrem ehemaligen geliebten die selbe Frage wie schon zuvor, die er vorhin noch unbeantwortet gelassen hatte. Jetzt schnaubte er jedoch nur verächtlich in Telefon und murmelte, eine paar Silben verschluckend: „Ich hoffe doch nicht.“ „Ricardo, jetzt sag mir endlich, was bei dir los ist! Was ist passiert?“, wurde Lena langsam richtig ungehalten. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt und aus Ricardo bekam sie kein vernünftiges, sinnvolles Wort heraus, was sie auf die Palme brachte. Als er jedoch nach erneutem Schweigen einen klaren Satz formulierte, wünschte sich die Psychologin, er hätte weiterhin unzusammenhänges Zeugs geredet. „Es gab niemals ein Baby Lena, verstehst du jetzt?“, schluchzte er schon fast ins Telefon, bekam aber von Lena nicht sofort eine Antwort. Die musste das Gehörte erst einmal verarbeiten und fragte dann vollkommen perplex: „Aber was? Wie? Wieso?“ „Sie hat es gewusst. Caroline hat gewusst, dass ich eine andere Frau liebe.“ Kraftlos ließ Lena sich in den feuchten Sand sinken. Es war ihr egal, ob sie nach dem Aufstehen einen nassen Fleck am Hintern haben würde oder nicht, das alles spielte keine Rolle mehr nach Ricardos Worten. „Sie wusste von uns, aber warum hat sie dich nie damit –“ „Sie hatte keine Ahnung von uns. Sie wusste nicht, dass du die andere Frau bist“, fiel ihr Ricardo ins Wort. Je mehr Alkohol er getrunken hatte, desto ungeduldiger wurde er und Lenas mangelndes Verständnis der Situation am Anfang des Gesprächs hatte seine Geduld auf eine harte Probe gestellt und seine Nerven ähnlich stark gereizt wie ihre. Für Lena spielte Ricardos Ungeduld jedoch keine Rolle, sie war viel zu sehr damit beschäftigt das Gesagt zu verarbeiten. Die andere Frau, wie das klang. Gerade aus seinem Mund hörte es sich irgendwie komisch an. Nicht gut, nicht sanft und schon gar nicht liebevoll, wie sonst immer. Aber er hatte ja Recht, sie war die andere Frau gewesen, musste Lena sich bitter eingestehen. „Aber du hast doch gerade gesagt, dass-“ „Caroline wusste, dass ich eine andere liebe und sie kennt mich gut genug, um zu wissen-“, hier stockte der Mittelfeldspieler für einen kleinen Augenblick, doch er musste den Satz gar nicht zu ende sprechen, das übernahm die Psychologin für ihn. „-dass du nicht bei ihr bleiben würdest, es sei denn, sie-“, beendete Lena seinen Satz, wohingegen Ricardo im Gegenzug den ihren weiterführte und ihr die letzten kleinen Zweifel nahm. „Ja, es sei denn, sie bekommt ein Kind von mir. Sie wollte mich mit dem Baby an sich fesseln.“ „Deshalb ist sie schwanger geworden?“, fragte sie noch einmal nach und war erstaunt über Ricardos plötzlich so nüchternen, sachlichen Ton. Das passte so gar nicht mehr zu der Stimmung, in der er eben noch gewesen war – aufgeregt, aufbrausend und am Boden zerstört. „Hast du es immer noch nicht kapiert, Lena? Es gab nie ein Baby, Caroline war nie schwanger, sie hat mich angelogen. Sie hat uns alle angelogen und uns etwas vorgemacht“, antwortete Ricardo und in seiner Stimme schwangen unverkennbar Bitterkeit und Zynismus wieder. „Aber wieso? Und wie?“ „Um mich nicht zu verlieren, sagt sie, aber ich glaube ihr kein Wort mehr. Nie wieder.“ Ricardos Tonfall war hart und die Blondine zweifelte keinen Moment daran, dass er es vielleicht nicht ernst damit meinen könnte. Dieser Mann war zutiefst verletzt und wild entschlossen seinen Worten Taten folgen zu lassen. Wie auch immer das aussehen würde. Aber erst langsam wurde Lena bewusst, was diese Nachricht eigentlich für sie bedeutete. „Das heißt, alles war für umsonst?“ Es fiel der Blondine gar nicht auf, dass sie dieselben Worte benutzte wie Ricardo noch zu beginn des Gesprächs. Es war alles so unwirklich. Hier saß sie nun im Sand von Barcelona, Kilometer von Ricardo entfernt – und doch waren die vergangenen Wochen wieder ganz nah. Ricardo war ihr wieder so nah, zusammen mit dem Leid, den durchweinten Nächten und dem Abschiedsschmerz, der ihr damals beinahe das Herz zerrissen hatte. Jetzt glaubte Lena fast die Hand nach ihm ausstrecken und ihm übers Gesicht streicheln zu können. „All die Tränen, all der Schmerz – alles, was wir für dein Kind aufgegeben habe, war umsonst?“, fragte sie leise, fast tonlos und musste die aufsteigenden Tränen niederkämpfen. Sie wollte jetzt nicht weinen, nicht schon wieder, auch wenn gerade innerhalb von kürzester Zeit ihre Welt wankte und einzustürzen drohte. „Ja“, antwortete Ricardo eben so leise und an seiner Stimme konnte Lena hören, dass er weinte. Er hatte den Kampf gegen die Tränen verloren und genau das ließ nun auch Lenas Dämme brechen. Es war eh alles umsonst gewesen. To be continued Ja, nun wisst ihr, dass Lena ihre Beziehung, ihre große Liebe an sich für nichts und wieder nichts aufgegeben hat – und das schmerzt. So sehr, dass sie jetzt vielleicht verstehen kann, warum Ricardo zur Flasche gegriffen hat, um mit dem Schmerz klar zu kommen. Schließlich hat er mit einem Schlag nicht nur seine Geliebte, sondern auch sein „Baby“ und das Vertrauen in seine Frau verloren. Ein harter Schlag, von dem er sich garantiert nicht so schnell wieder erholen wird. Aber bleibt er bei Caroline? Und was haltet ihr überhaupt von dieser Aktion? Vertretbar, um eine Beziehung zu retten oder ein absolutes No-Go? Das Gespräch zu Beginn zwischen Per und Lena entwickelt sich in eine sehr persönliche Richtung, die der Innenverteidiger wahrscheinlich nie für möglich gehalten hätte. Und so nutzt er seine Chance Lena mal wieder den Kopf zu Recht zurücken und ihr den, seiner Meinung nach, richtigen Weg zu weisen. Aber hat er Recht und wird sie ihn gehen? Und wie steht ihr zu Lenas und Pers Theorien über Narben? Favorisiert ihr eher die eine oder doch die andere Variante? Oder ein Mittelweg aus beidem? Hosted by Animexx e.V. 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