Happy ohne Ende? von Schumeriagirl ================================================================================ Kapitel 47: Pequeno ------------------- Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit. Danke... Du weißt, dass du gemeint bist. Nur widerwillig löst Lena sich aus Torstens sicherer Umarmung. Am liebsten hätte sie sich noch viel, viel länger an der starken Schulter ihres Bruders angelehnt und die Augen vor der harten Realität verschlossen, doch sie wusste nur all zu gut, dass es keinen Sinn machte so zu tun, als würde die Welt auch nur für einen kleinen Moment anhalten. Sie tat es eben nicht, würde es wahrscheinlich auf niemals tun und während sie, Lena, egoistisch den Kopf in den Sand steckte, weil es ihr zur Zeit einfach irgendwie alles viel zu viel und bei weitem zu schmerzlich wurde, gab es ganz in ihrer Nähe Menschen, die sie im Augenblick wirklich dringend brauchten. Menschen, die ihren Zuspruch und ihre Vergebung jetzt mehr benötigten denn je. Und es gab einen Menschen ganz speziell, dem sie eine Standpauke halten musste, bei dem ihm Hören und Sehen vergehen würde, so viel stand schon einmal fest. Aber um all diese Menschen zu erreichen, würde sie erst einmal ihrem Bruder klar machen müssen, dass er sie nach all diesen Enthüllungen und Geständnissen gehen ließ. Allein. In die Höhle des Löwen. Natürlich hätte sie ihm auch sagen können, dass sie einen Augenblick Ruhe zum nachdenken brauchte, doch sie wollte ihn nicht schon wieder anlügen. Nicht, wegen einer solchen Geschichte. Sie hatte gerade erst mit der Wahrheit angefangen, da wollte sie jetzt nicht mit sinnlosen Lügen weitermachen. „Torsten, ich muss jetzt gehen.“ „Wo willst du hin? Willst du eine Kopfschmerztablette nehmen und dich einen Moment hinlegen? Ich weiß doch, dass du immer tierische Kopfschmerzen bekommst, wenn du dich aufregst und weinst, Lenchen.“ Fürsorglich strich der „Lutscher“ seiner kleinen Schwester über den Rücken und zog sie dann doch wieder in seine Umarmung. Auch er wollte so gerne die Welt anhalten oder viel lieber noch die Zeit zurück drehen, um all den Schmerz ungeschehen zu machen, der seinem kleinen Mädchen wieder fahren war. Der Schmerz, der sie zu einem anderen Menschen gemacht, der sie geprägt und ihre Verhalten unumkehrbar verändert hatte. Aber auch dem Mittelfeldspieler blieb nichts anderes übrig als den Augenblick zu nutzen und seiner kleinen Schwester jetzt die Liebe zu geben und zu zeigen, die sie damals vermutlich vermisst hatte. Lena wehrte sich nicht gegen die Umarmung, sie spürte, dass es das war, was er jetzt brauchte und sie wollte ihm so gut es ihr eben möglich war helfen mit der neuen Situation, mit all den Erkenntnissen klar zu kommen. Und wenn es ihm half ihr über den Rücken zu streicheln und ihr beruhigende Worte zu zuflüstern, dann ließ sie gern auch das geschehen und ein Teil von ihr genoss die sanfte Zärtlichkeit sogar, denn mit Torstens liebevoller art verband sie größtenteils nur gute Erinnerungen, die ihr jetzt neue Kraft gaben. „Bevor ich mich ausruhen kann, muss ich das Gespräch mit Bojan noch beenden.“ Es widerstrebte der Blondine den einseitigen Wortwechsel zwischen Bojan und ihr als „Streit“ zu bezeichnen, auch wenn es das definitiv gewesen war, zumindest von seiner Seite aus. Von ihrer war es nicht mehr als ein entsetztes Zuhören gewesen, das ein unschönes Ende genommen hatte. Ein Ende, das sie so nicht stehen lassen konnte, dafür lag ihr viel zu viel an dem kleinen Katalanen, der mittlerweile sicherlich bitterlich bereute, was er ihr alles an den Kopf geworfen hatte. Von der Ohrfeige ganz zu schweigen. „Ich glaube, dieses Gespräch IST beendet. Dieser Junge hat dich geschlagen Lena, ich werde dich nicht einfach wieder zu ihm lassen, so dass er erneut auf den Gefühlen herumtrampelt und dich vielleicht noch schlimmer verletzt!“ „Versteh’ doch, Torsten: Bojan wird mir nichts tun, er wollte mir eigentlich auch gar nichts tun, dass weiß ich ganz genau. Du kennst doch das Sprichwort: Wenn ein Freund dich kränkt, dann bedenke, es tut ihm nicht gut, sonst täte er dir nicht weh. Menschen lassen ihren Schmerz nun einmal andere fühlen um nicht mit ihm allein zu sein, das ist nicht richtig, aber das ist so und dafür werde ich ihn nicht verurteilen. Wir werden miteinander reden und danach ist wieder alles gut.“ Sie bezweifelte zwar selbst, dass ein paar Worte ausreichen würden um alles wieder „gut“ zu machen, doch für den Augenblick wollte sie lieber daran glauben, dass ein klärendes Gespräch alles wieder in Ordnung bringen würde. Und vielleicht hatte sie ja ausnahmsweise mal Glück? „Bitte Torsten, lass mich gehen.“ Dem Bremer war klar, dass seine kleine Schwester mit oder ohne seine Erlaubnis gehen würde und dass er froh sein konnte, dass sie ihm von ihrem Vorhaben erzählt hatte. Ihren Sturkopf hatte sie in den meisten Fällen durchgesetzt und es sah nicht so aus, als wollte sie heute nachgeben. Trotzdem hatte er ein ungutes Gefühl, wenn er daran dachte, dass Lena allein zum Hotel der spanischen Nationalmannschaft wollte um ein klärendes Gespräch mit Bojan zu führen. Dort konnte wer weiß was geschehen und seitdem Lena ihm ihre Vergangenheit geschildert hatte, würde es ihn auch nicht mehr verwundern. Scheinbar musste er sich bei seiner kleinen Schwester auf Überraschungen jeder Art einstellen. „Du machst doch eh, was du willst, also geh. Aber eine Bitte habe ich: Ruf mich an, wenn etwas ist, ja? Egal was, ruf an und ich bin da.“ In Torstens Augen konnte Lena so viel liebe und Zuneigung sehen, dass es ihr fast selbst die Tränen in die Augen trieb. Sie wusste nicht, womit sie so eine bedingungslose Liebe verdient hatte nach all den Dingen, die sie ihm gerade gebeichtet hatte, aber in diesem Augenblick schwor Lena Frings sich, dass sie dafür sorgen würde, dass ihrer Familie nichts geschehen würde. Egal zu welchem Preis. „Bevor du gehst, solltest du dir was anderes anziehen und dir dein Gesicht ordentlich waschen, alles ist blutverschmiert. Und ein kleiner Besuch bei Doktor Müller-Wohlfahrt könnte auch nicht schaden, damit er sich deine Nase mal ansieht. Und jetzt ab, damit ich es mir nicht doch noch anders überlege, Lenchen.“ Gutmütig gab Torsten seiner Schwester einen Klaps auf den Hintern und schaute ihr nach, als sie langsam in Richtung Hotel verschwand. Er selbst blieb genau dort stehen, wo er stand und dachte mit durch den Garten schweifenden Augen nach. Er dachte über das Leben im Allgemeinen und das seiner Schwester im Besonderen nach und philosophierte aus welchen Gründen alles so gekommen war, wie es jetzt nun war. Zu einer Antwort kam er nicht, aber der Abräumer wusste genau, dass er jetzt noch nicht wieder in der Lage war die Räume des Hotels zu betreten, wo seine Kollegen ihn vermutlich mit Fragen bombardieren würden. Eine Antwort würden sie zwar nicht bekommen, aber im Augenblick hatte der „Lutscher“ überhaupt kein Interesse an den Fragen, deswegen schritt er gemächlich durch die Gartenanlage und sinnierte weiter über dies und das. Lena jedoch schaffte es unbemerkt auf ihr Zimmer zu schleichen, sich umziehen und zu waschen und kurz bei Doktor Müller-Wohlfahrt vorbei zu schauen, der zwar gewiss schon von dem Vorfall gehört hatte, jedoch nicht weiter danach fragte. Mit dem Versprechen, dass sie nach ihrem „wichtigen“ Gespräch sofort wieder zu ihm kommen würde, damit er ihre Nase eingängig untersuche konnte, entließ er sie und eiligen Schrittes machte Lena sich auf den Weg zum Hotel der spanischen Nationalmannschaft, das nur wenige Blöcke von dem der Deutschen entfernt lag. Unsicher betrat Lena die elegante Vorhalle des Hotels und sah sich suchend nach der Rezeption um. Ihre Idee, diese Sache sofort aus der Welt zu schaffen, kam ihr immer dümmer vor je länger sie in diesem Foyer stand. Sie hatte keine Ahnung, wie sie es anstellen würde Bojans Zimmernummer unauffällig zu erfragen, denn sicherlich gab es hohe Sicherheitsvorkehrungen und man würde eine unbekannte Passantin bestimmt nicht bis zu einem der Spieler vorlassen. Der Zufall kam ihr jedoch zur Hilfe, denn als sie die junge Dame an der Rezeption gerade nach Bojans Zimmernummer gefragt hatte und die schon eine abwehrende Haltung eingenommen hatte, fiel ihr offizieller DFB-Ausweis aus der Tasche und mit einem schnellen Blick auf das kleine Stück Papier, wurde ihr problemlos Auskunft gegeben, auch wenn Lena der irritierte Seitenblick der jungen Dame nicht verborgen geblieben war. Der Gang, zu dem sie die Beschreibung der Rezeptionistin geführt hatte, war länger als gedacht und so machte Lena sich daran einzeln auf die Zimmernummern zu schauen und wie es das Schicksal so wollte, hatte Bojan ein Zimmer fast am Ende des Ganges. Jeden Augenblick hatte Lena damit gerechnet, dass sie ein spanischer Spieler entdecken könnte, doch alles war ruhig auf dem Flur. Fast schon unnatürlich, denn bei den deutschen Spielern hatte es diese gespenstige Ruhe höchsten um drei oder vier Uhr morgens gegeben, wenn überhaupt. Aber so unterschieden sich die Teams halt. Zaghaft klopfte Lena an die Tür mit der Nummer 319, hinter der angeblich Bojan Quartier bezogen haben sollte. Natürlich hatte die junge Deutsche keine Ahnung, ob Bojan im Moment wirklich auf seinem Zimmer war, geschweige denn, ob er ein Einzel- oder Doppelzimmer bewohnte, doch sie hoffte auf letzteres oder aber die Abwesenheit des Zimmergenossen, denn das kommende Gespräch wollte die Psychologin lieber unter vier Augen führen. Von der anderen Seite der Tür kamen leise, schleppende Schlurfgeräusche und nur einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet und Lena erstarrte. Dort vor ihr stand nicht der fröhliche, lebenslustige Bojan, der zusammen mit Lionel immer für einen Streich zu haben war, sondern ein Bojan mit roten, verquollenen Augen, zerstrubbelten Haar und leerem Blick. Er gab ein absolut bemitleidenswertes Bild ab und am liebsten hätte Lena ihn sofort in den Arm genommen und getröstet, dass alles wieder gut werden würde, doch die Erfahrung als Psychologin und als Bojans Vertraute hielt sie zurück. So leicht konnte sie es dem jungen Katalanen leider nicht machen, auch wenn sein Aussehen allein schon Beweis genug war, dass er die vergangenen Geschehnisse aus dem Speisesaal bereute und am liebsten wieder ungeschehen machen würde. Da sie ihn nicht einfach umarmen und trösten konnte, entschied sich Lena für das zweitbeste, was sie machen konnte: Sanft, aber bestimmt, schob sie den immer noch vollkommen perplexen Bojan in sein Zimmer und ließ ihn auf das ungemachte Bett plumpsen, in dem er vermutlich bis eben noch gelegen und geweint hatte, so wie die nassen Tränenspuren auf dem Kissen zeigten. So besorgt um Bojans Wohl, bemerkte Lena nicht, das die Zimmertür nicht ganz zu war, sondern einen kleinen Spalt aufstand. Zeit es zu bemerken hatte die junge Frau jedoch nicht, denn nachdem er nun auf dem Bett saß und Lena neben sich spüren konnte, kehrte wieder leben in den jungen Katalanen und er sah die Deutsche aus tränenverschmierten Augen heraus an und flüsterte leise, was mehr zu sich selbst als zu ihr: „Was machst du hier?“ „Wonach sieht es denn aus, Pequeño?“ „Es sieht so aus, als wolltest du mit mir reden. Was aber absolut absurd ist nachdem, was ich getan und was ich gesagt habe.“ Lena konnte sehen, wie Bojan bei der Erinnerung daran noch ein kleines bisschen mehr zusammensackte und versuchte ein Stück von ihr abzurücken. Das wollte die junge Frau aber unter gar keinen Umständen zulassen und deswegen griff sie kurz entschlossen nach seiner Hand und drückte sie leicht. Ungläubig sah Bojan sie aus seinen großen, dunklen Augen an. „Und was ist, wenn es doch so wäre? So absurd du es vielleicht finden magst. Wärst du dann bereit mit mir zu reden?“ „Si, naturalemente. Ich- ich, Lena, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll mich zu entschuldigen.“ Es war einfach unmöglich bei diesem unsicheren, nervösen Gestammel und diesem trotzdem zugleich so unglaublich hoffnungsvollen Blick hart zu bleiben und so legte Lena ihren Arm locker um Bojans Schultern, um ihm zu zeigen, dass er ganz normal mit ihr sprechen konnte. „Wie wäre es, wenn du mit einer einfachen Entschuldigung anfangen würdest, hm?“ Verdutzt schaute Bojan zu Lena, sein Gesichtsausdruck ähnelte vermutlich dem eines Huhnes, wenn es donnerte und Lena hatte Mühe sich ihr Lachen zu verkneifen. „Perdona, Lena. Wirklich. Ich hätte all diese Dinge niemals zu dir sagen dürfen und ich hätte dich auch niemals schlagen dürfen, aber ich war so wütend in diesem Augenblick, als ich dich da in inniger Umarmung mit diesem fremden Mann gesehen habe. So unbeschreiblich wütend, da sind mir ein paar Sicherungen durchgebrannt.“ Einen kurzen Moment stutzte Lena und versuchte sich die Szene vor Bojans Auftauchen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Sie hatte am Büffet gestanden, zusammen mit Per, Clemens und natürlich ihrem Bruder, aber von welchem fremden Mann und von welcher Umarmung sprach Bojan da? Ihr Zögern schien auch dem jungen Katalanen aufgefallen zu sein, der sie jetzt, so wie er hoffte, unauffällig von der Seite her ansah. Und da fiel es Lena wie Schuppen von den Augen, jetzt wusste sie wieder, welche Szene Bojan gesehen und so fürchterlich missverstanden haben musste. „Ach Bojan, wenn du mir nur eine Chance gegeben hättest mich zu erklären, dann wäre es nie soweit gekommen.“ „Nicht?“ Man hörte dem Spieler an, dass er seine Zweifel hatte. Er konnte sich einfach keine Erklärung vorstellen, die in diesem Augenblick seine Wut gemindert und seine Enttäuschung über den schändlichen Verrat der jungen Frau gedämpft hätte. „Nein. Aber wahrscheinlich lag es wieder an meiner Geheimniskrämerei, dass du das alles so missverstanden hast. Weißt du, ich habe Lionel doch den Brief geschrieben, in dem ich euch mitgeteilt habe, dass ich in Deutschland bei meinem großen Bruder bin, oder?“ Bedächtig nickte Bojan, immerhin erinnerte er sich noch sehr gut an die wenigen Zeilen, die allein an ihn gerichtet gewesen waren. Nur einen kurzen Blick hatte er auf sie werfen dürfen, bis Lionel den Brief wieder wie einen Schatz verpackt und in die Tasche gesteckt hatte. „Der Mann, den ich heute am Büffet umarmt habe, war mein großer Bruder. Er hat mich hierher mitgenommen. Seinetwegen bin ich überhaupt hier in München.“ „Das stimmt nicht, ich habe den Spieler erkannt, den du umarmt hast und das war Torsten Frings!“ Aufgewühlt darüber, dass Lena ihn mit einer so leicht durchschaubaren, platten Lüge abspeisen wollte, war Bojan aufgestanden und stand nun vor der Blondine, die ihn beruhigen wieder an ihre Seite zog. Widerwillig leistete er Folge, weil er doch wissen wollte, welche Erklärung sie nun aus dem Hut zaubern würde, auch wenn das sonst gar nicht ihre Art war. „Naturalemente, Bojan. Leuchtet es nicht ein, dass Lena Frings die kleine Schwester von Torsten Frings ist?“ Ungläubig starrte der Katalane die Deutsche an. Was sie sagte, ergab Sinn. Damals, als sie sich kennen gelernt hatten, hatte er sie immer nur mit ihrem Vornamen angesprochen, weil ihr alles andere komisch vorgekommen wäre, hatte sie gesagt, und das hatte sich in den vergangenen Jahren niemals geändert. Wieso auch? Er kannte Lena seit er in die Pubertät gekommen war, sie war seine Vertraute und Freundin, diese Menschen sprach man nicht mit Nachnamen an. Aber man hätte ihn doch wissen sollen, flüsterte da eine leise Stimme in seinem Hinterkopf und Bojan erkannte, dass er sich nie gefragt hatte, wie seine Lena wohl mit Nachnahmen hieß. „Doch, irgendwie schon.“ „Nicht nur irgendwie, sondern definitiv. Aber das konntest du vermutlich nicht wissen, weil du mich nie nach meinem Nachnamen gefragt hast. Und selbst wenn, dann wäre er dir in diesem Augenblick sicherlich nicht eingefallen, so dass du eins und eins hättest zusammenzählen können um auf zwei zu kommen.“ Betreten nickte Bojan. Er konnte das, was sie gesagt hatte, nicht bestreiten, in seiner Wut hätte ihn auch dieses Wissen nicht besänftigt, viel zu aufgepeitscht war er gewesen von den Worten seines Mitspielers. Mittlerweile schämte er sich dafür, dass er sich von seinen Gefühlen und Eindrücken hatte leiten lassen und nicht zuerst ausgiebig mit Andres oder Carles darüber gesprochen hatte. Sie hätten ihm das Ganze bestimmt erklären können, bevor er Lena so verletzt hätte, aber nachdem sie seine Geschichte bestätigt hatten, hatte er einfach nur noch rot gesehen und kein Interesse mehr an Erklärungen gezeigt. „Es tut mir wirklich, aufrichtig Leid, Lena. Ich habe eher den infamen Lügen der anderen über dich geglaubt als dir vertraut. Ich weiß nicht, wie ich das wieder gut machen soll. Ich weiß es wirklich nicht.“ Verzweifelt stützte Bojan den Kopf in die Hände, zum einen, weil er Lena den Anblick seines Gesichts ersparen wollte und zum anderen, damit sie seine Tränen der Verzweiflung nicht sehen konnte. Er wollte stark wirken, schließlich war er kein kleiner Junge mehr, auch wenn er im Augenblick nichts lieber getan hätte als an ihrer Schulter zu weinen und sie um Vergebung anzubetteln. „Ich glaube nicht, dass es so einfach ist das alles wieder „gut“ zu machen, Bojan. Auch wenn ich dir wirklich verzeihen und dich verstehen will, du hast mich mit deinen Worten tiefer verletzt als du es mit deiner Ohrfeige jemals gekonnt hättest. Meine Nase kommt schon wieder in Ordnung, sie wird für ein paar Tage wehtun und es wird einen blauen Fleck geben, aber dann ist auch gut. Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie weh das tut, wenn jemand, den du eigentlich für deinen Freund gehalten hast, dir auf einmal all die Vorwürfe ins Gesicht schreit, mit der auch die Presse meinen Ruf und vor allen Dingen mein Leben torpediert. Ich habe gelernt, dass die Menschen vergessen werden, was du zu ihnen gesagt hast. Sie werden vergessen, was du ihnen angetan hast, aber sie werden niemals vergessen, was du sie hast fühlen lassen. Und damit meine ich nicht den körperlichen Schmerz, sondern den seelischen.“ Lena fand es mit einem mal unheimlich schwer ihre Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen. Es fiel ihr schwer Bojan zu sagen, was für Wunden seine abscheuerfüllten Sätze gerissen hatten und mit welchen Erinnerungen sie sich urplötzlich wieder konfrontiert sah, trotzdem versuchte sie ihr Bestes. „Ich hätte mich niemals dazu hinreißen lassen dürfen mit ihm über dich zu diskutieren, aber ich habe es einfach nicht ertragen, wie er solche abwertenden Dinge über dich zu den anderen sagen konnte. Es war widerlich. Und wie sie alle gelacht haben. Abscheulich. Ich bin halt nicht wie Leo, ich kann nicht einfach so tun, als würde ich all das nicht hören. Ich kann es nicht!“ Es schwang wieder Wut in Bojans Worten mit und mittlerweile hatte er seinen Kopf von den Händen genommen und sah Lena an. Oder eher in ihre Richtung, denn sein Blick ging eigentlich starr an ihr vorbei gegen die Wand. So als könnte er sie nicht ansehen während er erzählte, was ihn so unheimlich wütend gemacht hatte, dass er die Kontrolle verloren hatte. Und ein deutlich raus zuhörender Vorwurf an Lionel, der genau das tat, worum Lena ihn gebeten hatte: Schweigend das Gerede zu erdulden und sich mit niemanden in die Worte geben. „Er hat gesagt, er hätte eine Affäre mit dir. Nicht nur eine Nacht, sondern mehrere Jahre! Er hat erzählt, wie ihr euch nach den Spielen getroffen habt um miteinander zu schlafen und er hat darüber spekuliert, mit wie vielen anderen du wohl noch-“ Bojan brach ab und ballte seine Hände zur Faust, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Am liebsten wäre er jetzt nach unten gestürmt und hätte ihm für diese widerlichen Worte bezahlen lassen, doch es war bei weitem wichtiger mit Lena zu reden, als seiner Wut erneut freien Lauf zu lassen. „Und weißt du, was das schlimmste war? Ich habe ihm nicht geglaubt, habe ihm gesagt, dass du so etwas niemals tun würdest, weil du nicht wie die anderen bist. Weil du was Besonderes bist. Und dann habe ich Andres und Carles aufgefordert mir zu zustimmen, weil sie das ja auch wissen mussten, aber sie haben es nicht getan. Sie haben mir gesagt, dass er Recht hat. Dass ihr wirklich-“ Wieder konnte der Katalane nicht weiter sprechen. Tränen glitzerten in seinen Augen und diesmal vermochte Lena den Impuls ihn zu umarmen nicht zurück zu halten. Sanft zog sie ihn in die Arme und hielt ihn nur fest, während er leise schluchzte. „Und dann bin ich zu dir, habe dich dort in inniger Umarmung mit einem anderen Mann gesehen und da habe ich all diese schrecklichen Sachen gesagt, von denen ich jetzt natürlich weiß, dass sie alle gelogen sind. Es tut mir so Leid, Lena, so unendlich Leid. Aber ich dachte wirklich, dass Andres und Carles mich nicht belügen würden. Dass sie die Wahrheit wüssten. Aber wahrscheinlich sind sie auch auf seine Lügenmärchen reingefallen.“ Jetzt war der Zeitpunkt, an dem sie Bojan reinen Wein einschenken musste, doch Lena wollte nicht. Sie wollte ihrem kleinen Mann nicht seine Illusionen rauben. Noch glaubte er, dass Menschen entweder schwarz oder weiß waren und diesem Glauben würde er vermutlich mit ihren Worten endgültig verlieren. Eine Schande. Scheinbar hatte man den heutigen Tag zum „Tag der Wahrheit“ auserkoren und sie irgendwie dazu verdonnert den Menschen, die ihr nahe standen, eine unangenehme Wahrheit über sich zu beichten. Und da hatte sie weiß Gott genügend Auswahl, auch wenn sie es sich nicht gern eingestand. „Nein, das sind sie nicht, Pequeño, denn das, was er gesagt hat, ist wahr. Oder zumindest ein Teil davon.“ Lena hatte die Augen geschlossen, damit sie Bojans Gesichtsausdruck nicht sehen musste, und kniff die Lippen zusammen, weil sie sich auf eine wütende Tirade gefasst machte, doch der Katalane brachte nur ein einziges Wort heraus: „Nein.“ „Doch. Ich habe vor längerer Zeit eine lockere Affäre mit ihm angefangen. Wir haben uns in einer Bar kennen gelernt und uns gut verstanden. Zu dem Zeitpunkt wussten wir nur noch nicht, wer der jeweils andere war. Nachdem wir es dann wussten, hat es uns trotzdem nicht davon abgehalten uns hin- und wieder miteinander zu treffen. Wir haben zusammen gekocht, gelacht, uns filme angesehen und ja, wir haben auch miteinander geschlafen. Unsere Treffen waren immer ein paar Stunden Urlaub von der Realität, Urlaub vom Vernünftigsein und Regelnbefolgen. Sobald wir zusammen waren, ging es darum, dass wir einander gezeigt haben, wie man wieder fühlt.“ Einen Augenblick schwieg Lena um zu testen, wie gut Bojan bisher die Nachricht aufgenommen hatte, doch von dem jungen Mann kam kein Sterbenswörtchen. „Jemand, der nicht weiß, wie es ist, wenn einem das Herz so gebrochen wird, dass man glaubt nie wieder überhaupt etwas fühlen zu können, kann dieses Handeln wahrscheinlich nicht nachvollziehen. Und ich kann es dir auch nicht erklären, ich hoffe einfach, dass du mir glaubst wenn ich dir sage, dass es einfach nötig war. Nötig für mich. Wenn nicht mit ihm, dann vermutlich mit einem anderen. Für mich hat es zum Heilungsprozess dazu gehört. Es ist nicht leicht nach so einer Enttäuschung und nach diesem Schmerz wieder eine normale Beziehung zu führen, wieder Vertrauen zu fassen, sich rückhaltlos fallen zu lassen und weil ich dafür noch nicht bereit war, habe ich mir etwas andere, etwas Ähnliches zum „Üben“ gesucht. Um mich wieder ran zu tasten mit einem Mann, der ebenfalls keine Erwartungen an das, was wir hatten, gestellt hat. Welche wirklichen Gründe er für unsere Affäre hatte, kann ich dir nicht sagen, aber ich denke mal, dass sie ähnlich aussehen werden, auch wenn er das niemals laut sagen würde.“ Lena konnte sehen, wie es hinter Bojans Stirn arbeitete, wie er wirklich versuchte ihre Worte zu verstehen, sie nachzufühlen und zu begreifen, wieso sie sich für diesen Schritt entschieden hatte, doch Lena war klar, dass es nicht so leicht sein würde für ihn. „Wieso hast du nie davon erzählt? Warum musste ich es so erfahren?“ „Keine Ahnung. Als es angefangen hat, habe ich es Lionel, Andres und Carles erzählt. Sie wussten bescheid und haben es akzeptiert. Es blieb ihnen irgendwie auch nichts anderes übrig, aber na ja. Es ist mein Leben und das haben sie eingesehen. Und Menschen machen nun mal Fehler oder treffen fragwürdige Entscheidungen. Ich kann dir sagen, dass sie mir alle davon abgeraten habe, aber so wie du musste ich auch meine eigenen Fehler machen. Man lernt halt nicht, dass Feuer heiß ist ohne es mal anzufassen.“ Ein schweigendes Nicken war Bojans einzige Antwort. Was hätte er auch sagen sollen? Lenas Worte hatten ihm deutlich gemacht, dass, was auch immer Lena getan hätte, er kein Recht hatte sich in ihr Leben einzumischen. Es war wie gesagt ihr Leben und es waren ihre Entscheidungen und wer war er um sie dafür zu verdammen? Sie hatte ihre Gründe und wenn Lionel in der Lage war sie zu verstehen und ihr trotzdem noch ins Gesicht zu sehen, dann würde er es auch können. „Pequeño, bitte sieh mich nicht so an.“ „Aber wie schaue ich dich denn an?“ „So, als hätte ich gerade den Weihnachtsmann getötet. Und das stimmt nicht. Du hast mich auf ein Podest gestellt, auf dem ich niemals stehen wollte. Weil ich dort nicht hingehöre. Ich gehöre weder in einen Rahmen noch auf ein Podest. Ich habe nämlich ziemliche Höhenangst und weiß genau, dass der Fall tief und schmerzhaft wird. Für dich wie für mich. Also lassen wir es lieber, ja? Ich bin auch nur eine Frau, die Bedürfnisse hat und Fehler macht, so wie jeder andere Mensch auch. Und falls es dich interessiert: Das ist es, was Lionel davor bewahrt hat auszurasten. Er kennt meine Fehler und ich kenne die seinen, wir stehen uns auf Augenhöhe gegenüber und keiner muss zu dem anderen hoch schauen. Das hilft, glaub mir.“ Aus dem Gefühl heraus nahm Lena Bojan in den Arm und wiegte ihn langsam hin- und her, während sie ihm über den Rücken streichelte. Sie ließ ihn weinen und schluchzen, weil sie wusste, wie schwer diese Lektion für ihn sein musste. Wie er sich in diesem Augenblick fühlen musste. Doch es gab nichts, was sie noch für ihn tun konnte, also blieb sie still und war einfach nur für ihn da und gab ihm Nähe und Wärme, auch wenn es nicht das war, was er sich wünschte, so war es doch besser als nichts. Nur langsam beruhigte der Katalane sich und seine Atemzüge wurden regelmäßige. Mit einem Lächeln erkannte Lena, dass das Weinen ihn so erschöpft hatte, dass er eingeschlafen war. Vorsichtig legte sie seinen Oberkörper zurück und hievte auch seine Beine nach oben. Sie zog ihm die Schuhe aus und deckte ihn liebevoll mit der Hotelbettdecke zu, damit er nicht fror. Es waren auch diese kleinen Gesten, die sie selbst wieder mehr zur Ruhe kommen ließen und schließlich beugte sie sich ganz leicht zu ihm hinunter, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und sagte leise: „Die Liebe kommt zu denen, die immer noch hoffen, obwohl sie enttäuscht wurden, zu denen, die immer noch glauben, obwohl sie verraten wurde, zu denen, die Liebe brauchen und zu denen, die immer noch lieben. Sie wird also auch zu dir kommen, Pequeño, auch wenn ich dir heute habe wehtun müssen.“ Leise wollte Lena aufstehen und sich auf den Weg machen, als sie eine Gestalt im Türrahmen sah und erstarrte. Ganz lässig lehnte er an der Wand und beobachtete jede ihrer Bewegungen und sie hatte keinen Zweifel daran, dass er zumindest ihre letzten Worte gehört hatte. „Wie lange stehst du schon da?“ „Lange genug um alles gehört zu haben.“ To be continued Torsten ist ein liebevoller, fürsorglicher Bruder, der seine kleine Schwester wirklich über alles liebt. Sonst hätte sie vermutlich nicht gegen seine eigene Überzeugung gehen lassen. Und vielleicht hat er ja auch ihre Philosophie über die Freunde verstanden… Wer weiß? Ein klärendes Gespräch zwischen Bojan und Lena musste einfach sein, ich konnte die beiden nicht so im Streit auseinander gehen lassen, denn seien wir mal ehrlich: Es passt weder zu Bojan noch zu Lena, auch wenn sie ihm eingesteht, wie sehr er sie getroffen hat. Allein schon mit seinen Worten und ich bin tatsächlich der Meinung, dass man das gesagte und getane im Laufe der Jahre vergisst, aber niemals die Gefühle, die diese Menschen ausgelöst haben. Und so ist es auch bei Lena und Bojan, sie haben beide ein großes Herz und Charakter genug sich für ihre Fehler entschuldigen zu können und diese Stärke wollte ich in diesem Kapitel demonstrieren. Der Katalane gleicht eher einem Häufchen Elend, so wie er vor Lena an der Tür steht und irgendwie ist er auch ein wenig langsam bei Lenas Ausführungen zu ihrem Bruder Torsten, aber nach dem emotionalen Stress sollte man nachsichtig mit ihm sein, finde ich. Dasselbe gilt für seine mehr oder weniger deutlichen Vorwürfe an Lionel, der ja eigentlich nur tut, was Lena von ihm verlangt, deswegen bin ich der Meinung, dass diese Wut ungerecht ist, aber niemand hat je behauptet, dass es im Laben fair zugeht… Und wenn man verliebt ist, sieht an manche Dinge vielleicht doch etwas anders. Man möchte nicht hören, dass diejenige, in die man verliebt ist, gar nicht auf diesem Podest stehen will, dass sie genauso menschlich ist wie alle anderen auch. Bojan lernt diese Lektion langsam und es tut weh, aber hinterher wird es hoffentlich besser, wenn er begriffen hat, dass man einem Menschen nur schadet, wenn man ihn so erhöht. An das, was Lena zu Bojan über die Liebe gesagt hat, glaube ich ganz fest, weil es einem Hoffnung gibt. Vielleicht seht ihr es ja ein bisschen so wie ich. Und im nächsten Kapitel werden dann Identitäten enthüllt, auf die ihr sicherlich alle schon sehr lange wartet und über die recht viel spekuliert wurde… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)