Der Feuerhahn von Deathcrumb ================================================================================ Kapitel 1: Erinnerungen können… ------------------------------- Eine neue Geschichte von mir, die wieder in der Ich-Perspektive geschrieben ist und in die ich einige persönliche Erinnerungen hab einfließen lassen^^ Nun denn... ________ Es war Abend. Ich kam mit meiner Tochter, die ich von der Schule abgeholt hatte, nach Hause. Sie nahm mit Mühe ihre Tasche von ihrem kleinen Rücken und stellte sie auf dem Boden ab. Gedankenlos stellte ich ihr, wie gewohnt, die tägliche Frage: „Hausaufgaben?“ –„Nur eine. Malen.“ – „Was sollt ihr malen?“ – „Einen Hahn, den Hahn des portugiesischen Königs(*).“ – „Wessen Hahn?“ – „Den Hahn des portugiesischen Königs. Kennst du den König von Portugal nicht?“ – „Nein.“ – „Seinen Hahn kennst du auch nicht?“ – „Nein, ich kenne ihn nicht.“ Meine Tochter, gerade erst sechs Jahre alt, zog die Augenbraue hoch und sah mich so verständnislos an, als sei es das Normalste der Welt, den König von Portugal und den Hahn des portugiesischen Königs zu kennen und als sei ich der einzige Mensch, der diesen Hahn und diesen König nicht kenne. „Unsere Lehrerin hat uns das Märchen des Königs erzählt“, sagte meine Tochter und begann mit einer kurzen Zusammenfassung. „In Portugal hat es früher einen bösen König gegeben. Eines Tages, während des Mittagsessen, brachten seine Soldaten einen jungen Mann zu ihm. Obwohl der Mann unschuldig war, verurteilte ihn der König zum Tode. „Ich bin unschuldig“, schrie der junge Mann. Der König ließ einen Moment vom Essen und Trinken ab, sah den jungen Mann böse und verwundert an und fragte: „Wie kannst du deine Unschuld beweisen?“ Der junge Mann blickte hilflos um sich und entdeckte den gegrillten Hahn, der auf dem Tablett vor dem König lag. Er rief: „Wenn dieser Hahn, den Ihr gerade esst, wieder lebendig wird und zu fliegen beginnt, werdet Ihr dann an meine Unschuld glauben?“ Der betrunkene König betrachtete spottend den Hahn. Doch auf einmal bewegte sich der Hahn auf dem Tablett. Die Federn und die Flügel wuchsen ihm nach, er wurde wieder ein schöner Hahn; er erhob sich in die Höhe und stellte sich dann neben das Tablett.“ Meine Tochter fuhr fort und erzählte, wie sich alle auf den ungerechten König stürzten und wie... Den Rest der Geschichte konnte ich mir schon ausmalen und war längst am Höhepunkt und Ende des Märchens angelangt: Ein gegrillter Hahn wurde wieder lebendig, Federn und Flügel wuchsen ihm nach und er stand quicklebendig neben dem Tablett... Das Gesicht meiner Tochter war vor lauter Aufregung gerötet, sie atmete schwer und schien regelrecht von der Geschichte verzaubert. Ich erinnere mich nicht mehr, wie lange wir still blieben. Meine Tochter schaute mich die ganze Zeit ruhig an, sie forschte in meinen Augen nach der Wirkung ihrer Geschichte und wartete darauf, dass ich etwas sagte. Ich aber war sprachlos. Die Geschichte hatte mich fasziniert und ich war verstummt. „Die Geschichte ist schön, nicht wahr? Hat sie dir gefallen?“, fragte sie. „Ja, sehr“, antwortete ich. Froh und zufrieden eilte sie zu ihrem Zimmer und ich hörte sie noch rufen: „Unsere Lehrerin hat gesagt, dass wir diesen Hahn malen sollen.“ Für einen Moment stand ich allein und ziellos im Flur. Dann ging ich, wie vorprogrammiert, zur Küche, und wie jeden Abend, wie an allen Abenden, nahm ich den Topf, schaltete den Herd an und, wie jeden Abend, wie alle anderen Abenden, versank ich in den eintönigen Küchengeräuschen. Aber das Märchen des portugiesischen Königs hatte mich sehr ergriffen. Mir war, als gehören mir meine Hände nicht, als arbeiteten sie von selbst. Ich war im Märchen meiner Tochter eingetaucht, in dem es jemand geschafft hatte, seine Unschuld mit viel Fantasie und Pracht zu beweisen. Und ich stellte mir den diktatorischen König vor, wie er mit der Krone auf dem Kopf auf einem Thron saß, einen König, der seine letzten menschlichen Werte, von denen er ohnehin nicht viel besessen hatte, in seinem ständigen Alkoholrausch endgültig ertrunken hatte. Einen König, aus dessen stinkenden Mundhöhle nur üble Beschimpfungen, einem Schwall Wasser ähnlich herausquellen. Ich wurde traurig, denn ich musste daran denken, dass meine Umgebung, dass die ganze Welt voller Herrscher ohne Krone und ohne Thron war, aus deren Münder wie vergiftete Quellen üble Beleidigungen sprudelten, wie Wasser aus vergifteten Springbrunnen und die Unschuldige an den öffentlichen oder nicht öffentlichen Galgen aufhängten. **** Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit ich gedanklich aus unserer Küche nach Portugal gereist und von dort in die Küche zurückgekehrt war, aber jedes Mal wünschte ich mir einen Hahn, der sich eines Abends auf seinem Teller bewegt, seine Flügel ausbreitet und davonfliegt. Das Wasser im Topf auf dem Herd kochte und lief ein wenig über. Ich rannte hin und stellte die Flamme niedriger. Hastig prüfte ich, ob das Wasser richtig gesalzen war. Ich hatte Angst. Es durfte auf keinen Fall versalzen schmecken, sonst hätte dies einen weiteren Grund für eine Demütigung in meinem ohnehin gänzlich gedemütigten Leben geliefert. **** Ich hörte die Schritte meiner Tochter, die aufgeregt in die Küche stürmte. An der Tür angekommen, sagte sie laut, fast schreiend: „Augen zu! Der Hahn ist da!“ Mit fettverschmierten Händen stand ich bewegungslos da und schloss die Augen. „Augen auf!“, rief sie mit ihrer sanften Stimme. Ich öffnete langsam meine Augen. Das, was ich sah, war unglaublich. Ich war sehr erstaunt, denn sie hatte, obwohl sie noch so klein war, einen wunderschönen Hahn gemalt. Die Flügel waren grün und rot gefärbt – dunkelgrün, hellgrün, dunkelrot, hellrot, Mischungen aus grün und rot - in verschiednen Farbtönen. Ich betrachtete den Hahn aufmerksam und es kam mir vor, als ob ich ihn schon einmal irgendwo gesehen hätte. Meine Tochter stand noch immer vor mir an der Küchentür, hielt das Blatt wie ein Transparent hoch über dem Kopf und wartete auf ein Lob von mir. Ich wusch meine Hände und ging auf die Knie, so dass ich ihr direkt in die Augen schauen konnte: „Augen zu!“, forderte ich sie auf. Sie schloss lächelnd die Augen und ich küsste sie sanft auf die Stirn. Und wie alle Mütter ihre Kinder immer wieder loben, lobte ich sie: „Sehr gut, sehr sehr gut.“ Meine Tochter war sehr stolz und lief zurück in ihr Zimmer. Da war ich wieder in meiner Einsamkeit, umgeben von Töpfen, Schüsseln, Gewürzen... Wieder kam mir der Gedanke, dass ich jenen Hahn bereits irgendwo gesehen hatte. Wie war das möglich? Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Ich war mit allen meinen Gedanken bei dem Hahn und fragte mich, warum er mir so bekannt vorkam. Ich versuchte, den Hahn zu vergessen. Aber ich merkte, dass, woran ich auch dachte, sich meine Gedanken immer wieder um ihn drehten. Ich weiß nicht wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Auf einmal bemerkte ich, dass sich etwas in meinem Kopf bewegte. Ein farbloser Hahn kam aus dem weit entfernten Erinnerungen, aus der Tiefe meines Unterbewusstseins an die Oberfläche geflogen. Allmählich bekam er Farbe, grün und rot gefärbt – dunkelgrün, hellgrün, dunkelrot, hellrot, Mischungen aus grün und rot - in verschiedenen Farbtönen. Diesen Hahn hatte ich selbst gemalt. Für einen Moment schien es mir, als wäre ich samt Küche und all den Dingen darin in eine tiefe Traurigkeit versunken. Denn mein Hahn hatte nicht die Kraft und die Fähigkeiten seines portugiesischen Ebenbilds besessen. _________ (*) Diese Geschichte lässt sich nicht auf Wikipedia oder auf ähnlichen Seiten finden, zumal es nur eine reine Erfindung von mir ist, bzw. nicht direkt von mir, da ich zum Teil die Geschichte von meiner Mutter erzählt bekommen habe x) Danke für's lesen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)