Abenteuer an der Pokémon Akademie von Taja ================================================================================ Kapitel 10: Neue und alte Bekannte ---------------------------------- Während ihre Klassenkameraden in mehreren Gruppen das Gelände erforschten, schlenderte Taja derweil ganz allein durch den Garten. Doch das machte ihr dieses Mal überhaupt nichts aus. Im Gegenteil, es war ihr sogar sehr recht, denn so sah niemand das befreite Lächeln auf ihrem Gesicht. Umgeben von so viel Grün fühlte sich das Mädchen einfach wohl. Pflanzen und Pokémon waren einfach so viel unkomplizierter als Menschen, da fiel es ihr nicht schwer, sich einmal völlig zu entspannen. Entgegen der weitläufigen Meinung Pflanzen seinen langweilig, fand Taja es äußerst spannend die verschiedenen Formen der ganzen Gewächse zu bestaunen. Besonders hier, im gigantischen Tropenhaus, grünte alles unglaublich üppig. An den Wänden des Glashauses, waren in verschiedenen Höhen begehbare Plattformen angebracht, sodass man sogar die verschiedenen Etagen dieses Dickichts erkunden konnte, denn die Bäume, die hier dicht wuchsen, ragten mehrere Meter in den überdachten Himmel. Dazu das feuchtwarme Klima. Taja fühlte sich wirklich fast wie im Urwald. Das Sonnenlicht, dass durch die hohe Glaskuppel brach, tauchte die großen Blätter in geheimnisvoll grüne Farbspiele. Ein leises Rascheln machte die sonst eher stille Umgebung lebendig. Diese Atmosphäre war einfach nur wundervoll. „Ah, da bist du ja.“ Eine kleine unscheinbare Pflanze hatte Tajas Aufmerksamkeit erregt. Die kleinen grün-rot panaschierten, herzförmigen Blätter lugten gerade so unter einem imposanten Wedel hervor. Hätte Taja nicht auf Grund ihres Aufgabenblattes nach ihr gesucht, hätte sie das Pflänzchen wohl übersehen. Dabei sah es wirklich sehr hübsch aus und laut der Informationen auf dem Namensschild, war es auch sehr nützlich, denn es linderte Schwellungen und Entzündungen bei Pokémon und Menschen. Das Mädchen las sich die Erklärungen durch und notierte sich alles sorgfältig. Dann strich sie liebevoll über die Blätter der Pflanze: „Du bist ein tolles Pflänzchen, schade, dass du so im Schatten wächst.“ Für einen Moment war Taja versucht, den beschattenden Wedel einfach abzubrechen, doch dann erinnerte sie sich daran, dass Pflanzen immer an ihren Standort angepasst waren. Vielleicht gehörte dieses Gewächs einfach in den Schatten. Also ließ sie alles, wie es war. „Wachs schön weiter, Kleines. Irgendwann wirst du mal jemanden helfen.“, ermutigte Taja die Pflanze und störte sich dabei überhaupt nicht daran, dass viele fanden, dass es idiotisch war, mit Grünzeug zu reden. Doch sie kannte wohl genauso viele Menschen, bei denen es ebenso sinnfrei war, auch nur ein Wort mit ihnen zu wechseln. Und Pflanzen hatten zumindest den Vorteil, dass sie keine Widerworte gaben. Gedankenverloren schlenderte Taja weiter. Eine Pflanzen galt es noch zu finden, doch da sie genügend Zeit hatte, bleib sie noch hier und da stehen um sich ein paar zusätzliche Notizen zu machen. Eins war ihr jetzt schon klar, der Garten war ein Ort, an dem sie sich sicher öfter aufhalten würde. Es herrschte so eine friedliche Atmosphäre. Alles war so wundervoll still, nur ein leises Rascheln der Blätter begleitete ihren Weg. Ein Rascheln, dass nur wenig später unerwarteter Weise immer lauter wurde. Etwas verwundert blieb Taja stehen und lauschte den Geräuschen. Anscheinend kam da etwas durch das Gebüsch und zwar direkt auf sie zu. Noch bevor die Schülerin reagieren konnte, schoss etwas aus dem Blattdickicht hervor. Keine Sekunde später wurde sie von einem beigen Ball zu Boden geworfen. Während sie ziemlich unsanft auf ihrem Hinterteil landete, griff Taja instinktiv nach ihrem Angreifer. Das wild zappelnde Etwas in ihren Armen machte es nicht gerade einfach sich wieder aufzurichten. „Hey, hey, beruhige dich.“, sprach sie die zitternde Kugel an. Plötzlich wurde es ruhig in ihren Armen. Dafür drehte sich das ballonartige Wesen leicht nach oben, sodass ein Gesicht zum Vorschein kam, das sie grimmig anstarrte: „Knilz!“ Das Pokémon schien nicht unbedingt begeistert davon, festgehalten zu werden. Da Taja keine Lust verspürte, von einer Stachelsporen-Attacke außer Gefecht gesetzt zu werden, wollte sie das wilde Pokémon gerade auf den Boden absetzen, als ein Ruf sie inne halten ließ. „Knilz, wo bist du?“, schallte es durch das Dickicht. Das Rascheln der Blätter wurde wieder lauter und nur einen Augenblick später brach eine Gestalt durch das Geäst. Als sie stehen blieb, konnte Taja einen Jungen ausmachen, der nicht viel älter als sie selbst schien. Als er bemerkte, dass Knilz an seiner Flucht gehindert wurde, hielt er ebenfalls inne. Keuchend stützte er sich auf seine Knie und versuchte erst mal wieder richtig Lust zu bekommen. Sein hochrotes Gesicht ließ vermuten, dass er sich gerade ziemlich angestrengt hatte. In dieser Position verharrte er einige Augenblicke lang. „Ist alles in Ordnung bei dir?“, erkundigte sich Taja besorgt, denn ihr Gegenüber starrte auf den Erdboden und hatte immer noch keinen Ton von sich gegeben. „Oh ja, alles ok. Ich bin bloß ziemlich außer Puste. Ich jage Knilz jetzt schon seit ner halben Stunde hinterher. Echt, tausend Dank, dass du es geschnappt hast.“ Er lächelte sie dankbar, aber etwas gequält an. „Ehm, das war eigentlich nur Zufall. Es ist mir praktisch in die Arme gelaufen.“, erklärte Taja verlegen. „Egal, ich bin nur froh, dass es aufgehört hat zu rennen. Noch einen Meter weiter und ich wäre umgekippt.“ Zur Verdeutlichung seiner Aussage ließ er sich ins Gras fallen. Er schien wirklich völlig erschöpft. In Anbetracht seiner etwas fülligeren Gestalt, war das wohl auch kein Wunder, wenn er tatsächlich schon so lange gelaufen war. „Darf ich fragen, warum du Knilz gejagt hast?“, erkundigte sich Taja zaghaft. Ihr war noch nicht ganz klar, was sich hier gerade abspielte. „Ach, das is ne lange Geschichte. Wenn ich wieder Luft hab, erzähl ich sie dir.“, brachte der Gefragte schnaufend hervor. Taja verstand die Aufforderung und ließ sich schweigend neben ihm nieder. Das Pflanzenpokémon in ihren Armen hatte sich wieder beruhigt, also setzte sie es vorsichtig auf den Boden. Es schaute etwas argwöhnisch, als der Junge seine Hand nach ihm ausstreckte und kurz leicht über den Pilzkörper fuhr. Das Pokémon zuckte etwas zusammen, ließ es aber zu. Die beiden schienen sich demnach zu kennen. Während er sich mit dem Pokémon befasste, musterte ihn Taja kurz. Unter einer leuchtend grünen Gärtnerschürze, die sich um seinen Laib spannte, lugten ein einfaches T-Shirt und ausgewaschene Jeans hervor, die wirklich schon mal bessere Tage gesehen hatten. Seine etwas längeren blonden Haare waren auch nicht unbedingt frisch gekämmt und hier und da waren ein paar braune Flecken auf der Haut zu sehen. Vermutlich hatte er mit Erde zu tun gehabt. Bis auf seine ziemlich eng zusammenstehenden blauen Augen im leicht kantig wirkenden Gesicht, gab es nichts weiter besonders Auffälliges an ihm, sodass Taja ihre Aufmerksamkeit eher dem ebenfalls rundlichen Pokémon zuwendete. Es hatte sich offensichtlich gefasst und schaute auch etwas versöhnlicher. „Ok, jetzt geht’s mir wieder besser. Also erst mal, ich bin Mike. Danke noch mal für deine Hilfe.“, eröffnete der Junge das Gespräch. Ihr Gegenüber machte einen netten Eindruck. „Freut mich, ich heiße Taja. Kein Problem, war ja nichts weiter.“, stellte sich das Mädchen ebenso vor. „Na für mich schon. Ich hätte mir noch die Füße wund gelaufen, bevor ich Knilz erwischt hätte. Warum es auch immer so ne Panik machen muss?“, seufzte Mike. „Was ist denn nun eigentlich passiert?“, hakte Taja nun neugierig nach. „Na ja, weißt du, ich habe Knilz noch nicht sehr lange und deshalb sind wir noch nicht ganz so dicke miteinander. Und leider ist Knilz auch ziemlich schreckhaft und kriegt bei jeder Kleinigkeit die große Panik. Deshalb habe ich erst im Garten Sedaruskraut holen wollen. Dessen ätherische Öle lassen Pokémon nämlich friedlicher werden. Aber als ich was davon abschneiden wollte, habe ich dummerweise eine Gießkanne umgestoßen. Tja, und wegen dem lauten Scheppern hat Knilz die Krise bekommen und ist wie angestochen ne halbe Ewigkeit kreuz und quer durch den ganzen Garten gejagt. Da ich nun mal nicht der Schnellste bin, hab ich es einfach nicht wieder zu fassen bekommen.“, gab der Junge verlegen zu. „Na dann bin ich ja froh, dass ich zufällig hier lang gekommen bin.“, erwiderte Taja schmunzelnd. „Und ich erst. Wenn du es nicht aufgehalten hättest, wäre Knilz wohl jetzt über alle Berge und ich hätte ein Pokémon weniger.“, meinte Mike dankbar lächelnd. „Soweit ist es ja zum Glück nicht gekommen.“ „Wäre auch schade, denn es hat mich schon einiges an Rennerei gekostet Knilz zu fangen.“ Die Erinnerung daran brachte ihn zum Lachen. „Es ist wohl flinker, als es im ersten Moment aussieht.“ Taja betrachtete das Pilzpokémon näher. Es war so rund und hatte nur ziemlich kurze Beine, sodass es nicht unbedingt den Eindruck machte, besonders schnell zu sein. Aber Sakura sah auch total niedlich aus und in Wahrheit... „Ja, das stimmt, besonders wenn es in Panik gerät. Es ist schnell, aber ein kleiner Angsthase.“, gab der Junge grinsend zu. „Und dieses Kraut, das du erst erwähnt hast, das soll dagegen helfen? Macht es Pokémon wirklich ruhiger?“, lenkte die Schülerin auf ein anderes Thema. „Ja, wenn sie daran riechen, werden viele Pokémon ein wenig zahmer. Es funktioniert fast wie eine Sanftglocke, nur müssen es die Pokémon nicht selber tragen. Man schleppt als Trainer einfach ein paar Blätter mit sich rum und wenn das Pokémon einen Anfall bekommt, zerreibt man sie und lässt es den Duft einatmen. Dann kommen sie sich meist wieder runter.“, erklärte Mike ausführlicher. „Hm, das ist wirklich sehr praktisch.“, murmelte Taja in Gedanken versunken. Natürlich war ihr bei der Beschreibung sofort ihr eigener kleiner Problemfall eingefallen. So ein natürliches Beruhigungsmittel konnte ja nicht schädlich sein und vielleicht war es eine gute Möglichkeit Flemmlis Aggressionen zumindest erst einmal etwas zu mildern, sodass es nicht immer ganz so austickte. „Wäre es denn möglich, ein bisschen was von dem Kraut zu bekommen?“, fragte sie vorsichtig an und fügte dann erklärend hinzu, „Ich habe nämlich auch ein Pokémon, was oft überreagiert und vielleicht könnte ich es somit ein wenig besser unter Kontrolle bekommen.“ Mike dachte kurz nach, machte dann aber ein zuversichtliches Gesicht: „Ich denke, das ist kein Problem. Prof. Achiella wird sicher nichts dagegen haben. Hast du schon dein eigenes Beet?“ An der Art ihrer Schuluniform hatte er erkannt, dass das Mädchen zum neuen Jahrgang gehören musste. Taja bestätigte dies mit Nicken. „Na super, dann kann ich dir auch nen Setzling geben und du ziehst dein eigenes Exemplar, dann hast du immer genügend Vorrat.“, schlug er vor. „Gerne, aber geht das denn so einfach?“ Taja konnte sich nicht vorstellen, dass die Professorin erlaubte, dass die Pflanzen ihres Gartens so einfach verschenkt wurden. „Klar! Weißt du, ich arbeite hier als Hilfsgärtner mit und deshalb hab ich nen guten Draht zur Chefin. Wenn ich ihr sage, dass du mir geholfen hast, wird sie dir das Kraut praktisch hinterher schmeißen.“, prophezeite Mike lachend. Auch Taja musste lächeln: „Na dann nehme ich das Angebot an.“ „Dann komm am besten morgen früh vorbei und ich topf dir was ab, ok? Ich bin eigentlich meistens im Kräutergarten, ansonsten frag einfach irgendjemanden nach mir.“ „Gut. Dann vielen Dank.“, bedankte sich das Mädchen höflich. Aber der Junge winkte nur ab: „Ach was, dafür, dass du mir weitere Kilometer Rennen erspart hast, ist das gar nichts.“ Auf Knilz’ Sportprogramm schien er wirklich keine Lust zu haben. Allerdings rappelte er sich nun wieder auf und holte das Pokémon in seinen Ball zurück. „So, ich muss langsam mal wieder an die Arbeit.“ Auch Taja beendete die kleine Pause: „Ja, ich auch. Vielen Dank noch mal und dann bis morgen.“ „Dir auch, bis morgen.“, verabschiedete sich Mike. Doch kaum, dass sich Taja zum Gehen umwand, fiel ihr noch etwas ein: „Sag mal, weißt du, wo diese Pflanze hier steht?“ Sie zeigte dem jungen Gärtner ihr Arbeitsblatt, auf dem nur noch ein Feld unausgefüllt war. Zwar hatte sie eigentlich vorgehabt alles allein zu erkunden, doch auf Grund des Zwischenfalls mit dem Sporenpokémon, war die Zeit doch fortgeschrittener als geplant. Mike warf einen Blick auf das Bild, überlegte kurz und meinte dann: „Ach klar, die steht im Gebirgsquartier. Komm mit, ich bring dich hin, das liegt auf dem Weg.“ Dankend nahm Taja das Angebot an und ließ sich unterwegs von ihrer neuen Bekanntschaft noch einiges über verschiedene Pflanzen erzählen, sodass sie zum Schluss mehr als zwei Zusatzblätter mit Informationen hatte. Zur der vereinbarten Zeit trudelten langsam alle Schüler der C-Klasse wieder am Springbrunnenplatz ein, an dem Vier von ihnen bereits mit ihrer Lehrerin warteten. Die anderen schienen nichts von dem kleinen Tumult mitbekommen zu haben und Prof. Achiella erwähnte es ebenso mit keinem Wort, als sie ihre restlichen Schüler begrüßte und die mehr oder weniger ausgefüllten Aufgabenblätter einsammelte. „Wunderbar, ich hoffe eure Erkundungstour hat euch gefallen und war auch lehrreich.“ Nur Paula und ihre Freunde verstanden das Zwinkern, das die Lehrerin ihnen zuwarf, bevor sie in ihrem Text fortfuhr: „Nun, da wir alle wieder beisammen sind, machen wir noch einen kleinen Abstecher zur Beerenplantage. Es ist auch nicht weit. Bitte folgt mir.“ Obwohl viele vom Laufen durch den Garten schon ziemlich müde waren, kamen sie der Aufforderung ohne Murren nach. Es dauerte auch wirklich nicht lange, bis ein großes Waldgebiet voller merkwürdiger Bäume und Sträucher in ihre Sicht kam. Während sie an der seltsamen Gewächsen vorbei gingen, fielen ihnen deren Früchte ins Auge, die genauso merkwürdige Formen besaßen. Einige in der Klasse hatten die ein oder andere Frucht schon mal gesehen und stupsten ihre Mitschüler an, um ihr Wissen flüsternd weiterzugeben. Sie wanderten ein Weilchen in einen etwas abseits gelegenen Teil, der im Gegensatz zu dem sprießenden Grün in der Umgebung, wie karges Ödland aussah. „So, hier wären wir. Das hier wird ein wichtiger Ort für euch, denn jetzt gleich erhält jeder von mir ein kleines Stück Land, auf dem er in Zukunft seine eigenen Beeren und wenn ihr möchtet, auch andere Kräuter ziehen könnt. Alles was man zum Heilen oder auch für anderen Dinge benötigen kann, wird für euch im Laufe der Zeit in der ein oder anderen Weise erhältlich sein. Wie genau, verrate ich euch später. Heute möchte ich mit euch den Grundstock legen.“ Prof. Achiella trat hinter eine große Kiste, die in der Landschaft herumstand, und kam mit einem großen Karren voller Früchte wieder. Strahlend berichtete sie weiter: „Hier drin ist je ein Exemplar von 20 üblichen Beeren. Jeder darf sich eine davon nehmen und sie auf seinem Beet einpflanzen. Wenn ihr sie gut pflegt, werdet ihr bald, im wahrsten Sinne des Wortes, die ersten Früchte eurer Arbeit ernten können. Eine Pflegeanleitung gebe ich euch natürlich auch dazu. Ihr seid nicht dazu verpflichtet euch außerhalb des dafür vorgesehenen Unterrichts um euer Beet zu kümmern, doch es würde euch schon gewisse Vorteile einbringen.“ Wieder zwinkerte die Frau ihren Schülern bedeutungsvoll zu. Die hatten zwar nicht wirklich Ahnung, was genau sie damit meinte, konnten sich aber schon vorstellen, dass es ganz praktisch war, immer über einen eigenen Vorrat gewisser Beeren verfügen zu können. Ob sie dieser Anreiz auch zu praktischen Taten anregte, war bei einigen allerdings mehr als fraglich. „So, dann will ich euch nicht länger aufhalten. Die Beete sind abgeteilt und mit eurem Namen versehen. In der Kiste sind Arbeitsgeräte. Sucht euch eine Beere aus und los geht’s!“, lud Prof. Achiella ihre Studenten enthusiastisch ein. Enthusiasmus war bei den Wenigsten zu spüren, aber immerhin gab es etwas umsonst, also sagte keiner Nein zu dem Angebot. Taja war eine der Ersten, die sich aus dem Berg der Beeren eine aussuchte. Da sie so gut wie alle identifizieren konnte, konnte sie ihre Wahl gerichtet treffen. Obwohl das Objekt ihrer Begierde nicht gerade zu ihren Lieblingsbeeren zählte, fiel ihr die Entscheidung nicht schwer, denn das Mädchen wusste einfach, dass sie diese Beeren wohl sicher brauchen würde. Mit einer faustgroßen, bläulichen Sammelnussfrucht mit einem kleinen grünen Blattschopf und den nötigen Geräten steuerte Taja auf die große Freifläche zu. Die einzelnen Gebiete waren durch getretene Wege voneinander abgegrenzt und mit kleinen Namensschildern versehen. Ziemlich weit hinten fand sie schließlich ihr zugewiesenes Beet, das gar nicht so klein war. Hier würde sie wirklich eine ganze Menge Pflanzen anbauen können. Taja las sich kurz die Anweisungen für die Pflanzung durch, bevor sie sich einen Spaten schnappte, ein genügend großes und tiefes Loch buddelte und die Fragiabeere behutsam darin versenkte. „Bitte werde eine kräftige Pflanze.“, wünschte sie sich, während sie den frischen Erdhügel mit Wasser begoss. Nach getaner Arbeit ließ Taja ihren Blick zufrieden lächelnd über ihre Parzelle gleiten. Sie hoffte, dass die Beere und alle anderen zukünftigen Anpflanzungen hier gut gediehen und... vor allem ihre Pflege langfristig überlebten. Denn mit Zimmerpflanzen hatte Taja trotz liebevoller Zuwendung meist kein sehr großes Glück. Doch das wendete sich jetzt hoffentlich. Paula machte um die Beeren keine große Sache. Die Teile in der Schubkarre sagten ihr alle nichts, deshalb griff sie sich einfach eine, die ihr von der Form her zusagte. Das kleine Gewächs war kugelig mit einem lustig gekringelten Stiel und das beste – es war feuerrot. Zu der Beere bekam die Schülerin einen Zettel, der ihr neben lauter Anweisungen für die Pflege auch den Namen ihres Besitzes verriet. ‚Amrenabeere – heilt Paralyse. Ah, wie praktisch, wenn Akarin mal gegen ein Elektropokémon kämpfen muss.’, stellte sie gedanklich fest. Auch die anderen Drei hatten sich eine Beere ausgesucht und so machten sie sich gemeinsam auf die Suche nach ihren Landstücken. Glücklicherweise lagen die jeweils nicht weit voneinander entfernt, sodass sich Gonni nach ein paar lieben Blicken überreden ließ, die Löcher für die drei Mädchen mit auszuheben und nach Einlagerung der Frucht auch gleich wieder zuzubuddeln. So blieb ihnen nur noch das Gießen und fertig waren sie. Auch für ihre Klassenkameraden war das keine schwere Aufgabe und so waren sie alle nach ein paar Minuten fertig. „Das habt ihr wirklich sehr schön gemacht. Ich drück euch die Daumen, dass alles gut gedeiht. Und wenn ihr dann die ersten Ergebnisse habt, könnt ihr eure Beeren auch untereinander austauschen, sodass ihr irgendwann alle ziehen könnt. Aber für heute war es erst mal genug Gartenarbeit. Die Stunde ist auch gleich vorbei. Ich hoffe, ich konnte euch ein wenig von der faszinierenden Welt der Pflanzen vermitteln. Dann sehe ich euch nächste Woche wieder. Bis dahin noch viel Spaß.“ Mit Prof. Achiellas Abschlussrede war auch diese Stunde endlich erledigt. Bald war ein erholsamer Nachmittag in Sicht. Doch zunächst galt es eine weitere Stunde Kampfunterricht zu überstehen. Und die würde es in sich haben. Vom botanischen Garten bis zur Trainingsarena war es ebenfalls eine ziemliche Strecke, aber eigentlich ganz gut zu schaffen. Allerdings passten alle ihr Tempo so an, dass sie nur eine Minute vor Unterrichtsbeginn am Ziel ankamen, damit Prof. Weston ihnen nicht schon wieder die Pause klaute, die sie nach der ganzen Hetzerei wirklich verdient hatten. So betraten sie erst kurz vor dem Stundenklingeln das Gebäude, was außer ihrem schon wartenden Lehrer, völlig leer war. Prof. Weston stand in mitten des Kampffeldes und hatte die Arme verschränkt. Er sah irgendwie schon wieder aus, als wäre ihm eine ganze Läusekolonie über die Leber gelaufen. Seine Begrüßung fiel dementsprechend freundlich aus: „Wie überaus reizend, dass sie auch schon eintreffen.“ Paula war schon versucht zu sagen, dass sie noch pünktlich waren, aber noch mehr Zusatzarbeit wollte sie sich für das nahende Wochenende nicht aufladen, also hielt sie lieber die Klappe und ging mit dem Rest der Klasse schweigend zur Tribüne um ihre Taschen abzustellen. Kaum waren sie fertig, gab er auch schon die erste Anweisung. „Versammeln sie sich mit ihren Pokémon auf der Seite des Feldes, damit wir umgehend anfangen können.“ Er wies ihnen einen Platz zu und wartete mit leicht ungeduldiger Mine bis sich alle eingefunden hatten. Oder zumindest fast alle, denn Taja hatte sich wieder zur Beobachtung auf eine der hinteren Bänke zurückgezogen. „Da in ihren ersten Kämpfen deutlich wurde, dass es ihren Pokémon noch an sauberer Ausführung ihrer bereits bekannten Attacken fehlt, werden wir uns heute bevorzugt diesem Thema widmen. Zuvor sollen jedoch eine vernünftige Erwärmung und ein paar Geschicklichkeitsübungen im Fokus stehen. Lassen sie ihre Pokémon deshalb nun drei Runden um das Feld laufen.“ Etwas argwöhnisch schauten sich die Schüler an. Ob das wieder so ein Test für sie war? Aber da er dieses Mal eine Rundenbegrenzung angegeben hatte, schien es wohl ein ganz normales Aufwärmtraining zu sein. Also ließen alle ihre Pokémon frei und erklärten ihnen kurz was zu tun war. Ohne zu zögern leisteten die kleinen Wesen dem Folge. Ehe Paula Akarin erst lang und breit etwas vorkauen musste, hatte Kev ihm schon einen Schubs gegeben, sodass es ganz automatisch in den Trott der Anderen kam. Nach drei Runden gab Prof. Weston auch tatsächlich den Befehl zum Anhalten. Die Pokémon keuchten zwar ein bisschen, schienen aber noch recht fit. Von Ausruhen war aber nicht die Rede, denn kaum hatten alle das Feld verlassen, betätigte Prof. Weston einen Schalter in der Wand. Für einen Moment erfüllte gespannte Stille die Halle, dann war ein dumpfes Summen zu vernehmen. Plötzlich teilte sich das eine Trainingsfeld in zwei Hälften, die fast lautlos auseinander glitten und in der Randbegrenzung verschwanden, während ein Plateau nach oben fuhr. Als die Fläche zum Stehen kam, gab sie eine Reihe kurzer Pfähle preis, die in unregelmäßigen Abständen aus dem Boden ragten. Die C-Klasse tauschte fragende Blicke. Was hatte er den jetzt wieder vor? Prof. Weston blieb ihnen die Erklärung auch nicht lange schuldig: „Lassen sie ihre Pokémon nun im Slalom um die Pfähle laufen.“ Das hörte sich nicht sonderlich schwer an und die Pokémon schienen auch Spaß daran zu haben. Zumindest die, die sich gerne bewegten, denn einige von Natur aus etwas breitere Tierchen, hatten bei manchen Engpässen ein paar Probleme galant um die Hindernisse zu schlüpfen. Prof. Weston beobachtete alles mit verbitterte Mine und ließ sie das ganze Spiel mehrmals wiederholen. „Nun gut, die Grundbeweglichkeit ist vorhanden. Jetzt werden wir das Niveau erhöhen.“, verkündete der Lehrer und machte sich wieder am Schaltpult zuschaffen. Augenblicklich zogen sich die Pfähle in ihre Versenkung zurück, doch nur um Sekunden später wieder daraus hervorzuschnellen und zwar in unterschiedlichen Abständen und Geschwindigkeiten. Das Ganze sah irgendwie aus, wie ein Feld voller sprießender Digda. Die Schüler schluckten. Sie hatten so eine leise Ahnung, was als nächstes geschehen würde. Das leicht gehässige Lächeln ihres Lehrers bestätigte dies: „Die nächste Aufgabe besteht darin, diesen Parcours zu durchqueren. Es kommt dabei auf Geschicklichkeit, Schnelligkeit und gutes Augenmaß an. Doch ihr Pokémon wird dies nicht allein durchstehen müssen, denn sie werden ihren Partner per Anweisung dort durchmanövrieren. Also bemühen sie sich um ein gutes Timing. Sollte es dabei einen der Pfähle berühren, erwarten sie beide zusätzliche Trainingseinheiten.“ Ein kurzes Stöhnen ging durch die Reihen, das jedoch von einem harschen Blick ihres Professors beendet wurde. „Fangen sie an!“ Sein bellender Befehl ließ die murrenden Schüler zusammen fahren. Es hatte zwar keiner Lust das zu machen, aber es erbarmte sich schließlich die Erste. Gespannt sahen alle zu, wie sich das Paar anstellen würde. Auch Paula beobachtete interessiert, wie das Endivie mit den Befehlen seiner Trainerin ziemlich wendig durch die rhythmisch nach oben stoßenden Stäbe huschte. ‚Rhythmisch?’, schoss es ihr durch den Kopf. Das war es! Die Pfähle hatten sicherlich eine bestimmte zeitliche Abfolge. Wenn sie die herausfinden konnte, würde sie Akarin sicher durch das Feld lotsen können. Ihr Pokémon hatte zwar den Vorteil, dass es etwas kleiner als die anderen war, aber es hatte einen ziemlich langen Schwanz, der bei manchen Stellen zum Problem werden konnte. Selbst das flinke Pflanzenpokémon hatte eben die Kurve nicht mehr rechtzeitig bekommen und wurde von einem Stab gestreift. Es lief zwar weiter, doch nun hatte es erst recht Schwierigkeiten sich zu koordinieren, sodass es noch weitere Kollisionen gab, bis es endlich den Ausgang aus dem Stöckewald erreichte. Prof. Weston fackelte nicht lange und schickte den ersten Kandidaten in die Strafrunde: „Sie können dann gleich 10 Runden um das halbe Feld laufen. Anschließend noch 100 Seilsprünge und 20 Liegestütze. Und zwar Beide!“ Der Klasse klappte der Mund auf. Die Zusatzeinheit hatte es in sich. Nun hatte erst recht Keiner mehr die Ambition es zu probieren. Doch der Lehrer rief einfach den Nächsten auf und drohte mit Verdopplung des Pensums, wenn sie sich weigern würden. Also unterzog sich Einer nach dem Anderen, dem Slalomlauf. Einige waren bereits zu Beginn so verunsichert, dass sie ihre Pokémon schon direkt in die ersten Pfähle schickten, während andere bis kurz vor Schluss kamen, bis ein Geschoss ihren Partner traf. Und so wanderte jeder in die Strafrunde. Immer mehr lichtete sich das Feld der Übriggebliebenen. Umso konzentrierter versuchte Paula den Verlauf der Stäbe zu verfolgen. Fast schon zu konzentriert, denn Prof. Weston musste sie erst zweimal rufen, bis die Schülerin es mitbekam. Sie war sich zwar sicher, das Prinzip der ersten Hindernisse verstanden zu haben, aber ob es auch alles in der Praxis glatt laufen würde, war eine andere Frage. Aber zu viel über das Ganze nachdenken war auch nicht gut, also schnappte sie sich entschlossen Glumanda und ging mit ihm an die Startlinie. „Akarin, du musst jetzt ganz genau zuhören. Du musst durch die ganzen Stäbe da laufen. Ich werde dir immer sagen, wohin und du musst ganz schnell reagieren, verstanden?“, belehrte die Trainerin ihren Liebling. Der sah sie zwar zunächst etwas unschlüssig an, nickte dann aber und wand sich neugierig dem seltsamen Feld zu. „Los geht’s!“, gab Paula das Startzeichen, woraufhin Akarin sich auch sofort in Bewegung setzte. „Rechts! Aufpassen! Nach links! Schnell nach vorn! Links, jetzt Rechts! Vorsichtig! Nach Rechts! Halt! Links!“ Mit knappen Befehlen führte das Mädchen ihr Pokémon durch die heraussprießenden Stäbe. Bei den Ersten war es kein Problem, denn der Abstand war noch relativ groß, doch weiter hinten würde es eng werden. Akarin regagierte jedoch überraschend gut und so kamen die beiden problemlos bis zur Mitte. Als nächstes standen ihnen zwei Stäbe im Weg, die nebeneinander zu unterschiedlichen Zeiten hochschossen. Hier war exaktes Timing gefragt, damit Akarin auch durch die Lücke passte. Paula wartete gespannt auf den richtigen Augenblick und gab dann das Kommando: „Jetzt!“ Ihr Partner zuckte, doch er zögerte den Bruchteil einer Sekunde zu lang. Als Akarin vorschoss, war der linke Pfahl bereits auf dem halben Weg nach oben. Der Rechte folgte ihm im nächsten Augenblick und erwischte das Feuerpokémon, das davon ein wenig zurückgeworfen wurde und auf seinem Hintern landete. ‚Auf in die Strafrunde.’, dachte Paula deprimiert. Dabei hatte sie sich so angestrengt. Doch für lange Grübelein blieb keine Zeit, denn mit Schrecken musste sie erkennen, dass die Feuereidechse genau auf einem der Bodenaussparungen gelandet war. Und daraus würde gleich wieder ein Pfahl schießen. „Akarin, mach, dass du runter....“ Aber es war bereits zu spät. Verwundert sah ihr Pokémon nach unten, als es plötzlich etwas unter sich spürte. Einen Augenblick später, wurde es vom Boden weggetragen. Instinktiv klammerte es sich an dem komischen Teil unter sich fest. Zum Glück waren die Stäbe abgerundet, sodass sich der Kleine nicht verletzten konnte und er hatte auch keinen der schnellsten Stäbe erwischt. Etwas ängstlich wurde Akarin etwa einen halben Meter in die Höhe getragen, um dann wieder gen Erdboden zurück zugleiten. Paula atmete erleichtert auf. Ihr Pokémon hatte sich nichts getan und schien auch nicht in der Gefahr herunter zu fallen. Und gleich war es ja auch wieder am Boden. Als der Stab in der Versenkung verschwand, fand Glumanda wieder Halt. „Jetzt weg da!“, wies die Trainerin an. Aber ihr Pokémon dachte gar nicht daran. Es wartete gespannt, bis das Holz wieder aus dem Boden kam, setzte sich drauf und ließ sich nach oben transportieren. Der Stab fuhr hoch und runter, und oben drauf saß ein vor Freude quietschendes Glumanda. Zunächst war Paula etwas verdattert, dann musste sie jedoch lachen. Akarin sah einfach zu goldig aus, wie es da freudestrahlend sein neues Spiel genoss. Erst Prof. Westons ärgerliches Räuspern und sein nicht unbedingt angetaner Blick veranlassten sie, ihrem Pokémon Einhalt zu gebieten. Es war zwar ein wenig traurig seinen neuen Spielgefährten verlassen zu müssen, hatte dann aber auch wieder ungemeine Freude dran durch die anderen Hindernisse zu wuseln. Es störte sich auch nicht daran, dass es hier und da gegen einen lief. Als Akarin durch war, zog Prof. Weston nur missbilligend die Augenbraue hoch und wies stumm auf das angrenzende Feld. Paula erwiderte das nur mit einem verlegenen Lächeln, schnappte sich ihr Pokémon und begann die qualvolle Zusatztortur. Nachdem alle durch den Parcours und die Strafrunde waren, ließ ihnen der Lehrer zumindest eine kurze Verschnaufpause, während er einen Vortrag darüber hielt, dass sie im Zusammenspiel mit ihren Partner noch eine Menge zu lernen hätten und, dass die Agilität der Pokémon auch noch eine Menge zu wünschen übrig ließ. Aber da die Meisten noch außer Puste waren, hörten ihm die Wenigsten zu. „In Zukunft werden sie sich nun also jede Stunde diesen Hindernislauf unterziehen. So lange, bis sie alle in der Lage sind, ihn fehlerfrei zu durchqueren.“, verkündete der Professor nun, „Doch nun werden wir uns mit der Verbesserung der Qualität ihrer Attacken befassen. Gruppieren sie sich nach Attacken „Tackle“, „Pfund“ und „Kratzer“ und suchen sie sich einen freien Übungspfahl.“ Mit der Betätigung eines weiteren Schalters, wechselte die Formation der Stäbe, sodass sie nun mit genügend großem Abstand zueinander aus dem Boden ragten. Die Schüler tauschten sich kurz aus, um ihre richtigen Kameraden zu finden und suchten sich dann wie geheißen einen Platz. Als alle bereit waren, ließ Prof. Weston wieder seine Stimme durch die Halle schallen: „Lassen sie nun ihre Pokémon die jeweilige Grundattacke gegen das Trainingsgerät ausführen. Beobachten sie es dabei genau und stellen vorhandene Schwachstellen fest. Ich werde herumgehen und ihnen ebenfalls Hinweise geben, also fahren sie mit dieser Übung fort, bis ich das Stoppzeichen gebe.“ Damit war alles erklärt und die jungen Trainer konnten loslegen. Entschlossen schickten sie ihre Gefährten gegen die Holzgegner. Es war eine gute Übung um Kraft und Präzision zu verbessern und so machte sich auch Paula motiviert daran, die Attacke ihres Pokémons zu optimieren. Oder zumindest erst einmal zu lernen, denn als sie Akarin den Befehl zum Kratzer gab, sah der sie nur mit großen, verständnislosen Augen an. Erst als Paula ihm noch mal vormachte, was es zu tun hatte, nickte die rote Echse. Entschlossenen Blickes stürmte es auf den Pfahl zu, holte aus und ... umschlang den Holzklotz mit einer fröhlichen Umarmung. ‚Oh, Akarin...’ seufzte Paula innerlich halb lachend, halb betreten. Ihrem Pokémon richtig Kämpfen beizubringen, war gar nicht so einfach wie gedacht. Vor allem da es bei allen anderen automatisch gut klappte. Warum wusste nur ausgerechnet IHR Pokémon nicht wie man Standartattacken einsetzte? Und kuschelte zu dem noch wesentlich lieber, als zu kämpfen. Aber Aufgeben war natürlich keine Option. Also ging die Trainerin zu ihrem Partner, löste ihn aus der Knuddelattacke und nahm seine Pfote. Sie rückte Akarin zurecht und führte dann die Gliedmaße wie bei einer Attacke schräg von oben nach unten, sodass seine Krallen leichte Striemen im Holz hinterließen. „Siehst du, so geht ein Kratzer.“, versuchte Paula es ihm praktisch klar zu machen. Plötzlich leuchteten die Augen des Feuerpokémons auf. Hoffnungsvoll betrachtete das Mädchen nun den Ansatz der nächsten Attacke und ... wurde enttäuscht. Akarin holte zwar vernünftig aus, machte aber statt eines richtigen Angriffs voller Enthusiasmus kleine Schnitzer ins Material, sodass ein wirres Muster aus Kratzern entstand, von dem es total fasziniert war. Fröhlich „Glu, Glu, Glumanda“ vor sich hersingend, bearbeitete es den Holzgegner, bis dieser mit einer hübschen Verzierung versehen war. ‚Also künstlerisch begabt ist Akarin schon mal.’, stellte Paula lachend fest. Auch wenn es nicht das machte, was es sollte, sie konnte ihrem kleinen Schatz einfach nicht böse sein. Dafür war es jemand anderes, der die ganze Szenerie schon eine Weile kopfschüttelnd beobachtet hatte. Nun trat er direkt hinter die Studentin. „Paula, kommen sie nach dem Unterricht kurz zu mir.“, sagte die eiskalte Stimme ihres Lehrers, bevor er sich wieder abwand und jemand anderen in die Mangel nahm. ‚Na toll.’ Die Trainerin musste schlucken. Was hatte sie denn nun wieder angestellt und vor allem, was für ein Aufsatz würde sie dieses mal wohl erwarten? Doch das hatte Zeit bis zum Ende der Stunde. Immerhin galt es noch Akarin irgendwie begreiflich zu machen, wie es Kratzer einsetzen sollte, was sich jedoch für diese Trainingseinheit als ergebnislos herausstellte. Mit den ganzen verschiedenen folgenden Trainingsmethoden vergingen die verbleibende Zeit dann doch schneller als gedacht. Als die Pausenklingel ertönte, war Prof. Weston sogar tatsächlich so gnädig den Unterricht auch zu beenden. Während sich alle so schnell wie möglich aus dem Staub machten, ließ sich Paula Zeit ihre Sachen zu holen. Ihre Freunde hatten ihr bereits ein Zeichen gegeben, dass sie vor der Halle auf sie warten würden, denn sie hatten Prof. Westons Einladung zur Privataudienz mitbekommen. Paula wusste nicht wirklich, was der Mann von ihr wollte. Ihrer Meinung nach hatte sie nicht wirklich etwas falsch gemacht oder war aufmüpfig gewesen. Aber so wie er aussah, hatte er wohl wieder irgendein Härchen in der Suppe gefunden. Mit verschlossener Mine stand er da und wartete, bis völlige Ruhe eingekehrt war, bevor er mit seinem Vortrag begann: „Ich habe sie und ihren Partner beobachtet. Es scheint, als fehle ihm sämtliche Grundlagen, die Pokémon normalerweise bereits mit der Geburt beherrschen. Auch ein gewisser angeborener Kampfinstinkt scheint nicht vorhanden zu sein. Deshalb bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der Rahmen des Kampfunterrichts nicht ausreichen wird, um bei ihrem Pokémon die fehlenden Grundfertigkeiten nachzuholen und zu festigen. Wenngleich die neuen Stundenten zur Zeit noch keine Alleingänge machen sollten, empfehle ich ihnen so schnell wie möglich zusätzliches Training zu vollziehen, damit sie nicht gleich den Anschluss verlieren. Vermeiden sie dabei jegliche Ablenkung für Glumanda. Ich werde ihnen ein paar Hinweise schicken, wie sie das Training effizient gestalten können.“ Es waren zwar ernste Worte, aber ausnahmsweise schien er ihr nicht feindlich gesonnen. Nein, er war sogar ziemlich freundlich und wollte ihr auch noch helfen. Paula war für einen Moment zu verblüfft, um etwas sagen zu können. Als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte, brachte sie nur ein „Ok, werd ich machen. Danke.“ hervor. Ohne einen weiteren Kommentar wand sich der Lehrer zum Gehen. Damit war auch Paula entlassen. Somit war der Unterricht für den heutigen Tag sogar bereist geschafft. Das hieß, nach dem Mittagessen endlich einmal einen Nachmittag richtig ausspannen. Abgesehen von der generellen Aufforderung zum Lernen und ihrer speziellen Aufgabe in Heilkunde, hatten sich die Lehrer Hausaufgaben in der ersten Woche zum Glück noch verkniffen. So war Paula bester Laune, als sie sich mit ihren Freunden auf zum Speisesaal machte. Sie würden endlich mal alles ganz in Ruhe inspizieren, gemächlich essen und beliebig lange quatschen können, ohne, dass ihnen die nächste Stunde im Nacken saß. Und mit vollem Magen konnte man dann eine Verschnaufpause in der herrlich warmen Sonne machen. Zumindest hätte man es machen können. Doch als sie gerade am Eingang zur Mensa waren, machte sich der Messenger der Schülerin mit der pinken Uniform lautstark bemerkbar. Etwas verwundert nahm sie ihn aus der Tasche. Wer wollte denn jetzt etwas von ihr? „WAAAAS?“ Ein etwas entsetzter Schrei entfuhr Paula, als sie die knappe Nachricht auf dem Display las. „Was ist denn los?“ Die anderen Drei drehten sich erschrocken um. Bei dem ärgerlichen Gesicht, das ihre Freundin zog, musste etwas passiert sein. „Ich muss dann zu ner Schülersprecherversammlung.“, erklärte das Mädchen missmutig. „So plötzlich?“, fragte Tifi verwundert nach. Paula zuckte nur mit den Schultern: „Keine Ahnung, hier steht ‚Zur Erinnerung: 15.15 Uhr, Raum 102, Schülersprecherversammlung. Anwesenheitspflicht!’. „Hört sich nicht so an, als wenn das spontan festgelegt wurde.“, stellte Manja fest. „Na ich wusste jedenfalls bisher noch nichts davon.“ Genau das störte Paula richtig an der Tatsache. Immerhin hatte sie sich gerade noch auf einen schönen freien Nachmittag gefreut und nun war dem plötzlich etwas in die Quere gekommen. Und dann auch noch so was Lästiges wie eine Schülersprecherversammlung. Vor allem weil keine Uhrzeit des Endes angegeben war. Wer wusste schon, wie lang das wieder dauern würde. Nachmittag ade. Sie hatte doch gewusst, wieso sie diesen Job nicht haben wollte. Schlagartig hatte sich ihre gute Laune wieder verflüchtigt. Noch nicht mal für das leckere Essen konnte sie sich erwärmen. Der Gedanke stundenlang öden Vorträgen über völlig uninteressanten Organisationskram zuhören zu müssen, während ihre Freunde sich einen schönen Tag in der Sonne machen konnten, nervte sie gewaltig. Paula war während der ganzen Zeit am Überlegen, so zu tun, als hätte sie diese Nachricht nie gelesen. Auch wenn die Verlockung des Nichtstuns so unendlich groß war, sie wollte sich nicht gleich am Anfang bei allen unbeliebt machen und so entschied sie sich missgelaunten Herzens dem Übel zu stellen. Während des Essens herrschte deswegen eine etwas gedrückte Stimmung. „Hey, nun guck nicht so betrübt. Wir können ja nichts dafür. Es ist doch auch noch ein bisschen Zeit, also könnten wir doch noch was machen, was dich ablenkt.“, schlug Tifi vor, die das grimmige Gesicht ihrer Freundin nicht ertragen konnte. „Und was?“ „Weißt du, ich fand das mit Akarins Taufe echt lustig und würde das gerne auch für Plinfa machen.“, erklärte Tifi. „Ne Taufe für Plinfa?“ Das war tatsächlich eine Idee, die Paula gut gefiel. „Ja, ich hab mir auch schon einen Namen überlegt.“, nickte die Trainerin des Wasserpokémons. „Na da bin ich mal gespannt. Lasst uns gleich loslegen.“ Tifis Vorschlag hatte bei Paula tatsächlich wieder etwas bessere Laune geweckt. „Von mir aus.“ Auch Manja hatte nichts dagegen einzuwenden. Nur Gonni bremste die Aufbruchstimmung etwas: „Darf ich vielleicht noch aufessen?“ „Na ausnahmsweise.“, erlaubte Paula scherzhaft. Dabei stellten die Mädchen fest, dass auch ihre Teller noch nicht wirklich leer waren. Vor lauter Eifer hatten sie das gleich mal vergessen. So zwang sich Paula noch ein paar Minuten zur Ruhe, bevor wirklich alle fertig und aufbruchsbereit waren. Wieder draußen angekommen, schien ihnen die Sonne herrlich einladend entgegen. Die vier Trainer suchten sich ein Stückchen Wiese. Um Ärger zu vermeiden, hätte Tifi die kleine Zeremonie lieber bei ihnen im Wohnheim abgehalten, doch Paula hatte keine Lust erst noch mal da hin zu laufen, wenn sie dann wieder zurück musste. Also schlossen sie den Kompromiss, auf die vom Hauptplatz abgelegene Seite des Gebäudes zu gehen, wo man schwieriger Einblick nehmen konnte. Kaum außer Sichtweite, ließen sie ihre Pokémon frei. Nach kurzer Erläuterung versammelten sich alle um den blauen Pinguin. „So, Plinfa, ich möchte dir heute einen Namen geben, damit du weißt, dass du etwas ganz Besonderes für mich bist und dass wir für immer zusammen gehören.“, erklärte Tifi ihrem Pokémon liebevoll. Das schien zu verstehen und strahlte sie freudig an. „Gut, dann wirst du ab jetzt „Selena“ heißen.“ „Plinfa, Plinfa!“ Dem Wasserpokémon schien der Name zu gefallen, denn es nickte fröhlich. Zur Bekräftigung goss Gonni wieder einen kleinen Schwall Wasser über den Täufling. Während Akarin und Kev quietschend zur Seite sprangen, nahm Selena die Dusche erfreut entgegen. „Das ist wirklich ein wunderschöner Name.“, stellte Paula fest, „Nun muss nur noch Geckarbor einen Namen kriegen.“ Aber Gonni brachte auf diesen Vorschlag nur ein trockenes „Nö!“ hervor. „Ach komm schon, dann haben alle unsere Freunde einen Spitznamen und sind was Besonderes.“, versuchte Paula ihn zu überzeugen. „Wenn ich das mache, was alle machen, hebe ich mich doch nicht aus der Masse hervor, oder? Da alle einen Spitznamen haben, ist mein Pokémon etwas Einzigartiges, indem es eben keinen hat. Geckarbor bleibt Geckarbor.“, erklärte der Junge gelassen, aber bestimmend. Paula fand seine Erläuterung zwar sehr komisch, aber ihr fiel jetzt auch nichts ein, wie sie ihn noch umstimmen konnte. Also beließ sie es vorerst dabei. Nach der kleinen Taufzeremonie saßen die vier Freunde noch ein Weilchen beieinander und redeten über die Erlebnisse der ersten Woche, bevor sich ihre Wege schließlich trennten. Tifi, Gonni und Manja sahen ihrer Freundin mitleidig hinterher, wie Paula mittlerweile wieder schlecht gelaunt Richtung Unterrichtsgebäude davon stiefelte. Auf dem Plan des Akademiegeländes hatten sie den gesuchten Raum ausfindig machen können, sodass sie jetzt nicht auch noch eine halbe Ewigkeit durch das Labyrinth der Gänge irren musste. Pünktlich war Paula am Ort ihrer ungewollten Nachmittagsbeschäftigung. Aus dem Raum klangen bereits Stimmen, die die Anwesenheit Mitleidender verkündete. Bevor sie durch die Tür trat, holte Paula noch einmal tief Luft und setzte ein einigermaßen freundliches Lächeln auf. Das verging ihr allerdings gleich wieder, als sie einen Schritt ins Zimmer gesetzt und die anderen Anwesenden inspiziert hatte. Auf der Querseite der U-förmig gestellten Tische saß ihre Stellvertreterin Vivi. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Eigentlich hätte sie es erwarten müssen. Was es allerdings auch nicht besser machte. Hinzu kam, dass auch nur noch ganz vorne ein einziger und neben Vivi zwei Plätze frei waren. Da der Platz vorn wie auf dem Präsentierteller war, hatte Paula gar keine andere Wahl, als sich an den anderen Schülern vorbei zu schieben und auf ihre Klassenkameradin zuzusteuern. Die schien gänzlich in ein Buch vertieft und nahm von Paula keine Notiz, was diese aber nicht unbedingt bedauerte. Um so mehr freute sich Paula, als sie erkannte, dass Vivi den Platz neben sich mit ihrer Tasche belegt hatte. Sich die Umstände zu machen ihre Klassenkameradin darum zu bitten, sie runter zu nehmen, wollte sie ihnen beiden nicht machen. Also wählte Paula einfach den einzig verfügbaren Platz. „Ist hier noch frei?“, erkundigte sie sich höflich bei dem Mädchen, dass auf der anderen Seite saß. Die Schülerin in der gelben Uniform blickte zunächst überrascht auf, lächelte dann aber sehr freundlich, als sie antwortete: „Na klar doch, setz dich.“ Erstaunt musste Paula erkennen, dass ihr das Mädchen mit den halblangen braunen Haaren vertraut vor kam. Einen Moment lang musste sie die Tiefen ihrer Erinnerung durchforsten, bis sie darauf kam, dass sie sich an ihrem ersten Tag im Bus begegnet waren. Auch wenn die beiden damals kein Wort miteinander gewechselt hatten, in Mitten dieser Schar Fremder ein bekanntes, ihr scheinbar wohlgesonnenes Gesicht zu sehen, gab ihr gleich ein besseres Gefühl. „Ich bin Paula.“, stellte sie sich vor. „Freut mich, ich bin Luna. Klassensprecherin der B-Klasse, erstes Jahr.“, erwiderte ihre Nachbarin. Also war das Mädchen ebenfalls ein Neuling. Sie schien gar nicht wesentlich jünger als Paula zu sein, doch da sie die Vertreterin ihrer Parallelklasse war, musste sie zu den etwas privilegierteren Schülern gehören. Aber das war okay, solange sie nicht so ein Snob wie Leroy und seine Kumpane aus der A-Klasse war. Und als wenn sie vom Teufel gesprochen hätte, kam der auch prompt zur Tür herein. Der Junge sah sich kurz um, erblickte den freien Platz neben Paula, rümpfte mit einem nicht zu übersehenden, überheblichen Ausdruck die Nase und ließ sich dann auf dem Stuhl ganz vorn nieder. Seine Entscheidung gefiel Paula sehr gut, denn sie hatte nicht die geringste Lust sich diese qualvolle Pflichtveranstaltung durch seine nähere Anwesenheit noch schlimmer zu machen. Es war ihr so schon ein Graus, ihre freien Stunden für einen Job zu opfern, den sie noch nicht einmal gewollt hatte. „Oh man, ich hab überhaupt keine Lust auf dieses Treffen.“, lehnte sie sich mürrisch zurück. „Da bist du nicht die Einzige.“, flüsterte ihr Luna zwinkernd zu, „Ich bin zwar gern Klassensprecherin, aber die müssen doch nicht gleich in der ersten Woche so einen Stress machen.“ „Ja und vor allem so spontan. Ich hatte mich so auf einen kurzen Tag gefreut.“, ergänzte Paula seufzend. „Wieso spontan? Also unser Klassenlehrer hat uns das schon vor zwei Tagen mitgeteilt.“ Ihre Nachbarin sah sie etwas erstaunt an, was Paula mit einem nicht minder verwunderten Blick erwiderte: „Ich wusste von nichts. Wenn ich die Erinnerungsnachricht vorhin nicht bekommen hätte, wäre ich jetzt nicht hier.“ Nicht, dass die unfreiwillige Klassensprecherin diesen Umstand bedauert hätte, aber irgendwie kam ihr das Ganze komisch vor. Prof. Amber schien nicht der Typ solche Sachen zu vergessen und Vivi war ja schließlich auch hier. Und die schien vor allem nicht gerade überrascht worden zu sein, denn auf ihrem Platz lag ein säuberlich vorbereitetes Buch mit der Aufschrift „Schulsprecherversammlungen.“. Ein kleiner, aber nicht von der Hand zu weisender Gedanken kam in Paula auf. „Dann hat wohl jemand vergessen mich zu informieren.“ Sie sprach extra ein wenig lauter, sodass es ihre Klassenkameradin auf keine Fall überhören konnte. Aber das Mädchen in der roten Schuluniform tat so, als fühlte sie sich überhaupt nicht angesprochen. Paula störte sich nicht an der Tatsache, dass sie durch Vivi beinahe dieses Treffen verpasst hatte, sondern daran, dass dieses Mädchen ihr, aus was für einem Grund auch immer, anscheinend Ärger machen wollte. Sie würde ihre Vize-Sprecherin wohl im Auge behalten müssen. Innerlich leicht grummelnd wandte sich Paula wieder ihren Sachen zu. Wahrscheinlich musste sie sich irgendwas von den öden Sachen, die in dieser Versammlung besprochen werden würden, notieren, um sie der Klasse weiter zu geben. Also kramte sie ihren Block aus der Tasche. Da es anscheinend noch nicht los ging, begann Paula ein wenig am Rand herumzukritzeln. So gedankenverloren, dass sie gar nicht mitbekam, wie jemand den Raum betrat. „Na hallo, ist hier noch frei?“ Eine Stimme ließ Paula mitten in ihrer Bewegung erstarren. Auch wenn sie diese Stimme erst einmal vernommen hatte, sie wusste ganz genau, wem sie gehörte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, während ein wohlig warmer Schauer plötzlich durch ihren Körper fuhr. Doch vielleicht war diese Stimme ja auch nur eine Einbildung, ein Wunsch ihres Unterbewusstseins, das ihr jetzt einen Streich spielte. Das Mädchen fühlte sich irgendwie seltsam gelähmt und doch fand sie die Kraft den Kopf zu drehen, um ihre Vermutung zu überprüfen. Und tatsächlich – da stand er. Ihr mysteriöser Retter vom ersten Tag! Er war hier, genau hier vor ihr, sah sie genauso charmant lächelnd wie zuvor an und wollte sich auch noch neben sie setzen. Paula war wie vom Blitzschlag getroffen. Mit einem so plötzlichen Widersehen hatte sie noch nicht mal im Traum gerechnet. Oder war das gar nur ein Traum? Es war schon ein ziemlicher Zufall, dass sie beide hier wieder aufeinander trafen, aber dass er ausgerechnet nur noch neben ihr einen freien Platz fand, war schon fast zu viel des Guten. Das konnte doch eigentlich gar nicht real sein. Vielleicht war er ja nur eine Halluzination? Eine Nachwirkung dieses komischen Krautes. Wenn ja, dann musste sie sich unbedingt noch mehr davon besorgen. Fast beruhigte sich ihr rasender Puls wieder, doch dann riss Vivi plötzlich ihre Tasche vom freien Stuhl und nickte ganz aufgeregt: „Natürlich, setz dich.“ Paula selbst war nicht mehr Herrin ihrer Stimme. Ohne zu zögern zog der Typ sich den Stuhl heran und setzte sich lässig. Dabei sah er so unglaublich cool aus, dass Paula ihren Blick nicht von ihm losreißen konnte. Er redete kurz mit Vivi, dann schenkte er irgendetwas an der Frontseite seine Aufmerksamkeit, was Paula aber nicht weiter interessierte. Die Schülerin hatte keine Ahnung wie viel Zeit verging, während sie einfach nur da saß und ihn ansah. Die Dauerbeobachtung schien ihn entweder nicht zu stören, oder er bekam es nicht. Zumindest bis zu dem Moment, als er den Kopf leicht drehte und sich ihre Blicke damit genau trafen. Die Bewegung seiner Augen verriet, dass er sie kurz musterte. Dann schenkte er ihr ein bezauberndes Lächeln, das dem Mädchen leicht die Röte ins Gesicht schießen ließ. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, beugte er sich ein wenig zu ihr vor und streckte seine Hand in Richtung ihre Kopfes. Unwillkürlich zuckte Paula zusammen. Mit dieser Bewegung hatte sie so gar nicht gerechnet. Kurz darauf berührte er ihr Haar und schob es ein wenig nach hinten, sodass sich ihr Hals auf der ihm zugewandten Seite entblößte, was das Mädchen nun wieder völlig erstarren ließ. Seine Finger berührten mit einem Male ihren Hals. Während sie sanft weiter nach unten wanderten, hinterließen sie dabei ein Gefühl, als würde ein Rinnsal kochender Lava über ihre Haut fließen. Und er ließ seine Hand nicht ruhen, sondern führte sie fast schon in Zeitlupe weiter an ihrem Hals entlang über das Schlüsselbein und immer weiter nach unten. Paula riss die Augen auf. Was um alles in der Welt war er da gerade im Begriff zu tun? Aber egal, was es auch war, sie wünschte sich nur, dass er nicht damit aufhörte. Ihr Herz hämmerte, als müsste es gerade einen Marathon bewältigen. Das Rauschen ihres erhitzten Blutes war wie ein Dröhnen in ihren Ohren. Auf einmal hielten seine Finger jedoch inne. Dafür beugte sich sein Oberkörper noch weiter vor, sodass sein Gesicht nun ganz nah an Ihrem war. So nah, dass sie seinen warmen Atem an ihrem Ohr spüren konnte. Eine erneute Gänsehaut überrollte das Mädchen. Ein leichtes Zittern, dass sich nicht mehr unterdrücken ließ, hatte sie erfasst. Und das wurde erst recht nicht besser, als seine Finger wieder ihre prickelnde Wanderung über ihre Haut aufnahmen. Er hatte sich inzwischen schon bis zu ihrer Körpermitte vorgearbeitet und ließ sie noch weiter fallen. Paula hielt dem Atem an. Ihr Herz hatte mittlerweile sein Maximaltempo erreicht. Nicht das sie grundsätzlich etwas dagegen gehabt hätte, aber wenn er noch einen Schritt weiter ging, würde sie wohl einfach zusammen klappen. Als er bis zu ihrem Brustansatz vordrang, fing das Bild vor ihren Augen tatsächlich schon ein wenig an zu flackern. Was tat er da nur? Aufregung, Genuss, ein bisschen Entsetzen, das Verlangen nach Fortsetzung, Panik - in ihrem Inneren wirbelte gerade alles durcheinander. Dann war es soweit. Seine Hand erreichte den Rand ihres T-Shirts. Doch sie fuhr nicht in dieses, sondern darüber. Flink schnappten sich die Finger die beiden Zipfel ihres Kragens, zogen sie auf gleiche Länge und schoben den verrutschten Knoten wieder an die richtige Stelle. „So ein hübsches Mädchen sollte sich immer ordentlich anziehen.“, hauchte er ihr süßlich ins glühende Ohr, und fügte dann noch hinzu, „Ai kann ungemütlich werden, wenn jemand nicht korrekt gekleidet ist. Also nimm dich lieber in Acht.“ Paula erfasste weder die Bedeutung der Worte, wusste nicht wer diese Ai sein sollte, noch sah sie sein amüsiertes Zwinkern. Sie war einfach nur völlig im Delirium. „Seid ihr jetzt mal fertig?“ Eine andere wohlbekannte und ziemlich genervt klingende Stimme riss sie aus ihrem wundervollen, aber zum Glück realen Tagtraum. Paula wandte ihre Augen nach vorn und musste überrascht feststellen, dass noch jemand in den Raum getreten war, von dem sie bisher noch überhaupt keine Notiz genommen hatte. Und das hätte ihrer Meinung auch so bleiben können. Denn niemand anderes, als das Zitronen-Mädchen stand vorn und warf ihr einen extrem miesepetrigen Blick zu. Aber irgendwie kümmerte Paula das aus irgendeinem Grund so überhaupt nicht. Die Welt um sie herum war nur noch voller rosa Wattewölkchen und glitzernden Sterne. Sie merkte noch nicht einmal, dass ihre Gesichtsfarbe inzwischen einem Glutexo Konkurrenz machte. Oder auch nicht, dass die versammelte Mannschaft inzwischen zu ihnen rüber sah und die ganze Szenerie mit sehr gemischten Gesichtsausdrücken betrachteten. Und auch nur die Anderen konnten sehen, wie sich der Typ nun mit einem Lächeln, das vermuten ließ, dass seine Gedanken eigentlich eher in Richtung aus- statt anziehen gingen, zurücklehnte. Als das Zitronen-Mädchen sich lautstark räusperte, wandten alle ihre Blicke respektvoll wieder nach vorn und sie begann über irgendetwas zu reden. Paula wusste nicht, was sie machen sollte. Krampfhaft versuchte das aufgeregte Mädchen sich auf die Tafel zu konzentrieren, auf der die ältere Schülerin eine ganze Liste irgendwelcher sinnloser Sachen kritzelte, oder zumindest auf das Heft vor ihr, aber ihre Augen schienen sich völlig selbstständig immer wieder nach links zu bewegen. Und das schlimmste daran, oder auch das Beste, Paula war zu verwirrt um sich zu entschieden, - er sah immer genau in diesem Moment auch zu ihr. So oft wie das war, grenzte das schon nicht mehr an Zufall. Ob er sie etwa auch die ganze Zeit über beobachtete? ‚Himmel, was soll ich nur tun?’ Das war der einzige Gedanke, der noch in ihrem Kopf anzutreffen war. Alles andere hatte sich in den fluffigen Nebel der Unwichtigkeit zurückgezogen. Vor Aufregung war sie völlig hilflos. Sobald sie sein wundervolles Lächeln sah, drehte sie blitzschnell ihren Kopf wieder nach vorn, aber nur um ihn wenige Augenblicke wie hypnotisiert wieder zu ihm zu wenden. Ab und zu wechselte er ein paar Sätze mit Vivi, schaute konzentriert auf die Tafel oder notierte sich irgendetwas in ein Heft. Aber egal was er tat, er sah einfach nur zum Dahinschmelzen gut aus. Irgendwie war die ganze Situation grade zu viel für Paula. Sie konnte gar nicht richtig realisieren, was in den letzten Minuten geschehen war. Das war alles einfach nur wie ein unfassbarer Traum. Ihr Herz schlug immer noch so heftig, als wolle es sich überhaupt nie wieder beruhigen. Was um alles in der Welt war nur mit ihr los? Völlig in ihre eigene Welt versunken saß Paula da. Noch nicht einmal das Schlusswort des Zitronen-Mädchens, das sich für alle anderen als Schulsprecherin vorgestellt hatte, oder das Kramen und Stühlerücken nach der Beendigung der Versammlung, konnten Paula erreichen. Das Einzige, was sie mitbekam, war, als ihr geheimnisvoller Retter ebenfalls aufstand, lächelte, ihr zuzwinkerte und sich mit einem verheißungsvollen „Bis nächste Woche“ verabschiedete. Verträumt sah das Mädchen ihm nach, bis er zu ihrem Leidwesen hinter der Tür verschwand. Die Kraft ihm hinterherzulaufen, konnte sie momentan beim besten Willen nicht aufbringen, auch wenn sie gern noch weiter in seiner Nähe geblieben wäre. „Du kannst es wohl echt nicht lassen. Als hätte dein Fan-Club nicht schon genug hysterisch kreischender Weiber, die dich auf Schritt und Tritt verfolgen.“, ertönte eine leicht genervte Stimme, als der junge Mann durch die Tür hindurch trat. Die Schulsprecherin hatte offensichtlich auf ihn gewartet. Der Angesprochene hatte jedoch nur ein schelmisches Grinsen übrig: „Was denn? Ich will doch nur, dass sich die Neuen hier auch wirklich wohl fühlen. Und zwei hübsche Mädchen mehr im Club, sollen mich nicht stören.“ Ai zog als Antwort nur eine Augenbraue hoch. Ein verbaler Austausch war auch gar nicht nötig, denn sie kannten sich lang genug, um zu wissen, was der Andere gerade dachte. „Komm, wir haben noch einiges an Arbeit vor uns.“ Und so verschwanden die beiden Eliteschüler schweigend in einem der zahlreichen Gänge. Paula saß dagegen noch minutenlang wie versteinert da. Sie fühlte sich immer noch wie in einem Traum gefangen. Von der ganzen Sitzung hatte sie nichts, aber auch rein gar nichts mitbekommen. Noch nicht einmal die giftigen Blicke ihrer Vize, die jetzt mit finsterer Mine an ihr vorüber ging und den Raum verließ. Paula konnte ihr Glück kaum fassen, dass sie ihm hier wiederbegegnet war. Sie hatte ja nicht ahnen können, dass er ebenfalls irgendwas mit der Schulsprechersache zu tun hatte. Nicht auszudenken, wenn sie nicht Klassensprecherin geworden... Und plötzlich ging der Schülerin ein Licht auf. Hatte Vivi etwa nur deswegen so unbedingt diesen Posten gewollt, weil sie gewusst hatte, dass er hier sein würde? ‚Oh diese...’ Den Restgedanken ersparte sich Paula lieber. Ganz unwissend hatte sie ihrer Konkurrentin einen Strich durch die Rechnung gemacht und das erfüllte sie irgendwie mit ein klein wenig Schadenfreude. Plötzlich konnte auch sie diesem Job einen gewissen Reiz abringen. „Paula, alles klar bei dir?“ Eine Stimme riss das Mädchen aus ihrer Vernebelung. Luna stand neben ihr und sah sie fragend an. „Ja, ja, alles bestens, ich war nur grad in Gedanken.“, erklärte die Gefragte. Das andere Mädchen bedachte sie mit einem schmunzelnden Blick:; „Wie mir scheint nicht nur gerade.“ „Wieso?“ Paula lief leicht rot an. Hatte man ihr ihre geistige Abwesenheit etwa angesehen? Luna musste lachen: „Na ja, du hast überhaupt nichts von dem aufgeschrieben, was uns die Schulsprecherin wichtiges erklärt hat. Und du siehst irgendwie nicht aus, als hättest du dir das alles merken können.“ Die C-Schülerin musste schlucken. Davon hatte sie tatsächlich kein einziges Wort mitbekommen. Sie würde wohl am Montag sehr blöd vor der Klasse stehen und Vivi reden lassen müssen. Auch wenn sie nicht die geringste Lust auf diesen ganzen Organisationskram hatte, diese Genugtuung wollte sie ihrer Stellvertreterin dann doch nicht lassen. „Ich kann nicht zufällig einen Blick in deine Notizen werfen?“, fragte sie vorsichtig bei ihrer Nachbarin an. „Na von mir aus, schreib ab. Ich hab noch ein bisschen Zeit.“, lächelnd reichte ihr Luna die Blätter. Paula fiel ihrer neuen Bekannten gleich mal um den Hals: „Danke, du bist ein Engel.“ „Keine Ursache.“ Luna hatte mit solch überschwänglicher Dankbarkeit zwar nicht gerechnet, hatte aber auch nichts auszusetzen. Während sich das Zimmer immer mehr leerte, kritzelte Paula wie wild die sechs beschriebenen Seiten ab. Was da inhaltlich verfasst war, würde sie sich später ansehen. Nach einer guten dreiviertel Stunde konnte sie der Schülerin aus der Parallelklasse die Notizen zurückgeben. Gemeinsam verließen sie den Raum. Als sie aus dem Gebäude traten, stellte Paula erstaunt fest, dass es schon fast nach Dämmerung aussah. Wie auf Bestellung piepte plötzlich ihr Messenger mit einer Nachricht von Tifi: „Kommst du zum Essen?“ „Essen? Wie spät ist es denn?“, wunderte sich die Schülerin. „Dreiviertel sieben.“, gab ihre Begleitung Auskunft. „WAAAS?“, entfuhr es Paula entsetzt. Wie um Himmels Willen hatte sie ganze drei Stunden nicht mitbekommen können? War sie tatsächlich so benebelt gewesen? Luna lachte nur kopfschüttelnd. Das Mädchen war echt ein Fall für sich. Aber irgendwie sympathisch. „Komm, lass uns zum Wohnheim gehen. Wir wollen unsere Freunde doch nicht warten lassen.“ Als Paula nur weiter total verdattert vor sich hinstarrte und grübelte, wie sie das Verfliegen der Zeit nicht hatte merken können, nahm die Sprecherin der B-Klasse sie einfach an der Hand und zog sie mit sich. Unterwegs löste sich Paulas Erstarrung und so unterhielten sich die beiden Mädchen munter miteinander, bis sie den Speisesaal erreicht hatten. „Willst du mit mir und meinen Freunden essen?“, bot Paula an. „Danke, aber ich bin mit meinen Klassenkameraden verabredet. Aber wir sehen uns, spätestens nächste Woche.“, lehnte Luna lächelnd ab. „Ok, dann bis nächste Woche.“ Aus irgendeinem Grund freute sich Paula nun doch ein bisschen auf die nächste Schülerversammlung. Obwohl das ganze Gelabere sie nicht im Geringsten interessierte, würde es wohl doch unterhaltsam werden. Mit sich und der Welt wieder im Reinen, spürte Paula ihre Freunde im Gemenge der Studenten auf und gesellte sich zu ihnen. Da das verträumte Lächeln auf ihrem Gesicht nicht zu übersehen war, bestürmten sie ihre Freunde, oder zumindest der weibliche Teil davon, gleich mal mit Fragen. Ein paar gewisse Details ließ sie zwar weg, aber auch so wurde es eine recht unterhaltsame Erzählung, die das Abendessen um so schneller vergehen ließ. Dabei fiel Paula zu ihrem großen Ärgernis auf, dass sie immer noch keine Ahnung hatte, wie er überhaupt hieß. Ein Weilchen schnappten die Vier danach noch die laue Abendluft, bevor sie sich entschlossen ins Bett zu gehen, denn die ganze Hetzerei des heutigen Tages hatte sie mehr mitgenommen als gedacht. Oder vielleicht waren sie auch immer noch ein wenig benebelt. Ihre Zusatzaufgaben verschoben sie auf die Freizeit am Wochenende und so wurde nur noch ein wenig gekramt, sortiert, gelesen und mit Pokémon geknuddelt, bevor allen die Augen zu fielen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)