Dunkelläufer von Samehada ================================================================================ Kapitel 1: Unterstadt --------------------- Scharf blies der kalte Wind des Nachts durch die leicht geöffnete Eingangstüre des völlig im Dunkel gelegenen und verlassen wirkenden Reihenhauses. Erste Tropfen, die die Straße und das heruntergekommene Gebäude benetzten, kündigten eine verregnete Nacht an. Die schmutzigen Scheiben der Flügeltür spiegelten blass den wolkenverhangenen Mond wider, der voll stoischer Ruhe des quälend langsamen Verfalls stiller Zeuge wurde, und erinnerten wehmütig an bessere Tage. Das hallende Platschen von tropfendem Wasser, das durch aufgeweichte Fußböden und schimmelnde Wände in den dahinter liegenden dunklen Gang troff, erstickte jedoch jede Hoffnung auf deren Rückkehr schon im Keim. Schwarze Wolken zogen am Himmel auf, und versteckten die Quelle silbernen Lichts alsbald und scheinbar unwiederbringlich hinter ihren Leibern. Die Schatten schoben sich unter seltsam anmutenden Verrenkungen über die einsturzgefährdete Außenmauer. Regentropfen rannen in deren Rissen und Furchen hinab, und sammelten sich auf dem schmutzigen Asphalt des Gehweges in kleinen Rinnsälen. Das langsam stärker werdende Unwetter prasselte auf das alte Gebäude ein, und es schien als müsse nicht mehr allzu viel geschehn bis das marode Gemäuer den langen Jahre währenden Kampf um seinen Weiterbestand verlor. Im ersten Stock klapperte ein Fensterladen über einem rostigen Fensterbrett, und hinter dem leicht geöffneten noch intakten Fenster war ein schwaches Leuchten zu erkennen. Auf dem nur noch an einer Niete hängenden Brett versuchte sich eine Kakerlake verzweifelt in Sicherheit zu bringen, dem Regen auszuweichen, und den fatalen Fehler die Mauer hochzuklettern durch einen beherzten Sprung durch das gekippte Fenster wieder auszubügeln. Leider versagte das Schicksal der armen Kreatur diesen Erfolg, und sie stürzte - von einem Tropfen verhängnissvoll getroffen - mit einem lautlosen Schrei über die Kante des Fensterbretts in die dunkle Tiefe. Das leise Flüstern - nicht viel mehr als ein Gedanken - hinter der Scheibe entriss der gefallenen Kakerlake die geneigte Aufmerksamkeit des Unwetters, und schlich sich geheimnisvoll und langsam weiter in den Mittelpunkt. Hinter der Scheibe war das Unwetter sehr viel dumpfer und weniger beanspruchend zu hören, und verbreitete einen Ansatz von Gemütlichkeit. Nahm man allerdings das Inventar in diese Berechnung auf, so musste man unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass kein bekanntes oder unbekanntes Unwetter des Universums eine ausreichende Kompetenz aufzuweisen imstande war, um das Wort Gemütlichkeit angesichts dieses Raumes auch nur zu buchstabieren. Die Einrichtung war volkommen zerstört, und der Geruch von Moder und Schimmel ließ darauf schließen, dass seit deren Blütezeit schon eine geraume Weile vergangen war. Tapetenfetzen hingen schlaff von den Wänden, und einige schimmelnde aufeinander gestapelte Matratzen lagen in einer Ecke des mit vor sich hin moderndem beigefarbenem Teppich ausgelegten Zimmers. Einige Trümmer, die nach längerer Betrachtung einigermaßen als eine ehemalige Couchgarnitur zu erkennen waren, lagen den Matratzen gegenüber. Den Bereich gegenüber des Fensters füllte ein Haufen Elektronikschrott, der einen alten Fernseher, ein paar recht interessant anmutende, jedoch völlig veraltete Spielkonsolen, und noch ein wenig nicht zu identifizierendes Kabelgewirr erkennen ließ, das durchaus ein Soundsystem hätte sein können, jedoch konnte man das nicht mehr mit Sicherheit sagen. Die einsetzenden Blitze des draußen tobenden Gewitters tauchten das wohlwollend als Inventar zu bezeichnende Gerümpel für einen Augenaufschlag in gleißendes Licht, um es danach für Sekunden aus der visuellen Wahrnehmung verschwinden zu lassen. Die Finsternis in der Ecke unter dem Fenster, deren Schwärze nur von einem leichten Glimmen durchschnitten wurde, kümmerte dies recht wenig. Ein leises Wimmern war zu vernehmen. Dies alleine hätte auch durchaus dem Wind zugeschrieben werden können, wäre nicht zeitgleich eine Hand aus der Dunkelheit gekrochen, um sich an der Wange des dazugehörenden Kopfes zu kratzen, der wiederrum an einem unter dem Fenster liegenden Körper festgewachsen war. Ein eigenwilliges Geräusch war zu hören, als die zittrige Hand über die unrasierte Wange schabte, und rötliche Striemen auf der Haut hinterließ. Der Kopf, dessen Wange soeben einem bösartigen Juckreiz anheim gefallen war, lag schwer auf einem Ausläufer des Couch-Schrotts, und starrte dumpf in die Dunkelheit vor sich. Der offensichtlich noch komplette Leib, der sich in der Ecke liegend mühsam am Leben zu erhalten versuchte, lag wie gelähmt ausgestreckt auf dem Boden, und wirkte im Gleißen der Blitze eher wie ein ebenfalls zerstörter und nicht mehr gebrauchter Einrichtungsgegenstand. Ein glucksender Laut entsprang der Kehle des Kopfes, der sich wie ein waidwundes Tier drehte und auf der Stirn zu liegen kam. Nicht in dieser Welt war das Bewusstsein des Kopfes, nicht verfügbar die willentliche und wissentliche Fähigkeit seine Gliedmaßen koordiniert zu bewegen. Dies war im Moment nur ein Haufen Fleisch, nicht viel mehr. Einige Sekunden der Stille folgten, kein Blitzen des Unwetters, kein Piepsen einer Maus, kein Schaben einer Ratte in den Wänden.... Stille. Das Glimmen, dass das humanoide Wesen in der Dunkelheit verriet, wechselte seine Farbe von einem flackernden Blau auf helles Rot, und ein gequältes Piepsen - einem sterbenden Vogel vergleichbar - war zu hören. Als wäre dies ein phantasievoller Startschuss gewesen, sprang das Wesen aus der Ecke, und tobte kläglich schreiend durchs Zimmer. Seine dünnen Arme schlugen um sich, rissen Stofffetzen aus der ehemaligen Couch und schleuderten Überreste von Unterhaltungselektronik gegen die Wände. Im fahlen Schein der nun, als wäre dies die Initiation des Armageddon, draußen gen Boden zuckenden Blitze war dies ein gespenstisch anmutendes Szenario. Es hatte den Anschein, als wären die Züge der im Licht als Mensch zu erkennenden Gestalt in panischer Agonie verzerrt, und nur noch eine Fratze, die bessere Zeiten Lügen strafte. Nach einigen Minuten brach das Elend mit einem Aufschrei in der Mitte des Zimmers zusammen, und nur noch ein wimmerndes Schluchzen war von dem eben noch wie ein Berserker durch den Raum Tobenden zu hören. Krämpfe schüttelten den ausgemergelten Körper, und in seinem großteils von Schweiß, Rotz und verkrustetem Blut verklebten Gesicht stand Wahnsinn und Angst. Er formte Worte mit seinen Lippen, jedoch war fast nichts zu hören, und das Wenige das ihm möglich war in verständliche Formen zu pressen wurde von dem mittlerweile zu einem Sturm herangewachsenen Gewitter verschluckt. Mühsam versuchte der Gefallene sich aufzurappeln, doch seine Gliedmaßen versagten ihm unter heftigem Zittern den Dienst, und er fiel unsanft und heftig stoßweise atmend zurück auf den verdreckten beigen Teppichboden. Er sprach immer noch, und er sprach sehr schnell, doch kein artikulierter Laut kam nun mehr über seine Lippen, und nur die rasselnde pfeifende Atmung war leise zu hören. Es wirkte, als erlebte er einen Wachalbtraum, welcher ihn immer weiter in eine finstere und abartige Karikatur einer heilen Welt hinabzuziehen versuchte. Einige Minuten vergingen, hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken lag die menschliche Masse da, und wimmerte unhörbar Litaneien vor sich hin. Wie von einer fremden Zunge geführt, als folgte er einem überirdischen Drehbuch, unverständlich für andere. Nach quälend langsam vergehenden Minuten erschlafften seine Glieder plötzlich, und sein Atem normalisierte sich etwas. Ruhig und wie festgefroren lag er da, doch seine Augen waren schreckensweit an die schmutzige Decke gerichtet, die - ihres Anstrichs müde - ein wenig Dispersionsstaub auf ihn regnen ließ. Sein Mund öffnete sich quälend langsam, und ebenso langsam flüsterte er einige schwer zu verstehenden Worte. Das Sprechen bereitete ihm offenbar solche Mühe, dass man mitansehen konnte, wie sein Körper sich bei jedem Wort verkrampfte und danach wieder kraftlos erschlaffte. „Leer... nein... muss... oh nein... mehr...“ presste er zwischen seinen verkrusteten Lippen hervor, bevor er in eine gnädige Ohnmacht abglitt, die ihm zumindest für die nächsten Stunden die Schmerzen und Krämpfe ersparen würde. Doch bedeutete dies nur einen Aufschub für ihn, eine Gnadenfrist, die ihm die Möglichkeit gab, noch einmal etwas Kraft zu schöpfen für seine beginnende Prüfung. Wieder und wieder wiederholte sie sich; Dem Sissyphus gleich schleppte er seine Bürde durch die Welt, nur um auf dem Gipfel der Zufriedenheit zu sehen, dass sein weiterer Weg nur dazu bestimmt war, ihn in Schmerzen und Leid zu hüllen. Seine Hoffnung war schon lange verflogen, seine Träume nur noch ein Schatten in dem kranken Geist, den seine Welt in ihm konstruierte. Seine Versuche dies aufzuhalten spielten dem System nur in die Hände, und so dauerte es nicht lange bis er sich auf einem Weg wiederfand, den zu verlassen er nicht mehr in der Lage war. Hier war er nun. Und er wollte mehr. Mehr.... viel mehr davon. Die Welt hatte sich in den letzten Jahrzehnten deutlich weiter in eine Richtung bewegt, die nicht viel Platz ließ für Individualität, Kreativität, und solch triviale Gefühlsregungen wir Liebe, oder Trauer. Viele der früher so wichtigen Werte, die den Menschen während ihrer Jugend vermittelt wurden, wurden ersetzt, durch richtigen Umgang mit Leistungsdruck, uneingeschränkten Gehorsam, kurz, durch Eigenschaften die einzelne Leistungserbringer wertvoller für die Gemeinschaft machten. Als Leistungserbringer genoss man in diesen Tagen einige Rechte, die die persönliche Lebensqualität enorm steigerten, seien es Privilegien wie der Einkauf in Supermärkten, die günstigere ärztliche Behandlung, das eingeschränkte Recht auf Einspruch, oder die Wahrung der Privatsphäre. Eigentlich war es zwar so, dass leistungsschwachen, oder Menschen ohne Eden Karte - die die Bürgerrechte repräsentierte, und nur an Berufstätige, die eben so genannten Leistungserbringer ausgegeben wurde - diese Rechte einfach vorenthalten wurden, aber die politischen Werbekampagnen sagten etwas anderes, und eigentlich hatte man auch keine Zeit, sich über so etwas Gedanken zu machen. Wirtschaftlich ging es immer weiter bergauf, wobei jedoch niemand sagen konnte in welche Höhen dies weitergehn sollte, bis der unweigerliche, von allen totgeschwiegene und scheinbar wegrationalisierte Absturz kam. Nachdem man anfing, die Zweit- und Dritt Beschäftigungen von Politikern zu verbieten, und dafür diversen Aufsichtsratsvorsitzenden eine Zweitbeschäftigung als Politiker anzubot, erlebte die wirtschaftliche Lage einen Aufschwung, wie er noch nie da gewesen war. Dass dies zu Lasten der einzelnen Bürger, der Entlohnung, und der Versorgung der Leistungserbringer ging, wurde in Argumenten des Zusammenhalts, des „gemeinsamen Blicks in die Zukunft“, und sonstigen derartigen, für diesen Fall zurechtgelegten Floskeln ertränkt. Natürlich passten sich auch die Träume verkaufenden Dealer und Drogenbarone den veränderten Begebeheiten an, und wurden in dieser Zeit der verzweifelten Seelen für manch einen zum Retter, doch für die meißten zum Mörder. Recht gut gekleidet jedoch, mit blütenweißer Weste. Neue Technologien ermöglichten es, immer fantasievollere und schwerer zu entdeckende Formen, und Applikationsmöglichkeiten der diversen Drogen hervorzubringen. Seien es Naniten, die die Rezeptoren an den Synapsen des Gehirns modifizierten, oder die wieder aufgelebte - freilich verbesserte - Methode der Elektroschocks. Auch die klassischen Formen als Pulver, verbacken, oder in Flüssigkeit gelöst waren noch recht populär, jedoch waren die Süchtigen mit eher weniger finanziellen Mitteln, die diese alten Formen benutzten, meist schnell gefunden. Das geringste womit ein solch bemitleidenswerter Junkie rechnen musste, war ein Zwangsentzug, Überwachung der Privaträume, und einen Eintrag im seine Unic-ID, eine Art Lebenslauf und Führungszeugnis. Kurz und gut hatte sich diese Welt in der Richtung weiterentwickelt, die ihr in den letzten Jahrhunderten gegeben wurde. Einige Kritiker dieser Theorie führten zwar oft das Argument der Spekulation, und das des Fehlens überprüfbarer Fakten in ihren Reden, jedoch war eigentlich offensichtlich dass Macht zu Korruption, Geld zu Ignoranz, und Kompetenz zu Arroganz führte. Der Grundstein dazu wurde schon lange gelegt, und in dieser Zeit, als die Früchte dieses Tuns immer mehr reiften, sich ausbreiteten, und den Planeten zu verschlingen drohten, wurde jeder Freund, jeder Anflug von Vertrauen, und jede Berührung - sofern nicht unwillentlich, oder in anderen als positiven Sinnen geschehen – zu einem kostbaren und schutzbedürftigen Umstand. Diese Zeit war es, in der die Depression einen Punkt erreicht hatte, an dem sie nicht mehr ansteigen konnte, an dem sie den Zenit jedes irgend möglichen Superlatives erreicht, und jede Skala gesprengt hatte. Und doch zu nichts führte. Denn die Psyche der Menschen war ein sonderbares Gewirr aus Emotionen und Gedanken. Leistungsfähiger als jeder Computer, und jede künstliche Intelligenz, jedoch mit so subtilen, so geringen Mitteln manipulierbar. Die Schwierigkeit in dieser Zeit, und in langer Zeit davor, noch bevor es Zusammenschlüsse von Staaten gab, noch vor Handelsembargos, und kartellrechtlichen Verhandlungen. Noch vor Überlegungen wirtschaftlicher Natur, vor dem Raumflug, dem Fernsehen, noch vor der Entdeckung Amerikas, und vor der Erfindung des Rades ist, und war, zu verstehen, das der Mensch nie dazu gedacht war, ein Herdentier zu sein.... Kapitel 2: Desillusionen ------------------------ Über der Stadt hingen schwere Wolken, und entluden ihren nasskalten Inhalt über graue Häuserschluchten. Alte Gebäude aus längst vergangenen Tagen trotzten stolz restauriert und stur den Wassermassen, und sicherten sich ihren Platz in der nicht mehr zu ihrer Zeit gehörenden Gegenwart. Autos rasten mit fremdartig monotonen und leisen surrenden Geräuschen auf den modernen Verkehrsleitsystemen herum, und es war als würden sie sich nicht ganz entscheiden können, wohin sie eigentlich fuhren. Der große Fluss, der sich mitten durch die alte Stadt zog floss schnurgerade und fast ohne Wellen dahin, nur die Tropfen des fallenden Regens wühlten seine Oberfläche auf, und brachten ein wenig unkontrollierte Bewegung in sein viel zu kontrolliertes Wesen. Große runde bunte Scheiben flossen auf den Strassen dahin, darunter befanden sich Menschen. Manche fluchten über das Wetter, manche blieben einfach stumm, und senkten desinteressiert den Kopf, während sie den Griff ihrer Regenschirme umklammerten, und mit missmutigem Blick und fast ebenso langweiligen kontrollierten Bewegungen ihrer Wege gingen. Eine Gestalt jedoch trotzte dem Regen ohne dazugehörigem Schutzutensil, und ging, die Hände weit in den langen schwarzen, nass glänzenden Ledermantel geschoben, an dem langweilig begradigten Fluss entlang. An seinen Bewegungen war irgendetwas anders, sie fühlten sich irgendwie nicht wie die der an ihm vorbeitrabenden, und ab und zu murrenden Masse an. Wäre man gezwungen gewesen, sie in Farben zu beschreiben, hätte man unweigerlich zu dem Schluss kommen müssen, dass diese interessante Gestalt sicherlich eine recht orange Art zu gehen gehabt hatte, während man sich gemüßigt gesehen hätte, die anderen mit einem faaden Graublau abzukanzeln. Die orange Gestalt besaß schwarze kurze Haare, die durch das fehlen des Regenschirms, und des daraus resultierenden klatschnassen Ambientes in Strähen an seinen Kopf gelegen hätten, wären sie nicht in Ermangelung ausreichender Länge fast senkrecht von selbigem gestanden. Er passierte eine Brücke die sich wie eine Naht über den Fluss spannte, ohne die er sich womöglich wieder zu seiner ürsprünglichen Form ausgedehnt hätte, und wich mit geistesabwesender Gleichgültigkeit einigen Passanten aus, die ihn abschätzend betrachteten. Er wartete nicht darauf, bis der arrogante Blick in den Gesichtern ihm zeigte, dass die anstrengende Suche nach der richtigen Schublade Früchte getragen hatte, und setze seinen Weg durch den regnerischen Nachmittag fort. Der junge, für manche Augen möglicherweise recht gutaussehende ,orange und durchnässte Mantelträger war wie jede der sich verzweifelt vor den Wassertropfen schützenden Gestalten nur ein kleiner Tropfen im bedächtig und zäh dahinfliessenden Fluss der Dinge. Jedoch werden Tropfen zu Bächen, zu Flüssen und Wasserfällen. Zu Kristallen und Lawinen, wenn das Schicksal seinen Teil dazu beiträgt. „Scheisswetter. Das Wort des Tages.“, dachte Salem, als er langsam und missmutig am Ufer der Salzach Richtung Staatsbrücke ging. Seit dem Einsturz im Jahre 2156 und dem nachfolgenden Wiederaufbau hatte dieser Übergang irgendwie seine Wichtigkeit verloren. Nach der Begradigung des Flusses, und der Verlegung der Solstufe an den jetzigen Stadtrand war auch Platz für größere Brücken gewesen. Salem war dies nur recht, denn auf dem alten Steg stand er gerne, schaute über die immer weniger werdenen alten Gebäude, die immer noch im Kern der Stadt standen, und wunderte sich über die Dummheit mancher Leute. Er wunderte sich gern über Dummheit anderer Leute. Im Prinzip war das nach den japanisch-österreichischen Übersetzungen,mit deren Anfertigung er sich seinen Lebensunterhalt mehr schlecht als Recht verdiente, seine Lieblingsbeschäftigung. In letzter Zeit waren das aber fast nur noch irgendwelche Hentai Mangas die man sich aufgrund des offensichtlich drastisch angestiegenen Bedürfnisses nach exzessiver Perversion fast nicht mehr ansehen konnte. Im letzten Monat waren wohl die meisten von ihm übersetzten Wörter Variationen von Bezeichnungen für Geschlechtsteile und abartige Sexpraktiken gewesen. Salem kratzte das wenig. Er bekam seine Aufträge, und machte was man ihm auftrug. Vorausgesetzt man bezahlte dafür auch ordentlich, denn seit den fehlgeschlagenen Klonprogrammen der japanischen Regierung gab es nur mehr wenige japanischstämmige Übersetzer, und die waren alle zusammen sehr sonderbar..... So sonderbar, dass man sich immer besser fühlte, je mehr Raum man zwischen sich und deren verquere Sicht der Welt brachte. Manchmal fühlte sich Salem im Gespräch mit einem der in Salzburg arbeitenden Asiaten an einen Klassiker der Filmgeschichte erinnert... Es ging um ein Raumschiff, und eine Rasse die sich Borg nannten... doch er wusste es nicht mehr genau. Langsam ging er den leichten Anstieg hinauf, und lies seinen Blick über die Linzer Gasse und die neue Antigrav Plattform schweifen, die jetzt über dem Platzl schwebte, und auf die man wegen dem vermehrten Verkehrsaufkommen die ortsansässigen Geschäfte verlegt hatte. Das pulsierende Summen der in den Boden des Platzes eingelassenen Generatoren, die die Plattform an ihrem Platz hielten, wirkte immer sonderbar beruhigend, sofern man nicht daran dachte dass ein einziger dieser Ungetüme in einer Stunde soviel Energie verbrauchte, wie ganz Wien am Ende des 20. Jahrhunderts in einer Woche. „Andererseits hätten die neuen Tamsweger Kaltfusionskraftwerke sonst ja auch zuwenig zu tun...“, dachte er gehässig, und stieg die paar Stufen zum Platzl hinauf, um dann rechts auf die angesteuerte Brücke einzubiegen. Wenn er daran dachte, dass diese Kraftwerke, diese „Eurofighter“, 60% des Haushaltsbudgets der nächsten 10 Jahre verschlangen wurde ihm immer noch schlecht. Warum man solch eine vollkommen sinnlose Investition „Eurofighter“ nannte wusste er nicht, das hatte wohl mit wenig erfreulichen Ereignissen vor seiner Zeit zu tun. Den Kopf schüttelnd, um die depremierenden Gedanken beiseite zu wischen, betrat er die Brücke, und sein Gemüt hellte sich ein wenig weiter auf, je weiter er sich der Mitte des großen Überganges näherte. Das Summen hinter ihm verklang immer mehr, und verschwand schlieslich in den Geräuschen der Autos, dem Klackern von Absätzen auf hartem Plasphalt, und dem Raunen der Menschen, die sich über für ihn belanglose Dinge unterhielten während sie für ihn belanglosen Orten zustrebten. Er stellte sich ans Geländer, und starrte auf den ruhig und wellenlos unter ihm dahinfliessenden Fluss. „Wellenlos...Willenlos wäre wohl der Bessere Ausdruck dafür.“, überlegte er sarkastisch schmunzelnd... „Und willenlos wie immer trieb er dahin, bis zu seinem Ende...“ „Was für ein beschissener Alltag.“ sagte er laut, und trat eine kleine Resoplast Verpackung von der Brücke in den Fluss, die platschend in das trübe graugrüne Wasser fiel und sofort versank. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)