Hexenkinder von P-Chi ================================================================================ Kapitel 1: Der Markt -------------------- Rain zischte wütende Flüche während sie durch die Reihen der Häuser ging. Alles, aber auch wirklich alles war niedergebrannt worden. In der Hexe kochte es vor Wut und Rachegelüsten. Theumis würde es noch bitter bereuen sie nicht mit eigenen Händen umgebracht zu haben. Seufzend beäugte sie den verkohlten Scheiterhaufen und unterdrückte ein würgen. Auf den fünf Haufen im Zentrum des Hexendorfes wurden ihre Tanten und Freunde umgebracht. Verbrannt bei lebendigem Leibe. Die Schreie hallten ihr immer noch in den Ohren nach, wie ein nie endendes Echo. Ein kurzer Schluchzer entrang ihrer Kehle. „Nein! Reiß dich zusammen, Rain. Deine Rache wird kommen, du musst nur durchhalten und warten bis der König seinen Fehler einsieht.“ Mit reiner Willenskraft unterdrückte sie die Tränen und wandte sich lieber den Hütten zu. Noch nicht einmal diese hatten sie verschont, genauso wenig wie die Felder und Wiesen. Alles schwarz und voll Asche. Weißer Asche. Es hieß, dass wenn man eine Hexe verbrannte, sich ihr Körper zu Staub auflöste und jegliche Magie enthielt die sie zu ihren Lebzeiten besaß. Umso wertvoller war die weiße Asche heutzutage am Hofe des Königs. Rain würde gewiss kein Problem haben sich Hilfe zu besorgen. Sie dankte ihren Tanten dass sie ihre Asche mit einem Fluch belegt hatten damit die Abtrünnigen des Königs ihren Tod nicht ausnutzen konnten. Der Magie sei Dank! Müde rieb sich Rain über die Augen und blickte der untergehenden Sonne entgegen. Das Pferd das sie sich gegen Bezahlung ausgeliehen hatte, trabte ungeduldig am Waldrand und zog an seinen Zügeln, die sie ihm um einen Ast gebunden hatte. Ein letztes Mal atmete Rain den Geruch von Blumen, Wald und etwas Schwefel ein, um nicht zu vergessen wo ihre Heimat war und stapfte dann zurück zu ihrem braunem Hengst. Es wäre besser wenn sie nicht zurück auf die kläglichen Überreste ihres Dorfes blicken würde. „Schlaft in Frieden, geliebte Familie. Euer Tod wird nicht ungesühnt bleiben“, flüsterte die Hexe mit einem boshaften Lächeln auf den Lippen. Ja, jeder der Hexen Unrecht getan hatte würde ihren Hass zu spüren bekommen. Angefangen bei dem König und seiner Gefolgschaft. „Das könnt ihr doch nicht machen! Lasst mich gehen! Ihr wisst wohl nicht mit wem Ihr es zu tun habt, mein Name ist Clarissa De’Monde! Ich bin ein Mitglied der Herrschaftsfamilie, lasst-mich-gehen!“ Wütend zerrte sie an ihrem Arm, der von einem der Leibwächter des Königs wie ein Schraubstock festgehalten wurde. Was hatte er hier überhaupt zu suchen? Sollte er nicht, gemäß seiner Verpflichtung, an der Seite des Königs sein und ihn vor Attentätern und Dieben schützen? Wusste er, dass sie eine Abgesandte der Diebe war und Clarissa lediglich ein Pseudonym war? Eine Katastrophe! „Ihr wurdet angeklagt, eine Verräterin zu sein und das Wasser des Königs aus dem Palast gestohlen zu haben. Laut dem Gesetz erwartet euch die Todesstrafe, doch zuvor werdet Ihr die Gelegenheit auf eine Anhörung bekommen.“ Cailan klang ruhig, wie sie es bereits gewohnt war. Wann immer man ihn zu Gesicht bekam, war sein Gesichtsausdruck entweder berechnend, kühl oder desinteressiert. Die Diebin starrte ihn geschockt an und registrierte gar nicht mehr, dass der Wächter sie weiter hinter sich herzog. Man hatte ihre Tarnung aufgedeckt! Sie musste ein Wimmern unterdrücken. Warum war ihr nicht schon früher bewusst geworden, dass der König veranlasst hatte das Brunnenwasser zu vergiften?! Schließlich war es ihre Aufgabe gewesen eben dies zu verhindern! Sie war ja so blöd! Jetzt waren fünf ihrer Kameraden tot! So ein Mist, fluchte sie in Gedanken und senkte in Gedenken an ihre Freunde den Kopf. Doch die kurze Stille hielt nicht Ewig, denn schon begann die Diebin wieder aufzubrausen. „Wie könnt ihr es wagen!“, fauchte sie und ging im Kopf die Möglichkeiten für ihre Flucht durch. Schließlich durfte sie nicht in Selbstmitleid baden und lieber etwas unternehmen! Die Chancen dass sie in Gegenwart eines Wächters fliehen konnte standen sehr schlecht. Zu Fuß würde er ihr in seiner Leopardengestalt mit Leichtigkeit hinterher kommen und sie niederstrecken. Auch wenn sie vielleicht weglaufen könnte, so befand sie sich im Augenblick mitten im Hof des Königs. Innerhalb zehn Minuten hätten die Wachen sie gefasst und zurückgeschleift. Es blieb ihr nur noch die Hoffnung das ihr Bruder ihr Verschwinden früh genug bemerkte, bevor sie hingerichtet wurde. Zielstrebig marschierte Cailan, gefolgt von zwei Wachmännern, in den Thronsaal. Meist wurde dieser Saal lediglich für Feste und Zeremonien benutzt. Seit kurzem Allerdings, wurden dort die meisten Verurteilungen ausgesprochen. Der Boden bestand aus rotem Carneol, der von unzähligen weißen Linien durchzogen wurde. Die durchsichtigen Säulen aus Bergkristall, die den Weg zum Altar säumten, wurden Teils von den Sonnenstrahlen erleuchtet die aus langen Fenstern des Palastes hereindrangen. Die Diebin stieß noch immer Flüche aus und versuchte gar nicht mehr ihre Verkleidung als Adlige aufrecht zu erhalten. Cailans Griff schien mit jedem Schritt den sie taten unnachgiebiger zu werden. Was für ein Rüpel! Selbst die Männer aus der Diebesgilde hatten mehr Anstand als der Wächter! Der König saß gelangweilt auf seinem Thron und schloss gerade ein Gespräch mit seinem anderen Leibwächter, Theumis, ab. Zugegebener Maßen, ihn hasste sie sogar mehr als Cailan. Er war hinterlistig, intrigant und einfach widerlich. Sein übliches Grinsen konnte er sich sonst wo hin stecken. „Na wen haben wir denn da? Lady Clarissa, wie schade, und ich dachte ich bedeute euch etwas“, säuselte der Wächter mit den Saphirgrünen Augen. „Fahrt doch zur Hölle!“, schrie die Diebin angsterfüllt. Ihre Knie wurden schwächer je näher sie dem Mann mit dem langen schwarzem Haar und den ebenso grünen Augen wie die von Theumis, kam. Der König. Er schien weder alt noch jung. Für jede Frau eine Augenweide, doch sie konnte keine Freundlichkeit in seinem Gesicht erkennen. So wie er Hexen verachtete, so hasste er auch die Diebe. „Na, na, na. Nun seid doch nicht gleich beleidigt“, sagte Theumis amüsiert und lächelte schelmisch. Es würde ihm eine Freude sein dieses hübsche Gesicht grün und blau zu prügeln. Ob sie wohl um ihr jämmerliches Leben bettelte? Wenn er sie so musterte, bezweifelte er es. Ihre Augen strotzen gerade zu vor Entschlossenheit. „Mein König? Soll sie hingerichtet werden, oder steht noch eine Verhandlung bevor?“ Germeos massierte sich den Nacken und bedachte die Diebin prüfend. Sie hatte ihnen eine Menge Ärger bereitet, als sie das Wasser aus dem Schloss gestohlen hatte. Im ganzen Reich herrschte Ebbe. Es hatte seit einem Jahr nicht mehr geregnet. Der Ernte ging es schlecht, die Menschen wurden immer aggressiver unter dem Druck der knappen Wasserversorgung. Die Brunnen und Flüsse trockneten aus, es wurde immer schlimmer. Natürlich schrieb er den ganzen Ärger den Hexen zu. Die Tatsache dass die Situation des Volkes nicht besser wurde, bestätigte ihm nur den Verdacht dass noch nicht jede Hexe ausgerottet wurde. Dabei hatte er erst vor knapp einem Jahr ein ganzes Dorf niederbrennen lassen. Und diese verfluchten Hexen hatten ihm dafür den Anspruch auf die weiße Asche verweigert! „Richtet sie!“, befahl er und winkte zwei Wachmänner herbei. „Wartet“, sagte Cailan plötzlich und befahl den Männern mit einem Blick still zu stehen. Als wären sie zu Eissäulen erstarrt, leisteten sie seinem Befehl sofort Folge. Die Diebin atmete erleichtert aus. Sie hatte schon befürchtet das dass ihr Ende sein würde. Der König bedachte ihn mit frostigen Augen und nickte dann kapitulierend. „Also gut. Sagt was ihr zu sagen habt“ Obwohl Germeos der König war, so fühlte er doch etwas ähnliches wie Respekt gegenüber seinen Leibwächtern. Allerdings musste er sich vor dem Jüngeren hüten. Dieser war unberechenbar. Es gab keinen Auftrag den er nicht erledigte, doch seine Gelassenheit und Effizient war ungewöhnlich für einen einundzwanzig Jährigen Jüngling. Noch dazu war er Gestaltwandler. Blutrünstige Biester. Zum Glück standen sie auf seiner Seite. „Es wäre Sinnvoller sie noch eine Weile am Leben zu lassen. Schließlich hat sie sich für einen langen Zeitraum als Adelige ausgegeben. Es würde mich nicht wundern wenn sie sich mittlerweile mit vielen Lords und Ladys angefreundet hätte die einen gewissen Rang bekleiden. Wenn plötzlich ein Mitglied ihrer Reihe verschwindet, könnte das unnötiges Aufsehen erregen.“ Da lag er weit daneben, dachte sie, ließ es sich aber nicht anmerken und streckte stolz ihr Kinn vor. Sollen die werten Herrschaften doch denken was sie wollten, Hauptsache sie bekam noch ein paar Tage Zeit bevor sie sich ihrem Henker gegenüber stellen musste. Vielleicht geschah noch so etwas wie Wunder und sie würde Heil aus dieser Sache rauskommen. Germeos überlegte. Cailan hatte nicht ganz Unrecht. Sollte er voreilige Schlüsse ziehen, so könnte es zu einem Aufstand kommen. Das durfte er nicht riskieren. Er brauchte die Menschen auf seiner Seite wenn er in kürze in den Krieg gegen das Nachbarsland ziehen wollte. Seufzend rieb er sich kurz über das Gesicht. Er war hundemüde. Schon den ganzen Morgen hatten sie die Verhaftung der Diebin geplant und jetzt, da sie endlich in seiner Gewalt war, konnte er sich endlich wieder entspannen. Er würde sich noch Heute Nacht ein paar willige Mädchen auf das Zimmer schicken lassen. „Ich verstehe. Da habt ihr natürlich Recht, Wächter Cailan. Werft die Frau in eine Zelle und lasst sie bis Morgen hungern!“ Cailan entfernte sich in einer leichten Verbeugung von der Diebin und überließ es den beiden Wachen sie abzuführen. Sollen sie sich doch mit ihr rum ärgern. Theumis grinste schadenfroh und folgte mit seinen listigen Augen den Bewegungen der Frau. Ihr langes, rotes Haar war ein deutlicher Kontrast zu dem hellen Palast. Wenn sie versuchen würde abzuhauen, wäre es ein leichtes sie ausfindig zu machen, dachte der blonde Wächter. „Wenn es sonst nichts mehr gibt wofür mein König mich brauchen könnte, würde ich mir gerne erlauben mich zurück zu ziehen“, bat Theumis unterwürfig, legte sich eine Hand auf die Brust und senkte den Kopf ehrfürchtig. „Ja, geh nur. Cailan, du auch. Für heute habe ich genug“ „Sehr wohl“, sagten die beiden gehorsam und verschwanden in jeweils anderen Ausgängen. Die Nacht war noch lange nicht zu Ende, und sie hatten noch vieles vor. „Hey? Hey, wach auf. Wir sind angekommen.“ Jemand rüttelte Rain sanft am Arm. Sie hatte seit letzter Nacht kaum geschlafen, und nachdem sie es endlich geschafft hatte einen Kutscher anzuhalten der in die Stadt wollte, fiel sie fast augenblicklich in den Schlaf. Sie hatte sich zwischen die Kisten und Säcke gesetzt, weil es beinahe der einzige freie Platz war. Ihr Rücken schmerzte. Und es lag nicht nur an ihren Narben, das raue Holz hatte ihren Rücken aufgeschürft und reizte ihre Wunden. Aber auch ihr rechtes Schulterblatt hatte einen Großteil der Schmerzen abbekommen. „Au“, murrte sie, noch immer halb schlafend. Erneut rüttelte der alte Mann sie. „Wacht auf, oder ich werde euch einfach rauswerfen“ Seine Stimme war freundlich und voller Wohlgefallen, aber konnte auch nicht dulden das sich diese junge Frau hier breit machte. Er musste noch seine Waren abladen. Seine Großzügigkeit würde ihm noch zum Verhängnis werden, dessen war er sich sicher. Rain stöhnte, fasste sich aber ein Herz und öffnete blinzelnd die Augen. Das helle Sonnenlicht blendete sie. Ein stechender Schmerz durchbohrte ihre Augen, ließ aber kurz darauf nach, als sie sich von dem Holzanhänger schwang und sich den Sandstaub von ihrem Umhang putzte. Lächelnd drehte sie sich zu dem älteren Herrn und machte eine tiefe Verbeugung. „Habt Dank das ihr mich mitgenommen habt, werter Herr“ „Nun sei doch nicht gleich so förmlich! Nenn mich ruhig Balzar, machen alle. Sag mir auch gleich deinen Namen, schließlich hatten wir Gestern wenig Zeit zum sprechen, so schnell wie du eingeschlafen bist.“ Seine faltige Haut spannte sich als seine Mundwinkel nach oben wanderten und entblößte eine Reihe gelblicher Zähne, an manchen Stellen von Karies zerfressen. Rain überlegte. Es wäre unklug ihren Namen gleich an ihrem ersten Tag in der Innenstadt preiszugeben. Noch dazu einem Mann den sie kaum kannte. Außerdem hatte sie einen Hexennamen, der sich wie ein Lauffeuer am Hofe des Königs verbreiten würde, ehe sie auch nur einen Teil ihres Plans erreichen konnte. „Mein Name ist nicht für Eure Ohren bestimmt, Balzar, ich möchte euch keine Schwierigkeiten bringen nachdem Ihr mich so freundlich behandelt habt. Ihr könnt mich nennen wie ihr wollt.“ Der Mann musterte sie von Kopf bis Fuß. Ihr Aussehen entsprach dem einer gewöhnlichen Bauers Tochter, doch ihre formelle Ausdrucksweise ließ auf das absolute Gegenteil schließen. Wahrscheinlich war sie einfach eine entlaufene Adelstochter, die das große Abenteuer suchte. Es würde kaum ein Problem geben sie wieder zu erkennen. Zwei kleine Muttermale befanden sich direkt unter ihrem rechten Auge. Augen so schwarz wie Nacht. So schwarz wie Rabenaugen. Er schmunzelte. „Ich denke ich werde dich Reneva nennen. Reneva das Rabenkind“ Rain sah ihn verdutzt an. Warum Reneva? Sollte sie das kümmern? Es war nicht ihr richtiger Name, also konnte es ihr egal sein. Vielleicht würde sie sich auch in Zukunft unter diesem Namen vorstellen. Es würde ihr Ärger ersparen ein Phantom zu sein. Sie nickte. „Nun gut. Reneva ist eine akzeptable Bezeichnung. Lebt wohl, Balzar“ Ein weiteres Mal senkte sie den Kopf, als ob sie vor dem König persönlich stehen würde, und verschwand in der Menge der Menschen, die sich mittlerweile auf dem Marktplatz versammelt hatten. Balzar blickte ihr verwundert nach. Diese Dame wusste wie man jemanden abwürgen konnte. Als sie sich weigerte ihm ihren Namen preiszugeben, hatte so viel Schmerz in ihren Rabenaugen gelodert, dass er es einfach nicht mehr über das Herz brachte weiter zu stochern. Doch irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Ihr Gesichtsausdruck war gezwungen gewesen. Nicht sehr charmant, wenn man daran dachte das sich jemand in seiner Gegenwart verstellte. Schulter zuckend wandte er sich wieder seinem Hab und Gut zu. Irgendwie hatte er das Gefühl er würde sie nicht zum letzten Mal sehen. Rain streifte gedankenverloren durch die Gassen und Wege des Marktplatzes. Er war groß, beinahe so groß wie ihr Dorf. Korrektur: Ehemaliges Dorf. Der Boden war mit flachen Steinen, verschiedener Größen und Formen, gepflastert. Je näher sie dem Palast kam, der selbstverständlich im Zentrum des Reiches stand, desto symmetrischer erschienen ihr die Steine. Aber sie wollte nicht in das Schloss. Es wäre wirklich dumm von ihr sich gleich am ersten Tag dort rein zu schleichen und den König zu töten. Rain schluckte und blieb einen Augenblick stehen. Sie hatte noch nie jemanden getötet. Die schlimmste Attentat die sie begangen hatte war das häuten eines Hasen. Doch selbst an diese Erinnerung dachte sie nicht gerne. Wie konnte das Reich nur denken dass die Hexen mordlüsterne Bestien waren?! Zwei Dienstmägde die gerade ihre Einkäufe erledigen wollten, standen nah bei einander und tuschelten aufgeregt. Misstrauisch musterten die beiden Rain, die sich ihre Kapuze tiefer ins Gesicht zog und schleunigst weiter ging. Sie empfand es nicht als klug, länger als nötig diesen Weibern ausgesetzt zu sein. Die grausamsten Monster waren noch immer die Menschen, die mit ihren Vorurteilen andere krank machten! Nachdem sie sicher war, das sie die beiden Frauen weit hinter sich gelassen hatte, bog sie in eine Seitengasse ein und lehnte sich erschöpft an die kühlen Ziegel. Der starke Gewürzduft, der sich auf dem ganzen Markt ausgebreitet hatte, kitzelte ihre Nase. Nur mit Mühe konnte sie ein Niesen unterdrücken. Sie kratze sich ihren Nasenrücken und überlegte. Sie musste unbedingt den Pub ‚Rattennest’ finden, den ihr ein Landstreicher empfohlen hatte. Die Hexe fragte sich ob sie ihm trauen konnte, schließlich war sah er nicht gerade Vertrauens erweckend aus. Doch im Augenblick war es ihre einzige Möglichkeit die Diebe aus Eshuan ausfindig zu machen. Rain hatte sich ihre Reise irgendwie anders vorgestellt. Nicht nur das sie keinen Plan hatte, mutterseelenallein in einer fremden Stadt stand und eine Hexe war, auf deren Stirn der Satz: Für den Scheiterhaufen reserviert in imaginären Buchstaben stand, nein, sie musste auch noch den gefürchteten Dieb Ean um Hilfe bitten! Rain setzte sich widerwillig wieder in Bewegung und marschierte zielstrebig auf einen stämmig gebauten Mann mit Bart und Glatze zu. Sicherlich hätte ihr ein Soldat weiterhelfen können, doch zum einen hasste sie jeden der etwas mit dem König zu tun hatte und zum anderen war sie nicht sicher ob sie ihm einen Fluch an den Hals gejagt hätte. So blieb ihr nur die zweite Wahl. Sein Stand war relativ groß. Eine große, braune Decke diente ihm als Dach und schützte sein Gewürz vor den gefräßigen und listigen Krähen die sich wie Geier auf dem Stoff niedergelassen hatten und mit dem Kopf voran, hinab spähten. „Verzeiht. Darf ich Eure Zeit in Anspruch nehmen und Euch etwas fragen?“ Der Mann musterte die Hexe grimmig und kratze an seinem Kinn, dessen Bart seine Finger verschwinden ließ. Sie ignorierte seine lüsternen Blicke höflich und räusperte sich leise. Es wäre gut wenn sie ihn nicht verärgerte, solange sie Fragen hatte. „Was gibst du mir denn für diese Information?“, versuchte er es und schenkte ihr ein anzügliches Grinsen. Rain runzelte die Stirn. Kostete eine Frage wirklich etwas? In Eshuan herrschten wirklich merkwürdige Regeln. Ganz anders als in ihrem Dorf, doch wer war sie schon um sich zu beklagen? Eine Hexe, die mit einem Fuß im Grab stand. „Was wollt Ihr denn?“ Anstatt einer Antwort, wurde sein Grinsen breiter und Rain konnte nicht umhin als einen ganz kleinen Schritt zurück zu weichen. Der Mann beugte sich über seine Gewürze und winkte der Hexe leicht zu, damit sie es ihm gleichtat. Zögernd machte Rain wieder einen Schritt nach vor. Plötzlich packte er sie an ihrem Umhang und zog sie nah an sich ran, um seine Zunge in ihren Mund zu schieben. Viel zu geschockt, um zu denken, verharrte die Hexe still an Ort und Stelle und ließ den Händler sie voll sabbern. Als ihr Würgreiz zu stark wurde, stieß sie ihm, mit einem panischen Kreischen, zwei Finger auf die Stirn, woraufhin der Mann bewusstlos auf seine Gewürze sackte und laut zu schnarchen anfing. Diesen Trick hatten ihre Tanten immer bei ihr eingesetzt, wenn sie zu aufgeregt war um einfach gehorsam ins Bett zu traben. Erst nach einem guten Jahr hatte Rain es geschafft sich diese Fähigkeit anzueignen und nun erwies sie sich doch tatsächlich als nützlich. Wenn doch auch als unglaublich unpassend. „Hexe!“, ertönte eine piepsige Stimme hinter ihr. Rain wirbelte erschrocken herum und starrte das kleine Mädchen mit den Zöpfen an, das anschuldigend auf sie zeigte und sich hinter einem etwas älteren Jungen versteckte, der Rain einfach nur anstarrte. Sie trat einen Schritt auf die Beiden zu, ohne jegliche Böse Absicht, doch die Kinder dachten wohl sie wolle sie in Schweine verwandeln, oder derartiges und wichen sofort zurück. „Fass uns nicht an Hexe!“, zischte das Mädchen mit verheulten Augen und klammerte sich an den Jungen, der allmählich wieder Fassung gewann und sich schützend vor ihr aufbaute. „Hexe! Hexe! Hexe!“, schrien beide im Chor, um auch die Erwachsenen auf die Hexe unter ihnen aufmerksam zu machen. Rain war wie gelähmt. Oh, Gott, sie war erst seit einem Tag hier und schon hatte man sie entlarvt! Noch dazu von zwei kleinen Rotzlöffeln. Wunderbar, dachte sie sich sarkastisch und presste ihren rechten Zeigefinger auf ihren Daumen. Mit einem Ruck zog sie eine Linie über ihre Lippen. Die Kinder verstummten auf der Stelle und versuchten gewaltsam ihre Lippen zu öffnen. Erfolglos. Leider war es bereits zu Spät. Eine kleine Gruppe von Hofdamen hatte sie beobachtet und nun angefangen wie verrückt zu kreischen. Rain hätte liebend gerne ihre Kräfte eingesetzt, doch bei solch einer Menge hätte es sowieso nichts mehr gebracht. Sie war enttarnt. Jetzt hieß es nur noch, Augen zu und durch. Keuchend setzte sie sich in Bewegung. Sie war froh das ihre Beine nicht, im Gegensatz zu dem Rest ihres Körpers, vor Schock wie gelähmt war. Als hätte sie eine Biene gestochen, rannte Rain durch den kleinen Kreis verängstigter Frauen hindurch und floh, kam aber nicht weit. Zwei Soldaten in grauer Uniform, und jeweils einen Dolch sowie ein Schwert, steckten in einer Scheide an ihren Hüften, stürzten sich mit Kriegsgebrüll auf die Hexe. Unter dem schweren Gewicht der Männer, sackte das Mädchen zusammen und landete mit dem Gesicht auf dem sandigen Steinboden. Auf ihrer linken Wange zog sie sich eine brennende Schürfwunde zu. Sie wollte sich noch rechtzeitig mit dem Arm abstützen, doch zu Folge hatte es nur, dass sie sich ihr Handgelenk anknackste. „Halt das Miststück fest, Barck!“, wies der Soldat den anderen mit dem Schnauzbart an und zog etwas aus seiner Hüfttasche. Rain versuchte sich hoch zustemmen, doch da hatte der Mann ihr bereits die Arme auf den Rücken verdreht und wickelte ihr das Seil um die Gelenke. Die Hexe bis die Zähne aufeinander um die beiden nicht sinnlos mit Flüchen zu reizen. Je weniger Aufsehen sie erregte, desto höher war die Chance, dass niemand beweisen konnte dass sie tatsächlich eine Hexe war. Auch wenn es eigentlich keinen Unterschied machte. Letzten Endes bekam man doch kurzen Prozess und landete auf dem Scheiterhaufen. Doch ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, wurde sie unsanft auf die Beine gerissen. Eine kühle Klinge legte sich an ihre Kehle und übte sanften aber bestimmten Druck auf sie aus. Rain wagte es nicht zu schlucken, geschweige denn auch nur einen Ton von sich zu geben. „Beweg dich, Miststück!“ Rain war nicht dumm. Sie wusste dass sie praktisch keine Chance mehr auf Rettung hatte, doch sie wollte ihrem Tod nicht zu Früh entgegentreten, also blieb sie einfach stehen und starrte ausdruckslos in das Gesichter des jüngeren Soldaten. Dieser stand mit grimmiger Miene da und musterte die Hexe. Für ihn sah sie nicht gefährlich aus, doch ihre schwarzen Augen verrieten sie. In ihnen stand der pure Hass geschrieben. „Wie du willst“, sagte der Schnauzbart heißer vor lauter Anstrengung und verpasste Rain mit dem Kopf seines Dolches einen Schlag gegen die Schläfe, der sie ohnmächtig werden ließ. Der Jüngere grinste triumphierend und klopfte seinem Freund auf die Schultern. Jetzt würde die Hexe sich ihnen nicht mehr widersetzten und sie konnten sie ohne Umstände in den Kerker werfen. Sie packten das Mädchen an dem Mantelkragen und schleiften sie wie ein Sack Kartoffeln hinter sich her, als sie plötzlich aus der Seitengasse neben sich ein Klicken hörten. Beide drehten ihr Gesicht gleichzeitig der Dunkelheit zu und starrten dem Lauf einer Pistole entgegen. Die Soldaten erbleichten bei diesem Anblick doch bevor sie auch nur versuchen konnten zu fliehen, wurden sie von hinten gepackt und in die Gasse gestoßen. Diejenige, die die Pirastole - eine Waffe die von den Piraten entwickelt, aber verboten und großteils vernichtet wurde - in der Hand hielt und sich lässig an die Backsteinwand lehnte, grinste die beiden Männer spöttisch an. Es war immer wieder interessant zu sehen, wer ihr alles in die Falle ging. Sie kaute auf einem Zahnstocher herum und ließ ihre beiden Kumpels die Arbeit erledigen. „Leert ihre Taschen und schnappt euch alles was nicht Hab und Dingfest ist. Hey, ihr da! Los, stellt euch dort hin!“ Die Frau mit dem Manns kurzem, schwarzem Haar winkte die beiden Männer tiefer in die Gasse hinein und versperrte ihnen dann den Fluchtweg. Die Soldaten ließen das Mädchen mit den braunen Haaren achtlos zu Boden fallen und stellten sich gehorsam an die Wand gegenüber. Gleich darauf machten ein Sommersprossiger Junger und ein anderer mit dunkelrotem Haar, sich daran die Taschen ihrer Opfer zu durch wühlen und die Münzen, Dolche und Schwerter in ihren extra großen Umhängetaschen zu verstauen. Endlich hatten sie wieder Geld für Essen, jubilierten die Jungs innerlich und durchsuchten nun auch deren Schuhe. Schade nur dass die Soldaten nicht mehr weiße Asche hatten, als lediglich eine kleine Brise, eingewickelt in einem dunkelblauem Stoff. „Was ist mit der da?“, fragte der Rote und deutete mit einem Kopfnicken zu der am Boden liegenden Hexe. Die Frau zuckte die Schultern und verschränkte einen Arm über den Kopf, mit dem anderen zielte sie noch immer auf die beiden Männer. Erst jetzt hatte sie das Mädchen gesehen, und überlegte was sie mit ihr anstellen sollte. Scheinbar war sie nicht freiwillig mit den beiden gegangen, sonst hätte sie sich wesentlich kooperativer gezeigt. Auch die Tatsache, dass sie nicht den Soldaten gefolgt war, als diese sie bedrohten hatten, damit sie vorwärts ging, war bewundernswert. Der Schwarzhaarigen widerstrebte es, das Mädchen einfach liegen, geschweige denn bei deren Feinde, zu lassen. Die Frau seufzte ergeben. „Also gut, wir nehmen sie mit. Beeilt euch!“ Die Jungen nickten und sammelten geschäftig die Hexe vom Boden auf, danach eilten sie aus der Sackgasse und ließen die Schwarzhaarige zurück, damit diese etwas Vorsprung gewannen. Der Schnauzbart funkelte die Frau bösartig mit seinen Knopfaugen an, bewegte sich aber nicht von der Stelle. Wenn sie gleichzeitig auf sie loslaufen würden, könnte einer sie erwischen, während der andere angeschossen werden würde. Allerdings konnte niemand beweisen, dass nicht er es sein würde, der danach blutend am Boden lag. Auch was die Treffsicherheit der Schwarzhaarigen anbelangte, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen, dass sie zu langsam ist um sie beide zu verwunden. „Tja, es tut mir ja Leid für euch, aber ich muss jetzt gehen. Gehabt euch wohl!“ Langsam trat die Frau zurück und ließ erst die Hand mit der Peristole sinken, als sie in der entgegen Gesetzten Richtung der Jungs mit der Hexe und einem Amazonen ähnlichem Kampfgeschrei, der die Soldaten zusammen zucken ließ, verschwand. 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