Dobe's & Teme's Affairs von GOTTHEIT ([wird überarbeitet]) ================================================================================ Kapitel 6: BREAKING FRIENDSHIP ------------------------------ B R E A K I N G F R I E N D S H I P Die Ferien gingen wie immer schneller vorüber, als die Allgemeinheit es gerne gehabt hätte. Gewöhnlicherweise hörte man laute Nörgeleien der Schüler, die man eben genau daran erkannte, dass sie ständig nur damit beschäftigt waren, darüber zu sprechen, was sie alles noch in den Ferien schaffen wollten. Nur der ein oder andere redete von Vorbereitungen für den Unterricht. Man sah ihnen allerdings auch an, dass sie diese verbliebene Zeit wirklich sinnvoll nutzen wollten. Wie man ‚sinnvoll‘ genau definierte kam dann natürlich auf den jeweiligen Menschen an, der es sich vornahm. Aber es war definitiv mehr los, als sonst. Man sah und hörte die vielen Grundschüler mit ihren Schlitten durch die Gegend toben (denn der Schnee taute seit einer Woche nicht mehr richtig auf), viel mehr Partys fanden statt und überhaupt waren irgendwie alle auf seltsamem Zack. Naruto gehörte zu den Schülern, die sich in den letzten Tagen gerne verausgabten, um am ersten Schultag mit riesigen Augenringen in das Schulgebäude zu schlurfen, sich auf seinen Platz zu setzen und dort zu schlafen, anstatt, wie es sich eigentlich gehörte, zu Hause. Naruto brauchte viel eher Erholung von den Ferien, als von der Schule, in der er sich kaum Mühe gab. Im Unterricht haute er sich dann viel lieber aufs Ohr nach mehreren Tagen durchgehender Daueraction, war dann dementsprechend auch schön ruhig und ausgeglichen in den darauffolgenden Tagen, weil er beträchtlich ausgepowert war und seine Hyperaktivität sich nicht bei jeder freien Gelegenheit ankündigte. Eine solche Gelegenheit bot sich eben nur am Ende der Ferien, weil es am Anfang immer so vorkam, als würde man nun für ewig und drei Tage Freizeit haben. Sasuke dagegen gehörte eher zu der Minderheit an Schülern, die plötzlich feststellen mussten „Oh, ich mag die Schulzeit ja eigentlich!“. Bei ihm waren die Gründe jedoch von der Priorität her anders verteilt. Die Schule füllte irgendwo seinen unbrauchbaren Alltag mit etwas Ballast aus, der zwar unverdaulich war, aber schön viel Platz von der Langeweile weg nahm. Auch wenn die Schule insgesamt nervig sein mochte, weil hier und da ein paar Leute der Meinung waren, Sasuke ständig auf das Königspodest schieben und vor ihm auf die Knie in einem ehrfürchtigen Gebet fallen zu müssen (nein, er übertrieb nicht, so etwas war sogar schon vorgekommen. In einer leicht abgeschwächten Variante, versteht sich). Oder ihm ständig hinterher zu rennen und so tun, als wäre man mit ihm befreundet, oder was sonst noch alles passierte, aber es ergab sich halt eine Art Routine aus diesem Ablauf des Tages. Später kam Sasuke dann immer nach Hause, schmiss sich irgendwas Essbares rein, wenn er gerade keine Lust hatte, sich etwas zu kochen und wog ab, ob er ein paar Hausaufgaben machen, oder sich mit jemandem treffen sollte, oder vielleicht einfach nur irgendwas machte, was den Rest des Tages ausfüllte, sei es die geordnete Unordnung in seinem Zimmer zu ignorieren, oder einfach nur im Internet zu surfen. Es war viel eher an Naruto, ungeplanter Dinge bei Sasuke zu erscheinen und ihn irgendwohin mitzuschleifen, wo etwas vor sich ging. Spontan war der Uchiha zwar auch, aber er ließ die vielen Gelegenheiten einfach vor seinem geistigen Auge in einer Art Filmstreifen ablaufen und entschied sich schließlich für das, was am unanstrengendsten war. Naruto dagegen war ständig auf den Beinen, und ließ den besagten Filmstreifen viel eher vor seinem realen Auge ablaufen, indem er all die Gelegenheiten auf einmal nutzte. Der Hitzkopf konnte das eben – vielleicht das Einzige, was man ihm durchaus lassen konnte. Es gab keine freie Stunde, in der der Blondschopf in den letzten beiden Ferientagen nichts zu tun hatte. Ständig war er unterwegs und ließ somit auch seinem besten Kumpel keine Ruhe. Telefonate im 30-Minuten-Takt waren deshalb des Öfteren die Folge oder ein ganz plötzliches Auftauchen vor Sasukes Haustür mit der Aufforderung, mit zu kommen. Der Schwarzhaarige ließ sich in drei Viertel der Fälle einfach mitziehen, obwohl er nicht unbedingt wollte. Es war ja auch nicht so, dass Sasuke ein Stubenhocker war. Aber es zählte schon zur Wahrheit, dass er eben viel lieber seine Ruhe hatte. Die andere Hälfte der Wahrheit war, dass er auf Herausforderungen aus war. Aber so was in der Art kam zum größten Teil einfach nur spontan und selten, klopfte höflich an und trat in Sasuke ein. Doch wenn das erst einmal geschehen war, dann konnte man den Uchiha mit einem wilden Tier vergleichen. Einem wilden Raubtier, das irgendeiner Beute hinterher jagte. Gab es jedoch keine Herausforderungen, so gehörte Sasuke zu der Sorte Mensch, die wie Nara Shikamaru einfach so vor sich hin vegetierten, ohne der Vergangenheit oder Zukunft besondere Beachtung zu schenken. Nur hatte Shikamaru nicht so einen hyperaktiven Freund, gleichfalls aber auch keinen so guten, mit dem sogar Sprache manchmal ein unnötiges Phänomen war. Es war, als würden sie sich in allem ergänzen, aber gleichzeitig auf derselben Wellenlängen leben, die in einer seltsamen Resonanz zu einander fanden. Alle anderen Freundschaften waren vielleicht genauso stark, aber eben anders. Womöglich waren sie auch so dermaßen einmalig in ihrer charakterlichen Differenz, dass keiner zuvor irgendeine ähnliche Verbindung gesehen hatte. Wenn man Naruto anschaute, dann dachte man sofort an Sasuke. Und wenn man Sasuke anschaute, dann dachte man mit einem leicht zerstreuten Lächeln an Naruto. Die beiden waren einfach nicht mehr voneinander wegzudenken, auch wenn böse Zungen etwas anderes behaupteten. In Wirklichkeit waren es aber nur behinderte Körperteile von Leuten, die einfach nicht nachvollziehen konnten, was der Sinn von Freundschaft wirklich war, oder wie sich so was überhaupt anfühlte, aufgrund von Mangel an Erfahrungen in dieser Region. Mit guten Freunden konnte sich eben nicht jeder schmücken. Andere waren neidisch, oder fixierten sich zu sehr darauf, wie verschieden doch die beiden jungen Männer eigentlich waren und wie unpassend das doch von außen aussah. Gut nur, dass Naruto und Sasuke sich nicht davon stören ließen. Jedenfalls Sasuke nicht. Naruto hatte seit der Sache auf Kabutos Party leichte Zweifel bekommen. Zweifel in Form von Minderwertigkeitskomplexen, welche er niemandem zeigte. Nicht einmal mehr Sasuke selbst, denn diese bestanden eben dem gegenüber. Ja, Naruto hatte eingesehen, dass Sasuke irgendwie in allem glänzte, was er tat und in allem anscheinend besser war, als er selbst. Er war der bestaussehendste und erfolgreichste Typ, den Naruto je zu Gesicht bekommen hatte und das konnte man nicht bestreiten. Was außergewöhnlich war, war die Tatsache, dass Sasuke nicht viel dafür tun brauchte. Es kam alles von ganz allein zu ihm und breitete sich willig vor seinen Füßen aus. Und sein Charakter gab dem Rest den Rest. Narutos Gemüt wurde oft eher als zu infantil bezeichnet. „Der wird nie erwachsen“, sagte man dem Blondschopf nach. Meist meinte man es eigentlich lieb und die Aussage wurde in harmloses Licht getaucht, aber manchmal wurde die Aussage zur Beleidigung. Früher war es dem Uzumaki egal gewesen – er war er selbst und basta, aber nachdem er herausgefunden hatte, dass genau das seine ganzen Beziehungsprobleme mit Mädchen auszulösen schien, war er sich nicht mehr so sicher, ob sein Charakter ihm nicht einfach nur schadete. Diese Gedankengänge behielt er jedoch nur für sich. Auch Sasuke sollte es nicht erfahren. Wie Naruto es auch drehte und wendete – er konnte sich nur vorstellen, dass er damit bei seinem besten Kumpel lediglich auf Unverständnis traf. Und das war der Beginn des bröckelnden Fundamentes… Aber Naruto ahnte nicht, dass Sasuke gerade jetzt so verständnisvoll wie noch nie sein konnte. Der Uchiha würde nicht nur einen guten Zuhörer abgeben, nein, er ließ sich auch ziemlich viel gefallen in letzter Zeit. Besonders in diesen Ferien und speziell in den letzten beiden Tagen davon. Es war kein Einschleimen und auch kein aufgequollener Gefühlsrausch (oder vielleicht doch?), es kam nur deshalb, weil Sasuke in ständiger Befürchtung (um das direkte Wort Angst mal zu vermeiden) lebte, dass die Freundschaft jeden Tag zu Bruch gehen könnte. Die ihm sehr wichtige Freundschaft, wohl gemerkt! Jede Minute könnte die Sache mit Sakura herauskommen, also genoss der Schwarzhaarige einfach nur die gemeinsame Zeit mit seinem besten Freund in der Versuchung, den Verrat zu vertuschen, obwohl er wusste, dass es nicht von ihm abhing, sondern vielleicht sogar davon, wie die Sterne gerade am Himmel standen. Er fing an diesen Unsinn sogar beinahe zu glauben, nachdem seine Mutter voller Euphorie in sein Zimmer eintrat und ihm hoch erfreut sein Monatshoroskop vorlas. Dort drin hatte gestanden, er würde etwas ganz schrecklich vermasseln, aber dann noch eine Chance bekommen. Pessimistisch wie er war, hatte er dann doch nicht an die Chance geglaubt und tat es auch jetzt nicht. Seit wann waren Sterne denn dafür bestimmt, über unrealistisches Zeug zu entscheiden? Als ob so ein schwerwiegender Fehler jemals auch nur ansatzweise besänftigt werden konnte. Sasuke verdrängte viel lieber die Erinnerung daran und versuchte jede verbrachte Sekunde mit seinem kleinen Chaoten zu genießen, versuchte aber auch nichtsdestotrotz oberflächlich ganz der alte zu sein. Ganz der ganz alte, der ohne Zigaretten noch nicht leben konnte. „Hey! Ich rede mit dir, Teme!“ Sasuke hob den Kopf und schenkte dem Blondschopf neben ihm endlich seine volle Aufmerksamkeit. „Hast du mir zugehört?!“, fragte dieser entrüstet und der berüchtigte Schmollmund erschien anstelle eines Grinsens. „Offensichtlich nicht“, gab Sasuke offen und trocken zu. „Dann tu es jetzt, verdammt nochmal!“, forderte Naruto ihn daher auf und kramte in seiner Manteltasche nach seinem Handy, das er schließlich auch fand. „Heute ist der letzte Ferientag, wie du sicherlich weißt. Und es gibt natürlich eine mordsmäßige Party, zu der wir beide gehen werden. Okay…“, Naruto unterbrach sich mitten im Satz und schien nach einer geeigneteren Erklärung zu suchen, während er seine Nachrichten checkte, „...es gibt mehrere mordsmäßige Partys, aber wir gehen natürlich dahin, wo auch Sakura-chan hin geht. Heute habe ich nämlich, du weißt schon was vor!“ In Sasuke krampfte sich etwas nach diesem Satz zusammen. Schlechte Vorahnungen keimten in ihm auf, vermischten sich mit dem bereits vorhandenen, schlechten Gefühl. Ein Stich, den er außerdem nicht einordnen konnte erfüllte plötzlich seine Brust. Warum gab Naruto nicht endlich auf, sich Sakura zu nähern? Warum denn gerade sie? Warum nicht irgendein anderes hormongesteuertes Mädchen – es gab genug in dieser Welt! Als die beiden auf ihrem Weg durch die Stadt um die Ecke bogen und ein Café ansteuerten, ließ sich Sasuke auf eine Antwort herab: „Ich wüsste nicht, warum ich dir hierbei zuhören sollte“, kommentierte er kühl, um keinen Verdacht bei seinem Kumpel zu wecken, dass er eigentlich wieder einmal von Unsicherheit geplagt wurde. „Schnauze! Lass mich ausreden, Teme!“ Naruto drohte dem Uchiha mit dem Zeigefinger und seiner seriösen Miene, bei der seine blonden Augenbrauen sich an der Nasenwurzel fast trafen. „Freu dich lieber für mich, Idiot!“ „Na gut, du darfst dir meinetwegen einbilden, dass ich mich für dich freue.“ „Hör zu, Spaß bei Seite – du musst mir helfen, okay?“ Mit leichter aber unbestreitbar sichtbarer Neugierde erfüllt, konnte sich Sasuke gegen die Frage „Wobei denn?“ einfach nicht wehren und sprach sie aus. „Na, du weißt schon… bei… Anmachen von Sakura und so… Ich meine Tipps, wie ich am besten an sie rangehen sollte...“ Man sah eindeutig, dass es dem Blonden wiedermal etwas peinlich war, bei Sasuke Rat zu suchen. Nicht zuletzt daran, dass er leicht rot ums helle, von winzig kleinen Sommersprossen umhüllte Näschen wurde. „Jetzt hör du mir mal zu“, begann der Schwarzhaarige und schloss seufzend die Augen. „Irgendwann reicht es, okay? Es gibt Grenzen, Naruto. Ich kann dir nicht alles beibringen – irgendwas musst du auch selbst herausfinden, oder willst du ein billiger Abklatsch von mir werden?“ Dann schaute er nach rechts zu seinem blonden Kumpel, der etwas grimmig und gleichzeitig verzweifelt dreinschaute. Naruto schwieg und als sie ihren Zielort erreichten, ging er wortlos ins Café hinein, dicht gefolgt von Sasuke, der das Gefühl nicht los wurde, irgendetwas Falsches gesagt zu haben. Aber das stimmte doch eigentlich, oder? Würde er Naruto all sein intuitives Wissen anvertrauen, würde dieser niemals sein eigenes intuitives Wissen entwickeln. Der Uchiha wusste aber nicht, dass er mit diesem Satz genau den aktuell wunden Punkt bei Naruto getroffen hatte. Natürlich verstand der Uzumaki das Anliegen Sasukes, aber er wollte irgendwie aus seinen festgefahrenen und von allen erwarteten Verhaltensweisen herausfinden, nicht mehr der Clown sein, der er immer war. Von allen endlich mal ernst genommen und anders angesehen werden wollte er. Da war ihm auch das Mittel recht, etwas Sasuke zu mimen, wenn dieser schon so erfolgreich war. Insgeheim war er doch neidisch auf seinen besten Freund – da konnte er sich selbst nichts vormachen. Es war erstaunlich, wie einfach Sasuke das bekam, was er wollte, wie viel ihm einfach in die Hände fiel, ohne dass er einen Finger rührte, ohne dass er sich anstrengen musste. So wollte Naruto auch sein, so wollte er auch leben können. Dass sein bester Freund allerdings eher abgeneigt von diesem Lebensstil war, wusste Naruto ebenfalls. Eigentlich wollte der Uchiha bloß seine Ruhe, keine nervenden Fangirls, keine unwillkürliche Berühmtheit. Sasuke war eben ein Minimalist. Er brauchte wenig, um sich gut zu fühlen, aber umso mehr Anforderungen setzte er an das Wenige, was er hatte. Und konnten diese nicht mehr erfüllt werden, drehte er fast durch, wie Naruto am eigenen Leib hatte erfahren müssen. Daher war sein Plan zwar mit Sakura zusammen zu kommen, aber sie auf gar keinen Fall über seinen besten Freund zu stellen. Nach einigen Schweigeminuten, in denen den beiden ihre Stammgetränke gebracht wurden, kehrte aber auch wieder die übliche Atmosphäre zwischen ihnen ein. Naruto fing an, irgendwas zu erzählen, Witze zu reißen und sein gewöhnliches Grinsen auf den Lippen hausen zu lassen. Sasuke nippte indes an seinem schwarzen Kaffee und schaute ab und zu aus dem Fenster hinaus. Der Tag war ungewöhnlich neblig und kalt... Es war lächerlich – sie waren die besten Freunde und doch verheimlichten sie sich in letzter Zeit so viel ihrer wahren Gefühlszustände. Wollten dem jeweils anderen auf keinen Fall zugeben, dass sie eigentlich schwach waren, dass sie eigentlich Hilfe brauchten, dass sie Fehler machten, oder dass sie sich trotz Anwesenheit des anderen manchmal einsam fühlten. Kleine, verlogene Idioten... Sakuras Fingerkuppen strichen hastig eine rosa Haarsträhne hinter die zierliche Ohrmuschel und flitzten dann schnell wieder in das kleine Täschchen, dass sie zwischen Waschbecken und Hüfte eingeklemmt hatte. Sie suchten dort eifrig nach dem Make-up, das Sakura brauchte, um ihre gerötete Gesichtshaut zu bedecken. Normalerweise schminkte sie sich ja nicht, aber diesmal hatte sie es einfach nötig, als sie erfuhr, dass Sasuke auch auf die Party kommen würde, weil Naruto ihn wie immer mitschleppte. Sie wollte den Schwarzhaarigen zwar unbedingt wiedersehen, wusste aber genauso, dass er sie nicht wiedersehen wollte, was unmittelbar zum wiederaufreißen der Wunde in ihrem Herzen führte. Sie war eben nervig für ihn. Diese Tatsache brachte sie immer noch des Öfteren zum stillen, einsamen Weinen. Und dies war wieder passiert, als sie kurz auf die Toilette gegangen war, während Ino auf der Tanzfläche bereits irgendwelche Typen anbaggerte. Ihre beste Freundin hatte ihr euphorisch von Sasuke erzählt und Sakura wurde schließlich von den starken Gefühlen in ihr überwältigt. Etwas panisch überdeckte sie die roten Stellen, die die Tränen hinterlassen hatten, mit dem Make-up und hoffte, dass ihr die Heulattacke nicht mehr anzusehen war, aber sicher konnte sich Sakura nun mal auch nicht sein. Sie schaute also zum letzten Mal prüfend in den Spiegel, holte tief Luft und verließ wieder die Damentoilette. Ino war bereits mit einem heißen Flirt beschäftigt und das heiterte die Rosahaarige wieder etwas auf, weil sie wie immer kopfschüttelnd feststellen musste, wie locker Ino mit solchen Sachen eigentlich umging – im Gegensatz zu ihr selbst. Ursprünglich wollte sie ja nicht auf diese Party gehen, aber ihre beste Freundin bestand darauf, weil es angeblich gut werden sollte. Klar, es war richtig viel los und die Atmosphäre war genial, bloß brachte es nichts, wenn man nicht in der Laune dazu war, weil man von schrecklichen Gefühlen der einseitigen Liebe geplagt wurde. Sie entschloss sich deshalb noch etwas zu trinken und dann einfach drauf los zu tanzen, um irgendwie den Frust zu verarbeiten. Allerdings stand es schon von vorne herein fest, dass sie keinen einzigen Typen an sich ranlassen würde. Sakura hatte es sich geschworen. Resigniert bestellte sie sich also einen Longdrink und trank ihn, wie es sich gehört langsam, während sie die Gegend neugierig erkundete. Manche Leute sprachen sie an, sie unterhielten sich kurz, dann ging es weiter. Manch ein bereits bekanntes Gesicht begrüßte Sakura mit einem breiten Lächeln und manchmal blieb die Haruno sogar länger bei jemandem stehen, um etwas zu quatschen. Irgendwann wurden aus einem Drink zwei und schließlich sollte noch ein dritter dazu kommen, weshalb Sakura die Bar wieder aufsuchte und schon auf dem Weg dorthin nach ihrem Geldbeutel in dem Täschchen kramte. Angetrunken war sie schon ein bisschen, aber um diesmal aus sich so richtig rausgehen zu können brauchte sie eben noch etwas mehr. Um zu... vergessen... Da stand sie also etwas seitlich vom Gang und suchte konzentriert, als sich ganz plötzlich zwei große, warme Hände um ihr Gesicht legten und ihr sanft die Augen verdeckten. Sakura schnappte erschrocken nach Luft und riss den Kopf hoch, nebenbei aber bemerkend, dass dies hier nichts Bedrohliches in sich trug. Sie musste lächeln und tastete die Finger nach, die auf ihrem Gesicht ruhten. „Hmmm... wer könnte das wohl sein?“, fragte sie rhetorisch, aber ehrlich nicht wissend, wer sich da in Rätsel hüllte. Erstaunlich schnell wichen die Hände und zwei spürbar kraftvolle Arme fingen die Haruno samt Oberarme ein. Die Umarmung umhüllte ihren gesamten Torso und ein Kinn legte sich auf ihre Schulter. Sakura hatte die Augen absichtlich nicht geöffnet. Sie verfiel plötzlich dem Traum, es könne Sasuke sein... Und sofort wurde ihr Lächeln warmherziger und süßer. Das war leider die andere Seite des Alkohols. Man vergaß vielleicht den Schmerz, aber man fühlte sich, als könnte man dieser Welt mit Leichtigkeit entkommen und in eine andere, bessere eintauchen. Es war in dem Moment egal, ob dies hier die Realität war, oder nicht. „Nun“, schnurrte sie leise und schmiegte sich mit dem Rücken an den Oberkörper hinter ihr „wer ist also mein kleiner Stalker?“ „Hmmm, ich weiß nicht“, schnurrte es zurück. „wen hättest du denn gerne?“ Das war der Moment, in dem sie wieder auf den Boden der Tatsachen gerissen wurde. Nein. Es war nicht Sasuke. Natürlich war es nicht Sasuke... Sie machte ihre Augen auf und drehte sich innerhalb ihres kleinen Gefängnisses zu ihrem Hintermann, den sie sofort fest umarmte. „Hallo, Naruto!“, sprach sie den Gruß aus und versuchte fröhlich zu klingen. „Hallo, Sakura“, grüßte der Uzumaki zurück. Erstaunlicherweise war er überhaupt nicht aufgeregt, Sakura getroffen zu haben, war sogar ruhiger als sonst und einen Tick charmant, wie die Rosahaarige fand. Es war so, als hätte sich seine Ausstrahlung etwas verändert. Er wirkte plötzlich männlicher mit seinem smarten Lächeln und seiner Gelassenheit, die Sakura sah, als die gegenseitige Umarmung gelöst wurde. „Und? Was war hier bislang so los?“, fragte Naruto und steckte seine Hände in die Hosentaschen. „Mhhh... nicht viel. Aber die Atmosphäre ist echt cool, muss ich sagen. Seit wann bist du denn hier?“ „Bin gerade erst angekommen.“ Der Blondschopf zeigte mit dem Daumen über seine Schulter zum Eingang des Raums. Sakura nickte. „Ich wollte mir gerade noch was zu trinken holen, kommst du mit?“, wollte sie wissen und lächelte ihm freundlich zu. Da war es an ihm zu nicken. Er schritt durch die Menge der Leute voran zur Bar und zerschnitt dadurch die Masse, die sich auf dem Gang tummelte, damit Sakura einen entspanteren Weg hatte. Sie folgte ihm lächelnd und er führte sie lächelnd voran. Und es dauerte nicht lange, bis sie an der Theke angekommen waren. Sie plauderten über Belangloses, er gab ihr das Getränk aus, sie lächelte viel, er lächelte viel zurück... Das alles wurde von einem unruhigen Blick verfolgt, den Sasuke nicht wieder los wurde. Er schalt sich dafür selbst, dass er sich nicht beherrschen konnte. Aber als Naruto und er reingekommen waren und die Augen des Blonden beim Anblick der Haruno so groß und rund und vorfreudig geworden waren, dass man sofort verstand, was sich ab da nur noch in seinem Kopf drehte, konnte man einfach nichts Anderes machen, als ihm auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: „Na los, geh schon“. Und Sasuke hatte eben genau das getan, obwohl sich alles in ihm dagegen auflehnte. Der Uchiha durchstreifte den großen, gut gefüllten Raum, machte sich mit dem Ort vertraut, versuchte sich abzulenken, doch ständig erspähten seine Augen wieder prüfend das Pärchen, dem es prächtig zu gehen schien. Immer wieder musste sich Sasuke vergewissern, wo sich Naruto und Sakura befanden und was sie taten. Und immer wieder bekam er eine kleine Panikattacke, wenn er die beiden aus den Augen verlor. Doch genauso oft fand er sie in der Menge wieder. Sie schienen Spaß zu haben: plauderten, gesellten sich zu anderen, tranken etwas, tanzten, neckten sich. Sasuke dagegen war eher ein Passivanwesender. Er trank auch, ja, aber nur, weil ihm jemand was zu trinken in die Hand drückte. Er gesellte sich zu anderen, ja, aber nur, um eine bessere Sicht auf Naruto und Sakura zu bekommen. Er tanzte vielleicht, aber er tat es nicht mit vollem Einsatz. Seine Aufmerksamkeit galt immer nur den zwei Personen. „Uchiha, hörst du mir zu?“ Eine Hand winkte direkt vor Sasukes Gesicht, als er wieder einmal nicht aufpasste. Der Schwarzhaarige drehte den Kopf abrupt wieder zu dem Sprecher, den er für einige Minuten völlig ausgeblendet hatte, als er mit seinem Blick wieder Narutos unverkennbaren Haarschopf aufsuchte. „Hm?“, fragte er leicht verwirrt. „Ist wer im Haus? Du scheinst ja grad ganz schön weit weg zu sein – was ist los?“, verdeutlichte Inuzuka Kiba sein Anliegen. Mehrere Augenpaare richteten sich wartend und neugierig auf Sasuke, der erst nicht ganz wusste, was er darauf antworten sollte. „Ja, so kenn ich dich ja gar nicht – bist irgendwie voll in deiner Welt irgendwo gefangen. Starrst immer geradeaus, redest nicht. Is‘ irgendwas?“, fragte jemand anderes. „Nein, ich...“ Sasuke stutzte. „Uhm... es ist alles okay“, log er schnell, was jedoch nicht besonders überzeugend klang und nur skeptische Blicke verursachte. Aber ihn weiter auszufragen würden sich die anderen eh nicht trauen, wenn er schon klar und deutlich abschnitt und nicht gleich mit der Wahrheit herausrückte. Das Thema wurde schnell gewechselt und der Schwarzhaarige suchte sofort wieder nach den Personen, die er - so zu sagen - beschattete. Da waren sie wieder. Gerade noch verabschiedeten sie sich von ein paar Leuten, um weiter zu ziehen. Zurück zur Tanzfläche, weil ein Song ertönte, der der Haruno sehr zuzusagen schien. Sie lächelte glücklich und aufgeregt und zog Naruto an der Hand hinter sich her. Sasuke verengte seine Augen, als er sah, wie die beiden tanzten. Ein Teil in ihm ärgerte sich tierisch darüber, der andere schüttelte den ersten und tadelte ihn streng, er solle dem Blonden doch endlich Privatsphäre lassen und der dritte Teil hatte schreckliche Angst. Da packte der erste Teil den dritten und ermutigte ihn mit ihm zusammen auf die Tanzfläche zu gehen und diesem Horror ein Ende zu setzen. Aber der vierte Teil ertappte die beiden dabei und wies sie in die Schranken. Warum zur Hölle sollte das bitte Horror sein? – Sein bester Freund hatte endlich mal wieder etwas Spaß, hatte jemanden gefunden, den er mochte, lernte dazu, und Sasuke hatte nichts Besseres zu tun, als hier zu stehen und bereits Pläne zu schmieden, wie er das alles kaputt machen sollte. Es war doch alles lächerlich hier. „Tss“, zischte der Uchiha nach diesem Gedanken kaum hörbar und zog seine Augenbrauen leicht zusammen, sich über diese Idiotie innerlich aufregend. Seine Augen konnte er jedoch immer noch nicht von den beiden Tanzenden lassen, weshalb er sie eingehend musterte. Naruto und Sakura tanzten miteinander diesmal enger und vertrauter als beim letzten Mal. Ihre Körper berührten sich und auch wenn es einer dieser Spaßtänze war, die nicht viel mit Erotik am Hut hatten, konnte Sasuke spüren, dass es diesmal eine Art Grenztestung der beiden Fronten war. Mal machte Naruto einen kleinen Schritt Richtung Nähe, mal tastete sich Sakura etwas vorwärts und als dann der Song gewechselt wurde, brach die Distanz gänzlich. Die Melodie eines langsamen Liedes erfüllte den Raum und verführte viele Pärchen zu lieblichen Bewegungen. Die Massen strömten hin und begannen im Rhythmus der Musik ihren körperlichen Phantasien freien Lauf zu lassen, drängelten leicht, weil immer weniger Platz übrig blieb. Aber das alles interessierte das scharfe Auge Sasukes weniger, als die Tatsache, dass Sakura und Naruto in eine andere Art von Tanz übergegangen waren. Nun standen sie eng umschlungen und wegen der anderen Tanzenden aneinander gedrückt, fanden wieder zurück in den Modus, in dem sie bereits einst gewesen waren, schenkten sich nach und nach immer mehr dieser verführerischen Blicke und bewegten sich immer lockerer und entspannter. Sasuke konnte Narutos verliebten Blick, welcher Sakura galt, nicht ausstehen, aber er musste gerade ihn ständig ansehen, weil die Beobachteten bislang nur in diesem einen Winkel tanzten. In dem Uchiha wütete ein ungeahnter Zorn und sein ganzes Innenleben schien zu schreien: „Heb‘ deinen Blick, verdammt nochmal, Dobe!“ Heb deinen Blick, damit du siehst, wie beschissen ich das hier finde! Aber nichts von diesem innerlich geschrienen Wunsch ging in Erfüllung. Stattdessen geschah sogar das Gegenteil davon. Das Pärchen vollführte eine halbe Drehung und nun standen sie in der genau umgekehrten Position. Sasuke konnte nun statt Narutos Gesicht, seinen Hinterkopf sehen und statt Sakuras Hinterkopf ihr Gesicht. Er biss die Zähne aufeinander, sodass seine Kiefermuskeln sich sichtlich anspannten. Man konnte sein Verachten schon beinah schmecken, so voll war die unmittelbare Umgebung davon. Und weil noch offensichtlich ein kleiner, pikanter Augenblick fehlte, sah Sasuke plötzlich, wie Sakura ihre Seelenspiegel auf ihn richtete. Es war wie in all den beschissenen Hollywood-Filmen: Die Zeit verflog verlangsamt, die Geräusche waren in Watte getaucht und man bekam das Gefühl, als wäre eine Überdosis Kohlenstoffdioxid in der Luft, die auf einen von allen Seiten drückte. Sasuke sah fast alles verschwommen. Fast alles, außer Narutos Rücken und Sakuras Augen. Und in diesem Moment, in dem ihre Blicke sich trafen, räkelte sich dieses komische Gefühl in Sasukes Magengegend. Das Gefühl, sich übergeben zu müssen, weil sich sein Bauch so dermaßen verkrampfte, dass nichts anderes mehr gehen würde. Er konnte in ihren Augen lesen, wie in einem offenen Tagebuch, das vor ihm lag. Die Sätze aus ihren Gefühlen bestehend drangen in ihn ein, erfüllten sein Bewusstsein und sodann wusste er, was sie in diesem Moment dachte. Diese heranwachsende Sehnsucht in ihren Iriden, diese aufwallende Traurigkeit und die gigantische Welle an ungewollter Zuneigung, die auf Sasuke zurollte – es haute ihn fast um. Das war der Moment, indem der Schwarzhaarige sich endlich überwinden konnte, seinen Blick ihren Augen zu entreißen. Er drehte zuerst den Kopf weg, dann entschied sich sein Körper, die kleine Runde, in der er zur Tarnung stand zu durchschneiden und die Gesellschaft der anderen zu verlassen. Ohne zurück zu sehen durchquerte er den Raum und verschwand in einem anderen, um die Dinge, Dinge sein zu lassen. Um nicht mehr zu penetrieren und penetriert zu werden. Um sich dem Schicksal zu überlassen, das hinter seinem Rücken über ihn richten würde. Um zu... vergessen... Ihre Augen hafteten noch lange an dem Uchiha. Und auch noch lange nachdem er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Er hasst mich, war der einzige Gedanke, der ihren leergefegten Kopf erfüllte. Sie konnte nicht mehr tanzen, ließ von Naruto ab, fasste sich an die Stirn, stieg taumelnd von der Tanzfläche, wollte nur noch raus aus dem Getümmel... Der Uzumaki folgte ihr sprachlos und verwirrt. Sie verließ den Raum durch den Haupteingang, um frische Luft zu schnappen und endlich den verschleiernden Nebel los zu werden, der sie umgab und in einen fremdartigen Zustand brachte. Draußen standen sie einige Zeit nur schweigend da, bis Naruto schließlich besorgt eine Hand auf ihre Schulter legte. „Alles okay bei dir?“ Es war ein Leichtes für sie wieder so zu tun, als wäre nichts. Sie hatte es sich angewöhnt. „Ja“, antwortete Sakura schließlich mit einem Lächeln. „Der letzte Drink hat nur etwas zu fest reingehauen... ich hätte ihn wohl nicht trinken dürfen...“, redete sie sich heraus und er schien darauf reinzufallen, als er erleichtert zurück lächelte und seine Hand von ihr wieder weg zog. „Sag Bescheid, wenn du wieder rein willst. Aber lange sollten wir hier sowieso nicht bleiben, sonst erkältest du dich noch“, bemerkte Naruto dem die Gänsehaut auf den vom T-Shirt unbedeckten Armen deutlich anzusehen war. Er steckte die Hände wieder in die Hosentaschen und grinste liebenswürdig. „Ja, ja, sieh zu, dass du nicht selber krank wirst“, neckte Sakura ihn nur, um ihre Traurigkeit zu überspielen, zupfte dann mit ihren Fingern an seinem Unterarm und holte schließlich wieder die linke Hand des Uzumakis aus der Hosentasche hervor, um sie mit ihren Händen zu wärmen. „Siehst du? – Deine Hände sind schon ganz kalt!“ „Und deine sind nicht gerade wärmer!“, protestierte Naruto frech, woraufhin Sakura gespielt beleidigt eine Augenbraue anhob. „Tut mir schrecklich leid, dass ich als Heizung ungeeignet bin.“ „Na gut.“ Naruto seufzte theatralisch. „Dann kann der werte Herr seine Hand ja auch mal weg nehmen“, schnurrte sie mit einem wiedergekehrten Grinsen. „Mhm... da hat zwar die werte Dame schon recht... aber dafür ist das viel zu angenehm“, widersprach Naruto. Er nahm seine Hand trotzdem weg, doch nur, um sie im nächsten Moment auf Sakuras kühle Wange zu legen. Die Gesichtszüge der Haruno kippten ins Verständnislose und sie schaute ihm sofort mit naivem Blick in die Augen. Sie gab zu – sie hatte tatsächlich nicht erwartet, dass er seine Lippen auf die ihren legen würde. Die Tatsache, dass er es tat, überrumpelte sie vollkommen und Sakura wusste nicht, wie ihr geschah, als sie die Wärme seiner Umarmung spürte. Sie konnte nicht leugnen, dass es unheimlich angenehm war, in der Kälte so aneinandergedrückt zu stehen und sich gegenseitig zu wärmen. Die Bezahlung dafür war bloß noch ein Kuss, der zu Sakuras abermaliger Überraschung ziemlich kurz ausfiel. „Lass uns wieder rein gehen“, flüsterte Naruto ihr entgegen und nickte anschließend in Richtung Eingang. Sie blinzelte und spürte dann gleich das sanfte Ziehen an ihrem Handgelenk. Sofort wehrte sich etwas in ihr dagegen, dort nochmal rein zu spazieren. Sie wollte Sasuke nicht mehr begegnen, seinem hasserfüllten Blick nicht wieder ausgesetzt sein und sie wollte, dass Naruto es wusste, weil sie es für fair erachtete. Er sollte sich lieber keine Hoffnungen bei ihr machen. Zu viel hatte sie ihn nun schon verletzt. Sie blieb stehen, widersetzte sich Narutos Ziehen. „Ich... ich möchte noch nicht rein... Bitte, lass uns doch noch etwas hier bleiben. Da ist mir gerade echt viel zu wenig Sauerstoff.“ Er drehte seinen Kopf zu ihr und sah ihr flehendes Gesicht. „Dann setzen wir uns eben ins Treppenhaus da drüben rein. Da dürfte es warm genug sein, glaube ich, und genug Sauerstoff gibt’s da auch“, schlug Naruto vor. Sie nickte und schritt voran. Das Treppenhaus stellte sich als eine sehr gute Idee heraus. Es war genügend warm und gleichzeitig war es vollkommen leer. Der Teppichboden verlieh dem Ganzen noch zusätzlich ein schön verzierendes I-Tüpfelchen, sodass die beiden es sich dort bequem machen konnten, auch wenn die Wände mit zahlreichen Kritzeleien beschmiert waren und dieser Ort nicht gerade sehr ordentlich wirkte. Kein Wunder – wenn die Tür immer so offen stand – da war das einfach zu erwarten. Das Licht, das sie angemacht hatten, ging nach einigen Minuten des Stillschweigens wieder aus. Nur der Mond schien durch das Glas eines Fensters auf sie hinab. Als sich Naruto einen Platz gesucht hatte, ließ er sich fast schon fallend, quer auf eine Stufe nieder, während Sakura eher zögerlich Platz neben ihm einnahm. Unsicher spähte sie in die Dunkelheit hinein, an die ihre Augen sich noch gewöhnen mussten und während Naruto sich an die Wand hinter ihm lehnte, rutschte Sakura zu seiner Rechten etwas aufgeregt auf ihrer höher gelegenen Stufe hin und her. „Hör zu...“, begann die Rosahaarige und rieb sich das Gesicht mit ihrer linken Hand, um sich irgendwie wach zu kriegen und den roten Faden nicht zu verlieren. „Hmm?“, machte Naruto und zeigte ihr somit, dass er ihr gegenüber aufmerksam war. Im Zwielicht des Treppenhauses konnte Sakura ausmachen, dass der Uzumaki sie auch genau ansah. Sie könnte sogar schwören, er mustere sie mit diesem interessiert gespannten Blick und ließ auch nicht aus, einen kleinen Teil davon etwas verträumt wirken zu lassen. Aber es war nichts Neues, denn er mochte sie ja sehr, wie sie bereits seit langem wusste. Nein, er stand sogar auf sie und erträumte sich eine tiefergehende Beziehung. Sie hoffte bloß, dass er sie noch nicht wirklich liebte. Sie bettelte darum bereits auf Knien und betete zu allen Göttern dieser Welt, denn sie wollte bei weitem nicht, dass er dieselben Qualen erlitt, die sie wegen Sasuke hatte. „Ich... ich muss dir nämlich was sagen...“, murmelte sie dann verschüchtert. So leicht fiel ihr das auch nicht, es einfach so zu erzählen. Bislang hatte sie es noch keinem offen gestanden und besonders nicht jemandem, von dem sie wusste, dass er auf sie stand. Hätte sie das beispielsweise Ino erzählt, wüsste jetzt inzwischen die ganze Welt davon und alles wäre nach hinten los gegangen. Aber sie wusste, dass sie es unbedingt loswerden musste. Und zwar an keinen anderen so dringend, wie an Naruto selbst. Das war sie ihm nämlich definitiv schuldig. So zu tun, als wäre nichts gewesen, konnte sie jedenfalls nicht länger. Sie sah geradeaus zum Fenster und beobachtete den Himmel, um ihren beklommenen Blick nicht an den Narutos auszuliefern. Es fiel ihr schwer, sich auf das Bevorstehende zu konzentrieren, denn sie wusste, dass sie dem Uzumaki damit womöglich sehr stark weh tun würde. Aber es war besser, als ihm über einen langen Zeitraum immer wieder weh zu tun und ihn im Ungewissen zu lassen. Doch auf den Himmel zu sehen war wohl keine so gute Idee gewesen, wie Sakura feststellte, als ihre Augen eine große, saftige Sternschnuppe erblickten und sich in einem abrupten Unglauben weiteten. „Hast du das eben gesehen?! Hast du die Sternschnuppe gesehen?!“, stieß sie aus, nachdem ihre Lunge sie zum Aufjapsen gebracht hatte, und rüttelte an Narutos Arm. Angesprochener stemmte sich wieder von der Wand weg und schaute in die Richtung, in welche Sakura mit ihrem Finger hin fuchtelte. „Schnell! Wünsch dir was! Ich mach‘s auch!“, rief der Blondschopf, kniff die Augen zu und klatschte die Hände vor der Nase zusammen. Von der Motivation Narutos mitgerissen, tat sie es auch und gemeinsam verharrten sie einige Sekunden in ihren Beschwörungshaltungen. Naruto erhob zuerst das Wort, nachdem der Moment verflogen war. „Hey, hey, Sakura-chan! Willst du wissen, was ich mir gewünscht habe“, fragte er aufgeregt und ergriff sie an den Oberarmen, um sie zu sich zu drehen. Sakura blinzelte ihn nur an, ohne zu realisieren, dass sie ihm hätte eigentlich sofort den Mund mit der Hand zuhalten sollen, damit sein Wunsch auch in Erfüllung ging. Sternschnuppenwünsche gingen doch nicht in Erfüllung, wenn man sie laut ausplauderte. Aber die Rosahaarige war viel zu langsam in ihrem Denkprozess. „Ich... ich habe mir...“, fing Naruto an und man sah, wie sein Mut ihn dabei fröhlich verließ und an dessen Stelle Unsicherheit trat. „Ich habe mir dich gewünscht...“, murmelte er schließlich den Kopf neigend. Irritiert wie sie war konnte Sakura nur abermals blinzeln, da baute sich der Uzumaki bereits vor ihr auf. Sein Schatten verdeckte das Mondlicht, das auf Sakura vorher gefallen war und schließlich beugte er sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen. Er machte es nicht schnell, eher zögernd. Streifte mit seinem Nasenrücken zuerst vorsichtig über ihre Wange mit mit Leidenschaft gefüllten Augen und fing ihre Lippen hauchzart mit den seinen, während er sein Gewicht auf beide Arme stützte, welche er links und rechts von Sakura auf der Treppenstufe abgelegt hatte. Wieder einmal völlig überrumpelt, ließ sie es mit sich machen. Gegen diese entflammte Leidenschaft war sie so gut wie machtlos, da nicht zuletzt der Alkohol immer noch hitzig durch ihre Adern floss. Es war nicht unangenehm, ganz im Gegenteil – war schön, vertraut, ließ ein Gefühl des Behagens durch den Körper pulsieren. Sie waren schon mal weiter gegangen, und da dies hier so zu sagen nichts Neues mehr war, bekam Sakura nicht sofort jenes Gefühl, das sie davon abhalten sollte, hierauf einzugehen. Sie schloss sogar die Augen, bewegte ihre Lippen und ihre Hände schwebten zu den Wangen des Uzumakis. Dieser aber löste bereits den Kuss auf, um seine Lippen sanft über ihre Wange zu ihrem Ohr wandern zu lassen, sein Gewicht auf seinen rechten Arm verlagernd, um mit der linken Hand Sakuras Seite zur Hüfte herab streicheln zu können. Auch das ließ die Haruno zu. Immer mehr wurde auch sie in die Leidenschaft des Momentes hineingezogen. „Verdammt, ich hatte so große Sehnsucht nach dir!“, raunte der Blonde leicht heiser in Sakuras Ohr und vergrub sein Gesicht in ihr wunderschön duftendes Haar, nur um im nächsten Moment ihren Hals zu liebkosen, mit der Hand bis zu ihrem dünnen Oberschenkel zu fahren und sie unter dem unteren Saum von Sakuras Rock verschwinden zu lassen. Es gefiel ihr, was er sagte. Es gefiel ihr so sehr, dass sie in diesem Moment merkte, wovon sie eigentlich träumte. Nicht von ihm wollte sie das alles hören, nicht von ihm wollte sie angefasst werden, nicht Naruto sollte hier und jetzt bei ihr sein! Da erwachte sie endlich aus ihren Träumen, begann sich vor dem entstandenen Behagen zu ekeln, verzog sogar das Gesicht. Gerade als Naruto ihr wieder einen Kuss auf die Lippen geben wollte, fing sie an, sich unter ihm zu winden, drehte das leicht verzogene Gesicht zur Seite und stemmte beide Hände gegen Narutos Brust. „N-nicht! L-lass das!“, stieß sie weinerlich aus. Naruto hielt sofort inne. „Ich... ich möchte das nicht!“, hörte er sie sagen und seine Gesichtszüge stürzten ins Perplexe. Hatte sie das bis zu diesem Moment nicht noch genossen? Warum wies sie ihn jetzt also plötzlich ab? „H-habe ich etwas Falsches gemacht?“, fragte er mit dem Ansatz von Panik in seiner Stimme. „Ging es zu schnell? Ich-“, „Nein, Naruto, das alles ist ein riesengroßer Fehler, okay?“, unterbrach sie ihn immer noch zur Seite schauend. „Ich hätte nicht darauf eingehen sollen, verdammt nochmal. Das ist meine Schuld.“ Der Druck gegen seine Brust verstärkte sich, als sie ihre Hände noch zielstrebiger gegen ihn richtete. Er war sprachlos. „Naruto, ich...“, begann sie von Neuem. „Naruto, ich kann das nicht mehr, okay? Es geht nicht. Aus uns kann nichts werden, egal, wie sehr du dich bemühst!“ „Was? Aber warum denn nicht? Hast du nicht selbst gesagt, ich soll dich erobern?“, platzte es aus ihm heraus. Seine Augen schauten sie groß an. Angst vermischt mit Enttäuschung und Verständnislosigkeit quoll aus seinem Blick. „Vergiss, was ich gesagt habe!“ Nun konnte sie ihn erfolgreich von sich schieben, sodass sein ihrer Ablehnung gehorchender Körper einfach zur Seite glitt und Naruto auf der Stufe neben ihr landete. Verwirrt, verstört, panisch. Sie stand auf, drehte sich zu ihm. „Ich möchte einfach nicht, dass du weiter leidest, verstehst du? Es geht einfach nicht, ich kann mich in dich nicht verlieben, oder sowas in der Art. Ich dachte, ich könnte es...“ Sie breitete ihre Arme in der Luft aus, um zu versuchen ihre Worte dadurch noch deutlicher erscheinen zu lassen, „aber ich habe mich einfach geirrt, Naruto! Ich kann mich einfach nicht doppelt verlieben, okay? Ich kann es nicht! Ich kann dich nicht lieben, weil ich schon jemanden anderes liebe. Verstehst du jetzt, warum es nicht geht?“ Er atmete schnell. Seine Lunge verlangte immer mehr Sauerstoff, aber alles, was er ihr geben konnte, war nur eine flache, schnelle Atmung. Sein ganzer Körper war von einem auf das andere Mal angespannt. Sie liebte schon jemanden? Warum wusste er nichts davon? Warum hatte er es nicht bemerkt? „Alles, was du tust, alles, was du mir geben willst – ich ersehne es von jemandem anderen, Naruto. Ich will das hier nicht mehr, weil ich dich nicht anlügen möchte! Ich mag dich wirklich, aber auf freundschaftlicher Ebene. Dagegen kann ich einfach nichts machen!“ Tränen standen in ihren Augen, als sie beendete. „Bitte verzeih mir... ich... ich werde jetzt besser gehen...“, murmelte sie schließlich noch und wendete sich dann von dem Blonden ab, der ihr fassungslos und völlig ungläubig hinterher schaute. Gerade wollte sie um die Kurve des Treppenhauses biegen, da stand er auf und wirbelte sie an dem Oberarm zu sich herum. „Wenn das so ist...“, begann er dumpf und vermied es, ihr ins Gesicht zu schauen. „Dann sag mir wenigstens, wen...“ Er musste abbrechen. „D-das ist jetzt wirklich unwichtig“, hauchte sie mit einem schlechten Gewissen. Aber sein Griff um ihren Oberarm verstärkte sich, als er ihr einen stechend unzufriedenen Blick zuwarf. „Wer? Und wie lange schon?“, hakte er eindringlich nach. Sakuras Blick huschte von einer Stelle des Ortes zum anderen. Sie versuchte ruhig zu bleiben, aber es klappte einfach nicht, denn zu sehr wurde sie von Narutos direkter Art eingeschüchtert. Sie konnte ihm aber auch nicht übel nehmen, dass er böse auf sie war. Schuldbewusst holte sie also Luft und blickte schräg nach unten, ehe sie zur Antwort ansetzte. „Es... es ist noch gar nicht lange her...“, begann sie zögerlich. „Genauergesagt, habe ich es auf Kabuto-sempais Party erkannt. Ich war noch in Gedanken darüber, warum ich mich auf dich nicht wirklich einlassen konnte... Ich weiß nicht... es ist ganz plötzlich passiert... Ich hatte mit ihm... geschlafen... und... da habe ich es plötzlich in mir gespürt… Aber vielleicht tröstet es dich ja... es ist nur einseitige Liebe.“ Sie schaute nicht auf, als sie zu Ende gesprochen hatte. Oh nein... Eine ungute Vorahnung schlich in Narutos erzürntes Gemüt. Seine Eingeweide machten beinahe eine Drehung in seinem Bauch. Der Kreis der Verdächtigen grenzte sich noch mehr ein, als er gehört hatte, an welchem Tag und vor allem wo alles begann. Aufgebracht durchbohrte er Sakuras Gesicht mit seinem Blick. Wenn es Kiba war, oder Kabuto selbst – wie konnte er denen dann je wieder ins Gesicht sehen? So viele Leute wussten ganz genau, dass er hinter Sakura her war. So viele gaben vor, nicht an ihr interessiert zu sein und so viele Leute konnten sich nun als Lügner oder Verräter herausstellen! Und genau das war es, wovor Naruto so Angst hatte in diesem Moment. Zu erkennen, was für ein Abschaum jemand, den er kannte doch eigentlich war, stellte für den Uzumaki die schwierigste Hürde dar. Er glaubte doch sonst immer an das Gute im Menschen – wie sollte er also einsehen, dass jemand, den er bisher als Freund betrachtet hatte, ihm ins Gesicht blicken konnte, ohne Reue dabei zu empfinden, ohne ehrlich zu sein, jegliche Gerechtigkeit einfach abgestreift zu haben? Naruto wollte nicht verachten, aber er wusste, dass er es tun würde, wenn er erfahren würde, wer so ein verlogener Bastard war. Er hoffte – nein – er flehte, dass es wenigstens keiner war, den er eng kannte. Fest presste er seine Kiefer aufeinander und zischte durch die Zähne hindurch: „WER?!“ Erschreckt zuckte Sakura zusammen, schaute auf, blinzelte und konnte nichts Anderes machen, als endlich die Frage zu beantworten: „SASUKE...kun!“, schrie sie durch die fließenden Tränen hindurch, die ihre Wangen entlang rannten. Dann legte sie den Kopf in den Nacken, stieß dabei leicht an die Wand und schluchzte so leise sie konnte gen Himmel. Sie sah nicht, wie Narutos Gesicht erstarrte. Sah nicht, wie sein Mund in dem Versuch Luft zum Atmen zu holen offen blieb. Spürte das Aussetzen seines Herzens nicht. Es war kein Schlag ins Gesicht... Es war kein Schlag in den Magen... Es war kein Schlag unter die Gürtellinie... Es war ein eiskalter Messerstich ins Herz. Direkt ins Herz. Er wusste, dass er sich nicht verhört hatte. Nein, er hatte jeden einzelnen Buchstaben deutlich herausgehört, jede einzelne Silbe, jeden einzelnen Laut. Der Name seines besten Freundes pochte in seinem Kopf, verursachte Kopfschmerzen, Übelkeit. Naruto ließ die bebenden Arme des nun absolut unwichtigen Mädchens los, taumelte einen Schritt zurück, stieß mit dem Rücken gegen die hinter ihm liegende Wand. Nebel umhüllte ihn. Nebel, durch den nichts zu Naruto vordringen konnte. Es war, als wäre er in ein tiefes, schwarzes Loch gestoßen worden. Und das letzte, was er gesehen hatte, war das selbstgefällige Grinsen Sasukes, ehe Naruto in das Höllenfeuer eintauchte. Alles klärte sich wieder, die Sicht wurde schärfer als sonst, Gerüche bannten sich deutlicher in Narutos Nase, Energie flutete seinen Körper. Jede Muskelfaser strotze davon, versprühte beinah Funken von der Energiegeladenheit. Es war, als hätte ein Blitz den Uzumaki getroffen und elektrisiert. Die Fäuste voller Wut, die Augen voller Hass, das Herz voller Schmerz. Naruto stieß sich von der Wand ab, griff nach dem Treppengeländer, um Schwung zu holen und gleich 5 Stufen auf einmal zu nehmen, und rannte blind los. Rannte blind, aber seine Intuition sah alles. Der grollende Zorn leitete ihn. Der Drang, sich zu rächen motivierte die Bewegungen seines Körpers, während er Sakura alleine in dem Treppenhaus zurückließ. Sie schaffte es nur noch um die Zukunft beängstigt, zum Geländer zu laufen, die Treppe nach unten zu schauen und die Frage „Naruto? Was willst du tun?!“ herauszurufen. Doch dies wurde eiskalt ignoriert. Sasuke klatschte sich eine Ladung kalten Wassers ins Gesicht und lehnte sich dann mit beiden Armen auf das Waschbecken. Das Wasser rauschte in seinen Ohren und überdeckte die lauten Geräusche der Party außerhalb der Männertoilette. Sein Blick traf durch den Spiegel sich selbst. Kalte, dunkle, unnahbare Augen schauten Sasuke entgegen, stachen tief in seine Seele, während die lauwarm gewordenen Tropfen seine Wangen herab glitten. Nach einer langwierigen Minute suchte seine Hand rechts nach dem Papiertuchbehälter, riss ein Blatt ab, rieb das blasse, attraktive, aber emotionsverbergende Gesicht des Schwarzhaarigen trocken und schmiss das durchnässte Papier in den Müll. Eine gewisse Spannung lag in der Luft. Als wäre ein Schalter irgendwo anders umgelegt worden. Sasuke wollte nicht wirklich darauf achten, wollte sich vergessen, endlich alle schlechten Gedanken aus seinem Kopf herausschmeißen, aber sie blieben und ließen ihn nicht in Ruhe. Krampfhaft versuchte er daran zu denken, was er als nächstes machen würde – ein Mädchen anmachen? Oder vielleicht einfach nur nach Hause gehen? Oder sich zu einer kleinen Gruppe Jungs gesellen, um neue Bekanntschaften zu knüpfen? Alles erschien irgendwie unpassend. Als würde das Schicksal schon händereibend wissen, was es mit dem Uchiha vorhatte. Sasuke stieß sich vom Waschbecken ab und verließ die Herrentoilette, um wieder zurück in die Aktivitäten der Party einzutauchen, die in dem Keller des Gebäudes stattfanden. Doch obwohl er sich gerade noch frisch gemacht hatte und die Kälte des Wassers ihn für einige Momente absolut wach hielt, fühlte er bereits den Schwindel in sich wieder wachsen und das seltsam flaue Gefühl in seiner Magengegend. Es war nicht besonders stark und auch nicht auf den Alkohol zurückzuführen, aber es stellte den Schwarzhaarigen hier in diesem Raum irgendwie merkwürdig deplatziert dar. Die Menschen um ihn herum schienen ihren Spaß zu haben, feierten ausgelassen, aber Sasuke konnte sich nicht mehr in solch einen Zustand hineinversetzen. Es war dem Gefühl ähnlich, im Klassenraum zu sitzen und keine Hausaufgaben gemacht zu haben. Man sitzt also da und versucht so unauffällig wie möglich zu sein, damit der Lehrer einen nicht aufruft und doch weiß man anhand eines gewissen Druckes ganz genau, dass der Lehrer einen jetzt gleich drannehmen wird. Wie eine Vorahnung des Unvermeidbaren. Dem war jenes Gefühl ähnlich: irgendetwas kam auf Sasuke zu, nur wusste er nicht, was genau es war. Jedenfalls nichts Gutes, wie seine Intuition ihm sagte. Einige Zeit stand er untätig mitten im Raum, umzingelt von ständig wechselnden Leuten, die ihn nicht wirklich beachteten, dann beschlossen seine Beine, ihn weiter zu tragen. Irgendwohin... Irgendwohin, bloß nicht stehenbleiben! Er ging durch die tobende, tosende Masse der Menschen, parierte unwillkürliche und unbeabsichtigte Stöße von Leuten, die sich irgendwie ungeschickt bewegten, vermied es instinktiv, irgendwohin zu treten, wo irgendwelcher feuchte Schmutz rum lag. Es musste von der Seite aussehen, als würde er nach jemandem suchen. Nach jemandem suchen, oder aber... vor jemandem weglaufen... „SASUKE!“ Es war und klang wie ein bedrohliches Donnergrollen. Der Schwarzhaarige drehte sich nicht um, blieb aber stehen. Wie angewurzelt. Sein scheinbar gleichgültiger Blick bohrte sich in die Luft vor ihm. Er sah verschwommen, aber er registrierte dennoch, wie einige Augenpaare sich auf denjenigen richteten, der seinen Namen schrie, als wäre es das letzte zu beseitigende Stück Dreck. Als wäre es das furchtbarste Wort der Welt. „SASUKE – BASTARD!“ Ein weiterer Donnerschlag von hinten. Es hallte in Sasukes Ohren wieder wie in einer unterirdischen Höhle, die von der Schuld und Unschuld der Welt abgeschottet im tiefsten Erdinneren lag. Das Geschrei war alles andere als fröhlich. Es war eher eine todernste Aufforderung auf der Stelle zu krepieren, die nur aus den Tiefen einer gebrochenen Seele stammen konnte. Stechend scharfer Ton. Heiser und brüchig wegen der Lautstärke, die nötig war, um die Musik und die Geräusche im Raum zu übertönen. Wütend. Verzweifelt. Rachsüchtig. Sasuke wusste sofort, dass er nun am Ende stand. Am Ende der Klippe, die er immer weiter nach oben geklettert ist, nur um jetzt von oben in das tiefe, finstere Loch zu starren, das vor ihm lag. Es gab keinen Weg mehr zurück – er sah seinem Verderben ins Gesicht. Der Blick – steif und leer wie der eines Insektes – glitt gen Boden, schwebte darüber hinweg zur Seite, bewegte seinen Kopf mit, bis Sasuke gezwungen war über seine Schulter zu schauen, halb gedreht das Geschehen anzuvisieren. Naruto stolperte die Treppe hinunter, drängte sich durch die Menschenmenge, schubste Leute beiseite, quetschte sich zwischen knutschenden Pärchen hindurch, ruderte mit den Armen, um Tänzer von seinem Weg zu schieben. Und alles mit den Gesichtszügen eines wütenden, feuerspeienden Dämonen, dessen sonst so aufgeweckt strahlenden Augen vor Zorn beinah rot glühten. Verletzt! Erniedrigt! Verschmäht! Abgewiesen! Verraten! Zerfressen! Entsetzt! Gebrochen! Ausgespuckt, wie ein Kotzbrocken, der früher einmal ein schmackhaftes Lebensmittel war und nun so überflüssig wie Gift. Diese schrecklichen Gefühle vermittelte der Blick aus jenen Augen. Naruto drängelte sich rasend durch den Raum zu dem Uchiha vor. Sasuke sah dem nur zu. Weder bewegte er sich, noch ließ er zu, dass sein Atem seine Lunge erfüllte. Überwältigt von jener unheilvollen Energie des Schmerzes, den er bei Naruto mit seinem vergangenen Verhalten erst jetzt verursacht zu haben schien. Sich dem Verlauf der Dinge nicht mehr widersetzend stand Sasuke nur da, wartete. Wartete darauf, von der Klippe in die Finsternis gestoßen zu werden. Er nahm es an, akzeptierte es. Wollte es! „BASTARD!“ Jemand unterlag dem harten Stoß von Narutos Hand eher dieser endlich zu Sasuke vordringen konnte und ihn gewaltsam am Kragen des schwarzen Hemdes packend, ruckartig an sich zog, um sofort wieder brutal von sich zu schubsen. „VERRÄTER!“ Er griff wieder nach dem Kragen, drückte sein Gegenüber grob von sich, schob ihn vor sich her, bis Sasuke mit dem Rücken willenlos gegen eine Wand knallte. Schlagartig wurde die restliche Luft aus seiner Lunge beim Aufprall gedrückt, entwich ihm lautlos durch die Nase. Er war durchdrungen von Narutos tödlichem Blick. Angespuckt von Narutos Speichel, welche beim Schreien unbeabsichtigt den Mund des Blonden verlassen hatte. Sasuke ließ sich quälen. Er ließ sich foltern. Würde sich zusammenschlagen lassen. Es geschah ihm nur recht. Und er wusste es genau. „ZUR HÖLLE, SASUKE! – WARUM?!“, schrie Naruto aus ganzer Kehle, obwohl Sasuke nur wenige Zentimeter von ihm entfernt stand. Er schubste den Schwarzhaarigen nochmals gegen die Wand, schnaubte seine Luft schwer wie ein Stier. „WARUM HAST DU DAS GETAN?! ANTWORTE! – WARUM?! DU VERLOGENER MISTKERL – ANTWORTE!“ Sein Gesicht näherte sich dem des Uchihas bedrohlich. Der Augenkontakt wurde immer intensiver und die Muskeln immer angespannter und bereiter. „Du verdammtes Arschloch!“, zischte Naruto diesmal etwas leiser. „Du wusstest ganz genau, dass ich auf sie stehe! Du hattest kein Interesse an ihr! Du erwiderst weder ihre Gefühle, noch stehst du auf ihren Körper. Alles, was du verdammt nochmal tust, ist zu wissen, dass sie mir wichtig war, dass sie gerade die einzige war!“, er ließ den Schwarzhaarigen los, um seine Hände in die blonden, zerzausten Strähnen zu krallen. „Warum?! Warum hast du sie nur flachlegen müssen?!“ Die Hände glitten von dem goldenen Haar zum Gesicht, verzerrten dessen Haut „Warum hast du sie mir weg genommen?!“ Ein Zittern überrollte seine Glieder, als er seine Wangen entlang kratzte. „Warum, verdammt, musst du mir auch das letzte nehmen, was mir bleibt?!“ Er ließ seine Haut los, klatschte die Hände links und rechts von Sasuke schwungvoll auf die Wand. Wiederholte den Aufschlag mit einem weiteren, gebrochenen „Warum?!“. „Was zur Hölle bin ich für dich, hä?! Hast du mich nur an deiner Seite, damit dein verfickter Glanz neben mir – einem Loser – besonders hell funkelt?!“ Wuchtig haute er seine Faust gegen dieselbe Wand, den Tränen nahe. Die Arme dann vor seinem Gegenüber ausbreitend blickte er Sasuke nun wieder direkt in die kalten, dunklen Augen. Flehend, Verwirrt, Verständnislos. „SASUKE, WAR UNSERE BESCHISSENE FREUNDSCHAFT ETWA NUR `NE BESCHISSENE LÜGE?“ Seine Stimme brach, kratzte seinen Hals empor. „Bin ich für dich solch ein nutzloser Niemand?!“ Er schüttelte seine steifen Arme in der Luft vor Sasuke. Er zitterte. „Ein Niemand, den du rumschubsen kannst wie du willst? Du behandelst mich wie Dreck! Du trittst mich mit Füßen, merkst du das?! MERKST DU DAS NOCH?! MERKST DU ÜBERHAUPT NOCH WAS?!“ Er kniff die Augen zusammen, um dem Schrei zu helfen, seiner Kehle zu entrinnen, fletschte die zusammengebissenen Zähne, ballte seine Hände wieder zu festen Fäusten in der Luft. „Ist es deine scheiß Absicht, mich zu quälen? Reicht es dir nicht einfach nur in allem besser zu sein? Musst du mich dem Boden gleich niedertrampeln?! Sag es mir, Sasuke!“ Er biss sich hart auf die Unterlippe, ehe er die Augen öffnete, um den Uchiha wieder eindringlich anzusehen. „Sag es mir – war ich in deinen Augen jemals ein Mensch? Warst du überhaupt mein Freund? Weißt du, was Freundschaft überhaupt bedeutet?“ Wenn ja... dann... warum... warum... WARUM?!“ Damit schlug er das letzte Mal mit seinen Fäusten gegen die Wand, an der Sasuke bewegungslos lehnte. Sein niederschmetternder, verzweifelter Blick grub sich tief in den des Uchihas. Stille. Er sah in das Paar nachtdunkler Augen, die ihn still und ruhig anschauten, ohne zu leugnen, ohne jegliche Rechtfertigungsabsichten. Wie ohne Herz. Herzlos. Emotionslos. Aufgegeben. Man sah ihm an, dass er alles wusste und nicht widersprechen würde. Es war nur noch das Schweigen, das ihm übrig blieb, so leer und ausgefressen wie er war. Er sah zu, wie ihm das letzte entglitt, das ihm je etwas wirklich bedeutete. Die Freundschaft trocknete aus in der sengenden Hitze des Höllenfeuers. Sasuke sah, wie unaufhaltsam es war, wie hoffnungslos. Wie sinnlos es wäre, zu versuchen noch irgendetwas wieder gut zu machen, was nicht wieder gut zu machen war. Es würde nichts so werden, wie früher. All das konnte Naruto nicht sehen. Was er sah, war ein emotionsloses Gesicht, dem es am Arsch vorbei zu gehen schien, wie schrecklich schmerzhaft Narutos Herz blutete. Das war der Moment, in dem sein Blick durch das Spiegeln des Entsetzens über Sasukes Reaktionslosigkeit der wütenden, aussichtslosen Rageäußerung verfiel. Das rachsüchtige Tier erwachte wieder, knurrte, zerrte an den Ketten die aus Narutos Verstand bestanden. Hass wurde wiedergeboren, schlängelte sich im Brustkorb seines Vaters, paarte sich mit dem Verachten, kroch aus den Augen Narutos direkt in die Sasukes. Der Blonde kam wieder einen Schritt näher. Wie in Zeitlupe geschah alles. Er hob seinen rechten Arm, legte ihn unerwartet und erstaunlich sanft auf die Wand schräg über Sasukes Kopf, beugte sich vor. Seine Kiefermuskeln waren angespannt auch ohne das Zusammenbeißen der Zähne. Missbilligend fixierte er mit seinen Iriden Sasukes Bild, das nun seine ganze Sicht eingenommen hatte, so nah waren sie sich. Die Haltung hatte gar etwas von einer kranken, irren, verzerrten, sadomasochistischen Erotik, die tödlich genug war, um zehn Stiere mit einem Stich zu schlachten. Sasuke vor ihm, an die beschlagene Wand gelehnt. Arme schlaff neben seinem Körper hängend. Atemlos. Mund leicht offen. Augen halb geschlossen. Trockene Mundhöhle. Gefrierendes Blut in den Adern. Naruto mit so viel körperlicher Nähe an diesem tranceartigen Zustand Sasukes genau das Gegenteil empfindend... Feurig pochte kochendes Blut durch die Gefäße des Blonden. Gerade noch so konnte er sein ausgeartetes Tier im Zaum halten. Angespannt. Der Brustkorb bewegte sich im Takt seiner tiefen Atemzüge. Augen – bohrend, wutverschleiert, mordend. „Du...“, hauchte Naruto mit brennend heißem Atem und benetzte mit seinen Zähnen und Oberlippe die Untere mit sachter Feuchtigkeit, „...wirst mir nicht antworten, stimmt’s, Mistkerl?“ Da schlich sich unerwartet ein minimales, monströs gehässiges Grinsen auf seine vor Anspannung etwas zitternden Lippen, das genauso schnell verschwand, wie seine linke Hand Sasukes untere Gesichtshälfte umfasste, um mit angehauchter Brutalität die blassen Wangen zu quetschen, sodass sich das monotone, attraktive Gesicht unterhalb der Nase hässlich verzerrte. Ruckartig. Sasukes Kopf schlug dabei hart auf die Hinterwand auf. „Weißt du, Arschloch? Ich glaube...“ Naruto machte eine spöttische Künstlerpause, „...wir sollten uns mal draußen etwas unterhalten.“ Er knetete die an der Stelle des festen Druckes rot anlaufenden Wangen des Uchihas, sodass sich der Kopf unwillkürlich mitbewegte. „Draußen, Uchiha. Wir klären das ein für alle Mal!“, zischte er ihm mit harter Stimme giftig ins Ohr, ehe er das Gesicht losließ, den Schwarzhaarigen mit einer Hand wieder am Kragen packte und gewaltsam mit sich zerrte. Sasuke wehrte sich nicht. Er würde sich auch später nicht wehren. Er ließ es zu. Er ließ sich quälen. Ja, so sollte es sein. So sollten Verräter behandelt werden. Er hatte Naruto dazu gebracht so zu werden, wie dieser niemals von alleine werden würde. Er hatte Narutos Verachten verdient. Naruto schleppte ihn an dem Kragen mit sich die Treppe hinauf ungeachtet der Leute, von denen sie penetrant angestarrt wurden, die untereinander tuschelten, oder mit den Fingern auf die beiden ‚Freunde‘ zeigten. Er schubste weiterhin Blitzmerker aus dem Weg, bahnte sich durch die stickige Luft hindurch, von einem Raum in den anderen. Irgendwo auf dem Weg ließ er Sasuke sogar los, weil er spüren konnte, dass dieser auch von alleine mitkommen würde. Sasuke tat es wirklich. Er ging dem Uzumaki hinterher wie von Geisterhand geleitet, war immer noch hypnotisiert von seiner tiefen, innerlichen Überzeugung, dass er es musste, dass er mitgehen musste, dass er sich stellen musste. Es war seine Pflicht, seine Strafe. Ja. Mehrere Leute folgten ihnen, belustigt und gespannt auf den Kampf. Manche waren scharf darauf zu sehen, wie die Freundschaft endgültig zerbrach. Einfach nur just for fun. Manche waren nur Mitläufer der sensationsgierigen Vollidioten. Manche waren so besoffen, dass sie nicht begriffen, was sich da gleich abspielen würde. Andere sahen einfach nur weg. Wiederum andere lachten darüber oder ignorierten die Unbekannten. Oberflächliche Schweine, die Naruto in diesem Moment weniger als interessierten. Und Sasuke? Sasuke nahm es war. Er nahm alles wahr. Alles. „Was für ein Arschloch! Er hat ihm seine Freundin ausgespannt!“ „Wie kann man seinem besten Freund nur so weh tun?“ „Hahaha, werden die sich jetzt prügeln? Echt?“ „Das will ich sehen!“ „Ich wette Sasuke verliert – der hat sich vorhin schon nicht gewehrt.“ „Nee, Naruto ist ein Loser – der wird das nicht schaffen Uchiha zu schlagen.“ „Ich verwette nen zwanziger, dass Naruto gewinnt.“ „Wie schrecklich, hört doch auf! Das ist alles nicht witzig!“ „Komm, lass uns von hier verschwinden. Hier wird’s mir zu krass ey.“ „Die sind echt Freunde?“ „Boah, was’n mit denen los?“ „Waaah! Sasuke gegen Naruto, wie endgeil!“ „Jaaa, Sasukeee! Gib’s ihm ordentlich auf die Fresse!“ „Wie kann man nur so dämlich sein?“ „Tss, Naruto hat eh keine Chance.“ „Ja, der ist voll nervig. Geschieht ihm recht.“ „Ich finde Sakura passt eh viel besser zu Sasuke. Die hatten bestimmt voll den geilen Abend ey. Ich will auch!“ „Uchiha ist eh voll die Schlampe“ „Und Uzumaki ist ‘ne Pussy!“ „Haha, der ist so’n Loser – Voll das Opfer, ernsthaft!“ Es hämmerte auf Sasuke ein. All diese nichtsahnenden Trottel, diese oberflächlichen Idioten – sie waren keine Aufregung wert und doch schmerzte es irgendwo tief in Sasuke, diese Sachen mitzubekommen. Auch wenn er bereits verloren hatte und es deshalb nichts mehr zu verlieren gab. Außer unwichtige Äußerlichkeiten, die Sasuke völlig egal waren, konnte der Uchiha nicht leugnen, dass das Ausgeliefertsein sich schrecklich anfühlte. Es war das allgemeine Ausgeliefertsein, das ihn am meisten quälte. Er fühlte sich wie ein Tauber in der Dunkelheit. Unfähig sich zu wehren, weil es richtig war, sich nicht zu wehren. Weil es eh nichts mehr bringen würde. Wozu sich also wehren? Sich zu wehren, wenn es doch keinen Sinn mehr gab, zu leben. Zu leben als Sieger über welchen Kampf? Nein, lieber sterben, weil man es verdient, als das Leben als unfairer Sieger zu beschreiten. Ein Sieger der am Ende ja doch nichts haben würde von seinem Sieg. Wozu sich also wehren? Er wollte kein Sieger sein. In diesem Moment nie wieder. Ekel vor sich selbst flutete seine Brust. Er wollte kämpfen. Wollte Kämpfen und verlieren. Offiziell verlieren, was er bereits verloren hat. Seine Muskeln begannen zu arbeiten, bereiteten sich darauf vor, sich selbst aufzugeben. Das einzukassieren, was er verdiente. Es gab keine Hoffnung, dass es dadurch so werden würde, wie früher. Nein, im Gegenteil. Sie würden durch Sasukes Niederlage keineswegs Quitt sein. Nichts würde wieder gut werden, denn die Freundschaft lag bereits in Trümmern, als Sasuke den Verrat beging. Er war sich dessen sicher. Wozu sich also wehren, wenn doch alles zerstört war, worum es sich zu kämpfen lohnte? Die Tür des Haupteinganges wurde mit einem lauten Fußtritt aufgeschlagen. Menschen schreckten auf, schauten mit kugelrunden Augen zu, wie Naruto und Sasuke das Gebäude verließen. Der Himmel war bewölkt. Schnee knisterte, als Naruto den Weg zu einer unter dem weißen, kalten Pulver sicherlich verborgenen Wiese einschlug, um abseits des allgemeinen Geschehens den Standort des Bruches festzulegen. Des Freundschaftsbruches. Sasuke folgte ihm weiterhin wort- und widerstandslos. Wind wehte nur leicht und rührte deshalb kaum eine Strähne der beiden an. Es war als wären sie beide in einem Vakuum gefangen. Beide konzentriert auf das Bevorstehende. Es fing an zu schneien. „Hm. Erinnerst du dich an damals?“, fragte Naruto plötzlich, als er stehen blieb. Sasukes Blick glitt über den zu ihm gekehrten Rücken des Gegenübers. Sein Mund gab wieder keine Antwort von sich. Die Schaulustigen versammelten sich allmählich um die beiden in einem großzügigen Kreis. „Damals hatte es auch geschneit“, murmelte der Blonde, während er die Rufe der Umherstehenden ausblendete. Gott, ja! Natürlich erinnerte sich Sasuke daran. Wie könnte er auch den Beginn der wichtigsten Beziehung in seinem gesamten Leben vergessen? Er musste traurig lächeln, während er den Kopf in den Nacken schwang, die großen, weißen Flocken auf seiner Gesichtshaut zergehen lassend. Damals hatten sie sich auch geprügelt. Wegen ihrer unkaputtbaren Rivalität. Wegen Neid auf den jeweils anderen. Wegen Kleinigkeiten. Sie hatten sich solange geprügelt, bis sie nichts anderes mehr konnten, als einfach nur auf dem Boden zu liegen und zu lachen. Zu lachen, weil sie sich durch den Kampf näher gekommen sind, als jede noch so tolle Möchtegernfreunde. Diese einzigartige Intimität war geboren worden. Jene, die Sasuke und Naruto bis jetzt zusammengehalten hatte. Nein – bis zum Punkt des Verrates. Es war ein verlassener Innenhof. Keiner hatte gestört, als sie ihre Kräfte maßen. Keiner hatte ihnen im Nachhinein geholfen. Keiner hatte mitbekommen, wie der verschneite Asphalt rot gesprenkelt wurde. Und keiner hatte mitbekommen, wie sich Sasuke und Naruto damals die Hand reichten, um die Freundschaft zu besiegeln. Es schneite, es rief, schrie und buhte aus allen Himmelsrichtungen, es wurde gänzlich windstill, und die erste Faust landete hart in Sasukes Magen. Er krümmte sich vornüber vor Schmerz, der seine Innereien innerhalb einiger Sekunden in einen einzigen Krampf verwandelte. Es wurde weiß, als hatte er direkt in einen Blitz gesehen. Seine Lunge war nicht im Stande Luft zu holen, obwohl er diese jetzt wie noch nie brauchte. „Na los! Verteidige dich, Uchiha!“, zischte Naruto verächtlich und nahm seinen Arm, auf dem Sasuke lehnte, gnadenlos weg, sodass der Schwarzhaarige einen Schritt nach vorne taumelte. Gerade noch so konnte er sich mit der rechten Hand an seinem Knie abstützen. „Nein“, würgte er mit viel Mühe hervor. Da kam bereits die nächste Faust auf ihn zugerast. Sie traf diesmal seinen Kiefer von der Seite, schmetterte den Kopf in selbige Richtung, ließ Sasuke auf seine Wange beißen. Der warme, metallene Geschmack von Blut breitete sich auf seiner Zunge aus. „Verteidige dich, ich warte!“, wiederholte der Uzumaki deutlich. „Nein“, beharrte Sasuke standhaft, während ein Blutrinnsal aus seinem Mundwinkel austrat und sein Kinn herab tröpfelte. Er wischte ihn sich mit dem Handrücken fort. „Ich sagte, du sollst dich verteidigen!“, fauchte Naruto und schubste sein Gegenüber ruckartig, sodass dieser nach hinten kippte. „Und ich sagte nein!“, presste Sasuke aus sich heraus, nachdem er sein Gleichgewicht wieder fand. Beide Hände Narutos ballten sich zu Fäusten. Seine Augen weiteten sich im Zorn und er machte aufgebracht einen Schritt auf Sasuke zu. „Verteidige dich, verdammt nochmal! Verteidige dich, Bastard!“, brüllte er laut, nachdem er den Hals des Uchihas mit einer Hand umschloss und kräftig daran rumrüttelte. „Ich will mich aber nicht verteidigen, klar?!“, schrie der Angegriffene plötzlich mit heiserer Stimme, die durch das Schütteln stoßweise heraus kam. „Na los! Ramm mir schon deine beschissene Faust ins Gesicht! Was ist, hast du Angst?“, zischte er provokant. „Oh ja, ich zeig dir, wie doll ich Angst habe. Siehst du das?“ Naruto hob die geballte Faust seiner freien Hand in die Luft, „Siehst du das hier?! Das wird deine verlogene Hackfresse ordentlich verstümmeln! Oh ja!“ „Dann soll sie doch! Los, Dobe, worauf wartest du noch, hä?!“ „Nenn mich nicht Dobe! Du hast kein Recht mehr dazu, feiges Arschloch!“ „Ich nenn dich, wie’s mir passt! Reiß mir doch die Zunge raus, wenn‘s dir nicht gefällt! wie einfallsreich du doch bist Dobe! Schlag mir die Zähne raus, demoliere meinen Kiefer – oder sind Worte das Einzige, wozu du fähig bist, Großmaul?!“ Schlag mich endlich, verdammt! Naruto konnte es nicht fassen. „Halt die Klappe! HALT VERDAMMT NOCHMAL DEINE BESCHISSENE FRESSE!“, schrie er mit überstrapazierter Stimme, die fast brach, als er sie benutzte. Die Provokation wirkte. Und Sasuke entschied sich noch eins oben drauf zu legen. Das Fass sollte endlich zum Überlaufen gebracht werden. „ODER WAS?!“ Er zwang sich ein Grinsen auf, aber der Satz allein hatte schon ausgereicht. Naruto stürzte sich auf Sasuke, warf ihn um, riss ihn zu Boden und als er auf dem Schwarzhaarigen oben drauf saß holte er mit seiner rechten, starken, festen Faust aus. Sie raste direkt auf Sasukes Gesicht zu. Direkt von vorne und er sah bereits seiner gebrochenen Nase entgegen. Das Zusammenkneifen der Augen erfolgte instinktiv. Es war aus mit ihm. Aus mit der Freundschaft. Es rauschte ein scharfer Luftzug an Sasukes Kopf vorbei. Ein Wunsch blieb unerfüllt. Der Kreis aus menschlichen, sensationsgeilen Affen protestierte, tobte, wütete und Sasuke blieb nichts anderes übrig, als langsam die Augen zu öffnen. Er erblickte ein kummervolles Gesicht. Zwei blaue, leuchtende Iriden, deren Feuer langsam abkühlte. Dann verbarg ein Paar Augenlider die beiden Ozeane und Spiegel des Leids. Naruto atmete unkontrolliert schwer. Seine Faust schmolz den Schnee neben Sasukes linkem Ohr und Steinchen, des darunterliegenden Asphaltes gruben sich tief in das Fleisch und die Knöchel der Hand. Es war doch keine Wiese gewesen, auf der sie ‚gekämpft‘ hatten. Die Luft zwischen den beiden Kontrahenten war gespannt und irgendwie aufgelöst zugleich. Der Uchiha hob den Kopf leicht an. Die stumme Frage verließ seinen Blick, die geflüsterte Antwort entwich dagegen Narutos Lippen. „Ich kann es nicht“, sagte er lautlos und neigte den Kopf. Seine goldenen, wuscheligen Haarsträhnen versperrten Sasukes Sicht auf die Augen seines ehemaligen Freundes. Aber er wusste, wie Narutos Gesicht wohl in diesem Moment auszusehen vermochte. Enttäuscht. Verzweifelt. Schmerzverzerrt. Sasuke ließ den Kopf zurück in den Schnee sinken. Die kristallinen Flocken schwebten friedlich den Himmel herab. „Schlag zu“, forderte er leise und ruhig auf, wohl wissend, dass dieser Aufforderung nicht nachgegangen werden würde. „Ich kann es nicht“, wiederholte Naruto. „Ich dachte, ich könnte es. Ich dachte, ich könnte deine beschissene Fresse wirklich in Stücke reißen. Aber ich kann es nicht. Nicht solange du dich nicht wenigstens wehrst.“ Er schnaubte. „Schlag zu, Naruto. Ich habe es verdient.“ „Halt’s Maul, Arschloch!“, entgegnete Naruto, während er zum Aufstehen ansetzte. „Ich dachte, wir wären Freunde. Die besten Freunde. Aber du bist nicht fähig, zu lieben, stimmt’s? Du liebst weder Sakura, noch mich, noch dich selbst. Alles, was du kannst, ist die Zerstörung. Das konntest du schon immer. Bloß äußerte es sich bislang nur in Beziehungen mit anderen Leuten. Mit Leuten, die mich nichts angehen. Aber dann reichte es dir wohl nicht mehr. Du musstest etwas Größeres, Wichtigeres zerstören.“ Naruto erhob sich und schaute abwertend zu Sasuke hinunter. „Herzlichen Glückwunsch, Sasuke. Du hast unsere Freundschaft erfolgreich zerstört.“ Mit diesen Worten wandte sich Naruto von dem Uchiha ab und drängelte sich durch den unzufriedenen Menschenkreis, der nicht das zu sehen bekommen hatte, was er eigentlich sehen wollte. Eine tränenübersäte Sakura reichte ihm seine Sachen, die er wortlos entgegennahm und unter seinen linken Arm klemmte. Seine Tasche zog er sich über die rechte Schulter. Dann ging er zügig weg, nahm die Straße, die von dem Ort des Verderbens weg führte. Seine Gestalt wurde immer kleiner, je näher er sich dem Horizont näherte. Noch lange lag Sasuke so da. Aufgelöst. Nicht wissend, was er nun machen sollte. Verwirrt. Eine unbeantwortete Frage schwebte immer noch in der Luft über ihm, genauso wie die Schneeflocken. Sie begruben ihn fast unter sich, als wäre er tot. Aber er war es nicht. Er war am Leben gelassen worden. Warum? Warum nur? Er wollte es nicht. Nun war er weder Sieger noch Verlierer. Aber wer war er dann? Sakura neben ihm hatte sich hingehockt und schluchzte leise. Langsam setzte er sich auf, besah sich blind die Umgebung. Da die Sensation nun vorbei war, waren alle vom Ort des Geschehens abgehauen, hatten bereits anderswo ihren Spaß. Jene, die noch draußen aber etwas abseits standen, tuschelten ab und zu angeregt, lästerten. Es war egal. Alles war egal. An dem darauffolgenden Tag erschien keiner von den dreien in der Schule. Es war irgendwo klar gewesen, dass es so kommen würde und keiner zweifelte daran, dass alle drei sich wegen der Sache vom Vortag in ihren Wohnungen verschanzten. Die Neuigkeit hatte sich wie Lauffeuer verbreitet. Überall wurde nur dieses eine Thema ausdiskutiert. Nichts anderes war eben so aktuell und interessant, wie dieses. Kein Wunder – ein erstklassiges Klischee: zwei beste Freunde zerstritten sich wegen eines Mädchens. Eine melodramatische Seifenoper, wie sie im Buche stand. Aber was alle nicht wussten, waren die tiefergreifenden Hintergründe der ganzen Geschichte. Niemand hatte von Sakuras Gefühlen gewusst, niemand hatte von Narutos Gefühlen gewusst und niemand wusste auch von Sasukes Gefühlen. Wer war eigentlich dieser Niemand, dass er das alles wusste? Gott? Das Schicksal? Nichts davon wäre verkehrt. tbc... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)