Ein ganz besonderer Weihnachtsengel von Laegwen ================================================================================ Kapitel 1: Die Mutprobe ----------------------- Ich schnappe mir schnell den letzten Keks vom Teller, ehe noch jemand auf dumme Gedanken kommt. Der gehört mir! Lennarts Mutter backt verflucht nochmal die besten Kekse, die man sich nur vorstellen kann. So mit richtig großen Schokostückchen, ach was, Brocken sind das. Mark wirft mir einen vernichtenden Blick zu, aber das Maul macht er nicht auf. Er weiß eben was gut für ihn ist. Ich bin hier der Boss, wenn ich den letzten Keks will, dann nehme ich ihn mir einfach, basta. Und das wissen die anderen auch ganz genau. Der einzige dem ich es durchgehen lassen würde, mir zu widersprechen, ist Boris. Mein bester Kumpel. Er ist auch der einzige, dem ich gestattet hätte, sich den letzten Keks zu nehmen, wenn er denn gefragt hätte. In diesem Leben ist sich eben jeder selbst der nächste, das ist allgemein bekannt. Ich bin die coolste Sau der ganzen Schule, das könnt ihr mir echt glauben. Was, ihr findet, das klingt überheblich? Leckt mich, das ist alles, was ich dazu zu sagen habe. Mein Wort ist Gesetz, mein Wille geschehe, keiner tanzt aus der Reihe, oder er kriegt einen auf den Sack. Das hat gerade erst heute Dennis zu spüren bekommen. Der kleine Streber hat mich in Mathe nicht abschreiben lassen. Ganz linke Tour. Hat sich nicht mal getraut Nein zu sagen, der feige Wichser, hat nur immer seinen Arm vors Blatt gehalten und so getan, als wenn er meine Befehle nicht gehört hat. Ich hatte also echt keine andere Wahl, den musste ich mir in der Pause vorknöpfen. Ansonsten hätten noch die ganzen anderen Luschen gedacht, sie könnten jetzt auch anfangen, mir auf der Nase rumzutanzen. Nur die Harten kommen in’n Garten, weiß doch jeder. Dennis hat geflennt wie ein Baby, als ich ihm den Arm auf den Rücken gedreht habe. Hat mit dem Direx gedroht und nach seiner Mami gerufen. Boris sagt über ihn, er hat ein Gesicht wie ein Feuermelder, einfach zum reinschlagen. Dem kann ich nur zustimmen. Ich wisst schon, welchen Typ ich meine, oder? Jeder hat doch so einen in der Klasse. Einer, dessen Hand immer sofort hochschießt, wenn die Lehrer was fragen, der jedem Pauker den Arsch leckt und der mindestens einmal im Monat Klassenkeile kassiert. Hey, macht keinen Stress, ja? Ich hab ihm nichts getan. Nur ein bisschen Angst gemacht, ehrlich. Ein paar blaue Flecke vielleicht. Aber das ist doch nichts weiter, die hab ich nach jedem Hockeyspiel. Soll er halt nicht so ein Weichei sein und mich das nächste Mal gefälligst abschreiben lassen, wenn ich es ihm sage! Er hatte es nicht anders verdient. Scheiße, ich bin kein Arschloch. Ich hab mich nur eben damit abgefunden, wie die Welt tickt. Keiner schenkt einem was. Wer sich keinen Respekt verschafft, der geht gnadenlos unter. Ich werde nicht untergehen, da könnt ihr einen drauf lassen. Nicht Patrick Last, der Sohn von Karl Last, ich bin hart und gnadenlos und werde irgendwann den großen Preis gewinnen. Amen. Das wissen auch meine Homies hier, die warten nur drauf, dass ich was sage, dem die dann alle ganz begeistert zustimmen. So muss das sein. Ich bin ein Gewinner, wie er im Buche steht. Die Maus in meinen Armen ist zwar erst 15, aber dafür hat die Titten, die hätten glatt für zwei gereicht. Mindestens. Ein bisschen weniger wäre vielleicht geiler gewesen, ich steh an sich nicht auf so Monstermöpse. Aber meine Kumpels, die sind schon ganz grün vor Neid, haben ja selber alle wie verrückt gebaggert um Olga unter die Bluse zu dürfen. Aber dann habe ich kurz mit dem Finger geschnippt und die Braut hat mir gehört. Und weil ich sowieso der beste Fang bin, den sie je machen wird, darf ich ihr auch an die Melonen fassen, obwohl sie erst 15 ist und ich ihr erster richtiger Freund. Ihre Brüste sind total weich, so richtig nachgiebig und… matschig. Sie fassen sich gar nicht geil an, sie sind zu groß, zu wabbelig. Ich wünschte sie wären kleiner. Viel kleiner. Flacher. Ich wünschte, sie hätte gar keine Titten. Ey, vergesst das, OK? Ich laber manchmal ganz schönen Stuss, wenn ich was intus hab. Sie hat scharfe Teile, allein die sind Grund genug, nett zu ihr zu sein und ihr kompletten Blödsinn ins Ohr zu flüstern. Weiber stehen auf so einen Scheiß. Also sag ich ihr, wie hübsch sie ist, dass ich noch nie für jemanden so viel empfunden habe und immer an sie denken muss. Dafür darf ich sie dann ein bisschen antatschen. Seht ihr, alles ganz einfach, läuft nach festen Regeln ab und alle wissen, woran sie sind. Easy. Wir haben heute den 18. Dezember, ich arbeite seit drei Wochen an ihr rum und ich könnte wetten, dass ich noch dieses Jahr einen bei ihr wegstecken darf. Das kann ich an ihren Augen sehen, sie ist reif dafür. Ich seh sie manchmal in der Pause mit ihren Freundinnen kichern. Das ist immer ein gutes Zeichen. Wenn ich sie erstmal flach gelegt hab, dann such ich mir was neues. Jungfrauen knacken ist am lustigsten. Hinterher wird’s langweilig. Da fangen die Tussen dann plötzlich an, die Spielregeln zu vergessen und hören im Geiste wohl schon die Hochzeitsglocken läuten. Also echt, die weiß, auf was sie sich einlässt. Meine Ex-Freundinnen bevölkern schließlich die halbe Stadt. Braucht später gar nicht erst rumjammern, dass ich sie verarscht hätte. „Pat, was’n der Plan für heute?“, fragt Boris, guter Junge, perfekter Stichwortgeber. „Ich will dem Motor noch ein bisschen Auslauf geben.“, sage ich prompt. Ist ja klar, was ich damit meine, oder? Durch die Gassen toben, meinem schlechten Ruf gerecht werden. Scheiß doch drauf, dass morgen Schule ist und ich bald meine Abiklausuren schreiben muss. Die Pauker lassen mich nicht durchfallen, haben die viel zu viel Schiss vor. Da kann ich auch gnadenlos heute einen Saufen gehen. Besonders weil morgen eh der letzte Tag vor den Winterferien ist, und ich scheiß auf den Vokabeltest in Latein! „Schon wieder?“, murrt Mark. Mann, der riskiert heute eine dicke Lippe. Hat wohl vergessen, wie der Hase läuft. „Hat das Baby etwa Angst um seine Noten?“, höhne ich mit einem gezielten Schuss; Bulls-Eye. Mark ist ein wenig unmöbliert im Oberstübchen, wisst ihr? Der würde den Stoff in der Schule nicht mal schnallen wenn er aufpassen würde, so dämlich kann der sein. Aber aufpassen tut er trotzdem nicht, er dreht lieber ein Ehrenrunde als ein Streber zu sein. Ansonsten dürfte er mit uns coolen Typen auch gar nicht abhängen. Mark ist sozusagen noch auf Probe. Lennart hat ein gutes Wort für ihn eingelegt, also ist er seit zwei Jahren dabei. Ein solcher Neuling sollte lieber die Klappe halten, was er jetzt auch tut. Moment Mal, der macht doch tatsächlich wieder den Mund auf! „Ich hab gehört, sie wollen das alte Haus in der Schöpferstraße abreißen. Da stehen schon ein paar Baumaschinen rum und anderer Kram.“, sagt Mark leise und demütig; na gut, dann will ich mal nicht so sein und ihn nicht zur Schnecke machen. „Dachte, wir schauen uns das Mal an.“ „Du willst auf `ner Baustelle abhängen?“, grunze ich. Welcher zwanzigjährige steht denn noch auf Bagger? Will der vielleicht auch immer noch Müllmann werden? Der muss doch zur Schnecke gemacht werden. Aber bevor ich anfangen kann, schaltet sich plötzlich Boris ein und fällt mir in den Rücken. „Jo, vielleicht hat ja jemand den Schlüssel stecken gelassen, dann können wir `ne Runde drehen.“ „Ich wollte schon immer mal so ein Ding fahren.“, sagt nun auch Lennart. Mark grinst und denkt wohl, er sei der Sieger. Kann ich mir das gefallen lassen? Ich denke nicht. Scheiße, solche Situationen hasse ich. Es soll nach meiner Nase gehen, ich hab die guten Ideen, versteht ihr? Aber wenn ich jetzt weiter dagegen halte, während alle anderen dafür sind, das ist nicht gut. Das ist auch so eine Regel, auch als Herrscher musst du dafür sorgen, dass dein Volk dich liebt. Aber da ich wirklich der absolut Größte bin, kann mich sowas gar nicht aus der Ruhe bringen. Ich ziehe meine Schachtel mit Kippen aus der Gesäßtasche meiner Jeans, klopfe gelassen gegen den Boden der Packung, bis die Stängel etwas raus hüpfen. Dann ziehe ich mir ganz lässig eine mit dem Mund raus und brauche nicht mal was zu sagen, da hält mir meine Maus auch schon ein Feuerzeug unter die Nase. Gutes Mädchen, die weiß, was sich gehört. Hält schön die Klappe, schmachtet mich an, wie ich es verdient habe und ist ansonsten hauptsächlich dekorativ. „Als ob da jemand den Schlüssel stecken lassen würde.“, sage ich schließlich. „Kann man nie wissen, sowas passiert.“, wendet Mark ein. Was soll das eigentlich werden? Ein Zwergenaufstand? Lachhaft. Nicht mit mir, Freundchen. „Braucht’s gar nicht.“, ist alles, was ich dazu sage; die werden schon von alleine nachfragen. Nur Boris, der weiß natürlich, was ich meine. Ich kann so’n Ding nämlich kurzschließen. Hat mein Onkel mir beigebracht. Der kann sowas und auch noch ganz andere Sachen. Der verdient nämlich sein Geld damit. Der kann euch jeden Wagen kurzschließen und hinfahren, wo ihr wollt. Ganz legal natürlich. Hat ein Abschleppunternehmen und große Fahrzeuge sind sein Hobby. Mann, bin ich cool. Jetzt versteh ich auch, dass Boris mir gar nicht in den Rücken gefallen ist, der hat mir nur `ne saubere Vorlage gegeben. Guter Mann, das ist mein Kumpel, echt. Seit dem Kindergarten. Boris und ich gehen zusammen durch dick und dünn. Auf den kann ich mich immer verlassen. „Was meinst’n damit?“, will Mark wissen. Na, hab ich’s euch nicht gesagt? „Ich brauch keinen Schlüssel, das ist alles.“, antworte ich triumphierend. Kaum fünf Minuten später folgt mir meine Schafherde durch die dunklen Straßen und blökt anerkennend. Sie haben echt Glück, dass ich ihr Anführer bin. Ich weiß genau, was sie brauchen. Nur die Milchkuh an meiner Seite geht mir etwas auf den Geist. Die muss mich die ganze Zeit angrabbeln. Da kann ich gar nicht drauf. Wenn wir alleine in meinem Zimmer sind, dann können wir das machen, aber beim rumlaufen ist das echt abartig. Ich hoffe wirklich, sie lässt mich bald ran, dann kann ich sie endlich abschieben und eine weitere Trophäe meiner Sammlung hinzufügen. Ihr haltet mich also für einen Scheißkerl, der Mädchen nur benutzt? Fickt euch! Als wenn sie mich nicht benutzen würde, oder was? Ich bin der Hengst der Schule, die gibt mit mir vor ihren Freundinnen genauso an und kann damit ordentlich Punkte sammeln. Und ich werd nicht schlecht über sie reden hinterher, sowas mach ich nicht. Es sei denn, sie hat es verdient weil sie Ärger macht. Wenn ich mit ihr fertig bin, dann werden sich die Kerle um sie reißen, glaubt’s mir. Das kenn ich ja schon. Wenn ich `ner Braut die Ehre erweise, dann steigt ihr Kurs. Also verkneift euch eure Kommentare und tut nicht so, als wenn ihr dieses Spielchen nicht kennen würdet, und das bestimmt nicht ausschließlich von den Zuschauerrängen aus. Das würde ich euch sowieso nicht abkaufen. Soll ich euch was verraten? Ist ja nicht gefährlich, euch würde sowieso keiner glauben, ich bin schließlich wer und ihr seid niemand. Mich kotzt dieses Spiel manchmal an. So, jetzt ist es raus. Ja, ihr habt richtig gehört, der tolle Pat hat gelegentlich die Schnauze voll. Es kann auch verdammt einsam an der Spitze sein, glaubt’s mir. Es kommt echt nicht oft vor, immerhin bin ich ein harter Knochen, der sich keinen Illusionen hingibt, aber es gibt Tage, da fühle ich mich wie ein ausgelutschtes Handtuch. Dann will ich nur noch meine Decke über den Kopf ziehen und irgendwo anders sein, völlig egal wo. Und wenn ich einen richtig miesen Tag habe, dann stelle ich mir vor wie es wäre, wenn ich jemanden hätte der… die an meiner Seite ist. Wie in diesen albernen Filmen, die meine Alte sich immer reinzieht. Kann ich gar nichts gegen machen, nur warten, dass es wieder vorbei geht. Ihr lacht? Kratzt mich gar nicht. Nieten wie ihr spielt sowieso keine Rolle. Ich werde immer wichtiger werden, ihr immer unwichtiger. In 20 Jahren kennt die ganze Welt meinen Namen und an euch kann sich nicht mal mehr eure eigene Mutter erinnern. So ist das eben. Die einen steigen hoch, die anderen gehen unter. Ich bin einer, der hochsteigt. Da stehen tatsächlich Baumaschinen auf dem alten Grundstück rum. Wird auch verflucht nochmal Zeit, dass sie den ätzenden alten Kasten dem Erdboden gleich machen, Haus kann man das sowieso nicht mehr nennen. Keine Ahnung, warum der immer noch steht, da wohnt schon seit Jahren niemand mehr drin. Nicht, seit ich mich erinnern kann. Früher muss die Bude vielleicht mal ganz nett ausgesehen haben, aber wenn so ein Haus 15 oder 20 oder weiß der Teufel wie viele Jahre leer steht, dann fällt es einfach zusammen. Heizt ja keiner mehr und all den Kram. Die Fensterscheiben sind alle kaputt, da war schon nichts mehr für mich übrig, als ich noch in dem Alter war, dass ich mit Steinen geschmissen hab. „Ich hab gehört, in dem Haus spukt‘s.“, flüstert Olga und kichert dann total bescheuert. „Dann bleib bloß dicht bei mir, nicht, dass dich noch ein Geist holen kommt.“, sage ich aber trotzdem; ich weiß auch, was sich gehört. Wenn du eine Schnalle flachlegen willst, dann musst du eine Weile nett zu ihr sein. Ansonsten kriegst du irgendwann keine mehr. Hab ich schon erwähnt, dass auf mein Konto ganze 17 Jungfrauen gehen? Ich bin eine Legende, Leute, ob es euch nun passt oder nicht. Das macht mir so schnell keiner nach. Auch wenn Boris mir dicht auf den Fersen bleibt, mit seinen 14 Hymen. Er ist ja auch mein Kumpel, es ist der ihm zustehende Rang, die Nummer 2 zu sein. Dann hat alles seine Ordnung. Olga schmachtet und kichert. Das erste ist OK, das sollte sie tun. Das zweite ist beschissen und ich stecke ihr kurzentschlossen meine Zunge in den Mund. Ist die beste Methode, um Weiber zum Schweigen zu bringen. Wenn du ihnen sagst, sie sollen die Klappe halten, werden sie nur beleidigt. Die haben’s nicht so mit der offen ausgelebten Rangordnung. Bei denen muss man eben immer etwas vorsichtiger sein, vor allem, wenn man zum Schuss kommen will. Wenn ich sie so ungeniert abschlecke, dann ist das für meine Position als Rudelführer optimal. Ich bin der, mit der heißen Schnalle im Arm, die anderen werden zu bloßen Statisten degradiert und jeder von ihnen wünscht sich gerade, er wäre ich. Außer mir, ich wäre lieber…lassen wir das. Ein Mann jammert nicht rum, Ende. Und Olga hat aufgehört zu kichern. „Hat meine Tante auch gesagt, dass es hier spukt.“, grinst Lennart; ‚Weiber‘ sagen seine Augen. „Das stimmt wirklich!“, lässt Olga energisch erklingen, vielleicht sollte ich mit meiner Zunge gleich weiter machen, der Klappe-halten-Trick hat ja nicht lange gewirkt. „Meine Mutter hat mir erzählt, dass in dem Haus zehn Menschen oder so gestorben sind. Da bleibt immer was zurück und dann spukt’s.“ Die Maus bekommt richtige Gänsehaut und sieht mich mit großen Augen an. Wirkt bei mir nur leider gar nicht, find ich eher lächerlich. Aber hey, ich will schließlich irgendwann meinen Schwanz in ihre Muschi stecken, also mach ich einfach ein bisschen einen auf Shakespeare, das kommt immer gut. „Prinzessin.“, säusle ich. „Da sind ganz sicher keine zehn Menschen drin ermordet worden. Brauchst keine Angst zu haben, ist doch nur ein altes Haus.“ Wieso kommen Weiber nur immer auf so einen Müll? Da bleibt negative Energie zurück, uiuiui! Scheiße, sage ich. Wenn einer abkratzt, dann ist er weg vom Fenster, ganz einfach. Da bleibt nur fauliges Fleisch zurück und Gestank, aber keine Energie. Du hast ein Leben, mach was draus, sagt mein Vater immer und das klingt viel realer als der ganze Esoterikmüll. Außerdem würde ich es wissen, wenn es hier mal einen Massenmord mit zehn Opfern gegeben hätte. Sowas wär auch nach Jahrzehnten nicht vergessen, nicht in so einer miefigen Kleinstadt im deutschen Outback. „Sind ja auch nicht alle auf einmal gestorben.“, wendet sie ein und schmachtet wieder ein bisschen. „Aber eben so nach und nach.“ „Ey, Mann.“, höre ich plötzlich Marks Stimme. „Jetzt wo du’s sagst, fällt es mir wieder ein. Meine Oma hat mal davon erzählt, da soll angeblich ein Fluch drauf liegen. Jeder, der es kauft, stirbt früher oder später.“ Der Typ ist doch echt ein Loser. Seine Probezeit läuft noch, und so wird er die ganz sicher nicht überstehen. „Stimmt, da steht sogar ein Absatz in diesem Buch zur Stadtgeschichte drin, den wir in der siebten Klasse mal lesen mussten.“, schaltet sich nun auch Lennart ein und da kann ich mich dann auch wieder dran erinnern. Stand unter dem Punkt ‚Legenden‘, so mit Augenzwinkern und ach wie witzig geschrieben. Von `ner Frau natürlich, ein Mann hätte sich auf so ein Niveau gar nicht erst runter begeben. Der hätte nur Fakten in so einem Buch erwähnt. „Siehst du?“, fragte Olga. „Ich sag doch, darin spukt’s.“ Es ist aller höchste Eisenbahn, dass ich diesen Chaotenhaufen mal wieder auf Kurs bringe, wie mir scheint. Kann ja nicht alles durchgehen lassen, oder was meint ihr? Wie sieht denn das aus, wenn wir hier stehen und uns über Geister und Spukhäuser unterhalten, und ich mach auch noch mit! Nie im Leben, ich hab für solchen Mist keine Zeit. Ein zukünftiger Self-Made-Millionär hat mit sowas nichts am Hut. „Es spukt nicht in dem Kasten.“, knurre ich gefährlich. „Sind wir hier im Kindergarten, oder was?“ Sehr schön, ich kann das an den Gesichtern meiner Homies sehen, die sind wieder klar im Kopf und meine Maus küsse ich kurz und lächle sie an. „Lass dir von denen doch keinen Bären aufbinden. Spuk gibt’s nur im Märchen.“ Olga strahlt und streckt mir ihre Möpse hin. Sie denkt wohl, das würde mich anmachen. Aber so einfach bin ich dann doch nicht gestrickt, ich durchschaue das. Ich werd nicht gleich rattig, nur weil mir so’ne Tusse ihre Dinger unter die Nase hält. Da braucht es schon ein bisschen mehr. Aber wenn ich sie jetzt nicht schon wieder küsse, dann denkt hinterher noch jemand, ich würde nicht auf sie abfahren und das können wir nun wirklich nicht gebrauchen. Was glotzt ihr so? Habt ihr ein Problem oder was? Ich weiß genau, was ihr denkt, aber ihr liegt falsch! Nur weil ich nicht auf dicke Titten stehe und mir gelegentlich vielleicht komische Sachen durch den Kopf gehen, bedeutet das noch lange nicht, dass ich… also, dass mit mir irgendwas nicht stimmt, kapiert? Gut. „Wenn du dir so sicher bist, was hältst du dann von einer kleinen Wette?“, rettet mich Marks Stimme von der Zungenakrobatik. Ich bin so erleichtert, dass ich erst jetzt merke, dass der kleine Mistkerl mich gerade ganz öffentlich herausgefordert hat. Was fällt dem ein? Wenn er Dresche will, dann kann er das doch einfach sagen, ist kein Problem, dafür sind Freunde doch da. Es gibt nur einen Haken bei der Sache. Ich bin der Leitwolf. Wenn ein junges Männchen versucht mich wegzubeißen, dann muss ich beweisen, dass ich der stärkere bin. Und das geht nicht, wenn man eine Wette ausschlägt. Ich muss das annehmen, egal was jetzt kommt. Seht ihr, auch als Herdenführer kann das Leben ganz schön hart sein. Also hört auf rumzuflennen und setzt euren Arsch in Bewegung. Liegt in eurer eigenen Hand, was ihr aus euch macht, erwartet nicht, dass irgendjemand Mitleid mit euch hat. Hat mit mir schließlich auch keiner. „Du kannst jede Wette vorschlagen, die du willst, ich hab vor gar nichts Schiss.“, sage ich so lässig, dass ich ganz beeindruckt von mir selbst bin. „Ich wette, du schaffst es nicht eine ganze Nacht in dem Haus zu bleiben.“ Oha, soll ich jetzt etwa anfangen zu heulen? Der Kerl ist noch ein größerer Loser als ich dachte. Da lohnt es sich ja nicht mal, ihm eine auf den Deckel zu geben, also ehrlich. So eine Wette brauch ich gar nicht anzunehmen. Nochmal Glück gehabt. Mir ist in letzter Zeit nicht so nach Machtspielchen. Braucht gar nicht so schadenfroh zu grinsen. Ich hab meine Position eben genug gesichert, dass ich das gar nicht mehr nötig hab. „Hast wohl den Arsch offen.“, schnaube ich gelangweilt. „OK, was ist denn der Einsatz?“ Ungläubig sehe ich zu Boris rüber. Ey, das ist mein Kumpel, verdammt. Muss ich jetzt auch noch bei ihm aufpassen, dass er mir nicht am Stuhlbein sägt, oder was? Ich will keine Nacht in diesem alten, baufälligen Kasten verbringen. Wir haben Dezember, es gibt da nicht ein heiles Fenster mehr, zur Hölle! Ich werde mir den Arsch abfrieren und mich zu Tode langweilen. „Eine Nacht mit mir.“, flötet da plötzlich meine Maus. Ich weiß es, jetzt weiß ich es. Ich habe aufs falsche Pferd gesetzt. Seit drei Wochen racker ich mich ab und spiel für sie den Idioten, weil ich der erste sein will, der sie fickt, und dabei ist die Schnalle gar keine Jungfrau mehr. Die hat mich nach Strich und Faden verarscht. Wahrscheinlich hat sie schon für die halbe Unterstufe die Beine breit gemacht und ich hab geglaubt, ich schnapp mir eine unschuldige Neuntklässlerin. Ich hab mal sowas von keine Wahl gerade, ich könnt kotzen. Ich kann die Wette nicht ablehnen. Wenn ich das tue sieht das a) so aus, als wäre ich feige und b) als wenn ich nichts dagegen hätte, wenn Mark sich an meinem Eigentum vergreift. Aber ich bin hier der Macker, nicht den geringsten Zweifel daran kann sich hier jemand erlauben. Ich werde eine verkackte Nacht in dieser Ruine verbringen, die kleine Schlampe durchvögeln, hinterher jedem erzählen, was sie für eine lahme Nummer war und schon ganz ausgeleiert, und Mark gleichzeitig in seine Schranken verweisen. Ich muss nur eine Decke und eine Thermoskanne mit Kaffee mitnehmen. Und `ne Taschenlampe. „Alles klar.“, teile ich mein königliches Urteil mit. „Das erledige ich gleich morgen. Dann kann ich endlich mal wieder eine Nacht anständig pennen und muss nicht die Musik von meiner Schwester ertragen. Und meine Prinzessin ist es wert, dass man Monate in dem Haus da wohnt.“ Jetzt schmachtet sie wieder. Seht ihr? So macht man das. Dürft ihr euch gerne abschauen und selbst mal ausprobieren, ich bin ja nicht so. Kapitel 2: Das Monster im 1. Stock ---------------------------------- Mein Fanclub begleitet mich zu meinem Einsatzort. Mein Lakai Mark trägt die Decke und die Thermoskanne, die Taschenlampe habe ich mir in die Hosentasche gesteckt. Eine Ersatzpackung Batterien habe ich auch dabei. Jemand wie ich ist eben immer auf alles vorbereitet. Ich habe meinen Thron schließlich nicht dadurch gewonnen, dass ich mich gerne überraschen lasse und spontan agiere. Das war ein verdammt hartes Stück Arbeit. Ich mein, mein Vater sitzt seit fünf Jahren auf der Couch und macht gar nichts mehr. Er hat im Hafen gearbeitet, in einem dieser großen Kräne, und Container von Schiffen geholt. Hat gar nicht schlecht verdient, der Alte, obwohl er nur Hauptschule gemacht hat, aber er hat mehr Geld nach Hause gebracht als so manch anderer. Und dann ist er abgestürzt. War gar nicht seine Schuld. Er ist die Leiter runter, und eine der Sprossen war im Arsch. Ist aus über zehn Metern gefallen. Aber mein Vater ist ein zäher Hund, überlebt hat er’s. Die meisten wären dran krepiert. Er sitzt nur im Rollstuhl. Scheiße ist das, sag ich. Das hat er echt nicht verdient. Immer hat er alles gegeben und jetzt ist er ein Krüppel. Es ist meine Gott verdammte Pflicht, dass ich jetzt das Ruder übernehme, versteht ihr? Kann man gar nichts dran machen. Deswegen mach ich den Scheiß hier überhaupt mit. Mein Vater soll irgendwann sehen, dass er kein Weichei großgezogen hat. Ich bin wie er, stahlhart, und immer bereit alles zu tun, was nötig ist. Ihr verkriecht euch wahrscheinlich regelmäßig in eine Ecke und findet alles so unfair, hab ich recht? Kotzen könnt ich bei sowas! Wer hat denn je behauptet, dass das Leben gerecht ist? Zeigt mir das Naturgesetz, woraus man den Müll schließen kann! Das Leben ist eine große Bestie und wenn ihr nicht aufpasst, dann werdet ihr verschlungen. Sowie mein Vater. Ein Mann, wie man ihn nur selten findet, und jetzt ein Nichts, mit nur einem falschen Schritt. Er kriegt seine Rente, klar, und die ist auch großzügig, weil, war Materialverschleiß, aber er ist trotzdem überflüssig. Du musst immer gewappnet sein. Pass auf, wo du deine Füße hinsetzt. Ich werde aufpassen und ich werde nicht zulassen, dass mir bei meinem Weg etwas in die Quere kommt, nicht mal ich selbst. In Augenblick steht zwischen mir und meinem Weg die heutige Nacht, und dieses beschissenen Haus. Mann, ich bin wahrscheinlich der hundertste, der sich auf genau die gleiche Mutprobe einlässt, aber immer noch lieber so, als zu den tausenden zu gehören, die sich sowas nie trauen. Das schon benutzte Frauenzimmer hängt an meinem Arm und ist mal wieder hin und weg von mir. Hilf ihr jetzt auch nicht mehr. Wird sie schon noch merken. Die sanfte Nummer kann sie echt vergessen. Das heißt nur noch Beine breit und Heidewitzka, wenn ich morgen Abend zu ihr gehe. Wer Pat verarscht, der ist in den Arsch gekniffen. Hat sie wirklich nicht anders verdient, oder wie seht ihr das? Na, vielleicht mach ich’s auch nicht. Reicht ja eigentlich, wenn ich es danach nur rumerzähle. Ihr wird niemand glauben, die kennen mich ja schließlich. Ich bin der Held in dieser Geschichte, schon vergessen? Neidisch, oder was? Dann erlebt doch selbst etwas und lebt nicht durch andere Leute, zwingt euch ja keiner, das hier zu lesen, ihr Loser. Aber jetzt weiter im Text. Ich hab keine Zeit zu verschwenden. Nicht so wie manch andere Leute anscheinend. „Halt die Ohren steif, Pat.“, brummt Boris. Er ist immer noch mein Kumpel, aber wenn ich mal ehrlich bin, es ist nicht mehr so wie früher. Keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht hat ihn letzten Endes doch der Neid erwischt. Oder ich hab mich verändert. „Wir kommen morgen früh her und dann gibt’s erstmal ordentlich ein paar Büchsen Bier.“, teilt Lennart mit. „Macht euch vom Acker, ich hab hier noch was wichtiges zu erledigen, ehe ich mich auf’s Ohr haue.“, erwidere ich nur lässig Ich schnappe mir die blöde Kuh, die denkt, sie ist meine Freundin, und gehe ihr ein bisschen an die Möpse. Muss ja schließlich sein, ich will nicht, dass sie Verdacht schöpft. Wenn alles läuft wie ich es will, und das wird es, kann ich morgen Abend endlich ein Tor schießen und dann meinen Abgang machen. Auf zur nächsten Jagd. Hühner gibt es schließlich wie Sand am Meer. Ich bekomme jeder Zeit ein neues Statussymbol, das tun Kerle wie ich immer. Auch, wenn es mir manchmal gehörig auf den Sack geht. Um mich von diesen Gedanken abzulenken knete ich die wabbelige Masse in meinen Händen, bis ich es echt nicht mehr aushalten kann und lieber ihren Bauch streichle. Der ist wenigstens schön flach, da weiß man, was man hat. Nach der unausweichlichen Verabschiedung machen die anderen die Biege und ich gehe in mein neues Domizil, für eine Nacht. Wenn wenigstens die Fensterscheiben noch ganz wären. Drinnen riecht es nach Moder und Schimmel und es sieht entsetzlich aus. Ich mein, nicht dass ich auf sowas viel gebe, aber das ist echt ätzend hier. Ich hätte auch eine Nasenklammer mitbringen sollen. Da wird einem die Entscheidung, in welchem der Zimmer man sein Lager aufschlagen soll, gar nicht mal so leicht gemacht. Ich inspiziere das Untergeschoss, aber eher gucke ich mir zweimal hintereinander Titanic an, als dass ich meinen Körper hier irgendwo ablege. Ansonsten fang ich noch selbst an zu schimmeln. Die Treppe sieht immer noch ziemlich stabil aus. Ich gehe zwar nicht gern ein Risiko ein, aber so baufällig ist das Haus auch noch nicht. Die Stufen knarren so verdächtig, ich weiß nicht, ob ich nicht doch lieber wieder zurückgehen soll. Ich hab euch ja gerade die Geschichte von meinem Vater erzählt. Es reicht wirklich einmal nicht aufgepasst und das war’s. Aber ich bin auch kein Feigling, ich lass mich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, nur damit das klar ist. Weiter im Text, ab nach oben. Ich kann schon fühlen, wie es langsam wärmer wird, weniger zugig. Eigentlich komisch, ist es weiter oben nicht immer auch windiger? Naja, liegt bestimmt an den vielen Türen, die es hier gibt und die alle geschlossen sind. Die halten einfach mehr ab, als zerbrochene Fenster. Dann mal los, hier wird es bestimmt ein Zimmer geben, mit dem ich leben kann. Hab ja schließlich keine hohen Ansprüche. Ich öffne die erste Tür, die mir unter die Finger kommt. Dummer Fehler, es stinkt so bestialisch, dass ich beinahe in echt kotzen muss und nicht nur so gesagt. Es riecht wie… wie… keine Ahnung, übel auf jeden Fall. Da hinten liegt irgendwas in der Ecke, klein nur, aber es zuckt irgendwie. Ich bekomme eine Gänsehaut. Nicht vor Angst oder so, brauch ich gar nicht, mithilfe der Taschenlampe kann ich schließlich problemlos erkennen, dass das nur irgendein Vogel ist, wahrscheinlich ein Taube, und das zucken sind die ganzen Maden, die sie gerade auffressen. So ist eben die Natur, das ist wenigstens ehrlich, versteht ihr? Keinen Schnickschnack, nur der Lauf der Welt. Das Ding erklärt natürlich auch den Gestank. Tür zu, Sache erledigt. Das sollte immer so einfach sein. Aber manche Türen wollen einfach nicht zugehen, manche Bilder behält man einfach im Kopf, egal was man auch macht. Ich kann inzwischen kaum noch an was anderes denken. Immerzu. Ich denke an… Das geht euch einen Scheiß an, ihr blöden Kriecher. Ihr wollt ja nur, dass ihr endlich einen Grund habt, euch mal mir überlegen zu fühlen. Da könnt ihr warten, bis ihr schwarz werdet und ich werde euch immer noch Meilen voraus sein. Findet euch damit ab. Ich hab schließlich auch Sachen, mit denen ich mich abfinden muss. Aber was das für Sachen sind, das geht nur mich was an. Niemanden sonst. Scheiße. Es bekommt mir gar nicht gut, hier allein in diesem Rattenloch zu sein. Hier ist zu viel Platz, damit mir meine Gedanken abhauen können. Lieber die nächste Tür aufmachen. Ähnliches Ergebnis, allerdings ohne toten Vogel und ohne bestialischen Gestank, dafür mit einem ausgewachsenen Feuchtbiotop in der Mitte des Zimmers. Wenn ich eine Luftmatratze hätte könnte ich mir vorstellen, ich wäre am See. Gibt ja noch ein paar andere Räume hier. Der nächste ist das Bad, zumindest ist er gefliest und hat ein paar Löcher in den Wänden und im Boden. Waschbecken, Dusche, oder auch nur ein Klo gibt es hier nicht mehr. Sieht noch frisch aus, die Löcher. Haben vielleicht die Jungs vom Bautrupp schon unter der Woche erledigt. Man entkernt ein Haus, bevor man es abreißt. Aber hinter der nächsten Tür ziehe ich den Hauptgewinn. Es riecht nur leicht muffig, hat ein Fenster, das absolut ganz ist, nicht mal einen Riss hat es, ist das zu fassen? Da haben die Generationen vor mir aber keine gute Arbeit geleistet. Das werde ich erledigen, als Abschiedsgeschenk morgen früh. Bitte, bitte, nichts zu danken, so bin ich eben. Doch im Augenblick ist es natürlich genau das, was ich suche. Ich werde hier eine echt erholsame Nacht haben Ich wickle mich in die Decke, lehne mich an die Innenwand, sicher ist sicher, und stöpsle mich erstmal an meinen MP3. Das Teil ist wirklich lebenswichtig. Die Mucke ist ein ganz anderes Kaliber als die von meiner kleinen Schwester. Die hört Yvonne Catterfeld. Muss ich noch mehr sagen? Ist erst zwölf, die kleine, ist ein süßes Ding, wirklich. Ich pass auf meine kleine Schwester auf, das muss ich als großer Bruder. Die wird nicht an so einen Wichser wie mich geraten, der ihr nur an die Wäsche will, das könnt ihr glauben. Da habe ich schön mein Händchen vor. Ich hab nur Sorgen was passiert, wenn ich erstmal arbeite oder woanders studiere. Dann kann ich sie nicht immer im Auge behalten. Das lustige bei der Sache ist, dass ich mich selbst nicht ausstehen kann. Ganz ehrlich. Ich bin gerade nicht in der Stimmung, den harten Mann zu spielen. Außer euch ist ja eh keiner hier. Mein Leben ist scheiße. Es ist verflucht anstrengenden, immer die Nummer 1 zu sein. Alle starren dich die ganze Zeit an, du musst immer aufpassen, was du sagst oder tust. Andere können sich Fehler erlauben, aber wehe, ich mach mal Mist. Das breitet sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Schule aus und die hämischen Gesichter, echt ätzend. Ich sag das niemandem, nicht mal Boris, auch wenn er mein Kumpel ist, mein bester Mann. Ich wünschte, ich wäre so ein kleiner Niemand. Dann hätte ich meine Ruhe. Und ich wünschte, ich müsste meinem dämlichen Vater nicht ständig beweisen, dass ich seine Beine sein kann. Ich könnte mich einfach in die Mitte der Aula stellen, in der großen Pause, und es hinausschreien. Das würde schätzungsweise drei Sekunden brauchen, dann wäre alles vorbei. Oh Scheiße! Da bewegt sich was und diesmal ist es kein beknackter Vogel, dazu ist das viel zu groß. Es bewegt sich, wo ist die Taschenlampe? Sie ist weg, nein, das kann nicht sein, ich hatte sie doch eben noch in der Hand. Was ist das? Was zur Hölle ist das?! Ich will schreien, aber ich habe überhaupt keine Luft mehr dazu. Ich glaube es. Jedes Wort. Zehn Menschen? Was bleibt zurück, etwa das, was sich in der Zimmerecke bewegt? Es ist so verflucht riesig, bestimmt doppelt so groß wie ich. Was soll ich jetzt machen? Das Vater-Unser aufsagen? Ich kann den Scheiß nicht, ich hab in der Schule nicht aufgepasst, als das drankam. Wie bekreuzigt man sich? Ich kann nur noch hochtaumeln, die Tür ist hunderte von Metern weit entfernt, das schaff ich nicht. Als dann plötzlich ein Lichtstrahl in mein Gesicht fällt, weil ein Auto langsam an dem Haus vorbei tuckert, kann ich Gott sei Dank doch wieder schreien. Könnt ihr’s hören? Da steckt ordentlich Power dahinter, wenn auch nicht ganz so viel wie hinter dem Schrei, der aus der anderen Zimmerecke kommt. Das klingt gar nicht wie ein Geist oder Monster. Also, nicht dass ich sowas glauben würde. Ich war nur ein paar Sekunden eingenickt oder so, da kann einem manchmal schon was komisch vorkommen. Kennt ihr bestimmt auch. Ich lass mich natürlich nicht in Panik versetzen. Vor allem nicht von dem, was ich jetzt, da es ein wenig Licht gibt, eindeutig als Menschen identifizieren kann. Der Typ ist auch noch gar nicht so alt. Vielleicht so wie ich auch. Ich greife schnell nach meiner Taschenlampe, die ich jetzt etwas entfernt auf dem Fußboden liegen sehe, und erhöhe den Beleuchtungsgrad. Wirklich, da sitzt einer. Der zittert noch mehr als ich, wenn ich zittern würde, heißt das, tu ich aber nicht. Und kreidebleich ist er auch, schon fast so gräulich, mit riesigen Augen, die fallen ihm gleich aus dem Kopf. Wie gut, dass ich so ruhig bin. Ach, wir hatten ja beschlossen, ein bisschen ehrlicher zu sein, richtig? Na gut, mir ist das Herz in die Hose gerutscht, ich hab schon seit Ewigkeiten nicht mehr so ein Schiss gehabt wie eben und wenn ich nicht an der Wand lehnen würde, dann würde ich augenblicklich umkippen. So wackelig sind meine Beine. Ja, ja, grinst nur. Ihr hättet wahrscheinlich einen Herzinfarkt bekommen und wärt jetzt genauso mausetot wie der Vogel ein paar Zimmer weiter. Geht mir am Arsch vorbei. Ich muss jetzt erstmal meinen neuesten Fund begutachten, OK? Mann, was ist das denn für einer? Den hab ich ja noch nie gesehen. Noch so eine Feuermelderfresse, um mal mit Boris Worten zu sprechen. Der Seitenscheitel ist ja wie mit einem Lineal gezogen, die ganze Frisur ist einfach nur lächerlich. Und erst was er anhat! So richtig Hemd und ordentlich gebügelte Bundfaltenhose und allen ernstes eine Strickjacke. Ist der irgendwo entlaufen? Wahrscheinlich seiner Mami, die hat noch überall ihre Fingerabdrücke auf ihm hinterlassen. Ihr kleiner Liebling vom Scheitel bis zur Sohle. Ich glaub, ich hatte noch nicht erwähnt, dass ich sowas süß finde, oder? Da, ich hab’s gesagt. Ihr hattet recht, von Anfang an, zufrieden? Ich kann Titten nicht ausstehen, und nicht nur das, ich finde Frauen ätzend. Ich will sie nicht, was ich will ist ganz was anderes. Das ist es, worüber ich immer nachdenken muss, was ich in die Aula hinausschreien will und was mir seit drei Jahren das Leben zur Hölle macht. Das war auf Klassenfahrt, am Anfang der 10. Seitdem hab ich auch eine Schwäche für so Milchbubis. Der Typ hat mich komplett umgedreht und seitdem hört es gar nicht mehr auf, sich zu drehen. Das ist zum Kotzen. Sorry, ich rede undeutlich. Ihr wollt jetzt alles wissen, stimmt’s? Warum nicht? Ist ja nicht so, als wenn ich es jemandem erzähle, der eine Rolle spielt. Auf dieser besagten Klassenfahrt war da dieser Junge, von einer anderen Schule. So ein schwächlicher, kleiner, mit genauso großen Augen wie mein unbekannter Zimmergenosse hier. Wir haben ihn so was hochgenommen, ihr wisst schon, was ich meine. Er hat nicht geflennt, ich war echt beeindruckt. Er hat nur seinen Mund ganz fest zusammengepresst und gar nichts gesagt. Wir haben an dem Abend heimlich gesoffen. Wie bitte? Eure Lehrer haben immer aufgepasst, dass ihr nachts nicht mehr aus euren Zimmern seid? Hätten meine mal besser auch getan, dann wäre das alles nie passiert. Ich wollte nur mal schnell für kleine Königstiger, musste mich schon an der Wand abstützen, weil ich so viel getankt hatte. Und wen treff ich da auf dem Lokus? Den Schwächling aus der anderen Klasse. Ich war so besoffen, dass ich ihm gesagt hab, dass es mir leid tut. Könnt ihr euch das vorstellen? Keine Ahnung, wie viel Alkohol man in sich reinschütten muss, damit man sich so gehen lassen kann, aber ich hatte es geschafft, halleluja. Und ehe ich auch nur weiß, wie das alles überhaupt passiert ist, da sind wir auch schon am knutschen und ich hab meine Finger überall an ihm. Ich wünschte, ich hätte noch mehr getrunken, dann hätte ich vielleicht einen Filmriss geschafft. Am nächsten Tag haben wir ihn aufgemischt, und diesmal so richtig, bis er doch geheult hat. War nicht meine Idee, ich schwör’s! Aber die anderen waren so heiß drauf, da konnte ich nicht nein sagen. Das hätte komisch ausgesehen. Ich hab ihn nur festgehalten. Das war alles. Seine Klasse ist am nächsten Tag abgefahren, ich weiß nicht mal, wie er heißt. Ich denke nur die ganze Zeit an ihn und mir wird manchmal richtig schlecht dabei. Es hat sich eigentlich nichts geändert, aber ich weiß seitdem Bescheid. Das ist aber meine Sache, geht niemanden außer mich was an. Man kann nicht alles haben im Leben, da muss man sich eben auf die Sachen konzentrieren, die wichtig sind und den Rest einfach ignorieren. Es ist wichtig, dass ich ein Gewinner bin, aber es ist nicht wichtig, was ich persönlich dabei denke und empfinde. Das ist einfach Fakt. Wieder zurück zu dem, was wichtig ist. Ich bin nicht allein hier in diesem Zimmer. Neugierig betrachte ich den Typen näher. „He, du Flasche.“, schnauze ich dann. „Wer hat dir erlaubt, dich hier breit zu machen? Hier nächtige ich.“ Er sieht mich immer noch völlig fassungslos an. Loser. Das steht beinahe in Neonbuchstaben auf seiner Stirn. Das wird er wahrscheinlich für den Rest seines Lebens nicht loswerden. Kann einem fast leid tun. Aber ich hab genug mit mir selbst zu tun, für Mitgefühl und diesen ganzen emotionalen Scheiß hab ich keine Zeit. „Ich war vor dir da.“, sagte der Spacken dann schwächlich, Mann, fängt der jetzt schon an zu heulen, ich hab doch gar nichts gemacht! „Wenn ich sage, zisch ab, dann setzt du sofort deinen Arsch in Bewegung, klar?“, mach ich weiter und verbreite eine Aura von Macht um mich; der soll gleich wissen, dass er sich bei mir keine dummen Sprüche erlauben soll. Na bitte, geht doch. Er nickt und sieht zu Boden. Was für ein Schwächling. Ich bin so froh, dass ich nicht so bin und mich jeder rumschubsen kann. Er darf vorerst bleiben. Ich bin vielleicht kein Heiliger, aber ich bin auch kein Unmensch. Der ist bestimmt von zu Hause abgehauen und weiß nicht, wo er hin soll. Der ist nicht von hier, ich kenn hier jeden und den hab ich noch nie gesehen. Mir wird langsam kalt, aber ich bin ja gut vorbereitet, ich habe eine Decke. Ich setze mich wieder auf den Boden und wickle mich ein, wie so ein Indianerhäuptling. „Wie heißt’n du?“, erteile ich ihm den Befehl zum Sprechen. „Richard.“, murmelte er verschämt. Mamas Liebling, ganz klar. OK, OK, er ist süß. Es gefällt mir eben, wenn jemand ein bisschen schutzbedürftig wirkt. Ich kann auch echt großzügig sein, wenn ich will. Ich bin nicht nur ein Arsch. Viele Leute mögen mich, aber man muss eben nach unten treten. Als ich noch nicht ganz oben war, da hab ich auch so manchen Tritt einstecken müssen. Aber wenn sich jemand anständig beträgt, dann mach ich nichts, ehrlich. Ich seh ihn mir genauer an. Himmel noch mal, der sieht echt schräg aus. So gelackt und geschniegelt, ich glaub, er hat sogar Brillantine in den Haaren. Und er sieht recht unglücklich aus, wenn ich das richtig einschätze. Es wird bestimmt interessanter, wenn ich die Nacht hier nicht ganz alleine verbringen muss. Hey, ich seh ihn nur an, verstanden? Ich mach mir doch nicht die Hände schmutzig. Hab ich doch schon gesagt, das geht nur mich was an. Das eine Mal war ich betrunken und unvorbereitet. Passiert mir bestimmt nicht nochmal. „Und du?“, fragt Richard schüchtern. Wieso muss ich das niedlich finden? Scheißdreck, das ist nicht niedlich, das ist jämmerlich. Der Typ ist bestimmt so alt wie ich, ganz klar, aber der hat schon einen richtig krummen Rücken, weil der wohl immer buckelt, vor allem und jedem. Normalerweise würde ich ihn jetzt abschießen, aber ich bin einfach zu froh, dass ich nicht die ganze Nacht alleine hier verbringen muss. Nicht wegen dem was ihr denkt, ich hab nicht die Hose voll, aber wenn ich alleine bin, dann ist niemand da, der mich bewundern kann. Vielleicht werde ich einfach mal nett zu ihm sein, ist ja keiner hier, der das mitkriegt. „Pat.“ Wir sitzen jeder in unserer Zimmerecke. Ich mit meiner warmen Jacke und in meine Decke gewickelt, er nur in Hemd und Strickjacke. Mann, ist dem nicht kalt? Es ist Winter! Draußen frieren einem die Eier ab und hier drinnen ist es nicht viel besser. Ach so, er zittert ja, vielleicht liegt das doch mehr an den Temperaturen als am Schreck. Ich schnappe mir meine Thermoskanne und fülle den Deckel, der auch gleichzeitig der Becher ist, mit Kaffee voll. Ist mit Schuss, macht zwar nicht wärmer, aber es kommt einem so vor. Ich trinke vorsichtig ein paar Schlucke, ist wirklich verdammt heiß. Mir ist gar nicht kalt, nicht im Moment, und ich will eigentlich auch keinen Kaffee, aber es geht eben nicht anders. Wenn ich Richard gleich gefragt hätte, ob er was heißes trinken will, wie würde denn das aussehen? Als wenn ich irgend so eine fürsorgliche Glucke wäre. Aber wenn ich selbst was trinke, dann kann ich ihm ganz großzügig den Rest geben. Das ist dann in Ordnung. „Hier.“, sage ich cool und halte den Becher in seine Richtung. Klar, das Zimmer ist klein, aber so lange Arme hat dann doch kein Mensch, dass er an den Becher kommt. Er wird schon aufstehen müssen, wenn er was will. Ich bedien nämlich niemanden, nur damit das absolut klar ist. Nicht mal dann, wenn ich offensichtlich gerade meinen sozialen hab. Irgendwo sind einfach die Grenzen. Aber Richy versteht das anscheinend. Er steht auf und kommt brav rüber. Ist mir egal, ob er Durst hat oder nicht, wenn ich jemandem was anbiete, dann hat er es gefälligst auch zu nehmen, ist klar, oder? Eben. Er hat schöne Hände. Für einen Mann, meine ich. Kerle haben sonst keine schönen Hände, brauchen die auch nicht. Frauen sollten schöne Hände haben, ist dekorativer. Männer brauchen Hände, mit denen sie zupacken können. Aber seine sind echt… scheiße, ich will das gar nicht, aber ich denke gerade darüber nach, wie sich diese Hände wohl anfühlen, wenn sie mich anfassen. Gut, drüber nachdenken ist ja nichts verbotenes, ist schließlich nur in meinem Kopf. Es kommt einzig und allein darauf an, was man tut, denn das bekommen alle mit. „Da ist ja Alkohol mit drin.“, sagt Richy überrascht. „Trink.“, knurre ich. „Du brauchst das.“ „Danke.“ Mann, wieso muss der die ganze Zeit direkt vor mir stehen bleiben? Ich hab ihm den Becher gegeben, er kann jetzt auch wieder zurück auf seinen Platz, bis er ihn mir wieder bringt. Aber ihr glaubt es nicht, was der sich gerade traut! Direkt neben mich, da setzt er sich hin. Als wenn wir beide Freunde wären. Was denkt der sich eigentlich? Seh ich vielleicht aus, als wenn ich jemanden wie ihn neben mir sitzen haben will? Wie gut, dass niemand außer uns hier ist, ansonsten müsste ich ihm jetzt echt eine kleine Lektion erteilen. „Du bist von zu Hause abgehauen, oder?“, frage ich ihn; nur so um Konversation zu betreiben, interessiert mich nicht wirklich. „Ich bin einfach von allem abgehauen, nicht nur von zu Hause.“, gibt Richy auch sofort zu. „Und was machst du hier?“ „Mutprobe.“, brumme ich, auch wenn es ihn ja nun echt nichts angeht. „Dann gehst du also morgen wieder?“ „Ja.“ Was hat er denn gedacht? Etwa, dass einer wie ich nicht weiß, wo er hin soll? Lachhaft. Für mich gibt es immer Platz, überall. Ich könnte selbst bei Dennis, dem Streber, auf der Matte stehen und er würde mich `ne Nacht bei sich pennen lassen. Würde sich einfach keiner trauen, mich abzuweisen. „Ich werde einfach hier bleiben.“, seufzt Richy. Mann, der hat nicht nur schöne Hände, der hat auch eine schöne Stimme. Nicht so tief, wie sie bei einem Mann eigentlich sein sollte, aber verdammt weich. Kann gerne noch mehr sagen. „Wie lange bist du denn schon hier?“, will ich wissen. „Keine Ahnung, vielleicht schon seit immer.“, lacht er. Hui, Gänsehaut. Das ist gar nicht gut. Kein Mann macht mir eine Gänsehaut, keine, die sich bis in meine Eingeweide rein frisst. Ich will, dass er wieder in seine Ecke geht und die beschissene Gänsehaut mitnimmt, und seine schönen Hände. Aber vor allem dieses Lachen. Wahrscheinlich ist er doch ein Monster, genau wie ich zuerst gedacht hab. Irgendwas verdammt seltsames geht hier zumindest gerade ab. „Ist dir immer noch kalt? Kannst noch mehr haben.“ Versteht ihr, was ich meine? Seltsam. Das ist mein Kaffee, den brauch ich für später, aber im Moment würde ich nichts lieber tun, als ihm die ganze Kanne einzuflößen. Wenn mich jetzt jemand sehen könnte, dann wär mein Leben echt sowas von gelaufen. Ich sitz hier mit `nem totalen Streber und Geek einträchtig Seite an Seite und lass ihn meinen ganzen Kaffee wegsaufen. „Du bist sehr nett.“, sagt die kleine Ratte und lächelt mich dabei auch noch an; das ist Scheiße. „Ich bin ein Arschloch, aber bestimmt nicht nett.“, muss ich darauf einfach entgegnen. Der soll gleich wissen, woran er bei mir ist, versteht ihr? Kann ja nicht angehen, dass ich hier wie so ein Samariter rüberkomme. Und ihr könnt euch euer höhnisches Grinsen sonstwo hinstecken! Ich wollte das eigentlich so richtig barsch sagen, das bescheuerte ist nur, dass meine Stimme ein bisschen vor Kälte erstarrt zu sein scheint, das kommt nämlich ganz wackelig raus. „Ich glaube nicht, dass du das bist.“ „Kennst mich doch gar nicht.“ Das tut er schließlich wirklich nicht, oder? Nein, ganz sicher nicht. Obwohl, vielleicht kommt er aus dem Nachbarstädtchen, bis dahin hat sich mein Ruf nämlich auch schon rumgesprochen, dann weiß er natürlich, dass ich hart wie Stahl bin und niemandem erlaube, mir auf der Nase rumzutanzen. Ich lehne meinen Kopf gegen die Wand und mustere ihn mal etwas genauer. Ein echter Loser, da gibt es gar keinen Zweifel, aber trotzdem. Erinnert mich wirklich stark an diesen Typen von der Klassenfahr. Einen Moment bin ich mir sogar sicher, dass er es sein könnte, aber das ist nur Wunschdenken, das weiß ich genau. Ach, leckt mich doch, ihr blöden Penner! Auch ein Leitwolf hat seine schwachen Minuten, muss man eben hinnehmen. Ich würde dem Jungen von der Klassenfahrt gerne sagen, dass ich das nicht wollte. Ich mein, alles ist anders seit dem, er hat irgendwas mit mir gemacht, aber ich wollte ihn am nächsten Tag nicht festhalten, während meine Jungs ihn ein bisschen bearbeiten. Ich wollte ihn eigentlich nur festhalten. OK, haltet das Bild an und beschäftigt euch mal ein Weilchen mit was anderem, kapiert? Zieht Leine! Na los, wird’s bald? Ich heul nicht, wenn andere Leute dabei sind, niemals, mach ich nicht mal, wenn ich alleine bin. Das letzte Mal, dass ich geflennt habe war, als die von der Firma von meinem Vater angerufen haben und er im Krankenhaus lag. So völlig zerbrochen und in Gips gepackt, wie eine kaputte Vase. Da hab ich sofort gewusst, dass er unwiderruflich hin ist, das mussten die Ärzte mir erst gar nicht sagen. „He, ist doch schon gut.“, sagte diese schöne Stimme an meinem Ohr und ich kann fühlen, wie dieser ätzende, kleine Schleimer einen Arm um meine Schultern legt. Das traut sich keiner! Niemand! Niemals! Dafür werd ich ihm sämtliche Knochen im Leib brechen, sofort, also wirklich jede Sekunde, ich muss nur erst wieder zu Atem kommen. Ich bin kein Schwächling, ich nicht, nicht Patrick Last, das kann euch jeder bestätigen. Ich brauch niemanden, der mich tröstet, zur Hölle! Die anderen brauchen jemanden, der sie wieder aufbaut, wenn ich mit ihnen fertig bin. So läuft das und nicht anders. Es fühlt sich so beschissen schön an, wie er den Arm um mich gelegt hat, dass ich ihn allein dafür killen sollte. Aber ich tu’s nicht. Will ja schließlich nicht wegen so einer Null im Knast landen. Ich muss nur irgendwie diese Nacht hinter mich bringen. Morgen holt mein Hofstaat mich hier ab, ich lass mich feiern und abends nagele ich diese kleine Schlampe, wie es sich für einen richtigen Mann gehört. Ich kenn mich mit sowas eben aus. Dass ich viel lieber was anderes machen würde, damit muss ich eben leben. „Ich würde auch am liebsten weinen.“, murmelt Richy neben mir. „Aber ich kann nicht, ist nichts mehr übrig.“ „Wenn du irgendjemandem erzählst, dass ich geheult hab, dann bist du tot.“, schluchze ich gefährlich. „Wem sollte ich das denn schon erzählen? Mit mir redet keiner.“ Gute Selbsteinschätzung. Gefällt mir. Der weiß offensichtlich, wo sein Platz ist. Wer will mit so einem Loser schon reden? Vielleicht die Spinner aus dem Schachklub, aber sonst bestimmt niemand. Also, ich ganz sicher nicht. Mach ich nur, weil ich heute irgendwie komisch drauf bin und weil es keiner mitkriegt. Hab ich ja schon gesagt, nicht wahr? „Hast wohl gar keine Freunde, was?“, schnaube ich verächtlich und stelle so das natürliche Gleichgewicht wieder her. „Nein, niemanden.“, bestätigt Richy so gleichgültig, dass ich ihn anstarre. Wenn ich nicht so beliebt wäre und alle den Boden anbeten würden, über den ich wandele, dann hätte ich überhaupt keine Chance, das alles durchzustehen. So kann ich mich ihn ihrer Bewunderung sonnen und brauch nicht über Scheiße nachdenken, mit der ich nichts zu tun haben will. Aber vielleicht gewöhnt man sich ja dran. Manche Menschen kommen als Versager auf die Welt. Wie das Exemplar hier neben mir. Kann halt nicht jeder so ein toller Typ wie ich sein. „Ach komm, es gibt doch bestimmt ein paar Leute, mit denen du dich verstehst.“, versuche ich ihn aufzumuntern; es gefällt mir besser, wenn er lacht, als wenn er so tot aussieht wie gerade. Na bitte, da ist es wieder. Wow, das ist ein absolut wahnsinniges Lächeln. So ehrlich, so süß, ich möchte ihn jetzt am liebsten… Ich dreh langsam durch. Das muss an der Jahreszeit liegen. Wenn es auf Weihnachten zugeht, dann wird man dermaßen mit diesem Kitsch zugeballert, dass man früher oder später selbst ganz weich in der Birne wird und sich allen Ernstes überlegt, dass man diese Niete neben sich am liebsten küssen würde. Ja, lacht mich nur aus, ich würd’s ja selbst tun, wenn ich gerade nicht so ein Kloss im Hals hätte. „Nein, niemanden.“, wiederholt er, aber diesmal grinst er dabei. „Außer dir vielleicht.“ Scheiße, wir kennen uns gerade mal eine Stunde oder so? Denkt der wirklich, wir würden uns verstehen? Der hat sie doch nicht mehr alle, den Zahn muss ich ihm ganz fix wieder ziehen. Ich werd ihm sagen, dass ich der King bin und er mir bestenfalls aus der Ferne zusehen darf, wie ich den Laden schmeiße. Aber auch das nur, wenn er unter meiner Augenhöhe bleibt und mir nicht auf den Wecker fällt. „Du zitterst immer noch.“, sage ich als Einleitung; gleich werde ich dranhängen, dass er bestimmt Schiss hat und dass er da auch recht dran tut, weil ich ihn jeder Zeit fertig machen kann, da brauch ich nur meinen kleinen Finger für. „Die Decke reicht auch für zwei.“ WAS?! Was rede ich hier? Die Decke reicht für zwei? Ich bin gerade echt über die Kante gesegelt. Dabei hab ich nicht mal was getrunken. Womit will ich das denn jetzt noch entschuldigen? Mann, ihr werdet gerade Zeuge, wie Patrick Last seine ganze Coolness aufgibt. Gefällt euch das? Natürlich. Jeder sieht doch gerne zu, wie ein anderer sich hinpackt und im Dreck liegt. Lacht nur, solange ihr noch könnt. Ich komm wieder auf die Füße. Dreck kann man abwaschen, gebrochene Knochen brauchen lange, um zu heilen. Und ich werde ganz bestimmt ein paar Knochen zum bersten bringen, wenn ich erstmal meinen Verstand wieder habe. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich sitze hier, gemeinsam in eine Wolldecke gehüllt, mit einem Kerl, den ich gerade eben erst getroffen habe und ich will gar nichts anderes mehr. Er hat seinen Arm unter der Decke an mein Bein gelegt, das verursacht mir Atemnot. Ich hätte im Moment lieber so ein paar dicke Titten vor meinen Händen, da weiß ich wenigstens, was ich damit anzufangen habe. Mit seiner Hand auf meinem Bein bin ich überfordert. Mann, wie kommt die denn so überraschend dahin? Eben lag die doch noch daneben. Vielleicht auf die gleiche Art, die mein Arm um seine Hüfte gekommen ist. Der lehnt doch tatsächlich seinen Kopf an meine Schulter. Ich kann gar nichts dagegen machen. Alles klar. Seid ihr jetzt glücklich? Habt ihr, was ihr wolltet? Ich bin ein Homo. Aber das wird außer euch nie jemand erfahren. Und vielleicht außer Richy hier, der das irgendwie einfach gewusst haben muss und auch, dass ich heute so schwach bin, ansonsten könnte er sich sowas nicht erlauben. Das liegt doch an den Genen, oder? Seht ihr, ist gar nichts schlimmes dabei, ist nicht meine Schuld, dass ich gerne Männer ansehe und mir vorstelle, sie anzufassen und von ihnen angefasst zu werden. Werd ich aber trotzdem nicht tun. Wenn sich das rumsprechen würde, dann wäre mein Königreich Geschichte. Heute ist eine absolute Ausnahme. Und wenn ihr jetzt gedacht habt, wir fallen übereinander her und es gibt hier lauter Schweinkram, dann habt ihr euch geschnitten. Gibt es nicht. Wir machen gar nichts weiter. Ich hab den Arm um seine Hüften, er den Kopf an meiner Schulter und die Hand auf meinem Bein und weiter passier gar nichts. Die ganze Nacht über nicht. Wir reden nur ein bisschen, aber auch nicht viel. Ich bin dann wohl doch irgendwann eingeschlafen. Als ich meine Augen das letzte Mal auf hatte, war noch alles stockdunkel, aber jetzt kommt von draußen graues Licht rein. Ein Blick auf mein Handy sagt mir, dass es viertel nach acht ist. Ein zweiter Blick sagt mir, dass ich allein bin. Richy ist weg. Vielleicht `ne Stange Wasser irgendwo in die Ecke stellen. Ich hab noch so Schokoriegel dabei, die können wir zum Frühstück verputzen und dann heißt es Bye-bye und nicht mehr zurückblicken. Wenn ich ihn irgendwann mal wieder auf der Straße treffen sollte, dann werde ich ihn nicht kennen. Richy ist irgendwie clever, ich glaube, das weiß er auch. Mann, ich bin doch nur ehrlich, also hört auf, euch das Maul zu zerreißen. Soll ich ihn jetzt etwa mitnehmen, wenn ich mit meine Homies zum Frühschoppen gehe? Da friert eher die Hölle zu. Nee, so läuft das nicht. Gestern Nacht war gestern Nacht, aber jetzt ist wieder Morgen, da weiß ich wieder ganz genau, was ich tue. Nur verabschieden möchte ich mich eigentlich schon ganz gerne. Das mit dem Jungen von der Klassenfahrt, das sitzt mir in den Knochen. Ich will nicht noch so eine Erinnerung. Man kann ein Arschloch sein und dabei trotzdem nicht asozial, versteht ihr. Arschlöcher kommen weiter, das ist eine Tatsache, aber Assis sind auch nur Loser. Also, wo steckt der Kerl? Kann ja nun nicht so lange dauern, ein bisschen Wasser abzulassen! Aber im Bad ist er auch nicht, Scheiße, der hat sich echt aus dem Staub gemacht. Ein Feigling, ein richtiger Loser. Ist auch besser so, heute Morgen hätt er sonst mal erleben können, dass ich kein Weichling bin. Vielleicht hätten die Jungs und ich ihn ein bisschen hochgenommen. Dann warte ich eben alleine hier, bis die auftauchen. Erst was saufen, ordentlich was futtern, dann ein bisschen pennen, mit meinem Vater reden und heute Abend steht der Abschlussfick auf dem Programm. Ich hoffe, die blöde Tusse steht auch zu ihrem Wort. Ansonsten kann ich nämlich verdammt ungemütlich werden, da macht euch mal keine Gedanken. Kapitel 3: Richard ------------------ Ich hab den Jungs erzählt, wie ich die tote Taube gefunden hab und wir haben echt einen abgelacht. Ist ja schließlich nichts dabei, wenn so eine fliegende Ratte den Abgang macht. Da kann man ruhig drüber lachen. Der Abrisstrupp kann sich um dieses stinkende Etwas kümmern. Obwohl, vielleicht lassen sie es auch einfach liegen. Geht eine Abrissbirne schon nicht kaputt von. Ist ja nur Fleisch und Knochen. Wie eigentlich jeder von uns. „Schade, dass die den Kasten abreißen.“, witzele ich dann noch. „Da kann man besser drin pennen, als in so `nem Luxushotel. Außerdem hätte man dann im Sommer gleich einen eigenen Pool.“ Erinnert ihr euch, das Wasser im Zimmer? Wenn es warm gewesen wäre, hätte ich ein Bad nehmen können, aber ich steh nicht drauf, wenn ich mir die Eier erfriere und bis zum Sommer steht da wahrscheinlich schon ein anderes Haus. Oder die machen einen Parkplatz draus. Drauf geschissen. Ich bin auf jeden Fall mal wieder der Held und das werde ich auch bleiben. Versteht sich von selbst, dass ich Richy nicht erwähnt habe, oder? Ich mein, echt, was soll ich meinen Homies dazu denn schon sagen? Die wären nur auf blöde Gedanken gekommen. Dass die Wette nicht erfüllt ist, weil ich ja nicht alleine da war. Als wenn das meine Schuld ist! Konnte ich ja nicht wissen, dass sich da jemand schon niedergelassen hatte. Und vielleicht hätten sie gedacht, man könnte dem Loser mal ein paar Spezialbehandlungen zukommen lassen. Also, Klappe halten ist besser, keine Frage. Der Schwächling war sowieso schon weg. Ist wahrscheinlich gleich wieder zu seiner Mami gelaufen, nachdem er das große Abenteuer überstanden hat. Hat mich nicht interessiert. Was, ihr glaubt mir nicht? Kein Problem, auf Anerkennung von Leuten wie euch geb ich sowieso nichts. Hab ich gar nicht nötig. Ich hab mich nämlich erstmal richtig ausgeschlafen und werde mich jetzt gleich fertig machen, meine Schnalle flachlegen. War ja immerhin der Wetteinsatz, den muss ich jetzt auch einfordern, ansonsten stehe ich doch wie ein totaler Depp da. Kann es wahrscheinlich gar nicht mehr abwarten, dass ich es ihr besorge. So sind die Weiber eben, die wollen alle immer nur das eine. Der Spruch geht normalweise andersrum? Ach ja? Alles Blödsinn, sage ich. Wie sieht es denn aus, wenn ein Mädchen mal keinen Bock hat, hä? Dann sagt sie nein und du als Kerl musst einen auf verständnisvoll machen, darfst sie bloß nicht bedrängen und so. Aber wehe, ich hab mal keinen Bock. Dann kommen Sprüche wie ‚Magst du mich nicht mehr?‘ oder ‚Findest du mich zu fett?‘, ‚Stimmt irgendwas nicht?‘. Alles ätzend. Ich muss immer können und vor allem immer wollen, oder was? Ist schon so, wie ich gesagt habe, Weiber wollen immer nur das eine. Sie legen nur fest, wann und wo und du als Typ hast dann jeder Zeit den Stier für sie zu machen. Da soll mir noch einer vom ‚schwachen Geschlecht‘ was vorjammern. Ich mein, ich kann natürlich immer und wollen sowieso, nur, dass ihr das nicht falsch versteht. Außer jetzt. Ich will nicht, absolut gar nicht und da lässt ein gewisser Körperteil auch nicht mit sich reden. Olga liegt halb unter mir, halb ausgezogen und ich hab diese schwabbeligen Dinger direkt vor der Nase. Eigentlich alles so, wie es sich gehört, aber mein Schwanz der will einfach nicht. Nichts zu machen. Wir sind jetzt schon `ne ganze Weile dabei, ich bin ihr sogar schon in die Hose, was ich vorher noch nie durfte. Hat sie eben mächtig beeindruckt, dass ich vor gar nichts Angst hab und sogar in ihrem dämlichen Spukhaus eine ganze Nacht ausgehalten hab. Die will wohl echt Wort halten und mich heute ranlassen. Braves Mädchen, vielleicht erzähl ich doch keine Geschichten über sie. Ist nicht so meine Art, eigentlich. Aber ich muss jetzt trotzdem langsam mal zur Sache kommen und vor allem hart werden. Ansonsten denkt die hinterher noch, ich bring’s nicht und erzählt irgendeinen Scheiß über mich. Ich mach einfach die Augen zu, dann muss ich ihre Titten wenigstens nicht mehr sehen und ihren blöden Schmollmund, die langen Haare. Scheiße, alles. Ich küsse sie energisch, damit nur ja keine Zweifel aufkommen und ihr glaubt nicht, was dann passiert. Ich werde tatsächlich hart, wie ein ganzer Kerl eben. Ich brauch mich für gar nichts zu schämen, ich kann eben wirklich immer. Ist ganz einfach. Mit geschlossenen Augen ist ein Mund einfach nur ein Mund und du kannst dir jeder Zeit vorstellen, es wäre sonst wer, den du da gerade küsst. Zum Beispiel dieser Junge von der Klassenfahrt damals. Oder Richy. Den hätte ich echt gerne geküsst. Ich kann das nicht. Echt nicht. Nicht heute und wahrscheinlich auch morgen nicht. Vielleicht nie mehr. Wenn ich noch einmal mit irgendeiner Tusse in die Kiste springen muss, dann geh ich kaputt. Genauso wie mein Vater, als er vom Kran gefallen ist. Dann sitz ich für den Rest meines Lebens im Rollstuhl und bin nur noch ein Haufen unnützes Fleisch. Ganz einfach. Ist mir egal, wie blöde die mich plötzlich anglotzt, so nackt auf dem Bett. Ist ja nicht so, als wenn ich der erste wäre, oder? Die wird schon drüber wegkommen. Und ihr braucht auch gar nicht so zu glotzen, ihr bekommt doch hier nur genau das geliefert, was ihr sehen wollt. Der Hengst zieht den Schwanz ein. Na los, suhlt euch ruhig in eurer Schadenfreude, ich hab’s nicht anders verdient. Ich bin ein Loser, ich kann mir nichts mehr vormachen. Welcher Kerl liegt schon mit so einer heißen Braut im Bett, die so geil ist, dass sie schon tropft und dich anbettelt, sie zu bumsen, und kriegt nicht wirklich einen hoch? Solche Jungs sind Versager. Ich will nur noch weg. Weg von allem, aber vor allem von den Möpsen, die mich irgendwie vorwurfsvoll ansehen. Geht nicht, die Dinger haben keine Augen, sagt ihr? Geht doch, aber sowas von. Ich sollte auf die Teile abfahren, ich sollte das wirklich. Und ich hab’s doch auch versucht, immer wieder. Ich mein, ich hab nicht umsonst mit so vielen Frauen geschlafen. Ich hab immer gedacht, irgendwann ist eine dabei, die mich anmacht und dann wird alles gut. Falsch gedacht, ich kann nicht mehr. Ich hab meine Sachen so schnell wieder angezogen, das kriegt außer mir keiner hin. Ich kann eben einfach alles. Nur nicht mit Olga schlafen. Aber jeder hat doch irgendwo seine Grenzen, oder? Ist eigentlich nichts dabei. Und wenn die irgendwelche Gerüchte über mich in die Welt setzt, dann wird die ihr blaues Wunder erleben, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die sagt nicht mal jetzt was, wo ich wie so eine besengte Sau aus ihrem Zimmer stürze und raus auf die Straße. Ich weiß ganz genau, wo ich jetzt hin will. Ihr wahrscheinlich auch, oder? Na gut, meinetwegen lacht euch schlapp, ist einfach peinlich, aber ich mach das jetzt. Ich bin eben kein Weichei. Wenn ich was will, dann krieg ich es auch. Immer. Koste es was es wolle. Und ich will jetzt wieder zu dem alten Haus in der Schöpferstraße. Nummer 27. Er hat immerhin gesagt, dass er dableibt. Vielleicht war er heute Morgen nur kurz weg und wir haben uns verpasst. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schnell ich laufen kann. Da kriegt sogar unser Sportlehrer immer noch ganz große Augen, obwohl der mich schon seit Jahren sprinten sieht. Ich gewinne immer, egal gegen wen ich antrete. Ich hab soviele Abzeichen, damit könnte ich meine Wände tapezieren. Was heißt könnte? Hab ich gemacht. Jeder, der in mein Zimmer kommt, der sieht gleich, wer und was ich bin. Egal welchen Sport ich mache, ich bin immer der beste, brauch ich mich auch gar nicht für schämen. Ich hab ja sonst nichts, auf das ich stolz sein kann. Man muss eben auf seine Stärken spielen und seine Schwächen in den Hintergrund drängen. Ich bin sportlich, sehe gut aus, und habe das, was die Leute gern das gewisse Etwas nennen. Alles andere ist unwichtig. Das bleibt unter uns, verstanden? Ihr könnt euch gerne denken, was ihr wollt, aber traut euch bloß nicht, irgendwo eure Klappe aufzureißen. Ich bin vielleicht `ne Schwuchtel, aber ich kann trotzdem zuschlagen, da wächst hinterher kein Gras mehr. Ehrlich. Mann, meine Lungen sind ganz leer, wieso ist der beschissene Weg so weit? Ich kenn die Strecke, sind nur ein paar Kilometer, das schaff ich doch mit Links. Aber heute hab ich das Gefühl, ich mach gleich schlapp, als ich endlich die Haustür aufreiße. Ist immer noch alles voller Schimmel, aber irgendwie riecht es heute nicht mehr ganz so übel wie letzte Nacht. Wahrscheinlich hat sich der Wind gedreht und den Mief weggeblasen. „Richy!“, brülle ich die Treppe hoch; der muss einfach da sein, ich weiß ja nichts über ihn. Wenn er nicht da ist, dann ist er weg. So richtig meine ich. Futsch. So wie dieser andere Junge. Den werd ich auch nie wieder sehen. Ich will das nicht nochmal, das würde mich umbringen. Ich bin so ein erbärmlicher Schwächling, der hier offensichtlich ganz alleine in dem beknackten, alten Kasten ist. So wie ich brülle, muss er mich hören, wenn er noch hier ist. Aber eine Antwort bekomme ich trotzdem nicht. Ich renne diese beschissene Treppe hoch und habe solches Herzrasen, dass ich gleich einfach umkippen werde. Dann können die Maden auf mich überwandern, wenn sie mit dem Vogel fertig sind. Ich geh hier nicht mehr weg. Nie wieder. Echt nicht. Das Zimmer, in dem wir gestern Nacht waren, ist nämlich auch leer. Verfickte Scheiße. Ich lasse mich langsam an der Wand hinuntergleiten und weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Was tut man denn, wann man nicht der strahlende Held ist, den alle anbeten und der immer die geilsten Weiber abkriegt? Vor dem alle kuschen und so. Wenn man stattdessen in so einem Abbruchhaus sitzt und am liebsten flennen würde, weil man sich so verflucht einsam fühlt und viel lieber jemand anderes sein würde. Vielleicht wäre ich gerne Boris. Der ist zwar nur die Nummer 2, aber dafür machen ihn Mädchen scharf. Mich nicht. Wenn das erstmal alle spitz haben, dann bin ich auch nicht mehr die Nummer 1, dann bin ich gar nichts mehr. Nur noch eine leere Hülle. „Pat.“ Meine Augen schießen in die Höhe, so schnell kann ich selber gar nicht gucken. Und ihr erst recht nicht. Er ist wirklich hier. Er hätte auch ruhig früher mal einen Ton sagen können. Ich stelle überrascht fest, dass er heute andere Klamotten anhat als gestern, aber immer noch genauso unpassend. Sowohl an sich, als auch bei dem Wetter. Er trägt so einen komischen Ringelpulli und Hosen, die wieder eine unmögliche Bügelfalte haben. Kann dem Typen nicht mal jemand sagen, dass er viel besser aussehen würde und vielleicht auch mehr Freunde hätte, wenn er sich anpassen würde? Und wo hat der seine Sachen eigentlich gelagert? Oder ist der etwa zwischendurch nach Hause und hat sich umgezogen? Vielleicht wohnt er ja doch hier irgendwo in der Nachbarschaft und hat mich nur verarscht als er gesagt hat, er wäre abgehauen. Ist mir egal, dann hat er mich eben verarscht. Hauptsache, er ist jetzt hier. „Bist also immer noch hier.“, sage ich ausgesprochen geistreich. Hey, ich habe nie behauptet, dass reden eine meiner Stärken ist, OK? Habt die Aufzählung weiter oben ja stehen, könnt ihr immer nachlesen. Dann wisst ihr Bescheid. „Ich freu mich, dass du wiedergekommen bist.“, sagt der kleine Streber. Mann, genau das will ich hören. Am liebsten nochmal. Mir wird ganz heiß davon und ich kann jetzt gar nichts mehr sagen. Ich kann ihn nur anstarren. Der weiß doch, was mit mir los ist, hat er doch schon gestern gewusst. Wieso kann der nicht einfach herkommen und sich wieder neben mich setzen? Mehr will ich doch gar nicht. Scheiße, natürlich will ich mehr, das wisst ihr genauso gut wie ich, aber mit irgendwas muss man doch anfangen, oder? Ich kann nicht anfangen, echt nicht. Ich weiß gar nicht, wie man das macht. Also, bei einem Kerl weiß ich das nicht. Aber Richy schon, welch eine Erleichterung. Der hat sich wirklich neben mich gesetzt, jetzt fehlt eigentlich nur noch, dass er wieder den Arm um meine Schultern legt oder die Hand auf mein Bein, so wie gestern. Dann kann ich ihn vielleicht auch anfassen. Ansonsten bring ich das nicht. Den ersten Schritt muss er schon machen. Ich kann ihn riechen, so nahe ist er mir. Riecht gut. Nicht so mit Parfüm zugenebelt sondern einfach nur wie ein Mensch. Ein bisschen verstaubt, wie ein altes Buch vielleicht. Kein Wunder, wenn er schon ein paar Tage hier campiert. Nun mach schon, du blöder Streber. Fass mich an, nur ein kleines bisschen, OK? Zwing mich nicht dazu, dass ich es zuerst machen muss. Ihr könnt euch ja vielleicht denken, wie es weitergegangen ist, oder? Er hat mich natürlich angefasst, so wie ich das wollte. Die Leute machen immer alles, was ich will. Da brauch ich manchmal gar nichts mehr zu sagen. Muss meine natürliche Autorität oder sowas sein. Er hat mich also angefasst und dann hab ich ihn angefasst und was soll ich sagen. Ich hab noch nie etwas berührt, was sich so schön angefühlt hat. Die Details gehen euch überhaupt nichts an. Der Gentleman genießt und schweigt, kapiert? Ich seh schon, ihr habt’s nicht kapiert. Na gut, dann sollt ihr eben ein paar Details wissen, wenn ihr schon so lange dabei seid, dann habt ihr euch das vielleicht echt verdient. Liegt natürlich nicht daran, dass ich das sagen will, ich bin eben nur ein Menschenfreund. Kann es nicht ertragen, wenn ich eure langen Gesichter sehen muss. Gut, nochmal ein bisschen zurückspulen. Halt, nicht weiter. Die Stelle ist gut. Das ist, bevor wir uns küssen. Also, lehnt euch zurück und genießt die Show, ich hab sie auf jeden Fall genossen. Wir haben schon eine Weile so nebeneinander gesessen und ich weiß echt nicht, was ich sagen soll. Es kribbelt nur überall, ich kann da wirklich nichts gegen machen. Erst recht nicht, als er seinen Kopf gegen meine Schulter lehnt. Das macht er mit Berechnung. Er weiß, dass mich das total schwach macht. Es ist bestimmt in Ordnung, wenn ich ihm mal so ein bisschen über die Haare streichle, tut ja niemandem weh. Hätte nur nicht damit gerechnet, dass ich gar nicht wieder aufhören kann. Richy lacht leise und er klingt, ich weiß auch nicht, melancholisch dabei. Ich will, dass er sich glücklich anhört und nicht, als wenn irgendwas ganz schrecklich wäre. Andererseits, man haut bestimmt nicht von zu Hause ab, wenn man mit allem absolut zufrieden ist. „Ich hätte nicht gedacht, dass du nochmal her kommst.“, murmelt der Kleine. „Muss doch nachsehen, ob mit dir alles OK ist.“ Das ist schon besser. Ich hab das Ruder in der Hand. Ich finde eben einen Mann niedlich und keine Frau. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich nicht trotzdem ein richtiger Kerl bin. Ich hab die Hosen an. Immer und überall. Selbst, wenn ich in dieser Bruchbude sitze und bald wirklich nicht mehr meine Hände von ihm lassen kann. Ich streichle jetzt nicht mehr nur seine Haare. Sein Gesicht fühlt sich nämlich auch erstklassig an. So, gleich ist es soweit. Ihr müsst nur noch etwas Geduld haben. Etwas, wovon ich im Moment leider so gut wie gar nichts mehr habe. Hab ich alles in den letzten Jahren verbraucht. Will ich aber auch gar nicht. Ich finde es gut, dass er seinen Kopf anhebt und mir direkt in die Augen sieht. Seine sind grau, wie meine auch. Hier ist nämlich alles grau. Ist inzwischen fast ganz dunkel und man sieht nicht mehr wirklich viel. Bei diesem Licht gibt es gar keine Farben mehr. Aber ich will das wissen. Gestern hab ich irgendwie nicht drauf geachtet. „Was für eine Augenfarbe hast du?“, murmle ich. Super. Das wird bestimmt der Aufreißspruch des Jahrhunderts. „Braun.“, lächelt er leicht, das kann ich immer noch ziemlich gut erkennen. „Meine sind auch braun.“, antworte ich darauf. „Ich weiß.“ Unsere Gesichter sind sich immer näher gekommen. Jeder, der uns sehen würde, würde sofort wissen, was hier gerade abgeht. Gestern, tja, da waren wir irgendwie immer noch zwei Typen, die sich einfach nur eine Decke geteilt haben, weil es eben arschkalt ist. Aber heute? Keine Ausreden mehr. Mir fallen auch keine ein. Ich will ihn echt küssen. So unbedingt, wie ich noch nie was wollte. Also mach ich’s jetzt einfach. Wow, damit hör ich bestimmt so schnell nicht wieder auf. Lennarts Mutter backt geile Kekse? Drauf geschissen, sag ich. So gut wie das hier kann einfach gar nichts anderes schmecken. Basta. Zuerst sind es ja nur unsere Lippen, aber das reicht mir verdammt schnell nicht mehr. Ich weiß genau, dass hinter diesen Lippen eine Zunge wartet, und die will ich jetzt haben. Sofort. Seht ihr? Sag ich doch, dass ich immer das Ruder in der Hand habe. Dann ist es eben mit einem Jungen und nicht mit einem Mädchen, aber beim Knutschen und auch beim Vögeln, da geb ich einfach den Ton an. Das hat auch Richy kapiert. Der macht ganz von alleine seinen Mund weiter auf und ich könnte einfach nur noch platzen. Ich küsse ihn und fühle mich ganz besoffen davon. Jetzt kann ich es ja zugeben, macht ja eh keinen Unterschied mehr, oder? Ich war gar nicht so betrunken, damals auf der Klassenfahrt. Ich war sogar eigentlich ziemlich nüchtern und ich hab den Kleinen auch nicht zufällig auf dem Lokus getroffen. Ich hab gesehen, wie er hin gegangen ist und hab die erste Chance genutzt, um an den Wachposten auf dem Flur vorbei zu huschen. Ich kann mich auch ganz genau daran erinnern, dass ich derjenige war, der ihn zuerst geküsst hat. Weil, er hat mir sofort gefallen, schon bevor meine Jungs ihn verarscht haben, versteht ihr? Aber der konnte nicht mal halb so gut küssen wie Richy. Ohne Scheiß. Ich bin schon jetzt so am schwitzen, als wenn ich gerade ein paar Kilometer gejoggt wäre. Bin ich ja auch, aber das lässt mir nicht die Suppe den Rücken runter laufen. Dafür ist der Typ hier verantwortlich, der seine Hand in meinem Nacken hat und mich so dicht an sich zieht, da würde nicht mal mehr ein Blatt Papier zwischen uns passen. Und dabei stöhnt er so erregend, dass ich endgültig weiche Knie bekomme und meine Hände mit Schallgeschwindigkeit unter seinen Ringelpulli schiebe. Der ist lächerlich, ohne sieht er bestimmt viel besser aus. Gleich mal ausprobieren. Na also, ich hatte recht, wie immer. Der sieht unglaublich viel besser aus, ohne das bescheuerte Oberteil. Da brauch ich nicht mal Licht zu, um das zu erkennen. Außerdem kann ich ihn dann besser anfassen. „Pat.“, raunt er in dem Moment auch noch. Jetzt mal Hand aufs Herz, so schön hat noch niemand meinen Namen ausgesprochen, das schwöre ich. Der dürfte mich sogar Patrick nennen, wenn er wollte. Das darf sonst niemand, der Name ist nämlich uncool. Aber bei Richy würde ich vielleicht `ne Ausnahme machen. Wenn er nur nicht aufhört, mit seinem Mund so an meinen Brustwarzen rumzulutschen. Oh heiliger Gott im Himmel! Kann man alleine davon einen Abgang kriegen, nur weil jemand dir an den Nippeln knabbert? Der bringt mich ganz schön zum keuchen damit. He, stop. Ich schnall hier gerade was nicht. Wann hab ich denn meine Jacke und mein Shirt ausgezogen? Das hab ich ja gar nicht mitgekriegt. Deswegen kann ich auch so viel von seiner Haut auf meiner spüren. Ich glaube, das ist der letzte Augenblick bei der Aktion, in dem ich noch einmal kurz meinen Verstand aufblitzen merke. Hinfort mit dir, dich kann ich jetzt nicht gebrauchen. Und schon dampft er ab. Wir fassen uns immer mehr an, so viel mehr, das geht schon kaum noch. Jedes Mal, wenn Richy meinen Namen stöhnt, dann könnte ich einfach so abheben. Ich geb mir alle Mühe, ziehe wirklich jedes Register, damit er das so oft wie möglich macht. Und einfach nur so aus Spaß sag ich hin und wieder seinen Namen. Irgendwas muss ich ja schließlich auch von mir geben, oder? Sonst denkt der Kleine noch, er macht was falsch. Mann, ihr könnt einem echt auf den Geist gehen, ihr Idioten. Natürlich sage ich seinen Namen nicht nur, ich stöhne ihn, ich keuche ihn, ich ächze ihn, ich hauche ihn, so häufig, man könnte glatt denken, das wäre das einzige Wort, welches ich kenne. Ist auch so, auf jeden Fall hier und jetzt. Ich meine, ich bin gerade dabei, es mit einem anderen Mann zu treiben, oder? Lässt sich einfach nicht leugnen, egal, ist eben so. Wenigstens ist die Location originell. Hat sowas endzeitmäßiges. Verdammte Scheiße, Richy macht mir echt die Hose auf! Ist das zu glauben? Der sieht so klein und harmlos aus, aber der geht ran, abgefahren. Mädchen machen sowas nicht, es sei denn, sie sind Schlampen. Aber beim zweiten Treffen gleich ans Eingemachte? Soll mir recht sein. Mein Schwanz braucht jetzt einfach eine Hand, die ihn so unglaublich gut massiert. Ich bekomme kaum noch Luft, weil ich so schwer keuche. Hört sich gar nicht übel an, muss ich schon sagen. Ich bin eben immer noch der Größte, selbst wenn ein Streber seine Hand zwischen meinen Beinen hat und seine Zunge in meinem Mund. Hab ich doch schon gesagt, dass ich einfach alles kann, erinnert ihr euch? Und offenbar kann ich auch diese Art von Sex haben. Ich will das, alles davon. Ich strample schnell meine Hose komplett weg, merk nicht mal, dass der Boden hart ist und kalt und unbequem. Richy ist `ne verdammt gute Ablenkung. Ich zieh gerade seine Hose aus und damit bin ich wirklich voll und ganz beschäftigt. Da ist noch so viel Haut drunter, die ich auch berühren will. Aber nicht mit meinen Händen, lieber mit meinem Mund. Die Innenseite seiner Oberschenkel ist so verflucht weich, trotz der Haare, die er da überall hat. Das haben Mädchen nicht. Es gefällt mir definitiv besser mit. Das kribbelt so schön auf der Zunge, wenn man drüber leckt. Dabei macht er Geräusche, ey, die möchte ich auf Kassette aufnehmen und mir immer anhören, bevor ich abends einschlafe. Dann hätte ich bestimmt geniale Träume. Ich kann einfach nicht aus meiner Haut, versteht ihr? Ich versuch es ja immer wieder, aber ich bin eben letzten Endes doch ein Arschloch. Deswegen ist das der Moment in dem ich anfange zu überlegen, ob er mich ihn ficken lässt und wie sich das wohl anfühlt. Auf alles vorbereitet bin ich schließlich, hatte ja sowieso geplant, heute jemanden flach zu legen. Ist eben echtes Glück, dass ich jetzt so ein niedliches Kerlchen nackt neben mir liegen habe und nicht die ätzende Olga mit ihren Monstertitten, die sowieso immer nur im Weg sind. Bei Richy gibt es nichts, das im Weg ist, er fühlt sich wirklich geil an. Und es macht mich echt rattig, wenn er sich so an mich drängt und ich dabei seine Hände wieder zwischen meinen Beinen habe. Ich will mein Ding in ihn stecken, Mann, was habt ihr denn gedacht? Dass ich mich mit so`n bisschen fummeln zufrieden gebe, wenn ich schon mal dabei bin? Als ob. Ich weiß nur nicht genau, wie ich das anstellen soll. Soll ich es ihm einfach sagen? Vielleicht hat er ja schon mal, dann könnte er mir zeigen, was ich machen soll. Bei `nem Mädchen würde ich ihr einfach mal den Finger… ihr wisst schon. Wenn die einem das erlauben, dann kann man sie meistens auch nageln. Ist so `ne Regel. Aber ich kann ihm doch jetzt echt nicht meinen Finger in den Arsch stecken, oder was? Will ich aber. Scheiße. Ich taste wie ein Blindfisch nach meiner Hose, ich weiß genau, dass die hier irgendwo liegen muss, verdammt noch mal. Da sind die Kondome drin. Extra reißfest, extra gleitfähig, aber nicht extra groß. Wer mit so einem Talent wie ich ausgestattet ist, der braucht nicht auch noch einen Riesendödel. Was ich mit meinem anstellen kann, davon träumen andere nur. Ich bin mir absolut sicher, dass Richy das auch will. Ich kann zwar sein Gesicht nicht mehr sehen, dazu ist es viel zu dunkel hier, aber er hört sich eben so an und so wie der die Beine breit macht, da muss ich mich einfach zwischen legen. Ich bekomm das blöde Gummi kaum übergestülpt. „Was machst du da?“, stöhnt Richy atemlos, Mann, der hört sich wirklich so unglaublich gut an, das kann ich nicht fassen. „Ich hab mir `ne Lümmeltüte übergezogen.“ „Eine Lümmeltüte?“, fragt er mich und klingt so, als wenn er nicht die geringste Ahnung hat, wovon ich gerade rede. Mann, steht der auf der Leitung, oder was? Muss ich noch deutlicher werden? Ich will ihm nicht sagen, dass ich ihn ficken will, ich will es einfach tun, OK? Umso weniger man drüber redet, umso besser. Wenn er keine Lust hat, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, mir das zu sagen, finde ich. Blöder Mist. Ich bin nicht so, echt nicht. Ich denk nicht nur an meinen eigenen Spaß, aber ich bin so scharf auf ihn, da ist einfach nichts bei zu machen. Ich hoffe so, dass er auch will. Wenn er nein sagt, dann weiß ich nicht, ob ich das verkraften würde. „Ich will mit dir schlafen.“, sage ich also ganz lässig. Glaubt ihr mir nicht? Seid wohl doch cleverer, als ich zuerst gedacht habe. Ich bin nämlich echt im Augenblick nicht mehr so besonders lässig. Ich bettle ihn an. Ich würde einfach alles dafür tun, wenn ich nur darf und wenn er es genauso will, wie ich. Das hier ist das mit Abstand Schönste, was ich je mit einem anderen Menschen erlebt habe und ich kann es nicht mehr aushalten. Ich hab mir sooft vorgestellt, wie ich genau das hier machen würde, mit bestimmt hundert verschiedenen Typen hab ich mir das vorgestellt. Aber in Wirklichkeit ist es noch viel besser, als man sich das überhaupt nur ausmalen kann. Ich weiß nicht, ob ich verliebt bin oder so’n Kram, aber irgendwas bin ich auf jeden Fall. Und dann nickt er, ich kann das fühlen, weil ich meinen Kopf an seinem habe und schwer in sein Ohr atme. Ich könnte ihn küssen, als er das tut. He, das mach ich doch auch gleich! Dafür muss einfach Zeit sein. Auch wenn er seine Beine immer noch so gespreizt hat, dass ich ganz dazwischen passe und sein steifes Teil an meinem Bauch fühlen kann. Er bewegt sich so ein bisschen vor und zurück und ihr könnt euch bestimmt vorstellen, dass er dabei ein paar meiner Körperstellen reibt, die auf sowas extrem empfindlich reagieren. Der weiß schon, wie er mich anzuheizen hat, das könnt ihr glauben. Macht er wirklich fantastisch. So, das reicht, mehr Einzelheiten gibt es wirklich nicht. Das war schon mehr als genug. Ist ja keine Peepshow hier, sag ich. Ist doch klar, dass wir es getan haben, oder? Hat sich verdammt noch mal angefühlt, als müsste ich sterben und ich hab soviel abgespritzt, wusste gar nicht, wo das alles hergekommen ist. Und er genauso. Was er da auf meinem Bauch abgelassen hat, Holla, das war nicht von schlechten Eltern. Ich hab’s… nein, das sag ich nicht. Jetzt haben wir wieder was an, ihr dürft also wieder gucken. Seine Haare liegen nicht mehr so platt gestriegelt an seinem Kopf, das kann ich hin und wieder sehen, wenn ein Auto vorbei fährt. Er ist wirklich total hübsch so, trotz des ätzenden Pullis und der Bundfaltenhose. Was mach ich jetzt nur mit ihm? Und mit mir? Er kann doch nicht hier in dieser Ruine bleiben. Früher oder später reißen die das Ding ab und was dann? Außerdem wird er noch sterben, wenn er weiterhin hier nur so spärlich bekleidet rumläuft. „Warum bist du eigentlich von zu Hause abgehauen?“, frage ich ihn leise. „Wegen einfach allem.“, seufzt er. „Willst du nicht doch lieber wieder zurück? Ich meine, du kannst doch nicht hier bleiben. Ist doch kein Zustand.“ „Ich kann aber nirgendwo anders hin.“, murmelt er nur, wie süß er dabei klingt, ich könnte fast schon wieder. „Quatsch.“, lache ich also unbekümmert. „Irgendwo wird es schon ein Fleckchen für dich geben.“ Ich weiß schon, was euch gerade durch den Kopf geht, ich bin ja nicht bescheuert! Ihr denkt doch bestimmt ‚Warum sagt der Idiot ihm nicht, dass er mit zu ihm kann‘? Hab ich recht? Und wie genau stellt ihr euch das vor? Ich schlepp ihn mit zu mir nach Hause und dann drehen wir zusammen mit meinem Vater im Rollstuhl eine Runde während meine Mutter kocht und alle sind ganz happy. Bockmist. Das wisst ihr genauso gut wie ich. Könntet ihr das? Einfach jemanden von der Straße auflesen und mit nach Hause nehmen? Ich wette, eure Eltern würden das auch nicht lustig finden. Vielleicht soll ich auch noch `ne Nummer mit ihm schieben, und meine Eltern sitzen im Wohnzimmer und gucken Tatort? Macht euch doch nichts vor, so läuft das eben nicht. Richy und ich, wir haben dieses Haus hier, ansonsten haben wir gar nichts. Bringt nichts, deswegen zu heulen, muss man sich mit abfinden. „Ich bleib einfach hier.“, sagt der süße Typ, genau das hat er schon mal gesagt. „Dann bring ich dir aber morgen ein paar Decken vorbei, ist doch einfach zu kalt in dieser Bude.“ Ich bin wohl doch ein Samariter, aber wie er jetzt so lacht, als wenn es ihm echt gut geht, da würde ich ihm nicht nur Decken sondern einfach alles vorbei bringen, was er haben will. Also, echt alles, versteht ihr? „Danke.“, sagt er dann und ich bin regelrecht am schmelzen. „Brauchst du sonst noch was?“, frage ich sicherheitshalber. „Nein, gar nichts.“ „Vielleicht was zu essen?“ Der soll ja nicht vom Fleisch fallen, wenn ihr wisst, was ich meine. Er ist eh nur so `ne halbe Portion. Keine Ahnung, ob er in den letzten Tagen überhaupt was zu beißen hatte. Ich könnt mir in den Arsch treten, weil ich heute nicht mal Schokoriegel dabei hab. Die hätt ich ihm sonst gegeben. „Ich brauch nichts.“, sagt er nur wieder. „Nur das, was ich gerade habe.“ Scheiße. Könnt ihr euch das vorstellen? Ich meine, er hat mich damit gemeint, ist klar, oder? Ich schmachte, so richtig, und küsse ihn immer wieder. Mir ist zwar der Arsch abgefroren, aber mein Schoss ist ganz heiß, da sitzt nämlich Richy drauf und da soll er gefälligst auch bleiben. Wenn möglich für immer. Oder so. Kann man ja kaum glauben, was dieser Streber hier mit mir macht. In der richtigen Welt, da würde er mir ängstlich aus dem Weg gehen und ich würde ihm ein paar Sprüche vor den Latz knallen, die sich gewaschen hätten, aber ihr könnt euch nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass das hier nicht die richtige Welt ist. Hier braucht er keine Angst vor mir haben und ich muss niemandem beweisen, was ich für ein Prachtexemplar von Mann bin. Ich will heute Nacht hier bleiben. Habt ihr schon erkannt, was? War ja eigentlich von Anfang an klar. Ist doch scheißegal, dass wir diesmal keine Decke haben, ich finde schon eine Möglichkeit, wie wir uns warm halten können. Dafür muss man sich einfach nur ganz dicht aneinander kuscheln und alle paar Minuten ein bisschen knutschen. Gar kein großes Ding. Ich hab keine Ahnung, was mit mir los ist. Nicht nur, dass ich es allen ernstes mit einem anderen Mann getrieben habe und so beschissen sentimental und emotional bin, ich fang jetzt echt auch noch an zu labern. Diesen ganzen Mist, wie es mir gegen den Strich geht, dass mich immer alle anstarren und so erwartungsvoll tun. Ich komm mir vor wie auf einer Bühne, immer im Scheinwerferlicht. Das sag ich ihm, ich glaub, er versteht das. Er küsst mich zumindest und streichelt meinen Rücken. Hab ich schon erwähnt, dass sich das verdammt gut anfühlt? Könnt ihr mir einfach mal glauben. Ich erzähl ihm von meiner kleinen Schwester, die sich immer mehr aufdonnert, obwohl sie erst zwölf ist und was ich für einen Schiss hab, dass sie damit an so ein richtiges Arschloch gerät und ich sie nicht davor beschützen kann. Und von meinem Vater, wie er vor dem Unfall war. Immer auf Achse, immer die Hände in Bewegung. Er hat immer nur an den Wochenenden bei uns gewohnt, weil, der Hafen ist zu weit weg gewesen, als dass er da jeden Tag hin- und zurückfahren konnte. Aber wenn er da war, ich sag euch, der hat Programm gemacht. Meine Mutter durch die Luft gewirbelt und mit ihr ein Tänzchen in der Küche hingelegt. Meine Schwester durch die Luft gewirbelt, bis sie vor Vergnügen gequietscht hat. Und mich, naja, mich hat er nicht durch die Luft gewirbelt, zumindest nicht, seit ich nicht mehr in der Grundschule bin. Aber er hat mir gezeigt, wie man Sachen repariert, die größten Fische angelt, die man sich nur vorstellen kann und dieses Zeug halt. Jetzt sitzt er nur noch im Rollstuhl. Die Ärzte sagen, er hat verdammtes Glück gehabt. Ich sag das nicht. Ich sag, es wäre besser gewesen, wenn er richtig gestorben wäre. Das ist nicht mehr mein Vater, der da zu Hause sitzt. Der sagt kaum noch was und wenn, dann nur, dass man es allen zeigen muss, und er ist so verbittert, dass ich die meiste Zeit unterwegs bin, weil ich das kaum aushalten kann. Das alles sage ich Richy und noch viel mehr. Hab ich noch niemandem vorher. Und er sagt mir auch Sachen. Erzählt von seinen Eltern, die ihn jeden Sonntag in die Kirche zwingen und zur Bibelschule, seit er denken kann. Seine Eltern reden gar nicht mit ihm, sagt er, haben sie noch nie. Und in der Schule macht das auch keiner, weil er selbst weiß, wie er rüberkommt. Warum kann sowas nicht einfach egal sein, fragt er mich und da hab ich absolut keine Antwort drauf. Weil es eben nicht egal ist. Gab es noch nie, zu keiner Zeit. Oder seht ihr das etwa anders? Wer jetzt Ja sagt, der macht sich nur selbst was vor. Entweder, ihr seid eh selbst einer von den Losern, dann könnt ihr es euch erlauben, mit einem gesehen zu werden, oder ihr gehört zu den coolen Leuten, dann dürft ihr euch auch nur mit denen abgeben. Weiß doch jedes Kind. Richy erzählt, was er oft für eine Angst hat, wenn er alleine wo hin gehen muss, weil er immer denkt, dass ihm die Rowdies irgendwo auflauern und ihm weh tun. Das haben die schon oft. Scheiße, er redet irgendwie schon wieder über mich, aber diesmal gefällt mir das gar nicht. Er sagt, dass er das alles nicht mehr aushält und nur noch will, dass es endlich vorbei ist, und dass er nie wieder aus diesem Haus hier raus geht, weil er hier drinnen in Sicherheit ist. Er will seine Eltern nicht mehr sehen und ihre enttäuschten Gesichter, weil die so einen Versager in die Welt gesetzt haben und dass er das auch nicht mehr ertragen muss, weil hier, in dieser Ruine, da bin nur ich und sonst niemand. Heute heult er und ich tröste ihn. Hätte gar nicht gedacht, dass ich das so gut kann, aber ich bin sogar dabei spitzenmäßig. Sagt der Kleine auf jeden Fall. Und ich glaub ihm einfach mal. Ich will so einschlafen, versteht ihr? Mit ihm in meinen Armen, weiter nichts. Und genau das mach ich auch, irgendwann, weil ich meine Augen nicht mehr offen halten kann und weil er da ist und ich verdammt noch mal am liebsten auch nie wieder von hier weggehen würde. Hätt ich mal lieber nicht getan. Als ich morgens wieder aufwache, hat er mich schon wieder so einfach sitzen lassen. Der ist ganz sicher ab nach Hause, wahrscheinlich frische Klamotten holen. Oder mich verarschen. Keine Ahnung, aber ich fühl mich so. Verarscht, meine ich. Würdet ihr das etwa nicht? Also ehrlich, ich hab gedacht, er würde da sein, wenn ich wieder aufwache. Ich bin ja schließlich auch hier geblieben, oder nicht? Scheiße ist sowas. Warum ist er abgehauen? Ich warte noch so ein bisschen, aber er kommt nicht wieder. Da hat doch tatsächlich einer noch mehr Schiss, als ich das hab, und das will schon was heißen. Ich hab nämlich fast immer Schiss. Davor, dass ich nicht gut genug bin für, ach keine Ahnung, sucht euch was aus, wird schon das richtige sein. War wohl doch alles nur eine Illusion, soviel Glück hat einer wie ich einfach nicht. Dass er in einem verlassenen Haus auf jemanden trifft, den er echt gerne mögen kann. Ich geh hier nicht wieder hin, wenn der weiterhin hier rumlungern will, soll er doch. Ich werde ihm auch keine Decken bringen, echt nicht. Nicht nach der Nummer. Kann mir ja nun nicht alles gefallen lassen, oder? Nein, echt nicht. Und sowas bestimmt nicht. Klar, ich hab auch jede Menge Weiber eiskalt abserviert. Wenn ihr also sagt, ich hab das irgendwie verdient, dann habt ihr vielleicht nicht ganz unrecht, aber hey, das waren Weiber, kapiert? Ich mein, die haben nicht wirklich was für mich empfunden. Ich war für die auch nur eine Trophäe, nichts weiter. Ich hab echt gedacht, Richy mag mich. Weil, ich, also… ach, verzieht euch, ihr Idioten. Ich will meine Ruhe, alles klar? Ich helf sonst auch gerne nach, wenn ihr nicht in zwei Sekunden verschwunden seid. So ist’s brav, immer schön drauf hören, was ich sage, das bekommt euch am besten, glaubt mir. Kapitel 4: Weihnachten ---------------------- So, endlich ist Weihnachten. Früher hab ich das geliebt, mit der ganzen Familie, wir alle zusammen, aber heutzutage ist das anders. Alles ist anders seit mein Vater vor fünf Jahren von diesem beschissenen Kran gefallen ist. Meine Mutter heult total oft und er schreit sie an. Dass das Haus nicht ordentlich genug ist, der Braten trocken. Und dann ist er wieder so schrecklich still und starrt nur vor sich hin. Habt ihr schon mal ‚The Shining‘ gesehen? Jack Nicholson macht da manchmal genauso ein Gesicht. Ich hab irgendwie Schiss vor meinem Vater, hatte ich früher nicht. Da hab ich den Mistkerl geliebt bis zum geht nicht mehr. Er war mein absoluter Held. Scheiße, das waren doch nur seine Beine! Warum macht das so einen Unterschied, dass er ein völlig Fremder geworden ist? Gibt doch genug Leute, die auch im Rollstuhl noch Menschen sind. Er aber nicht. Die Jungs haben mich die ganzen letzten Tage mit Fragen bestürmt, ob Olga wirklich so `ne heiße Nummer war, wie sie denken. Die wollten alles wissen, ich hab aber nichts gesagt, was hätt ich denn auch schon sagen sollen. Die haben mich ganz komisch angesehen, war mir aber egal. Das sind nicht meine Freunde, waren die noch nie. Das sind nur meine Untertanen, die mögen mich gar nicht wirklich, die wollen sich nur an der Macht aufgeilen und was davon abhaben. Nicht mal Boris. Der ist mein bester Kumpel, seit dem Kindergarten, hab ich glaub ich schon mal gesagt, oder? Ich kann ihm aber nicht sagen, dass ich die Schnalle nicht flachgelegt hab und schon gar nicht, wo ich an diesem Abend tatsächlich gewesen bin. Ich brauch keine blöde Kristallkugel, mit der ich in die Zukunft sehen kann, um zu wissen, wie so ein Gespräch aussehen würde. Soll ich’s euch erzählen? OK, kann losgehen, sperrt die Lauscher auf. So würde sich das anhören, wenn ich versuchen würde Boris klarzumachen, dass ich einen Schwanz im Bett will und keine Muschi. „Hey Alter, alles fit im Schritt?“ Das sagt Boris, ist sein Spruch, schon seit der fünften Klasse, glaub ich. „Jo, gerade erst vor ein paar Tagen so richtig durchgespült. War die heißeste Nummer, die du dir vorstellen kannst, galaktisch geradezu.“ „Du blöder Wichser.“, lacht Boris. „Die Olga ist echt `ne geile Braut, wenn du mit ihr fertig bist, kann ich sie dann auch mal ausprobieren?“ „Mach nur, die geht mir echt am Arsch vorbei.“ „Ich dachte, die Nummer wäre galaktisch gewesen?“ „War sie auch, aber ich hab’s nicht mit Olga getrieben.“ „Ich fass es nicht, du hast schon wieder was neues aufgerissen? Kannst wohl echt nicht genug bekommen, du Sau.“ Ratet mal, wer auf dieser Klassenfahrt die grandiose Idee hatte, dem Schwächling, den ich am liebsten die ganze Zeit angesehen hätte, weil ich ihn so toll fand, mal ordentlich einen auf den Deckel zu geben? Richtig, das war mein Kumpel Boris. Da steht er drauf, ich glaube, ihm geht manchmal sogar einer dabei ab, wenn er auf jemanden eindrischt. Ich hasse ihn dafür. „Ja, ich hab was neues aufgerissen. Aber ich glaube, mich hat’s diesmal echt erwischt.“ Das sage wieder ich. Ist ja schließlich die Wahrheit. Mich hat’s erwischt. Ich bin nicht wieder in dieses bekackte Haus gegangen. Ich mein, Hallo?! Nachdem der mich zweimal wie so einen Deppen hat sitzen lassen? Irgendwo ist dann auch echt mal Schluss. Aber an ihn denken muss ich trotzdem, jede verschissene Sekunde und auch wenn ihr mir das jetzt sowieso nicht glaubt, am meisten muss ich an sein Lächeln denken. Ehrlich. Daran am allermeisten, an das andere natürlich auch. Ich bin ja schließlich auch nur ein Mann! Wenn ich mir einen runterhole, dann denke ich dabei nur noch an Richy. Scheiße, findet ihr nicht auch? Ich bin ein Loser, wie er im Buche steht. „Ohoho.“, macht Boris anzüglich und gibt schmatzende Laute von sich. „Die Fotze muss ja eine richtige Zauberbüchse sein, wenn du deinen Prügel jetzt nur noch darin parken willst.“ „Schnauze!“, brülle ich an diesem Punkt. Mann, das will ich mir nicht anhören. So redet der nicht über Richy, ansonsten wird er gleich herausfinden wie es sich anfühlt, mit gebrochenen Fingern seine Zähne wieder aufzusammeln. „Ich bin schwul, du Depp!“, brülle ich sofort danach. „Ich hab mich in einen Kerl verliebt!“ Was glaubt ihr, was er darauf antwortet? „Hey, Pat, du bist trotzdem noch der Coolste und wir alle bewundern dich und wollen so sein wie… äh, nein, ich glaub, das wollen wir doch nicht. Ich will doch nicht auch so eine blöde Tunte sein. Das ist ja abartig.“ Seht ihr? Deswegen wird das Gespräch nie stattfinden. Boris sagt ständig so Sachen. ‚Ey, guckt euch mal die Schwuchtel dahinten an, wollen wir der mal ein bisschen Angst machen‘. Das hat er schon sooft gesagt, oder ‚Bist du schwul, oder was? Das Tor war doch total frei‘. Ich mein, er sagt das auch zu Leuten, die gar nicht so sind. Für ihn ist das ein Wort, mit dem er seine negativen Gefühle ausdrücken kann. Mach ich auch, schon seit Jahren. Komm ich einfach nicht gegen an, macht schließlich jeder so. Meine Jungs, die anderen Coolen von der Schule, mein Vater sagt das auch. Das geht mir die ganze Zeit im Kopf herum, während wir in bedrücktem Schweigen unsere Geschenke austauschen, meine Mutter immer noch mit roten Augen, weil sie gerade wieder geheult hat. Hätte ich den Kleinen wirklich mit hierher bringen sollen? Ganz sicher nicht. Aber ich hätte vielleicht wieder hingehen sollen. Könnte ja schließlich auch einen guten Grund gehabt haben, warum er verschwunden ist. Das muss ich immer wieder denken. Der geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf und ich will ihn ganz dringend wieder anfassen. Das macht mich schon ganz wahnsinnig, weil ich immer diese Bilder in meinem Kopf habe und höre, wie er so verdammt geil meinen Namen stöhnt. Meine Mutter und meine Schwester machen zusammen die Kerzen am Baum aus. Sind eh schon fast runter gebrannt und man hört ja immer wieder, was alles passieren kann, wenn so ein trockener Tannenbaum in Flammen aufgeht. Ist mir doch egal, dann sollen wir eben allesamt abfackeln. Ich fühl mich so beschissen, ich will gar nichts mehr, echt nicht. Ich kann mich nicht mal über den neunen I-Pod freuen und dabei habe ich mir den so sehr gewünscht. Ich bin doch untergegangen, das weiß ich. Ich war nie wirklich oben, egal wie sehr ich mir das eingebildet hab. Ich war nur eine Marionette für die anderen. Eine beschissene Projektionsfläche für die Wünsche andere Leute. Hab ja auch immer alles getan, was man tun muss, damit man anerkannt wird. Warum hab ich das? Wenn ich das nicht hätte, dann hätte ich vielleicht… was weiß ich. Viele Sachen anders gemacht. Würdet ihr denn alles wieder genauso machen, auch wenn ihr die Zeit zurückdrehen könntet und Dinge ändern, die nicht so optimal gelaufen sind? Klar, ich weiß selbst, dass das nicht geht! Hab doch keine Schraube locker. Aber nur mal angenommen, ihr könntet? Was würdet ihr ändern? Ich weiß, was ich anders machen würde. Ich würde nicht zulassen, dass die anderen diesem süßen Typen wehtun, in den ich mich sofort verguckt hatte. Nie im Leben. Ich würde die eher allesamt auseinander nehmen. Und anschließend würde ich ihn nach seinem Namen fragen und ihn nochmal küssen. Nicht so heimlich, nachts aufm Klo. Ich meine, ich würde ihn wirklich küssen, wenn ich noch mal die Chance hätte, und dabei wissen, wie er heißt. Und ich würde Dennis nicht wieder den Arm auf dem Rücken verdrehen und ihm auf die Schulter boxen, weil er mich nicht hat abschreiben lassen. Was glaubt ihr denn, warum ich mich in der Matheklausur neben den Loser gesetzt hab? Weil ich bei ihm abschreiben wollte? Na sicher, als wenn es nicht genug Mädchen gibt, die auch gut genug in Mathe sind und die sich anstellen würden, nur um mir ihr Blatt geben zu dürfen. Dennis gefällt mir. Tut er wirklich. Ich hab keinen Schimmer, warum ausgerechnet diese Sorte Jungs mich am meisten anmacht, aber wenn Dennis im Unterricht manchmal so verträumt aus dem Fenster sieht, Mann, dann kann ich eigentlich nur noch ihn verträumt ansehen. Ich musste ihm also einfach ein paar verpassen, weil, ansonsten hätte vielleicht noch jemand Verdacht geschöpft. Klar, ihr rümpft die Nase. Habt bestimmt in eurem Leben auch noch nie etwas getan, für das ihr euch einfach hinterher geschämt habt, was? Alles ein Haufen Unschuldslämmer, ihr Pharisäer! Ihr wisst nicht, was das ist? Euer Pech, schlagt’s nach und bildet euch. Ich kann den ganzen Kram aber nicht mehr ändern, versteht ihr? Absolut egal, wie sehr ich das auch will und das schlimmste ist, ich weiß nicht mal, ob ich sowas nicht wieder tun würde. Wie kann man nur so erbärmlich sein? Und ich will ein Mann sein? Lachhaft. Kein Wunder, dass mir selbst meine Homies immer mehr auf der Nase rumtanzen und mich bei jeder Gelegenheit herausfordern. Schwäche können die riechen, genauso wie ich. Ich merk das auch immer, wenn einer schwach ist. Ist bei Tieren nicht anders, wer nicht mithalten kann, der wird von den anderen nicht gestützt. Der wird liegen gelassen und ein anderer nimmt seinen Platz ein. Braucht man kein Discovery Chanel für, um das mitzukriegen. Ich will wieder da hin, zu ihm. Hab ich schon gesagt, ich weiß, aber ich will das wirklich. Der blöde Schleimer hat mir mein Herz gestohlen, weil der mich so angelächelt hat. Hat noch niemand vorher gemacht. Richy versteht die Welt, das weiß ich, der würde nie von mir erwarten, dass wir plötzlich händchenhaltend durch die Gegend marschieren. Ich mein, er hat nichts von mir gewollt, nicht ein Mal. Hat nicht gewollt, dass ich irgendwas bestimmtes tue und hat sich irgendwie total gefreut, als ich nett war. Das hat sich so beschissen aufrichtig angefühlt und ich kann nicht begreifen, warum er nicht mehr da war, als ich am Morgen aufgewacht bin. Vielleicht mach ich das wirklich, da hin gehen, mein ich. Er ist bestimmt eh nicht mehr da. Hat ganz sicher Heimweh gekriegt, weil doch Weihnachten ist und so und ist doch wieder zu seinen Eltern abgedüst. Aber es kostet mich ja auch nichts, wenn ich mal nachsehe. Aber nicht heute. An Heiligabend kann ich nirgendwo hin. Da hab ich schön hier zu bleiben. Und morgen fahren wir zu Opa und Oma Biene. Wir fahren deshalb, weil mein Vater mit dem Rollstuhl nicht so weit kommt, eigentlich könnte man fast laufen, die wohnen nur am anderen Ende der Stadt. Opa ist der Vater meiner Mutter und Oma Biene ist seine zweite Frau. An meine richtige Oma kann ich mich kaum erinnern, da war meine Schwester noch nicht mal geboren, als die gestorben ist. Also ist Oma Biene eigentlich meine richtige Oma, sozusagen. Warum erzähl ich euch das eigentlich? Spielt doch gar keine Rolle. Ich wollte damit nur sagen, ich kann frühestens morgen Abend wieder zu dem Haus. Früher geht echt nicht, da kann man nichts machen. Ich hoffe nur, dem Kleinen geht es gut. Das mein ich ganz ehrlich. Bei Opa und Oma Biene ist es immer schön. Selbst mein alter Herr ist heute, naja, fröhlich nicht, lächeln tut der einfach nicht mehr, aber er sagt was. Also, er spricht mit uns, klar? So richtig ganze Sätze eben. Das macht der echt nur noch ganz selten. Oma Biene hat Karpfen gemacht, das liebe ich. Meine Mutter macht das nie, die weiß nicht wie das geht. Ich kann ganz locker so’n ganzen Fisch verputzen und bestimmt ein ganzes Kilo von den Kartoffeln. Kann ich eben. Ich hab ja schon gesagt, dass ich viel Sport mache, oder? Da verbrennt man die Kalorien eben ganz anders und braucht kein schlechtes Gewissen zu haben, weil man so reinhaut. Oh, jetzt geht das Gejammer wieder los. Hab ich doch gewusst. Ihr müsst also immer auf eure Figur achten? Heult doch. Oder werdet fett und lebt damit. Kratzt mich überhaupt nicht. Wenn’s euch stört, dann bewegt euch eben ein bisschen mehr, dann seid ihr auch nicht mehr so schwabbelig. Wenn einer nicht schlank ist, dann ist er sowieso ein Versager. Aber ich bin das nicht. Da könnt ihr einen drauf lassen. So, ich nehm mir nochmal einen ganzen Haufen Kartoffeln nach und mach so viel Butter drauf, das würdet ihr nie runter kriegen. Ich aber schon. Alles so richtig durchgemanscht und absolut lecker. Meine Mutter lacht, als sie das sieht. Ich seh sie gerne lachen, ehrlich. Ich wünschte nur, sie und Papa, die würden mal wieder zusammen lachen. Und in der Küche tanzen. Geht auch mit Rollstuhl. Es gibt ja sogar Leute, die spielen im Rollstuhl Basketball und sowas. Aber das wird nicht passieren. Nicht heute und nicht in tausend Jahren. Muss ich mich mit abfinden. Wenn wir alle mit Essen fertig sind, dann packen wir die Geschenke aus. Ich bekomme von Opa und Oma Biene ein Lexikon. Ich mein, das hab ich mir gewünscht. Brauch ich immerhin. Ich werde doch studieren, im nächsten Herbst, da braucht man ein Lexikon. Kann man zwar auch alles im Internet nachlesen, aber es ist was anderes, wenn man ein Buch zwischen den Händen hält. Das ist ein anderes Gefühl, als so auf der Tastatur rum zu hämmern. Ich mag den Geruch von Büchern. Sag ich nur keinem. Also, außer euch, aber ihr wisst eh schon so viel, da spielt das bisschen keine Rolle mehr. Richy hat wie ein Buch gerochen, also, irgendwie. Der fehlt mir, ich kann gar nicht sagen, wie sehr. Ich geh da heute Abend hin. Scheiße, es ist Weihnachten, oder? An Weihnachten können doch so Sachen passieren. Dass er wirklich noch da ist und ich ihn wieder anfassen darf und an ihm riechen und seiner Stimme zuhören, wenn er was sagt. Das will ich nämlich auch, mit ihm reden. Echt. Ich will nicht nur über ihn herfallen. Aber ein paar Stunden muss ich noch aushalten, und dann schnapp ich mir zwei Decken und alle Reste aus dem Kühlschrank, die ich finden kann und feier nochmal Weihnachten. Mit ihm. Und mich kriegt er als Geschenk. Wenn er denn da ist. Wenn nicht, dann ist es eh vorbei. Dann werde ich da einfach sitzen bleiben und die können mich gleich mit dem Haus zusammen abreißen. „Patrick, was ist denn los?“, fragt Oma Biene. Die darf mich auch so nennen. Ist ja immerhin meine Oma. Ich liebe sie wirklich, ganz im Ernst. Die ist so sanft und merkt einfach immer, wenn man traurig ist oder niedergeschlagen, oder so. Früher hat sie mich dann auf ihren Schoss gesetzt und mir aus dem fetten Märchenbuch vorgelesen, das da hinten im Schrank steht. Grimms Märchen. Sie sagt, ich wollte soviel vorgelesen haben, sie hatte schon Fusseln am Mund davon. Aber besser gefühlt hab ich mich dabei immer. Geht natürlich heute nicht mehr. Ich mein, wie sieht denn das aus, wenn ein Typ, der schon 20 ist, sich bei seiner Oma auf den Schoss setzt und sich was vorlesen lässt? Auch, wenn ich das im Moment echt gerne möchte. Aber gemerkt hat sie es halt doch, dass ich was hab. Kann ich nur nicht drüber reden, nicht mal mit ihr, versteht ihr? Geht eben nicht. Da muss ich alleine durch. „Die reißen gerade dieses Haus ab, in der Schöpferstraße.“, sage ich deswegen. Wenn ich schon nicht über Richy reden kann, dann wenigstens über das Haus, unser Haus. „Ja, stand auch in der Zeitung. Wird auch wirklich Zeit, hat doch eh keiner mehr haben wollen, nachdem, was da alles passiert ist.“, sagt Oma Biene. Sie ist echt in Ordnung, versteht ihr? Aber eben doch nur eine Frau, deswegen kommt bestimmt auch gleich was albernes, so von wegen Gespenster. Scheiße, ich weiß schließlich, dass das Blödsinn ist. Hab doch zwei Nächte da gepennt und nicht eine komische Sache gesehen. Nur einen Typen, der da untergeschlüpft ist, weil er nirgendwo anders hin kann. Und Richy hat auch nichts von Geistern erzählt. Der ist vielleicht ein Loser, aber er ist auch clever und glaubt so einen Mist auch nicht. Kann ich mir zumindest vorstellen, haben ja nicht drüber geredet, oder so. Aber neugierig hat sie mich schon gemacht. Warum auch nicht? Oma Biene ist keine Spinnerin, nicht so wie die Mutter von Lennart oder Olga. Wenn die sagt, da ist was drin passiert, dann ist das auch so. Braucht ihr gar nicht so komisch das Gesicht zu verziehen. Also frag ich einfach, was genau denn da passiert ist. „Seit wann interessierst du dich denn für die Stadtgeschichte?“, neckt sie mich, aber das ist schon OK, die darf das, weil, ist eben so, klar? Und erzählen tut sie es mir trotzdem und ich hör zu. Wie das Haus 1890 gebaut wurde, von einem, dem hier der halbe Wald gehört hat und weiß der Teufel, was sonst noch. Ratet mal, wie der Knilch hieß? Kommt ihr nie drauf, bin ich auch nicht. Schöpfer, so hieß der. Deswegen heißt auch die Straße so, versteht ihr? Der muss echt `ne große Nummer gewesen sein, wenn die eine Straße nach ihm benannt haben und die auch 120 Jahre später immer noch so heißt. So einer werd ich auch mal. Oma Biene erzählt, dass er da aber nicht lange drin gewohnt hat, weil, der war gerade frisch verheiratet und seine Frau war trächtig, aber die ist bei der Geburt gestorben und das Kind auch und da wollte er dann da nicht mehr drin wohnen. Kann man verstehen, denke ich. Muss man ja immerzu dran denken, wenn man das alles jeden Tag vor der Nase hat. Oma Biene erzählt immer mehr. Nicht, dass ich das wirklich spannend finde, ich interessiere mich nicht für so’n historischen Kram, aber sie kann eben gut erzählen. Sie sagt, die nächsten Besitzer haben da ganz lange drin gewohnt. Sie kann sich an die Familie sogar noch erinnern. Natürlich nicht an die, die das Haus damals gekauft haben, aber an die Nachkommen. Ich mein, so alt ist Oma Biene noch gar nicht, die ist erst 63. Opa ist ein ganzes Stück älter als sie. Naja, sie sagt, die alte Dame, die da drin gewohnt hat als sie noch ein Kind war, das war die Tochter von dem, der das Haus gekauft hat. Die war ein richtiger Drachen, sagt sie, alle hatten Schiss vor ihr. Die hat sich mit allem und jedem angelegt. Und irgendwann war sie dann tot, aber weil keiner sie leiden konnte, hat man das nicht sofort gemerkt. Geschieht ihr recht, wenn ihr mich fragt. Wenn jemand immer nur scheiße zu allen ist, dann soll er ruhig tot und vergammelt in seiner Wohnung liegen und keinen kratzt’s. Könnte mir auch passieren, sagt ihr? Ach, leckt mich doch. Ist mir egal, dass ihr recht habt. Ich kann auch ganz anders, wenn man mich nur lässt und nicht ständig von mir erwartet, dass ich der Größte bin. Bei Richy kann ich das schließlich auch, oder? „Nachdem die alte Frau Wirz gestorben ist, stand das Haus einige Zeit leer. Bis die Beckers eingezogen sind. An die kann ich mich noch richtig gut erinnern. Das waren ganz sonderbare Leute.“, erzählt Oma Biene jetzt. „Die gehörten irgendeiner komischen religiösen Sekte an, ich weiß nicht mehr welcher, aber der Sohn von denen, der ist zu mir in die Klasse gekommen. Der hat auch in der Schule immer gebetet. Eigentlich tat er mir leid, aber er hat nie so wirklich Anschluss gefunden.“ Natürlich nicht. Ich mein, würdet ihr mit jemandem reden, der sich in der Pause gen Mekka auf den Boden wirft, oder was? Auch wenn es nicht gen Mekka ist sondern gen irgendwas anderes, das Prinzip bleibt doch das gleiche. Sowas macht man einfach nicht. Nicht mal in den Sechzigern, als Oma Biene zur Schule gegangen ist und die das alle noch viel mehr mit Gott hatten, als das heute ist. Ich hätte so einen garantiert aufs Korn genommen, da könnt ihr drauf wetten. Gehört sich nämlich so, wenn man der Leitwolf ist. Such die Schwachen raus und pick so lange auf ihnen rum, bis sie nicht mehr aufstehen. Das macht dich selbst stärker. Ihr habt ein Problem mit meiner Einstellung? Scheiße, ich hab mir die Regeln nicht ausgedacht! Echt nicht. Und wisst ihr was, ich glaub, ich mach da auch nicht mehr mit. Ich hab die Schnauze voll. Wenn ich mal über so jemanden stolper, dann würde ich dafür sorgen, dass die anderen ihn in Ruhe lassen. Hoff ich zumindest. Kann aber für nichts garantieren. „Ja.“, sagt Oma Biene und seufzt. „Der Richard, der war nicht so wie die anderen, der stand immer nur daneben, hat nie mitgemacht. Ich kann verstehen, dass ihm das irgendwann zu viel geworden ist. Mit den Eltern und ganz ohne Freunde. Es tat mir trotzdem leid, als er sich dann umgebracht hat.“ Was glaubt ihr, was hier gerade mit mir passiert? Mir stehen sämtliche Haare zu Berge, das könnt ihr mal glauben. Klar, das ist ein komischer Zufall, aber allein bei dem Namen, Mann, da krieg ich eine Gänsehaut, sowas habt ihr noch nicht gesehen. Keiner kann so eine Gänsehaut kriegen wie ich, wenn er den Namen von dem Typen hört, in den er sich verschossen hat. Ist schon komisch, dass der ehemalige Klassenkamerad von Oma Biene, der mal in dem alten Kasten gewohnt hat, genauso heißt wie dieser absolut unglaublich süße, niedliche, tolle Typ, den ich da kennengelernt hab. Also, mal ehrlich, das ist doch fast wie ein Zeichen, oder? Beinahe wie dieser beschissene Stern, der über dem Stall da in Bethlehem geleuchtet und allen den Weg gezeigt hat. Ich kann es jetzt wirklich kaum noch abwarten, ihn wieder zu sehen. „Das war an Weihnachten. 1965. Ich kann mich ganz genau daran erinnern. Das stand sogar in der Zeitung, weißt du. Er hat sich erhängt, in seinem Zimmer, am 26.12. Seine Mutter ist danach zusammengebrochen und wurde in ein Sanatorium eingeliefert. Und sein Vater, der lief nur noch durch die Stadt und hat allen erzählt, dass das Ende nahe ist und wir alle unsere Sünden büßen müssen. Er ist ein paar Jahre später weggezogen.“ OK, ich komm hier gerade nicht mit was klar. Der Typ hieß also Richard und seine Eltern waren religiöse Fanatiker und haben in dem Haus in der Schöpferstraße gewohnt? Halt, das passt nicht. Das sind mir einfach ein paar Zufälle zu viel, oder wie seht ihr das? Ich will sagen, ich glaub nicht an so einen Scheiß, echt nicht, aber was soll ich denn davon jetzt halten? Die Gänsehaut wird immer schlimmer und ich fange schon fast an, mit den Zähnen zu klappern. „Es gab noch ein paar andere Besitzer nach den Beckers, aber keiner ist lange geblieben und ein paar, die haben angefangen komische Geschichten zu erzählen. Und jetzt steht das Haus ja schon so lange leer, ist schon gut, wenn die das abreißen.“ „Wie war er so?“, frage ich und erkenne meine Stimme gar nicht wieder, die ist ganz fiepsig. „Richard?“, fragt Oma Biene überrascht. „Naja, wir haben auch so jemanden in der Klasse, auf dem immer alle rumhacken.“ Das ist natürlich eine absolut dämlich Aussage, weiß ich selbst, aber ich muss das fragen, ansonsten hebt mir einfach meine Schädelplatte ab. „Oh, der war eigentlich ganz sanft. Zu sanft wahrscheinlich. Ich bin mir natürlich nicht sicher, ich habe ihn ja nie gefragt, aber ich glaube, der hat sich aus Frauen nichts gemacht. Das haben die anderen Jungs natürlich auch gemerkt. In den Sechzigern, da hatten homosexuelle Männer das noch viel schwerer als heute. Viele haben sich damals wegen sowas umgebracht, das war wirklich kein Einzelfall.“ Richy hat gesagt, er kann nirgendwo anders hin. Ich hab gedacht, weil er Schiss hat, dass ihm wieder jemand weh tut, aber vielleicht hat er das ja auch ganz anders gemeint? Vielleicht kann er tatsächlich nirgendwo anders hin? Weil er an diesen blöden Kasten gefesselt ist, oder so. Ist mir egal, wenn ihr jetzt lacht, ist mir echt egal. Macht ruhig. Ich möchte gerade sterben, weiter nichts. Seine Klamotten, ich mein, die sind wirklich so verdammt bescheuert gewesen, das kann man sich gar nicht vorstellen. Und so altmodisch. Aber vielleicht waren die ja irgendwie OK, als er sie sich vor über 40 Jahren angezogen hat? Er hat gesagt, er weiß gar nicht, wie lange er schon da ist, vielleicht schon seit immer. Erinnert ihr euch? Und gerochen hat er wirklich wie ein altes Buch. Und er hat Brillantine in den Haaren gehabt, wer macht sowas heute denn überhaupt noch? Ich fang gleich an zu schreien, verlasst euch drauf, und wenn ich erstmal angefangen habe, dann werde ich nicht mehr aufhören, so lange, bis die Männer mit den weißen Jacken kommen und mich wegbringen. „Hast du ein Foto von ihm?“, röchle ich und Oma Biene sieht mich ganz besorgt an. „Warum willst du denn das sehen?“ „Bitte, ich… hast du? Ich muss das sehen, ich muss einfach.“, flüstere ich, weil, ich hab keine Luft mehr in den Lungen, versteht ihr, da ist nichts mehr mit Power und Bestimmtheit. Sie sagt, sie hat. Also gehen wir auf den Dachboden und sie wühlt in irgendwelchen alten Kisten nach ihren Klassenfotos und ich bin damit beschäftigt, die Welt irgendwie festzuhalten, damit ich nicht einfach rausfalle. Keine Ahnung, ob das geht, aber ich glaube schon. Ich falle einfach raus und dann steh ich daneben und kann nur noch zusehen. So wie ihr die ganze Zeit. Dann bin ich auch so ein gesichtsloses etwas, ohne eigene Stimme. Ich hab jetzt ein Foto in der Hand. So ein echt altes, in schwarz-weiß und ganz körnig. Da sind die alle drauf, mit denen Oma Biene zur Schule gegangen ist. ‚Willkommen Abschlussklasse 1966‘ steht da. Ich kann Oma Biene sehen, sie steht mit ihrer besten Freundin Gertrud ziemlich in der Mitte vom Bild. Gott, sind die da jung. So wie ich jetzt. Das vergisst man manchmal, dass auch alte Leute jung waren. Wollt ihr wissen, was ich da sonst noch sehe? Ich will das eigentlich nicht. Ich will mir das Foto gar nicht ansehen, weil, da ist noch jemand drauf, den ich sofort erkenne. In der vordersten Reihe, aber mit so einer Lücke zwischen sich und den anderen. Ich will ihn da echt nicht sehen. Ich meine, das ist unmöglich, oder nicht? Ich hab mit ihm gesprochen, erst vor ein paar Tagen, ich hab ihn in den Armen gehalten und, Mann, ich hab mit ihm geschlafen, alles klar? Der kann da nicht auf diesem Foto drauf sein, geht nicht. Das würde nämlich bedeuten, dass nichts davon real war. Gar nichts. Wenn er tot ist, und das seit 43 Jahren, wie kann ich ihn dann getröstet haben, als er geweint hat und er mich, als ich das am Abend davor gemacht hab? Kann mir das vielleicht mal jemand erklären? Ich kann das hier nicht mehr aushalten. Das will ich nicht. Das kann ich nicht. Ich will auch mal Glück haben, OK? Ich mein, ich will doch eigentlich gar nicht so viel, echt nicht. Ich wünsch mir nur eben jemanden, den ich lieb haben kann, und der mich auch mag. Einfach nur mich, Patrick. Jemanden wie Richy eben. Den wünsch ich mir wirklich so verdammt doll, das könnt ihr euch nicht mal ansatzweise vorstellen. Und ihn jetzt auf diesem alten Bild zu sehen, das reißt mein Herz in tausend Stücke. Oma Biene weiß gar nicht, was sie sagen soll, als ich einfach anfange zu heulen und das Bild wie so ein Volltrottel an mich drücke und mir der Rotz über das Gesicht läuft. Sie fragt nur immer wieder, was um alles in der Welt denn los ist, aber das kann ich ihr nicht sagen, echt nicht. Nicht nur, weil ich ein Homo bin, sondern auch, weil mir sowieso keiner glauben würde. Glaubt ihr mir? Wohl kaum. Ihr denkt doch jetzt bestimmt, der Typ ist völlig durchgeknallt, denkt doch tatsächlich, er hätte einen Geist gesehen. Geister gibt es nicht, nicht in Wirklichkeit, höchstens in Filmen. Aber das ändert gar nichts daran, dass das Richy da auf dem Foto ist. Ich hab ja schon erzählt, dass ich schnell laufen kann, aber heute stelle ich glaube ich einen neuen Weltrekord auf. Ist mir egal, dass mein Alter hinterher bestimmt Stress macht, weil ich abgehauen bin und dass Oma Biene total verstört ist, und sich wer weiß was denkt. Es gibt jetzt eben nur einen Ort auf der Welt, wo ich hin muss, ist doch klar, oder? Was hättet ihr denn gemacht? Wärt ihr schön zu Hause sitzen geblieben? Na, ich nicht, ich bin nämlich ein Macher, einer, der was tut und nicht passiv in der Gegend rumsitzt. Wenn ich mit einem Geist zusammen gewesen bin, dann will ich das verdammt nochmal auch wissen. Und ich sag euch noch was, aber nur, weil ihr es seid und ich weiß, dass ihr das nicht rumerzählt. Ich hab gerade so ein Gefühl. Kann ich gar nicht beschreiben, nicht richtig, mein ich. Aber irgendwie, also, vielleicht ist das meine Chance, versteht ihr? Auf die ich schon so lange warte. Die Chance, das wieder gut zu machen, was ich alles verbockt hab. Das mit dem Typen von der Klassenfahrt, mit Dennis, mit allem möglichen. Vielleicht kann ich das, es wieder gut machen. Ich hab den Kleinen angefasst und er mich, ich weiß, dass er wirklich da war. Der hat sich nicht wie ein Geist angefühlt, echt nicht. Der hat sich so real angefühlt, wie einfach noch gar nichts vorher. Also, das muss doch bedeuten, dass er irgendwie richtig da war, was denn sonst. Heute haben wir den 25.12, morgen ist der 26.12. Oma Biene hat gesagt, da hat er sich erhängt. Am 26.12, am zweiten Weihnachtstag. Ist mir doch egal, dass das schon 1965 war. Keine Ahnung, was das hier ist, vielleicht so eine komische Zeitverschiebung. Auf jeden Fall hatte er sich noch nicht umgebracht, als ich ihn das letzte Mal vor fünf Tagen gesehen hab. Und das wird er auch nicht, da könnt ihr einen drauf lassen. Dieses Gefühl ist nämlich einfach zu stark, versteht ihr? Das ist für uns beide die letzte Chance, da bin ich mir ganz sicher. Schon im Januar wir der alte Kasten nicht mehr stehen, dann kann nie wieder jemand kommen und Richy retten, also muss ich das machen. Geht nicht anders. Und dann kann er mich auch retten, weil, ich brauch das. Ich muss gerettet werden, wenn ich nicht zu so einem kalten, toten Mensch wie mein Vater werden will und ich bin mir total sicher, dass der Kleine das kann. Auf alles andere Scheiß ich. Er steht da am Fenster und sieht nach draußen, so klein, ich hab richtig Angst, dass ich ihm weh tun könnte, wenn ich ihn anfasse, aber ich mach’s trotzdem und er sieht mich. Er sieht so entsetzlich traurig aus, ich könnte schon wieder heulen. Mach ich aber nicht. Ich mach was ganz anderes. Erstmal küsse ich ihn natürlich, was denn sonst, und dann sag ich ihm, dass es mir leid tut. Ich weiß ja jetzt, warum er am Morgen immer weg war. Habt ihr bestimmt auch schon kapiert, so gut beisammen, wie ihr seid. Ein Geist ist nur in der Nacht da. Steht doch überall. Oder habt ihr schon mal davon gehört, dass es am Tage gespukt hat? Eben. Und dann sage ich ihm, dass ich mich in ihn verliebt hab und dass mir alles andere egal ist, und das mein ich nämlich genau so, wie ich es sage. Wir halten uns so fest, damit will ich nie wieder aufhören. Aber ich weiß, dass ich muss. Ich will ihn ja retten, und nicht ihn für mich behalten. Das geht nicht, das hab ich auch begriffen. „Ich weiß Bescheid.“, sage ich deshalb, der versteht mich schon, tut er eben einfach. Dann reden wir. So lange, bis ich Fusseln am Mund hab. Er sagt mir, dass ich der erste bin, der ihn wirklich gesehen hat, in all den Jahren. Manchmal haben Leute wohl was mitgekriegt, aber sie haben ihn trotzdem nicht richtig gesehen. Er ist sowieso immer nur zehn Tage pro Jahr hier, sagt er mir. Das liegt daran, dass er sich am 16. Dezember 1965 dazu entschlossen hat, dass er nicht mehr leben will und sich aber erst am 26. getraut hat, das auch durchzuziehen. Und es ist immer das gleiche. Für ihn gibt es nur diese zehn Tage, der Rest des Jahres existiert gar nicht. „Ist gar nicht so anders als damals, als ich noch nicht…“, fängt er an und ich weiß was er sagen will. Ist nicht anders als damals, als er noch nicht tot war. Da hat ihn nämlich auch keiner gesehen. Vielleicht ist er deswegen noch hier, denke ich mir so. Weil ihn erst jemand sehen musste und weil er verdammtes Glück hat, dass ich das bin. Obwohl, eigentlich hab ich noch ein bisschen mehr Glück, findet ihr nicht auch? Und als er sagt, dass er gewartet hat und so unglaublich traurig war, als ich nicht wieder gekommen bin, da heulen wir diesmal beide. Kann man ja auch irgendwie verstehen. Ich mein, uns hat’s erwischt, versteht ihr? So richtig, uns alle beide, da gibt es gar kein Zweifel dran, aber es hilft uns trotzdem nicht. Wir werden nicht zusammen sein können. Das ist ganz logisch, weil, er ist ja tot, zumindest noch, und auch wenn ich das ändere, wenn ich zulasse, dass ich ihn so verdammt liebe, dass das ausreicht um die Vergangenheit zu ändern, dann geht das trotzdem nicht. Er ist dann nämlich so alt wie Oma Biene und hat sein Leben gelebt und ich wünsche mir, dass er einen ganz tollen Mann findet, weil er das verdient hat, auch wenn es mich umbringt, dass ich das nicht sein kann. Wir schlafen miteinander, so wunderschön, das werde ich nie wieder vergessen, egal wie lange ich lebe. Diesmal schlafe ich nicht ein. Ich will jede Sekunde mit ihm haben, die ich kriegen kann. Ich weiß, wir haben noch eine Stunde oder so, dann wird es hell. Also muss ich ihm jetzt noch was sagen, ehe es zu spät ist. „Mach es nicht.“, sage ich. „Ich hab es aber schon getan.“, flüstert er. „Nein!“, rufe ich. „Du bist doch hier, gerade jetzt. Du kannst dich noch anders entscheiden.“ Das muss er doch verstehen, oder nicht? So eine Chance bekommt man nie wieder, nie im Leben, das weiß ich einfach. Keiner von uns kann sich das erlauben, hierbei einen Fehler zu machen. Wir haben Weihnachten, da ist einfach alles möglich. Auch, dass sich jemand nochmal umentscheiden darf, einen Fehler wieder gutmachen. Geht doch gar nicht anders. „Versprich es mir!“, fordere ich energisch. Der darf nicht verschwinden, bevor er mir das versprochen hat. Ganz einfach. Darf er eben nicht. Weil, ich überleb das nicht, wenn das passiert und dann spuk ich hier auch irgendwo durch die Gegend. Muss ja nun echt nicht sein. „Gut, ich verspreche es.“, sagt mein Schnuckelchen und ich glaube ihm, hab ja auch keine andere Wahl, oder? Wir küssen uns gerade, als ich die ersten Sonnenstrahlen am Horizont sehen kann. Das geht verdammt noch mal zu schell! Die soll verschwinden! Ich hatte einfach nicht genug Zeit mit ihm, das kann niemals genug gewesen sein, ich mein, drei beschissene Nächte, um eine Liebe zu leben, die eigentlich für ein ganzes Leben bestimmt war? Ich will nicht aufhören, ihn zu küssen. Muss ich aber. Eine Sache gibt es nämlich noch, eine letzte, die müssen wir klären. „Ich werde Silvester hier auf dich warten.“, sage ich. Er verschwindet. Nicht mit so einem Knall, wie in Filmen oder so. Er löst sich auch nicht in Rauch auf oder wird langsam durchsichtig, gar nicht. Die Sonnenstrahlen fallen durchs Fenster, auf den Boden, auf die Wände, auf mich und eben auch auf ihn und von einer Sekunde auf die andere ist er nicht mehr da. Als wenn er sowieso nie hier gewesen wäre. Ich weiß aber, dass das nicht stimmt und ich hoffe so verdammt, dass wir es geschafft haben. Alle beide. Dass ich ihn hier Silvester sehen werde. Klar, er wird ein alter Knacker sein, wenn er auftaucht, aber trotzdem mein Richy. Da kann gar nichts was dran ändern. Wenn er denn auftaucht. Oh Mann, das wünsche ich mir so sehr. Kapitel 5: Silvester -------------------- Ich kassiere gerade das erwartete Donnerwetter von meinem Vater, hab ich ja auch nicht anders erwartet. Er schreit mich an, dass ich mich benehmen muss, und nicht einfach weglaufen kann, wenn mir danach ist. Der hat ja keine Ahnung, was ich alles kann. Ich kann zum Beispiel einen Mann lieben, das kann ich, das würde er nie fertig bringen. Deswegen brauch ich ihm das auch gar nicht erklären, würde er eh nicht verstehen. Könnt ihr das verstehen? Sagt doch einfach mal ja, ich bin so verflucht daneben, ich kann jetzt nichts ertragen, was mich irgendwie anstrengt. Also halte ich einfach still und lass es über mich ergehen. Bleibt mir ja auch gar nichts anderes übrig. Dann soll der mich halt anschreien, ich hab eh keine Ahnung, wer das eigentlich ist. Der sieht nur aus wie mein Vater, aber ich glaub, er ist in Wirklichkeit auch sowas wie ein Geist. Mein Vater, der ist damals gestorben, als er von dieser Leiter gefallen ist und seitdem ist eben dieser Mann hier und tut nur so als ob. Könnt ihr euch vorstellen, dass mich das plötzlich ganz entsetzlich wütend macht? Mann, ich bin so geladen, ich hör mir das nicht länger an. Mein Alter war kein Weichling, nicht so ein blöder Penner, der alles hasst. Wirklich nicht. Ich will den wieder haben, so, wie er früher war. Also bin ich jetzt dran mit schreien. Holt euch mal lieber Ohrenstöpsel, die werdet ihr brauchen. Ich werd hier nämlich gleich die ganze Bude zusammenschreien, verlasst euch drauf. So, ich bin soweit, ihr auch? Dann ist ja alles klar. „Halt deine blöde Schnauze, du beschissener Krüppel!!“, brülle ich. Mach ich wirklich, kein Scheiß. Seht ihr, wie der guckt? So hat er noch nie ausgesehen, der weiß gar nicht, was er machen soll. Ist mir recht, ich brüll jetzt nämlich weiter. Dass er aufhören soll, allem und jedem die Schuld dafür zu geben, dass er nicht mehr laufen kann, weil da einfach keiner was für kann. Ist doch so. Der Kran war ordnungsgemäß gewartet, die schwache Sprosse hat einfach niemand entdeckt. Er war nicht unvorsichtig. Manchmal passieren solche Sachen halt. Überall auf der Welt. Und in diesem Fall hat es eben uns erwischt. Deswegen sag ich ihm, dass er immer noch so viel machen könnte, wenn er nur wollte. Dass sein Leben vorbei ist und er so unnütz, dass muss doch nicht so sein. Da ist er ganz alleine dran Schuld. Er könnte, wenn er wollte, jeder Zeit. Er hat schließlich zwei gesunde Hände und einen Kopf, mit dem zumindest theoretisch alles in Ordnung ist. Und weil ich gerade dabei bin, schreie ich auch meine Mutter an, dass sie nicht so ein Trauerkloß sein soll und sich verdammt noch mal nicht alles gefallen lassen soll. Will sie etwa für den Rest ihres Lebens einen selbstgerechten Mistkerl bedienen? Wenn mein Vater ein Bier will, dann kann er sich das meiner Meinung auch selber holen. Muss ja keine Treppen mit seinem Rollstuhl fahren dazu, die Küche ist direkt neben dem Wohnzimmer, also ehrlich! Wenn die ihm das immer so leicht macht, dann hat er ja gar keinen Grund, an seinem beschissenen Verhalten was zu ändern, versteht ihr? Ey, ich schreie so viel, die gucken mich einfach nur an, als wenn ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. Haben sie wahrscheinlich recht mit, aber das ist mir gerade sowas von egal, könnt ihr euch nicht vorstellen. Oder doch, vielleicht könnt ihr. Es fühlt sich nämlich verdammt gut an. Ich schrei mir einfach alles von der Seele, was ich so mit mir rumschleppe. Na gut, nicht alles. Ich sag nicht, dass ich vom anderen Ufer bin. Dafür brauch ich einfach noch ein Weilchen, OK? Also hört auf, deswegen die Nase zu rümpfen, würd mich mal interessieren, ob ihr das könntet. Einfach so euren Alten sagen, dass ihr keine Enkelkinder produzieren werdet und keine nette Schwiegertochter anschleppen, weil ihr eben nicht so seid. Aber ich mach das, wahrscheinlich eher früher als später. Und das liegt daran, dass Richy mich gerettet hat. Hat er nämlich echt. Ohne Scheiß. Ich bin nicht mehr der tolle Pat, die geilste Sau von der Schule. Werd ich auch nie wieder sein. Der Typ war kacke, versteht ihr? So richtig beschissen und ätzend, dem werde ich keine Träne nachheulen. Ich bin eben einfach ich. Und jetzt muss ich mich um meine Schwester kümmern, die ist nämlich eben heulend aus dem Zimmer gelaufen, bei dem ganzen Gebrüll. Ich mag die Kleine, verdammt viel sogar. Die soll nicht Angst haben, dass jetzt alles kaputt geht. Also renn ich hinterher. Sie sitzt auf ihrem Bett und trotz der ganzen Schminke im Gesicht und dem Oberteil, bei dem sie ihren Bauchnabel als Brosche trägt, sieht sie aus wie ein kleines Mädchen. Was sie ja mit zwölf auch noch ist. Sie sieht aus wie jemand, den man in den Arm nehmen muss, was ich jetzt auch mache. Ich sage ihr, dass alles gut wird und versuche mich damit genauso sehr selbst zu überzeugen wie sie. Keine Ahnung, warum ich danach nicht aufhöre, aber ich rede einfach weiter. Das brauch ich ganz dringend, versteht ihr? Klar, ihr habt mir bis jetzt zugehört, das war echt in Ordnung von euch, aber, so besonders gesprächig seid ihr halt nicht. Deswegen sage ich Lisa, so heißt meine Schwester, dass ich ganz verwirrt bin, weil ich jemanden kennengelernt hab, den ich aber nicht haben kann, egal wie sehr ich es will. Ich sag wirklich ‚ihn‘. Nicht ‚sie‘ und mach auch keine anderen Ausflüchte oder benutz beschissene Umschreibungen. Und was soll ich euch sagen? Sie versteht mich. Irgendwie. Sie fragt mich echt, wie er heißt und all den Kram und ich sage es ihr. Kann man sich kaum vorstellen, dass ich hier mit meiner Babyschwester sitze und darüber rede, was mit Richy passiert ist. Ich hör nicht mitten drin auf. Könnte ich gar nicht, selbst wenn ich wollte. Aber ich will auch nicht. Irgendjemandem muss ich das erzählen und sie ist dazu besser geeignet als irgendjemand sonst. Ich sag ihr auch, dass ich es kaum aushalte, weil, als er verschwunden ist, da hat er einfach einen Teil von mir mitgenommen. Hab ich doch gesagt, dass er mich als Geschenk kriegt, erinnert ihr euch? Naja, deswegen fehlt jetzt ein Teil von mir. Sie ist erst zwölf, deswegen glaubt sie mir. Auch wenn sie alles versucht, schon wie eine richtige Frau auszusehen, sie ist es nicht. Sie ist noch ein kleines Mädchen. Kinder haben nicht so ein Problem mit Geistern und dem ganzen Kram. Die können einfach dran glauben. So wie sie. Ich sage ihr auch, dass sie nicht versuchen soll, so schnell erwachsen zu werden. Das ist sie noch ein ganzes Leben lang und dass sie sich nicht so aufdonnern soll. „Aber das machen doch alle so!“, antwortet sie entrüstet. „Na und?“, frage ich sie. „Ist nicht zwangsläufig das Richtige, nur weil alle es so machen. Du hast deinen eigenen Kopf.“ Hat sie, und ich auch. Deswegen will ich auch nicht, dass sie sich aufdonnert. Sie soll mal einen netten Freund finden, nicht so jemanden, wie ich das war. Aber nette Jungs, die stehen meistens nicht auf so viel Farbe im Gesicht und so knappe Klamotten. Damit zieht man eben nur die an, die Mädchen nur benutzen. Außerdem ist sie so hübsch, das hat sie gar nicht nötig. Mann, als ich das sage, da lacht sie. So richtig keck und meint, ich wär wohl kaum der Richtige, um das zu beurteilen. Ist das zu fassen? Ich kann hier sitzen und mit meiner Schwester drüber lachen, dass ich eben Männer mag und keine Frauen. Fühlt sich megamäßig an. Die ist vielleicht erst zwölf, aber die ist clever, da gibt es nichts. Vielleicht muss ich mir doch keine so großen Sorgen um sie machen, wie ich gedacht hab. Wahrscheinlich kann sie auf sich selbst aufpassen. Was jetzt nicht bedeutet, dass ich das gar nicht mehr mache, klar? Werd ich nämlich trotzdem, kann ja nichts schaden. Als ich jetzt wieder ins Wohnzimmer zurück gehe, kann ich ja zugeben, da ist mir verdammt mulmig. Ich hab keinen Schimmer, was meine Eltern machen, weil ich gerade so ausgetickt bin. Vielleicht schmeißen die mich ja raus? Drauf gesch… nein, gar nicht drauf geschissen. Das wär mir nämlich nicht egal. Ich liebe meine bescheuerten Eltern, kann ich gar nichts dran ändern. Deswegen ist das auch sowas besonderes, als ich vorsichtig ins Wohnzimmer gehe. Ich geh nicht wirklich rein, ich will da nicht stören. Meine Mutter kniet vor dem Rollstuhl und hat das Gesicht von meinem Vater in den Händen und der weint. Ich bin zwar ein paar Meter weg und er ist auch echt leise, aber ich kann es trotzdem hören. Ich glaub, die beiden müssen jetzt alleine sein. Die sind ja immerhin nicht nur Eltern, die sind auch ein Liebespaar. Oder waren das wenigstens früher mal. Hab ich schon gesagt, dass ich erledigt bin? Nicht nur müde, wie wenn ich mit den Jungs um die Häuser gezogen bin und gesoffen hab. Nein, ich bin so ausgelaugt, ich schiel schon fast. Ich hab ja in der Nacht wirklich kein Auge zugetan. Würd ich jeder Zeit wieder machen, aber mein Gehirn braucht `ne Pause. In der es einfach mal abschalten kann. Wenn ich wieder aufwache, dann kann ich vielleicht ein paar Sachen besser verstehen. Was mir passiert ist zum Beispiel. Hab noch niemanden getroffen, der auch nur eine ähnliche Geschichte zu erzählen hatte. Ihr etwa? Dann stellt mir die Person doch mal vor. Soll ich euch verraten, was ich gleich am nächsten Morgen getan hab? Soll ich? Klar, das wollt ihr wissen. Ich hab Oma Biene angerufen. War sonderbar. Die konnte sie nämlich an den Vorfall vom ersten Weihnachtstag gar nicht mehr erinnern. Hatte sie alles vergessen. Ich hab sie gefragt, ob sie mal jemanden in der Klasse hatte, der Richard Becker hieß. Sie hat erst nein gesagt und klang total überrascht, aber dann meinte sie, Moment mal, doch, da war so einer. Ist doch cool, oder? Gibt keinen Zweifel, was das bedeutet. Die hat sich nur deswegen so deutlich an ihn erinnert, weil er eben so einen spektakulären Abgang gemacht hat. Ich mein, jemand der sich Weihnachten in seinem Zimmer erhängt, wenn man so einen in der Klasse hatte, das vergisst man wirklich sein ganzes Leben nicht mehr. Aber wenn sie sich nicht dran erinnert, dann kann das doch eigentlich nur bedeuten, dass er es nicht getan hat, oder wie seht ihr das? An die Loser erinnert sich eben keiner. Ich find das klasse. Ich find auch klasse, dass meine Eltern sich gar nicht mehr dran erinnern können, dass ich einfach vom Weihnachtsbesuch bei Opa und Oma Biene abgehauen bin. Aber die können sich schon noch dran erinnern, dass ich sie angebrüllt hab und sagen mir, dass sie sowas nicht gut finden. Ich sag aber nur, hat euch gut getan, ich sollte viel öfter mal rumbrüllen. Wäre für alle das beste. Meine Mutter lacht dazu und mein Vater, nun, ich will jetzt nicht übertreiben, aber das könnte vielleicht ein Lächeln werden, wenn er etwas dran arbeitet, in ein paar Wochen oder so. Wir machen Familienrat. Haben wir früher oft gemacht und lauter Sachen besprochen, die in nächster Zeit anstehen, aber sei dem Unfall von meinem Vater eben nicht mehr. Seht ihr? Ich bin trotz allem… nicht der Größte, aber ganz in Ordnung, würd ich sagen. Jeder kann Dinge verändern, wenn er wirklich will. Mein Vater will jetzt offensichtlich auch, er sagt uns, er macht eine Therapie. Keine Ahnung, ob das was bringt, ich halt ja nicht so viel von diesem ganzen Psychoquark, aber ich verkneif mir, das zu sagen. Wenn er überhaupt was macht, dann finde ich das schon gut. Vielleicht ist der Mann, den ich als Kind so wahnsinnig geliebt hab, ja doch noch irgendwo da drin. Bei dem, was ich alles erlebt hab, also ehrlich, da halt ich einfach gar nichts mehr für unmöglich. „Wann kommt Boris denn vorbei? Den hab ich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.“, fragt meine Mutter mich irgendwann. „Keine Ahnung, wohl nicht mehr so oft.“, murmle ich nur. „Habt ihr euch gestritten?“, bohrt sie weiter nach. Nein, haben wir nicht, nicht wirklich, aber ich glaub eben auch nicht mehr, dass er mein Kumpel ist. Wenn ich es überhaupt je wirklich geglaubt hab. „Nein.“, sage ich nur. „Aber ich komm mit manchen Sachen nicht so klar, die er ständig macht.“ „Das finde ich gut, Liebling.“, sagt meine Mutter, so nennt die mich nämlich. „Du findest bestimmt bessere Freunde als diese Krawallbrüder.“ Hat sie recht mit, findet ihr nicht auch? Jemand wie ich, der findet ohne Probleme neue Freunde, da mach ich mir gar keinen Kopf drum. Nicht solche, die dich nur anerkennen, wenn du härter zuschlägst als alle anderen und ein richtiger Kotzbrocken bist. Vielleicht finde ich ja solche, bei denen ich einfach nur so sein kann, wie ich will und die da kein großes Ding draus machen. Werd ich auch sofort mit anfangen, spätestens nach den Weihnachtsferien. Sein wir doch mal ehrlich. Da steht ihr doch drauf, oder? Wenn ich hier nicht so blöde Sprüche reiße sondern einfach sage, was ich denke. Das mit der Nummer 1 sein, also, das war doch eh nur auf der Schule. Das interessiert doch im wirklichen Leben niemanden mehr und ich bin im letzten Schuljahr. Spätestens nach dem Abi wäre der Traum sowieso ausgeträumt gewesen, ist er jetzt eben ein halbes Jahr früher, macht auch keinen großen Unterschied. Und wenn ich dann studiere, da kennt mich niemand, da brauch ich gar nicht erst mit dieser ganzen Scheiße anfangen. Wer weiß, vielleicht geh ich ja sogar in so `ne Schwulengruppe. Gibt es ja in jeder größeren Stadt und an Unis sowieso, oder? Ich stand sogar schon mal vor der Tür von so einem Treff. Im Sommer. Na gut, nicht wirklich davor, mehr so auf der anderen Straßenseite, im Schatten, damit mich niemand sieht, aber ich konnte sehen, wer rein und raus ist. Getraut hab ich mich letzten Endes doch nicht, aber das muss ja nichts heißen. Beim nächsten Mal schaff ich’s dann vielleicht. Kann mir sowieso niemand erzählen, dass er jemanden kennt, der sich das gleich beim ersten Mal getraut hat. Hättet ihr auch nicht, das weiß ich. Mein Vater hat irgendwie schon recht, du hast ein Leben, mach was draus. Und das werd ich, ganz bestimmt. Etwas, das mir gefällt, nicht irgendjemand anderem. Heute ist der 27.12. Ich hab keine Ahnung, wo mich meine Zukunft hinführt, aber ich weiß immerhin genau, wo ich am 31.12 sein werde und auch, wer da sonst noch ist. Ihr doch auch, oder? Bis dahin passiert eh nicht mehr viel, also können wir die paar Tage auch einfach überspringen. Gut, da bin ich wieder. Ist der 31.12, hab ich doch gesagt. Ratet mal, wo ich hier bin? Schöpferstrasse Nr. 27. Wo denn sonst. Mann, der Abrisstrupp war echt fleißig wenn man bedenkt, dass ja fast nur Feiertage zwischendurch waren. Die haben die ganzen Wände aufgerissen und die elektrischen Leitungen rausgezogen, auch in der Küche ist jetzt alles weg. Überall liegen Schuttteile rum. Klar, das Haus steht verdammt lange her und mit einem Parkplatz kann man einfach viel mehr anfangen. Die werden wahrscheinlich gleich am 2. Januar damit loslegen die Wände einzureißen und dann ist nichts mehr übrig. Scheiße, das sollte mich nicht traurig machen, ist ja schließlich das reinste Rattenloch hier. Aber, trotzdem, klar? Ist eben so. Ich geh die Treppe hoch in unser Zimmer. Das Fenster ist immer noch heil und ich werd bestimmt nicht derjenige sein, der es kaputt macht. Richy ist nicht hier. Wir haben keine Zeit ausgemacht, deswegen bin ich auch schon so früh hier. Nicht dass wir uns am Ende noch verpassen. Ich hab eine Decke mit und eine Isomatte und Berliner und Sekt. Ist immerhin Silvester, richtig? Eben. Was mach ich nur, wenn er nicht kommt? Wenn er sich vielleicht auch an gar nichts mehr erinnern kann, sowie Oma Biene und meine Eltern? Ist schon klar, dass wir kein Paar werden. Das hab ich in dem Moment gewusst, als ich begriffen hab, dass er eben nicht einfach nur ein süßer Typ ist, der mir Herzklopfen macht, sondern noch ein bisschen was anderes. Aber sehen will ich ihn trotzdem. Ich will sehen, dass es ihm gut geht, versteht ihr? Er hat mich immerhin gerettet, da will ich sicher sein, dass ich das auch geschafft hab. Kann ich euch ja erzählen, ihr versteht das schon. Ich hab im Internet rumgesucht, ob ich irgendwas über ihn finde. Ist nur so, dass Richard Becker eben nicht gerade ein Name ist wie, zum Beispiel, Leberecht Krassnitzki, oder so. Der war bei mir in der Grundschule, der hieß wirklich so. Aber Richard Becker? So heißen eben total viele. Also hab ich nichts gefunden. Gar nichts. Auch nicht in dem Zeitungsarchiv unserer Stadt, wo ich gestern gewesen bin. Ich hab mir die Zeitung der Weihnachtswoche 1965 rausgesucht und der Bibliothekarin erzählt, ich müsste was für ein Referat recherchieren. Stand nichts drin. Keine Story über einen neunzehnjährigen Schüler, der sich erhängt hat. Ich weiß also, dass es geklappt hat. Er hat sich damals nicht umgebracht. Aber ich weiß eben nicht, ob er das nicht später vielleicht doch getan hat, als er älter war. Ich weiß nicht, ob er es geschafft hat, glücklich zu sein. Und das will ich wissen. Muss ich einfach. Sonst kann ich nämlich auch nicht weiter machen. Ich kann Schritte auf der Treppe hören, ihr auch? Das kann einfach nur eine Person sein. Keiner vom Bautrupp der mir sagt, ich soll die Fliege machen weil ich hier nichts verloren habe und es gefährlich ist. Die Schritte kommen immer näher, total zielstrebig, direkt auf diese Tür zu. Seht ihr? Hab ich doch gesagt, ich bekomm eben immer, was ich will. Deswegen ist Richy jetzt auch hier und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Alt ist er, und ich find das wunderschön. Er hat weiße Haare, zumindest ein paar, keinen komischen Seitenscheitel mehr und sonderbare Klamotten. Ganz normal sieht er aus. Dieser süße Junge, in den ich mich so verliebt hab, der ist er nicht mehr, keine Frage, aber sein Lächeln, das ist noch das gleiche. „Ich war mir gar nicht sicher, ob du wirklich hier sein würdest.“, sagt er und auch seine Stimme, die ist genauso, wie ich sie vor ein paar Tagen zuletzt gehört habe. „Ich muss doch sehen, ob mit dir alles in Ordnung ist.“, antworte ich darauf; hab ich ja schon mal gesagt, stimmt ja auch. „Ja, mit mir ist alles in Ordnung.“, lacht er und, Mann, mir fällt ein Stein vom Herzen, der ist so riesig, der müsste eigentlich ein Loch in den Boden hier schlagen. Er setzt sich neben mich auf die Isomatte. Ist schon besser, dass ich die mitgebracht habe. Er friert jetzt ja auch, genau wie ich. Das tun Menschen nun mal, wenn es kalt ist. Wir essen Berliner und ich frage ihn ein Loch in den Bauch. Was er alles so gemacht hat halt. Er erzählt, dass er sich all die Jahre nicht sicher war, ob es mich wirklich gegeben hat, oder ob er das alles nur geträumt hat. Hat er nicht, ich sitz ja hier und das weiß er jetzt auch. Er ist wirklich von zu Hause abgehauen, am 26.12.1965. Ist allemal besser, als sein Leben damit zu beenden, dass man sich so einen beschissenen Strick um den Hals legt und dann tot ist. „Was hast du dann gemacht?“, will ich wissen. Außerdem will ich ihn anfassen. Kann ich gar nichts gegen machen. Auch wenn er über 60 ist, ich kann nicht anders. Ich streiche ihm also mit der Hand über das Gesicht und wir lachen beide. Er ist irgendwie immer noch süß. Er erzählt mir von seinem Freund, mit dem er jetzt schon über 30 Jahre zusammen ist. Könnt ihr euch das vorstellen? So lange mit ein und der selben Person zusammen zu sein? Also, ich schon, ehrlich. Das kann ich. Ich kann vielleicht echt nicht alles, weiß ich ja selbst, aber das eben schon. „Wenn die Dinge anders wären, als sie sind.“, fange ich an. „Aus uns hätte echt was werden können, oder?“ Meine Stimme ist ganz wackelig dabei, denn, machen wir uns nichts vor, ich hab hier gerade den derbsten Liebeskummer, den man sich nur vorstellen kann und würde am liebsten heulen. Ohne je wieder aufzuhören. Ich wünschte, wir hätten wenigstens ein bisschen mehr Zeit gehabt. Hätten wir auch, wenn ich nicht so beleidigt gewesen und früher zu ihm gegangen wäre, aber das kann ich eben nicht mehr ändern. Das nicht. „Ja, ganz sicher.“, sagt Richy. Aber in diesem Leben wird das nicht so sein. Vielleicht im nächsten, wenn wir Glück haben. Wir hatten drei fantastische Nächte, die müssen reichen. Ansonsten können wir Freunde sein. Sowas, wie wir miteinander erlebt haben, das geht eben nicht spurlos vorbei. Da bleibt was von zurück. Er lebt in Spanien. Er hat Bilder mit von seinem Haus da. Von dem Haus, das er zusammen mit seinem Freund hat und von dem auch. Ich finde, der sieht mir ähnlich. Richy findet das auch. Ich werde die beiden da ganz sicher mal besuchen, im Sommer wahrscheinlich, und wer weiß, vielleicht bring ich dann auch jemanden mit. Ich hab da schon so eine Idee, wen ich gerne hätte. Fängt mit D an und hört mit ennis auf, wenn ihr wisst, wen ich meine. Ich sag euch jetzt nämlich nochmal was. Ich find den schon `ne ganze Weile ziemlich klasse, nicht so wie Richy, das gibt es eben nur einmal im Leben, aber trotzdem. Und erst recht, weil er einer von denen war, die bei diesem Treff rein und erst nach zwei Stunden wieder rausgegangen ist. Ich weiß, ich hab da `ne Menge wieder gut zu machen und das werd ich auch versuchen. Wenn ich er wäre, ich würd mich mit dem Arsch nicht mehr ansehen, aber ist ja allgemein bekannt, dass ich immer kriege, was ich will, oder? Sag ich doch. Und damit fang ich nicht erst nach den Weihnachtsferien an, sondern gleich morgen. Ich geh einfach zu ihm hin und rede mit ihm, wird sich schon was finden lassen, über das wir sprechen können. Und wenn ich ihn erstmal dazu bekommen habe, dass ich ihn küssen darf, dann will der sowieso nichts anderes mehr. Könnt ich drauf wetten. Aber jetzt sitz ich hier mit Richy und wir lachen und reden und reden und reden. Seinen Freund hat er im Hotel gelassen, den werd ich aber in den nächsten Tagen auch noch kennen lernen. Diese Nacht hier, die gehört uns und niemandem sonst. Wir stoßen um zwölf an und es ist mir einfach egal, dass wir nicht zusammen sind und es auch nie sein werden. Ich küss ihn trotzdem. Könnt ihr euch das vorstellen? Fühlt sich genauso an wie ich mich dran erinner, aber es ist das letzte Mal, dass wir sowas machen. Ein Abschiedskuss. Mehr nicht. In diesen Kuss legen wir beide alles, was hätte sein können aber nicht ist. Das ist auch OK so, versteht ihr? Ich kann jetzt nämlich anfangen, mein Leben zu leben. Ich hab mir keinen Strick in echt um den Hals gelegt, aber symbolisch betrachtet schon. Den hab ich jetzt nicht mehr, deswegen geht es mir besser. Und dafür hat Richy gesorgt. Ich glaub, das weiß er auch. Dass er mich gerettet hat, mein ich. Der hat sowieso immer verstanden, was ich sagen wollte. Vielleicht kann Dennis das auch oder eben irgendein anderer niedlicher Kerl. Ich werd schon einen finden, da hat Richy auch keine Zweifel dran. Vielen Dank, dass ihr zugehört habt, das mein ich ehrlich. Ihr seid schon in Ordnung, keine Loser, auch wenn ich das ständig gesagt hab. Hab ich ja gar kein Recht zu, oder? Mach ich auch nicht mehr, versprochen. Und jetzt zischt ab, ich will noch ein paar Minuten mit dem Typen hier allein sein, verstanden? Das brauch ich einfach. Ciao, ihr Luschen, wir sehen uns! Ein beschissen geiles neues Jahr wünsch ich euch, klar? Klar! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)