Herren der Winde von june-flower ================================================================================ Kapitel 8: ... Ins Feuer ------------------------ Medusa Rah-Xjunta, Tochter des Rah-Ten, hatte trotz der recht bescheidenen Anzahl von Lebensjahren, die sie besaß, schon recht viel erlebt und mitangesehen. Mit vier Jahren, mit dem Tod ihrer Mutter, der Rah-Tea, hatte ihre unbeschwerte Kindheit geendet. Von da an war sie, weitab von ihrem Vater, von einer alten Amme aufgezogen worden, die bereits ihre Mutter erzogen hatte. Die Entfernung zu ihrem Vater war nicht räumlich groß. Die emotionale Distanz zwischen ihnen wuchs jedoch mit jedem Tag, den der Kaiser Xjuntas, einst Obsidian D’u Tral, seine Tochter ignorierte. Nach der Ermordung von Aragona Rah-Xjunta, Tochter des letzten Rah-Ten, hatte er sich in seinen Gemächern verschlossen und liess weder seine Berater noch seine Freunde und auch nicht seine Tochter hinein. Er aß wenig und wurde von Tag zu Tag blasser und dünner. Er wusch sich nicht, kämmte sich nicht, wechselte seine Kleidung nicht. Ohne seine Frau im Wahnsinn versinkend, nährte er den Hass gegen ihre Mörder und damit gegen die Mitglieder der Unterschicht der Stadt, die ihm anvertraut worden war. Natürlich gehörte nicht jeder Mensch des Untersten Volkes zu den Sandpiraten, die Aragona vergewaltigt und ermordet hatten. Aber die von Trauer und Hass verschleierten Augen Obsidians machten keinen Unterschied zwischen Schuld und Unschuld. Und als er nach Wochen des Grübeln wieder den Thronsaal betrat, war er ein anderer Mensch. Eine einzelne Träne lief Medusa die Wange hinunter und tropfte auf den Boden. Sie hatte es versucht, immer und immer wieder, hatte versucht, ein noch so kleines Stück ihres Vaters in der Person zu finden, die der Rah-Ten heute war. Es war umsonst gewesen. Das Einzige, was sie zustande gebracht hatte, war, dass sie noch mehr Menschen in ihren Kampf hineingezogen hatte. Nun waren noch mehr Menschen in Schwierigkeiten als vorher. Hinter ihr donnerten Schritte den Gang entlang, Stahl kratzte, als die Wächter ihre Schwerter zogen. „Ra-Cria! Was sucht Ihr hier unten? Tretet beiseite, diese Männer sind gefährlich!“ „Tut, was er sagt!“, hörte sie Zirkons flehende Stimme, als er versuchte, sie zu retten. Kameen sah sie beschwörend an. „Ihr kennt uns nicht, Prinzessin! Bringt Euch nicht in Gefahr!“ Die Wächter hatten sie fast erreicht. „Was ist, Ra-Cria? Bedrohen sie Euch? Sagt etwas!“ Medusa sah Kameen an, aber sie sprach zu allen Anwesenden. „Jetzt ist genug. Ich lasse euch nicht im Stich und rette mich!“ Stolz richtete sie sich auf und drehte sich zu den Wächtern. In ihren Augen funkelte der herrische Blick, der jeden Menschen wünschen liess, sie mochte sofort aufhören, ihn anzustarren. Die Wächter schraken zurück. „Das sind meine Freunde! Lasst sie frei!“, befahl Medusa herrisch. Verblüfft starrten die Wächter auf die „schwache“ Prinzessin vor ihnen, die es wagte, ihnen Befehle zu erteilen. „Wird’s bald? Lasst sie frei, ich befehle es euch!“ „Ra-Cria, wir haben die strikte Anweisung, niemand zu den Rebellen zu lassen. Kommt bitte mit uns.“ „Ich sagte, lasst sie frei!“ „Das wäre eine Zuwiderhandlung des Befehls des Kaisers. Bitte kommt nun.“ „Nein!“ Medusa klang fast hysterisch. „Ich gehe nicht!“ „Mylady...“ „Nein!“ „Medusa“, rief Zirkon, aber sie reagierte nicht. Das Einzige, was er erhielt, war eine Ohrfeige für seine Unverschämtheit, die Prinzessin mit ihrem Namen anzusprechen. Das brachte das Mädchen wieder zu sich. „Nein“, wiederholte sie, nun ruhiger. „Ich gehe nicht, bis ihr sie freigelassen habt. Es sind meine Freunde!“ Die Wächter warfen sich vielsagende Blicke zu. Dann trat einer vor und packte die Ra-Cria an der Schulter. „Mylady...“ „Fass mich nicht an!“ Medusa schlug seine Hand beiseite und ihre Fingernägel fuhren ihm über die Wange, hinterließen drei blutige Kratzspuren. Der Soldat holte aus. „Du kleine, hinterhältige...“ „Nein!“, rief Zirkon, aber er konnte nichts tun. Genauso wenig wie Kameen, Pyroxen und Spinell. Grimmig starrte Medusa den Wächter an. „Na? Schlag mich doch!“ „Du... Du...“ Wumm. Krachend traf eine Faust auf weiches Fleisch. Medusa, die die Augen unwillkürlich zusammengepreßt hatte, öffnete sie wieder, als der erwartete Schmerz ausblieb. Blinzelnd starrte sie ins Fackellicht. „Na, Prinzessin?“ *** „Ihr habt aber lange gebraucht“, beschwerte sich Medusa, während sie Zirkons geschwollenen Fuß mit einem langen Stoffstreifen bandagierte. Der liess die Behandlung ruhig über sich ergehen und gab keine Laut von sich, als ihre Hände über die Schwellung drifteten. „Gut so, Prinzessin“, sagte Kameen, der sie überwachte, während er Pyroxens Schulter vorsichtig massierte, um herauszufinden, ob sie wieder eingerenkt werden musste. An seine eigenen Schmerzen dachte er gar nicht. Um die Herren der Winde und die Ra-Cria herum standen, saßen, hockten oder knieten all Diejenigen, die gekommen waren, um ihre Anführer zu befreien und ihnen zu helfen. „Es hat eine Menge Überzeugungsarbeit gekostet“, sagte ein junger Mann entschuldigend und schielte zu einem der Älteren hinüber, der mit abweisender Miene und gekreuzten Armen an der Wand lehnte. Medusa hatte beide bereits gesehen: Es war dieser Mann gewesen, der sie in der Wirtsstube abgewiesen hatte, in dem er sagte, dass sie ihr Leben nicht für Kameen und die Anderen opfern konnten. Der Jüngere war auch dort gewesen, aber er hatte sich sehr im Hintergrund gehalten. Medusa kannte seinen Namen nicht. „Quarz“, sagte er lächelnd auf ihren fragenden Blick hin, und sie nickte erleichtert. „Danke, Quarz. Das wäre um ein Haar schief gegangen.“ Kameen legte ihm eine Hand auf den Arm. „Wir haben euch eine Menge zu verdanken. Wie können wir das je wieder gut machen?“ „Du und die Anderen, ihr hättet das Selbe auch für uns getan.“ Verlegen blickte der junge Mann auf den Boden. „So, so...“, murmelte Spinell. „Bist du etwa anderer Meinung?“, fauchte Pyroxen ihn gereizt an und stöhnte auf. „Kameen, was machst du da?“ „Ich bringe deine Schulter wieder in Ordnung, du Jammerlappen! Sieh dir Zirkon an, er wird verarztet und gibt keinen Ton von sich!“ Der Braunhaarige grummelte. „Er wird ja auch von der Ra-Cria versorgt... Nicht der Rede wert.“ „Was meintest du, Spinell?“, fragte Kameen. „Ich frage mich nur, ob wir hier noch ewig sitzen bleiben wollen oder ob wir uns jetzt aufrappeln und noch etwas tun? Wo wir schon mal hier sind.“ „Hier?“ „Im Palast?“ „Ach ja...“ Kameen sah in die Ferne. „Nun, eigentlich heiße ich es nicht gut, jetzt beim Rah-Ten hineinzuspazieren... Wir sind geschwächt. Und es könnte falsch verstanden werden.“ „Was soll da falsch verstanden werden? Wir wollen ihn stürzen! Da gibt es nichts zu ver...“ Medusa unterbrach die Tirade des alten Mannes, der sich von der Mauer abgestoßen hatte. „Ich stimme Kameen zu. Es wäre sogar sehr dumm, das nun zu tun, denn heute ist die alljährliche Große Ratsversammlung des Rates von Xjunta. Das bedeutet, selbst die Ratsabgeordneten der Mittleren Familien sind heute hier und können mit dem Kaiser sprechen.“ „Die Mittleren Familien?“ Dann war sein Vater da.... Kameens Herz machte einen Sprung. Bei dem selben Gedanken verzog sich Spinells Herz schmerzhaft. Pyroxen durchschnitt die allgemeinen Vater-Gedanken mit seiner Stimme. „Also weg hier, bevor sie uns bemerken – ich bin nicht scharf drauf, in eine Gruppe Menschen zu platzen, die uns hasst und die das Kommando über noch mehr Menschen haben, die uns noch mehr hassen. Vor allen Dingen unvorbereitet.“ „Aber die meisten Leute hassen uns nicht!“, widersprach Zirkon. „Spielt keine Rolle“, sagte Kameen und renkte mit einem Ruck Pyroxens Schulter wieder ein. „Willst du mich umbringen?!“, fuhr der ihn an, wurde aber nicht beachtet. Medusa zog Zirkon hoch, bevor der Einwand erheben konnte. „Wir müssen raus. Wir haben zu viel Zeit vertrödelt!“ „Das ist doch hirnverbrannt!“ Der alte, sture Mann, der bisher geschwiegen hatte, sprang auf. „Jetzt, wo wir schon mal hier sind, sollten wir auch gleich da reingehen und den Rah-Ten ein für alle Mal beseitigen!“ Eisige Stille fiel über das Kellergewölbe. Das war es wieder, dachte Kameen. Die Leute erkannten nicht, was die beste Vorgehensweise für die jeweilige Situation war. Nun, da sie dachten, sie wären Helden, weil sie unbemerkt in den Palast eingedrungen waren, wollten sie noch weiter gehen. Alle Vernunft wurde beiseite gelassen, um das zu erreichen, was sie sich schon lange wünschten: Gerechtigkeit. Aber was nützte die, wenn sie alle in ihrem eigenen Blut lagen? Konnten sie nicht sehen, dass Strategie und Planung wichtig war und nicht blindwütiger Hass? Entsetzt über eben diesen Hass in der Stimme des Sprechers begannen alle Rebellen zu flüstern und zu tuscheln. Die Idee war ja nicht grundlegend schlecht... Sie waren im Vorteil, hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite... Und wenn sie nun mit dem Rah-Ten aufräumten, war das Problem ein für alle mal beseitigt... Medusa wollte auffahren, aber Zirkon legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. Sie drehte sich fragend zu ihm um, und er zeigte mit dem Kopf auf Kameen. Der würde das schon regeln. Kameen D’un Jatcha hatte schweigend und ohne die geringste Regung der Konversation zugehört. Niemand hätte anhand seines Gesichtes erraten können, was er dachte, als er nun vortrat. „Gut, dann schleichen wir uns bis zum Ratszimmer vor, klopfen an, überraschen die Wächter und töten den Rah-Ten und die meisten Ratsabgeordneten schnell, bevor sie sich wehren können.“ Medusa blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Zirkon und Pyroxen lächelten, Spinell schaute weiterhin kalt und gleichgültig. „Ja!“, riefen die Rebellen tatendurstig. „Lasst uns das machen!“ Kameen bedachte sie mit einem eisigen Blick und alle Worte gefroren in ihren Mündern. „Und lassen uns unbewaffnet von den bewaffneten Wächtern abschlachten, die in der Überzahl sind, die ein spezielles Training genossen haben. Die anderen werden gefangen genommen und zu Tode gefoltert. Unsere Familien werden ohne uns verhungern und wir treffen uns alle im nächsten Leben und beginnen das ganze erbärmliche Dasein von vorne.“ Entgeistert starrten die Rebellen ihn an. Niemandem fiel auch nur etwas ein, das im Entferntesten gepasst hätte. „Denn das ist es, worauf ihr es anlegt! Selbstmord! In diesem Palast sind viele Truppen stationiert, und ein Wächter kommt auf vier von uns! Sie kennen die Umgebung, alle Schleichwege, Abkürzungen und Geheimgänge. Sie kennen ihre Waffen, ihre Strategien und ihre Kampfgefährten! Glaubt ihr, dass ihr mit den zwei oder drei Stunden Nahkampftraining auch nur im Entferntesten an sie heranreicht? Glaubt ihr, ihr könnt euren Eltern, Frauen, Kindern und Geschwistern helfen, in dem ihr im Gefängnis landet? Glaubt ihr das im Ernst?“ Betroffene Stille. „Bravo“, sagte Spinell, und zum ersten Mal ohne jeden Spott in der Stimme. „Gut gesagt, Kameen. Wir sind nicht hier, um Selbstmord zu begehen.“ „Aber wir müssen doch etwas unternehmen“, sagte Quarz verzweifelt. „Es kann nicht ewig so weitergehen. Zuschlagen und wieder verschwinden. Sich verstecken, das hält mit der Dauer niemand aus!“ Zirkon nickte ihm beruhigend zu. „Keine Angst, deine Zeit wird schon noch kommen, schneller, als du es vielleicht wirklich möchtest. Nur ist jetzt nicht der richtige Augenblick.“ Er wandte sich an Medusa. „Wie kommen wir am Besten hier raus?“ Die Prinzessin, die den Palast kannte wie ihre eigenen Rockfalten, zögerte keinen Augenblick. „Am besten wäre es durch den Geheimgang in der Empfangshalle. Er endet dicht vor den Palastmauern. In der Halle sollten keine Wächter sein, aber eventuell davor. Und...“ Sie zögerte. „Ja?“ „Um dort hinzukommen, müssen wir durch den Innenhof. Und der Empfangssaal liegt direkt vor dem Ratssaal, in dem die Abgeordneten nun tagen. Es ist gefährlich.“ „Gibt es einen anderen Weg?“ Nachdrücklich schüttelte das Mädchen den Kopf. „Nicht, wenn ihr nicht durch das Haupttor marschieren wollt. Oder durch die Küche, so seit ihr doch hereingekommen, oder?“ Quarz nickte stellvertretend für alle Rebellen. „Nun, ihr hattet wirklich Glück, dass die Köche eine Pause machen, bevor sie mit den Vorbereitungen für das Festmahl heute Abend beginnen. Ein paar Minuten später, und ihr wärt entdeckt worden, vermute ich.“ „Woher sollen wir wissen, dass Ihr die Wahrheit sagt? Ihr könntet genauso gut...“ Es war wieder der alte Mann, der an jedem Plan etwas auszusetzen hatte. Aber als Kameen ihn ansah, verstummte er, atmete tief durch und gab nach. „Also gut. Wenn Ihr es sagt, Prinzessin, und ihr...“ – er nickte den vier Herren der Winde zu – „Dann werden wir eben alle verschwinden, als wären wir nie dagewesen.“ Er hob einen Finger. „Was jedoch nicht heißt, dass wir nicht eines Tages mit Sicherheit zurückkommen werden, um den Kopf des Rah-Ten zu holen.“ Die Menschen um ihn herum murmelten zustimmend. *** Auf den Treppen im Schloss war alles ruhig. Die Rebellen schlichen aus dem Keller über eine breite Treppe hinauf bis in die dunklen, langen Flure der Palastes. Kein Lüftchen rührte sich. „Wo sind die alle?“, flüsterte Zirkon Medusa zu, und sie hauchte zurück: „Die Große Ratsversammlung ist ein großes Ereignis. Alle Diener arbeiten entweder in der Küche oder sind anderweitig beschäftigt.“ Vier Wächter blieben zurück, gefesselt und geknebelt und in der hintersten, schallgedämpftesten Ecke des Kerkers. Medusa hatte nicht zulassen können, dass sie noch ein zweites Mal K.O. geschlagen wurden. Kameen atmete erleichtert auf, als sie die Flure erreichten, aber er blieb angespannt. Von der Prinzessin geführt, schlichen sie durch die Korridore, am Ende Kameen, Zirkon, Spinell und Pyroxen, die den „Rückzug deckten“. Vor einer Ecke blieb die Ra-Cria stehen und spähte hinaus. „Da ist niemand“, sagten Sekunden später ihre Hände zu Spinell und den Anderen. Die waren verblüfft. Keine Wächter vor der Tür zur Empfangshalle? Wenn das nicht verdächtig roch! Aber ihnen blieb keine Wahl. „Geht!“, signalisierte Kameen. Medusa ging, bevor Zirkon Protest einlegen konnte. Die große Tür öffnete sich mit einem leisen Knarren, und erschrocken hielten sie an. Aber nichts rührte sich. Auch in der großen Halle befand sich niemand. Alle hielten den Atem an, als die Prinzessin hoch aufgerichtet und sicheren Schrittes die Empfangshalle durchquerte. Sie schaute lediglich einmal nach Rechts und links, bevor sie auf einen antiken Wandteppich zuhielt und davor Halt machte. „Hier ist es!“ Als sie den Teppich beiseite zog, kam ein niedriger Gang hinter einer kleinen Tür zum Vorschein. „Kommt!“, winkte sie den Rebellen, doch die wandten sich nervös an die Herren der Winde. Erst, als Kameen ihnen bedeutete, der Aufforderung zu folgen, kamen sie ihr nach und schlichen durch den Saal. Atemlos hielten die Vier Freunde an der Tür Wache. Sie hatten ein schlechtes Gefühl, was diese Flicht betraf... Warum zeigte sich kein einziger Wächter? So wahr sie hier standen... Was war hier los? Die kleine Geheimtür war so eng, dass nur eine Person auf einmal hindurch passte. Ungeduldig stand Medusa daneben und unterdrückte mit Mühe den Wunsch, einige besonders langsame Männer mit einem kräftigen Fußtritt hineinzubefördern... Je länger sie brauchten, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass Kameen und der Rest entdeckt wurde. Sie teilte die Sorge um die fehlenden Wächter mit ihren Freunden, kam aber nicht umhin, die Ironie der Situation zu geniessen. Da machte man sich Sorgen, wie man unbemerkt in den Palast eindringen konnte... Und nun, wo sie drin waren, kannten sie nichts schöneres als sofort wieder zu entschwinden! Nervös biss sie sich auf die Unterlippe. „Beeilung!“ Es geschah, als der letzte Rebell durch die Pforte geschlüpft war und die Herren der Winde Anstalten machten, selbst zu folgen. Ein geflüsterter Fluch von Pyroxen wurde gefolgt von Zirkons panischer Warnung „Schnell, verschwinde!“, Spinells blitzschneller Reaktion, in der er seine Freunde hochzog und aus der Tür schob und Kameens ruhigem Gesicht, was das letzte war, was die Prinzessin von ihnen sah. Dann schloss sich die große Tür zum Empfangssaal mit einem dumpfen, alles-erschütterndem Knall. *** Anthrazit Vega-Ban war abgelenkt, und das ärgerte ihn. Die wichtigste Ratsversammlung des gesamten Jahres – und seine Gedanken wanderten auf Bahnen, die weder mit Regierung noch mit Politik etwas auch nur im Entferntesten gemein hatten. Ihm gegenüber am Tisch saß das Oberhaupt der mittleren Familie D’un Jatcha, an dessen Vornamen sich Anthrazit gerade nicht erinnern konnte, und spielte abwesend mit seinem Stift. Nun – wenigstens war er nicht der Einzige, der mit dem Thema gerade nichts anfangen konnte. So abgelenkt, wie D’un Jatcha aussah, so fühlte sich das Oberhaupt von Vega-Ban. Gerade sprach der Abgeordnete des Obersten Hauses Spica-Ban, bis der Herr von Sirius-Ban ihm ungestüm ins Wort fiel. Spinells Vater fühlte mit dem Mann aus Spica-Bazaar, sie beide waren im Rat der Obersten Vier vermutlich die, die am wenigsten an Geld dachten und deren Handlungen am wenigsten durch die Gier nach Macht bestimmt wurde. Anthrazit wusste: Macht, die man sich mit Geld sicherte, hielt nur so lange, wie auch das Geld hielt, und das war erfahrungsgemäß nicht lange. Wenn er all diese Leute nur davon würde überzeugen können, dass eine Neuwahl des Rah-Ten dringend notwendig war... Er gestand es sich nicht ein, dass er sich um die Menschen der Stadt sorgte. So etwas passte weder zu ihm noch zu seinem Image. Aber erhielt sich krampfhaft an dem Wissen fest, dass es sowohl innen- als auch außenpolitisch gute Gründe gab, für die er sich für einen Wechsel an der Spitze der Stadt stark machen konnte. Die Abgeordneten von Spica-Ban und Sirius-Ban stritten sich noch immer, wobei Spica-Ban ihn um Hilfe flehend ansah. Schon öffnete er den Mund, um etwas zu sagen... „SCHLUSS!“, brüllte der Rah-Ten und hieb mit der Faust auf den Tisch, dass die Weinkelche hüpften. „Ich höre mir das nicht länger an! Ich entscheide, wie die Wächter eingesetzt werden, Schluss aus! Ich habe nicht vor...“ Das Öffnen der großen Türflügel unterbrach seine Zornesrede. Die Wächter hätten keinen besseren Zeitpunkt wählen können, vier gefesselte Herren der Winde in den großen Ratssaal zu führen, die, gefolgt von der einer fassungslosen – oder wütenden? – Ra-Cria eintraten, die Hände fest auf den Rücken gebunden. Das Oberhaupt der Familie D’un Jatcha sprang auf, Anthrazit hingegen blieb beim Anblick seines Sohnes wie erstarrt sitzen. Abgesehen davon jedoch, dass sie gefesselt waren, zeigte keiner der vier Männer eine Regung. Und keiner von ihnen sah geschlagen aus angesichts des misslungenen Fluchtversuchs. Und diese unverhohlene Weigerung, eine Niederlage einzugestehen, welche die Männer zeigten, zusammen mit dem Wissen, dass sie gerade versucht hatten, aus seinem Kerker zu fliehen und es ihnen beinahe gelungen war, zusammen mit dem offensichtlichen Beweis der Unfähigkeit seiner Wächter sowie ihrer Information „Eure Erhabenheit – diese Vier Verbrecher haben versucht, aus Eurem Kerker zu fliehen und in Eure Gemächer einzudringen. Wir konnten sie erst vor dem Ratssaal stoppen.“ – All dies trieb den Kaiser zur Weißglut. Aber als ein Rebell vortrat, der offensichtlich ihr Anführer war, ihn direkt ansah, eine kleine Verbeugung machte und schließlich respektvoll sagte: „Eure Majestät. Ich hatte nicht gehofft, so schnell vorgelassen zu werden, aber da ich schon einmal hier bin – würdet ihr mir das Recht gestatten, angehört zu werden?“ Als der Rah-Ten dies hörte, platzte ihm vollends der Kragen. Und Anthrazit, der gewiefte Politiker, der durch eine gut plazierte Heirat der zweitmächtigste Mann der gesamten Stadt geworden war, Anthrazit, den nichts mehr erschrecken, überraschen und schockieren konnte, Anthrazit, der so klug in diplomatischen Fragen war und der so viel gehört und gesehen hatte und jedes Mal ruhig geblieben war, Anthrazit dachte: Bravo. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)