Einer dieser Montage von Elster (Torchwood) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Montags geht die Welt nicht unter. Nicht von Cardiff aus jedenfalls. Wenn du Montagnacht gegen vier in dein Bett fällst – du hast gerade noch die Energie, deine Schuhe auszuziehen, der Wecker klingelt in zwei Stunden und dann hast du noch die ganze Woche vor dir – wünschst du dir vielleicht, die Welt wäre untergegangen, aber sie tut es nicht. Nicht montags. Wenn sie ernsthaft versucht unterzugehen, dann donnerstags. Canary Wharf wurde an einem Donnerstag zerstört. Abbadon wurde an einem Donnerstag befreit. Der Meteorit, der die Dinosaurier auslöschte, tat das wahrscheinlich an einem Donnerstag. Gefährlicher als Donnerstage ist nur Weihnachten. Montage sind ein völlig anderes Kapitel. Keine Bedrohung für den Planeten oder Teile davon, was sie aber keineswegs einfacher macht. Montage – und das weiß jeder oder ahnt es zumindest, in einem abergläubischen Winkel seines Geistes, den er ignoriert, so gut es geht – haben es darauf abgesehen, so widerlich und anstrengend zu sein, wie nur irgend möglich. Im normalen Leben kann man es übergehen. Da ist es die leere Zahnpastatube, für die man vergessen hat, Ersatz zu besorgen, der verspätete Bus, der Kopierer, der sich wieder einmal weigert, das Papier so einzuziehen, dass es gerade bedruckt wird, oder die Lieblingskaffeetasse, deren Henkel abbricht. Bei Torchwood sind es sexbesessene Aliens, Seelen raubende Zirkusleute und kannibalische Dorfbewohner. Um nur die absoluten Highlights zu nennen. Nicht jeden Montag, so wie auch nicht jeden Donnerstag ein Weltuntergang ansteht. Es gibt Wochen – manchmal Monate – in denen nichts passiert, abgesehen von ein paar verirrten intergalaktischen Touristen, dem ein oder anderen Weevil und einer Kiste voll Weltraumschrott, die die Rift in recht gleich bleibenden, trägen Intervallen ausspuckt. Diese Montage sind falsche Freunde, die Guten Cops, nur dazu da, dich in Sicherheit zu wiegen und dich in den Wahnsinn zu treiben. Und genau aus diesem Grund – um nicht als paranoides Bündel zu enden, das sich Sonntagnachts in seine Wohnung einschließt und murmelnd in einer dunklen Zimmerecke vor- und zurückwippt, bis es Dienstag wird – verdrängst du alles, was du über die Montage weißt, bis sie vorbei sind. Du tust es als Aberglauben ab, redest dir ein, dass die Zahnpasta gestern Abend alle geworden ist, dass der Berufsverkehr immer so schrecklich, der Kopierer auch dienstags zickig ist, dass die Tasse schon immer einen Sprung hatte. Du wiegst dich also in Sicherheit und es ist gerade genug Konsistenz in dem Prinzip, dass du, wenn Alarm geschlagen wird, diesen kurzen Moment der Klarsicht hast, dieses Déjà-vu, und du erinnerst dich, wie du heute morgen aufgewacht bist, widerwillig, mit einem kraftlosen Fluch auf den Lippen und dem Wort „Montag“ in deinem Kopf und wie du es einfach wusstest. Wie du einfach wusstest, dass heute wieder einer dieser Montage ist. ~*~ Es ist einer dieser Montage. Für einen wachsamen Moment ist es ganz klar. Ich kann es spüren, im Geräusch des Weckers, in der Intensität des Lichtes, die ein klein wenig anders sind, in dem unangenehmen Ziehen im Nacken, weil das Kissen in der Nacht aus dem Bett gefallen ist. Und wenn das zu vage ist, ist da immer noch die weniger subtile Tatsache, dass im Radio „Losing Lisa“ läuft – ein Song, der in all seiner widerwärtig unschuldigen Beatmusik-Fröhlichkeit todsicher an einem Montag geschrieben wurde. Die folgerichtige Reaktion ist natürlich, den Wecker und das Radio gleich mit auszuschalten, sich stöhnend auf die Seite zu drehen, das Kissen von Boden zu angeln, um es sich über den Kopf zu halten und fünf Minuten lang mit dem Leben zu hadern. Aber dann siegt die Resignation oder der Fatalismus oder der Überlebenswille – eines von den dreien muss es sein, aber es ist rational nicht zu erklären, warum man sich das antut – und ich vergesse diesen Moment der Warnung. Es ist ein bewusstes, wohl kalkuliertes Vergessen, ein gut geübter Taschenspielertrick für jemanden, der sich selbst nicht in die Karten sehen will. Dieser Moment ist die Klinge, die jemand vor dir auf den Tisch legt, eine Einschüchterung und eine Ablenkung. Wenn du eine Chance haben willst, irgendetwas zu tun, denkst du nicht darüber nach. Also stehe ich auf, in der Illusion, dass dieser Morgen wie jeder Morgen ist. Erst beim Rasieren fällt mir auf, dass das Radio aus ist und wenn mich jemand nach dem Wochentag fragen würde, müsste ich tatsächlich darüber nachdenken. Die Fahrt zur Arbeit verläuft normal, aber als ich auf die Touristeninformation zukomme, steht da vor der Tür Tallula. Sie ist ein unscheinbares Mädchen von vierzehn Jahren und sie kommt seit einigen Wochen mit erstaunlicher Beharrlichkeit zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten hierher. Vermutlich könnte sie inzwischen im Alleingang Führungen durch Cardiff veranstalten. Sie hat dünne blonde Haare, die sie sich alle paar Minuten hinter die Ohren streicht, wenn sie nervös ist. Und sie ist meistens nervös. Ich gebe vor, ihr ihr brennendes Interesse für die Geschichte der Stadt abzunehmen, weil man Kindern mit einem solchen Namen helfen muss, wo man kann, und mir noch keine anständige Methode eingefallen ist, ihr Interesse zu zerstreuen. Ihr jedes Mal, wenn sie mir mal wieder erfolgreich auflauert, einen Tee anzubieten und mit ihr über Sehenswürdigkeiten zu sprechen, ist ganz sicher die falsche Taktik, aber mein Leben ist schon deprimierend genug, ohne dass ich einem Mädchen namens Tallula das Herz breche. Sie hat es weiß Gott schwer genug. Jack findet das Ganze urkomisch und hat seine Hilfe angeboten, aber Jack ist auch der Meinung, dass Pornographie für Teenager leichter zugänglich gemacht werden müsse, da sie „gerade in diesem Alter sehr lehrreich“ wäre. Das beantwortet zwar viele Fragen über die Abgründe seiner Erziehung, hilft mir aber kein Stück weiter. Das Problem wird also vertagt und da es heikel wäre, vor ihren Augen durch eine geheime Tür in der Wand zu verschwinden, muss ich abwarten, bis Tallula zur Schule muss, und mich damit begnügen der Kamera ab und zu mitleidige Blicke zuzuwerfen, um Jack bei Laune zu halten. Man sollte meinen, der Mann wäre in Notfällen wie diesen in der Lage, sich seinen Kaffee selbst zu machen – ich finde die Vorstellung lächerlich, dass ein Koffeinjunkie wie er in den letzten anderthalb Jahrhunderten nie in die Verlegenheit gekommen sein soll – aber entweder ist er einfach stur (sehr wahrscheinlich) oder er glaubt allen Ernstes, die Kaffeemaschine hätte etwas gegen ihn (nicht ganz auszuschließen und zudem amüsant). Nachdem mein ungeladener Besuch gegangen ist, hänge ich das „Zurück in 30 Minuten“-Schild an die Tür (es wird sich da im Laufe des Tages abwechseln mit den Schildern „Mittagspause“, „Führung in zwei Stunden“, „Führung fällt aus wegen (Unleserlich)“ und „Geschlossen“; es ist das perfekte System). Aber als ich in den Hub komme, ist er leer. Auf Jacks Schreibtisch liegt ein Zettel: „Spike in Splott, wenn nicht bis 8 zurück, schick Team - CJH“, in seiner seltsam altmodischen, sorgfältigen Handschrift (so als wäre ihm dieses Alphabet selbst nach all der Zeit noch nicht ganz in Fleisch und Blut übergegangen). Es ist immer Splott. Das gibt mir Zeit, Myfanwy zu füttern, die morgens mindestens so ungeduldig auf ihr Futter wartet, wie Jack auf seinen Kaffee. Sie sitzt auf einer der Deckenstreben und sieht missbilligend zu mir herunter. Verstohlene Blicke, denn offiziell ignoriert sie mich gerade. Sie muss ein exzellentes Zeitgefühl haben, denn sie versäumt es nie, angemessen beleidigt zu sein, wenn man sie auch nur eine Viertelstunde später füttert als gewöhnlich. Jetzt ist es sogar etwas über einer halben Stunde und sie lässt sich erst dreimal rufen, ehe sie sich betont desinteressiert von dem Stahlträger fallen lässt und dann vorwurfsvoll zwei Schleifen durch den Hub segelt, bevor sie – ganz zufällig – viel zu nahe vor mir landet. Als sie sich dann widerstrebend dazu herablässt, meine Existenz anzuerkennen, klappert sie abfällig mit dem Schnabel, als wolle sie sagen „Das ist jetzt besser besonders gutes Futter…“ Gegen einen Pterodactylus sind Katzen anspruchslose, wohlwollende und verzeihende Geschöpfe. Myfanwy lässt sich zum Glück leicht bestechen. Schokolade ist ihre Schwachstelle. Minzschokolade. Eine halbe Tafel und sie ist durchaus in der Laune, sich die in Barbecuesoße eingelegten Fischköpfe in den Schnabel werfen zu lassen. Was sich eklig anhört, der unmittelbaren Umgebung aber weniger Schaden zufügt, als ein Pterodactylus, der sich selbst bedient und die Fischköpfe mit Schwung (und triefendem Schnabel) in die Luft wirft, um sie dann aufzufangen. Sie hockt vor mir, den Schnabel geöffnet, den Blick fest auf den Eimer geheftet und wartet ungeduldig auf den nächsten Happen. Sie macht leise heulende Geräusche, die an ein Gurren erinnern, wenn man sich zuviel Zeit lässt. „Warum benimmt sie sich bei mir nie so?“ Ich sehe mich nach Jack um. Er steht am Eingang, ans Gitter gelehnt. Ich bin nicht überrascht, es ist schwer zu überhören, wenn sich diese Tür öffnet. „Du lässt ihr zuviel durchgehen“, sage ich leichthin, während ich mich beeile, Myfanwy den Rest des Futters zu geben. Jack sieht amüsiert aus. Vielleicht weil er es genießt, ein schlechter Einfluss zu sein. „Du findest, dass ich sie verwöhne?“, fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen. „Sie ist dein Dinosaurier“, sage ich indifferent, „mir reicht es, wenn ich beim Füttern meine Hände behalte.“ Ich zeige Myfanwy den leeren Eimer, streichle ihr einmal über den Schnabel und gehe zum Waschbecken im Autopsieraum, um den Eimer auszuspülen und mir die Hände zu waschen. „Kaffee?“, frage ich Jack über die Schulter. „Ich dachte schon, du würdest nie fragen“, seufzt er erleichtert und folgt mir, als ich zur Kaffeemaschine gehe. „Was war in Splott?“ Mit einem Grinsen stellt Jack den Container, den er mitgebracht hat, vor mir auf die Kaffeemaschine. „Ein Riftspike. Laut Zeugen ist ein ganzer Schwarm von denen hier durchgekommen.“ Durch das Plexiglas ist ein Insekt zu erkennen. Oder Insektoid, man weiß nie. Acht daumengroße, fein geäderte Libellenflügel an einem schlanken, blau geschuppten Körper. Rötlich schwarze Facettenaugen, zwei Paar lange, geschwungene Fühler, keine Beine. Es sieht mitgenommen aus und liegt still auf dem Boden des Gefäßes, aber die Fühler bewegen sich leicht und die Adern auf den Flügeln leuchten schwach in einem pulsierenden Azurblau. Es ist ausgesprochen schön. „Was ist das?“, frage ich, während ich das Tier fasziniert betrachte. Ich kann spüren, wie Jack hinter mir die Schultern zuckt. Man kann sich nie ganz sicher sein, dass es Absicht ist; er steht prinzipiell näher als angemessen. Andererseits ist es Jack und damit wahrscheinlich prinzipiell Absicht. „Ich tippe auf außerirdisch“, sagt er sehr dicht an meinem Ohr. „Oder vielleicht sehen so unsere Insekten in ein paar Millionen Jahren aus…“ Jacks Wissen um Außerirdische beschränkt sich fast ausschließlich auf Humanoide – im weitesten Sinne des Wortes. Es ist einer dieser Fakten, über die man besser nicht zuviel nachdenkt. „Oh Gott, Harkness, nicht schon so früh am Morgen!“ stöhnt Owen anstelle einer Begrüßung. Er ist, falls überhaupt möglich, montags noch schwieriger als den Rest der Woche über. Es ist eines dieser kleinen Extras, das Montage für einen bereithalten. Er bricht auf der Couch zusammen und wirft uns missmutige Blicke zu. Jack ist wie immer immens amüsiert, aber er tritt tatsächlich zwei Schritte zurück und greift nach dem Container. „Owen, ich habe etwas für dich!“ Er schwenkt das Insekt durch die Luft und überhört Owens Ächzen angesichts der Arbeit. „Von denen hier sind vor knapp zwei Stunden an die Hundert in Splott angekommen. Der hier ist gegen eine Schaufensterscheibe geflogen.“ Der Kaffee ist fertig und Jack bekommt die erste Tasse, woraufhin er sich auf den Weg zu Owen macht. „Ich will vor allem wissen, ob sie giftig sind oder sonst in irgendeiner Weise für Menschen gefährlich“, fährt er fort. Ich folge ihm mit Owens Tasse, die ich neben dessen Fuß auf den Tisch stelle. „Es ist Montag, natürlich sind sie giftig“, merke ich an. Owen grunzt zustimmend in seinen Kaffee und Jack wirft mir einen seiner undeutbaren Blicke zu. „Owen, du untersuchst sie. Ich versuche ihrer Energiespur am Computer zu folgen. Ianto, schick mir Tosh, sobald sie hier ist, Gwen soll sich in Krankenhäusern und bei der Polizei erkundigen, ob Menschen angegriffen wurden. Such in den Archiven nach ähnlichen Vorkommnissen.“ Er ist schon fast in seinem Büro, dreht sich in der Tür aber noch mal um. „Oh, und denk dir einen Namen für sie aus.“ Das ist leicht. Ich werfe dem seltsamen Tier einen Blick zu und lächle. „Glintgnat.“ ~*~ Eine knappe Stunde später bin ich mit Jack und Toshiko auf dem Weg zum Bute Park, wo der Schwarm sich seit einer halben Stunde aufhält. Owen und Gwen fahren die Krankenhäuser ab, um Anweisungen und Rationen von F-45 abzugeben, einer Art Alien-Cortison, dass Owen zusammengebraut hat. Bisher sind grob geschätzt zweihundertfünfzig Menschen von einem der Insekten angegriffen worden. Der Tag beginnt vielversprechend. Wie sich herausstellte, gehören unsere blauen Freunde nicht zur friedlichen Sorte – nicht dass das übermäßig überraschen würde. Sie scheinen außerdem recht intelligent zu sein. Sobald Owen den Container öffnete, hörte das eingesperrte Tier auf sich tot zu stellen und griff an. Sie tun das, indem sie sich mit dem ganzen Unterkörper an die Haut kletten. Sie fahren hunderte kleiner Widerhaken aus und saugen Blut. Das Ganze fühlt sich ausgesprochen unangenehm an und hinterlässt einen Handtellergroßen blauen Fleck rund um eine flache offene Wunde, wenn man die Tiere abreißt. Es ist schwer zu entscheiden, ob der Schmerz durch die Muskelkrämpfe oder das Jucken schlimmer ist. Aber die Qual, Owen nicht töten zu dürfen, wenn er dir F-45 spritzt und sich beschwert, dass du sein Testobjekt getötet hast, belegt einen sicheren dritten Platz. Bute Park. Toshiko und ich haben Schutzkleidung angezogen und stapfen durch den Park wie Camouflage gefärbte Imker. Jack ist zu heroisch dafür. Sein einziges Zugeständnis an die Situation (und seine Eitelkeit) ist eine Art Fechtermaske, die er allerdings noch nicht aufgesetzt hat. Wir entdecken den Schwarm schließlich nur mithilfe der Scanner. Die Glintgnats schweben als eine schimmernde Wolke über dem glitzernden Fluss. Gegen den blauen Himmel sind sie kaum auszumachen. Natürlich ist der walisische Himmel gerade heute strahlend blau. Wir stehen unschlüssig vor dem Fluss, während um uns herum von der Polizei der Park abgesperrt wird. Das Problem ist offensichtlich. Wir haben staubsaugerartige Geräte, die eigentlich für Bienen gedacht sind, aber solange sich der Schwarm über dem Wasser aufhält, kommen wir nicht nahe genug heran. „Irgendwelche Ideen?“, fragt Jack schließlich. „Wir haben ein Schlauchboot im SUV.“ Noch während ich es sage, habe ich eine Vision davon, wie wir in unseren Imkeranzügen auf dem Schlauchboot herumschwanken und versuchen, die Glintgnats einzusaugen. „Oder eher nicht“, füge ich auf Toshikos zweifelnden Blick hin hinzu. „Was machen sie da überhaupt?“, fragt Tosh nach einer Weile. Es stimmt. Sie greifen niemanden an und der Schwarm bewegt sich nicht von der Stelle. Er wabert nur vage hin und her über dem Fluss, die Wolke aus schillernden blauen Körpern schwillt an und ab. Es kann täuschen gegen den blauen Himmel, aber die Tiere scheinen zu blinken. Es ist meist sehr leicht, solche Rätsel zu lösen, indem man einfach das Schlimmstmögliche annimmt. Ich drehe mich zu ihr und Jack um und sehe an ihren Blicken, dass sie zum gleichen Schluss gekommen sind, wie ich: „Sie paaren sich.“ Jack ruft die Feuerwehr und veranlasst, dass der Schwarm mit Wasserwerfern zerschlagen wird. Es wirkt anfangs wie eine gute Idee, weil es die Gefahr einer Vermehrung der Glintgnats verkleinert, aber es macht sie alles andere als glücklich: Der Schwarm verteilt sich in alle Himmelsrichtungen und die gestörten Insekten sind ausgesprochen aggressiv. Es gelingt uns, einzelne Tiere einzusaugen, aber das Gros von ihnen verteilt sich in kleineren Gruppen über die Stadt. Und das ist er: dieser Moment, in dem du einfach weißt, dass es einer dieser Montage ist. ~*~ Es fängt an zu dämmern, als wir zurück zum Hub fahren, weil Sauger und Container voll sind. Es würde helfen, wenn wir genau wüssten, wie viele Glintgnats durch die Rift gekommen sind, aber die Augenzeugenberichte aus Splott widersprechen sich. Einer der Anwohner erklärt gerade im Radio, dass es "Tausende Tiere" waren, die "auf dem Laserbeam eines UFOs zu Boden geschickt wurden“. Schwachsinnig, aber besser als die Genetische-Experimente-Verschwörungstheorie, die in der Sendung davor erörtert wurde. Vom Wagen aus bestelle ich Pizza, während Jack Gwen und Owen zurück zum Hub ruft und Tosh Daten zu weiteren Sichtungen mit ihren Energiedaten abgleicht. Der Schwarm scheint sich im westlichen Teil der Stadt wieder zusammenzuballen. Im Hub angekommen, setze ich die Art Kaffee auf, die Gwen als Raketentreibstoff betitelt hat, und bis die Pizza ankommt, sind auch Gwen und Owen da und die Container mit den gefangenen Glintgnats werden gegen eine der Wände gestapelt. Ab jetzt ist es eine Frage der Zeit. Torchwood kann bis zu 36 Stunden durchgehend nur auf Kaffee und Pizza laufen, danach wird es schwierig für Jack, das Team davon abzuhalten, Owen zu töten. Das Essen ist eine schweigsame und eilige Angelegenheit. Tosh ist nicht von ihren Monitoren loszureißen, Owen beaufsichtigt nebenbei eine seiner Maschinen, die heute im Akkord F-45 herstellt, Gwen hält sich einen Kühlakku an den Hals, wo eines der Insekten sie erwischt hat und Jack starrt die wütend blinkenden Tiere in den Containern an. „Vielleicht könnten wir sie anlocken“, sagt er plötzlich. „Fliegen sie zum Licht?“ Ich gehe mit einer Taschenlampe zur einen Seite des Containerstapels und leuchte ihn an. Es gibt ein surrendes Geräusch als Insektenkörper und Flügel gegen die Plastikwände schlagen. Ich schalte die Lampe wieder aus, gehe um den Stapel herum und leuchte von der anderen Seite hinein. Der Biss an meinem linken Arm ist noch immer ein dumpfer, pochender Schmerz und das Geräusch, mit dem die Glintgnats auch diesmal gegen die Scheiben fliegen, ist sehr befriedigend. Ich sehe hinüber zum Team und wir tauschen vorsichtig hoffnungsvolle Blicke aus. ~*~ Der Plan, der sich daraus entwickelt, beruht auf einem mit Chula-Technik aufgerüsteten Flutlichtstrahler, den wir auf dem Lift anbringen. Nach einiger Diskussion wurde entschieden, dass es am sichersten wäre, die Glintgnats erst einmal im Hub einzuschließen und dann zu fangen. Am sichersten für Cardiff zumindest. Der Himmel hatte sich gegen Nachmittag bewölkt, was gut ist, weil uns so der Mond nicht in die Quere kommt. Gegen zehn ist es endlich dunkel genug und wir löschen sämtliche Lichter im Hub. Dann legt Toshiko das Stromnetz von Cardiff lahm und schaltet den Strahler ein. Wir warten. „Das erinnert mich an die Verdunkelung im Krieg“, sagt Jack, der plötzlich neben mir steht. Sehr dicht neben mir, wenn ich seine leise Stimme als Anhaltspunkt nehme. Ich blinzle in die Dunkelheit und erkenne die Umrisse von Jacks Grinsen im grünlichen Licht einer Diode. „Man hat heutzutage so selten absolute Dunkelheit. Dabei kann das so interessant sein.“ Er sagt es in diesem Tonfall, großer Gott. So fühlt sich Wahnsinn an, denke ich. Es ist dunkel, mein Arm ist ein einziger pochender Schmerz, ich bin seit über fünfzehn Stunden auf den Beinen, wovon ich die meisten schwitzend in diesem Schutzanzug herumgelaufen bin. Ich fühle mich einfach nur müde und eklig, aber Jack steht neben mir, Schulter an Schulter, und ist sexy und so verdammt Jack, während wir auf die nächste Katastrophe warten. Und vermutlich ist das das einzige, was den Tag noch retten könnte, aber es gibt Arbeit. Ich räuspere mich, sage schließlich: „Ein andermal.“ „Ja“, antwortet Jack. Es ist ein langgezogener Seufzer, ein wenig resigniert, aber ich kann hören, dass er grinst, „Aliens zu fangen…“ Das Geräusch, mit dem mehrere Hundert achtflüglige Insektoide sich über einem Flutlichtscheinwerfer sammeln, ist sicherlich der Erwähnung wert. Ein tiefes an- und abschwellendes Brummen, das den Eindruck erweckt, es käme nicht von außen, sondern säße in deinem Kopf. Ich werde ein bisschen nervös, weil sie in meiner Erinnerung vom Park heute Vormittag nicht so laut klangen. Nicht so viele. Wir warten einige Minuten, dann aktiviert Jack den Lift, der sich langsam absenkt, darauf der Scheinwerfer, darüber in einer flirrenden blauen Wolke die Glintgnats. Es sind mehr als heute im Park. Die Wolke zieht sich vertikal in die Länge, solange der Lift sich bewegt und ballt sich zusammen, sobald er den Boden erreicht. Sie bildet eine diffuse Kugel von drei oder vier Metern Durchmesser. In das jetzt unglaublich laute Surren mischt sich ein Klicken wie von Regen, mit dem die Tiere gegen das heiße Glas des Scheinwerfers fliegen. Der Geruch von verbranntem Chitin (es riecht zumindest genauso, woraus auch immer die Panzer von Alieninsekten bestehen) breitet sich aus, während wir da stehen und uns nicht rühren. Wer schon mal Glühwürmchen gesehen hat oder einen Mückenschwarm in der Abendsonne, hat vielleicht eine ungefähre Ahnung, wie es aussieht. Der Schwarm scheint keine Ansammlung von Einzelwesen zu sein, sondern ein tanzendes, atmendes, schillerndes Ding, das im Hub steht und sich im Wasser und in der Riftmaschine spiegelt. Es ist einer dieser Momente, in dem man wieder weiß, warum man für Torchwood arbeitet. So wie das erste Mal, wenn man einen Pterodaktylus sieht und für einen Moment die Verzweiflung und die Angst und Müdigkeit vergisst, weil es unfassbar ist, dass da ein Tier fliegt, dass seit Millionen Jahren ausgestorben ist. Das noch nie ein Mensch gesehen hat. Die Wunder des Universums. „Es ist wunderschön“, flüstert Gwen. Ich reiße meinen Blick los und sehe die anderen an. Gwen sieht aus wie ein kleines Mädchen, ihre großen Augen voll Neugier und Freude, die Wunde an ihrem Hals vergessen. Toshiko erwidert meinen Blick und lächelt. Ich fürchte, dass ich grinse wie ein Idiot. Owens Gesichtsausdruck ist friedlich und Jack… Jack sieht glücklich aus. Selbstvergessen, unbeschwert. Jung. Natürlich ist das der Moment, in dem der mit Chula-Technik aufgerüstete Flutlichtstrahler beschließt, dass er mit Chula-Technik nicht kompatibel ist und mit einem leisen, aber entschiedenen Zischen durchbrennt. Die Dunkelheit bringt das blaue Glühen des Schwarms erst richtig zur Geltung, in den nun rasch Bewegung kommt. Wie eine langsame Explosion breitet er sich im Hub aus und das Summen wird augenblicklich bedrohlich. „Scheiße“, fasst Owen die Situation eloquent zusammen. „Waffenkammer!“, ruft Jack und schickt den Aufzug hoch, während wir uns hastig in Bewegung setzen. Die Notbeleuchtung des Hub hält uns das Gros der Tiere vom Leib aber die Luft ist plötzlich voll von ihnen und als wir in die Waffenkammer stolpern und Jack die Glastür hinter uns zuschlägt, hat jeder mindestens zwei der Blutsauger irgendwo an der Haut hängen. Myfawny fliegt panisch kreischend durch den Hub und legt eine Bruchlandung hin, bei der einer von Toshs Computerbildschirmen kaputt geht. Von da aus flüchtet sie vor den Insekten in den Autopsieraum. Großartig. Ich finde das menschliche Vermögen, Tiere unter dem Schuh zu zerquetschen, deren Schönheit man eben noch bewundert hat, bemerkenswert. Und ausgesprochen praktisch. „Okay, was nun?“, fragt Owen, während er mit den Fingern an seiner Stirn herumtupft, auf der eines der Tiere seine Spuren hinterlassen hat. „Einfangen, vergiften, mit Fliegenklatschen auf Jagd gehen?“ „Nein!“, ruft Gwen. „Wir können sie nicht einfach töten.“ Owen verzieht das Gesicht. „Wenn du’s nicht kannst, ich kann ganz sicher. Gibt bestimmt noch mehr, wo die herkommen. Vermutlich sind sie dort eine Plage. Hier sind sie auf jeden Fall eine.“ „Wenigstens haben wir sie fürs erste eingesperrt“, versucht Toshiko die beiden abzulenken. „Und uns gleich mit. Mal wieder so ein Geniestreich von unserem-“ Owen sieht sich nach Jack um, der immer noch damit beschäftigt ist, sich Insektoide vom Leib zu halten. „Harkness, was zum Teufel tust du da?“ Jack tritt auf eines der Tiere, das am Boden liegt und sieht mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck auf. „Sie bleiben nicht tot“, stellt er fest. Wir starren ihn an. Wir beobachten, wie das zerquetschte Tier auf dem Boden wieder anfängt, mit den Flügeln zu schlagen und gerade abfliegen will, als Jack noch einmal drauftritt. „Ich bin mir sicher, es hält nicht lange an.“ Er sagt das in diesem speziellen selbstsicheren Tonfall, der anzeigt, dass er zwar keine Ahnung hat, was los ist, das aber nicht zugeben wird. Wir starren Jack an. Er starrt zurück. Das Tier schlägt mit den Flügeln. Jack tritt wieder drauf. „Was?“ „Nichts.“ Gwen weicht Jacks Blick aus und starrt mit großen Augen den zuckenden Flügel an, der unter Jacks Sohle hervorragt. „Wenn ich also dein Blut trinken würde, würde mich das unsterblich machen?“, fragt Owen. „Unsinn.“ Jack nimmt den Fuß vom Glingnat und diesmal bleibt es liegen. „Da. Tot.“ „Temporär“, schränkt Owen ein. Jack grinst und breitet seine Arme in einer Komm her und hol's dir-Geste aus. Ich verdrehe die Augen. Owen gibt ein schnaubendes Lachen von sich. „Träum weiter.“ „Das ist…“ Gwen sucht nach Worten, offensichtlich ohne Erfolg. „Verstörend?“, schlägt Tosh vor. „Torchwood“, sage ich. „Ich frage mich, ob das auch mit anderen Körperflüssigkeiten funktioniert“, murmelt Owen. „Ianto?“ Erstaunlich. Die angesetzten 36 Stunden sind noch gar nicht um. Jack kaschiert ein Lachen mit einem fingierten Hustenanfall und ich versuche, ihn mit Blicken zu durchbohren. Ich habe für Situationen wie diese ein Mantra, das in etwa so geht: Du kannst Owen nicht umbringen, auch wenn er ein unerträgliches, zynisches Arschloch ist. Er ist unser Arzt und wir brauchen ihn noch. Dass er zum Ausüben seiner Tätigkeit nicht alle seine Zähne braucht, ist kein Argument für Gewaltanwendung. Es funktioniert nicht besonders gut. Und wir sind in einer Waffenkammer. Mein pazifistischer Vater wäre sehr stolz auf meine Selbstbeherrschung. ~*~ Wir beschließen einen Ausfall mit Flammenwerfern. Gegen Gwens humanitäre Interventionen. Moment. Was ist das Aliengegenstück zu „humanitär“? Xenitär? Ich sehe auf jeden Fall nicht wirklich ein, warum wir die Glintgnats unbedingt am Leben lassen sollten. Sie sind parasitäre Wesen aus einem fremden Ökosystem, die hier nur Schaden anrichten würden und zurückschicken können wir sie auch nicht. Wenn Gwen sich eine Schmetterlingssammlung zulegen will, muss sie das machen, aber ich kümmere mich nicht um hunderte blutsaugende Insekten, egal wie hübsch sie sind. Die Weevil und Myfanwy machen genug Arbeit. Natürlich sage ich ihr das nicht, es reicht, dass Owen ihr vorschlägt zu Greenpeace zu gehen. Gwen passt es also nicht, dass sie mitmachen soll und Jack ist schlecht gelaunt, weil er nicht mitmachen darf, aber wir wollen sicher gehen, dass die Viecher auch wirklich tot sind. Owen ist miesepetrig, weil er Owen ist. Nur Tosh bleibt wie immer objektiv und professionell. Mein Fels in der Brandung. Die eigentliche Aktion läuft dann erstaunlich gut. Wenn man von Jacks Kommentaren über Funk absieht. Und Owens kleinem Ausraster. Okay, vielleicht habe ich ihn ein bisschen angesengt. Unbeabsichtigt. Natürlich. Wir kämpfen uns zu den Saugern durch und gehen im Namen von Gwens Seelenfrieden dazu über, die übrigen Tiere einzufangen. Gott sei Dank sind das nicht besonders viele, da die anziehende Wirkung von Licht sich offenbar auch auf offene Flammen erstreckt. Als wir fertig sind, hängt bläulicher Rauch im Hub. Es wird Tage dauern, bis der beißende Geruch verschwunden ist, das Lüftungssystem des Gebäudes ist bestenfalls antiquiert, harsch gesprochen eine komplette Fehlplanung. Es folgt der Feierabend. Ich muss mir überlegen, wie und wo ich die gefangenen Glintgnats unterbringe, erstmal provisorisch. Und in den nächsten Tagen eine Möglichkeit finden, die endgültige Lösung irgendwie auf Gwen abzuwälzen. Der Hub muss sauber gemacht werden, der Scheinwerfer vom Lift geholt, die Weevil gefüttert, Myfanwy getröstet. Typischer Feierabend eben. Wie füttert man Blutsauger am praktischsten? Recherchiere Blutkonserven mit Biomembran. Flugsaurierschäden beheben, Bericht schreiben, Flammenwerfer wieder auffüllen und verstauen, Sauger und Schutzanzüge wegräumen, Coverstories erfinden, die halbe Stadt retconnen… „Jack? Was ist das intergalaktische Äquivalent für humanitär?“ Jack sieht mich einen Augenblick an, als hätte er die Frage nicht verstanden, dann zuckt er mit den Schultern. „Politische Korrektheit ist nicht so wesentlich, wenn es viel grundlegendere Verständigungsprobleme gibt.“ Ich warte auf weitere Erklärungen, aber es kommt nichts. Owen rennt schimpfend herum und verpasst allen noch mal F-45, nachdem er Myfawny – indigniert, aber scheinbar unverletzt – aus dem Autopsieraum vertrieben hat. Ich bin so in Gedanken, dass ich vergesse, ihn nicht mit einer Nadel in meine Nähe kommen zu lassen, wenn er sauer ist und mich erst wieder dran erinnere, als es schon zu spät ist. Es tut höllisch weh. Ich stelle laut seine beruflichen Qualifikationen in Frage und er grinst nur. Owen kann sich morgen seinen Kaffee selbst kochen. Wir stehen alle einen Moment lang im Hub und halten Ausschau nach verdächtigem Glimmen oder Bewegungen, aber es scheint so, als hätten wir sie alle erwischt. „So“, sagt Jack gut gelaunt. Er klingt wie ein Pfadfinderleiter und es fehlt nur so viel, dass er uns Kinder nennt. „Sieht aus, als wäre das geschafft.“ „Alieninsekten. Leichteste Übung“, fügt Owen hinzu. Gwens Lachen geht in ein Gähnen über und Tosh lächelt flüchtig, bevor sie zu ihrem Arbeitsplatz eilt, um den Schaden zu untersuchen, den Myfanwy angerichtet hat. „Ich würde sagen, wir räumen morgen auf?“, sagt Jack und die anderen suchen ihre Sachen zusammen und gehen, Tosh nur zögerlich mit dem einen oder anderen Blick zurück auf das Schlachtfeld, das ihr Schreibtisch ist. Das ist der Moment, in dem ich auch gehen könnte, aber das F-45 macht das Jucken der acht oder neun Bisse erträglich und ich bleibe. „Owen wird das mit den unsterblichen Glintgnats untersuchen wollen“, stelle ich fest, als wir allein sind. Jack zuckt die Schultern. Er scheint die gefangenen Tiere nachdenklich zu betrachten, aber es könnte auch nur eine dieser Posen sein und in Wirklichkeit gehen ihm die üblichen zusammenhangslosen Absurditäten durch den Kopf. Oder Sex. „Du solltest ihm einfach sagen, dass Torchwoods bisherige Untersuchungen keine Ergebnisse gebracht haben.“ Jack dreht sich zu mir um und sieht mich amüsiert an. „Woher willst du das wissen?“ „Nun, erstens sind die allermeisten Torchwoodagenten, die sich mit Unsterblichkeit befasst haben, tot. Sehr erfolgreich können sie also nicht gewesen sein. Und zweitens: Fußnoten, Querverweise und Abrechnungen. Ich sollte vielleicht eine Anleitung verfassen, wie man Aufzeichnungen verschwinden lässt, ohne Spuren zu hinterlassen.“ „Das wäre sicherlich nützlich“, sagt Jack. Er lächelt, das Lächeln wird zu einem Grinsen und ich könnte nicht anders, als es zu erwidern, selbst wenn ich wollte. „Also wo waren wir stehen geblieben?“ „Bei der Verdunkelung.“ „Richtig.“ Er drückt ein paar Knöpfe auf seinem Armband und wir stehen im Dunklen. ~*~ Als ich diese Montagnacht in mein Bett falle – ich habe gerade noch die Energie, meine Schuhe auszuziehen, der Wecker klingelt in zwei Stunden und dann habe ich noch die ganze Woche vor mir – zweifle ich trotz juckender Insektenstiche beinah daran, dass es einer dieser Montage war. Auf jeden Fall wünsche ich mir nicht, die Welt wäre untergegangen. Aber das tut sie an einem Montag ohnehin nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)