Daylight von Saya_Takahashi (~Wait for Sunrise~) ================================================================================ Kapitel 5: Im Heim ------------------ Pünktlich um halb Vier klingelte Itachi an Sasukes Tür, der schon fertig angezogen auf seinen Bruder gewartet hatte. Itachi war legére wie immer gekleidet und auch Sasuke hatte sich alltäglichere Sachen angezogen, was aber noch immer bedeutete, dass sein Hemd alleine um die 200 Dollar Wert war. "Na, bereit für die kleinen Racker?", grinste Itachi. Sasuke ließ ein abwertendes Knurren hören und folgte seinem älteren Bruder aus der Wohnung zu dessen Wagen. "Das du dir mit deiner Arbeit so ein Auto leisten kannst ...", meinte Sasuke kopfschüttelnd und stieg in den Porsche. "Mit meiner Arbeit verdiene ich sehr gut", gab Itachi murrend als Antwort. "Ohne dass ich meine Seele verkaufen musste!" "Ich habe meine Seele nicht verkauft!", zischte Sasuke zurück. "Nein, du hast sie verschenkt ..." "Red keinen Mist!" "Lass uns jetzt nicht streiten", seufzte Itachi leidlich. "Wir müssen noch zu Temari." "Zu wem? Du meinst deine kleine Kellnerin aus dem Sao Paulo oder was?" Itachi verzog den Mund zu einer Schnute. "Sie ist nicht meine kleine Kellnerin!" Sasuke grinste in sich hinein. Die schlechte Stimmung von eben war verblasst. "Ach nein? Ihr seid noch nicht zusammen?" "Natürlich nicht, wir sind Freunde!" "Freunde? Und das, obwohl ihr euch doch kaum zwei Wochen lang kennt!" "Na und, wenigstens hab ich Freunde!" "Was willst du damit schon wieder sagen?", knurrte der jüngere Uchiha. "Nun, dass du keine Freunde hast!" "Ich hab auch nicht die Zeit dazu mir irgendwelche Weiber anzulachen!" "Temari ist nicht irgendein Weib und angelacht hab ich sie mir auch nicht!" "Naja, ich werde sie vermutlich gleich kennen lernen. Kommt sie denn mit?" Itachi nickte und fuhr auf die Stadtautobahn. "Wir holen sie von der Arbeit ab und fahren dann direkt weiter. Sie wohnt nicht weit entfernt von dem Heim." "Sie wohnt in Watts?", entfuhr es Sasuke. Itachi nickte und konnte sich ein Grinsen aufgrund Sasukes entsetztem Gesicht nicht verkneifen. "Soll ich noch eins draufsetzen?", fragte er glucksend. "Wie draufsetzen?" "Temari lebt mit ihrer Familie in einem Trailerpark ..." Sasuke entglitten die Gesichtszüge. Er hatte nichts gegen Leute aus Watts, solange sie ihm nicht zu nahe kamen. Für ihn waren es alle arme Schlucker, die es zu nichts brachten und nur faul vor sich her vegetierten, weil sie kein Ehrgeiz und keine Disziplin hatten. Das hatte sein Vater immer behauptet und er hatte es geglaubt. "Und ... und warum ..." "Warum ich mich mit ihr abgebe?", erriet Itachi seine Frage und wurde plötzlich ernst. "Weil sie eine der nettesten und liebsten Personen ist, die ich je kennengelernt habe, weil sie mich akzeptiert wie ich bin und nicht danach geht wer ich bin, und weil ich mich einen Dreck darum schere, wo jemand herkommt. Ich hasse diese Vorurteile, die vor allem unser Vater in uns geschürt hat!" Angesichts der Tatsache, dass Itachi gerade eben so etwas wie einen Wutausbruch hatte, schwieg Sasuke für einen Moment und ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen. "Aber ist nicht jeder Mensch für sein handeln verantwortlich und kann so beeinflussen, was aus ihm wird? Jemand der sich in der Schule nie angestrengt hat, brauch sich doch nicht über seine schlechten Noten wundern. Jemand der nur zur Uni ging, um nicht arbeiten zu müssen, muss sich doch auch nicht wundern wenn er keinen Abschluss bekommt. Ist es nicht so? Wenn du keinen Ehrgeiz und keine Disziplin gehabt hättest, hättest du dann jemals dieses Tonstudio aufmachen können?" Sasuke sah verwundert, wie Itachi nickte. "Sicher hätte ich es nicht gekonnt", sagte er knapp. "Wie? Also hab ich doch recht!" "Nein." "Was quatscht du da? Ja oder nein?" "Ja und nein! Das Leben, Sasuke, ist etwas komplizierter als eine mathematische Gleichung. Nimm a und b zusammen und du erhälst c. Klar, dass ist logisch. Aber wenn du Menschlichkeit, Glück, Pech, Freunde, Zufall, Familie und Liebe hinzuaddierst, auf was kommst du dann? Ist die Antwort dann immer noch c?" Sasuke sah seinen Bruder verwirrt an. "Du redest Unsinn! Was soll bei so einer wahnwizigen Gleichung schon rauskommen?!" "Das Leben! Keine Regel ohne Ausnahme, stimmts? Behauptung, These, Ausnahme. So ähnlich hat man es gelernt. Du behauptest, nur weil ein Mensch aus Watts kommt, ist er kein ehrlicher, guter Mensch. Deine These ist, jeder Mensch aus Watts oder sonst einem Armenviertel ist undiszipliniert, faul und hat ein schlechtes Leben. Und die Ausnahme? Jeder Mensch, ob aus Watts oder Westwood, dem nie etwas in den Schoss gefallen ist, der immer wieder Schicksalsschläge erleiden musste, der als Kind schon lernen musste was Gewalt heißt, der nie eine Schule besuchen konnte weil das Geld fehlte, der bildet die Ausnahme! Im Leben ist nichts sicher Sasuke, denn jede Regel die du im Leben aufstellst, kann schneller gebrochen werden als dein kleiner Finger." "Mein kleiner Finger?", Sasuke musste über diese symbolische Aussage schmunzeln, doch er setzte schnell wieder die Maske auf, als Itachi vor dem Sao Paulo hielt. "Ich werde bei Gelegenheit mal über deine Worte nachdenken", sagte er lediglich und beobachtete die Menschen, die aus der Kneipe kamen. Alle waren sie dunkel gekleidet, mit finsteren Gesichtern. "Sie scheint nicht pünktlich zu sein", stellte Sasuke fest und sah weiterhin zu den finsteren Gestalten, die sich in der nahenden Dunkelheit aufhielten und ein interessiertes Auge auf den Wagen warfen. "Vermutlich werden deine Ausnahmemenschen uns noch das Auto klauen." "Ach was, die meisten sehen nur so mürrisch aus. Und außerdem blickt du auch nie anders!" "Tze!", gab Sasuke nur von sich, als er plötzlich eine weibliche Stimme hörte, die immer näher kam und sich offensichtlich den Weg durch die Meute, die sich mittlerweile um den Porsche gebildet hatte, erkämpfen musste. "Verdammt, macht das ihr Trunkenbolde hier wegkommt, habt ihr noch nie ein Auto gesehen oder was?", fauchte plötzlich Temari, als sie neben Itachis Tür auftauchte. Grinsend warf sie ihm einen freundlichen Blick zu, ehe sie hinten einstieg, aber nicht ohne die angesammelte Männermasse noch einmal anzuschnauzen, etwas von Verbot im Sao Paulo sagte, sodass sich die düsteren Gestalten verzogen. "Tada, der Weg ist frei für die Herrschaften", lachte sie vergnügt, als Itachi losfuhr, während Sasuke jegliches Kommentar einfach nur hinunter schluckte. Als er sie eben das erste mal gesehen hatte, mit ihrer hellen Kleidung und den blonden Haaren, da hatte sie dermaßen von der Masse abgegrenzt gewirkt, dass er Itachi fast verstehen konnte. Temari war ohne Frage anders, als er sich jemanden aus Watts vorgestellt hatte. Und sie war furchtlos und mutig, was sie eben bewiesen hatte. "Hey, du bist also Sasuke, freut mich dich kennenzulernen!", rief sie nun von hinten und reichte Sasuke freundlich die Hand. "Ich heiße Temari. Entschuldige Itachi, dass ihr warten musstet, aber dieses Getier von Chef wollte mir kein Weihnachtsgeld geben, obwohl er das damals steif und fest behauptet hat! Jetzt durfte ich mit dem eine viertel Stunde diskutieren, und dabei spuckt der immer so fürchterlich, ich bin noch ganz nass." Itachi lachte glucksend, und auch Sasuke schmunzelte leicht. "Haste es denn jetzt wenigstens bekommen?", fragte der ältere Uchiha. Temari, die hinter Itachi saß, grinste. "Sicher doch. Mit mir legt sich keiner an!", dann blickte sie aus dem Fenster, und Sasuke, der die junge Frau aus den Augenwinkeln sehen konnte, wusste dass es keinen Cent gegeben hatte. Doch warum hatte sie gelogen? Zehn Minuten später hielt der Porsche an einem recht großen Gebäude, welches Sasuke fast an seine Grundschule erinnerte. Allerdings wirkte der Ort so trostlos und verlassen, wie man es sich kaum vorstellen konnte. Die drei stiegen aus, und Itachi schloss seinen Wagen ab, ehe sie die Stufen zum Eingang hinauf gingen. "Hier sollen Kinder leben?", fragte Sasuke abschätzend. Itachi nickte. "Drinnen sieht es etwas fröhlicher aus." "Kommst du oft hierher?", wollte sein Bruder wissen und versuchte, so desinteressiert wie möglich zu klingen. "Ich leite hier den Chor", grinste Itachi. "Seit einem Jahr." "Ich verstehe", meinte Sasuke knapp. Das es ihn vollkommen überraschte, würde er nicht zugeben. Und dennoch ... diese Arrangement für andere hatte er von Itachi fast erwartet. Er war ein guter Mensch, dem das Wohl anderer am Herzen lag. Er war soviel anders als ihr Vater. Sasuke hingegen war genau wie Fugaku Uchiha. Kalt und hart. Und Itachi war der weit bessere Mensch. Die drei gingen einen langen Flur entlang, in dem keine Menschenseele zu sehen oder hören war. "Sie haben noch unterricht. Wir warten in der Aula", erklärte Itachi und ging weiter. Sasuke nickte nur und sah sich weiterhin um. Alles war karg und nur notdürftig eingerichtet, die Möbel waren alt und zerschlissen. Nur die Bilder an den Wänden, die von den Kindern stammten, strahlten etwas Wärme aus. Es herrschte dennoch eine traurige, melancholische Stimmung, die Sasuke kalt den Rücken runterlief. "Noch Fünf Minuten, dann klingelt es", meinte Temari mit dem Blick zur Uhr, als sie in der Aula an einem Tisch saßen. Sasuke, dem das ganze Gewarte langweilig wurde, stand auf. "Wo willst du hin?" "Mich umsehen", war die knappe Antwort. Itachi nickte nur und Sasuke verließ die Aula. Seine Beine trugen ihn durch die verwirrenden Gänge des doch recht großen Heimes. Hauptsächlich sah er sich die Bilder an den Wänden an, die ihn irgendwie mitnahmen. Sie drückten soviel aus, obwohl kleine Kinder die Maler waren. Und es waren Dinge, die er selbst kannte. Einsamkeit, Hilflosigkeit, Traurigkeit, Kälte, Hoffnung ... Jetzt verstand er, dass er nicht anders war, nur weil er aus einer anderen sozialen Schicht kam. Und er verstand auch langsam, was Itachi mit seinen Worten gemeint hatte. Das Klingeln der Schulglocke riss ihn aus seinen Gedanken und er musste fast an die Wand springen, als plötzlich etliche Türen aufgerissen wurden und das laute Geschrei der Kinder erklang, die endlich Frei hatten. Nur mit Mühe konnte er sich durch die Scharen einen Weg zur Aula bahnen, die schon überfüllt war mit kleinen und größeren Mädchen und Jungen, die sich hauptsächlich um Itachi und Temari scharten. Ein freudiges Lächeln war allgegenwärtig und Sasuke musste beinahe grinsen. Als Itachi seinen Bruder entdecke, sagte dieser etwas zu den Kindern, woraufhin diese kreischend auf Sasuke zu rannten. Mit entsetzten Gesicht machte dieser einen Satz nach hinten, als eine scharfe Stimme erklang, woraufhin alle sofort verstummten. Sogar Sasuke hatte diese bissige strenge Stimme in eine Starre versetzt. "Jeder geht jetzt auf sein Zimmer, ausser die Kinder, die im Chor von Herrn Itachi sind. Zack!", polterte ein älterer Mann, der mit seiner Erscheinung jedes Kind in Angst und Schrecken versetzen konnte. Sasuke mochte ihn auf Anhieb nicht und als er zu seinem Bruder sah, wusste er, dass Itachi ihn verachtete. Mit leisen Schritten ging er durch die Sitzreihen und stellte sich neben Temari, die offenbar leicht geschockt wirkte von dem Verhalten des Mannes den Kindern gegenüber. "Herr Uchiha", der älterer Mann nickte leicht und kam nun auf die Drei zu. "Es freut mich, dass sie uns heute beehren." Das dem absolut nicht der Fall war, konnte jedoch jeder hören. Der Mann schien Itachi auch nicht zu mögen. Während er Temari absichtlich übersah funkelten seine Augen nun zu Sasuke, der dem Blick allerdings mit Leichtigkeit standhielt. Im Gegenteil, es wirkte fast so, als würde der Ältere durch Sasukes Blick eingeschüchtert. "Herr Sanday, ich möchte ihnen gerne meinen Bruder vorstellen, Sasuke Uchiha. Wie ich ihnen gestern schon telefonisch mitteilte, würde er gerne einmal den Chor hören, den er eventuell gerne bei seiner Weihnachtsfeier hätte, die er nächste Woche plant." "Ja ja, das sagten sie ja schon. Dann machen sie das mal, und danach kommen sie zu mir ins Büro. Ich habe für dieses Geplänkel der Gören nicht viel übrig." Sasuke zog nur die Braue nach oben, während Temari geräuschvoll schnaubte. Nur Itachi lächelte unvermindert und nickte. Herr Sanday schüttelte abwertend den Kopf und zog von dannen. "Diese Ausgeburt der Hölle!", fluchte Temari gleich im gemäßigten Ton, damit die Kinder es nicht hörten, und sogar Sasuke ließ sich zu einem Nicken herab. "Was ist das für ein übergeschnappter Vogel?", wollte er von Itachi wissen, der nur traurig lächelte. "Ihm gehört das Heim hier. Durch den größten Teil der Spenden bereichert er sich und den Kindern geht es immer dreckiger. Aber niemand kann etwas dagegen tun, denn angeblich ist er sauber. Er kommt aus New York, dort hat er wohl auch schon in einigen Heimen gearbeitet, aber irgendwas muss da gelaufen sein, denn dort darf er nicht mehr arbeiten. Hier", Itachi seufzte verdrießlich. "Hier interessiert das aber keinen und niemand weiß, was in New York gelaufen ist. Es ist wohl schon lange her." "Tse", kam es nur von Sasuke, doch dann setzte er sich auf einen der Stühle. "Und dann soll ich den auch noch bezahlen?" Jetzt grinste Itachi. "Ja, und zwar in Form von Kuscheltieren und Geschenken für die Kinder. Damit kann er kaum was anfangen, die Kinder aber schon. Wir müssen ihm nur klar machen, dass das unsere Bezahlung sein wird und das es vermutlich in der Presse stehen wird. Dann kann er kaum noch etwa dagegen unternehmen." Sasuke seufzte. "Dann lass deinen Chor mal singen." "Dann bis morgen", sagte Temari, als sie ausstieg zu Itachi. "Hat mich sehr gefreut dich kennenzulernen, Sasuke! Vielleicht sehen wir uns mal wieder", wandte sie sich noch an den jüngeren Uchiha, der knapp nickte. "Bis dann, gute Nacht", sagt Itachi und fuhr los. Als die beiden Uchihas auf die Stadtautobahn fuhren und Watts verließen, herrschte ein angenehmes Schweigen. Erst, als Itachi bei Sasukes Apartment hielt, blieb dieser noch kurz sitzen. "Sie singen nicht schlecht. Es gibt schlimmeres", gab Sasuke zu, während er die Tür öffnete. "Es ist vielleicht gar nicht eine so schlechte Idee, sie zur Weihnachtsfeier auftreten zu lassen." Itachi lächelte kopfschüttelnd. "Irgendwann wirst du es auch noch lernen." "Was soll ich lernen?" "Alles so negativ zu betrachten und auszudrücken. Aber das wird schon noch." "Pah", knurrte Sasuke daraufhin nur und ging um das Auto herum, wo ihm schon der Portier die Tür aufmachte. "Ich denke, unser Vater wird es dennoch nicht gut heißen, dass du sie auftreten lässt." "Lass das meine Sorge sein. Nacht", verabschiedete sich Sasuke kurz. "Sasuke", hielt ihn Itachi noch einmal auf. "Was nun noch?" "Du bist ein besserer Mensch als du glaubst." Dann trat der ältere Uchiha aufs Pedal und fuhr davon. Und ließ einen irritierten Sasuke zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)