Atemlos von Idris (Sam, Dean) ================================================================================ Kapitel 1: North Dakota, 1997 ----------------------------- North Dakota, 1997 „Achtundzwanzig … neunundzwanzig …“ Sam war vierzehn, als es zum ersten Mal passierte. Vierzehn - und das wusste er seit drei Wochen - war generell beschissen. Bisher hatte er geglaubt, zwölf sei schlimm gewesen (in diesem Jahr waren sie vier Mal umgezogen und Sam war einmal sitzen geblieben - beinah). Oder dreizehn (Dean hatte ihn im Badezimmer mit seinen Pornoheftchen erwischt). Aber vierzehn machte bisher große Anstrengungen sich als das absolut beschissenste Jahr seit … seit immer zu entpuppen. „Vierunddreißig … fünfunddreißig … sechsunddreißig… “ Sein Körper hatte sich praktisch über Nacht dazu entschlossen zu wachsen. Er wuchs und wuchs, als ob es niemals aufhören würde und alle seine Knochen, Sehnen und Muskeln fühlten sich bis ins Unendliche gestreckt und gedehnt an. Nachts taten ihm Muskelpartien weh, von denen er nicht einmal wusste, dass er sie hatte. Er stolperte permanent über seine eigenen Füße, was Dean irrsinnig lustig fand und was Dad in den Wahnsinn trieb. Und er hasste es, dass Dean niemals Pickel gehabt hatte und überhaupt kein Mitleid und kein Clearasil für ihn übrig hatte, der Bastard. „Neunundvierzig … fünfzig…“ Außerdem wurde es schwieriger und schwieriger, Dads pausenlosen Befehlen und Anordnungen Folge zu leisten, gehorsam zu sein und den Mund zu halten. Es war, als ob die Kontrolle über seinen Mund umgekehrt proportional zu seiner rasant nach oben schießenden Körpergröße nachließ. Dean behauptete, das kam nur von den Hormonen, die verrückt spielten, und das einzig probate Mittel dagegen sei Sex. Jede Menge Sex. Mit allem, was willig war. Nur fühlte Sam sich nicht so, als ob das seine Probleme in irgendeiner Weise lösen würde. „… dreiundfünfzig …“ Was vermutlich erklärte, wieso er grade draußen im Schlamm lag und Liegestütze machte. Bei 11° Grad. Im Regen. Weil er inzwischen alt genug war, um Bestrafungen für Widerworte und Gehorsamsverweigerung (Gehorsamsverweigerung? Waren sie in der Armee?) wie ein Mann zu ertragen. Vierzehn war einfach nur beschissen. „Siebenundfünfzig … achtundfünfzig … Musste das sein?“ Deans Stimme klang gepresst, wütend und atemlos, und seine Haare waren flachgedrückt und dunkel vom Regen. Aber es war das erste, was er seit einer Stunde überhaupt zu Sam sagte, also war es besser als nichts. Sams Arme fühlten sich an, als würden sie jeden Moment abfallen und seine Brust war wie zugeschnürt. Es nieselte ununterbrochen und sein T-Shirt war nass und klamm. Seine Beine zitterten von den zehn Kilometern, die sie davor gelaufen waren. John Winchester war kein Mann für halbe Sachen. Wenn er sie bestrafte, dann tat er es gründlich. Musste das sein. „Ja.“ Ja, es musste sein. Und wenn es nur deswegen war, weil es mit jedem Tag immer schwieriger und schwieriger wurde, sich nicht dagegen zu wehren. Immer, immer die Klappe zu halten und ein gehorsamer, kleiner Soldat zu sein. Also ja. Niemand hatte Dean gezwungen, sich einzumischen … „Fünfundsechzig … sechsundsechzig …“ Dean klang resigniert und verbissen und Sam riskierte einen Seitenblick. Sein Bruder hatte die Augen stur auf den Boden gerichtet. Seine Hände waren direkt neben Sams und seine Finger versanken im Schlamm. Die Muskelstränge seiner Oberarme zeichneten sich deutlich unter der Haut ab und sein Atem ging schwer und beschleunigt, aber gleichmäßig wie ein Uhrwerk. Sam beneidete Dean um die Muskeln, aber nur ein bisschen, und das war im Moment nicht einmal wichtig. Sein eigener Atem fühlte sich rasselnd und seltsam hohl an. Als ob seine Luftröhre mit jeder Bewegung schmaler wurde. Es war ihm noch nie so schwergefallen wie heute, die zehn Kilometer zu laufen. Vielleicht wurde er krank. „Siebzig … einundsiebzig …“ „Ich finde nicht … dass es so unverschämt ist … mein Schuljahr … zu Ende machen zu wollen … an einem einzigen Ort.“ Er wusste selbst nicht, wieso er sich überhaupt vor Dean verteidigen wollte. Er verstand es ja doch nicht. „Achtundsiebzig …“ Aus den Augenwinkeln sah er, wie Dean den Kopf schüttelte. „Es ist auch nicht so unverschämt … neunundsiebzig … dass Dad nicht möchte, dass in Colorado noch mehr Menschen sterben.“ „Ich hasse … Colorado.“ Es war nicht, was er sagen wollte, aber es war genauso gut oder schlecht wie jeder andere Grund. Dean zählte immer schneller und Sam wurde immer langsamer. Seine Hände rutschten auf dem schlammigen Boden und seine Brust fühlte sich zu eng an. „Du hasst doch sowieso alles. Zweiundachtzig … “ Regenwasser perlte über Deans Gesicht, klebte an seinen Wimpern und tropfte über seine Lippen, während er sprach. Er hatte einen Schmutzstreifen quer über der Wange. Sam schloss die Augen. Hoch, runter … atmen, atmen … dreiundachtzig, vierundachtzig … Seine Arme zitterten. Was war los mit ihm? „Wieso bist du überhaupt hier?! … Wenn du sowieso … auf seiner Seite bist?“ Seine Stimme wechselte drei Oktaven in dem Satz, aber in diesem Augenblick war es Sam egal dass er quietschte wie ein Mädchen. Er war auch sicher, dass Dean nie so lange im Stimmbruch gewesen war wie er. „Ich bin nicht …!“, fauchte Dean. Und dann etwas leiser: „Ich bin nicht … ich bin nicht auf irgendeiner Seite. Gott, manchmal …“ Er brach ab. Seine Arme bewegten sich schneller und schneller und er hatte vergessen weiterzuzählen, und in Sams Kopf drehte sich alles. Dean klang zu jung und zu alt zugleich, zu erschöpft, angespannt und ausgedehnt bis ins Unendliche, so wie die Haut über Sams rasant wachsenden Knochen. Als ob Sam und sein Dad schon so weit voneinander entfernt waren, wie man nur sein konnte; so weit, dass es Dean auseinander riss, sie beide zu erreichen. Aber Sam zerquetschte jedes bisschen Schuldbewusstsein in seinem Inneren. Dean hatte leicht reden. Er war alt genug. Für Dean war es ja alles freiwillig … er konnte gehen, wenn er wollte … er musste nicht auf Dad hören. Er konnte sich einen Job suchen und abhauen und sein eigenes Ding machen, und alles machen, was Sam nicht konnte. Er konnte … „Siebenundachtzig … achtundachtzig …“ Der Druck auf seiner Brust wurde stärker und das kalte, flaue Gefühl breitete sich aus bis in seinen Magen. Was wenn Dean wirklich ging? Was wenn er abhaute? Wenn es ihm irgendwann endgültig zu viel wurde. Was wenn er Sam zurückließ in der ganzen Scheiße, und allein mit einem Dad, von dem er manchmal das Gefühl hatte, dass er ihn gar nicht kannte. Allein in einem Leben, das nur erträglich war, weil Dean dabei war. Was wenn Dean … „… neunzig … einundneunzig …“ Deans Stimme ging unter im Rauschen und vage wurde Sam bewusst, dass das rasselnde, pfeifende Geräusch von ihm kam. Seine Hände rutschten weg auf dem schlammigen Boden und sein Herz hämmerte in seinem Brustkorb, der plötzlich zu klein geworden war. Dean durfte ihn hier nicht sitzen lassen. Dean durfte nicht … „…undneunzig … sechsundneunzig … Sam …?“ Der Boden war kalt und durchweicht und sein eigener, dumpfer Aufprall vibrierte in seinem Kopf. Schlamm klebte auf seinem Gesicht. Er versuchte zu atmen, aber es war wie Luft durch einen Strohhalm zu saugen. Er hustete. „Sam!“ Er spürte Deans Hände auf seinem Rücken und seinem Gesicht. Alles war weißer Nebel und er wusste nicht, was los war. Langsam bekam er Angst. Seine Finger krallten sich hilflos in den Boden, als er versuchte aufzustehen, aber seine Glieder gehorchten ihm nicht. „Sammy … shit shit …!“ Deans Stimme flackerte an und aus wie ein kaputter Fernseher. „Atme, verdammt noch mal … Dad! DAD!“ Und atmen … atmen war genau das Problem. *~* Alles andere war ein Rausch aus Bewegung und lauten Stimmen. Die hektische Fahrt ins Krankenhaus, Dean, der ihn mehr trug als stützte, und die autoritäre Stimme seines Vaters, die nach einem Arzt brüllte. Und über allem das rasselnde Pfeifen seiner Lunge und die Enge in seiner Brust. Er fühlte sich benommen und schwindelig und sein Herz raste. „… passiert …?“ „ … weiß nicht, was … Ich weiß es nicht! Können Sie …?“ „…sagen, was passiert ist …“ „Liegestützen … er war wütend … ich weiß es nicht …“ „… müssen jetzt hier raus …“ „Ich bin sein Bruder, okay?! Ich werde nicht … Dad!“ Leute zerrten an ihm herum. Irgendwo im Hintergrund hörte Sam den tiefen Bass seines Vaters und die ruhige, leise Stimme einer Ärztin. Er spürte die Spritze nicht, die ihm jemand gab und bekam nichts mit von der Atemmaske, die über sein Gesicht gestülpt wurde. Aber die ganze Zeit spürte er Deans Finger, die seine Hand umklammert hielten und nicht losließen. „Er hat das noch nie gehabt“, sagte sein Dad ein wenig später. Er klang angespannt und schärfer als beabsichtigt. Beinah vorwurfsvoll. Aber nicht, als ob es Sams Schuld war. Mehr so als ob er gerne irgendeinen Verantwortlichen gehabt hätte. Dad fühlte sich immer wohler, wenn Dinge seiner Kontrolle unterlagen. Und Leute bedrohen und einschüchtern? - Unterlag total seiner Kontrolle. Sam hatte die Augen zu und war so schlapp und kaputt als hätte er drei Marathons hinter sich. Aber er bekam wieder Luft und Dad war ausnahmsweise nicht wütend auf ihn, und Dean war da, und alles war irgendwie okay. Die Ärztin erklärte etwas, wo Begriffe wie „latente Veranlagung“ und „Trigger“ und „Parasympathikus“ vorkamen, und lange medizinische Ausdrücke, denen er nicht folgen konnte, aber Sam rechnete damit, dass Dean und sein Dad besser zuhörten als er. Das Wort „Asthmaanfall“ fiel ein paar Mal und er ertappte sich dabei, zu denken, wie schrecklich nach Weichei das klang und wie wenig das Dad gefallen würde. Er blinzelte langsam gegen das grelle Licht und wandte den Kopf zur Seite. „Dean …?“ Sein Hals war trocken und er hustete. Er spürte, wie seine Hand gedrückt wurde. „Ich weiß, dass es dir schwerfällt, aber halt ausnahmsweise die Klappe …“ Dean hatte den Kopf geneigt und sah aus, als ob er tatsächlich aufmerksam zuhörte, was im Hintergrund gesagt wurde, und das war in gewisser Weise sehr beunruhigend, denn Dean hörte niemals jemandem zu, und wenn dann nur auf Dad. „Wieso hast du nicht früher was gesagt?“, seufzte er schließlich, als er sah, dass Sam ihn immer noch unverwandt ansah. „Was?“ Dean warf ihm einen ungläubigen Blick zu. „Dass es dir nicht gut geht? Dass du keine Luft kriegst? Nur so als Anregung!“ Sam schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Ich wusste nicht …“ … dass es wichtiger sein würde als Training. Aber das sagte er nicht, denn Dean sah so unglaublich müde aus und verdiente keinen ätzenden Sarkasmus. Nicht jetzt. Und das war das eine Thema, wo sie sich niemals einig werden würden. In hundert Jahren nicht. „Wenn du das noch einmal machst, bring ich dich um“, knurrte Dean leise, so als ob Sam irgendeinen Einfluss darauf gehabt hätte. „Das nächste Mal gibst du mir gefälligst rechtzeitig eine Warnung.“ Sam nickte und dachte: Als ob in ihrem Leben irgendetwas mit Warnhinweis kam. ‚… ich bin nicht auf irgendeiner Seite. Gott, manchmal …‘ Seine Kehle schmerzte vom Sprechen, aber es gab eine Sache, die in seinem Kopf herum spukte und die ihm mehr Angst machte und ihn mehr beunruhigte, als der Sauerstoffmangel. „Du gehst nicht weg …?“, hauchte er lautlos. Dean hob die Augenbrauen, als hätte Sam grade etwas unglaublich Idiotisches gesagt. „Alter?“, schnaubte er. „Wohin sollte ich gehen? Ich liebe Krankenhäuser. Lauter Schwestern, die mich scharf finden und schlabbrige Breikost. Wieso sollte ich hier weg wollen?“ Sein Blick wurde weicher und er verlor den angespannten Zug um die Mundpartie. „Schlaf jetzt, Dumpfbacke. Ich geh niemals weg.“ ‚Weg aus dem Krankenhaus‘ war nicht das, was Sam meinte. Trotzdem nickte er und schloss halbwegs beruhigt die Augen. Denn Dean sagte immer die Wahrheit. Und es stimmte. Vier Jahre später war es nicht Dean, der ging und alles hinter sich ließ. Niemals Dean. Sondern Sam. Kapitel 2: Wisconsin, 2005 -------------------------- Warnungen: gen, angst, schmoop, h/c, ein teeny weeny bisschen action, viel brüderliches Gezoffe Timeline: Mitte 1. Staffel, irgendwann nach "Nightmare", aber vor "Shadows" (sorry, ich kenn die deutschen Episodentitel nicht ^^*) Wisconsin, 2005 Sam war dreiundzwanzig, als es das zweite Mal passierte. „Zeit?“ „Vier Minuten, Siebenundzwanzig Sekunden. Sechsundzwanzig …“ „Shit.“ „Yep. Shit.“ Dreizwanzig – und das wusste er seit letzter Woche – war kein Stück besser als zweiundzwanzig. Seine Freundin war immer noch tot, sein Vater war immer noch verschwunden, sein Bruder wurde immer noch von der Polizei gesucht und er selber hatte seit kurzem Visionen, die sich anfühlten wie die Migräne aus der Vorhölle. Hatte er wirklich mal geglaubt, mit vierzehn sei das Leben hart? „Zeit?“, fragte er. „Zehn Sekunden weniger als eben, man.“ Gut, es war nicht das zweite Mal in seinem Leben. Es hatte ein paar kleinere Zwischenfälle in seiner Pubertät gegeben, meistens begleitet von einem Wachstumsschub oder körperlicher Belastung (ha ha), oder in irgendwelchen Stresssituationen (nochmal ha!). Aber er hatte einen Inhalator für Notfälle gehabt und es war keine große Sache gewesen, es in den Griff zu bekommen. Er hatte ihn nicht mitgenommen nach Stanford. Das Stressigste in den vier Jahren Stanford war sein erstes Date mit Jess gewesen und die Frage, ob er seine Semesterarbeit auch zwei Tage verspätet noch einreichen konnte. Es gab in Stanford keine Geister, keine Dämonen, keinen militärischen Drill … und kein Asthma. Weil das alles ein Gesamtpaket war. Gelegentliche Atemnot? Gratuliere! Das ist nur der Gratisbonus für den ganzen Rest. Um ehrlich zu sein … er hatte nicht damit gerechnet, ihn je wieder zu brauchen. Er hatte beinah vergessen, ihn jemals besessen zu haben. Seine Schaufel stieß auf etwas Hartes und Sam fluchte. Er war schweißgebadet und das Hemd klebte auf seinem Rücken. Seine Schultern brannten von der ewig gleichen Bewegung und der Geschwindigkeit, in der sie ausgeführt wurde. „Mach dir nur keinen Stress“, sagte Dean und versuchte so entspannt wie möglich zu klingen. Nur das Geräusch seiner unruhigen hin und herlaufenden Schritte verriet ihn. „Ich meine, es ist nicht so, als ob wir irgendwie Zeitdruck hätten oder so …“ „Ich beeile mich, okay?!“, fauchte Sam und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Zeit?“ „Vier … drei Minuten, neunundfünfzig Sekunden.“ Die Geröllmaßen vor ihm waren aufgeweicht vom Regen, was gut war. Gleichzeitig waren sie klebrig und schwer wie Lehm, was weniger gut war. Um nicht zu sagen, durchgehend beschissen. Seine Arme brannten von dem ewig klebrigen Widerstand. Verdammter Regen. Verdammte Bruchbude. Verdammter Erdrutsch. „Probier nochmal die Tür!“, befahl er. Er hörte das quietschende Schaben, als Dean sich von Innen dagegen drückte, aber der schmale Spalt wurde nur unwesentlich größer. Zentimeter. Lange nicht groß genug, dass sich jemand von Deans Größe hätte durchzwängen können. „Keine Chance.“ Seine Stimme klang gedämpft durch das schwere Metall. „Das war … die blödeste … Idee … die du jemals hattest!“, stellte Sam atemlos fest. Eine Schaufel Erde für jeden Satzteil. Für jeden Atemzug. „Und das in einer langen, langen Reihe von blöden Ideen.“ „Meine Ideen sind immer toll!“ „Alter? Sprengstoff?!“ „Hey! Ich hab nicht gesehen, dass du einen besseren Vorschlag hattest!“ Das war nur fair. Sam hatte keinen besseren Vorschlag gehabt. Weil Sam in Gedanken immer noch bei Max Miller war und von diesem Gefühl nicht wegkam, dass Max und er sich ähnlicher gewesen waren als gedacht. Weil er seit Tagen hämmernde Kopfschmerzen hatte und Aspirin schluckte wie Hustenbonbons, was nicht das Geringste half. Weil er manchmal nachts davon träumte, dass Max Dean eine Kugel in den Schädel jagte und er genau die zwei Sekunden zu spät kam, um das Ganze noch aufzuhalten. Also nein. Sam hatte nicht wahnsinnig viel Produktives zu diesem Fall beigesteuert. Was möglicherweise erklärte, wieso er überhaupt auf Deans blöden Plan mit dem Sprengstoff eingegangen war. Sprengstoff. Oh man. Zugegeben, es gab keine Knochen zum Verbrennen. Und der Geist spukte nur in seinem gruseligen Luftschutzbunker herum. Ohne Luftschutzbunker hatte er nichts zum Rumgeistern, hatte Dean völlig logisch geschlussfolgert. Das Haus darüber war eine alte, ohnehin schon halb zerfallene Bruchbude im Wald, die niemand vermissen würde. Und gestern um Mitternacht hatte das alles auf verdrehte Art und Weise Sinn gemacht. So wie Deans Pläne meistens Sinn machten – wenn man völlig übermüdet war und nicht allzu genau darüber nachdachte, was alles schiefgehen konnte. Trotzdem hätte es irgendeine bessere Möglichkeit geben müssen. Eine Möglichkeit, die nicht beinhaltete, dass Dean, der Idiot, durch einen Erdrutsch mit dem Sprengsatz eingeschlossen wurde und feststellte, dass er ihn nicht mehr abstellen konnte. „Zeit?“ „Zwei Minuten, Dreiundfünfzig Sekunden.“ „Fuck. Fuck, fuck, fuck.“ Sam schaufelte schneller. Dean nickte bestätigend und tigerte weiter hinter der Tür auf und ab. Langsam klang er ein wenig angespannt. „Wenn ich ein Feuerzeug hätte, hätten wir jetzt kein Problem“, hörte Sam ihn murmeln. „Ein Feuerzeug. Klar.“ Sam nickte und verdrehte die Augen. Weil das Dean auch so viel weiterhelfen würde mit einem Sprengsatz. Er war einfach nur ein Pyromane. „Dann könnte ich die Drähte durchschmoren, Klugscheißer. Hm, möglicherweise könnte ich sie durchbeißen …“ „Dean! Lass die Finger von den Drähten! Zähne … was auch immer.“ Seine Frustration stieg parallel zu dem hämmernden Herzschlag in seiner Brust. Er wollte etwas anzünden. Er wollte jemanden erschießen. Er wollte Dean packen und durch die verdammte Eisentür zerren, die sie trennte. Staub drang ihm in die Atemwege und er unterdrückte einen Hustenreiz. „Wer besorgt sich einen Sprengsatz und schmeißt die Gebrauchsanweisung weg?“, fragte er, nur aus dem einzigen Grund, damit Dean nicht aufhörte, weiterzureden. Manchmal war der Grad zwischen Abgleiten in den Wahnsinn und „alles wird gut“ nur der willkürliche Blödsinn, den Dean von sich gab. Das und der Klang seiner Stimme. Aber noch mehr der willkürliche Blödsinn. „Entschuldige? Sehe ich aus, als war ich deswegen beim Baumarkt? Das Ding hatte keine Gebrauchsanweisung! Zwei Minuten, dreiundzwanzig.“ „Das nächste Mal bin ich dabei, wenn du illegales Zeug von suspekten Typen organisierst, klar?“ Dean schwieg, aber Sam konnte beinah hören, welcher Gedanke ihm grade durch den Kopf schoss. So deutlich, als hätte Dean ihn laut ausgesprochen. Falls es ein nächstes Mal gibt … „Okay“, sagte Dean stattdessen und seine Stimme klang merkwürdig ruhig. „Das nächste Mal besorgst du den Sprengstoff.“ „Das nächste Mal“, keuchte Sam, „werden wir uns an Dinge halten, mit denen wir uns auskennen.“ „Sam …“ „Feuer. Salz. Schrotgewehre. Exorzismen. Weihwasser. Kein Sprengstoff. Niemals wieder Sprengstoff.“ „Zwei Minuten, sieben Sekunden. Sam …“ Dean stockte und räusperte sich und Sam bekam ein flaues Gefühl im Magen. Er wusste, wusste, dass er das, was jetzt kam, nicht hören wollte, einfach weil er seinen Bruder so verdammt gut kannte - auch nach Stanford noch und auch nach den ganzen vier Jahren Funkstille zwischen ihnen. „Du solltest …“ Das rastlose Laufen stoppte abrupt, als Dean stehen blieb. „… du solltest dir langsam überlegen, wie lange du von hier bis zum Impala brauchst.“ Sam hatte genau gewusst, dass so etwas in der Art kommen würde und konnte trotzdem nicht verhindern, dass ihm das Herz in die Hose rutschte. „Was?“ „Du solltest … man, dir bleibt nicht mehr viel Zeit und … ich möchte, dass du dich verpisst. Gleich. Jetzt.“ Sams Puls raste. Nur seine Stimme war merkwürdig ruhig. „Was soll das werden? Ist das wieder der Beginn deiner Abschlussrede, die ich jedes Mal zu hören kriege?“ Die Schaufel hämmerte ununterbrochen auf den Boden ein und seine Arme taten so weh, dass er sekundenlang gar nicht mitbekam wie schlecht ihm bei diesem Gedanken wurde. „‘Es ist ein gefährlicher Job, ich habe einfach den Kürzeren gezogen, du kannst es nicht ändern, wir haben immer noch die Auswahl zwischen beerdigen und einäschern‘ – ist es das? Danke, aber das habe ich schon mal gehört. Und es war schon das letzte Mal nicht besonders gut.“ „Sammy …“ „Zeit?“ stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, mehr wütend auf alles andere als auf Dean. Sekundenlang war Dean still. Sekunden, die Sam hören konnte wie Herzschläge, die ihm durch die Finger rannen. „Eine Minute, zweiundvierzig.“ In diesem Augenblick hasste Sam seine verdammten Visionen, die zu nichts gut waren und die nie irgendjemanden jemals retten konnten, am allerwenigsten den einen Menschen auf der ganzen Welt, den er am meisten retten wollte. Von all den Dingen, die er die ganze Zeit sah - wieso hatte er DAS nicht kommen sehen und rechtzeitig einen Schaufelbagger organisiert? „Tür?“ Sie gab ein schabendes Geräusch von sich, als Dean sich von innen mit aller Macht dagegen stemmte, und einige der Geröllklumpen zu Sams Füßen kullerten träge zur Seite. Der Türspalt war inzwischen Handtellergroß. Nicht groß genug. „Sam, es reicht nicht!“ Sam fluchte, ohne beim Schaufeln inne zu halten. Es war doch gar nicht mehr so viel, gottverdammt, wieso ging die verfluchte Tür nicht weiter auf?! Seine Brust fühlte sich enger an mit jedem Atemzug. „Achtundfünfzig Sekunden.“ Dean klang seltsam tonlos. Staub wirbelte um ihn herum, drang unaufhaltsam in Mund und Nase und Lunge, während Sam versuchte, noch mehr und noch schneller Erde und Geröll zu beseitigen. Seine Haare klebten nassgeschwitzt in seiner Stirn und Adrenalin pumpte in wilden Überdosen durch seine Adern. „Siebenundvierzig.“ Es waren Stunden und Sekunden, Atemzüge, Herzschläge, Zentimeter, Millimeter, die sie trennten, und Schaufeln voller Erde. „Dreiunddreißig. Sam …“ „Probier die Tür! Jetzt!“ Es gab einen dumpfen Aufprall, als Dean sich von innen dagegen warf. Die Scharniere quietschen und das schwere Eisen schabte vielversprechend über den Boden. Deans Luft entwich mit einem schmerzhaften Stöhnen, als hätte ihm jemand in den Bauch geboxt, aber der handtellergroße Spalt wurde breiter. Sam ließ die Schaufel fallen und griff nach dem Türrahmen. „Gib mir deine Hand!“, befahl er. „Ich dachte, du willst keine schnulzige Abschiedsszene!“ keuchte Dean. „Einundzwanzig …“ „LOS!“ Sam bekam seinen Arm durch den Spalt zu fassen und zerrte daran. Ohne Rücksicht auf Verluste. Dean verzog das Gesicht und japste nach Luft, als sein Brustkorb an der Tür vorbeischrammte. Der Spalt war zu schmal und die Zeit war zu knapp, aber selbst wenn er ihm sämtliche Rippen brechen müsste - Sam würde ihn hier rausbekommen. Er würde … Er riss ihn ruckartig zu sich, so dass Dean auf einem Stück losen Gerölls ausrutschte und ihm praktisch entgegenfiel. Sein ausgestreckter Arm prallte schmerzhaft auf Sams Schlüsselbein und ihre Beine verhedderten sich, während sie taumelten. Endlich. Sekundenlang war Sam so erleichtert, dass ihm die Knie weich wurden. „Falls wir das hier überleben, gehst du auf Diät!“, keuchte er, als er nach Gleichgewicht ruderte und versuchte, sie beide aufrecht zu halten. „Keine Burger mehr für dich! Nie wieder!“ „Keine Witze über meine perfekte Figur!“ Noch aus dem Schwung seiner Bewegung heraus, packte Dean nach seiner Jacke und zerrte ihn vor sich. „Los, weg hier! Beweg dich, Sam!“ Ein kräftiger Schubs in seinem Rücken ließ ihn nach vorne taumeln. Er rannte. „Stress“, hatte die Ärztin gesagt. „Starker emotionaler Stress oder hohe körperliche Belastung können unter Umständen einen Anfall auslösen.“ Sein Herz raste. Seine Beine waren weich wie Spaghetti und er stolperte über loses Geröll und lockere Erde. Deans Hand auf seinem Arm zerrte ihn geradeaus, immer weiter vorwärts … „Möglichweise auch externe Faktoren … extreme Hitze oder Kälte. Oder Allergene wie Pollen, Schmutz …“ Staub klebte in seiner Kehle, seiner Luftröhre, und machte das Atmen schmerzhaft. Der Impala war beinah zum Greifen nah. „Es ist mehr eine Art bronchiale Hyperreagibilität, die sehr sensibel auf extreme Umstände reagiert.“ Seine Knie gaben im selben Augenblick nach, als Dean ihn ruckartig mit nach unten riss. Der Boden bebte unter ihnen, als ob die gesamte Gewalt der Detonation sich nach unten in die Erde entlud. Eine Staubwolke senkte sich über sie. Er spürte das Prasseln dutzender, kleiner Steinchen auf seinem Rücken und bedeckte reflexartig seinen Kopf. „Ich denke nicht, dass man sich deswegen übermäßig Sorgen machen muss. Damit es zu einem Anfall kommt, müssten schon einige dieser Faktoren zusammenkommen …“ „Alter“, keuchte Dean neben ihm und hob den Kopf. „Ich glaube langsam, der Typ war nicht nur kriminell, sondern Terrorist.“ Und dann – als Sam nicht antwortete: „Hey, alles okay?“ „Es empfiehlt sich trotzdem immer ein Notfallmedikament dabei zu haben. Sonst kann es gegebenenfalls ziemlich hässlich werden.“ Erst als er auf der feuchten Erde lag und Grashalme in sein Gesicht drückten, hatte Sam ein Gefühl von Déjà-vu. Der luftleere Raum in seiner Brust. Das Gefühl Luft durch einen Strohhalm zu saugen. Das rasselnde Atmen, das auch nicht aufhörte, als er nicht mehr rannte. Er kannte das alles … Er spürte die Grashalme zwischen seinen Fingern, als er versuchte hochzukommen, aber es war hoffnungslos. Die Muskeln in seinen Gliedmaßen waren angespannt und krampften von dem Sauerstoffmangel. „Sam! Bist du verletzt?“ Deans Stimme. Schärfer diesmal. Seine Hände fuhren über Sams Rücken, suchten zwischen Staub und Erde nach Verletzungen. Nach Blut, was nicht da war. Es war so lange her und trotzdem so vertraut. Er fühlte sich wieder wie vierzehn. Als läge er vor ihrem Haus auf dem Boden. In kurzen Sporthosen und mit Schlamm im Gesicht, durchnässt und verschwitzt und atmend, atmend. Nur dieses Mal wusste er sofort was los war. Und dieses Mal dachte er: „Oh Shit. Shit.“ Er erinnerte sich an sein hektisches Atmen beim Graben, das hohle Gefühl in seiner Brust und die Beklemmung … und natürlich hatte er das darauf geschoben, dass sein Bruder grade unterirdisch mit einem Sprengsatz eingeschlossen war. Aber nachträglich wurde ihm klar, dass er da etwas Entscheidendes verpasst hatte. Oder vielleicht auch nicht … Denn immerhin war Dean noch da. Also hatte er das Wichtigste wohl richtig gemacht. „Sammy …?“ Er spürte Deans Hände auf seinem Gesicht. Sam blinzelte und sah Sterne und den nachtblauen Himmel. Seit wann lag er auf dem Rücken? Seine Atemzüge waren flach und hektisch und seine Lunge rasselte. Vermutlich outete ihn das sofort, denn Dean schien endlich zu begreifen, was los war. Beinah hätte Sam gelacht, wenn dafür genug Luft da gewesen wäre. Denn war das nicht beschissen? Dean grade den Arsch gerettet zu haben und dann selber dabei draufzugehen? Das war nicht einmal mehr schlechtes Timing – das hatte den Ausdruck „Timing“ überhaupt nicht mehr verdient. „Fuck, shit, gottverdammt…!“, hörte er Dean fluchen. „Sam, sieh mich an! Wo ist dein Spray?“ Spray? Sam schüttelte wortlos den Kopf, während seine Lunge weiterhin diese schrecklichen, viel zu lauten Geräusche von sich gab. Es gab kein Spray. „Machst du Witze?!“ Es klang aufgebracht. Das war nicht gut. Sam hoffte, dass Dean die Nerven behielt. Einer von ihnen musste die Nerven behalten und er selbst war es sicher nicht. Die Hände verschwanden von seinem Gesicht und er spürte mehr als dass er sah, wie Dean aufstand. Nur wozu? Wohin? Sein Gesichtsfeld wurde grau und zerfranst an den Rändern. Blut rauschte in seinen Ohren. Sauerstoffmangel realisierte er mit einem panischen Flattern in der Magengrube. Shit. Shit. Sie waren meilenweit weg von jedem Krankenhaus. Hier war nicht mal ein guter Handyempfang wegen der hohen Bäume. Und auch bei allem Kinderglauben, der immer noch irgendwo tief in ihm steckte, dass sein großer Bruder wirklich alles schaffte und alles wieder gut machen konnte … nicht einmal Dean konnte aus dem Nichts ein Asthmaspray herbeizaubern. Und er selbst … Er hatte es vergessen. Verdrängt. So einfach war das. Vier Jahre lang keine Schwierigkeiten und schon dachte er nicht mehr daran. Nicht einmal Jess hatte es gewusst. Dean? Shit. Wo war Dean? Und als das ganze Spiel wieder von vorne angefangen hatte? Hatte er da irgendwann daran gedacht, sich ein Spray zu besorgen oder Cortisontabletten? Nein. Natürlich nicht. Aber das war entschuldbar. Als hätte er keine anderen Probleme gehabt. Als wäre das Leben mit seinem kriminellen Bruder nicht eine einzige Aneinanderreihung von andauernden Pannen, Katastrophen, lebensgefährlichen Unfällen, Zufällen, Anschlägen und Aufträgen. Sprengstoff. Weltuntergängen. Okay. Niemand hätte in dieser Situation daran gedacht, mal kurz anzuhalten, in eine Apotheke zu hüpfen und zu sagen „Hey, eine Runde prophylaktisches Asthmaspray nur für den Fall bitte. Danke.“ Niemand. Wirklich niemand … „Sam.“ Mit mehr Gewalt als nötig wurde etwas zwischen seine Lippen geschoben. Scharfe, bittere Luft füllte seinen Mund. Er blinzelte überrascht und versuchte das verschwommene Gesicht seines Bruders zu fokussieren, der sich über ihn beugte. Bevor er es schaffte, zerrten Deans Hände unsanft an seiner Jacke und manövrierten ihn in eine beinah aufrecht sitzende Position. „Wird’s bald?“, wurde er angefaucht. „Einatmen musst du schon alleine!“ Es sollte barsch klingen, aber klang vor allem alarmiert, und beinah hätte Sam gelacht, weil Dean so schlecht darin war, seine Besorgnis zu verstecken. Schon immer gewesen. „Für die nächste Zeit gebe ich euch ein Spray mit. Ihr solltet darauf achten, dass Sam immer etwas dabei hat. Nur für den Fall. Man hat nicht immer ein Krankenhaus in der Nähe, falls es ungemütlich wird.“ Dean hatte neben ihm an der Bettkante gesessen und ernsthaft genickt und jedes ihrer Worte in sich aufgesaugt wie ein Schwamm. „Was muss ich tun, wenn es wieder passiert?“ „Ich will nicht, dass es wieder passiert.“ Sam hatte das Gesicht verzogen bei dem Gedanken. Das hatte so überhaupt keinen Spaß gemacht. Dean hatte eine vielsagende Grimasse geschnitten. „Ich kann auch drauf verzichten. Glaub mir.“ „Ich habe vorhin schon mit eurem Vater darüber gesprochen …“ Ihr Unterton war zweifelnd gewesen, aber nicht unfreundlich. Dean hatte zustimmend genickt, aber seine auffordernde Haltung war unnachgiebig geblieben. Sam - und das sagte er in jeder seiner Bewegungen, jedem Blick - war seine Verantwortung, vielen Dank, und er gedachte nicht sie abzutreten. Nicht einmal an Dad. „Sagen Sie es mir auch. Nur … für den Fall.“ Also gut. Niemand außer Dean hätte daran gedacht. Die Tür des Impalas in seinem Rücken war kühl, aber Deans Hand zwischen seinen Schulterblättern war warm. Sam hatte die Ellbogen auf den Knien aufgestützt und den Kopf nach vorne geneigt. Er atmete ein und aus und kam sich ein bisschen idiotisch dabei vor, weil sicher kein normaler Mensch so einen Aufwand mit einer so normalen Tätigkeit hatte. Aber das Spray half und die beruhigenden, kreisförmigen Bewegungen auf seinem Rücken halfen auch, und sowohl das vernebelte Gefühl in seinem Kopf wie auch das Herzrasen ließen langsam nach. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst mich das nächste Mal vorwarnen“, bemerkte Dean. Es klang unverhohlen missbilligend und Sam musste um den Inhalator herum lächeln. Es war ein gutes Gefühl. „Tut mir leid.“ „Ja. Ja.“ Er ließ den Inhalator sinken und atmete ein paar Mal probeweise ein und aus. Die Luft schmeckte kalt und feucht und nach Erde. Aber sie ging beinah anstandslos rein und raus, und das war das beste Gefühl überhaupt. Das Gras, auf dem sie saßen, war nass und die Feuchtigkeit sickerte unangenehm klamm durch seine Jeans, aber er hatte nicht den Wunsch, über kurz oder lang aufzustehen. Es war wie damals im Krankenhaus. Er war schlapp und müde und sein Kopf funktionierte nur mit halber Kraft, aber er bekam wieder Luft und Dean war da, und alles war irgendwie okay. „Besser?“ Sam machte ein zustimmendes Geräusch und ließ sich ein Stück zur Seite sinken, so dass er gegen Deans Schulter lehnte. Scheinbar war das in Ordnung, denn der erwartete Protest blieb aus und er bekam ausnahmsweise keinen Spruch an den Kopf geworfen, der implizierte, dass er ein X-Chromosom zu viel hatte. Dean war meistens gnädig nach Nahtoderfahrungen. Nicht immer. „Ich hab auch noch … diese Tabletten da, wenn du welche brauchst.“ Dean klang unsicher und hob die Schultern in einer untypisch verlegenen Geste. Als hätte Sam ihn bei etwas ertappt. So etwas Albernem wie ein fabelhafter, großer Bruder zu sein. „Cortison?“ Seine Stimme klang rau und trocken, aber funktionierte wieder erstaunlich gut. Er spürte, wie Dean nickte und war nicht einmal überrascht. Keine halben Sachen. „Wann … hast du das alles besorgt?“ Und wie konnte es sein, dass er das nicht mitbekommen hatte? Wie konnte man überhaupt irgendetwas von einander nicht mitbekommen, wenn man 24 Stunden am Tag aufeinander hing, immer in der Privatsphäre des anderen und praktisch dieselbe Luft atmete? „Alter? In Stanford. Und wieso hast du es nicht besorgt?“, gab Dean zurück. „Ich hatte es vergessen …“, gestand er leise, beinah gegen seinen Willen. Sekundenlang war Dean still. Nur seine Hand bewegte sich weiter auf Sams Rücken, warm und sicher. Irgendwann atmete er langsam aus und Sam spürte, wie die Anspannung aus seinem Körper wich. „Oh man. Manchmal frage ich mich, wie du vier Jahre lang ohne mich ausgekommen bist.“ Sam konnte den scherzhaften Unterton hören und trotzdem trieb es ihm unerwartet Tränen in die Augen. Denn manchmal … manchmal fragte er sich das auch. „Keine Ahnung“, erwiderte er und fragte sich, ob man die Heiserkeit in seiner Stimme noch auf das Luftproblem von eben schieben konnte. Er senkte den Kopf und nahm einen weiteren Zug aus dem Inhalator. Oder es waren die Medikamente. Irgendetwas an dem Zeug machte ihn jedes Mal wieder gefühlsduselig. Daran lag es. Ganz sicher. „Hey, nicht sentimental werden.“ Dean stieß ihm einen Ellenbogen in die Rippen und räusperte sich unbehaglich. „Geht’s wieder? Kannst du aufstehen?“ Sam nickte unwillig und ohne sich von der Stelle zu bewegen. „Brauchst du trotzdem ein Krankenhaus? Ich meine, es wird ne Weile dauern, bis wir eins finden, aber …“ „Ich glaube, wenn ich eine Nacht darüber schlafe, ist es wieder okay.“ „Aber nicht im Wald, ja?“ „Ein Motel wäre mir lieber, ehrlich gesagt.“ „Mir auch. Das ist gut. Weil mein Hintern wird grade irgendwie nass. Und du bist schwer“, fuhr Dean fort und machte konsequenterweise ebenfalls keine Anstalten aufzustehen. „Außerdem sollten wir uns vielleicht rechtzeitig aus dem Staub machen, bevor die Forstwacht hier auftaucht. Falls es eine Forstwacht gibt. Oder die Nasa. Wie auch immer. Und danke übrigens, dass du mir da drin den Arsch gerettet hast.“ Es dauerte ein bisschen, bis der letzte Teil in Sams noch immer nicht ganz wachem Gehirn richtig ankam und verarbeitet wurde. Überrascht hob er den Kopf und warf Dean einen fragenden Blick zu. Sofort bekam er einen Klaps auf den Hinterkopf und wurde nachdrücklich wieder nach unten gedrückt. „Nicht gaffen. Weiteratmen“, kommandierte Dean und blickte zur Seite. „Sonst kommen wir hier niemals weg.“ Sam grinste unter langen Ponyfransen und setzte folgsam den Inhalator wieder an die Lippen. Als ob er Dean jemals in diesem Bunker sitzen gelassen hätte. Mit einem Sprengsatz. Keine Chance. „Ich frage mich, wie du vier Jahre lang ohne mich ausgekommen bist“, gab er zurück. Es gab eine lange Pause, in der er nichts anderes tat als ein- und auszuatmen. „Du meinst ohne jemanden, der dauernd meine brillanten Pläne runtermacht und beim Fahren ständig Pinkelpausen braucht?“, erwiderte Dean schließlich. Sam lächelte. Ein warmes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. „Ach, halt die Klappe.“ Und das war eigentlich alles, was es dazu zu sagen gab. Nachtrag: Also, Hope hatte sich schamlosen hurt!Sam-fluff von mir gewünscht. (Und das obwohl ich ein totales hurt!Dean-fangirl bin ... tz.) Ich kann nun fics nicht leiden wo einer von beiden total hilflos ist und ständig gerettet werden muss. Deswegen habe ich mich bemüht, ihrem Wunsch zu entsprechen und trotzdem ... na ja, die beiden so zu schreiben wie ich sie sehe / bzw. wie ich sie auch in der Serie erlebe. ^^ Und ich mag generell "Ich rette dich - du rettest mich"-Zeugs. ;P Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)