Wo auch immer du bist von halfJack (Yamato Ishida x Taichi Yagami) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Wind war warm. Er wehte leicht durch Taichis braunes Haar, als dieser im Licht der Dämmerung zu seinem Freund hinüberschaute. Die Sonne war bereits nicht mehr zu sehen, doch Straßen und Häuserwände strahlten noch immer eine angenehme Wärme aus. Yamato stand allein am Rand des Daches, den Blick gesenkt. Seine Augen sahen in das Nichts. "Yamato!", rief Taichi den Namen seines Freundes. Der Blonde wandte sich um und blickte dem Anderen ins Gesicht. Seine blauen Augen sagten nichts. Doch er lächelte und sprach die Worte: "Ich liebe dich." Taichi zeigte kein Anzeichen von Verwunderung. Er wurde ruhig und schloss die Lider. "Wenn du mich nicht verlieren willst", fuhr Yamato fort, während er sich einen Schritt der Ewigkeit näherte, "dann liebe mich ebenso." Verwirrt hob Taichi den Blick. Langsam tauchte die Dämmerung alles um sie herum in ein sanftes Violett und die ersten Sterne erschienen am Firmament. Der frühe Abend kündete eine klare Nacht an. Doch Taichi liebte seinen Freund nicht. Verzweifelt sagte er: "Komm runter. Ich will nicht, dass du stirbst. Ich will dich nicht verlieren." "Und?" Yamatos Stimme war atemlos und doch kühl. "Bleib bei mir", flüsterte Taichi, "...ich liebe dich." Und wir tanzten im Schnee vergangenes Jahr Der Mond funkelte sanft in deinem Haar Er würde ihn lieben lernen. Liebe war nicht so schwer. Sie würden füreinander am Leben bleiben. Leben war nicht so schwer. Er würde nicht für ihn sterben. Das wäre zu einfach. Er würde bei ihm bleiben. Für immer. "Liebe", sagte Taichi und schaltete die Musik ein, um Yamatos Stimme zu hören, "ist einfach." Und es tut auch kaum mehr weh, Wenn ich alles vor mir seh, Als ob es letzte Nacht gewesen Sternenklar Taichi schaute zu den grauen Wolken auf. Seine Fingerspitzen fuhren unruhig über das Fensterbrett, während er den scharfen Wind am Körper spürte. Er schloss die Augen und nahm den Geruch von Regen wahr. "Es ist kalt." Die Worte seines Freundes durchschnitten die gläserne Stille im Raum. Taichi wandte sich um und blickte in Yamatos Gesicht, der sich an die Wand gelehnt hatte, seinen Blick jedoch nicht erwiderte. Der Braunhaarige ging einen Schritt zurück und schloss leise das Fenster. Erneut drehte er sich um. Nach einigen Momenten des Schweigens hob Yamato den Kopf und richtete seine eisblauen Augen auf den Anderen. Schwach löste er sich von der Wand in seinem Rücken und kam auf Taichi zu. Er hob die Hand und legte sie an die Hüfte seines Freundes, fuhr sanft über das Shirt und schließlich leicht darunter. Taichi zuckte zusammen, als die kalten Finger seine Haut berührten. Doch Yamato hielt nicht inne, sondern strich über den Rücken des Größeren und zog ihn näher zu sich. Zärtlich küsste er ihn auf die geschlossenen Lippen. Kurzzeitig wehrte sich Taichi dagegen. Dann jedoch erstarb sein Widerstand. Er schloss die Augen, seine Arme sanken hinab. Deine Haut und Stolz bleibt mir schon lang nicht mehr Taichi ließ es zu, dass Yamato ihn langsam entkleidete. Die Nacht drang durch das Fenster herein und verhüllte die beiden Jungen, um nur schwarze Umrisse ihrer Körper zurückzulassen. Der Braunhaarige fühlte sich schutzlos. Dennoch unternahm er nichts dagegen, sich seinem Freund auszuliefern, welcher ihn nun zurück in die Laken des Bettes drückte. Hände fuhren zitternd über seine Glieder. Schwerer Atem verklang im Zimmer und Taichi fühlte Tränen über sein eigenes Gesicht rinnen, die er nicht zu unterdrücken in der Lage war. Doch es geschah nicht das, was er befürchtet hatte. Yamato ging nicht weiter, als hätte er Angst, der Pfad, den er betreten hatte, würde unter ihm zerbrechen. "Vergib mir", hörte Taichi die Stimme, deren Hilfeschrei er aus unzähligen Liedern kannte. Keine Antwort folgte, bis verhalten das Bettzeug raschelte und Yamato aufstand. Er war noch vollständig bekleidet und blieb eine lange Zeit mitten im Zimmer stehen. Dann wurde behutsam die Tür geöffnet. Mit einem kaum hörbaren Geräusch schloss sie sich wieder und hinterließ eine bedrückende Stille, die schwer auf Taichi lastete. Ich gäbe alles für ein Zaubermittel her Eines, das dich mich lieben macht Länger als nur eine Nacht Das Licht der Laternen brannte in Yamatos Augen, sodass ihm vereinzelt Tränen über die Wangen liefen. Zwar zog er den Mantel enger um seinen Körper, aber dennoch fror er. Und dann erlosch das Licht. Yamato blieb stehen und sah auf. Er wusste, es würde Mitternacht sein. Doch meine Arme und die Nächte bleiben leer Langsam wich die Dunkelheit und hinterließ graue Schatten an den Zimmerwänden, die sich durch die Dämmerung des Morgens grotesk verzerrten. Taichi lag ruhig auf dem Bett und beobachtete sie. Sein nackter Körper war unbedeckt, sodass er leicht fror. Als hätte der beginnende Tag die Starre von ihm genommen, erhob er sich schließlich. Er warf nur einen kurzen Blick aus dem Fenster, bevor er sich anzog und ging. Vor der Wohnungstür kramte er aus seiner Manteltasche die Kopfhörer hervor. Kurz darauf erklang die Stimme seines Freundes verzweifelt in seinem Ohr. Taichi wollte das nicht verlieren, wie wenig er auch immer lieben mochte, er konnte es nicht aufgeben. Endlich stand er vor dem Wohnblock des Blonden. Ein paar Minuten verweilend schaute Taichi an der Balustrade hinauf, die sich in den von grauen Wolken verhangenen Himmel bohrte. Der junge Mann fror im kalten Wind. Umkehren konnte er nun nicht mehr. Nur dieses eine Mal noch schenk mir Kraft für einen neuen Tag Ich stehe nackt und hilflos vor dem Morgen Nie war ich so stark Yamato sagte nichts, nachdem er die Tür geöffnet hatte und sein bester Freund vor ihm stand. Er schaute Taichi irritiert in die Augen, wandte jedoch sofort den Blick ab und sah zu Boden. Seine Finger, die noch immer auf der Klinke lagen, zitterten unruhig. Der Braunhaarige kam einen Schritt auf ihn zu und hob die Hand, um ihm sanft über das Gesicht zu streichen. Dann zog er ihn an sich, sodass sich ihre Lippen fast berührten. Doch Taichi schloss nur die Lider und atmete bedacht ein und aus. Das Zittern, von dem Yamato ergriffen war, verstärkte sich. Jeglicher Gegenwehr beraubt glitt seine Hand von der Türklinke und fiel kraftlos an seinem Körper hinab. Er sah an Taichi vorbei und suchte einen unbestimmten Punkt, der ihm Halt spenden konnte. "Warum?", fragte Yamato schwach. "Warum liebst du mich nicht?" Taichi öffnete die Augen. Schmerz lag in ihnen, als er antwortete: "Aber das tue ich doch. Ich liebe dich." Er zog den Blonden in seine Arme und drückte ihn fest an seinen eigenen Körper. "Ich liebe dich." Tränen rannen unaufhörlich über Yamatos Gesicht, während er sich reglos von seinem Freund umarmen ließ. "Ich liebe dich." Das Blut rauschte in Taichis Kopf. Er hatte das Gefühl, Yamato würde jeden Moment seinen Fingern entgleiten und nie wieder zu ihm zurückfinden. "Ich liebe dich." Endlich fand der Blonde seine Stimme wieder. Er blickte noch immer starr in die Ferne, als er kaum wahrnehmbar flüsterte: "Was habe ich nur verlangt?" Ohne Probleme machte er sich von Taichi los, der ihn schweigend gewähren ließ. Nur einen Tag noch Kraft Und ich reiß alle Mauern um mich ein Taichi sah seinen Freund am Schreibtisch stehen, als er dessen Zimmer betrat und leise die Tür hinter sich schloss. Nervös hantierte der Blonde an einer kleinen Schachtel herum, aus der er schließlich ein in Papier eingepacktes Stück Metall nahm. Mit der Rasierklinge zwischen den Fingern ließ sich Yamato neben dem Tisch hinabsinken und lehnte erschöpft an dem Holz in seinem Rücken. Dann schob er den Ärmel seines Oberteils nach oben und setzte die Klinge an dem bereits von Narben gezeichneten Unterarm an. Der Braunhaarige beobachtete wortlos, wie sich rote Striemen über die weiße Haut seines Freundes zogen und das Blut in sanften Bahnen hinabtropfte. "Warum tust du das?", fragte Taichi schließlich. "Willst du wirklich sterben?" Yamato atmete verächtlich aus. "Seltsam, dass Schönheit immer mit dem Tod in Verbindung gebracht wird." Er legte die Rasierklinge neben sich und betrachtete die Wunden, die er sich zugefügt hatte. "Nichts erscheint dem Menschen schöner als das Vergängliche. Nichts begehrt er mehr als das, was er nicht erreichen kann. Was ist schon so faszinierend wie die Ewigkeit des Todes?" Ein Lächeln legte sich auf Yamatos Lippen. Er blickte Taichi durchdringend in die Augen und fuhr fort: "Ist es mein Tanz am Abgrund, der mich so anziehend für dich macht? Ist es diese Herausforderung? Dann sage ich dir gleich, dass du da etwas gewaltig falsch verstehst. Ich werde nicht sterben. Ganz im Gegenteil, so lebe ich viel intensiver." Verwirrt sah Taichi zu Boden. Yamato seufzte. Er wusste nicht, ob sein Freund es verstanden hatte oder ob er es jemals verstehen würde. Nur wer sich öffnet für den Schmerz, Lässt auch die Liebe mit hinein Ruhig stand der blonde Sänger auf der Bühne, die Gitarre fest in der Hand. Er spielte ein paar einfache, aber ausdrucksstarke Akkorde, sodass Taichi ein kalter Schauer den Nacken hinab lief. In diesem Moment, da sein Freund von der Band unbegleitet auf der Bühne stand, hatte Taichi das Gefühl, Yamato würde ihm unendlich fern sein. Er selbst jedoch blieb gefangen. Festgehalten von den Gefühlen, die sich immer stärker in seinen Körper hineinfraßen, je häufiger er sich auf Yamatos Stimme einließ. Taichi verkrampfte ungewollt. Er hielt es nicht mehr aus, zu bleiben. Sein Blick suchte den seines Freundes. Doch Yamato sah ihn nicht, als hätte er alles vergessen, für diesen Augenblick die Freiheit gefunden, die er immer suchte. So wie in seinem Leben. Angst ergriff Besitz von Taichi. Er wusste, irgendwann würde Yamato ihn verlassen. Und wir tanzten im Schnee vergangenes Jahr Der Mond funkelte sanft in deinem Haar Zitternd umschlang sich Yamato mit den Armen und zog die Decke noch fester, während er in seinem Bett lag und weinte. Die Tränen hörten nicht auf. Seine Haut schmerzte von ihrem Salz. "Ich will hier raus", flüsterte er erstickt in die Stille, "raus aus diesem Körper." Der Platz neben ihm erschien ihm unerträglich leer. Taichi war gegangen, vielleicht für immer. Mutlos umklammerte Yamato etwas, das nicht mehr da war. Die Erinnerung an das lächelnde Gesicht seines Freundes verblasste langsam. Was zurückblieb, war die Realität, in der sie heute anders zueinander standen als früher. Yamato wusste, dass es seine eigene Schuld war, weil er sich verändert hatte. Er wusste, Taichi hatte ihn lange schon verlassen. Und er würde es wieder tun. Und es tut auch kaum mehr weh, Wenn ich alles vor mir seh, Als ob es gestern war Und nicht vergangenes Jahr "Weißt du noch, wie es früher war?" Yamato sah seinen Freund nicht an, als er ihm diese Frage stellte. Er stand am Fenster, die Arme auf das Fensterbrett gestützt. Sein Blick war weiterhin über die Häuser Tokios gerichtet. Taichi antwortete nur mit einem schmerzlichen Lächeln, welches Yamato jedoch nicht sehen konnte. "Wir können nicht zurück", fuhr der Blonde unvermittelt fort, "nicht zurück, zu der Zeit, die längst vergangen ist." "Möchtest du das denn?" Yamato wandte sich um und blickte in Taichis Gesicht, welches ihm wortlos erklärte, dass sie nun mehr besaßen, als sie verloren hatten. Kopfschüttelnd meinte der junge Sänger: "Du belügst dich selbst. Es ist ein Unterschied, ob man etwas unaufhaltsam loslassen muss oder ob man es von sich aus aufgibt." Er blickte zu Boden, unbewusst schob er den Ärmel seines Oberteils nach oben und kratzte über die nur teilweise verheilten Narben. Er hoffte, Taichi würde ihn allein lassen. Der jedoch sagte: "Ich habe es für dich aufgegeben." Yamato wusste nichts auf diese Lüge zu erwidern, außer: "Bleib bei mir." Der Braunhaarige zog ihn zu sich und schloss ihn sanft in seine Arme. Resignierend ließ Yamato es geschehen. "Ich halte mich in mir selbst gefangen, als wäre mein eigener Körper ein Käfig", sagte er nach einer Weile und fügte schließlich, da Taichi nichts darauf erwiderte, hinzu: "Aber du verstehst es nicht." Will ich es greifen, Ist es schon nicht mehr da Niemand war mir jemals ferner und so nah Die anderen Bandmitglieder waren nicht da. Nur Yamato stand in dem verlassenen, schalldichten Raum. Hinter der Glasscheibe sah er Taichi, der ihn mit seinen braunen Augen betrachtete. Yamato fühlte sich unwohl, wie jedes Mal in diesem Raum. Es war so still, dass er das Gefühl hatte, sein Schädel würde platzen. Er bekam eine annähernde Vorstellung davon, wie es wäre, taub zu sein. Vor nichts hatte er mehr Angst. Jede seiner Bewegungen erzeugte einen Laut, der ihm vielfach verstärkt in den Ohren dröhnte. Selbst das eigene Atmen erschreckte ihn. Wenn das Mikrophon, das vor ihm stand, nicht eingeschaltet war, dann konnte man seinen Schrei von außen nicht hören. Wie in der Wirklichkeit, dachte Yamato und lächelte. Er schloss die Augen und vergaß für die nächsten Minuten, dass er nicht allein war. Dann begann er zu singen. Nicht mal Stille sagt, wie tief Wie ein ungeschickter Brief Was zerbrach, als ich in deine Augen sah Yamato öffnete langsam die Lider und schaute zu seinem Freund. Mit einem Mal verschwand die Welt, in die er während seines Gesangs eingetaucht war. Plötzlich war er wieder im Jetzt. Und der seltsame Ausdruck in Taichis Augen machte ihm bewusst, dass er möglicherweise gar nicht hierher gehörte. Während Yamato mit seiner Unsicherheit kämpfte, war Taichi auf der anderen Seite der Glaswand noch immer von den Worten verletzt, die sein Freund für ihn geschrieben hatte. "Warum tust du das?" Er wusste, dass Yamato zwar die Bewegungen seines Mundes sehen, allerdings nichts von dem Gesagten vernehmen konnte. Der Blonde sah ihn irritiert an. Langsam ging er ein paar Schritte zurück und entfernte sich von dem Mikrophon. Schließlich verließ er den Raum, um zu seinem Freund hinüberzugehen. Als er ihm jedoch gegenüberstand, brachte er keinen einzigen Ton mehr über die Lippen. Auch Taichi sagte nichts mehr. Jeder Satz, den er hätte sagen können, würde den Blonden verletzen. Also schwiegen beide. Nach langer Zeit konnte Taichi die Situation nicht mehr ertragen. Er ging an dem Anderen vorbei und machte ihm, ohne gesprochen zu haben, seine Verachtung klar. Das Geräusch der sich schließenden Tür ließ Yamato allein zurück. Auch dieser Brief bleibt ungeschickt von mir Das schönste Lied schrieb ich nicht auf Papier Der junge Sänger hielt den Stift in der zitternden Hand. Die Sätze auf dem Papier, die er versucht hatte zu schreiben, sahen geschunden und zerstört aus. Sie waren durchgestrichen, korrigiert, verworfen und teilweise sehr unleserlich, sodass fast nichts mehr zu erkennen war. "Es geht nicht", keuchte Yamato und seine herabfallenden Tränen ließen auch den Rest der Worte verschwimmen, "es geht einfach nicht mehr." Ich schrieb es in dein Gesicht Mit den Fingern, siehst du nicht Was mein Mund dir hinterließ Schau auf deine Haut und lies Als Yamato die Hand gehoben hatte, um die Konturen von Taichis Gesicht nachzufahren, berührten seine Fingerspitzen kaum dessen Haut. Nur zaghaft gab er seiner Sehnsucht nach. Der Braunhaarige betrachtete ihn dabei ernst, bis sein Blick auf den Arm seines Freundes fiel, der ein wenig freigelegt war. Er zog ihn an der Hand zu sich und schob den Ärmel gänzlich hoch. Auf der Haut zeichneten sich weitere Wunden ab, die erst vor kurzem entstanden sein mussten. In ihren offenen Kerben hatte sich noch nicht viel Grind gebildet, die Kruste war mehr rotes Schwarz als verblasstes Braun. "Fühlt es sich etwa so gut an?", fragte Taichi. Mit einem schmerzlichen Lächeln nickte Yamato. "Ich konnte es nicht auf Papier bringen", erklärte der Sänger zusammenhangslos und schaute auf seinen Arm hinab, "es kommt mir vor, als könnte ich die Noten nicht mehr finden, als wären die Worte nicht richtig, wenn ich sie vor mir sehe. Darum versuche ich es auf diese Weise. Ich versuche meine Gefühle in die Haut zu ritzen. Dann verlassen sie mich nicht, sondern sind immer bei mir." Yamato glaubte den skeptischen Blick seines Freundes auf sich zu spüren. Er fühlte sich schutzlos und dennoch von einer unbestimmten Kraft erfüllt. "Wenn du willst", sagte er vorsichtig, "dann zeige ich es dir." Such wo meine Zunge war Such mein Lied in deinem Haar Das Fenster war leicht angekippt, sodass die ohnehin eisige Luft in Yamatos Zimmer noch weiter abkühlte. Taichi lehnte mit dem Rücken am Glas des Spiegels, den Oberkörper entblößt. Wieder spürte er die Fingerkuppen seines Freundes nur flüchtig auf der Haut. Yamato küsste sanft Taichis Lippen, Hals, Schlüsselbein und Schultern, so zurückhaltend, als wollte er ihn nicht verletzen. Von Schwindel ergriffen schloss Taichi die Augen. Sein Körper war angespannt, obwohl man ihn kaum berührte. Dann fühlte er einen ziehenden Schmerz, der über seine Brust verlief. Scharf zog er die Luft zwischen den Zähnen ein, hielt die Augen jedoch weiterhin geschlossen. Er vernahm, wie Yamato mit der Zunge durch den Einschnitt fuhr, um das Blut von seiner Haut zu lecken. Taichi war verwirrt ein erregtes Stöhnen unterdrücken zu müssen. "Ich hatte nicht daran gedacht", meinte Yamato in die Stille, "aber etwas anderes wollte ich im Moment nicht. Das würde nur alles zerstören. Die Wahrheit würde diese angenehme Lüge zerstören. So...", der Blonde hielt inne, während er die Rasierklinge erneut bei Taichi ansetzte, bevor er fortfuhr, "so kann ich mir vormachen, dass du es auch fühlen würdest." Willst du mein Gefühl verstehen, Musst du dich in dir ansehen Schließ die Augen und du siehst Ich bin in dir Wieder klingelte es an der Tür, doch noch immer war Taichi unschlüssig. Sicher war es Yamato, der vor der Tür stand und darauf wartete, dass jemand öffnete. "Was ist nur los mit mir?", fragte Taichi leise, obwohl er die Antwort bereits kannte. Die Hände des Braunhaarigen verkrampften sich. Er hatte Angst. Als es zum dritten Mal klingelte, setzte er sich endlich in Bewegung und öffnete die Tür. Taichi konnte nicht deuten, was in den blauen Augen lag, die ihn nun durchdringend musterten. Unvermittelt sagte Yamato: "Du willst weg von mir." Taichi wusste nichts darauf zu erwidern, doch der Andere redete sofort weiter, als hätten ihm diese Sätze eine lange Zeit im Herzen gelegen und von innen zerfressen. "Warum hast du mich damals aufgehalten? Wenn du jetzt nicht mehr willst, dass ich bei dir bleibe, wenn ich dir eine Last geworden bin, von der du dich nur noch befreien möchtest, dann hättest du mich gehen lassen sollen. Denkst du, das hat gereicht? Es ist nicht so einfach, wie du glaubst. Du willst, dass ich bei dir bleibe, aber das Opfer dafür ist dir zu hoch. Ich wusste es von Anfang an. Du schaffst es nicht. Du kannst mich nicht festhalten. Warum hast du mich belogen, wenn wir es beide wussten? Ich hätte damit leben können, es hätte mir nichts ausgemacht. Denkst du etwa, dass ich nun einfach so hier bleiben kann, dass du alles getan hast, um mich an diese Welt zu binden? Denkst du das wirklich?" Taichi konnte dem Blick seines Freundes nicht standhalten. Genauso wenig konnte er ihm eine Antwort auf seine Fragen geben, da er sich selbst damit zu sehr verletzt hätte. Der Atem des Blonden ging schwer. Ein bitteres Lächeln zeichnete sein schönes Gesicht, als er die Hände hob, um Taichis Hemd zu öffnen und sanft über die Narben auf dessen Brust zu streichen. Schließlich sagte er: "Es tut mir Leid. Du bist mir so fern, dass ich es kaum ertragen kann. Ich habe dich besudelt, sowohl physisch als auch psychisch. Es tut mir so Leid. Es wäre wirklich besser, wenn..." Yamatos Arme sanken hinab. Lange sprach er kein Wort mehr und die Zeit verstrich in bedrückender Stille, bis Taichi unsicher fragte: "Was ist?" "Es wäre besser", sagte Yamato stockend, "ich würde dich nicht mehr belasten. Ich hätte springen sollen. Besser, ich wäre tot." Wütend schlug Taichi dem Blonden mit der flachen Hand ins Gesicht. Beide brachten daraufhin kein Wort mehr über die Lippen. Ich breite meine Arme aus Empfange dich Komm an mein Herz Die zwei jungen Männer lagen auf dem Teppich mitten im Raum und starrten an die Zimmerdecke. Keinem von ihnen war klar, ob die Situation jetzt wieder entspannter war. Zumindest fühlte es sich so an. Dieses Vertrauen machte sie sicher. Taichi öffnete für einen Augenblick den Mund und atmete leise ein, um seiner Stimme die nötige Kraft zu geben, doch Yamato fing vor ihm zu sprechen an: "Sag nichts. Das würde dieser Moment nicht überleben." Der Braunhaarige nickte stumm, sodass Yamato lächelnd zu den Rasierklingen neben sich griff. Ich heile dich Lass einfach los Und gib mir deinen ganzen Schmerz "Was ist das?" Taichi hatte den Arm seines Freundes gepackt und zeichnete mit dem Finger eine Schnittwunde nach, die auf der Innenseite des Handgelenks parallel zum Unterarm verlief. Der Blonde sah ihn irritiert an. Unverständnis lag in seinen Augen, als er entgegnete: "Damit ist doch nichts. Es ist nur eine weitere Narbe, mehr nicht." "Nein, das ist nicht so wie sonst. Der Gedanke ist anders." "Lass mich." Yamato befreite sich aus dem Griff. Allerdings war es keine Wut, die seine Stimme durchdrang, sondern Furcht. "Das ist gefährlich", redete Taichi auf ihn ein, "ich dachte, du machst es nicht aus diesem Grund. Sieh gefälligst her!" Erneut hielt Taichi das Handgelenk seines Freundes fest und deutete auf die längsgeschnittene Wunde. "Was soll ich denn da denken? Machst du das mit Absicht? Erzähl mir nicht, es wäre ohne bestimmten Gedanken gewesen. Das hier ist mehr als eindeutig." "Ich passe schon auf mich auf", wischte der Blonde die Anklage beiseite, "es ist doch okay, wenn ich nur ein wenig mit dem Gedanken spiele. Das habe ich schon immer getan. Deshalb bringe ich mich nicht sofort um." "Und was ist mit mir?" Taichis Stimme war kalt. Unvermittelt ließ er den Arm des Anderen wieder los und erhob sich. "Du tust es einfach so ab, als wäre nichts. Für dich mag es eine Kleinigkeit sein, aber ich muss die ganze Zeit mit dieser Angst kämpfen. Wenn du keinen Wert darauf legst, dann sollte ich besser gehen. Ich scheine dir sowieso keine große Hilfe zu sein." Damit warf sich Taichi die Jacke über. "Du hattest Recht; ich kann dich nicht festhalten. Ich packe es einfach nicht. Aber vielleicht...", er zog den Reißverschluss der Jacke nach oben, "...schaffst du es ohne mich." "Ohne dich?", fragte Yamato, als er endlich seine Stimme wieder gefunden hatte. Taichi lächelte. Dann wandte er sich zum Gehen. "Nein, warte!" Die Stimme des Blonden war verzweifelter, als sie jemals in einem Lied geklungen hatte. "Ich werde es nicht mehr tun, gar nicht mehr. Was auch immer du willst, ich mache es. Aber, bitte, geh nicht." Sein Freund drehte sich noch einmal um. Erschöpfung lag in den braunen Augen, als er antwortete: "Nicht. Ich meine es ernst. Es wird mir zu viel und ich schaffe das nicht mehr. Diese Situation, das alles zwischen uns, deine Ansichten und dein Charakter. Ich kann damit nicht umgehen, mit dir nicht umgehen. Und du kannst es genauso wenig. Unsere Beziehung macht dich kaputt. Das muss aufhören. Bitte, ich möchte gehen." Die Wahrheit in Taichis Worten hielt Yamato davon ab, ihn aufzuhalten. Renn einfach weg Lauf vor mir fort Lebe dein Leben ohne mich Taichi beachtete das Telefon nicht, als es klingelte. Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft ihn Yamato an diesem Tag bereits angerufen hatte. Sein Freund wollte es einfach nicht verstehen. Abrupt erhob sich Taichi. Wie sooft legte er die Hand auf den Telefonhörer und konzentrierte sich auf den durchdringenden Ton, der immer penetranter in seinen Ohren widerklang. Reglos rief er sich all die Worte ins Gedächtnis zurück, die ihn an Yamato banden. Doch das Gefühl, welches er dadurch zu finden erhoffte, hatte einen seltsam dumpfen Nachgeschmack angenommen. Taichi flüsterte kaum hörbar: "Ich liebe dich." Er hielt es nicht mehr aus. Er wollte fort von dieser Leere. Nachdem er Schuhe und Jacke angezogen hatte, öffnete er die Wohnungstür und blickte in Yamatos Gesicht, der im Flur saß und sein Mobiltelefon in der Hand hielt. Wie erstarrt blieb Taichi stehen. "Ich habe auf dich gewartet", sagte Yamato ruhig und schaltete das mobile Telefon aus. "Wieso?" Taichi merkte kaum, dass er sprach. "Weil ich eine Antwort will. Und unabhängig davon habe ich einen Entschluss gefasst." Der Blonde erhob sich scheinbar gelassen, stand nun direkt vor seinem Freund und strich ihm behutsam über die Wange. Mit ausdruckslosem Lächeln sagte er: "Ich lasse dich nicht mehr allein." Wo immer du auch hingehst, Wartet meine Liebe schon auf dich Taichi ließ die Kopfhörer über den Rand des Geländers herabhängen. Unter ihm fuhren Automassen durch die verregneten Straßen Tokios und hüllten alles um den jungen Mann in tosendes Schweigen. Seufzend zog er die Kopfhörer wieder zu sich und drückte sie fest an seine Ohren. Eigentlich wollte er es nicht mehr hören. Die Stimme seines Freundes. Doch er entkam ihr nicht. Auf das Geländer der Überführung gestützt gab er sich den gesungenen Worten hin und verlor sich dabei mehr und mehr in ihnen. Er fühlte den Regen und die Kälte nicht auf der Haut. Die vertrauten Finger, welche ihm plötzlich durch das Haar fuhren, um einen der Kopfhörer zu erlangen, holten ihn in die Realität zurück. "Du kannst es nicht leugnen", sagte Yamato mit belustigtem Unterton. Taichi war zu erschöpft, um der aufkeimenden Panik in seinem Inneren freien Lauf zu lassen. Er drehte sich nicht einmal zu dem Blonden um. "Einer nach dem anderen", meinte dieser unvermittelt, während er auf die Menschen deutete, die sich auf den Gehwegen aneinander vorbei drängten, "werden wir fallen." "Was kann ich nicht leugnen?", fragte Taichi und hasste sich im nächsten Moment dafür, da er sich nur selbst verletzte. "Dass du genauso wenig von mir loskommst, wie ich von dir. Nicht einmal meinem Gesang kannst du dich verweigern." Der Blonde legte eine Hand um Taichis Hüfte. Seine Lippen bebten, als er fortfuhr: "Was sollte dieser Unsinn? Du hast mich ohne Grund verlassen, so schnell, dass ich gar nicht reagieren konnte. Doch mittlerweile bin ich mir über vieles im Klaren geworden. Ich..." Yamato hielt inne und legte die Hände links und rechts von Taichi auf das Geländer, um Halt zu finden. "Ich kann dich besitzen, wenn ich will. Warum soll ich dich aufgeben, wenn du mir bereits gehörst? Das ist mir klar geworden. Wozu diese Qual, wozu das Spiel, wenn du schon verloren hast?" Und wir tanzten im Schnee vergangenes Jahr Der Mond funkelte sanft in deinem Haar "Bitte, geh endlich." Das Metall des Schlüssels bohrte sich in Taichis Hand, während er ihn fest umklammert hielt. Bewegungslos stand er vor seiner Wohnungstür und wartete. Er wartete darauf, dass sein Freund ihn allein ließ. "Ich kann nicht gehen", antwortete Yamato beruhigend und trat von hinten an Taichi heran, "das weißt du genau. Ich werde dir folgen, wohin auch immer du fliehen magst. Wo auch immer du bist, ich werde da sein." Er umarmte den zitternden Körper des Braunhaarigen, während dieser nach Atem rang. "Warum versuchst du es überhaupt? Da sind nur zwei Wege, für die du dich entscheiden kannst. Du musst eine Wahl treffen. Also gib endlich auf, dann wird es leichter." "Muss ich..." Taichis Worte waren nicht mehr als ein Flüstern. "Muss ich dich denn...?" "Töten, wenn du von mir loskommen willst?" Der Blonde lachte leise, dann schob er die Ärmel seines Oberteils hoch und sagte übergangslos: "Ich habe damit aufgehört. Das brauche ich nicht mehr, siehst du? Du musst keine Angst mehr haben und kannst zu mir zurückkommen. Ich habe schließlich etwas gefunden, das wesentlich schmerzhafter ist als das hier. Du musst dich ihr nicht hingeben, aber diesen Schmerz kannst du doch trotzdem fühlen, nicht wahr?" "Diesen Schmerz", entgegnete Taichi monoton, "du hast ihm den Namen 'Liebe' gegeben, oder?" Bei diesen Worten umschlang Yamato seinen Freund noch fester, bis er eine Antwort fand: "Liebe ist ein Galgen. Du bist mein Richter. Deshalb tut es so weh." "Deshalb ist deine Liebe Schmerz", wiederholte Taichi, sodass es fast wie eine Frage klang. Und es tut auch kaum mehr weh, Wenn ich alles vor mir seh, Als ob es gestern war Und nicht vergangenes Jahr "Wohin willst du denn gehen?" Yamato klang resignierend, während er seinem Freund durch die von Laternen erhellten Straßen folgte. "Das hat doch keinen Zweck." Taichi antwortete nicht und schritt ziellos voran, als hätte er Yamato nicht gehört oder überhaupt in irgendeiner Weise registriert. Dieser fuhr fort: "Du machst es uns unnötig schwer. Durch deinen Egoismus kommst du zu keiner Entscheidung, nur weil du auf nichts verzichten willst. Denkst du nicht, dass mich das ziemlich unsicher macht? Die Lösung dieses Problems habe ich dir schon längst gezeigt, aber du willst sie nicht annehmen. Letztendlich... entscheide jedoch ich. Wenn du es nicht direkt aussprechen kannst, dann halte mich wenigstens nicht auf." Mit voller Wucht schlug Taichi gegen einen Laternenpfosten, sodass sich der vibrierende Ton über die eintretende Stille hinwegsetzte. Abrupt wandte er sich um und fuhr seinen Freund an: "Weißt du eigentlich, was du da redest? Was du verlangst? Willst du es wirklich so haben?" Taichis Atmung raste, doch langsam brachte er seine Wut unter Kontrolle. Er kam auf Yamato zu und küsste für einen Moment dessen kalte Lippen. "Ist das Glück für dich?", fragte Taichi leise und bitter. "Wird es das jemals sein?" Und wir tanzten im Schnee vergangenes Jahr Der Mond schien so sanft in deinem Haar "Es gibt Träume, die niemals wahr werden." Die Stimme des blonden Sängers wurde fast gänzlich von der Dunkelheit im Zimmer verschluckt. Doch Taichi hörte sie. "Darum habe ich das getan. Ich würde dich gern um Verzeihung bitten, aber ich glaube, ich habe kein Recht dazu." Ohne eine Antwort zu geben suchte Taichi die Hand seines Freundes, während beide nebeneinander auf dem Bett lagen und den Abgrund fühlten, der sie unwiderruflich trennte. Als Taichi die Finger des Blonden endlich gefunden hatte, erwiderte dieser die Geste bestimmt und sagte leise: "Ich habe das Gefühl, wir verlieren uns immer mehr." "Bitte", entgegnete Taichi verzweifelt, "lass mich zurück." Yamato lächelte sanft. Wenn du mich nicht siehst, bin ich Einfach nicht mehr wesentlich Löse mich auf wie Schnee Vom vergangenen Jahr Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)