Fragmente von TalonOne (Kurzstory-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 5: Alpha ---------------- "Vorbereiten!" Die Stimme deines Truppführers klingt angespannt. Deine Hände bewegen sich wie von selbst. Jahrelang eingeübte Bewegungen machen dein Gewehr feuerbereit. Es liegt kühl und schwer in deinen Händen. Normalerweise beruhigt dich sein vertrautes Gewicht aber heute ist es anders. Heute hat dein Zugführer, unter dem du seit zwei Jahren dienst und dem du blind vertraust, zum ersten Mal keine detaillierte Planung für den Einsatz vorgelegt. Deine Hände überprüfen die schwere Panzerung deines Kameraden vor dir. Sie sitzt perfekt, wie immer. Ihr dreht euch beide um, damit er deine Schutzplatten festzurren kann. Du hast den rechten Schultergurt vergessen. Wie immer. Normalerweise beruhigt dich der scharfe Zug mit dem er angezogen wird, aber heute ist alles anders. Heute liegt dein Zugführer, unter dem du seit zwei Jahren dienst und dem du blind vertraust, zum ersten Mal als verdrehter und blutiger Haufen vor einem Raum. Einem Raum den du und deine Kameraden gleich stürmen werden. Du lehnst dich an die Wand und wartest auf das Tippen ans Bein, mit dem dein Vordermann seine Bereitschaft anzeigt. Als es kommt erwiederst du es reflexartig, denn du bist der Letzte in der Reihe. Normalerweise beruhigt dich eine solide Wand an der du lehnen kannst, aber heute ist alles anders. Heute weißt du nicht, was hinter dieser Wand auf dich und deine Kameraden wartet. Du weißt nur, dass es schon zwei von ihnen getötet hat. Ein weiterer hat überlebt, zumindest bis sein Geist realisiert hatte, dass ihm die kompletten Eingeweide fehlten. Der letzte war unversehrt aus dem unscheinbaren Reihenhaus gelaufen und hatte sich dann lachend selbst gerichtet. Du stützt also dein Gewehr an die Schulter, versuchst deine Atmung unter Kontrolle zu bekommen und wartest auf den Moment. "Stürmen!" Das einzelne Wort treibt Adrenalin durch deine Adern und bringt dein Gehirn auf Höchstleistung. Alles scheint langsamer zu werden. Wie dein Truppführer die Tür eintritt. Wie dein Kamerad vor dir eine Blendgranate hindurch wirft. Wie er den betäubenden Knall abwartet und dann durch die Tür ins Ungewisse tritt. Aber auch wie ihn eine unsichtbare Hand packt, ihn wieder aus dem Zimmer schleudert und mit einem ekelhaften Geräusch gegen die Wand schmettert, so stark, dass die Ziegelmauer eingedrückt wird. Wie dein Truppführer in die Tür tritt und seine automatische Schrotflinte in den Raum feuert. Wie er mit seiner leergeschossenen Waffe in den Händen und mit zitternder Stimme zu sprechen anfängt: "Es ist ein Kind! Ein verdammtes Kind!" Wie ihm ein grauer Schleier entgegenschießt der rot wird als er ihm in einem Wimpernschlag alle Haut, Muskeln, Organe vom Skelett schmirgelt. Wie das gebleichte Skelett noch eine scheinbare Ewigkeit steht bis es unweigerlich in seine Einzelteile zerfällt. Spätestens jetzt solltest du Angst haben, aber dein adrenalinüberfluteter Körper sieht das nicht ein. Dein letzter Kanerad ruft dir etwas zu. Du verstehst seine Worte nicht mehr, aber du weißt was er sagt. Gleichzeitig hakt ihr Splitterganaten von euren Koppeln, befreit sie von Stiften und Sicherungsbügeln und zählt drei quälend lange Sekunden ab. Du schleuderst den tödlichen Sprengkörper in den Raum. Wartest. Knall. Splitter. Rauch. "Rein!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)