Zucker von novembermond (LxLight) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- 1. #1 Isolation, zuckerfrei Light war von oben bis unten verkrampft. Ein Polster wäre zumindest nett gewesen. Er zog die Beine an. Oder eine Decke. Er hatte keine Ahnung, wie lange er jetzt schon hier war. Das Zeitgefühl kam einem in diesem immer gleichmäßig beleuchteten Raum sehr schnell abhanden. Vereinzelt bekam er zu Trinken, mit Strohhalm, wegen der Handschellen. Die Fesseln waren überhaupt sehr lästig. Anfangs hatte Light gedacht, er würde sich schon daran gewöhnen, aber sie wurden immer unangenehmer. Unachtsame Bewegungen taten weh. Wenn auch nicht so sehr wie sein sehr leerer Magen. Schlaf war nicht möglich, obwohl er meistens die Augen geschlossen hielt, damit er Ryuk nicht sah. Wie lange noch? L ließ sich wahrscheinlich nicht so schnell von der Unschuld seines einzigen Verdächtigen überzeugen. Light versuchte, Pläne zu schmieden, aber über Phase zwei kam er nie hinaus - Konzentrationsschwäche, ausgelöst durch Schlafmangel und Hunger. Sein Körper beschwerte sich an allen Ecken und Enden, doch am Allerschlimmsten war die Langeweile. #2 Isolation, Sugar High Zwischen den Papierstapeln, die ziemlich windschief dastanden und Gefahr liefen einzustürzen, lugte ein einsamer Schokoriegel hervor. L beschloss, ein Einsehen zu haben und die Süßigkeit vor dem Sicheren Papiertod zu retten. Er schälte den Riegel gerade langsam aus der Verpackung, als Yagami hereinkam. „Wie sieht’s aus?“ Yagami selbst sah schlimmer aus denn je. L deutete auf einen der Stapel. „Am wahrscheinlichsten war eine Störung des Sozialverhaltens oder APS, bei näherem Betrachten greift keins davon.“ Er vertilgte genüsslich die obere Schokoladenschicht. Yagami reagierte nicht. „Das bedeutet, ihr Sohn ist geistig absolut gesund“, erläuterte L. „Er wird also nicht mehr verdächtigt?“ Die Hoffnung getraute sich kaum mehr, sich auf dem Gesicht von Lights Vater zu zeigen. „Iwo, das heißt nur, er ist voll schuldfähig .“ Der Schokoriegel verschmolz in L’s Mund zu einer Glückseligkeit verheißenden Masse, das jetzt traurig leere Plastikstückchen, in dem er gekommen war, landete auf dem Boden. #3 Brich für mich Wenn man lange genug hinsah, konnte man Light dabei ertappen, wie er schlecht gelaunt einen Punkt mitten in der Luft anstarrte. L beugte sich weiter vor, dann neigte er den Kopf. Ja, der Fokus lag etwa einen Meter vor der Wand, und das war kein ins-Leere-schauen Blick. Doch einen Herzschlag später blinzelte Light und was es auch war, es war fort. L zog die Vergrößerung auf den Bildschirm. Lights überlebensgroße Augen starrten ihn an, jetzt unfokussiert und leicht glasig. Er sollte doch langsam mürbe werden. Allerdings half L ein kranker Gefangener auch nicht weiter. Ein Tastenklick erhöhte die Temperatur in der Zelle. Light war jedenfalls zäher als gedacht. Eigentlich hätten ihn die Fesseln allein schon fertig machen sollen. Für einen achtzehnjährigen Jungen war er übermäßig ordentlich, was vermutlich dem Bedürfnis nach Kontrolle über seine Umgebung entsprang. Kira wollte außerdem nicht nur die nähere Umgebung kontrollieren, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Ihm jegliche Kontrolle über seinen Körper zu nehmen, sollte doch Reaktionen bringen, aber im Gegensatz zu Misa hatte Light sich nicht einmal beschwert. Oder waren die Hand- und Fußfesseln noch zu wenig? Er presste seinen Daumen gegen die Unterlippe, ließ den Atem darüber streichen. Ein neuer Plan nahm Gestalt an. Vielleicht hatte er nicht alle Zeit der Welt, aber dann musste er sie sich einfach nehmen. #4 Stockholm – nur eine Stadt in Schweden… Light sah gezielt nicht hin, als Ryuk den Kopf aus der Zelle steckte. Ein Todesgott auf Apfelentzug war nervig bis zum Umfallen und darüber hinaus eine Gefahr für Light. Zu oft hatte er sich nur knapp eine spitze Bemerkung verkneifen können. Halluzinationen wären ein gefundenes Fressen für L. Gleichzeitig musste er sich hier drinnen auch Gedanken stellen, die er draußen leicht verdrängte. Was, wenn Ryuk die Geduld mit ihm verlor und Light in sein Notizbuch eintrug? Das wäre zwar ein netter Beweis dafür, dass Light Yagami nicht Kira war, doch Light wollte einen Beweis, den er auch überlebte. Aber je länger es dauerte, umso mehr stand er auf Messers Schneide. Falls man Misa nicht bald freiließ, brauchte Light sich keine Sorgen mehr über Ryuk (oder L) zu machen, denn dann würde sich ein anderer Todesgott seinen Kopf holen. „Dein ganz besonderer Freund kommt!“ Na, wenigstens wirkte Ryuk gut unterhalten, auch wenn er im Handstand durch die Zelle hüpfte. Light schloss die Augen. Seit das quälende Hungergefühl verschwunden war, war ihm schlecht und er zitterte, als ob er auf Drogenentzug wäre. Wenn er doch nur einmal länger als ein paar Stunden schlafen könnte… aber er wurde immer wieder von Geräuschen geweckt, von denen er kaum dass er wach war nicht sagen konnte, ob sie überhaupt erklungen waren oder er sie sich einbildete. Ganz besonderer Freund, eh? Wie viele Freunde wollten schon einander umbringen? Light blickte auf, als die Sicherung an der Tür klackte. Die Zellentür öffnete und da stand Ryuzaki, mit seiner glorios schlechten Haltung, mit seiner katastrophal wilden Frisur und dem grandios starren Blick. Er hielt einen bestrohhalmten Becher in der Hand. Light ließ den Kopf wieder sinken, die Schieflage war unangenehm, schließlich lag er seitlich auf seinem Lager. Anstatt den Becher nur hinzustellen und wieder zu verschwinden, wie es seine Bewacher bisher immer gemacht hatten, setzte sich L zu ihm. Weil Light keine Anstalten machte, sich aufzusetzen, zog ihn Ryuzaki in eine halb aufrechte Position und schob sich hinter Light, so dass Light gegen seine Brust lehnte. Nach so vielen Tagen kompletter Abschottung war menschlicher Kontakt überraschend. Eine andere Taktik oder nur der zweite Schritt der ursprünglichen? Erst Peitsche, dann Zuckerbrot? Der Strohhalm wurde an seine Lippen gesetzt. Kurz dachte Light daran, zu verweigern und davor zurückzuweichen, aber das würde keinerlei Vorteil bringen, also trank er. Nur um gleich darauf trotzdem zurückzuschrecken, was seinen Kopf mit Ls Schulter kollidieren ließ. Kein Wasser dieses Mal. „Zu süß.“ „Du brauchst die Nährstoffe.“ Also trank er das Zeug, was auch immer es war. Hoffentlich war es nicht mit Drogen versetzt. Andererseits, falls L ihn unter Drogen wollte, hätte er ihm schon längst eine Nadel in den Hals gejagt. Nein, diese Droge war viel perfider – menschliche Nähe. Auch das können zwei spielen. Denkst du, du bist besser als ich? Light ließ seinen Körper merklich entspannen. „Weißt du? Du bist nicht wirklich L und ich bin nicht Kira, also können wir auch Tennis spielen gehen.“ Das brachte Ryuzaki zu Lachen. Light spürte es in seiner Brust vibrieren. Es kitzelte. „Du könntest momentan einen Schläger nicht einmal halten, geschweige denn benutzen.“ „Das wünscht du dir höchstes!“ Ryuzakis Hand ruhte auf Lights Schulter, vermutlich um ihn daran zu hindern, sich weg zu bewegen. Es kostete Light nicht viel Überwindung, sich weiter in die Umarmung hinein zu drehen. „Warum fragst du nie nach deiner Freundin?“ „Wenn es ihr nicht gut geht, will ich das gar nicht wissen, und geht es ihr gut, brauche ich es nicht zu wissen. Habt ihr sie gehen lassen?“ „Du bist also wirklich mit Misa zusammen?“ „Ist kompliziert.“ „Verstehe.“ Die nächste Frage – wie habt ihr euch kennen gelernt? – dürfte interessant werden. Light bereitete seine Antwort vor, aber die Frage kam nicht. Ryuzaki schüttelte kurz den Becher, stellte fest, dass er leer war, lehnte Light gegen die Wand und stand auf. „Bis dann.“ Light sah seinem dunkelhaarigen Gegenspieler zu, wie er ging und tat sein Bestes, um Ryuk zu ignorieren, der ihn breit angrinste. Die Wand war kalt. Light unterdrückte ein Zittern. #5 Über die Schwierigkeit, sich selbst zu überlisten Light war gut darin geworden, Stimmen zu überhören, egal, ob es körperlose Stimmen aus dem Lautsprecher waren oder Ryuk. („Äpfel, Äpfel, Äpfel!“) „Verdammt, Yagami, ich weiß genau, dass du mich hören kannst! Wie tötest du?“ Die Stimme, die nicht Ryuzaki gehörte, interessierte Light nicht. Der konnte sich heiser schreien, so viel er wollte. Viel wichtiger, wenn Ryuzaki nicht im Überwachungsraum war, und das war er sicher nicht, sonst würde man bessere Fragen stellen, wo war er dann? Durchsuchte er Lights Zimmer? Befragte er Misa? Schlief er einfach? Zum hundertsten Mal fragte sich Light, ob er wirklich alles bedacht hatte. L war ihm immer so dicht auf den Fersen. Aber ohne Death Note konnten sie machen, was sie wollten, existierte kein Beweis. Light entspannte sich. Wenn der Typ hinter dem Mikro nur die Klappe hielte, Light könnte jetzt gut und gerne ein paar Stunden schlafen, bis L wieder da war und die nächste Runde los ging. Es schien schon eine Ewigkeit, seit er hier war, doch es konnte kaum mehr als – eine Woche? Etwas mehr? – sein. Fragt sich nur, wieso quäle ich mich überhaupt ab? Je früher er das Death Note aufgab, desto kleiner die Wahrscheinlichkeit, sich unabsichtlich zu verraten. L habe ich ganz gut eingeschätzt, es gibt nur noch eine Unbekannte – mich. #6 Voyeur Seit Light inhaftiert war, gab es keine Kira-Morde mehr. Fakt. Light selbst hatte darum gebeten, dass man ihn isolierte. Fakt. Um zu beweisen, dass er nicht Kira war. Aussage des Verdächtigen, kein Fakt. Light hatte sich einsperren lassen, weil er Kira war und einen Plan hatte. Spekulation. Der Kira Fall stellte sich als die härteste Nuss da, die L je geknackt hatte. Alleine dieser Gedankengang verlangte nach einer kompletten Packung Erdbeer- Pocky. Ein Indiz, dass Light Yagami Kira sein könnte. Zufall. Zwei Indizien, drei, vier fünf? L warf die leere Packung in die Luft, fing sie wieder auf. In fast jedem anderen Fall reichte das schon für eine Verurteilung. Aber nicht bei einer so schwammigen Sache. L griff zum fünften Mal nach der Tageszeitung auf dem Tisch. „Unsere wöchentliche Umfrage, dieses Mal fragten wir: Glauben sie an Kira? 35% nein, 33% ja.“ Er konnte den Fall unmöglich abschließen, bevor er nicht a) ein Geständnis von Light hatte und b) dieser ihm gezeigt hatte, wie er es getan hatte. Und selbst dann blieb noch Kira 2. Ein Geständnis von Misa Amane bekommen, die standhaft behauptete, nicht zu wissen, warum sie festgehalten wurde, obwohl man es ihr bei der Festnahme gesagt hatte? Kira konnte das Verhalten seiner Opfer vor dem Tod beeinflussen. Fakt. Kira musste Amane zum Schweigen bringen, bevor sie sich selbst und Kira verraten konnte. Fakt? Doch sie lebte noch. Fakt. L fischte eine weitere Packung Pocky heran und holte nochmals die Aufnahmen der Überwachung des Hauses von Yagami hervor. Im Schnelldurchlauf wirkte alles absolut normal. Zu normal? Für jemand, der behauptete, den Kira Fall selbst lösen zu wollen, beschäftigte Light sich verdächtig wenig damit. Und er sah kaum Nachrichten oder las die Zeitung. Es war eine gezielte Demonstration: sieh her, ich kann nicht Kira sein, weil ich von den Getöteten gar nichts wusste. Und genau das wollte er jetzt noch einmal zeigen, mit dem delikaten kleinen Unterschied, dass die Morde aufgehört hatten, sobald Light in Gewahrsam genommen worden war. Soweit war ich schon. Eine Aufnahme erregte Ls Aufmerksamkeit. So, 22:43h. Light lag im Bett. Er warf sich hin und her. Er streckte die Arme über den Kopf, umarmte quasi die Polster, er drückte die Wirbelsäule durch. Dann seufzte er und lag still wie ein Gummischlauch, aus dem man die Luft gelassen hatte. Eine weitere Kameraperspektive zeigte dasselbe Geschehen von der anderen Seite, konzentriert auf sein Gesicht. Er zog die Augenbrauen zusammen, als wäre ihm etwas unangenehm, als er aufhörte, sich zu bewegen, entspannte auch die Augenpartie. Resignation? Es wurde schnell klar, was den Schüler vom Schlafen abhielt - die rechte Hand bewegte sich nach unten. L schaltete die Tonspur hinzu. Heftiges, aber nicht zu lautes Atmen. Seine Schwester schläft im Nebenzimmer. Light bewegte den Kopf mit geschlossenen Augen von links nach rechts und zurück, während seine Bewegung schneller wurde. L griff nach dem nächsten Pocky und war erstaunt, als er nur die leere Schachtel erspürte. Und jetzt kam die Stelle, die Ls Interesse weckte: ein Laut kam aus Lights Kehle, ein halbes Stöhnen, er öffnete die Augen und blickte direkt in die Kamera, die in der Klimaanlage versteckt war! Die ruckartigen Bewegungen der Hüften zeigten den Höhepunkt an, währenddessen Light die ganze Zeit über den Bildschirm Blickkontakt mit L hielt. Ein kleiner Seufzer folgte, darauf noch eine Art Welle über seinen gesamten Körper, bevor Light endlich wegsah auf der Suche nach einem Taschentuch zum Abwischen. Du selbstgerechtes Arschloch wusstest ganz genau, dass ich dir zusehe! L zerknüllte die Packung in seiner Hand und warf sie quer durch das Zimmer seiner Hotelsuite. #7 Wenn ein Böser sündigt, verstrickt er sich selbst; aber ein Gerechter geht seinen Weg und ist fröhlich (Sprüche Salomos 29, 6) Light, tu dir selbst einen Gefallen und gestehe. Nein. L lehnte sich vor und drückte den Knopf. „Kira!“ Die dunkel gekleidete Gestalt rührte sich nicht. Schon seit Tagen saß er zusammengesunken auf dem Fußboden. Die Haare fielen ihm über das Gesicht, das einzige, was L sah, war die weiße Haut, die sich über die Nackenwirbel spannte. L befand sich in einer seltsamen Stimmung. Irgendwann war der Fall persönlich geworden. Kira war von Anfang an kein normaler Gegner gewesen, und er hatte seit dem Tag der Fernsehübertragung, bei der L ihn überlistet hatte, mit L gespielt. Von einem naiven, idealistischen Teenager an der Nase herumgeführt – nein, das kann es nicht gewesen sein. „Komm schon, Kira, hör mit dem Leugnen auf, du machst dich nur selbst lächerlich.“ Endlich eine Reaktion: „Ich bin nicht Kira.“ Lights Stimme war schwach und leise, fast weinerlich. Er blickte nicht mehr auf. „Was glaubst du, wie lange du das noch durchhältst, Kira?“ #8 K’so L hatte sich da in etwas verrannt und wie ein Hund sein Spielzeug wollte er einfach nicht loslassen. Dabei war es doch Lights einzige Hoffnung, dass der Meisterdetektiv herausfand, wer Light hereingelegt hatte. Aber wenn es wahr war, was Ryuzaki sagte und nur die Leute von der Ermittlungsbehörde von seiner Isolationshaft wussten… So viele Menschen kamen dann nicht in Frage und Light traute das keinem zu. Nur einer hätte die Beweise so auslegen können, dass Light sich darin verstrickte und das wollte Light nicht einmal in Betracht ziehen. Denn falls L auch Kira war und sich nur selbst verfolgte, um der Verfolgung zu entgehen – dann konnte Light auch gleich aufgeben und sterben. Aber weshalb hatten dann die Morde aufgehört, genau, als Light sich in Ls Hände begeben hatte? Kurz hatte er ja wirklich geglaubt, selbst Kira zu sein. Das war jedoch Unsinn, ganz klar. Es gab mittlerweile genügend Beweise, dass er nicht im Schlaf handelte oder sonst irgendwie. Light ballte seine Fäuste. Sie waren eisig kalt. Wer immer Kira war, Light würde es ihm heimzahlen. #9 Zucker schmeckt nach Grausamkeit Als der Mann gekommen war und Light die Fußfesseln abnahm, glaubte Light im ersten, triumphierenden Moment, dass man ihn jetzt freilassen würde. L hatte endlich den Schuldigen gefunden, oder zumindest eine Spur, die von Light Yagami wegführte. Stattdessen zog man ihn auf die Beine und legte ihm wieder die Augenbinde und die falschen Kopfhörer an. Obwohl er noch still stand, fühlte Light sich sofort desorientiert. Es war weniger die Augenbinde, die ihm Probleme machte, als die Tatsache, dass er nur noch seinen Atem und das Blut in seinen Ohren rauschen hören konnte. Dann wurde er am Oberarm gepackt und barfuss aus der Zelle geführt. Light wusste schon fast nicht mehr, wie sich Schuhe anfühlten. L ist auch immer barfuss. Nanu, wo kam das denn her? Sein Bewacher kam zum Stillstand, Light stieß sich die große Zehe an der Wand direkt vor ihm. Der Boden bewegte sich plötzlich nach oben. Lift. Das ganze Psychospiel hilft euch einen Dreck, wo ich doch nichts zu gestehen habe. Light war zu müde, um das laut zu sagen, schließlich würde er die Reaktionen ja doch nicht mitbekommen. Da bekam er es zum ersten Mal mit der Angst zu tun. Würde man ihn so lange festhalten und bearbeiten, bis er sagte, was man von ihm hören wollte? Hatte man die Suche nach Kira aufgegeben und suchte nur noch nach einem Sündenbock? Falls die Morde nicht mehr einsetzten, würde es niemanden interessieren, dass Light unschuldig war. Er wurde aus dem Aufzug geleitet, einen Gang entlang. Nicht mehr kalter Betonboden, sondern glatt – Parkett? Wenn man ihn orientierungslos wollte, warum zog man ihm dann keine Schuhe an? Sie kamen wieder kurz zum Stehen – das Öffnen einer Tür? Danach wurde Light noch ein Stück vorwärts geführt, bevor man ihn losließ. Light wartete, aber es passierte nichts. Er wusste nicht, ob der Mann noch hinter ihm stand, oder schon längst den Raum verlassen hatte. Ok, die Einschüchterungstaktik funktionierte durchaus. Wie lange würde man ihn hier stehen lassen? Light tastete mit dem Fuß vor und zurück. Er spürte etwas weich-hartes, von Stoff umhüllt. Couch oder Bett. Vorsichtig setzte er seinen Fuß darauf, dann den anderen, so dass er auf der weichen Oberfläche hockte. Mit hinten gefesselten Händen war es schwierig, das Gleichgewicht zu halten, daher ließ er sich auf die Knie fallen, in der Hoffnung, nicht eine Ecke erwischt zu haben und gleich auf der anderen Seite wieder herunter zu fallen. Zumindest dieses Mal war das Glück auf Lights Seite. Er entspannte sich. In letzter Zeit hatte er ziemlich starke Schmerzen in den Schulter- und Rückenmuskeln. Ganz zu Schweigen von seinem Nacken, der die Heimat von tausenden heißen Schmerzteufeln geworden war. Da war es aber auch egal, ob man ihn auf dem Boden schlafen ließ oder in einem Bett, solange seine Arme nach hinten gezwungen waren. Light verschluckte ein leises Seufzen. Nein, darum ging es hier nicht. Man beobachtete ihn bestimmt, aber was sollte das Ganze? Light drehte den Kopf zu Seite. „Ryuzaki.“ Lights Stimme klang ganz dumpf in seinem Kopf. Warme Finger nahmen die „Ohrenschützer“ ab. Light hörte, wie sich jemand bewegte und etwas leise klackte – Ryuzaki hatte die Dinger irgendwo schräg hinter Light abgelegt. „Nicht schlecht. Woher wusstest du…?“ „Roch nach Schokolade.“ #10 Zucker schmeckt nach deiner Haut Light war abgemagert, was ihn älter wirken ließ. Draußen transportierte er eine Aura der Perfektion, die bei seinen exzellenten Noten nicht Halt machte. L wäre wenig überrascht zu erfahren, dass Light sogar Unterwäsche bügelte. Momentan war Light zwar etwas verwahrlost, doch das tat seiner Erscheinung keinen Abbruch. Die Fesseln und Augenbinde machten ihn verletzlich, die leicht geöffneten Lippen und der gesenkte Kopf noch viel mehr. Wie viel davon war kalkuliert? In der Zeit, in der Light beschattet worden war, hatte er einige Mädchen getroffen, von denen ihm keine einzige etwas zu bedeuten schien. Es war der eine dunkle Punkt auf seinem Image des perfekten jungen Mannes. Er spielte mit den Herzen der Menschen, um zu bekommen, was er wollte. Weshalb hätte er bei L eine Ausnahme machen sollen? L war derjenige, der gerade eben die Fäden in der Hand hielt. L griff nach der Pralinenschachtel, die Lights Nase entdeckt hatte, nahm eine Praline heraus und steckte sie in den Mund. In Lights Mund. Als Zugabe ließ L seinen Zeigefinger den Bruchteil einer Sekunde länger an Lights Unterlippe, als unbedingt nötig. Light wirkte ganz kurz überrascht, bevor er das kleine Stück zerbiss und schluckte. Die Bewegung des Adamsapfels faszinierte L. „Nun, das ist mal eine Methode der Befragung, an die ich mich gewöhnen könnte.“ Light deutete ein leichtes Lächeln an. Das machte L, der eigentlich kaum heftige Gefühlsregungen verspürte, rasend wütend. Der gesamte Zorn, der sich während der frustrierenden Jagd nach Kira monatelang aufgestaut hatte, versuchte sich zu entladen. Er warf Light auf den Rücken und hielt ihn mit einer Hand nieder. „Ist es das, was du willst?“ Ein Knie presste zwischen Lights Beine, worauf Light scharf einatmete. L beugte sich vor und berührte vorsichtig Lights Lippen mit seinen, nur leicht, denn L an seiner Stelle würde zubeißen, und zwar fest. Kira dagegen würde den Kuss vertiefen, um L zu überraschen und um den Finger zu wickeln. Natürlich nur solange, bis er L töten konnte. Light tat gar nichts. Er lag einfach passiv da. Das war nicht vorgesehen, L brauchte eine Reaktion in irgendeine Richtung, um Erkenntnisse zu erzielen. Also nahm er seine Hand zu Hilfe. Eigentlich trug Light enge Kleidung, mittlerweile saß sie aber so locker, dass es kein Problem war. L schob das Sweatshirt ein Stück nach oben, zog die Fingernägel über Lights Bauch und schob die Hand in Lights Hose. „Ist es nicht das, woran du gedacht hast, als du die Show für die Überwachungskamera abgezogen hast?“ Endlich eine Reaktion, wenn auch keine vorhergesehene. Light schluckte mehrmals, die Bewegung geradezu hypnotisch, bevor er würgte. Er versuchte sich zur Seite zu drehen. L ließ ihn sofort los und rückte ein Stück zur Seite. Die Möglichkeiten rasten durch seinen Kopf. Kira, der ihn durchschaut hatte? Oder tatsächlich nicht Kira? Oder passten nur die Umstände nicht, musste Light die Kontrolle haben, wenn er andere manipulieren wollte? Light hatte die Beine angezogen und einen leichten Schweißfilm auf seiner Haut. Wie gut konnte jemand schauspielern? Verdammte, vertrackte Sache. Alles deutete auf Light Yagami. Er war es und er war es auch nicht? Eigentlich hatte L schizioide Störungen ausgeschlossen, was blieb da noch? Fest stand, dass Kira mittlerweile wieder aktiv war. Ein Kira. Nachdem schon zwei Kira aufgetreten waren, war es nicht abwegig, dass es noch mehr gab. Fest stand, dass Light eine Veränderung durchlaufen hatte, die L nicht greifen konnte. In der ersten Woche hatte er immer wieder Aufmerksamkeit an ein Stück leere Luft verschenkt, während er gleichzeitig versucht hatte, es nicht zu tun oder nicht zu zeigen. Halluzinationen hätten ihm aber nicht bewusst sein dürfen, somit hätte er seine Reaktionen darauf nicht unterdrückt. Wenn man nun die Möglichkeit eines unsichtbaren Kira ausschloss, und das würde L lieber nicht in Betracht ziehen, blieb noch so etwas wie Entzugserscheinungen. Was, wenn Kira Light unter Kontrolle gehabt hatte und in der Isolation die Konditionierung gebrochen worden war? Hatte sich Light einsperren lassen, nicht, weil er sich für Kira hielt, sondern, weil er Kira entkommen wollte? Dann konnte L ihn aber gar nicht aus den Augen lassen, weil die Gefahr bestand, dass es wieder von vorne losging. So oder so, eine weitere Haft brachte nichts mehr. L griff zum Telefon. „Sie können anfangen.“ Dann nahm er Light die Augenbinde ab. Light hatte riesige Augen, wenn er sie so aufriss. L wollte etwas sagen, wusste aber nicht, was. Entschuldige? L war kein Freund von Entschuldigungen, die waren nichts als Ausreden. Es wird nicht wieder vorkommen? L versprach nichts, was er nicht hundertprozentig halten konnte. Er tat alles, was notwendig war um Kira zu kriegen. Alles. Daher drehte er sich weg und machte sich auf die Suche nach den Schlüsseln für die Handschellen. Die mussten doch irgendwo da sein. Light hatte sich inzwischen aufgesetzt und drehte sich bereitwillig um, als er die Schlüssel sah. „Du kannst mich ruhig anschreien und beschimpfen, wenn dir danach ist. Es macht mir nichts aus“, erklärte L, während er Lights Hände befreite. „Wieso sollte ich?“ Light klang bitter. „An deiner Stelle würde ich mich auch für Kira halten, und ich kann mir nicht erklären, wie es zu den vielen Zusammenhängen kam. Au!“ Lights Arme spielten noch nicht mit, als er sie bewegen wollte. L griff nach Lights Schultern und massierte sie ein wenig. „Heißes Wasser wird hier helfen. Im Bad findest du auch frische Kleidung.“ Light drehte sich um und sah ihm durchdringend in die Augen. „Dann wusstest du also schon, dass ich diesen ‚Test’ bestehe?“ „Nein. Ich rechne immer mit allem.“ „Wie geht es jetzt weiter?“ „Asahi holt dich ab.“ Light wirkte, als ob ihm ein Stein vom Herzen gefallen wäre. „Dann gehe ich jetzt duschen, in Ordnung?“ „Lass die Tür offen, reine Vorsichtsmaßnahme.“ Light reagierte nicht, ließ die Tür zum Badezimmer jedoch offen. Nach sechs Wochen vor der Kamera aufs Klo gehen war das wohl kein Thema mehr, das ihn aufregte. L knabberte an seinem Daumen. Natürlich hatte Light gewusst, dass er getestet wurde. Das wiederum machte alle Ergebnisse nichtig. L bekämpfte die Frustration mit Ceasar’s Salad. #11 Japan’s Next Topmodel Als Model erlebte man so einiges, wer sich von Schikanen unterkriegen ließ, machte es nicht lange. Misa Amane, bekannt als Misa Misa, hatte vor, bis an die Spitze zu kommen. Sie war schön, zart und niedlich. Und sie hatte Nerven wie Drahtseile. Sowohl Stalker als auch Mörder waren ihr nicht fremd. Sie hatte in den letzten Wochen Schreckliches durchgemacht, doch kaum, dass das Schlimmste vorbei war, fragte sie sich schon, ob und wie sie das verwerten konnte. Misa wurde wie viele hübsche, falsch blonde Mädchen für dumm und oberflächlich gehalten, aber sie hatte auf die harte Tour gelernt, dass nur das Hier und Jetzt zählte. In der Vergangenheit zu weilen, machte einen kaputt, an die Zukunft zu denken, hatte keinen Sinn, wenn man morgen schon tot sein konnte. Also ging Misa unerschütterlich einen Schritt nach dem anderen. Nachdem man ihr endlich erlaubt hatte, zu baden und ihr Klamotten gegeben hatte, die, wenn auch alles andere als stylish, doch zumindest frisch gewaschen waren, brachte man sie zu einem Auto. Der Fahrer war ihr unsympathisch, aber Misa ließ sich nichts anmerken. Der Versuch, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, scheiterte, aber als sie anhielten, war ihr das egal. Light war hier! Er sah dünner aus und hatte Ringe unter den Augen, die bald denen von Ryuga-kun Konkurrenz machten, hielt sich jedoch aufrecht und stolz. Wie Misa hatte er die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Ein angenehmes Prickeln machte sich in Misas Bauch breit. Als man angefangen hatte, sie nach Light zu fragen, hatte sie sich Sorgen gemacht, aber er schien so weit in Ordnung zu sein. Sie fuhren wieder los, Misa achtete nicht auf das Wohin, solange sie nur mit Light zusammen war, würde alles gut werden. Light nannte ihren Fahrer ‚Vater’. Misa war überrascht. Der alte Kerl hatte so gar keine Ähnlichkeit mit ihrem wunderschönen Light, an der Stelle des Mannes würde Misa sich fragen, ob da alles mit rechten Dingen zugegangen war. Aber vielleicht war Light ja adoptiert? Diese Überlegungen waren schnell aus ihren Gedanken verschwunden. Was faselte der Fahrer da von Exekution? Waren die alle irre? Es fiel Misa immer noch schwer, zu glauben, dass sie Kira 2 sein sollte, noch schwerer, dass man ihren perfekten Light für Kira hielt (auch wenn Misa selbst damit kein Problem hätte). Aber seit wann legte man Leute einfach um, wenn man sie nicht überführen konnte? Gab’s da nicht Gesetze dagegen? Misa konnte Lights Angst fast körperlich wahrnehmen, ihr selbst ging es nicht besser. Trotzdem argumentierten beide so gut wie möglich, Light natürlich viel besser als sie, er war ja auch bestimmt der klügste Mensch auf der Welt, aber sie stießen beide auf taube Ohren. Was war das bitte für ein Vater? Misa war niemand, der aufgab. Als Das Auto mitten im Niemandsland stoppte, schöpfte sie neue Hoffnung. Natürlich würde Herr Yagami nicht seinen Sohn töten, er würde sie beide laufen lassen, richtig? Die Hoffnung war schnell zunichte, als Yagami erklärte, dass er erst Light und dann sich töten würde. Misa wurde panisch. Sie wusste nicht, ob es schlimmer war, Light zu verlieren oder selbst zu sterben, aber sie wusste, dass sie es bei aller Zähigkeit nicht ertragen konnte, nach ihren Eltern auch noch Light sterben zu sehen. Sie verdrängte nur mit Mühe die Erinnerung an das Gefühl, neben den Leichen ihrer Eltern zu sitzen. Kira, du hast den Mörder meiner Eltern gerichtet. Lass nicht zu, dass man Light tötet. Ich bitte dich! Die Tränen rollten heiß über ihre Wangen. Light versuchte immer noch, die Vernunft in seinem Vater wieder zu erwecken, aber der Revolver in Yagamis Hand zeigte genau auf Lights Gesicht, was ihn auch etwas ablenkte. Verständlicherweise. Und wenn ich wirklich Kira 2 bin und Menschen töten kann, indem ich sie nur sehe? Misa konzentrierte sich fest auf Lights Vater. Fall tot um. Stirb. Fall tot um. Der Lauf war immer noch nur wenige Zentimeter von Lights Stirn entfernt. Misa hörte sich selbst betteln, flehen und kreischen. Was brachte denn Kiras Kraft überhaupt, wenn er die Mörder immer erst hinterher tötete, wenn es schon zu spät war? Misa wollte sich dazwischen werfen, aber sie war zu weit weg, um den Schuss noch rechtzeitig abzulenken, so fand sie sich starr mit weit aufgerissenen Augen, als der Schuss ohrenbetäubend durch das Fahrzeug hallte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)