Die Herzschwert-Saga von Teak-Wan-Dodo (Die Hüterin des Herzschwertes) ================================================================================ Kapitel 8: 8. Akt: Die Wüste ---------------------------- Viele halten die weiten der Wüste für einen lebensfeindlichen Ort. Doch wissen sie nicht, Das es dort eine Vielzahl von Leben gibt. Sie sehen nur Sand Und spüren die gnadenlosen Strahlen der Sonne. Sie sehen nicht wirklich hin, Sehen nicht die Tiere und Pflanzen, Die die Wüste ihre Heimat nennen. Denn die Wüste lebt. Anshak Orga, Gelehrter aus den Wüstenländern *** Lorgren betrachtete eingehend die Schulter Fynns. Er hatte den Pfeil entfernt, nicht ohne Schmerzen für Fynn, die selbst nach der Behandlung noch Tränen vergossen hatte. Darauf hatte er eine Heilsalbe aufgetragen und die Schulter verbunden. Seitdem war ein Tag vergangen und der Wüstenreiter musste sich über den zustand der Wunde vergewissern. Er hatte die Truppe in die Wüste hinein geführt und mit einigem Glück fanden sie rasch eine kleine Felsinsel, in der sie eine kühle Höhle gefunden hatten, in der sie die erste Nacht hatten verbringen können. Valzar und Flint waren auf Geheiß des Jerisanen aus der Höhle verschwunden, damit er Fynn in aller Ruhe behandeln konnte. Fynn saß mit dem Rücken zu ihm und sah auf den Ausgang der Höhle, das Hemd hatte sie gegen ein anderes gewechselt, da Lorgren davor gewarnt hatte, das in der Wüste Räuber mit empfindlichen Nasen lebten. Nun lag ihre Schulter frei, so, das Lorgren ungehindert sie erreichen konnte. Dennoch zitterte sie. Der Wüstenreiter vermutete, dass sie sich unwohl fühlte, allein mit ihm zu sein. Doch störte er sich nicht daran, sondern kümmerte sich um seine Arbeit. Vorsichtig löste er den Knoten des Verbandes und begann diesen zu entfernen. Fynn forderte er auf, den Arm zu heben, da er sonst nicht richtig arbeiten könne. Sie gehorchte schweigend und hielt ihren Blick starr grade ausgerichtet. Zufrieden fuhr der Mann fort. Bald schon hatte er den Verband abgenommen und legte ihn neben sich. Die Wunde lag nun direkt vor seinem Auge. Die Salbe hatte bereits zu wirken begonnen. Die Wunde war weder entzündet noch eiterte sie. Der Wüstenreiter schätzte, dass sie in einigen Tagen vollkommen genesen sein würde. Vielleicht trafen sie unterwegs sogar auf eine Karawane und konnten die Dienste eines Heilers in Anspruch nehmen, vorausgesetzt, dass es sich dabei um Händler aus Helios handelte. Jerisanen würden ihnen sicher nicht helfen, schon allein weil zwei Zwerge dabei waren. Fynn würde kein jerisanischer Heiler auch nur anfassen wollen, da sie eine Halbork war und diese galten in Jeris nicht viel mehr wert als ein kranker Hund. Lorgren holte aus einer der Satteltaschen, denn sie hatten ihre Tiere von ihrer Last befreit und mit in die kühle Höhle genommen, die Heilsalbe hervor, die er am tag zuvor schon angewandt hatte. Er öffnete den kleinen Behälter und nahm zwei Fingerkuppenvoll von der grünlichen Salbe. Vorsichtig strich er um die Wunde herum, spürte dabei, wie Fynn anfing zu zittern. Doch ließ er sich davon nicht stören, machte weiter. Schon war der Rand der Wunde versorgt. Er holte etwas Verband hervor und riss davon einen fetzen ab, den er mit dem Rest der Salbe beschmierte und schließlich, mit all seinem Fingerspitzengefühl auf die Pfeilwunde auflegte. Die Halbork atmete zischend die Luft ein, denn die heilende Paste brannte bei der ersten Berührung immer, und erstarrte dabei. Doch schon bald entspannte sie sich wieder. Nun, mit schnellen Griffen, verband er ihr wieder die Wunde und schon war ihre Schulte von dem weißen Verband verdeckt. Der Wüstenreiter verstaute die Heilmittel, während Fynn sich das Hemd wieder zu Recht rückte und zuknöpfte. „Das muss bis morgen reichen“, sagte der Mann monoton, bevor er sich erhob, um die Höhle zu verlassen. Das Mädchen sich allein überlassend, trat Lorgren aus der Höhle. Die Wüstensonne strahlte unbarmherzig auf ihn hinab, doch der bronzehäutige Mann störte sich nicht daran, genoss es sogar, endlich wieder in der Wüste zu sein dun deren warme Sonne auf seiner Haut zu spüren. Er war viel zu lange aus der Wüste weg gewesen, hatte seinen Clan zurück gelassen, um den Wunsch seines Meisters folge zu leisten. Doch nun kehrte er zurück und brachte sogar die Hüterin des Herzschwertes mit sich. Der Meister würde zufrieden sein. Im Schatten eines niedrigen Felsens saßen die beiden Zwerge und starrten in die Weiten des Sandmeeres hinaus. Der Jerisane sah ihnen deutlich an, dass ihnen dieser Anblick gar nicht gefiel. Sie waren hohe und kühle Berge gewöhnt, aber nicht die heiße und dünenreiche Wüste. Sie liebten den Stein und nicht den Sand. Er ging zu ihnen und fragte: „Irgendwas zu sehen?“ Flint schüttelte den Kopf. „Nichts außer Sand und Dünen“, antwortete der alte Zwerg trübselig. Er griff zum Wasserschlauch, der neben ihm lag und trank einen großzügigen Schluck Wasser. „Geht sparsam mit dem Wasser um“, sagte Lorgren ernst. „Wir wissen nicht, wie lange wir zur nächsten Oase brauchen werden. Wohlmöglich werden bis dahin sogar unsere Vorräte aufgebraucht sein.“ Valzar sah zu ihm auf und brummte: „Wissen wir. Schließlich sind wir nicht dumm, Mann aus der Wüste.“ Er sah wieder auf die Wüste hinaus. „Wie geht es der Hüterin?“ Lorgren warf einen Kurzen Blick über die Schulter. „Ihre Wunde sieht gut aus; meinte er. „Die Salbe wirkt. In ein einem Zehntag wird sie ihre Schulter wieder bewegen können, ohne Schmerzen zu verspüren.“ Zufrieden mit der Antwort nickte der Zwergenherrscher. Nun wand der Wüstenreiter seine Aufmerksamkeit der Wüste zu, seiner sandigen Heimat. Es war erst Morgen, doch jetzt schon brannte die Sonne unbarmherzig auf sie herab. Er wusste, dass es bis zum Mittag noch wärmer werden würde und sie mussten schon bald wieder aufbrechen. Fynn hatte gefragt, warum sie nicht bei Nacht reisen konnten, da es doch wesentlich kühler war, als am Tage. Lorgren hatte ihr und den Zwergen erklärt, dass es grade die Nacht war, vor der sich in Acht nehmen mussten. Die kühle Nachtluft lockte viele Räuber aus ihren Tagquartieren. Bei Tag war es wesentlich sicherer, da sich die Kreaturen der Wüste dann unter der Erde oder in kühlen Höhlen, wie in der, die ihr Nachtquartier war, versteckten, um nicht der Sonne ausgesetzt zu sein. Nur widerwillig hatte ihm Valzar zugestimmt. „Wir sollten aufbrechen“, sagte Lorgren schließlich und wand sich der Höhle zu. „Wir müssen ein gutes Stück zwischen uns und den Bergen bringen.“ Die Zwerge erhoben sich und marschierten mit dem Wüstenreiter zurück. Fynn sah auf, als sie in die Höhle kamen. Sie versuchte grade sich ihre lange Weste über zu werfen, doch nur mit einem Arm war dies schwierig. Lorgren kannte das nur zu gut. „Lass es besser sein“, sagte er zu ihr. Fynn warf ihm einen trotzigen Blick zu. „Das schaffe ich schon“, meinte sie, während sie sich weiter mit der Weste abmühte und es schließlich doch schaffte. Sie sah Lorgren triumphierend an, doch runzelte sogleich die Stirn, als sie sein Kopfschütteln sah. Er streifte sich umständlich den Harnisch ab und ließ ihn auf den Boden fallen, wie auch seinen Waffengurt. „Wir werden luftiger reisen“, meinte er tonlos, als er aus einer der Satteltaschen einen langen Umhang, aus sandfarbenem Stoff, zog und diesen sich überwarf. Er kniete sich hin und mit einiger Mühe schnallte er sich den Waffengurt um die Hüfte. Sie sah ihm dabei zu und seufzte nieder geschlagen. Die ganze Mühe umsonst. Sie zog die Weste wieder aus und sah ihn abwartend an. Schon reichte er ihr einen weiteren Umhang, der wie seiner aus sandfarbenem Stoff bestand und legte ihn sich um. Mit einiger Hilfe von Lorgren machte sie ihn schließlich fest und setzte die Kapuze auf. Während Lorgren sich einen Turban band, sahen die Zwerge skeptisch drein. „Worauf wartet ihr?“, fragte der Wüstenreiter die Bärtigen, als er von neuen anfangen musste, den Turban zu binden. Schließlich war so etwas mit einem Arm praktisch unmöglich. Diesmal ließ er sich von Fynn helfen. „Müssen wir auch unsere Rüstungen ablegen?“, fragte Flint, dem man deutlich ansah, dass ihm der Gedanke nicht sonderlich gefiel. „Ja“, war die knappe Antwort des Jerisanen, bevor er auch ihnen Umhänge reichte. Schnaubend zwängten sich die Zwerge aus ihren Rüstungen und ihren Gürteln, bevor sie sich in die seltsamen Umhänge wandten. Schnell legten sie ihre Gürtel mit ihren Waffen wieder um. Die Rüstungen verstauten sie sorgfältig in ihren Satteltaschen. Als die Gruppe fertig für den Aufbruch war, führte Lorgren sie zu ihren Pferden, die sie an einem schattigen Plätzchen der Steininsel zurück gelassen hatten. Lorgrens Hengst, ein stolzer Wüstenhengst, wieherte glücklich auf, als er den Geruch seines Herren wahrnahm. Er trabte dem Wüstenreiter entgegen und wieherte sanft zur Begrüßung. Lorgren musste etwas lächeln und tätschelte die bebenden Nüstern seines Tieres, um den Gruß zu erwidern. Schnell waren die Pferde gesattelt und die Reise ging weiter. *** Sie ritten ohne Pause weiter durch die Wüste von Jeris, die auch als das Sandmeer bekannt war. Fynn fand diese Hitze erdrückend. Als sie noch durch den Pfeil verwundet gewesen war, hatte sie nichts von der Hitze mitbekommen, denn der Schmerz war schon unerträglich genug gewesen. Sie konnte sich nur darüber wundern, wie heiß und gnadenlos die Sonne hier war. In ihrer Heimat schien sie sanfter, liebkoste regelrecht die Haut, während die Sonne über jeris nur darauf aus war, ihnen einen Sonnenbrand nach dem anderen zu verpassen. Valzar hatte sich bereits einen eingefangen, denn der stolze Zwerg hatte sich geweigert die Kapuze seines Umhanges über zu ziehen. Nun glühte sein Kopf genau so rot, wie sein Bart und er war einsichtig genug gewesen, dem Beispiel der anderen zu folgen. Lorgren hatte die Führung übernommen, denn es war seine Heimat und er kannte sich hier am besten aus. Ihm folgte Fynn, die ermattet im Sattel ihrer grauen Stute, der es nicht viel besser ging, saß. Dann kamen die Zwerge, wovon Flint die Nachhut bildete. Ihren Ponys ging es am schlimmsten. Sie waren Bergponys und keine Wüstenponys. Auf ihrem weg hatten sie bereits eins der Packtiere verloren. Es war der Hitze erlegen gewesen dun einfach tot zusammen gebrochen. Einen Teil der Ausrüstung hatten sie daher zurück lassen müssen, da alle Pferde schon genug Lasten trugen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das nächste Tier verendete. Stumm reisten die Gefährten weiter. Gelegentlich brummte einer der Zwerge oder wieherte eins der Pferde, doch mehr war von ihnen nichts zu hören. Die Hitze wirkte zermürbend auf Fynn und ihre zwergischen Begleiter, während Lorgren daher ritt, als wäre er immer noch in den Wäldern oder Bergen Helios unterwegs. Dafür bewunderte das Mädchen den Mann. Wie gerne würde sie ebenso beherrscht wie er auf seinem Pferd sitzen und die Hitze ohne weiteres ertragen können. Sie fragte sich insgeheim, ob es etwas mit seiner bronzenen Haut zutun haben mochte. Die Haut strahlte regelrecht im Schien der Sonne und ließ den Wüstenreiter in einem ganz andere Licht erscheinen. Schon bald brach die Nacht herein. Die Luft kühlte blitzartig ab und ließ Fynn und ihre Begleiter frieren. Das Mädchen dennoch dankte innerlich den Göttern. Endlich war die Sonne verschwunden und materte sie nicht weiter. Doch Lorgren ließ sie nicht anhalten. Fynn fühlte sich kraftlos und ihr fielen immer wieder die Augen zu. Ihr Durst war gewaltig, wie auch ihr Hunger, doch der Wüstenreiter verbat ihnen etwas von den Vorräten zu nehmen. Erst spät in der Nacht ließ er sie halten, auf einem glatten Felsen, der ihnen genug platz bot. Rasch entzündeten sie ein Feuer und scharrten sich darum. Nun endlich erlaubte Lorgren ihnen zu essen und zu trinken. Doch das Wasser rationierte er so, das alle grade mal einen Becher voll hatten. Den Zwergen war das einerlei, denn sie hatten genug zu Essen, um ihre Bäuche zu füllen. Fynn hingegen hätte am liebsten einen der Wasserschläuche komplett geleert, um ihren Durst zu löschen. Leider passte der Jerisane auf wie ein Luchs. Neben ihrem Durst fror Fynn bitterlich. Sie hatte sich ihre Decke enger um den Körper gelegt, ohne den Umhang abzulegen. Selbst mit dem wärmenden Feuer erschien ihr die Nacht eisig, als würde sie einem die Wärme aus den Gliedern ziehen. Das Mädchen vermutete, das es genau so kalt wie im Winter war. Es würde sie nicht wundern, wenn es zu schneien anfangen würde. Sie schloss die Finger um den Schwertanhänger ihrer Muter und versuchte sich an ihm zu wärmen. Seine Wärme aber reichte nicht aus, um ihr Zittern zu beenden. Leise fluchte sie. Jetzt würde sie gerne daheim in ihrem Bett liegen, unter vielen Schichten von Decken. Jetzt kam ihr auch die Wüstensonne wesentlich erfreulicher vor, doch sie wusste, dass es sich am nächsten Tag ändern würde, sobald die ersten Sonnenstrahlen auf sie nieder schienen. Die Zwerge fühlten sich in der Kälte der Nacht sichtlich wohl. Sie wirkten etwas belebter, als während des langen Rittes. Sie tratschten über irgendwelche Dinge, die nicht weiter von Interesse waren oder schoben sich ihr Essen in die Münder. Valzars Gesicht hatte an Farbe verloren, so dass man wieder erkannte, wo sein roter Bart anfing. Fynns Blick huschte zu Lorgren, der die erste Wache übernommen hatte. Er stand aufrecht am Rand der Felsplatte und ließ den Blick achtsam durch die dunkle Wüste streifen. Immer noch trug er den Turban, doch den Wüstenumhang hatte er abgelegt und stand nur in seinem luftigen Hemd und der engen Hose da. Das Mädchen konnte nicht anders, als ihn anzusehen. Er war wirklich ein attraktiver Mann, fiel ihr auf. Zuvor hatte sie nie wirklich einen Gedanken daran verloren, denn die Erinnerungen an Jakob, dem üblen Meuchler der Skormklingen, waren noch zu frisch. Sie hatte sich an diesem Trag geschworen auf keinen Mann mehr rein zu fallen, der ihr schöne Augen machte und der sogleich ein Bild von einem Mann war. Sie fürchtete, wieder betrogen zu werden. Doch bei Lorgren, dem Mann aus der Wüste, war dies nicht so. Zwar hegte sie keine tieferen Gefühle für ihn, doch fühlte sie sich in seiner Nähe überaus wohl. Der Schwertanhänger hatte das Gefühl jedes Mal bestärkt, als seine innere Glut erwacht war und sie mit seiner Wärme eingelullt hatte. Dennoch. Lorgren war für sie immer noch ein Fremder. Zwar hatte sie ihn in den Wochen schon etwas näher kennen gelernt, doch war er für sie immer noch ein Rätsel. Nie zu vor war sie einem Mann wie ihm begegnet, der seine Gefühle unter einer Maske verbarg. Er sprach zudem nie viel, außer wenn es wichtig war, seiner Meinung nach zumindest. Als sie ihn einmal gefragt hatte, was mit seinem fehlenden Arm passiert war, hatte er bloß gesagt, dass er ihn im Kampf verloren hatte. Mit wem hatte er ihr verschwiegen, wie so viele andere Sachen auch. Der Wüstenreiter schien ihr Starren bemerkt zu haben, denn er wand sich ihr zu und seine braunen Augen glitzerten im Schein des Feuers. Fynn sah verlegen weg, wieder aufs flackernde Feuer. Wieder einmal hatte sie sich im Anblick des Mannes verloren. Dabei war es nicht einmal ihre Absicht gewesen, ihn so lange zu beobachten. Wahrscheinlich würde er sich wieder in seine sprießenden Bartstoppeln brummeln, weil er sich von ihren Blicken gestört fühlte, und sie weiter nicht beachten. Damit ihr nicht noch ein solcher Fehler unterlief – in letzter Zeit waren es reichlich gewesen – ging sie zu ihrem Schlafsack und bettete sich in diesen, um für diese Nacht ruhe zu finden. Beim ersten Sonnenstrahl würden sie wieder unterwegs sein und dafür wollte sie ebenfalls ausgeruht sein. *** Früh am Morgen, die ersten Sonnenstrahlen schienen auf sie herab, weckte Flint, der die letzte Wache übernommen hatte, seine Gefährten. Während Lorgren sich um Fynns verletzte Schulter kümmerte, rafften der weißbärtige Zwerg und Valzar das Kochgeschirr und die Schlafsäcke zusammen und verluden sie auf die Pferde. Und bald waren sie auch schon wieder unterwegs. Die Tage zogen sich langsam dahin. Sie reisten fünf lange Tage durch die Wüste, ohne einer Seele über den Weg zu laufen. Für die junge Halbork und die beiden Zwerge wirkte die Wüste wie tot, doch Lorgren wusste es besser. Überall in der Wüste gab es leben, das sich aber nur gelegentlich aus seinen Verstecken wagte, wenn die Sonne schien. Das Leben versteckte sich einfach zu gut vor ihnen, als das sie es hätten wahrnehmen können. Auch die Nächte waren bedrückend. Die Zwerge redeten nur noch seltener, wenn dann, beschwerten sie sich über die elende Wüste. Lorgren nahm es einfach hin, ohne sich beleidigt zu fühlen. Auch er hatte über die Wüste geflucht, als ein weiteres Pony verendet war und sie einen weiteren Teil ihrer Ausrüstung hatten zurück lassen müssen. Auch am fünften Abend saßen sie schweigend zusammen. Die Zwerge hatten sich allmählich damit abgefunden, dass die sie auf eine solch harte Probe stellte. Sie hatten gelernt mit ihrer Situation umzugehen. Dabei war ihr zwergischer Starrsinn den beiden Bärtigen sehr hilfreich gewesen. Fynn war von allen an diesem Abend die Schweigsamste. Sie sah nur ins Feuer und hing dauernd ihren Gedanken nach. Ihre Wunde schmerzte nicht mehr, hatte sie dem Wüstenreiter versichert, doch so wirklich glaubte er ihr es nicht. Die Salbe hatte ihre Wunde weiter heilen lassen, doch würde es eine lange Zeit dauern, bis sie völlig verheilt wäre. Allmählich machte sich Lorgren Gedanken um das Mädchen. Seit ihrem Aufenthalt in der Wüste war sie ungewöhnlich schweigsam, fast wie an dem Tag, als Ian in den Tot gestürzt war. Nicht einmal ihre neugierigen Blicke spürte er mehr in seinem Rücken. Sie schien sich mit ihrer Lage abgefunden zu haben, doch war das wirklich gut für sie? Der Wüstenreiter musste eine Möglichkeit finden, ihren Geist wieder zu wecken. Irgendwie musste er sie von ihrer Trübseligkeit ablenken, ihr eine Aufgabe geben, damit sie sich damit beschäftigen konnte. Flint saß zusammen mit dem Wüstenreiter am Feuer und kaute auf einem Stück Brot herum. Valzar hatte den Wüstenreiter abgelöst, während Fynn bloß ins Feuer starrte. „Das will mir nicht gefallen“, brummte er Lorgren zu, so leise, das nur er ihn hören konnte. „Was meinst du?“, fragte der Mann den Zwerg, der ihn aus seinen Überlegungen gerissen hatte. Der Weißbärtige deutet mit einem Nicken zu Fynn. „Sie wirkt so teilnahmslos, das es einen schon fast erschreckt“, meinte er und schob sich ein weiteres Stück Brot in den Mund. „Fast, als wäre ihr die Seele ausgetrieben worden.“ „Die lange Reise ist wahrscheinlich zuviel für sie“, erwiderte Lorgren, der nicht unbedingt mit einem Zwerg eine Meinung sein wollte. Doch dieser hatte Recht. „Ach?“, fragte Flint mit angehobener Augenbraue und fast den Mann aus der Wüste genau ins Auge. „Ich merk doch, das du dir selber Sorgen um sie machst, Wüstensohn. Mich kannst du nicht so leicht hinters Licht führen, wie die Jungen.“ Lorgren sah den Zwerg überrascht. Wie hatte er das bloß gemerkt? „Du hast mich durchschaut“, bestätigte er bloß die Vermutung des Zwerges, was diesen zu einem gutgelaunten Glucksen hinriss. „Hab ich es doch gewusst“, grinste Flint. Dann wurde er wieder ernst. „Wir sollten ihr irgendeine Beschäftigung geben. Etwas, was ihren langweiligen Alltag etwas Abwechslung verschafft.“ Lorgren nickte. „Aber wir haben nichts, was uns bei unseren Fortkommen behindern würde“, sagte dieser tonlos. „Also ich hätte da eine Idee“, brummte der Zwerg. Neugierig sah der Wüstenreiter den Zwerg an. Dieser strich sich durch den Bart und ließ seinen Sitznachbarn noch etwas schmoren, bevor er mit seinem Vorschlag heraus rückte. „Sie ist die Hüterin des Herzschwertes, oder?“ „Ja“, bestätigte Lorgren stirnrunzelnd. „Und als solche sollte sie doch etwas Ahnung über den Kampf haben“, fragte der Zwerg nach. Der Wüstenreiter nickte bloß, blieb dem Zwerg eine Antwort schuldig. „Es ist vielleicht an der Zeit sie im Schwertkampf zu unterrichten, meinst du nicht auch?“ Lorgren ließ sich die Worte des Zwerges durch den Kopf gehen. So dumm klang das gar nicht, was Flint da sagte. Sicher hatte sein Meister dasselbe für das Mädchen geplant, denn was war eine Schwerthüterin denn schon wert, wenn sie nicht wusste, wie sie sich verteidigen sollte. Nun war aber Flint ihm zuvor gekommen. Sein Blick fiel auf Fynn, die immer noch gelangweilt das Feuer ansah. Sicher würde ihr das Training die Langeweile nehmen und sie von dem langen Ritt ablenken. *** Fynn zuckte zusammen, als neben ihr ein langer Stock auf den Felsen fiel. Verwirrt sah sie auf und erspähte Lorgren, der nicht weit von ihr abstand. Der Wüstenreiter hielt einen ähnlichen Stock in der Hand, wie der, der neben ihr am Boden lag. „Steh auf“, forderte er sie tonlos auf. Das Mädchen sah ihn verwirrt an, doch gehorchte sie. „Was ist los?“, fragte sie ihr gegenüber. Dieser deutete mit seinem Stock auf den am Boden liegenden dun machte ihr deutlich, dass sie ihn aufheben sollte. Stirnrunzelnd beugte sie sich herab und nahm das Holz in die rechte Hand. Was hatte das zu bedeuten? Was wollte er von ihr? „Wir werden etwas üben“, sagte er schließlich zu ihr und ließ seinen Stock in der Hand kreischen. „Üben?“, fragte sie. Er nickte. „Ja“, antwortet er. „Dir scheint langweilig zu sein. Daher dachten Flint und ich mir, das du etwas Abwechslung braucht.“ Er schwang den Stock ein-zweimal, bevor er ihn auf sie richtete. „Ich werde dich im Schwertkampf unterweisen.“ Die Halbork sah den Jerisanen ungläubig an. Im Schwertkampf unterrichten? Wieso sollte sie so etwas lernen? Es würde ihr doch eh nichts nützen. Schließlich war sie ein schwaches Mädchen, das sich nicht einmal um sich selbst kümmern konnte. Wie sollte ihr da der Unterricht etwas bringen? Sie wollte nicht einmal das Fechten lernen, denn sie verband es damit, jemanden töten zu müssen. Und das konnte sie nicht. „Komm her“, sagte Lorgren, der ihr Zögern deutlich gespürt hatte. „Ich kann nicht“, murmelte Fynn leise, wobei sie ihren Blick gesenkt hielt. Der Wüstenreiter kam auf sie zu und gab ihr einen Klaps mit seinem Stock auf den linken Schenkel, der sie scharf die Luft einziehen ließ. Ungläubig sah sie ihn an und schreckte fast vor seinem entschlossenen Blick zurück. „Du wirst es können müssen“; entgegnete er ernst. „Wir werden nicht immer da sein können, um dich zu beschützen, Fynn. Es wird der Tag kommen, wo du allein sein wirst.“ „Aber…“, setzte sie an, doch der Jerisane schnitt ihr die Worte ab. „Ich will keine Widerrede hören“, sagte er kalt. „Die Hüterin des Herzschwertes muss wissen, wie man ein Schwert führt. Und das werde ich dir heute zeigen, ob du willst, oder nicht.“ Sie sah ihn wütend an. „Das kannst du nicht von mir verlangen!“, fuhr Fynn ihn an. Er sah sie nur unbeeindruckt an. „Ich werde sicher nie eine Waffe in die Hand nehmen und damit jemanden töten!“ „Glaubst du das wirklich?“, fragte er sie, wobei eine seiner Augenbrauen spöttisch in die Höhe ging. Um seine Worte zu unterstreichen, ließ er seinen Stock auf ihre Hüfte klatschen, was Fynn wieder zischen ließ. „Wirst du dich auch nicht wehren, wenn jemand dir nach dem Leben trachtet, wie die Klingen Skorms?“ Wieder traf das Holz die Halbork. „Lass das!“, herrschte sie ihn an. Ohne weiter nach zu denken, holte sie mit ihrem Stock aus und versuchte den jerisanen damit zu treffen. Dieser wehrte ohne weiteres ihre hölzerne Waffe ab und drückte sie zur Seite. Kurz darauf spürte sie den bekannten Schmerz wieder. Ungestüm holte sie wieder mit der Übungswaffe aus und ließ sie auf ihn nieder sausen. Doch Lorgren war längst aus ihrer Reichweite getänzelt und sah die junge Halbork voller Spott an. „Sollte das etwa ein Angriff werden?“, höhnte er, wobei er seinen Stock in der Hand kreisen ließ und sich kurz darauf mit ihm lässig auf dem Fels abstützte. Fynn sah rot. Wieso verspottet er sie nur so? Was hatte sie ihm getan? Egal was es auch war, sie würde ihm seine Worte mit einigen ordentlichen Schlägen austreiben, um endlich ruhe zu haben. Also packte sie ihre Übungswaffe fester und rannte auf den Wüstenreiter zu, der sich nicht die Mühe machte, irgendwie zu bewegen. Als sie ihn erreichte und ihre Waffe vorschnellen ließ, wehrte er sie erneut ab, doch schlug er unvermittelt hart zurück. Fynn wich erschrocken zurück und sah den Jerisanen ungläubig an. Sein Gesicht war übergangslos hart geworden dun er kam auf sie zu. Als er sie erreichte, schlug das Mädchen wild mit dem Stock um sich, um ihn nicht noch näher kommen zu lassen. Doch Lorgren, der ein erfahrender Schwertkämpfer war, durchbrach locker ihre mangelhafte Deckung. Zu erst traf sein Stock ihre Schenkel, erst links, dann rechts. Darauf spürte sie ein Ziehen im rechten Arm und kurz darauf segelte ihre hölzerne Waffe schon durch die Luft, während die Spitze von Lorgrens Übungswaffe gegen ihr Kinn tippte. Ohne große Mühe hatte er sie entwaffnet. Er nahm den Stock von ihrem Kinn und sagte ruhig: „Wenn ich ein Feind gewesen wäre, wärst du längst tot gewesen.“ Er übergab ihr seine Waffe und fügte hinzu: „Du solltest mindestens wissen, wie man sich mit einem Schwert verteidigt.“ In dieser Nacht brachte Lorgren ihr die Grundgriffe des Schwertkampfes bei und sie trug noch weitere blaue Flecke davon. *** Die nächsten zehn Nächte verbrachte Fynn mit ihrem Fechtunterricht. Lorgren zeigte ihr, mit aller Ruhe, die er aufbringen konnte, wie sie ein Schwert zu halten hatte und wie sie es wenden oder drehen musste, um eine andere Klinge zu parieren oder abzuwehren. Das Mädchen tat sich wahrlich schwer daran, denn ihr fehlte zum einen die Kraft, um kräftiger Schläge abzuwehren und so wirklich Spaß machte es ihr auch nicht. Lorgren ging nicht wirklich sanft mit ihr um. Sie glaubte fast, das er sie mit all den blauen Flecken, die er ihr er ihr bei brachte, bestrafen wollte, für all die Fehler, die sie bisher gemacht hatte. Doch schließlich hatte sie den Dreh raus und konnte viele der Hiebe abwehren. Die Zwerge sahen sich das ganze mit einem Schmunzeln an und gaben Fynn gelegentlich auch einen Tipp, wenn sie etwas falsch machte. Flint schloss sich Lorgren als Lehrer sogar an und führte Fynn behutsamer in die Fechtkunst ein, damit sie sich erst einmal daran gewöhnen konnte. Und der Zwerg war ihr als Lehrmeister auch wesentlich lieber, als Lorgren, der nicht sonderlich viel Geduld mit ihr zu haben schien. „Links, rechts, links, recht“, sagte Flint, während er mit seinem Holzschwert nach Fynn schlug. Die Halbork ließ sich vom Rhythmus seiner Worte leiten dun wehrte so die leichten Schläge mit ihrer Waffe ab. Flint hatte sich die Zeit genommen zwei Schwerter aus den Holzstöcken zu schnitzen, damit Fynn ein etwas identischeres Training bekam. Scheinbar tat sie sich wirklich etwas leichter mit den Nachbildungen, denn sie hatte wesentlich weniger blaue Flecken, als zuvor. „Und kontern!“, bellte Flint laut. Fynn wehrte seinen nächsten Hieb rasch ab und ließ die Holzklinge vorschnellen. Die Spitze traf die Brust des Zwerges, der ein tiefes Brummen von sich gab. Wieder gab er seine Anweisungen und Fynn gehorchte ihm. Lorgren und Valzar sahen sich das ganze vom Lagerfeuer her an. Der Jerisane war mit den Übungsmethoden des Zwerges nicht wirklich zufrieden, doch er gab bereitwillig zu, dass diese erfolgreicher waren, als die seinen. Mit der Ruhe kommt die Kraft, hatte Flint gesagt und Lorgren damit verblüfft, denn diese passten so gar nicht zu einem des bärtigen Volkes. Zwerge waren wilde Krieger und mit Ruhe war bei ihnen nie zu rechnen. Valzar hatte zu dieser Äußerung bloß den Kopf geschüttelt und gebrummt, das der alte Zwerg wohl zu oft bei den Menschen gewesen war und wohl einen Elf zu viel über den Weg gelaufen sein könnte. „Sie ist besser geworden“, brummte Valzar, während er auf der gegrillten Eidechse herum kaute, die er, mit einigen anderen, beim Aufschlagen ihres Lagers erlegt hatte. Lorgren nickte leicht. Die Behauptung des Zwerges traf zu. Fynn war wirklich besser geworden und sie hatte auch bald wesentlich mehr Gefallen am Fechten gewonnen. Sie stürzte sich mit all ihrer Leidenschaft in ihre Übungen und hatte sogar einmal den Jerisanen mit einem Ausfallschritt überrascht, denn er aber zu kontern gewusst hatte und sie nieder gerungen hatte. Trotzdem hatte er sie mit knappen das Mädchen gelobt und in ihren Augen deutlich den Stolz gesehen, als auch Flint und Valzar ihr gratuliert hatten. Sie war noch weit weg von einer guten Schwertkämpferin, doch sie mauserte sich. Er warf das abgeknabberte Gerippe des Wüstenreptils zu den anderen dreien, die neben ihm Sand lagen und holte seine fünfte Echse aus dem Feuer. „Glaubst du, dass sie das Schwertkämpfen im Blut hat?“, fragte der Zwergenkönig den Wüstenreiter. „Du beziehst dich auf ihre Abstammung“, vermutet Lorgren, während er dabei zusah, wie Fynn einem rechten Schwinger Flints auswich. Valzar nickte. „In einer Zwergenlegende wird erzählt, dass die Hüterin das Schwert schon in Kindertagen beherrscht“, brummte er. „Wie bei uns“, überlegte der Wüstenreiter. Während seiner Reise mit den beiden Zwergen war Lorgren aufgefallen, das er immer wieder in aller Ruhe mit den beiden Bärtigen sprach, als wären sie nicht seine Feinde, sondern einfach nur seine Weggefährten. Er sah sie nicht länger als bloße Anhängsel an, er sah in ihnen treue Verbündete. „In unseren Sagen wird auch berichtet, dass die Hüterin eine mächtige Zauberin ist, die angeblich die Wüste erblühen lassen kann.“ „Das kommt mir bekannt vor“, erwiderte der Zwerg. „Das erzählt man sich auch bei uns.“ Er sah den Mann aus der Wüste an. „Irgendwie seltsam, findest du nicht auch, Wüstensohn? Die legenden und Sagen unserer Völker überschneiden sich bei fast immer, wenn es um die Hüterin geht.“ Lorgren nickte. Das war ihm auch längst aufgefallen. „Wahrscheinlich gab es Zeiten, wo alle Völker geeint waren“, vermutete er. „Sehr seltsam.“ „Genau. Ich könnte mir nicht vorstellen, mit einem Ork oder einem Elfen zusammen zu kämpfen.“ Er lachte leise. „Ich hab nie gedacht, zusammen mit einem Zwerg zu kämpfen.“ Valzar sah ihn neugierig an. „Aber ich hab es getan.“ Lorgrens Blick wanderte zu Fynn. „Und ich würde es wieder tun.“ Der Zwergenkönig sah ihn eine Weile stillschweigend an, bevor er den Jerisanen gutmütig auf den Rücken klopfte. „Das klingt fast so, als könntest du uns leiden, Wüstensohn“, meinte Valzar tollkühn. „Lass das Brokos Geist bloß nicht hören. Er würde sich im Grabe umdrehen, wenn er davon erfahren würde.“ Das Thema Broko hatte die Gefährten am Anfang ihrer Reise durch die Wüste sehr beschäftigt, obwohl keiner von ihnen ein Wort über den gefallenen Kameraden verloren hatte. Doch mittlerweile lobpreisten die beiden Zwerge ihren Verwandten und seine Heldentaten in höchsten Tönen. Selbst Fynn, die sonst nie gerne über diesen schrecklichen Tag erinnert wurde, hatte sich den Zwergen angeschlossen. Es hatte sich so weit gesteigert, dass die Flint und Valzar den einen oder anderen Witz über den Zwerg rissen. Flint hatte den beiden Nichtzwergen erklärt, das die Zwerge so ihre Toten im Gedächtnis behielten und sie so ehrten. Unweigerlich musste Lorgren an Ian, den Burschen, zurück denken, der sein Leben für Fynn hergegeben hatte. Ihm hatte der Wüstenreiter auch geschworen, sie bis zum Ende ihrer langen Reise zu beschützen. Er hatte denn jungen Mann im Stillen geehrt, für seine Tapferkeit und Opferbereitschaft. Er fragte sich mittlerweile auch, ob die beiden irgendwann hätten miteinander auskommen können, wenn der Wirtssohn noch am leben gewesen wäre. Fynn selber hatte kein Wort mehr über den verlorenen Freund verloren. Lorgren glaubte, das es ihr noch immer schwer fiel, über Ian zu sprechen, weil sie einen zu schweren Verlust erlitten hatte. Er war ihr nah gewesen, war ihr immer ein Freund gewesen. „Hosa!“, rief Flint erschrocken, woraufhin Lorgren aufsah und zu dem Zwerg und seiner Schülerin hinüber. Fynn hatte dem Zwerg das Holzschwert entgegen gestoßen und die Klinge hatte sich irgendwie in seinem langen, weißen Bart verfangen. Das Mädchen sah mit großen Augen auf das Desaster und wusste nicht recht, was sie nun machen sollte. Valzar verkniff sich grade so ein Lachen. „Dein Bart schein dichter geworden zu sein“, sagte der junge Zwerg mit dem feuerroten Bart. Der Ältere schnaubte abfällig und zerrte an dem Holzschwert. „Statt so altkluge Worte hinaus zu posaunen, mein König, könntest du auch mal deinen königlichen Hintern bewegen und mir mal helfen“, beschwerte sich Flint bei dem anderen. Glucksend stand Valzar auf und schritt hinüber zu Flint. Er ließ sich von Fynn den Griff des Holzschwertes aushändigen und etwas daran. Es brachte nichts. Deshalb zog er stärker und schon johlte Flint auf. „Bei Bartaxs Bart! Willst du mir den Bart vom Kinn reizen?“ „Der hat sich ganz schön verfangen“, meinte Valzar bloß und zog noch einmal am Holzschwert, diesmal noch fester, das Flint nur so zeterte. „Also ohne einen Schnitt bekomm ich den da nicht raus.“ Fynn sah, wie der alte Zwerg die Augen weit aufriss. „Das wollte ich nicht“, stieß sie hektisch hervor. „Ach was“, brummte Flint, der sie mit einem Zwinkern ansah. „Du hast keine Schuld daran. Schließlich hast du nur dein Training absolviert.“ Er warf Valzar einen kurzen Blick zu und meinte: „Und das mit dem herausschneiden werden wir schön lassen, schließ…“ „Seit still“, herrschte Lorgren sie leise an und hatte bereits eine Hand am Griff seines Krummsäbels. Die anderen waren sofort in Alarmbereitschaft. Die bei Zwerge schnappten sich ihre Waffen, während Fynn den Dolch holte, den sie von Vater Barador erhalten hatte, als sie noch in Zwergenstein gewesen waren. Der Wüstenreiter schlich sich geduckt zum Rand ihres Lagers und spähte in die Dunkelheit, während seine Gefährten in die Dunkelheit um sich herum sahen. Er konnte nichts ausmachen, doch war er sich sicher, dass er ein leises Geräusch wahrgenommen hatte. Ein Geräusch, als würde jemand durch Sand laufen. Wie die beiden Zwerge schon oft gesagt hatten, war er ein Sohn der Wüste und als solcher kannte er jedes ihrer nächtlichen Geräusche, jedes Quieken, jedes Zischen. „Da ist nichts“, brummte Flint, dem immer noch das Holzschwert im Bart baumelte und einfach nicht abfallen wollte. Er ließ langsam seine Hämmer sinken, was auch Valzar und Fynn langsam taten. Nur Lorgren blieb vorsichtig. Er hörte ein Surren und sofort warf er sich auf die Seite und entkam so dem Pfeil, den ein versteckter Schütze auf ihn abgeschossen hatte. Sofort kam er wieder auf die Beine und sah in die nächtliche Wüste: Seine Kameraden waren wieder wachsamer geworden und hatten sich sichere Stellungen gesucht, um sich möglichst gut vor Pfeilen zu schützen. Der Wüstenreiter nahm eine Bewegung war. Dann eine nächste und wenig später schien die Wüste zum Leben zu erwachen. Gestalten in wehenden Umhängen tauchten aus der Dunkelheit auf und griffen das kleine Lager an. Schnell wich Lorgren zurück, noch bevor sein erster Gegner ihn erreichte, der, wie der Wüstenreiter selber, einen Krummsäbel führte. Schnell ließ er seine Klinge vor schnellen, doch Lorgren war flinker und wehrte sie kurz vor seiner Brust ab. Sein Gegner wollte nah ihm treten. Der Jerisane verhinderte den tritt, indem er selber nach dem anderen ausschlug und ihn am Schenkel traf. Der Mann, denn Lorgren erkannte es an der Tiefe seiner Stimme, stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus und humpelte von ihm zurück. Schnell folgte der Wüstenreiter dem anderen und schlug mit seinem Krummsäbel nach ihm, doch der Mann wehrte sie ab, konnte sie sogar von sich weg drücken. Ein anderer Angreifer stürmte heran und lenkte den Mann aus der Wüste von seinem momentanen Gegner ab, der die Chance nutzte und sich erstmal zurückzog. Lorgren ließ ihn ziehen, denn der andere war schon zu nah heran gekommen, als das es ihm möglich gewesen wäre, ihm zu folgen. Mit einem lauten Brüllen warf sich der Mann ihm entgegen, die Spitze seines Schwertes auf Lorgrens Herz gerichtet. Einer Eingebung folgend, ließ sich der Wüstenreiter einfach auf den Boden fallen. Damit überraschte er seinen Gegner sofort, der nun versuchte, nicht über ihn zu stolpern. Lorgren nutzte die Gelegenheit und presste dem anderen seine Füße in den Bauch. Der Mann konnte seinen Schwung nicht mehr aufhalten und fand sich wenig später hinter dem Jerisanen im Sang liegend wieder. Schnell war Lorgren wieder auf den Beinen und rannte zu dem am Boden liegenden. Bevor dieser aufstehen konnte, bekam er die Stiefel des einarmigen Schwertkämpfers zu spüren und wurde von diesen ins Land der Träume geschickt. Der Wüstenreiter sah zu seinen Gefährten, die nicht weniger bedrängt wurden als er. Valzar hielt fünf Angreifer mit Drakobans Drachenfaust auf Abstand, während zu seinen Füßen einer lag und sich nicht mehr rührte. Nicht weit ab lieferte sich Flint mit zwei Männern einen erbitterten Kampf. Als er Fynn sah, konnte er nur die Augen weit aufreisen. Sie war in arger Bedrängnis. Ein Mann hatte es geschafft, nah genug an sie heran zu kommen, um sie zu packen. Doch die Halbork konnte seinen gierigen Finger immer wieder entkommen. Ihren Dolch hatte sie wohl irgendwo verloren, doch er hätte ihr im Moment sicher nichts gebracht. Als Lorgren sich umwand, sah er schon zwei weitere Feinde nahen. Einer von ihnen trug ein großes Krummschwert in der Hand, während der andere, wie fast jeder der Angreifer, einen Krummschwert führte. Diese beiden stürzten sich auf Lorgren, der zu erst dem Krummschwert auswich und dann den Krummsäbel abwehrte. Als er schon dazu ansetze, einem der Angreifer seine Klinge in die ungeschützte Brust zu treiben, erklang ein Schrei. Fynn! Er ließ sich ablenken und das kam ihm teuer zu stehen. Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Hinterkopf. Das einzige, was er noch wahrnahm, war, wie er in den Sand fiel. Dann war da nur noch Dunkelheit. *** Valzar trat einem der Angreifer, der sich zu weit vor gewagt hatte, gegen das Knie. Mit grimmiger Zufriedenheit hörte er, wie der Knochen brach. Der Mann ging mit einer Grimasse zu Boden, wo er sich an das Bein faste. Schon versuchte es der Nächste, doch Valzar reagierte nicht schnell genug. Drakobans Drachenfaust erwischte den Mann nicht mehr, doch dafür seine Klinge den Zwerg. Er spürte den Schmerz, als die krumme Klinge ihm über die Brust fuhr. Knurrend schlug der Zwergenkönig um sich, hielt die Männer wieder auf Abstand: Die Wunde war nicht gefährlich, doch sie blutete: Der junge Zwerg tat dies als kleinen Kratzer ab dun scheuchte seinen Gegner vor sich her. Ein Schrei erregte seine Aufmerksamkeit. Das war die Hüterin, die junge Fynn, die da schrie! Der Zwerg holte noch einmal kraftvoll aus dun jagte seine Gegner weiter zurück. Er nutzte diesen kleinen Augenblick und sah sich nach der Halbork um. Er sah sie, doch sie war nicht allein. Ein großer Mann hatte sie am Arm gepackt. Sie wehrte sich verbissen, trat, schlug und kratzte nach ihm, doch er hielt sie gnadenlos fest. In der anderen Hand blitzte ein Dolch auf und der Zwergenkönig wusste, wofür dieser Mensch diesen verwenden wollte. Ohne lange nach zu denken, holte Valzar mit Drakobans Drachenfaust auf und schleuderte mit einem lauten Schrei den Hammer auf den Angreifer. Der Hammer flog ungehindert auf sein Ziel zu, das ihn zu spät bemerkte. Der Kopf der Waffe krachte schwer gegen den Brustkorb des Mannes, der durch von dem Schlag durch die Luft geschleudert wurde und einige Meter weiter erst auf dem Boden landete. Fynn hatte er zuvor los gelassen, doch auch sie hatte etwas von der Wucht abbekommen und war zu Boden gegangen. Valzar sah zufrieden zu, wie sie sich aufrappelte. Doch nun musste er sich um seine eigentlichen Gegner kümmern, die durch seine überraschende Aktion einen Moment lang unachtsam gewesen waren. Als sie sich ihm wieder zu wanden, rannte der Zwerg mit vorgestreckten Kopf auf einen von ihnen zu und riss ihn zu Boden. Der Mann heulte panisch auf, als er den knurrenden Zwerg auf sich sitzen hatte. Valzar hob seine Faust und wollte mit dieser auf den Schädel seines Opfers schlagen, doch ein Ruf ließ ihn inne halten. „Legt die Waffen nieder; Zwerge!“, rief ein Mann. Als Valzar zu ihm rüber sah, stockte er. Lorgren lag mit dem Gesicht im Sand und ein Mann mit einem Krummschwert bewaffnet hatte die Klinge an den Hals des Wüstenreiters gelegt. „Sonst töten wir diesen Mann!“ Der Zwergenkönig starrte Lorgren an und fragte sich, wie der Wüstenreiter wohl gehandelt hätte. Sicher hätte er sich auch gefügt. Knurrend warf er einen Blick zu Flint. Der alte Zwerg schnaubte abfällig, während er seine beiden Hämmer in den Sand warf die Arme vor der Brust verschränkte, wo noch immer das Holzschwert im Barte baumelte. Sofort waren drei der Angreifer zur Stelle und richteten ihre Schwerter auf den Zwerg. Sein Blick wanderte weiter zu Fynn, die mit entsetzen Blick zu Lorgren sah. Sie bemerkte den Mann erst, als dieser sie packte und sicher so schnell nicht wieder los lassen würde. Doch auch sie wehrte sich nicht und ergab sich in ihr Schicksal. Mit diesem Bild vor Augen, sah er auf sein Opfer herab, das ihn mit großen, ängstlichen Augen ansah. Er knurrte den Mann noch einmal an, der sogleich erschrocken zusammen zuckte, bevor er von ihm herunter kletterte und sich ebenfalls drei Klingen an den Hals halten ließ. Jubel stieg von den Menschen auf. Der Zwergenkönig konnte nur abschätzend schnauben. Eine Horde Banditen gegen vier Reisende, davon einer, der nicht einmal kämpfen konnte. Wie konnte man das einen Sieg nennen? Die Männer reckten ihre Klingen in die Höhe, außer denen, die die Zwerge im Zaun hielten. Weitere Männer erschienen und rannten über die Dünen zu ihren Kameraden. Einige kamen sogar auf stolzen Pferden daher geritten, die den Zwerg irgendwie an den Wüstenhengst Lorgrens erinnerten. Die anderen wurden zu Lorgren gebracht, der immer noch benommen im Sand lag. Als man Fynn los ließ, ging sie neben dem Wüstenreiter in die Knie und besah sich die Platzwunde am Hinterkopf. Flint und Valzar bauten sich neben ihr auf und sahen die Männer, die sie umringten mit finsteren Blicken an. An ihnen würden sie nicht vorbei kommen, ob mit oder ohne Waffen. Zwei vermummte Gestalten traten aus den Reihen der Männer. Sie sahen sich die vier Gefährten einen Moment an. Der kleinere von beiden Sah jeden von ihnen einmal genau an, bis sein Blick auf Lorgren hängen blieb. Diesen starrte er ganz besonders lange an. Der größere Mensch fragte den anderen etwas auf der Sprache der Jerisanen, die Valzar nicht geläufig war. Der andere reagierte nicht sofort, trat nur einen Schritt weiter vor. Valzar selber machte einen Schritt vor und knurrte bedrohlich. „Noch ein Schritt näher und du wirst dir wünschen, nie geboren worden zu sein“, warnte er ihn. Ob der Kleine ihn verstanden hatte oder nicht, das Knurren hatte ihn zumindest inne halten lassen. Der Große zog sein Krummschwert und richtet es auf den Zwerg und befahl: „Aus dem weg, Bärtiger. Sonst schlage ich dir den hässlichen Kopf von den Schultern.“ „Trau dich nur, wenn du mit meiner Faust Bekanntschaft machen willst“, forderte der Zwergenkönig ihn auf, doch Fynn hielt ihn zurück. „Bitte“, sagte sie leise, den Blick auf ihn gerichtet. Dem Zwerg entgingen die Tränen nicht, die ihr über die Wangen liefen und ihm schnürte sich unweigerlich die Kehle zu. Er trat zurück, doch nicht ohne den kleinen und großen Mann aus den Augen zu verlieren. Der Kleine trat wieder vor, kniete sich neben Lorgren. Er drehte den Kopf des Wüstenreiters so, das er ihm ins Gesicht sehen konnte und erstarrte. „Lorgren“, keuchte er mit ungewöhnlich heller Stimme. Da wusste der Zwerg, dass das da sicher kein Mann war, sondern eine Frau. Der Große sah die Frau überrascht an und trat selber näher. Auch er erstarrte und sah den Wüstenreiter an, als würde er einen Geist sehen. Er fragte irgendetwas, erhielt aber keine Antwort von der Frau, die weiterhin neben Lorgren kniete und sein Gesicht anstarrte. Sie richtet sich schließlich auf. Sie warf jedem der drei anderen Gefährten einen gefährlichen Blick zu, bevor sie einen Befehl gab. Valzar, Fynn und Flint wurden von Lorgren weg geschafft, um den sich nun vier Männer scharrten. Sie wurden auf ihre Pferde gesetzt und ihre Hände an die Knäufe ihrer Sättel gebunden. Lorgren selbst sahen sie nicht mehr. Kurz darauf wurden sie von ihren Angreifern in die Wüste geschafft, wo sie einen langen Ritt hinter sich zurücklegten. *** Schmerzhaft dröhnte ihm der Kopf. Es fühlte sich an, als würde eine Herde Wildpferde, im vollen Galopp, über ihn hinweg fegen. Ächzend wand er sich herum und musste feststellen, dass er auf etwas weichem lag. Verwirrung stieg in ihm auf. Hatte er nicht eben noch gegen einen fremden Angreifer gefochten? Lorgren war sich da felsensicher. Seine Erinnerungen waren richtig. Das letzte, wo er sich deutlich dran erinnern konnte, war der Schmerz, der seinen Hinterkopf erfüllt hatte, bevor er zu Boden gegangen war. Der Schmerz, der auf dem Schrei Fynns gefolgt war. Fynn! Überstürzt schreckte der Wüstenreiter aus seinem dämmrigen Schlaf auf und verfluchte sich gleich schon dafür, als eine Welle des Schmerzes durch seinen Kopf fegte. Mit einem Keuchen sank er wieder zurück, doch nun war er wieder wach und öffnete langsam die Augen. Zu seiner Überraschung sah er nicht den blauen Himmel und die Sonne, sondern das Dach eines Zeltes, das sich über ihm erstreckte. Vorsichtig drehte er seinen Kopf zur Seite und stellte fest, dass er sich auch in einem Zelt befand und dass man ihn auf weiche Decken und Kissen gebettet hatte. Er war alleine. Niemand war zu sehen, doch hörte er die Stimmen anderer Menschen. Sofort wusste er, wo er sich befand. In einem Lager eines Clans der Wüstenreiter. Vorsichtig setzte er sich wieder auf. Lorgren fühlte sich zerschunden, sein Kopf schmerzte ihm, doch allmählich ließ dieser nach. Er strich sich über den Kopf und bemerkte erst jetzt den Verband. Wieder strich er darüber. Wer auch immer ihn angelegt hatte, er verstand sein Handwerk. Was anderes hätte er von den Heilern der Wüstenreitern auch nicht erwartet. Sein Blick hob sich, als jemand durch den Eingang des Zeltes trat und auf ihn zu hielt. Seine Augen weiteten sich vor lauter Unglauben, als er die Frau sah, die auf ihn zukam. Ihr Haar war genau so schwarz wie das seine. Sie trug es geflochten über dem Rücken, während ein kleiner Zopf mit Schmuck verziert, hinter ihrem rechten Ohr baumelte und dessen Ende auf ihrer Schulter ruhte. Ihre Haut war braungebrannt, wirkte genau so bronzen wie die seine. Ihr Gesicht wurde von einem paar dunkelblauer, schmaler Augen, einer feinen Nase und vollen Lippen geziert. Ihr Körper war schön und vollkommen. Sie trug ein weißes Kleid, das sie vor der brennenden Sonne schützen sollte. „Amirah“, keuchte er ihren Namen. Die junge Frau lächelte erfreut und ließ sich neben ihm auf den Kissen nieder. Erst jetzt fiel ihm die Schüssel mit Wasser auf, die sie bei sich getrug. „Ich sehe, dass es dir wieder besser geht“, sagte sie mit leichtem Spott in der wohlklingenden Stimme, während ein Lächeln ihr Gesicht zierte. „Du erinnerst dich bereits an meinen Namen.“ Sie ließ ihr Lächeln feiner werden und drückte ihn zurück in die Kissen. Seine Überraschung hinderte ihn daran, sich gegen sie zu wehren und er folgte ihrem Drängen. „Wo bin ich?“, fragte Lorgren sie, während Amirah mit einer kleinen Schale etwas Wasser aus der Schüssel schöpfte. „Im Lager meines Clans“, erklärte sie ruhig, während sie einige Kräuter in die Schale gab und sie mit dem Wasser sorgfältig vermischte. „Das solltest du jetzt trinken. Raga hat dich hart am Kopf getroffen. Du warst sofort ohnmächtig.“ Lorgren sah sie an und hinderte sie daran, ihm die Medizin zu verabreichen, indem er eine Hand auf ihren Arm legte. „Raga?“, fragte er verwirrt. Sie nickte. „Ja, Raga.“ Verwirrung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben: Doch allmählich lichtet sich der Nebel und er verstand. „Ihr habt uns angegriffen“, stieß er hervor. Verlegen nickte Amirah. „Ja“, erwiderte sie. Sie beugte sich vor und gab ihm etwas von der Medizin, bevor er noch protestieren konnte. „Wir haben dich und deine…“, sie zögerte, „Begleiter für Feinde gehalten.“ Lorgren schluckte das bittere Mittel herunter und versuchte aufzustehen, doch die junge Frau hinderte ihn daran. „Wo sind sie?“, fragte der Wüstenreiter die Jerisanin. „Geht es ihnen gut?“ Sie runzelte die Stirn. „Seit wann macht sich Lorgren, der das Schicksal sucht, Sorgen um Zwerge?“, fragte sie ihn, wobei sie eine Augenbraue anhob und sein Gesicht genau musterte. „Raga muss dich doch heftiger getroffen haben, als erwartet.“ Lorgren schnaubte. „Du verstehst nicht, Amirah“, sagte er und versuchte wieder in eine sitzende Position zu gelangen und dieses Mal half Amirah ihm sogar. Er wollte sogar aufstehen, doch daran hinderte sie ihn. „Was soll ich nicht verstehen? Das du mit den Bärtigen und einer Halbork zusammen warst?“ Sie lächelte milde, doch Lorgren wusste, das sie ganz anders sein konnte. „Ich versteh es wirklich nicht. Aber vermutlich wirst du mich gleich aufklären.“ „Mach dich nicht über mich lustig“, warnte er die Frau, doch diese zuckte ungerührt mit den Schultern, denn Angst kannte sie vor ihm nicht. „Das Mädchen… Sie ist sehr wichtig.“ Wieder hob sich die Augenbraue an. „Ach ja?“, fragte die Jerisanin und bedachte ihn mit einem sorgfältigen Blick. „Und wieso das? Hast du vor sie zu verkaufen?“ Als er schnaubte, fuhr sie fort. „Ich weis, ich weis. Lorgren handelt nicht mit Sklaven. Denn er ist ein Wüstenreiter. Und Wüstenreiter unterjochen niemanden.“ Sie lächelte ihn an, dieses mal sanft und beugte sich zu ihm, um ihn auf die Lippen zu küssen. „Das schätze ich so an dir, mein Verlobter.“ Der Wüstenreiter schluckte schwer. Er musste sich ermahnen ruhig zu bleiben, denn ihre weichen Lippen vermochten jeden Mann schwach werden zu lassen. Wie er es hasst, wenn sie das sagte! „Du machst dich wieder lustig über mich“, knurrte er sie an, doch sie reagierte nur damit, dass sie ihm einen neuen Kuss auf die Lippen hauchte. Und wieder musste er sich beherrschen. „Das würde ich mir nie erlauben“, schnurrte sie. Sie lächelte ihn an. „Also sag mir, was es mit dem Mädchen auf sich hat. Am besten auch, wieso du mit den Bärtigen unterwegs warst.“ Sie wurde ernst. Endlich zeigte sie ihr wahres Gesicht, dachte Lorgren. „Ein Auftrag“, antwortete er ihr. „Mehr brauchst du auch nicht wissen.“ „Das ist recht wenig“, meinte sie nachdenklich. „Das wird Vater nicht überzeugen.“ „Überzeugen? Von was?“, wollte der Wüstenreiter wissen. „Sie zu richten“, erklärte die Jerisanin ungerührt. „Wieso?“, fragte Lorgren. Was war passiert, während er ohnmächtig gewesen war? Er kannte Amirahs Vater genau. Er war ein strenger, aber gerechter Mann, der nie voreilig über jemanden urteilte, egal ob Zwerg oder Mensch. Aber warum wollte der Clanführer über seine Gefährten richten? „Sie haben zwei unserer Leute umgebracht.“ *** „Verdammte Wüstenratten“, knurrte Valzar, während er weiterhin versuchte sich von seinen Fesseln zu befreien. Doch er hatte keinen Erfolg damit. Seine zwergische Sturheit hinderte ihn aber daran, seine Versuche aufzugeben. „Die können was erleben.“ Fynn hörte ihm nicht zu, sondern hielt ihren Blick gesenkt. Sie und die beiden Zwerge waren von den Fremden in ihr Lager gebracht worden, das in einer Oase, mitten in der Wüste lag. Nach ihrer Ankunft hatten die Männer sie von ihren Pferden gezerrt und in eins der großen Zelte gebracht. Dort wurden sie mit den Händen an Pfosten gebunden, die tief in den Boden getrieben worden waren. Den Zwergen hatte man zusätzlich die Füße verschnürt, denn Valzar hatte nicht an sich halten können und einem ihrer Entführer einen Tritt verpasst. Das Mädchen machte sich Sorgen um Lorgren, den sie seit dem Überfall nicht mehr gesehen hatten. Diese Leute kannten den Wüstenreiter von irgendwoher und das beunruhigte sie sehr. Ob es Lorgren gut geht, fragte sich Fynn. Wo hatten die Jerisanen den Wüstenreiter hin gebracht oder hatten sie ihn überhaupt mit sich genommen? War er noch in der Wüste? Sie konnte nur hoffen, dass er noch lebte. Fynn ahnte, das es sich um Jerisanen, um einen der Wüstenstämme handelte, deren Gefangene sie waren. Doch mehr blieb ihr verborgen. Die Wüstenmenschen sprachen nur in ihrer Sprache und keiner der drei beherrschte diese. Drei Männer betraten das Zelt. Fynn und die Zwerge sahen sofort auf. Einer von ihnen war ein Hüne von einem Mann. Sein Gesicht wirkte hart wie Stein und seine Augen waren von dunkler Farbe. Das schwarze Haar trug er kurz geschnitten, während in seinem Gesicht ein stattlicher Bart prangte. Er trug ein einfaches, weißes Gewand, doch an seiner Seite hingen ein beeindruckendes Krummschwert und ein gekrümmter Dolch. Er trat auf die Gefährten zu, blieb aber auf einigem Abstand stehen und sah einen nach dem anderen ins Gesicht. Als letztes sah er Fynn an. Das Mädchen senkte den Blick unter seinem Starren. Sie hörte den Mann etwas sagen. Kurz darauf wurden ihre Fesseln gelöst und die beiden anderen Männer zogen sie grob auf die Beine. Nun sah sie sich dem Hünen gegenüber, der finster auf sie herab sah. „Was habt ihr mit ihr vor?“, verlangte Valzar zu wissen. „Antwortet mir gefälligst, ihr lausigen Wüstenratten!“ „Schweig, elender Zwerg“, knurrte der Hüne in der Handelssprache. Fynn schluckte und zog ängstlich den Kopf ein, während der Zwergenkönig den anderen anknurrte. Zur Belohnung erhielt er von dem Hünen sogleich einen Tritt gegen die Brust, der ihm die Luft aus den Lungen trieb. „Valzar“, keuchte Fynn erschrocken. Sie sah den Mann flehend an. „Bitte tut meinen Gefährten nichts!“ Der Hüne warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er einen Befehl gab. Die beiden anderen Männer zogen Fynn mit sich, gefolgt vom Hünen, der noch kurz vor Valzar verweilte, bevor er den anderen folgte. Das Mädchen wurde vor das Zelt gebracht und von der grellen Sonne sogleich geblendet. Als ihre Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, sah sie sich um. Überall standen Zelter aus weiß- oder sandgefärbten Fellen. Sie waren alle ausnahmslos groß, um mindestens zehn Leute zu beherbergen. Sie alle waren um einen großen Teich, mit kristallklarem Wasser, aufgestellt worden. Bäume, die Fynn noch nie zuvor gesehen hatte, mit großen, fächerartigen Blättern, waren in der gesamten Oase verteilt und spendeten ausreichend Schatten. Männer und Frauen gingen ihrer alltäglichen Arbeit nach oder unterhielten sich, während die Kinder herum tobten. Einige von ihnen bemerkte Fynn und ihre Wächter und hielten in ihren Tätigkeiten inne. Das Mädchen zog unter all den Blicken den Kopf ein. Deutlich spürte sie den Argwohn, das Misstrauen in den Blicken der Menschen. Allein die Kinder sahen sie neugierig an, waren sogar mutig genug, um näher heran zu kommen, doch wurden sie von ihren Eltern zurück gerufen oder von dem Hünen davon gescheucht. Man brachte sie weg von dem Zelt, in dem noch immer die beiden Zwerge gefangen waren. Und die Blicke folgten ihr. Fynn wurde um das Ufer des Teiches geführt, bis ein einsam stehendes Zelt in Sicht kam. Im Gegensatz zu den anderen war seine Plane rot gefärbt worden und mit verschiedenen Mustern bestickt worden. Ein Muster stach am deutlichsten heraus. Es sah aus wie ein Drache, der keine Flügel hatte. Zwar hatte Fynn in ihrem ganzen Leben noch keinen der Würmer gesehen, doch war sie sich ganz sicher, dass es sich um einen handeln musste. Sie erreichten das Zelt, vor dem zwei Wächter, mit langen Speeren und in lange sandfarbene Umhänge gehüllt waren, standen. Der Hüne ging einfach in das Zelt und ließ Fynn und ihre Bewacher einfach zurück. Die beiden Wächter am Eingang beäugten sie misstrauisch, aber sie sagten kein Wort. Es vergingen viele Minuten, bevor der Hüne wieder erschien und sie hinein winkte. Die beiden Männer schoben das Mädchen unsanft in das Innere des Zeltes und ließen sie dort alleine zurück. Verwirrt sah sie sich um. Im Inneren war es taghell. Eine einzelne Laterne, die an einer der Befestigungsstangen hing, erzeugte genug Licht. Der Boden des Zeltes war mit unzähligen und kostbaren Teppichen ausgelegt, während an den Zeltwänden unzählige Wandbehänge, Waffen und Schilder hingen. In der Mitte war eine Feuerstelle, in der momentan kein Feuer brannte. Genau gegenüber dem Eingang saßen fünf Männer auf weichen Kissen, die sie genau beobachteten. Das Mädchen stolperte nach vorne, als der Hüne ihr einen unsanften Stoß verpasste. „Beweg dich“, knurrte er sie leise an. Sie gehorchte sofort, denn sie wollte den großen Mann nicht verärgern. Sein Blick sprach Bände. Sie trat mit ihm zusammen vor die Männer. Er packte sie an der Schulter und zwang sie mit seiner Kraft auf die Knie. „Verneig dich“, befahl er ihr. Fynn sah ihn an. Wieso sollte sie dies tun, wollte sie ihn schon fragen, doch er wartete erst gar nicht, sondern schob grob ihren Kopf gen Boden, presste ihn regelrecht auf den Teppichboden. Schmerzerfüllt verzog sie das Gesicht, als er noch fester zudrückte. „Lass sie los“, hörte sie einen der Männer sagen. Ihr Peiniger zögerte einen Moment, bevor er von ihr abließ. Sie spürte, wie er sich entfernte. Fynn wagte erst jetzt, den Blick zu heben und sah die Männer an, die allesamt auf sie herab blickten. Ihr wurde unwohl dabei. Was hatten sie mit ihr vor? Der in der Mitte der Versammlung sitzende Mann betrachte sie besonders genau. Sein Gesicht zeigte bereits die ersten Falten, doch seine Haut war immer noch so braungebrannt, wie die der anderen. Auf seinem Haupt thronte ein roter Turban, wie der, den Lorgren sich gebunden hatte. Ein sauber geschnittener Bart und ein paar dunkelblauer, schmaler Augen zierten sein Gesicht. Er musste um die fünfzig Jahre alt sein, vermutet Fynn, doch erstaunte sie es, das sein Körper von kräftiger Statur war, die von einer roten Tunika und einem paar edler Hosen umschmeichelt wurde. Auf gewisse Weise erinnerte dieser Mann sie an Berold. Wenn der Bart nicht wäre, fügte sie in Gedanken hinzu. „Wie ist dein Name?“, fragte der Mann mit kraftvoll tiefer Stimme. „Und was hat dich in das Sandmeer verschlagen?“ Aus der Stimme des Mannes war zu hören, dass er es gewohnt war Befehle zu erteilen und keine Widerrede zuließ. Fynn hatte nicht im Geringsten vor, ihn nicht zu gehorchen. Der Hüne hatte sie schon genug eingeschüchtert und dieser Mann tat sein übriges dazu. „M-mein Name ist Fynn“, sagte sie mit zittriger Stimme. Sie sah den Mann unsicher an, als sie überlegte, was sie ihn auf seine zweite Frage hin antworten sollte. Sie hatte Lorgren versprochen kein Sterbenswörtchen über den Sinn ihrer Reise zu verlieren. Sie hatte sich schließlich schon genug verplappert und wollte nicht, dass der Wüstenreiter wieder böse auf sie wurde. Der Gedanke war eigentlich absurd. So oder so würden diese Leute über den Zweck ihrer Reise erfahren, egal ob sie ihnen es verriet oder ein anderer. Dennoch wollte sie Lorgrens Vertrauen in sie untergraben. Daher schwieg sie. „Was willst du hier?“, fragte der Mann sie noch einmal, diesmal mit wesentlich mehr Schärfe in der Stimme. „Rede, elende Missgeburt“, hörte sie hinter sich die Stimme des Hünen. Er war also noch da, erkannte sie mit Schrecken. „Der Clanführer hat dich was gefragt!“ Sie schrie auf, als sie an der verletzten Schulter von etwas getroffen wurde. Der Schmerz fuhr ihr durch sämtliche Glieder und treib ihr die Tränen in die Augen. „Raga“, zischte der ältere Mann den anderen an. Der Hüne entfernte sich wieder, doch spürte Fynn nun um so deutlicher, das er noch da war. Sie hob den Blick und sah in die Augen des Clanführers. „Ich kann es nicht sagen“, sagte sie kleinlaut, befürchtet schon, dass sie erneut geschlagen wurde. Doch der Hieb blieb aus. „Wieso nicht?“, forderte ihr Gegenüber von ihr zu wissen. Die Schärfe war immer noch da, doch mischte sich Neugier in die Stimme des Mannes. „Ich habe es versprochen“, sagte sie etwas mutiger. „Und welchem Hundesohn hast du dies versprochen, Weib?“, fraget er sie. „Mir.“ Alle wanden sich um, sogar Fynn, die immer noch auf dem Boden kniete. Sie hatte sich also nicht verhört. Da stand er. „Lorgren“, stieß sie erstickt hervor, als sie den Wüstenreiter sah, der mit stolz erhobenem Haupt und in ein langes, weißes Gewand, im Eingang des Zeltes stand. Er kam auf sie zu und ohne darüber nach zu denken, wo sie war, sprang Fynn auf, rannte an dem verblüfften Hünen vorbei und umklammerte Lorgren. „Lorgen“, wimmerte sie und brach in Schluchzen aus. Aus Freude und Erleichterung ihn lebend wieder zu sehen. Sie spürte seine Hand auf ihrem Kopf, die sie leicht tätschelte, während sie ihr Gesicht gegen seine Brust presste. Ihr Anhänger verströmte wieder diese wohlige Wärme, die allein der Jerisane und ihr Onkel erzeugen konnten und sie fühlte sich gleich viel sicherer. Sie wusste, das Lorgren sie nun wieder beschützen würde. <<<:>>> Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)