Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 43: Gemeinsamer Abschied -------------------------------- Vorsichtig lugte Hitomi aus dem oberen Ausgang der Wendeltreppe in das dunkle Kuppelzimmer, dem höchsten in Raum in ganz Farnellia. Das Zimmer füllte die Halbkugel auf der Herrschervilla von innen aus, wobei eine breite, senkrechte Fensterfront in Richtung der Stadt die runde Form unterbrach. Von der Stadt war jedoch nichts zu sehen, da die Vorhänge zugezogen waren. Vor ihnen kauerte Merle auf dem kalten Steinboden. Einigeln traf ins Schwarze, fand Hitomi, angesichts der jungen Frau, die ihre kräftigen Beine fest an sich presste und ihren Kopf zwischen ihren Knien vergrub. Die Witwe lächelte traurig. Auch wenn diese stolze Kriegerin es nicht wahrhaben wollte, sie war halt doch noch ein kleines Mädchen, das in den Arm genommen werden wollte. Behutsam ging sie auf Merle zu. Vor ihr fiel der Königin das Tablett mit dem leeren Teller und der leeren Tasse auf. Das Mädchen war stärker als sie, so viel war sicher. Sie ließ sich langsam neben der niedergeschlagenen Prinzessin nieder, welche noch immer dasselbe Kleid zu trug, mit der sie ihren Bruder vor der Schlacht überrascht hatte. Es war völlig zerrissen. Gewaschen oder geputzt hatte Merle sich seitdem auch nicht mehr, doch Hitomi schaffte es ihre Reaktion darauf auf ein kurzes Zucken der Nase zu beschränken. Sanft stupste die Schulter der Königin an die Schulter ihrer Schwester im Geiste. Merle ließ sich davon nicht aus ihrem Bau locken, also schlang Hitomi einen Arm um sie und zog sie zu sich heran. Das Mädchen leistete keine Gegenwehr und so ruhte ihr Kopf auf dem Schoß ihrer Schwägerin. Eine Hand der Witwe spielten mit dem rosa Haar des Mädchens, während die andere über das Fell ihres Rücken strich und es kraulte. Sie legte all ihre Zuneigung in die Wagschale, als sie sich liebevoll erkundigte: „Wie geht’s meinem süßen Mäuslein?“ „Beschissen!“, krächzte Merle verlegen, die ihren Griff um Hitomis Knie verstärkte. „Er ist nicht hier!“ „Das stimmt leider.“, seufzte Hitomi und legte ihre Kopf zurück, so dass ihr Blick an dem Himmelsgewölbe haftete, das die Kuppel von innen auskleidete. „Aber er ist noch immer da.“ „Van ist tot!“, fuhr Merle sie an. „Wo zum Henker soll er denn sein?“ „In deinem Herzen.“, antwortet Hitomi sanft. „Und dort wird er sein, wann immer du ihn brauchst.“ „So‘ne gequirlte Scheiße!“, brach es aus dem Mädchen heraus. Ungeachtet ihrer Reaktion packte sie die Beine ihrer Vertrauten nur fester. „Er ist tot! Verstehst du, Hitomi? Tot!“ „Ich verstehe durchaus, Merle.“, versicherte sie ruhig. „Aber er lebt in all deinen Erinnerungen. In ihnen lacht er, weint er. Dort redet er mit dir, spielt mit dir und kämpft für dich. Und wenn du ihn so in deinem Herz bewahrst, wird er immer für dich da sein.“ Die Königin schloss ihre Augen und dachte an ihre Begegnung mit Van im See. Sie entsann sich an das Feuer, das in beiden gebrannt hatte. „Ein Mensch lebt solange, wie sich jemand an ihn erinnert.“, erklärte sie einfühlsam. „Deswegen streben Krieger so sehr nach Heldenruhm. Sie wollen, dass man sich bis in alle Ewigkeit an sie erinnert.“ „Das ist doch beknackt!“, beschwerte sich Merle. „Die meisten sterben einsam und verrotten dann in einem Massengrab.“ „Und sie lassen ihre Liebsten zurück.“, stimmte Hitomi zu. „Ihren Familien laden sie die Bürde auf, ohne sie klarzukommen und die Erinnerungen an sie lebendig zu halten. Aber manchmal haben sie keine Wahl. Van würde es mit Sicherheit vorziehen, jetzt bei uns zu sein statt dem Weg des Kriegers zu folgen.“ „Ist er wirklich tot?“, schniefte das Katzenmädchen. „Ja, leider. Ich wünschte, es wäre anders.“, bestätigte die Königin schweren Herzens. „Aber kannst du ihn nicht wiedererwecken?“, fragte Merle mit leiser Hoffnung. „Du hast ihn schon mal zurückgeholt! Verdammt, mit deinem Stein könntest du sogar die Zeit zurückdrehen und es verhindern!“ „Ja, ich könnte.“, antwortete die Königin bedächtig. „Aber das würde ein Opfer von mir verlangen, dass ich zu geben nicht bereit bin.“ Da stemmte sich Merle hoch und starrte Hitomi wütend an. „Was für ein Opfer soll das sein?“, brauste sie auf. „Wir reden hier von Van! Deinem Ehemann! Deinem König!“ „Mein Leben.“, antwortete die Witwe verzweifelt und flüsterte Merle ins Ohr: „Und damit auch das Leben seines Kindes.“ „Sein Kind?“wunderte sich Merle, dann wurden ihre Augen groß. „Du bist schwanger!“ „Ja, bin ich.“, bestätigte sie strahlend, während sie Merles Kopf herzte, der Stirn an Stirn an ihrem eigenen ruhte. „Deswegen brauche ich dich, kleine Schwester! Du wirst bald eine große Tante sein.“ „Van lebt also wirklich noch.“, freute sich Merle leise und berührte Hitomi Bauch. „In unseren Herzen, Merle!“, schallte Hitomi sanft. „Das Kind hat sein eigenes Leben.“ „Ich werde wahrscheinlich immer Van in ihm sehen, egal ob es ein Mädchen oder Junge wird.“, wandte Merle melancholisch ein. „Merle!“, mahnte die Königin, doch ihr Lächeln verriet sie. Das Mädchen schmunzelte für einen Augenblick, dann fragte sie scheu: „Kann ich ihn sehen?“ „Van?“, erkundigte sich Hitomi, woraufhin das Katzenmädchen nickte. „Aber natürlich!“ „Aber was ist, wenn…“, stotterte Merle und brach ab. „Solltest du die Kontrolle verlieren, halte ich dich auf.“, versprach Hitomi. „Aber bevor ich dich zu ihm bringe, musst du dich waschen und umziehen. So wie jetzt kannst du ihm nicht unter die Augen treten.“ „Als ob er mich jetzt noch riechen könnte.“, prustete Merle. „Da wäre ich mir nicht so sicher.“, konterte Hitomi spitz. „Du stinkst zum Himmel.“ Das Mädchen kicherte. Es war ein heller, reiner Klang, der das Herz der Königin ein Stück weit wieder füllte. „Na gut.“, erklärte Merle sich bereit. Sie fixierte mit ihrem Blick die Bodenplatte, unter der die Wanne im Kuppelzimmer verborgen war. „Aber nur wenn du mit reinkommst.“ „Ich soll in deinem Dreck baden?“, blaffte Hitomi künstlich. „Glaub mir, das ist angenehmer.“, meinte Merle und fügte neunmalklug hinzu: „Mich von außerhalb der Wanne zu waschen, wird mühselig, da du keine gute Möglichkeit hast dich zu setzen.“ „Ich soll dich waschen!?“wiederholte die Königin baff. Die Prinzessin erwiderte mit großen, runden Augen, wie nur Katzensäuglinge sie haben konnten: „Alleine kann ich kleines Mädchen das doch nicht.“ „Es wird eng werden.“, warnte Hitomi, als sie aufstand und Merle mit hochzog. „Als Kinder haben Van und ich oft zusammen gebadet.“, erzählte sie zaghaft. „Sieh es als eine Art Adoptionsritus.“ „Schwestern?“ „Schwestern!“ „Eine Hand wäscht die andere. Einverstanden?“, bot Hitomi an. Das Katzenmädchen lächelte dankbar. Die Königin zögerte einen letzten Moment, dann schob sie Merle behutsam den breiten Träger ihres Kleids von der Schulter. Darunter trug die junge Frau ein geschnürtes, schulterfreies Hemd und ein breites Höschen. Nachdem sie Merle auch die Unterwäsche ausgezogen hatte, streifte sie ihr Diplomatengewand ab und präsentierte Merle ihren Rücken. Diese knüpfte die Knoten auf und lockerte die Bänder, so dass Hitomi ebenfalls aus ihrem Kleid schlüpfen konnte. Die beiden wiederholten die Prozedur bei Hitomis Unterkleid. Schlussendlich standen beide sich völlig offen gegenüber. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Während Hitomi Lappen, Wolltücher und Seife aus den in der Wand verborgenen Schränken holte, entfernte Merle die Bodenplatten über der Wanne. Ein Tuch breitete Hitomi neben der Wanne aus, die anderen Utensilien platzierte sie strategisch auf dieses. Merle wollte schon den Hahn aufdrehen, da hielt Hitomi sie zurück. „Serena, bist du noch da?“, rief sie laut. Zunächst kam keine Antwort, doch dann streckte sich ein Kopf wie von Geisthand durch den Grund. Der zugehörige Körper folgte sogleich und so erschien Serena vor der Wendeltreppe. „Ich bin hier.“, erwiderte Allens Schwester mit fester Stimme. Erleichtert stellte sie fest, dass Merle sich buchstäblich aus ihrer verkrusteten Hülle befreit hatte. Oder wenigstens dabei war, es zu tun. „Kannst du uns bitte etwas zu essen und zu trinken holen.“, bat Hitomi mit dem gleichen Blick, den Merle zuvor bei ihr angewendet hatte. „Darf ich mit euch baden?“, schoss es aus Serena zurück. Die Königin und die Prinzessin sahen sich vielsagend an, dann lehnte Hitomi bedauernd ab: „Tut mir wirklich Leid, Serena, aber das hier ist ein Gespräch unter Schwestern. Merle wird sich morgen bei dir revanchieren. Versprochen!“ Merle sah Hitomi verdattert an, doch die erwiderte ihren Blick mit hochgezogenen Augenbrauen. „Ich bin sofort wieder da.“, sicherte Serena zu und verschwand. „Du machst ein Versprechen und ich muss es halten?“, beschwerte sich Merle leise. „Seit sie wach ist, hat sie sich rührend um dich gekümmert.“, wies Hitomi sie sacht zurecht. „Das mindeste, was sie verdient, ist ein Bad unter Schwestern.“ „Ach, du hast ja Recht, aber bei ihr weiß ich wirklich nicht, ob ich soweit bin.“ „Gilt dein mangelndes Vertrauen ihr oder Allen?“ „Beiden.“, entschied Merle nach einer langen Atempause, die Hitomi nutzte um dem heißen Wasser mit ein paar Handumdrehungen freie Bahn zur Wanne zu lassen. „Ich fühl mich bei beiden nicht so sicher.“ „Obwohl du dich von Allen im Arm hast tragen lassen und mit ihm das Bett geteilt hast?“, wandte sie ein. „Du hast recht.“, realisierte das Katzenmädchen erstaunt. „Das war ziemlich dumm.“ „Und so romantisch!“, ergänzte Hitomi schwärmend. „Komisch. Hat sich gar nicht so angefühlt.“, sagte Merle nachdenklich. „Es war eher normal.“ Die Königin bot ihrer Schwester ihre Hand an, woraufhin beide in die Wanne stiegen und sich von dem langsam steigenden Nass fangen ließen. Merle lag mit dem Rücken zu Hitomi und ergab sich ihrer Umarmung. Beide genossen die behagliche Wärme, die von der anderen ausging und selbst durch die Hitze des Wassers zu spüren war. „Wie fühlst du dich?“, erkundigte sich Hitomi sanft. „Normal.“, antworte Merle entspannt. „Aber auch Spur weit magisch, oder?“ „Ja.“ Was folgte war ein inniges Gespräch unter vier Augen und eine Reihe von Gesten tiefster Verbundenheit. Während die beiden Schwestern sich gegenseitig vom Staub der Welt befreiten, tauschten sie ihren tiefsten Gedanken aus. Diese dichte Atmosphäre der Zweisamkeit wurde nur kurz durch Serena unterbrochen, die Hitomis Bitte nachgekommen war, sich aber rasch wieder zurückzog. Schließlich saßen sich die beiden Frauen im lauwarmen Wasser gegenüber, während sie sich peinliche Geschichten aus ihren Kindertagen erzählten. Plötzlich wurde Merle jedoch still und begutachtete mit traurigen Lächeln Hitomis Bauch. „Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben.“, beichtete Merle bedrückt. „Van ist fort und ich hatte nichts mehr, das mich am Leben hielt.“ „Männer sind nicht alles im Leben, Merle.“ „So? Bis auf ihn hab ich nichts. Nun, ich hatte nichts, bis du mit deiner frohen Kunde kamst. Van hat uns etwas hinterlassen!“ Hitomi seufzte. Diesem Mädchen musste noch immer geholfen werden. Erst recht, da ihr schon fast die Tränen in den Augen standen. Begleitet von plätschernden Wasser raffte sich die Königin auf und forderte ihr Schwester auf: „Komm Merle! Lass uns nach Van sehen!“ Die beiden trockneten sich gegenseitig ab und halfen sich beim anziehen, wobei sie wieder die verborgenen Schränke plünderten. In zwei schlichten Kleidern schritten sie durch die leeren Flure der Villa zur Übungshalle. Als sie endlich vor deren Eingang standen, blockierte ein mächtiger Klos Merles Hals, der sie am Eintreten hinderte, doch Hitomi griff nach ihren Schultern und führte sie langsam herein. Vans Leiche lag zwar auf einem einfachen Feldbett in der schmucklosen, holzbraunen Halle, war jedoch reich gewandet und mit einem kunstvoll verzierten Lacken zugedeckt. Der hohe Kragen seiner Kleidung verbarg das dicke Garn, das seinen Kopf mit dem Köper verband. Sein Haar war gepflegt und gekämmt. So wie er da lag, hätte er genauso gut schlafen können. Merle brach endgültig zusammen. Ihre Trauer fegte wie ein Wintersturm durch sie hindurch, der alles in ihr zu gefrieren drohte. Für einen Augenblick wünschte sie sich, Trias Falle würde ein weiteres Mal zuschnappen und ihr das Bewusstsein abnehmen, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen sackte sie über Vans leblosen Körper zusammen und weinte. Hitomis warme Präsenz blieb an ihrer Seite und so flossen ihre Tränen ohne Unterlass. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)