Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 42: Rückkehr der Königin -------------------------------- Bedächtig schritt Hitomi die Rampe des Luftschiffs aus Fraid hinab. Vor ihr erstreckte sich unter der Mittagssonne ein Meer aus Menschen, das sich vor der Stadtmauer Farnellias aus weiteren, klobigen Transportern ergoss. Die Schiffe ragten wie Felsen aus der Menge heraus und bildeten einen Korridor im Tal, durch den Bürger mit dem Nötigsten im Gepäck in Richtung Stadttor strömten. Die zuvor evakuierte Bevölkerung kehrte in ihre Häuser zurück und hauchte der Stadt neues Leben ein. Hitomi wünschte sich, sie könnte dieses Kunststück auch. Sie seufzte wehmütig, drückte ihr Kreuz durch und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Mitglieder der königlichen Leibwache, die sie im Gras kniend empfingen. Über jeden von ihnen konnte die junge Witwe förmlich eine kleine Regenwolke ausmachen. Ihr Blick fand den verurteilten Dieb, der seinen Dienst nur widerwillig in der Einheit verrichtete. Über fast jeden, verbesserte sie sich. Gesgan, der alte, aber stattliche Krieger, führte diese Prozession aus gebrochenen Gestalten an. Sonst hielt er sich immer aufrecht, nun jedoch hingen seine mächtigen Schultern schlaff herab. Als Hitomi vor der Truppe stehen blieb, fing er an zu sprechen: „Es tut uns Leid, euer Majestät. Wir haben versagt.“ „Steht auf und seht mich an!“, verlangte Hitomi laut, doch die Truppe kam ihren Befehl nur zögerlich nach. „Na los! Hoch mit euch!“ Nachdem sie sich endlich aufgerappelt hatten, griff Hitomi nach Gesgans breitem Kinn und zwang ihn ihr in die Augen zu sehen. „Ob ihr versagt habt oder nicht, bestimme ich, Kommandant!“, stellte die Königin eiskalt klar. „Und ich entscheide, welche Strafe euch zu Teil wird, sollte es so sein. Kommt morgen zwei Stunden vor Mittag in meine Gemächer.“ „Jawohl!“ Hitomi ließ ihren Blick ein weiteres Mal über die Anwesenden schweifen. Merle war nicht dabei. Da sich die Prinzessin in den letzten Tagen der Versuche ihrer Königin Kontakt aufzunehmen verwehrt hatte, war sie nicht überrascht. „Wo ist ihre Hoheit, Prinzessin Merle?“, fragte sie herrisch. „Ich sehe sie nicht.“ Und spüre sie nicht, fügte sie in Gedanken hinzu. „Sie hat sich ins Kuppelzimmer zurückgezogen und weigert sich herauszukommen.“, antwortete Gesgan besorgt und fügte hinzu: „Sie isst kaum und sagt kein Wort. Jeden, der ihr zu nahe kommt, jagt sie weg.“ „Dummes Mädchen!“, sagte Hitomi mehr zu sich selbst und lächelte liebevoll. „Sie kommt ohne ihren großen Bruder nicht zurecht.“ „Majestät!“, schallte Gesgan sie entrüstet, doch sein Unmut wurde von einer weiteren Anrede Hitomis abgewürgt. Die Königin wandte sich dem Offizier aus Astoria zu, der von linken Seite aus an ihr herangetreten war. „Kennen wir uns?“, erkundigte sich die Herrscherin streng. „Ich glaube nicht, dass wir einander vorgestellt wurden.“ Der Soldat sah Gesgan mit erhobener Braue an und der erbarmte sich seiner. „Majestät, ich habe die Ehre euch Niko Sander vorzustellen, kommandierender Offizier der Festung Orio und Leiter der Einsatzkräfte, die das Heer der Gezeichneten vor Stadt vernichtet haben und zur Zeit die Stadt sichern.“ „Euch habe ich also zu danken, dass Farnellia nicht gefallen ist.“, schlussfolgerte Hitomi anerkennend. „Aber dürft ihr überhaupt hier sein? König Aston hat uns seine Unterstützung verwehrt.“ „Wir sind auf Anweisung seiner Majestät hier.“, erklärte Sander, dem auffiel, dass sie ihm nicht wirklich gedankt hatte. „Er versichert euch seine Anteilnahme und die des ganzen Landes Astorias angesichts eures schmerzhaften Verlustes. Zudem bittet er um die Gelegenheit euch dies persönlich mitzuteilen.“ „Er ist herzlich eingeladen, an der Trauerfeier zu Ehren meines Mannes teilzunehmen.“, sagte die Königin zu. „Wann genau sie stattfinden wird, kann ich noch nicht sagen.“ „Seine Majestät würde sich gern so schnell wie möglich mit euch treffen.“ „Die Zeremonie wird sehr bald vollzogen werden.“ „Ihr versteht nicht, Majestät.“, erklärte der Soldat ungeduldig. Hitomis Blick gewann an Schärfe. „Er wartet in der Festung Orio auf eure Rückkehr. Er kann innerhalb weniger Stunden hier sein.“ Die Witwe ballte ihre Fäuste vor Wut, verkniff sich jedoch eine hitzige Antwort. Stattdessen resignierte sie: „Der heutige Tag gehört meiner Familie. Der Rest meiner Tage gilt Vans Erbe. Da seine Majestät überraschend eingegriffen hat, um Farnellia zu beschützen, werde ich ihn morgen bei Sonnenuntergang vor der Villa empfangen und bewirten. Alles Weitere wird sich finden.“ „Ich werde es seiner Majestät ausrichten.“, versprach Sander und verbeugte sich. Hitomi nahm diese Geste als Gelegenheit war das Gespräch zu beenden und ging die letzten paar Schritte bis zu der Kutsche, die neben der Leibgarde für sie bereit stand. Als Gesgan ihr gerade in das Gefährt half, stutze sie und nahm Sander ins Visier. „Ich kenne euren Namen.“, sagte sie mit harter Stimme. „Meine Schwägerin sprach von euch.“ „Eure Schwägerin?“, wunderte sich Sander und stieß dann ein beschämtes „Oh!“ aus, als ihm dämmerte, wen sie meinte. „Ihr solltet König Aston meine Nachricht persönlich überbringen und euch dann wieder euren eigentlichen Pflichten widmen.“, riet Hitomi ihm streng. „Sollte Merle euch hier in Farnellia zu Gesicht bekommen, kann ich nicht für eure Sicherheit garantieren.“ Dann setzte sie sich, woraufhin Gesgan auf den Bock kletterte und die Zügel in die Hand nahm. Daraufhin fuhr die Kutsche los. „Was hat er getan?“, erkundigte sich Gesgan ungewöhnlich direkt. „Er hat Merle gedemütigt.“, antwortete die Königin kurz angebunden. Sie entschied den Teil mit der versuchten Vergewaltigung durch einen von Sanders Untergebenden lieber zuverschweigen, doch ihr Gesprächspartner wusste davon. „Kam das Video, durch das Merle bekannt wurde, nicht aus seiner Festung? Ich könnte ihm unauffällig einen Unfall auf einer Treppe zukommen lassen.“, schlug der Krieger eifrig vor. „Nein!“, verbot sie es ihm entschieden. „Er soll einfach nur gehen.“ Langsam quetschte das Gefährt sich zwischen den Heimkehrern durch. Die Leute machten den Pferden nur unwillig Platz. Es dauerte eine Weile, doch kurz bevor sie das Tor passierte, erkannte einer der Anwesenden die Passagierin und rief laut ihren Titel. Daraufhin kamen andere Stimmen hinzu und die Masse um die Kutsche herum verdichtete sich so sehr, das ein Fortkommen unmöglich wurde. Hitomi seufzte und erhob sich behäbig in ihrem ausladenden Diplomatengewand. Im Stillen ermahnte sie sich selbst, dann streckte sie ihren Rücken zu voller Größe. „Bürger Farnellias!“, rief sie die Menge aus teils verzweifelten, teils ungläubigen Gesichtern an, aus deren Mündern unzählige Fragen quirlten, auf die es aber nur eine Antwort gab. „Ja, es stimmt. König Van ist im Kampf gefallen.“ Die Menge durchzog ein Raunen, begleitet von vereinzelten Aufschreien. „Ich stehe in tiefer Trauer um meinen teuren Gatten vor euch und teile euren Schmerz. Sein Verlust wird Farnellia verändern. Vor uns alle liegt ein langer Weg, steinig und steil.“ In das folgende Versprechen legte Hitomi all ihre Zuversicht und Sicherheit, die ihre Vorhersagen so glaubhaft werden ließen. „Doch verzagt nicht! Eines Tages wird ein gleißendes Licht der Hoffnung über euren Häusern scheinen. Dann wird sich der Drache Farnellias wieder erheben.“ Sie ließ die Aussage für einen Moment sacken, ehe sie fortfuhr: „Bis dahin werden wir durchhalten. Die Stadt ist in den letzten Jahren einmal zerstört worden. Ihr habt sie wieder aufgebaut. Dieses Mal konnte die Vernichtung eurer Häuser und eurer Leben abgewendet werden, aber nur dank Hilfe von außen und diese hat ihren Preis.“ Wieder legte sie eine dramatische Pause ein: „Ich werde ihn bezahlen!“ Sie ließ einen weiteren Augenblick verstreichen. Dann appellierte sie an die Zuhörer: „Bitte kehrt in eure Häuser zurück und nehmt euer Leben in der Stadt wieder auf. Nicht nur das Wohlergehen eurer Familie hängt von eurem Einsatz ab. Wir mögen unseren König verloren haben, aber wir sind am Leben! Und wir schulden es König Van, mit all unseren Einsatz jeden Tag das Beste daraus zu machen.“ Die Witwe setzte sich demonstrativ und reagierte nur noch auf Fragen der unmittelbaren Umgebung. Mehr als vage Versprechen konnte sie jedoch nicht geben. Erst als die Leibwache hinzu kam und die Leute mit ihren Speerschaften aus dem Weg trieb, kam die Kutsche weiter voran. Nach einer kleinen Ewigkeit, in der sie bis kurz vor die Villa gekommen waren, kommentierte Gesgan Hitomis Rede: „Majestät, ihr wisst, dass nur ein Erbe mit dem Blut der Könige Escaflowne benutzen kann?“ „Ich weiß.“, antwortete die Königin listig. Gesgan wandte sich ihr verwundert zu, doch ihre Augen rieten ihm, das Thema fallen zu lassen. „Ihr werdet schon wissen, was ihr tut.“, sagte er, doch seine Aussage klang mehr nach einem Gebet als nach einer Feststellung. Er zügelte die Pferde vor dem Haupteingang der Villa und kletterte gemächlich den Bock runter. „Habt Vertrauen!“, forderte Hitomi standhaft, während sie gestützt durch seine Hand die Kutsche verließ. „Wenn ihr mir nicht vertrauen könnt, dann vertraut wenigstens Merle!“ „Sehr wohl, eure Majestät.“, versicherte Gesgan förmlich. „Es wird das beste sein, ich bringe euch zu ihrer Hoheit.“ „Bitte.“, bestätigte die Königin seine Absichten. Ihr fiel auf, dass niemand auf sie wartete, um sie empfangen. Selbst im Hofstadt herrschte also Chaos. Ein Chaos, das sie bis morgen Abend beseitigt haben musste. Sonst würde sie selbst den Kochlöffel für Aston schwingen müssen, was ohne Frage ein diplomatisches Disaster zur Folge haben würde. Die Königin ließ sich durch das menschenleere Foyer bis zu ihren Gemächern führen. „Sie ist hier?“, fragte sie überrascht. „Niemand konnte oder wollte mir erklären, warum sie überhaupt auf dem Schiff eingesperrt war, also ließ ich sie nach der Schlacht frei. Sie war in einem verwahrlosten Zustand. Ich brachte sie wie euch zur Villa, doch anstatt sich in ihren Räumlichkeiten umzuziehen, ging sie ins Kuppelzimmer und ist seitdem nicht mehr herausgekommen.“ „Danke, Kommandant, für alles!“, äußerte sich anerkennend. „Wo ist mein Mann?“ Gesgan antwortete zögerlich: „Sein Leichnam wurde nach der Präparation auf ein Feldbett in der Übungshalle gelegt.“ „Ist das üblich?“, erkundigte sich die Königin. „Nein, normalerweise hätte sein Körper in seinem Bett oben im Kuppelzimmer gelegen, bis er öffentlich verbrannt wird, aber das hat Merle schon besetzt. Wir hätten zwar ein Gästebett nehmen können, aber in der Übungshalle hat sich seine Majestät am liebsten aufgehalten.“ „Das stimmt.“, bestätigte sie. „ich habe noch eine Bitte, Kommandant.“ „Ich höre.“ „Findet bitte wenigstens ein paar der Bediensteten und schickt sie hierher! Sie müssen für morgen Abend ein angemessenes Mahl für bis zu zehn Personen zaubern und bis dahin unser bestes Gästezimmer herrichten.“ „Nur eines?“, hakte Gesgan nach. „So viele, wie sie schaffen.“, justierte Hitomi nach. „Ich werde mich auch persönlich bei ihnen bedanken.“ „Ich kümmere mich darum.“, bestätigte der alte Offizier und eilte davon. Hitomi indes atmete tief durch und öffnete die Tür zu den königlichen Gemächern. Sie betrat Vans Arbeitszimmer, das einen Ausblick auf die Dächer der Stadt ermöglichte, der nur noch vom Kuppelzimmer übertroffen wurde. Erstaunt stellte sie fest, dass sein Schreibtisch besetzt war. Allens kleine Schwester Serena saß in seinem Stuhl, den Blick auf die Stadt gerichtet. Als de Königin sie ansprach, sprang sie auf. „Hitomi!“, rief sie verlegen aus. Das Bedienstetenkleid stand ihr. Sie rang jedoch sichtlich mit sich selbst, als wüsste sie mit der Situation nichts anzufangen. Nein, sie weiß mit mir nichts anzufangen, begriff Hitomi, die sich sehr wohl bewusst war, wie sehr Dilando sie gehasst und wie sehr Serena sie seit ihrem Besuch in Pallas ins Herz geschlossen hatte. Jetzt, da die beiden eins waren, mussten sie auch in ihrem Fall zu einer Entscheidung kommen. Da die junge Frau vor ihr sich nicht rührte, lautete der Kompromiss wohl, gar nichts zu tun. Die Königin wusste es jedoch zu schätzen, dass jemand sie endlich wieder mit ihrem Namen angesprochen hatte. „Ist Merle oben?“, fragte sie, um die Stille zu brechen. „Ja, sie igelt sich ein.“, berichtete Serena zaudernd. „Ich bringe ihr regelmäßig Essen und Trinken. Ich versuche auch mit ihr zu reden, aber sie schickt mich jedes Mal wieder weg.“ „Darf ich es versuchen?“, bat Hitomi sanft. Wieder zögerte Serena und geriet in einen Zwiespalt. Schließlich nickte sie und flehte:„Bitte! Tut euer Bestes! Ich bin nicht zu ihr durchgekommen. Ich glaube nicht einmal Allen könnte es. Aber wenn ihr es schafft, bin ich…ich meine...“ „Wenn ich es schaffe, fangen wir beide auch noch einmal von vorne an.“, verkündete die Königin freundlich. „Einverstanden?“ „Ja.“, bestätigte Serena erleichtert. „Wenn ihr es schafft, wäre ich…Ihr würdet meinem Bruder einen riesen Gefallen tun und damit auch mir.“ Hitomi krauste verwirrt die Stirn. Serena schien von ihrem Bruder so abhängig zu sein, wie Merle von Van. Wie wurden die Mädchen hierzulande nur erzogen? Mit dieser Frage würde sie sich definitiv noch beschäftigen müssen, aber die Herrscherin legte sie unter wichtig und nicht dringend ab. Vorerst wandte sie sich der schmalen Wendeltreppe zu, die in das Kuppelzimmer führte. Es galt etwas zu erledigen, das wichtig und dringend war! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)