Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 29: Treue und Pflicht ----------------------------- Als Hitomi in Begleitung zweier Dienerinnen von ihren Besuch bei Cid zu ihren eigenen Gästezimmern zurückkehrte, saßen sich Van und ein Mann im langen Gewand im Wohnzimmer gegenüber. Das braune, wellige Haar und die Nickelbrille kamen ihr bekannt vor, doch der Händler musste erst aufstehen und sich ihr zuwenden, ehe sie ihn erkannte. „Dryden!“, begrüßte sie ihn überrascht. „Schön dich zu sehen!“ „Die Freude ist ganz auf meiner Seite, euer Majestät.“, antwortete er im lockeren Tonfall und führte einen Handkuss aus. Van winkte seine Frau zu sich und sie setzten sich Seite an Seite. „Dryden und ich haben gerade über die Evakuierung Farnelias gesprochen.“, fasste er das bisherige Gespräch zusammen. „König Aston hat mich und meine Partner mit dem Transport und der Unterbringung der Bewohner in einer Zeltstadt betraut.“, informierte Dryden sie und prahlte: „Die Männer, Materialien und Schiffe stehen schon bereit. Wir könnten sofort loslegen.“ „Das ging ja schnell!“, kommentierte die Königin spitzbübisch. „Ich weiß, eine Zeltstadt ist kein Luxushotel, aber ich gehe davon aus, dass für sauberes Wasser, Decken, warmes Essen und Medizin gesorgt wird.“ „Ja, Majestät!“, versicherte der Händler. „Niemand wird dort wegen den Lebensbedingungen sterben. Es könnte allerdings schwierig werden, die Bevölkerung vom Gehen zu überzeugen. Wie ich gehört habe, kommt die Königin nicht mit ihnen.“ „Jeder Bürger, der zurück bleibt, ist ein Risiko. Ein Gezeichneter würde reichen, um aus ihnen eine Sklaventruppe zu formen, die uns in den Rücken fällt.“, merkte Van an. „Sobald sie das begreifen, werden sie freiwillig fliehen. Sein Besitz zu verlieren, ist schlimm, aber im Zwang Leute zu töten, die man kennt, ist schlimmer. Sie werden auf mich hören.“ „Dryden!“, unterbrach Hitomi die Diskussion ungewöhnlich ernst. Plötzlich hüllte eine Kugel aus Rauschen die drei Gesprächspartner ein, so dass niemand sie abhören konnte. „Wo ist Milerna? Ich hab sie noch kein einziges Mal gesehen.“ „Ich weiß es nicht.“, äußerte sich Dryden ratlos. „Meine Leute sind an ihr dran, sie haben sie aber noch nicht gefunden.“ „Ist sie entführt worden?“, sorgte sie sich. „Ihr eigenen Vater hat sie an einen Ort gebracht, den keiner kennt.“, offenbarte er schief lächelnd. „Ich weiß nicht, ob man das Entführen nennen kann?“ „Warum?“, hakte Van nach. „Damit sie euch nicht erzählt, was ich euch jetzt sage!“, erwiderte Dryden geheimnisvoll. „Farnelia ist ein Falle! Aston möchte, dass du bei der Invasion der Gezeichneten stirbst,“ Dann wandte er sich an Hitomi. „damit er dich heiraten kann.“ „Wie bitte?“, grollte Vans frisch vermählte Ehefrau. „Glaubt er, er kommt damit durch?“, zweifelte der. „Unser allseits geliebter Anführer der Gezeichneten und Berater des Königs Astorias, Baron Trias, hat ihn diesen Wahnsinn schmackhaft gemacht.“, erklärte der Händler mit viel Galgenhumor. „Ich habe ihn gewarnt, aber er denkt trotzdem, dass er die Gezeichneten vor Astorias Grenzen aufhalten kann.“ „Warum erzählst du uns das?“, erkundigte sich Hitomi nach einem Gedankenblitz. „Glaubst du, Milerna ist...“ „Er wird sie nicht töten.“, sagte Dryden und versuchte dabei sicher zu klingen. „Er wird sie höchstens solange verstecken, bis er oder ich ins Gras gebissen hat. Natürlich könnte er dafür sorgen, dass ich es früher tue als er.“, scherzte er zuletzt. „Aston hat mich außerdem beauftragt euch eine Waffe zu geben, die euch Hoffnung auf einen Sieg schöpfen lassen sollte. Ich an eurer Stelle würde sie allerdings nicht einsetzten.“ „Was für eine Waffe?“ fragte Van interessiert. „Ein Pulver, dass bei Kontakt mit Feuer explodiert. Er hat uns die Formel dafür zusammen mit Plänen einer Abschussvorrichtung gegeben. Diese Waffe kann von einem Mann geschultert werden und nutzt die sich schlagartig ausbreitende Luft der Explosion, um eine Bleikugel zu beschleunigen. Die Kugeln sind etwa halb so groß wie ein Faust.“ „Schießpulver.“, schlussfolgerte Hitomi. „Du weißt, was das ist.“, stellte Dryden überrascht fest. „Man kennt es auf meiner Welt schon fast seit einem Jahrtausend.“, erwiderte sie düster. „Es war lange ein beliebtes Mittel im Krieg und im Bergbau. Unzählige Menschenleben hat dieses Zeug gekostet.“ „So effektiv?“, hakte Van nach. „Du hast keine Ahnung!“ „Deswegen rate ich euch davon ab.“, erklärte der Gelehrte. „Es hat bei der Produktion Unfälle gegeben. Keine Toten, dafür aber Verbrennungen und Verstümmelungen. Ich würde es keinen Unwissenden in die Hand geben.“ „Und wir haben nicht mehr genug Zeit, die Krieger daran auszubilden.“, verstand Van. Dann aber lehnte er sich zurück und lächelte. „Ganz so hoffnungslos ist es aber nicht. Astons Plan hat einen Haken: Farnelia muss fallen und das wird es nicht. Ich habe aus Chuzario Rüstungen aus Leder und Stoff bekommen, die wir 'testen' sollen. Zweihundert. So viele, wie wir brauchen. Sie schützten fast den gesamten Körper vor den Zähnen und Nägeln der Sklaven. Die werden niemanden meiner Männer anstecken. Wir werden das Heer von den Mauern aus mit Pfeil und Bogen bekämpfen. Solange sie außerhalb der Tore sind, nützt ihnen ihre zahlenmäßige Überlegenheit nichts. Und sollten Gezeichnete auftauchen, kümmern ich und meine Leibwache sich um sie. Merle gibt uns aus der Luft mit ihrem Guymelef Deckung.“ „So viel weiß mit Sicherheit auch Trias. Er wird bestimmt...“, merkte Dryden an, doch Van unterbrach ihn mit einem Räuspern. Hitomi war diese Dynamik natürlich nicht entgangen. Sie lehnte sich an ihren Mann und verkündete: „Ich vertraue dir. Du wirst Farnelia retten.“ Dann neckte sie ihn: „Dieses Mal schaffst du es!“ „Vielen Dank!“, prustete Van und streichelte zärtlich den Kopf. „Es gäbe noch eine Möglichkeit.“, überlegte der Händler laut. „Ihr könntet die Schlucht mit Hilfe des Pulvers über den Köpfen der Sklaven zum Einsturz bringen.“ „Hast du nicht gesagt, wir sollten das Pulver nicht einsetzen?“ „Meine Männer haben es im Griff. Sie könnten die Sprengung durchführen.“ Hitomi wusste, dass sie bei der Schlachtvorbereitung nichts zu entscheiden hatte, also warteten sie und Dryden geduldig, bis ihr Ehemann zu einer Entscheidung kam. „Nein.“, sagte er schließlich. „Astoria wird uns nicht helfen. Jetzt nicht und auch in Zukunft nicht. Wir müssen mit Gefahr aus Chuzario leben. Das Heer besteht nur aus einem Bruchteil der ehemaligen Bevölkerung. Wenn wir jedes Mal mit so drastischen Mitteln reagieren, werden die uns eher früher als später ausgehen.“ „Es wird keine weitere Versuche geben, wenn sie schon beim ersten Mal nicht scheitern.“, warnte Dryden. „Sie werden scheitern!“, behauptete Hitomi steif. „Sonst könnte ich unmöglich nach Fraid gehen.“ „Wir können uns diese Idee für den Notfall aufheben.“, schlug Van versöhnlich vor. „Aber deine Leute müssen diese Sprengung so vorbereiten, dass man sie wieder abbauen kann. Und ich kann ihnen während der Schlacht keinen Schutz gewähren. Merle könnte höchstens in den Rasenden Falken umsteigen, und deine Männer einsammeln, wenn Gefahr im Verzug ist.“ „Wir werden sofort mit dem Legen der Sprengladungen beginnen und die Zündkabel gut verstecken. Dann bemerken die Gezeichneten vielleicht nichts davon. Und meine Leute sind dann auch nicht in Gefahr. Merle müsste sie nur während der Schlacht mal raus bringen um Reparaturen durchzuführen, sollte es nötig werden.“ „Das wird kein Problem sein.“, meinte Van zufrieden. „Sie ist schon mit vielen dieser Ungeheuer fertig geworden. Sie kann notfalls allein für den Schutz einer ganzen Mannschaft sorgen.“ „Da wäre noch etwas.“, offenbarte Dryden. Er griff in eine Innentasche seines Gewandes und richtete seinen Blick auf Hitomi. „Ein Mädchen und ihr Freund haben vor kurzem bei mir angeklopft und mich gebeten, dir etwas auszurichten: Hilfe!“ „Wer hat das gesagt?“ Zur Antwort schob Dryden ihr ein kleine, schmale, zweischneidige Klinge mit einem dünnen Metallgriff hin. „Das ist eins von Merles Wurfmesser.“, erkannte Hitomi. „Wo hast du das her?“ „Das Mädchen hat es mir gegeben.“ „Siri!“, schlussfolgerte Van Zähne knirschend. „Erinnerst du dich nicht mehr? Merle hat uns erzählt, dass sie eines ihrer Messer auf der jagt nach ihr verloren hat.“ „Aber das heißt...Wie geht es meinen Bruder?“, platzte ihre Aufregung aus der Königin heraus. „Es scheint ihm gut zu gehen, bis auf...du weißt schon.“, versuchte Dryden zu erklären. „Allerdings hat er nichts gesagt.“ „Bring mich zu ihm!“, verlangte sie. „Ich fürchte, keiner von euch beiden könnte den Palast verlassen ohne aufzufallen.“, lehnte er bedacht ab. „Wer weiß, wer euch alles folgen würde.“ „Er ist in der selben Stadt wie ich und ich kann ihn nicht sehen!“, beschwerte sich die Königin verzweifelt. „Das ist doch krank!“ „Und doch ist es Realität.“, erwiderte Dryden unbarmherzig. „Du musst dich damit abfinden...erst einmal.“ Hitomi sank zurück auf das Sofa und hielt mit einer Hand ihre aufkeimenden Tränen zurück. Van umarmte sie innig und flüsterte ihr leise ins Ohr, wie gut er sie verstehen konnte. Es dauerte ein Weile, dann hatte sie sich soweit beruhigt, dass er von ihr abließ und Dryden fragte: „Heißt das, Siri hat sich von Trias abgewandt?“ „Leider nein.“, antwortete der Händler schlicht. „Aber ihre Treue gegenüber dem Ungeborenen in ihrem Leib wiegt wohl schwerer.“ „Sie ist schwanger?“, wunderte sich Hitomi. „Von deinem Bruder!“ „Von Ryu...aber...Dann werde ich ja Tante!“ „Was hat Siri vor?“, erkundigte sich Van, dessen Freude sich in Grenzen hielt. „Ich weiß es nicht. Aber sie ließ es so klingen, als wolle sie das Kind unbedingt austragen und dann zu Trias zurückkehren, wahrscheinlich ohne den Säugling.“, erklärte Dryden. „Ihr Meister scheint gegen die Geburt zu sein.“ An Hitomi gewandt, fragte er: „Was wirst du tun? Sie hat ausdrücklich dich um Hilfe gebeten.“ „Meine Pflicht!“, antwortete sie entschlossen und nahm dann das Messer zur Hand. Sie hielt es am Griff vor sich, in beiden Händen, ein paar Minuten lang. Dryden wollte schon fragen, was sie da tat, aber Van schüttelte mit den Kopf. Schließlich öffnete sie ihre Augen. „Gegenstände können Erinnerungen enthalten. Wusstet ihr das, Dryden? So wie der beschriftete Steinblock im Tal der Wunder. Allerdings kann sie nur jemand sehen, für den sie auch bestimmt sind. Gib das Messer Ryu, statte die beiden mit allem Nötigen für eine lange Reise aus und schaff sie aus der Stadt. Er wird Siri an einen Ort führen, an dem ein Freund von mir wartet. Ein großer Freund! Er wird sich der beiden annehmen. Als Lohn für seine Mühe sollen sie ihm Gesellschaft leisten. Sobald das Kind auf der Welt ist, soll sie es Ryu geben, ihn freilassen und zu mir nach Farnelia schicken. Sie ist Sanitäterin und kann ihm alles beibringen, was er wissen muss um das Kind so lange zu versorgen.“ „Ihn freilassen?“, hakte Dryden nach. „Glaubst du das ist so einfach?“ „Ich weiß es!“, bestand Hitomi und fügte hinzu. „Nenne es den Instinkt einer Schwester!“ „Ich werde es ihr ausrichten.“, versicherte Dryden. „Noch etwas! Sag ihr, ich gratuliere ihr und wünsche ihr alles Gute. Ich bewundere die Stärke, die sie für ihr eigenes Kind aufbringt. Aber ich wünsche mir, dass sie diese Kraft auch für sich selbst nutzt. Ich weiß, Trias fügt ihr immer wieder schreckliche Schmerzen zu, solange sie ihm nicht gehorcht. Aber selbst eine Entscheidung unter Zwang ist eine Entscheidung, mit der sie leben muss. Wenn sie zu mir kommt, kann ich ihr helfen. Ich werde alles und jeden im Himmel und auf Erden in Bewegung setzten, sollte es nötig sein. Sollte Ryu ohne sie eintreffen, ist es nicht mehr ihr Kind, und für alles, was sie in Trias Namen tut, ist sie selbst verantwortlich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)