Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 20: Gemeinsam einsam sein --------------------------------- Sofort nachdem das Königspaar an Bord der Katzenpranke gekommen war, setzte sich Van an dem einzigen Tisch der eigenen, luxuriösen Kabine und schlug das Dossier auf, das er von Merle erhalten hatte. Hitomi, die abgeschlagen ein paar Sekunden nach ihm eintrat, stand erst einmal ratlos herum. Ihr Mann sprach weder mit ihr, noch beachtete er sie, als wären beide ganz allein im Zimmer. Leise schloss sie die Tür hinter sich und ging zu ihm. „Van?“ Da er ihr nicht antwortete, lugte sie neugierig über seine Schulter. Vor sich sah sie eine Liste der Farnelia zur Verfügung stehenden Truppen. Alles in allen kaum zweihundert Männer mit eigener, meist leichter Bewaffnung und Rüstung, die meisten so jung und unerfahren, dass sie noch in ihre Kinderschuhe passten. Die erfahrenen Krieger waren beim Zaibacher Überfall auf die Stadt gefallen. Hitomis Herz sank angesichts der Aufstellung bis in die Zehenspitzen. Wie sollte ein solches Heer gegen ein zehn mal so großes bestehen? Einen Moment später wurde ihr klar, dass dieses Gefühl vor allem von Van ausging. Ihre Schultern sanken herab. Er redete zwar nicht mit ihr, dennoch konnte sie spüren, was er fühlte und seine Gedanken lesen. Er verlor die Hoffnung auf ein Morgen. Sie nahm sich vor auf gleichem Wege zu versuchen ihm Mut zu machen. Sie legte ihre Hände auf seine Schultern und beschwor Zuversicht herauf. „Geh bitte!“, sagte er völlig unvermittelt und kaum hörbar. Hitomi war völlig überrumpelt. „Ich will dir doch helfen!“, hielt sie dagegen. „Du störst.“, warf Van ihr vor. Tief getroffen wirbelte sie herum und stürmte aus der Kabine. Liebend gern hätte sie die Tür zugeschlagen, doch diese schwang nur behäbig und quietschte noch nicht einmal. Dann trampelte sie hastig durch das das ganze Schiff ohne ein Ziel zu haben. Wenn jemand sie ansprach, ignorierte sie ihn. Wenn jemand im Weg stand, schob sie ihn beiseite. Sie lief solange weiter durch die engen, stählernen Gänge, bis die geschlossene Schleuse sie aufhielt. Wie ein gefangenes Raubtier ging vor der massiven Tür auf und ab. Immer neue Flüche kamen ihr in den Sinn, während das Geschehene sich in ihrem Kopf unzählige Male wiederholte. Nur am Rand bekam sie mit, wie sich mit der Zeit mehrere Stimmen um sie scharrten, bis Vans herrische sich unter ihnen mischte und alle anderen vertrieb. Kurz darauf nahm eine seiner großen Hände eine ihrer kleinen Schultern, doch Hitomi schlug nach ihr. Von der Zurückweisung unbeeindruckt packte Van den ausgefahrenen Arm mit sanfter Gewalt und zwang sie sich umzudrehen. „Hey! Reiß dich zusammen!“, fuhr er sie leise an, doch sie schüttelte den Kopf, kniff die Augen zu und versuchte vergeblich ihn von sich weg zu drücken. „Hör auf!“, befahl er etwas lauter. Sie schrie wie am Spieß und stemmte sich mit aller Kraft ihm entgegen. Gnadenlos griff er nach ihrem Kinn und riss es hoch. „Sieh mich an!“ Sein Atem war nun ganz nah. Die Wärme seiner breiten Brust, in der sie sich sonst immer so rein kuscheln konnte, wirkte plötzlich bedrohlich. „Ich muss diesen Bericht zu Ende lesen und das kann ich nicht, während du mich mit negativen Gedankengut bombardierst.“ „Hattest du mir nicht versprochen, die internen Quälerei gemeinsam durchzustehen?“, versuchte Hitomi dagegen zu halten. Zorn erfüllte ihre Augen. „Ist es das, was du unter Einigkeit verstehst?“ „Interne Quälerei ist die Diskussion über die Geldmittel einer Schule oder die Beschwerde eines Händlers über den Zustand einer Straße.“, klärte er sie auf. „Hier geht es um die Verteidigung Farnelias, was ganz allein meine Verantwortung ist.“ „Mir haben die Krieger auch Treue geschworen.“, widersprach seine Frau energisch. „Weißt du, wie man die Stadtmauer überwinden könnte? Kennst du die Arten, wie man ein Holztor gewaltsam öffnen kann, oder wie man es verteidigt? Weißt du überhaupt etwas über militärische Strategie?“ „Nein, und doch habe ich die Guymelefs Asorias erledigt, als sie unsere Stadt einebnen wollten.“ „Ich habe dich nicht darum gebeten.“, ätzte Van. „Nein, aber du wolltest es. Du wusstest, dass ich die einzige war, die der Stadt noch rechtzeitig helfen konnte.“, konterte Hitomi. „Wer weiß schon, ob ich dir jetzt nicht auch helfen kann?“ „Hast du auch in die Augen der Piloten gesehen, als ihnen klar geworden war, dass der Sieg alles andere als sicher war und ihre Leben in Gefahr sein könnten?“, fragte der König herausfordernd. „Hättest du die Beine der Guymelefs auch durchtrennen können, wenn sie aus Fleisch und Blut gewesen wären?“ Dann setzte er zum letzten Schlag an. „Glaubst du, deine Hände bleiben unbefleckt, wenn du einen Krieg vorbereitest und ihn führst, aber nie selbst zur Waffe greifst?“ Hitomi starrte in die Leere. Sie erinnerte sich an das in Flammen stehende Farnelia, an Allens brennende Festung, an das Glühen in den Häusern der Stadt Palas und Cids Tränen, als sein Zuhause in einem hellroten Meer versank. „Überlass das Töten mir!“, bat Van eindringlich und wandte sich ab. „Glaubst du nicht, dass es dafür zu spät ist?“, hauchte sie verzweifelt. „Wie viele sind schon wegen mir gestorben?“ „Nein.“, entschied er. „Du warst es nicht, die getötet hat. Lass dir von niemandem etwas anderes erzählen. Ich muss weiter arbeiten. Tu mir den Gefallen und versuch dich abzulenken!“ Er ging so schnell, wie er gekommen war, und Hitomi blieb allein zurück. Kraftlos sank sie an der Wand herab und schlang ihre Arme um die Knie. Die erste realistische Aussicht auf die Zukunft ließ ihr paradiesisches Luftschloss zusammen brechen. Sie hatte einen Mann als Lebenspartner gewählt, der seine Pflichten immer über die eigene Familie stellen würde. Natürlich hatte sie das schon gewusst, als sie ihre Wahl getroffen hatte, dennoch...richtig bewusst wurde ihr es erst jetzt. Die Konsequenzen ihrer Entscheidung fügten sich wie die Teile eines Puzzles zusammen und ergaben ein düsteres Bild. Es zeigte, wie sie in einem Sonnen durchfluteten, schattenlosen Raum saß und aus dem Fenster schaute, während sie von dem Mann träumte, den sie einmal geheiratet hatte. Vollkommen verunsichert versuchte Hitomi alles zu vergessen und an nichts zu denken. Wie viel Zeit seit dem Streit mit Van vergangen war, als die leisen Schritte näher kamen, wusste sie nicht und es interessierte sie auch nicht. Sie versuchte nicht einmal festzustellen, wem sie gerade den Weg versperrte. Doch der dumpfe Klang eines Tabletts, das neben ihr abgelegt wurde, ließ sie aufhorchen. Ihr Blick viel auf eine Tasse mit dunkelroten, dampfenden Tee, einem kleinen Teller mit Schokolade überzogenen Gebäck, einer kleinen goldenen Glocke, und einem handlichen Buch. Erstaunt sah sie in das Gesicht der Dienerin. Die lächelte zurück und zog sich respektvoll zurück. Wieder allein nahm Hitomi die Tasse in die Hand und nippte vorsichtig. Das Gebräu schmeckte sehr fruchtig, eine Spur zu süß. Sie setzte die Tasse ab und griff nach einem der Kuchenstückchen. Genussvoll ließ sie Schokoladenglasur auf ihrer Zunge schmelzen. Die kleine Gabel neben dem Teller fiel ihr erst einen Moment später auf. Schulterzuckend aß sie weiter mit den Fingern. Nachdem sie die Zwischenmahlzeit beendet hatte, wischte sie sich die Hände mit dem beiliegenden Tuch ab. Innerlich schmunzelnd hoffte sie, dass Van sie nicht jedes Mal versuchen würde sie mit süßem Backwaren gütig zu stimmen. Sonst würde auch er bald nur noch von ihrem früheren Körper träumen, anstatt sie anzusehen. Und natürlich funktionierte es nicht. Neugierig langte sie nach dem Buch. Der Titel nahm die Geschichte schon sehr weit vorweg. Der Einband war fest und sehr viel dicker, als die biegsame Pappe, die sie von den Büchern ihrer Heimat her kannte. Bei einem Buch dieser Größe und diesen Inhalts hatte sie eine solche Qualität bisher nur selten gesehen. Es fühlte sich angenehm rau an. Voll von hohen Erwartungen schlug sie es auf und überblätterte die paar fast leeren Seiten am Anfang, bis sie zur ersten gut gefüllten kam. Gierig verschlang sie die Worte. In den darauf folgenden Stunden musste sie immer wieder unwillkürlich lachen, obwohl der Text gerade tot ernst war. Der Autor schrieb übertrieben und realitätsfern, fast so als hätte er noch nie eine eigene Beziehung geführt. Nach dem schnulzigsten Liebesgeständnis, von dem Hitomi je gehört hatte, legte sie es Kopf schüttelnd zur Seite. Schmunzelnd lehnte sich zurück. Das hatte gut getan. So verrückt ihre eigene Situation auch war, Träume konnten es tatsächlich noch weiter treiben. Sie rappelte sich stöhnend auf und streckte ihre eingestaubten Glieder. Ihr Magen grummelte. Nachdem sie wieder Gefühl in den Pobacken hatte, nahm sie das Tablett und brachte es zur Kombüse. Die paar Besatzungsmitglieder und Dienerinnen, die sie auf dem Weg dorthin traf, wunderten sich, machten jedoch keine Anstalten ihr ihre Last abzunehmen. Sogar die Tür zur der Küche musste sie selbst aufdrücken. Einer der Köche zeigte ihr, wo sie es ablegen konnte. Da fielen ihr die abgedeckten Teller auf ein paar anderen Tabletts auf. Als sie nachhakte, erzählte eine Bedienstete, dass es das Abendessen war, doch der König hatte sie damit weggeschickt und ihnen verboten, ihn zu behelligen. Hitomi seufzte und sah bereits einen neuen Streit heraufziehen. Nicht, das eine Wahl hatte. Sie schnappte sich das Tablett mit dem ersten Gang und schleppte es bis zur der königlichen Kabine. Noch während sie eintrat, spürte sie Vans Ablehnung. „Du kannst gleich wieder gehen!“, warf er ihr entgegen ohne sie anzusehen, doch sie trat unbeeindruckt ein. „Meinetwegen könntest du verdursten oder besser noch verhungern.“, giftete sie ihn an. „So wie du mich heute behandelt hast, hättest du es verdienst.“ Voller Groll stellte sie das Tablett ab. „Was meinst du?“ „Was ich meine?“ Hitomi verschlug es für einen Moment die Sprache. „Ist es in Farnelia üblich Frauen zu misshandeln?“, klagte sie ihn wütend an. „Nein, ist es nicht, aber ich war mit den Nerven am Ende, was zum größten Teil deine Schuld war.“ „Meine Schuld?“ „Wer wollte sich denn unbedingt einmischen?“, fuhr Van sie an. „Ich kann einem Kind nicht erklären, was Feuer ist, während es brennt.“ „So siehst du mich also?“ Hitomi war fassungslos. „Du hast mir gesagt, ich wäre für dich eine geliebte Ehefrau. Jetzt muss ich feststellen, dass ich doch nicht mehr bin, als eine unmündige Gebärmuttermaschine.“ „Warum glaubst du, möchte ich dich vor Schaden bewahren, wenn nicht aus Liebe?“ „Warum glaubst du, dass ich das will? Denkst du, ich könnte untätig dabei zusehen, wie du dich aufopferst? Ich wollte dich als meinen Gatten, weil wir beide zusammen viel mehr sind als allein.“ Wortlos und mit rauchenden Köpfen starrten das Paar sich gegenseitig an. Schließlich erbot sich Hitomi das Eis zu brechen. „Ich hab dir schon so oft beim Kämpfen geholfen. Erinnerst du dich, als wir in Käfige gefangen waren, während die Zaibacher versucht haben Escaflowne auseinander zu nehmen. Du hast alles gespürt, was man ihm angetan hat. Hättest du ihn fernsteuern können, wenn ich nicht deine Hand genommen und deine Schmerzen mitgetragen hätte.“ „Wer weiß?“, wich Van aus. „Und was war mit den unsichtbaren Guymelefs im Wald Astorias? Wer hat sie für dich aufgespürt?“ „Du.“, gab er erschöpft zu. „Aber was könntest du jetzt schon für mich tun?“ „Ich respektiere deine Pflicht Farnelia und mich zu beschützen, und werde sie nicht anfechten. Aber du musst mich auf dich Acht geben lassen. Du wirst mit mir über alles reden was dich bewegt. Über die guten wie die schlechten Dinge.“, verlangte Hitomi und fuhr flehend fort. „Bitte glaub mir! Es wird dir gut tun. Selbst unsere ständige emotionale Bindung kann ein klärendes Gespräch nicht ersetzten.“ „Ist akzeptiert.“ Entnervt rieb er sich die Augen. „Und du wirst dich meinem Urteil beugen, wenn es um deine Gesundheit geht. Und mein erstes Urteil lautet, dass du zu hungrig und zu müde bist, um richtige Entscheidungen treffen zu können. Sieh mal nach draußen! Es ist zappenduster. Du wirst mit mir essen und dann sofort schlafen gehen. Morgen ist ein langer Tag.“ „Nur wenn du mir versprichst, mir wegen dem Dossier nicht mehr in den Ohren zu liegen.“, verlangte Van mürrisch. „Hab ich das nicht gerade?“, antwortete Hitomi verdrossen. „Na dann sind wir uns ja einig.“, seufzte Van. Ausgiebig streckte er seine schweren Glieder. Während der Mahlzeit schwiegen sie beharrlich. Hitomi brachte stets das Geschirr zurück zur Kombüse und jedes Mal, wenn sie mit dem nächsten Gang wiederkam, saß Van wieder über dem Dossier. Er schlug es jedoch zu, sobald sie reinkam. Genauso wortkarg machten sie sich fertig zum Schlafen und zum ersten Mal, seitdem sie wieder vereint waren, lagen sie getrennt neben einander im Bett. Hitomi war zum Heulen zumute. War es unter dieser Decke schon immer so kalt gewesen? Dann raschelte es hinter ihr und sie riss ihr Augen auf. Vans Arm schlang sich um ihren Brustkorb und drückte sie sanft an sich. Da bekam sie es mit der Angst zu tun und ihr Körper versteifte sich, doch Van blieb hartnäckig. Er flüsterte ihr Worte seiner Zuneigung zu und ließ sie gleichzeitig über seine Gedanken, wie sehr er sie vermisste. Seine Hand kitzelte sie kurz unter den Rippen und sie erwiderte diese Geste mit einem Lachen, woraufhin er von ihr abließ und sie sich seiner Umarmung ergab. Hitomi war selbst überrascht, wie leicht er sie vergessen lassen konnte. Doch etwas bohrte noch in ihr. „Van?“, wagte sie sich in die Dunkelheit. Er brummte zur Antwort. „Wird es immer so sein wie heute?“ „Wahrscheinlich.“ Seine Stimme war dumpf, wurde dann aber heiterer. „Deswegen hab ich die Nächte gebucht. Nur für uns beide. Irgendwie muss ich ich dich ja dazu bringen, mir zu verzeihen.“ „Der Kuchen heute war auch nicht schlecht.“, lobte Hitomi lächelnd, woraufhin sich Verwirrung in Vans Galgenhumor mischte. „Du hast ihn nicht schicken lassen?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits wusste. „Nein.“, gab er zu und knuddelte sie an sich. „Verzeihst du mir?“ „Ja.“, sicherte Hitomi ihm schweren Herzens zu und predigte: „Du kannst dir von den Dienern ja viel abnehmen lassen, aber nicht deine Frau.“ „Nicht?“, wunderte sich Van. „Warum sollte ich sonst eine Gesellschafterin einstellen?“ „DU!“, regte sie sich auf und rammte ihren Ellbogen in seinen Bauch. Er stöhnte übertrieben auf und sie rangelte ihn auf seinen Rücken nieder. „Schon gut!“, versuchte sich der König zu retten. „Sie wird die Fenster putzen.“ „Besser!“, triumphierte sie. Ihre Arme stützen sich auf seinen Brustkorb, während sie die Umrisse seines Gesichtes betrachtete. Langsam beugte sie sich herab. Unser erster Kuss, nachdem wir uns versöhnt haben, schoss es Hitomi durch den Kopf. Sie nahm es als Erklärung für die Schmetterlinge in ihrem Bauch. Genüsslich kuschelte sie sich neben ihn in das Bett, doch trotz ihrer Erschöpfung konnte sie nicht schlafen. „Van?“ Wieder ließ er sie nur durch ein tiefen, beinahe undefinierbaren Laut wissen, dass er noch wach war. „Ich möchte ein Kind.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)