Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 12: Ausflug auf die Erde -------------------------------- Es war eine Wolken verhangene Nacht. Weder das Licht der Sterne noch der Mond waren von der Erde aus zu sehen. Lediglich eine schwere, graue Masse, an der das Licht der Großstadt reflektiert wurde, bedeckte den Himmel, leuchtete die kleinsten Ecken aus, vertrieb die Finsternis der Nacht aus den schmalen Gassen des beschaulichen Vorortes und ersetzte sie durch eine Szenerie aus gespenstischen Grautönen. Inmitten dieser Halbdunkelheit brach eine Säule aus Licht durch die Wolkendecke hindurch und ergoss sich auf den Vorplatz des alten Tempels, der auf dem Abhang stand, an dessen Fuß der Sportplatz der örtlichen Schulen grenzte. So schnell wie sie gekommen war, verschwand das Licht wieder. Alles, was es zurück ließ, war eine schattenhafte, kleine Gestalt, die ohne zu zögern in die Büsche abtauchte. Merle war ganz in ihrem Element, als sie wie ein Schatten von einem Grundstück auf das andere schlüpfte, um die hell beleuchteten Straßen zu meiden. In ihrem kleinen Rucksack befanden sich vier Einladungen für die Hochzeit des Königs von Farnelia auf dem Weg zu den Eltern der zukünftigen Braut. Hitomi hatte ihr mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass dieser Botengang möglichst ohne Zeugen durchgeführte werden sollte, da einer Familie ihrer Zivilisation mit zwei vermissten Kindern schon so zu viel unerwünschte Aufmerksamkeit zu teil wurde und die Lichtsäulen der Vergangenheit ihren Heimatort für Verschwörungstheoretiker, Mystiker, Weltuntergangspropheten und andere aufdringliche Spinner interessant gemacht hatte. Letzteres ließ sich nicht verhindern, wollte man zwischen den beiden Welten reisen, doch Merle sollte nicht noch Öl ins Feuer gießen, indem sie den Geschichten die Sichtung eines Außerirdischen mit Katzenohren hinzufügte. Die Katzenfrau nahm diese Auflagen sportlich und sah sie als ein Training ihrer Fähigkeiten. Über die Einhaltung der Auflagen wachte Hitomi persönlich, da sie mit ihr per Gedankenübertragung gerade ihr Sichtfeld teilte. Sie machte die Überwachung für sich selbst erträglich, indem sie Hitomi als Wegweiser sah, ohne den sie aufgeschmissen wäre. Endlich kam sie auf dem Rasen zu stehen, von dem Hitomi behauptete, es sei der Richtige. Schnell verschaffte sie sich einen Überblick von dem Grundstück, den Ausgängen und der nicht vorhandenen Abwehrmaßnahmen. Der einzige Eingang zu dem winzigen Areal war ein Tor, das in einem Eisenzaun eingelassen war. Von dem Tor aus führte eine Treppe zu dem kleinen, weißen Haus. Als Hitomi sie ermahnte und sich erkundige, was sie da mache, antwortete Merle spöttisch, sie suche nach dem Palast, in dem die zukünftige Königin Farnelias aufgewachsen wäre. Als Hitomi sich daraufhin verärgert und verlegen aus der Gedankenverbindung zurückzog, war die Prinzessin von Farnelia etwas enttäuscht. Sie hatte Hitomi ein dickeres Fell zugetraut. Definitiv ein Punkt, über den sie noch sprechen mussten. Das Schloss an der Tür war fast identisch mit den Schlössern von Gaia und so schaffte es Merle fast geräuschlos sie zu knacken. Lautlos schob sie sich seltsam glatt anfühlende Holz zurück. Plötzlich aber vernahm sie einen leisen, aber schrillen Ton aus dem ersten Stock. Mit der Erkenntnis, dass alles sehr schnell gehen musste, betrat sie den Flur, stieg über die einzelne Stufe im Eingangsbereich und bewegte sich zielstrebig zum Esszimmer, während sie ihren Rucksack abnahm. Sie platzierte die vier Einladung auf den äußerst niedrigen Tisch und wandte sich um zum Gehen. Da stand plötzlich ein Mann vor ihr, der in hohen Bogen eine Art Knüppel schwang, der zum Griff hin schmaler wurde. Instinktiv wich sie zu zur Seite aus, ihr Angreifer wurde von der Waffe mitgerissen und kippte fast vorn über. Sie nutzte die Chance und lief an ihm vorbei zum Hauseingang. Wild brüllend verfolgte ihr Gegner sie bis in den Garten, wo sie über den Zaun auf das Nachbargrundstück sprang. So schnell sie konnte, überwand sie eine Abgrenzung nach der anderen, während die Schreie, deren Inhalt sie nicht verstehen konnte, leiser wurden. Selbst als der aufgebrachte Angreifer längst nicht mehr zu hören war, blieb sie nicht stehen, sondern lief bis zum Tempel im stetigen Schritt durch. Erst auf dem Platz vor dem Tempel gönnte sie sich einen Moment der Ruhe. Erleichtert darüber, dass ihr niemand gefolgt war, griff sie nach ihren Schultern um den Rucksack abzustreifen. Ihre Augen wurden groß vor Schreck. Er war nicht da! Langsam überkam sie die Erkenntnis, dass sie ihn bei ihrem Ausweichmanöver vor dem Angriff fallen gelassen hatte. Fieberhaft überlegte sie, ob es eine andere Möglichkeit gäbe nach Gaia zu kommen. Könnte sie jemand abholen? Hitomi konnte Gaia nicht verlassen, trotz der Kette, die gerade nutzlos um ihren Hals baumelte und Van hatte für eine solche Reise stets den Energiestein von Escaflowne benutzt, der jetzt in ihrem Rucksack war. Fluchend kehrte sie um und lief den Weg zurück zum Haus der Familie Kanzaki. Sie hielt vor dem Zaun des Grundstücks. Ihr Atem war schnell, doch er beruhigte sich fast augenblicklich. Vorsichtig spähte sie auf das Haus. Die Tür war noch immer offen und es kam Licht aus dem Innern. Merle bezweifelte das diese Gelegenheit als Einladung gedacht war, doch sie konnte sich unmöglich noch einmal so herein schleichen wie eben. Wenn sie das täte, würden Hitomis Eltern ihr niemals soweit vertrauen um mit ihr zu kommen. Selbst die von Hitomi persönlich verfassten Einladungen könnten da nicht mehr helfen. „Ich glaube nicht, dass ich das tue!“, flüsterte sie verärgert und schwang sich über den Zaun. Ohne ihre Präsens zu verschleiern betrat sie das Haus. Sie fand die Eltern im Esszimmer. Die Frau saß neben den Tisch auf dem Boden und las mit Tränen in den Augen die Zeilen, die ihre Tochter ihr geschrieben hatte. Der Mann beugte sich über ihr, berührte sacht ihre Schultern und wisperte in ihr Ohr. Merle nahm die Hände hoch, dann räusperte sie sich. Sie musste einen lächerlich Anblick bieten. Eine in schwarz gekleidete, vermummte Gestalt, die vor den Bewohnern des Hauses ihre Wehrlosigkeit bekundete. Als der Mann sie bemerkte, verzerrte sich sein Gesicht vor Wut und er packte wieder den seltsamen, als Waffe vollkommen ungeeigneten Knüppel. Seine Frau jedoch hielt ihn zurück. Verzweifelt griff sie nach seinem Arm und redete auf ihn ein. Anscheinend zeigten ihr Worte Wirkung, denn er ließ die Waffe fallen. Sein entschlossener Blick traf Merle gespannten Augen. Er stellte er eine Frage, kurz und bündig, doch sie verstand seine Sprache nicht. Warum konnten sie nicht auch ihre Heimatsprache so wie Hitomi? „Ich verstehe sie nicht!“, sagte Merle langsam und deutlich. Seine Verwirrung war der ihren ähnlich. Dann aber sagte die Frau etwas und Merle verstand. „Bring mich zu meiner Tochter!“ Verdutzt sah die Prinzessin die Gemeine an. Der Blick der Frau hatte etwas stählernes, unnachgiebiges, wie der Blick einer Katzemutter, die ihren Wurf verteidigte. Ehrfürchtig nahm sie ihren Maske ab, senkte ihre Hände und vollführte einen Knicks. Die Augen der Eltern wurden sichtlich größer angesichts Merles Aussehen. „Ich bin Merle de Farnel.“ „Ich habe dich nicht nach deinem Namen gefragt.“, sagte die Frau aufgebracht. „Wo ist meine Tochter.“ „Unterwegs, aber in Sicherheit.“, versicherte Merle, die der Mutter ihren Starrsinn nicht übelnahm. „Unglücklicherweise können sie sie jetzt noch nicht treffen. In zehn Tagen werde ich sie abholen, so wie es im Brief steht. Dann können sie zu ihr.“ „Bring mich zu ihr! Sofort!“ „Ich kann nicht!“, versuchte es Merle noch einmal. „Meine Fähigkeit zu Reisen ist begrenzt. Ich kann sie nur zu sehr wenigen Orten bringen, und eure Tochter ist an keinem von diesen. Außerdem, wenn sie jetzt ohne Vorwarnung gehen, wird man sie vermissen und Hitomis Freunde werden ihre Einladungen nicht bekommen.“ „Ich gehe allein, mein Mann wird hier bleiben und alles regeln.“, verkündete die Frau, woraufhin der Mann protestierte. Sie diskutierte eine Minute mit ihm, dann gab er auf. „Bring mich zu dem Mann, der meine Tochter heiraten will. Das wirst du ja wohl können.“ „Das kann ich.“, gab Merle zu. Sie suchte immer noch nach einem Ausweg. „Doch es wäre besser, wenn ihr Hitomi zuerst seht. Es könnte sonst...“ „Keine Widerrede.“, befahl die Frau mit der ganzen Autorität einer langjährigen Mutter. „Also gut!“, seufzte Merle. „Ich nehme an, ihr möchtet noch packen.“ „Ich werde nichts mitnehmen.“, antwortete die Frau. „Ich möchte das Leben kennen lernen, das Hitomi erwartet. Mein Mann wird unsere Festkleidung mitbringen, wenn er nachkommt.“ „Ich verstehe.“, sagte Merle schneidig. „Ich geleite euch jetzt zum Tempel. Von dort reisen wir nach Gaia.“ „Auf eine andere Welt?“, hakte die Frau zweifelnd nach. „Ja, mit der Erde als Mond.“, bestätigte die Botin, während sie ihren Rucksack aufnahm. „Ihr werdet eure Welt von außen sehen können.“ Die Kutschfahrt von dem Landeplatz der für Luftschiffe nahe dem Stadttor bis zur Villa am anderen Ende der Stadt zog sich scheinbar ewig hin. Hitomi, die allein im Innern saß, war zum Zerreißen gespannt. Zwei Wochen lang war sie in Gaia umher gereist, hatte Einladungen zur Hochzeit verteilt, und mehr oder weniger offen für Unterstützung geworben. Die letzten zehn Tage über hatte sie von Van nichts mehr gehört, weder über Gedanken noch durch physische Kommunikation. Sie war davon überzeugt, sie würde es sofort wissen, wenn ihm etwas passiert wäre. Die einzige andere Möglichkeit war, dass er ihr etwas verheimlichte, und das konnte er nur, indem er gar nicht mit ihr sprach. Endlich hielt die Kutsche vor der von einer weitläufigen Grünanlage umgebenden Villa. Ungeduldig wartete sie, bis man ihr die Tür geöffnet hatte, und trat dann aus dem reich verzierten Gefährt. Bei dem Anblick ihrer Mutter neben ihrem Zukünftigen ging jedoch jede Zurückhaltung über Bord. Überglücklich lief sie ihr in die ausgestreckten Arme. Für einen Moment fühlte sie sich wieder wie ein Kind. All die Sorgen um ihre Zukunft und die Zukunft von Gaia waren auf einmal ganz weit weg. Dann fiel ihr Van ins Auge und sie wünschte alle Etikette zum Mond. Sanft löste sie sich aus der Umarmung ihre Mutter und begrüßte Van auf die gleiche Weise. Der erwiderte ihre offene Zuneigung nur zögernd. Er war sich der Dienerschaft und dem breiten Lächeln von Merle wohl bewusst. Daher drückte er sie schon im nächsten Augenblick sacht von sich. „Wir haben später noch genug Zeit zum Feiern.“, flüsterte er. „Beruhige dich erst einmal.“ „Das ist deine Schuld.“, warf Hitomi ihm ebenso leise vor. „Wie soll ich denn ruhig bleiben, wenn du mich mit deiner Überraschung so überrumpelst.“ Dann wandte sie sich wieder älteren Frau neben ihm zu. „Wie geht es dir, Mutter?“ „Ich weiß nicht, sag du es mir!“, schalt sie. „Soll ich froh sein, weil ich dich nach so langer Zeit wieder sehe? Soll ich wütend sein, weil du ohne ein Wort abgehauen bist? Oder soll ich traurig sein, weil dein Bruder noch immer verschwunden ist und mir niemand sagen will, warum oder wohin.“ Da überfiel Hitomi ein schweres Schuldgefühl und sie nahm ihre Mutter an die Hand. „Wir sollten rein gehen. Ich erkläre dir alles drinnen.“ „Ich geh dann mal und hol die restlichen drei!“, verabschiedete Merle sich übertrieben fröhlich. Alles war besser, als diese plötzlich überspannte Atmosphäre. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)