Dein Schmerz auf meiner Haut von halfJack ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Im Zimmer ist es dunkel. Das Fenster steht offen, sodass kühler Wind von draußen hereinweht und sanft über unsere Haut streicht. Dennoch dringt die Luft nur schwer in meine Lungen, während ich neben Daniel auf dem Bett liege und in die Finsternis starre. „Es tut weh...“, höre ich meinen Freund flüstern, in die Stille, welche in meiner Wohnung immer allgegenwärtig ist. Die Nacht bricht über unsere Sinne herein, als ich ihn frage: „Was meinst du?“ „Alles“, antwortet er stockend, „ich bin erschöpft, als müsste ich mich nur fallen lassen, um für immer verloren zu sein.“ „Meinst du nicht“, meine Stimme zittert leicht, „dass du schon längst verloren bist?“ Er seufzt. Langsam zieht die gesamte Situation an mir vorbei und ich sehe mich und Daniel auf dem Bett in meinen Zimmer liegen, nebeneinander, den Blick zur Decke gerichtet. Ich glaube fast die Leere in unseren Augen erkennen zu können. Leise redet Daniel weiter: „Ich hatte nicht erwartet, dass es so leicht passieren könnte.“ „Das Ende?“ „Ja.“ Er ringt nach Atem. „Heute Nacht wollte ich mit dir reden. Ich wollte dir sagen, dass ich mich im Fieber nur dir hingegeben hätte.“ Ich schließe die Augen und versuche, das berstende Pulsieren in meinem Kopf mit meinen Gedanken zu überdecken. Die erwartete Freude oder Erleichterung bleibt aus. Zu viele Gefühle überschwemmten mich in letzter Zeit und nun ist mein Geist ausgelaugt, der Körper von einer unsichtbaren Last erdrückt, meine Sinne sind taub geworden. „Im Fieber?“, sage ich leise. „Ja, wir leben wie im Fieber, völlig krank und ohne zu wissen, was um uns geschieht.“ Ich höre den schweren Atem meines Freundes und spüre, dass es ihm Anstrengung bereitet, wenn sein Brustkorb sich hebt und senkt. Dann entgegnet er: „So etwas hast du noch nie gesagt.“ „Wirklich?“, schmunzle ich. Kurz darauf fange ich an zu lachen und lege die Hände über meine schmerzenden Augen. Meine Kehle brennt und ist wie zugeschnürt, während ich das Lachen noch immer nicht unterbinden kann. Wieso nur scheint alles so unerträglich? Langsam versuche ich mich wieder unter Kontrolle zu bringen und frage ihn schließlich: „In dieser Nacht wolltest du dich von mir trennen. Und nun sagst du mir, dass alles nicht deine Absicht war? Es ist ein Spiel für dich gewesen, Daniel, das weißt du.“ „Ein Spiel“, entgegnet er kalt, „du hast genauso wie ich mitgespielt.“ „Es war“, ich wende meinen Kopf zur Seite, um in der Schwärze seine Silhouette auszumachen, „mir vollkommen ernst.“ Den Schmerz, welcher in diesem Moment sicher wie ein Schauer durch seine Venen flutet, spüre ich als Prickeln auf meiner Haut, während seine lautlose Stimme mir entgegen schreit, dass ich endlich begreifen muss. Leicht schüttle ich den Kopf und fixiere erneut die dunkle Decke. Dann spricht Daniel weiter: „Ich weiß nicht, was mit mir los war. Es gab keinen bestimmten Auslöser, weswegen ich anfing zu reden. Und je mehr ich dich anlog, desto mehr musste ich erkennen, dass es die Wahrheit war.“ Seine Worte zittern in kränklicher Belustigung. „Und plötzlich konnte ich nicht mehr aufhören.“ Endlich setze ich mich auf. Ich streiche bedacht über meinen bloßen rechten Arm, durch den bei dieser Berührung ein kribbelndes Stechen wandert, welches sich verstärkt, sobald ich meine Finger bewege. Den Verband am linken Arm entfernte ich, sodass ich mich unstabilisiert und verletzlich fühle. „Innerlich habe ich mich angeschrien“, fährt mein Freund fort, ohne sich aufzurichten, „ich konnte mich nicht gegen mich selbst wehren. Als ich gegangen war, wollte ich nur noch umkehren. Alles war so unwirklich, unbegreiflich und brachte mich zur völligen Verzweiflung. Ich...“ Daniel hält inne. Ich spüre seinen Blick auf mir ruhen, während ich weiterhin auf dem Bett sitze und zu ihm hinab sehe. Vorsichtig fährt er fort: „Ich konnte nichts machen.“ „Du bist dennoch umgekehrt.“ „Ja. Ich weiß nicht, wie. Auf einmal stand ich wieder vor dir.“ Kaum hörbar lache ich und rutsche näher an ihn heran, als er hinzufügt: „Henri. Je mehr ich versuche, vor dir zu fliehen“, er hebt die Hand und lässt sie sanft über meine Wange zu meinem Hals gleiten, „desto näher bin ich dir.“ Er streicht langsam über meinen Kehlkopf. Seine Finger wandern auseinander, sodass er den leichten Druck links und rechts an meiner Kehle verstärkt. Mit einem Lächeln greife ich nach seiner Hand und schiebe sie fort. „Nicht doch...“ Ich beuge mich zu ihm hinab, halte noch immer sein Handgelenk fest und fahre schließlich durch sein kurzes weiches Haar. Dann küsse ich zärtlich seine Wange. Ich spüre, wie er unter mir verwirrt die Augen schließt. Der Kuss hat ihn verunsichert. Doch nun löse ich meine Hände, lege sie an seinen Hals und drücke zu. Daniel bleibt stumm liegen, bewegt sich nicht, setzt sich nicht zur Wehr. Er schluckt und ich kann die Bewegung deutlich fühlen, sodass ich härter zudrücke, während mein Freund sich in meine Gewalt fallen lässt. Jedes Mal, wenn er schluckt und mit mehr Anstrengung um Luft ringen muss, festigt sich mein Griff. Irgendwann scheint es ihm egal zu sein. Jegliche Anspannung weicht aus seinem Körper, als hätte er es längst erwartet. Unendlich dehnen sich die Sekunden, in denen ich letztendlich seine Sauerstoffzufuhr so rückhaltlos abschnüre, dass es für Daniel gefährlich wird. Ich schaue in sein Gesicht, doch ich sehe ihn nicht. Meine Fingernägel graben sich in seine Haut. Vernebelt, mit zu vielen Gedanken, die sich in meinem Kopf festsetzen, beuge ich mich hinab und flüstere ihm seinen Namen ins Ohr: „Daniel.“ Ich weiß, dass er mich nicht hören kann. Sein Brustkorb hebt und senkt sich unkontrolliert. Wieder geht mir der Wunsch durch den Kopf. Ich will ihn nicht verlieren... Zögernd lockere ich den Griff an seinem Hals und entferne mich von meinem Freund. Ich schaue auf meine Hände, während Daniel in tiefen Zügen die Luft einatmet und unterdrückt hustet. Dann richtet er sich auf und schaut mich an. Sein Lächeln kann ich in der Dunkelheit nur undeutlich wahrnehmen, doch seine Traurigkeit fühle ich so stark wie meine eigene. „Wir wussten, dass es keinen Gewinner gibt“, sagt Daniel dumpf und berührt meine kalte Hand. Ich fange seinen Blick auf und entgegne: „Letztendlich haben wir beide verloren.“ Am frühen Morgen wache ich auf. Meine Sachen hängen schwer an meinem Körper, als ich mich vom Bett erhebe und in Daniels schlafendes Gesicht schaue. Schließlich trete ich an das Fenster und öffne es weit, um hinauszusehen. Der Himmel ist weiß und von Wolken verhangen, die Stille der Nacht liegt noch bedrückend in der klirrenden Luft, welche nach frischem Regen riecht. Die schneidende Kälte lässt mich frösteln. In diesem Moment ist mir mein Wunsch so klar und ehrlich vor Augen, dass ich ihn endlich akzeptieren kann. Warum soll ich noch weiter warten? Irgendwann wird es zu spät sein. Der Wind umhüllt mich nur leicht. Ich hebe meine Hand und versuche ihn einzufangen, doch es misslingt mir. Meine Zeit entschwindet. Ich bin nicht mehr... Noch einmal atme ich tief ein und wende mich dann um. Mein Freund liegt noch immer auf dem Bett und schläft. Ich gehe leise in das Bad und öffne einen Schrank. Als ich zurückkomme, setze ich mich auf das Fensterbrett und sehe in die Tiefe hinab. In der Hand halte ich die Rasierklinge und lächle sanft, während meine Augen wieder zu Daniel wandern. Langsam höre ich, wie Daniel sich auf dem Bett bewegt. Das leise Rauschen des Regens erfüllt die gläserne Atmosphäre im Raum. Es ist kalt, aber der Wind ist kaum zu spüren. Mein Freund richtet sich auf und sieht zu mir hinüber. Sein Blick prickelt mir auf der Haut. Zwischen meinen Fingern halte ich die Klinge und biege das blanke Metall leicht durch, sodass mir die Schneide in die Haut dringt. Still tropft das Blut auf die Fensterbank. „Wieso kann ich so einfach gehen?“, flüstere ich fragend, sehe Daniel dabei jedoch nicht an. Er hat meine Worte nicht verstanden und bittet leise: „Was hast du gesagt?“ „Wie können wir alles hinter uns lassen“, meine Stimme ist nun lauter, hat allerdings noch nichts von ihrer resignierenden Gleichgültigkeit eingebüßt, „wenn niemand diese Verzweiflung sieht? Wenn niemand sieht, dass wir trauern, dass wir sterben?“ Ein Rascheln verrät mir, dass er vorsichtig aufsteht. Seine Schritte nähern sich mir. Ohne ein Wort wende ich mich zu ihm um und lege ihm die Rasierklinge in die Hand. Er betrachtet sie und sieht dann schmerzlich zu mir auf. „Wieso...?“ „Ich bin müde, Daniel“, beantworte ich ihm seine Frage und lächle schwach. All die Zeit, die ich hier verweilen muss, zieht mich in den Himmel hinab. Meine Gedanken und die Szenerie, die sich um mich herum aufbauen, sind so grotesk, dass ich fast die Harfen singen hören kann. Als ich nach draußen sehe und den Regen beobachte, erfasst mich eine tiefe Ruhe. Das gesamte Firmament ist so hell, dass es fast angenehm blendet. Ich muss mich nicht dafür um Verzeihung bitten, dass ich mich aufgegeben habe. Vergebung ist ein Geschenk, welches mir für immer verwehrt bleibt. Dann spüre ich Daniels Hand auf meiner Schulter. Sie strahlt kühle Wärme aus, während er zögerlich meinen Arm hinab fährt. Seine eisige Berührung kitzelt auf meinen Narben und Wunden. Er tritt näher an mich heran und streicht leicht durch mein Haar, lässt die dunklen Strähnen durch seine Finger gleiten. Ich drehe mich zu ihm um. Er weint. Seine Tränen benetzen meinen Arm, den er nun hält, als hätte er Angst, mich zu verlieren. „Drück über dem Ellenbogen fest zu“, sage ich eindringlich und zeige ihm ein aufmunterndes Lächeln. Daniel folgt meiner Anweisung. Ich verkrampfe meine Hand zur Faust, während mein linker Arm langsam taub wird. „Wo?“, fragt er resignierend. „Die Ader an der Seite“, ich spüre das Pulsieren in meiner Vene und weiß, dass Daniel es auch fühlt, „meinen Unterarm hinab.“ Er beißt die Zähne aufeinander und reißt den Blick von meinen Narben los, um mich mit seinen braunen Augen zu fixieren. Ich beuge mich nach vorn und küsse ihm die Tränen von den Wimpern. Dann frage ich ihn: „Hast du es damals ernst gemeint, als du das erste Mal zu mir sagtest, du würdest mich lieben?“ „Ich weiß es nicht.“ Er schaut mich traurig an und fügt hinzu: „Ich glaube... wahrscheinlich nicht.“ Gedämpft lachend senke ich den Kopf und meine, mehr zu mir selbst als zu meinem Freund: „Das ist wohl die einzige Sache, bei der dich dein Glaube nicht täuscht.“ „Aber“, seine Augen dringen durch meine Haut, als er den Druck auf meinen Arm für einen Augenblick lockert, „ich habe es nie vergessen.“ „Solange du lebst“, ergänze ich sarkastisch. „Solange ich lebe“, sagt er bestimmt. Er dirigiert mich zur Seite und lässt sich hinter mir auf der Fensterbank nieder, um sich an meinen Rücken zu lehnen und Halt zu suchen. Als er mich von hinten umfängt, lege ich den Kopf auf seine Schulter und sehe die Angst in seinem Blick. Mit zitternder Hand setzt er die Klinge an meinem Unterarm an. Er schluckt hart und rührt sich nicht, während ich mich an ihn schmiege und warte. Der Regen prasselt auf die Erde. Langsam hebe ich meine Hand, fange seine Tränen von den Wangen auf und streife seinen Atem. Endlich sind der Schmerz und die Erinnerung an all das, was wir hinter uns gelassen haben, nicht mehr bloß eine Last für mich. Auch wenn ich mich nie davon befreien konnte, so ist die Traurigkeit ein angenehmer Teil von mir geworden. Angespannt versucht Daniel seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen, bis er sich weiter vorlehnt. Tränen benetzen mein Oberteil. In kurzen Zügen zieht er die Luft durch seine Zähne ein. Endlich schneidet mein Freund mit einem schnellen Ruck die Klinge durch mein Fleisch. Plötzlich und pulsierend quillt das Blut hervor und beraubt mich in erschreckend kurzer Zeit meiner Wahrnehmung, sodass sich das qualvolle Brennen, welches sich durch meinen Körper zieht, unaufhaltbar von mir entfernt. Daniel spricht leise in mein Ohr: „Bis zu diesem Augenblick, hat sich das Leiden dafür nicht gelohnt?“ Ich lächle betäubt und kann langsam den Himmel nicht mehr erkennen. Mir wird unglaublich kalt. Ich hatte erwartet, dass es mich warm durchfließen würde, dass es heller um mich werden würde, dass es mehr schmerzen würde. Allerdings wird es immer dunkler und ich kann fast nichts mehr fühlen. Ich dränge mich näher an Daniel, doch auch ihn spüre ich nicht mehr. Ja, dafür hat es sich wirklich gelohnt. Meine Lider werden schwer, sodass ich sie schließe. Doch ich muss ihn noch um etwas bitten. Ich hebe meinen Kopf. Unter Anstrengung öffne ich die Augen, sehe in sein Gesicht und betrachte die Tränen, die nicht zu versiegen scheinen. „Daniel“, flüstere ich und wundere mich über die fehlende Kraft in meiner Stimme, „versprich mir...“ Ich atme aus und schließe meine Augen. „Henri.“ Zaghaft lächle ich und setze erneut an: „Versprich mir, dass du nicht weiterlebst.“ Daniel antwortet nicht und drückt sich näher an mich. „Ich will, dass du stirbst.“ „Ich wollte sowieso nicht ohne dich leben.“ Er lacht leise. Der Regen rauscht in meinem Körper, so warm wie Daniels Umarmung, so kalt wie das Blut in meinen Adern und so klar wie ein beruhigender Schlaf. Dunkelheit ist um mich. Schwärze. Finsternis. Ich höre Daniels Worte in der Ferne: „Ich verspreche es...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)