Daemonicum Noctis von JoeDoe ================================================================================ Kapitel 6: Der Altar -------------------- „Scheiße!“ fluchte Joachim, der im wieder finster gewordenen Raum auf dem Boden kniete und verzweifelt und in Panik nach seiner erloschenen Taschenlampe suchte. Sein Atem wurde schneller und zittrig. Dort unten in der Grube war es kalt und trotzdem begann Jo zu schwitzen, er glaubte auf dem Boden hinter dem Altar etwas angeleuchtet zu haben, was auf das Licht mit einem erschreckten Geräusch reagierte. Er bildete sich ein, Stimmen und Geflüster zu hören, schob es aber nur auf den Schreck, kurz geglaubt zu haben, hier unten mit etwas anderem zu sein. Genauer gesagt der vernunftbegabte Teil in ihm riet ihm ruhig zu bleiben, da die größte Gefahr hier Unten von Käfern und Dreck auszugehen schien, doch der laut schreiende Teil in seinem Gehirn flehte nach Licht und der Gewissheit, dass sich kein Zombie hinter dem Steinaltar befand. Dann endlich – Plastik! Joachim hob seine Taschenlampe auf, betätigte den Schalter, ohne dass die Lampe eine Reaktion zeigte und klopfte dann ein paar mal dagegen, bis sie endlich wieder Licht spendete. Er leuchtete auf den Altar und sah, ein paar Scherben. Auf dem Boden darunter lagen sogar noch mehr. Jo war in seiner hektischen Bewegung gegen den Krug gestoßen und hatte ihn scheinbar zertrümmert. „So fest hab’ ich doch gar nicht...“ murmelte er. Das nächste was Joachim wunderte war, dass es keinerlei Flüssigkeit gab, die über der Steinplatte verteilt war oder an den Seiten hinab floss. Alles wies nur die übliche Erd-Feuchtigkeit auf, die hier unten herrschte. Jo trat nun, seinen Körper beruhigen wollend, wieder an den Steintisch heran um darüber zu leuchten. Bereits kurz hinter dem Altar befand sich die Wand des Raumes auf die Jo das Licht warf, dass langsam an eben dieser Wand hinunter glitt, bis es auf etwas weißgraues rundes traf, dass mit einer dünnen Erdschicht bedeckt war. Er hatte eine starke Vermutung, um was es sich dabei handeln könnte und so schritt er langsam um das steinerne Hindernis, zwischen ihm und der Wand, die Helligkeit weiter auf das Etwas gerichtet. Und tatsächlich: Es handelte sich um einen Schädel. Nach zehn Sekunden fiel Joachim wieder ein zu atmen, dann trat er noch näher und erkannte bald, dass es sich um ein ganzes Skelett handelte, dass an der Wand lehnte. Diese hohlen Augen, die er sich jetzt in absoluter Ruhe ansah, waren es wohl, die ihn eben noch die Taschenlampe fallen ließ und dieser geschlossene Mund ohne Lippen und ohne Zahnfleisch war es, von dem er glaubte ein Geräusch zu hören. Joachim war unheimlich erleichtert, obgleich er noch nie ein Skelett gesehen hatte, wenn man mal von Abbildungen in Biologiebüchern und dergleichen absah. An eben jene Abbildungen des menschlichen Skeletts erinnerte er sich jetzt und verglich die Bilder in seiner Erinnerung mit dem was da vor ihm lag. Etwas Stimmte nicht. Die Gebeine wirkten unvollständig, aber vor allem der Schädel wirkte fehl am Platz, er schien zwar von alleine auf den Wirbeln zu halten, aber seine Form? Jo blätterte in Gedanken das Biologiebuch der 7. Klasse ein paar Seiten weiter, bis zu den Primaten. Hier war sie, die Ähnlichkeit, die er zuvor vermisste. Es handelte sich um einen Affenschädel, vielleicht der eines Schimpansen? Er beobachtete weiter, stand immer noch wie festgeklebt und angewurzelt da, sah sich den Brustkorb an, der dann doch eher menschlich wirkte oder zumindest keine eindeutigen Affen-Attribute besaß – welche auch immer das sein mochten. Die Arme wirkten kurz, also menschlich, eine Hüfte fehlte komplett. Die Oberschenkel waren vorhanden, lagen aber nicht wo sie sollten, sondern neben den Armen, als wären sie dem bedauernswerten Wesen abgehackt und daneben gelegt worden. Dieses Szenario schien aber auch nicht auf das zuzutreffen, was Joachim hier sah, denn weder Kniescheibe, Unterschenkelknochen noch irgendein Fußknochen war zu sehen. Alles in Allem bot der (oder die) Tote einen skurrilen Anblick dar. „Zu skurril um es zu glauben, ohne es berührt zu haben.“ Dachte Jo und befand sich schon in der Hocke um mit einem Finger über den Schädel zu streichen. Sein Finger hinterließ eine saubere Spur auf dem blanken Knochen, der sonst sehr dreckig war und Jo dachte belustigt über seine Anfängliche Angst nach. „Arme Sau.“ Seufzte Joachim und überlegte kurz darauf, ob dieses Wasauchimmer den Tod nicht vielleicht verdient hatte. Vielleicht handelte sich aber auch um eine Laune der Natur, die nur aufgrund ihres Äußeren von Menschen, die sie für einen bösen Teufel hielten hier unten begraben hatten und auch genau deshalb dieses grässliche Mahnmal auf sein Grab gestellt hatten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Menschenaffen-Wesen eines natürlichen Todes gestorben und hier unten dann so achtlos hinter einen Steintisch gelegt worden war, genauso wenig, wie er sich vorstellen konnte, wie es wohl mit Haut und Haaren mal ausgesehen hatte. Joachim tendierte mehr dazu Mitleid für dieses Wesen zu empfinden, als es vorschnell zu verurteilen. Er betrachte seine Gefühle mit dem inneren Auge und stellte fest, dass es sogar Wut war, die er auf die Mörder des Wesens hatte. Er konnte sie förmlich hören, wie sie rituelle Gesänge anstimmten, altertümliche Beschwörungsformeln vortrugen und voller Abscheu über ihn redeten. Jo begann sich hinein zu steigern, verspürte puren, ungezügelten Hass gegenüber diesen Menschen, diesen Möchtegern-Priestern, die keine Ahnung hatten von der Welt in der sie lebten. Diese ekelhaften Menschen mit ihren unvollkommenen Körpern! Diese Körper, die brach lagen wie ungenutzte Talente, so stark, so voller Potenzial und doch so widerlich wegen der Gedanken und Geister, die sie beherbergten. Unbrauchbar, wie das Gerüst eines Hauses ein Bogen ohne Pfeil oder ein Schiff auf dem Land... Jo wurde es schwindelig und trotzdem hielt er weiter an Hass und Ekel fest, hörte jetzt tatsächlich einen alten Priester murmeln, der in einer unbekannten Sprache und sehr monoton redete. Das raunen einer Menge hinter dem Priester hallte durch den gesamten Raum und ließ Joachim jene Art von Gänsehaut bekommen, die nur vom Körper und der Kälte ausging, aber nichts mit den eigenen Gedanken oder einer bestimmten Stimmung zu tun hatte, so als würde die Energie der Stimmen zwar seine Haut berühren, aber nicht bis zu seinem Gehirn vordringen. Es war als würde Jo über dem eigenen Körper schweben oder wenigstens einige Zentimeter versetzt, als der Priester seine Rede beendete. Jo hörte seinen Körper zu Boden fallen, doch sein Geist hörte es noch als würde er stehen. Die drei Gefäße auf dem Altar, er wusste nicht wie, aber er hörte, dass es drei waren, so als ob es Klangschalen mit unterschiedlichen Tonhöhen seien, diese drei Krüge, sie schienen eine wichtige Rolle zu spielen und dann fühlte er, wie sich sein Geist begann zu teilen und sich auf die Behälter verteilen wollte. Den Blick in der realen Welt gar nicht mehr wahrnehmend und nur noch die Fremdartigen klänge seiner Vision hörend, bemerkte Joachim endlich den Strudel in dem er sich befand. Er legte schlagartig den Hass ab und ersetzte ihn durch Angst vor dem was mit ihm geschah. Er wehrte sich mit dem ganzen Körper und versuchte wie eine Schlange aus seiner Haut zu fahren, bis er an einen Punkt kam, an dem er glaubte dies tatsächlich schaffen zu können. Jo schüttelte den Kopf und die Stimmen wurden leiser und leiser, bis er sie mit seinem eigenen Schnaufen übertönte. Das Gefühl, das er jetzt körperlich, als auch geistig empfand, glich dem, einer Erfolgreichen Flucht vor einem Hai durch trübes Wasser. Er war außer Atem, als hätte er die letzten zwei Minuten die Luft angehalten, der Blick war verschwommen, sein Herz raste und doch fühlte er eine gewisse Erleichterung. Selbst nasse Kleidung hatte Jo, nur nicht durch Meerwasser, sondern von dem Schweiß, der ihm Überall die Kleidung befeuchtete, ihm von der Stirn floss und sogar von der Nasenspitze perlte. Das Licht der Taschenlampe zitterte unter Jos Anstrengung, er wusste nicht was passiert war, aber er war entschlossen hier so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Ein Entschluss, der nur so lange hielt, bis er ein Flüstern hörte, dass ihn anzusprechen schien. Jo wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn und hörte noch mal genauer hin. „Genau Dich meine Ich.“ Glaubte Joachim zu hören und suchte mit den Blicken nach der Stimme. „Hilf mir!“ Echote es aus allen Wänden und Ecken des Raumes. Jo drehte sich panisch in alle Richtungen, doch wohin er sich auch drehte, die rufe schienen sich immer hinter ihm zu befinden, als hätte sich die Stimme an seinem Rücken festgekrallt. „Ich musste Dir diese Visionen zeigen...“ hallte es, mehr durch Joachims Kopf als durch den Raum. „Warum? Wer bist Du?“ schrie Jo, ohne so recht zu wissen in welche Richtung. „Befreie mich! Ich flehe Dich an!“ Jo erkannte, dass die Stimme ohne Körper wirklich sehr flehend und mitleidig klang, es war eine eher dunkle und männliche Stimme, wie von einem alten Mann. „Ich bin eine gefangene Seele, erlöse mich!“ Der junge Mann versuchte Ruhe und einen kühlen Kopf zu bewahren. Er versuchte klar zu analysieren, was hier vor sich ging. „Es gibt keine Geister, genauso wenig, wie es Zombies, Aliens oder den Yeti gibt!“ dachte er. „Wenn Du Stimmen hörst, wirst Du wahrscheinlich verrückt! Vielleicht ist hier unten irgendein Gas, dass Halluzinationen hervorruft oder es handelt sich um etwas Neurologisches...“ „Der Krug!“ sagte die Stimme „Der letzte Krug auf dem Steintisch... er...“ die Stimme schien schwächer zu werden, sie verblasste mit jedem Wort „Er ist gleichzeitig auch meine letzte Chance...“ und wurde wieder zu einem Flüstern. Jo widerstrebte es mit der Stimme zu reden und doch tat er es, so als wolle er einfach nur seine Ruhe haben. „Wieso? Was ist damit?“ Stille folgte. Selbst als Jo angestrengt die Ohren offen hielt hörte er nichts. Erleichtert seufzte er, wurde darin bestätigt, dass es sich nur um ein Hirngespinst gehandelt hatte und wandte sich wieder zu dem Loch in der Decke, durch das er gefallen war. „Trinke den Inhalt des Kruges und befreie mich damit!“ Jo erschrak – Nein, ihm blieb beinahe das Herz stehen, denn die Stimme war jetzt deutlicher als je zuvor. Nach wenigen Schrecksekunden schritt Joachim weiter auf den Lichtkegel aus der Decke zu, bis er nichts mehr hörte, weder seine eigenen Schritte, noch die mit dem Laufen verbundenen Geräusche der Kleidung. Es war nicht so, als würde man sich die Ohren zuhalten, denn selbst dann wäre noch dieses Rauschen und eine dumpfe Wahrnehmung, es war die absolute Abwesenheit jeglicher Klänge und Geräusche. Es war als wäre er von einem Moment auf den anderen Taub geworden, doch dann vernahm er wieder diese Stimme. „Befreie mich!“ sie war jetzt deutlicher als je zuvor und sie hatte nicht mehr diesen klagenden Ton, sie war jetzt aggressiver. „Nimm den Krug und trinke daraus!“ „Du bist keine gefangene Seele...“ Glaubte Jo zu flüstern, doch selbst seine eigene Stimme hörte er nicht. „Tu es!“ befahl das Etwas jetzt. Jo drehte sich zum Altar und leuchtete auf den Tonkrug. „Und was wenn nicht?!“ Er zweifelte die Fähigkeiten des Geisterwesen noch genauso an, wie er dessen bloße Existenz anzweifelte und bedrohen lassen wollte er sich schon gar nicht, doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen – jedenfalls glaubte er sie ausgesprochen zu haben, weil er noch immer nichts hörte – fühlte er, wie sich sein Gleichgewichtssinn verabschiedete. Jo geriet ins Wanken und stürzte schließlich hart auf den Boden. „Hier unten bin ich Herrscher und Gefangener zugleich, wenn meine Seele durch dich nach draußen gelangt, werde ich endlich meinen Frieden finden können.“ Erklärte die Stimme in ihrem Echo-Ton. Als die Worte verklangen herrschte wieder absolute Stille in Jos Kopf, er hatte sich aufsetzen können, aber für mehr war ihm noch viel zu schwindelig. Er sah den Krug mit wackelnder Taschenlampe an und überlegte, was wohl passieren würde, wenn er hier unten einfach liegen blieb. Seine Freunde würden womöglich hier herunter kommen und auch diesem Wesen zum Opfer fallen. Wenn er aber jetzt alleine etwas unternahm, würde er das Risiko allein auf sich nehmen. „Hey, Joachim! Bist Du noch da?“ Es war Mario, dessen Stimme er hörte. Jo hörte wieder! Selbst das Schwindelgefühl war weg. Hatte er sich das doch nur eingebildet? War er kurz weggetreten und bildete sich alles nur ein? Oder hatte ihn das Wesen freigegeben? Joachim leuchtete auf den verbleibenden Krug und dachte kurz nach. „Jo, Ralf und die Anderen sind hier, wir haben ein Seil und holen Dich jetzt da raus!“ rief Mario voller Zuversicht nach unten. „Nur einen kleinen Moment!“ rief Jo zurück. Er stand auf und bewegte sich auf den Steintisch zu, Jo hatte Angst ein weiteres mal die Kontrolle über seinen Körper durch dieses Wesen zu verlieren, richtete deshalb seinen Blick möglichst unauffällig zu allen Seiten und hoffte insgeheim es sehen zu können. Jetzt stand er vor dem Tongefäß und befürchtete eine falsche Entscheidung zu treffen. Er legte seine Taschenlampe auf die große Steinplatte, nahm den Krug in beide Hände und hob ihn an, er war viel leichter als Jo dachte. Joachim blickte im Gegenlicht in die schwarze Flüssigkeit, hob den Krug zu seinem Gesicht und sagte: „Du wolltest es so.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)