Spielzeug von life_is_melody ================================================================================ Kapitel 22: Stille ------------------ Wie spät war es? Er wusste es nicht und eigentlich, wenn er ganz ehrlich war, dann interessierte es ihn auch gar nicht. Es war ihm egal, alles war ihm egal. Stumm stand er am Fenster und sah hinaus, auf die Straße, sah den Menschen zu, wie sie dort herumstreunerten. Ein Schirm bot ihnen Schutz vor dem Regen. Wie war er überhaupt hier her gekommen, ans Fenster? Uruha konnte sich nicht daran erinnern aufgestanden zu sein, von wo auch immer. Aber er glaubte kaum, dass er schon ewig hier stand. Vor kurzem war er doch noch im Bandraum gewesen, hatte Kai rausgeschmissen, zusammen mit Reita. Eigentlich hatte er das nicht gewollt. Er hatte Reita nicht verlieren wollen. Reita war ihm ein guter Freund, ein genialer Bassist und Uruha schätzte ihn, mochte ihn sehr sogar. Doch Reita war nicht bereit gewesen sich von Kai zu trennen. Reita war dumm. Wie konnte er sich nur wieder auf Kai einlassen, wie konnte er ihm nur treu bleiben, zu ihm halten, wo Kai ihn doch nur benutzte, seine Lust, seinen Sextrieb an ihm gestillt hatte und wahrscheinlich wieder stillte. Uruha verstand Reita nicht. Wie konnte ihm Kai nur wichtiger sein als seine Freiheit. Denn nichts anderes war es für Uruha. Reita verlor seine Freiheit. Kai engte ihn ein, betrachtete ihn als sein Spielzeug, benutzte ihn wie er wollte und Reita nahm es hin, wollte es sogar mehr als die Band. Entweder Reita war krank oder einfach nur verrückt. Uruha hoffte, dass es keines von beiden war. Er hoffte so sehr, dass es irgendetwas anderes war, dass Reita an Kai hielt. Er hoffte, dass Reita nicht wirklich auf so einen Quatsch stand. Kurz, nur einen Augenblick lang, zu kurz, um ihn festzuhalten kam in Uruha der Gedanke auf, ob es nicht einfach nur Liebe war, die Reita so sehr an Kai hielt, die ihn an den Drummer band und einfach nicht losließ. Doch der Gedanke war so unscheinbar, so verrückt, zu einfach um wirklich wahrgenommen zu werden. Uruha machte sich Vorwürfe, immense Vorwürfe. Es war doch alles nur seine Schuld. Er hatte Kai in die Band aufgenommen und das, obwohl er gewusst hatte, was Kai mit seiner vorigen Band gemacht hatte, was er angestellt hatte. Er war wirklich dumm gewesen zu glauben, dass ein einfaches Versprechen von Kai Sicherheit gewährleisten würde. Wie dumm er doch gewesen war. Uruha hasste sich für diese Dummheit, hasste sich dafür, dass er alles soweit hatte kommen lassen. Er hasste sich dafür, dass er Kai so viel Vertrauen entgegen gebracht hatte. Er schämte sich außerdem, ihm eine Chance gegeben zu haben. Wenn er Kai nicht als neuen Drummer in die Band geholt hätte, wäre dann alles noch beim Alten gewesen? Uruha spürte einen leichten Druck an seiner Hand, spürte, wie ihn etwas vom Fenster wegzog, doch er nahm nicht wahr wer oder was das war. Es war nicht wichtig. Schwerfällig sank Uruha auf die Couch. Der Fernseher lief, doch Uruha konzentrierte sich nicht, konnte sich nicht konzentrieren. Er bekam nicht mit, was sich im Fernsehen abspielte und wollte es auch gar nicht wissen. Uruha hob die Füße auf die Couch, zog sie fest an sich, bettete den Kopf darauf und sah ins Nichts. Uruha hörte, wie jemand mit ihm sprach, hörte eine Stimme, doch er konnte sie nicht zuordnen, kannte sie nicht, wusste nicht von wem sie stammte und was gesagt wurde verstand er schon gar nicht. Es war alles nicht wichtig für ihn. Es schien weit weg zu sein, an einem ganz anderen Ort, nicht hier bei ihm. Bei Uruha waren einzig und allein seine eigenen Gedanken, seine Schuldgefühle, die an seiner Seele nagten, sie langsam zu zerfressen drohten. Es tat weh, doch es war niemand da, der diesen Schmerz lindern konnte. Uruha hatte ihn sich selbst zugeschrieben, das wusste er. Also musste er auch selbst damit fertig werden. Sein Gehirn spielte ihn immer und immer wieder vor, was im Bandraum passiert war. Immer und immer wieder sah er, wie Kai durch die Tür kam, wie Reita zu ihm hielt, ihn beschützte. Wieso? Wieso hatte er das getan? Wieso hatte Reita Kai, diesen Lügner, Betrüger, diesen Arsch…wieso hatte Reita ihn beschützt? Uruha vergrub seinen Kopf tiefer. Er wollte es nicht mehr, wollte das nicht mehr vor sich sehen. Er wollte vergessen, es abschließen, doch er konnte es nicht. Die Band war dabei zu zerbrechen und er war schuld daran. Ruki und Miyavi saßen irgendwo. Er war hier und Reita und Kai waren zusammen. Wo Aoi war wusste Uruha nicht und er hatte einfach keinen Nerv, keine Kraft dafür ich nun auch noch um ihn zu kümmern. Aoi würde das verstehen. Aoi würde schon klarkommen. Ganz bestimmt. Plötzlich spürte Uruha etwas an seinen Lippen. Wasser? Saft? Ja, es war Saft. Erst jetzt bemerkte Uruha, dass er höllischen Durst hatte. Wann hatte er denn das letzte Mal etwas getrunken? Uruha wusste es nicht. Gierig öffnete er die Lippen und trank den Saft. Uruha machte sich keine weiteren Gedanken darüber. Er dachte nur daran, dass sein Durst gestillt werden würde. Doch irgendwann gab es keinen Saft mehr, es war nichts mehr zu trinken da und Uruha gestand sich ein, dass er nicht mehr durstig war. Es reichte. Sofort bettete Uruha den Kopf wieder auf seine Knie. Er sah es noch vor sich, wie Aoi Kai das erste Mal mitgebracht hatte. Als alten Freund hatte er Kai vorgestellt. Uruha wusste, dass die beiden einst, für kurze Zeit zusammen in einer Band gespielt hatten, bevor Aoi ausgestiegen war, um zu ihnen zu kommen. Und dann hatten sich die Ereignisse überschlagen, wie jetzt auch. Yune war ausgestiegen und Kai hatte sich sofort Angeboten neuer Drummer zu werden. Wenigstens hatte Uruha bei seiner früheren Band nachgefragt, hatte erfahren, wer Kai war, dass er vorwiegend an sein eigenes Glück interessiert war und sich nicht um die anderen scherte. Sie hatten ihn gewarnt. Jeder von ihnen hatte ihn gewarnt, dass er es nicht zulassen sollte, dass sich jemand in Kai verliebte und doch…. Uruha spürte, wie ihm Tränen über die Wangen liefen. Passend zum Regen, kam ihm kurz der Gedanke. Schon spürte Uruha Wärme. Sie ging nicht von ihm aus, sondern von etwas anderem. Uruha spürte, dass er an diese Wärme gedrückt, gezogen wurde. Er genoss es, nur einen Augenblick lang gestattete er sich es zu genießen, sich einfach hinzugeben. Doch lange hielt es nicht an. Seine Gedanken beherrschten ihn. Ja, er hatte es zugelassen, dass Reita und Kai ein Paar wurden. Er hatte es zugelassen und das, obwohl er deutlich die Stimmen von Kais ehemaligen Bandmitgliedern gehört hatte, die ihn warnten. Doch das Glück hatte so perfekt geschienen. Kai und Reita. Sie waren perfekt gewesen, viel zu süß, viel zu passend, als dass etwas passieren konnte. Uruha hatte geglaubt, dass Reita Kai verändert hätte, dass sich alles geändert hätte. Und nun? Wieder hörte Uruha Worte, doch er achtete nicht darauf. Die Wärme verschwand. Weg. Entweder Uruha holte Kai zurück in die Band und ließ es zu, dass Reita und Kai so blieben wie sie waren. Ein Paar. Aber er glaubte nicht, dass er damit leben konnte. Allein wenn Uruha jetzt an all diese Augenblicke dachte, in denen Reita und Kai einfach als wunderbares Paar geschienen haben, dann begann er zu würgen. Es war schrecklich. Reita hatte gelitten, wer würde das nicht. Und doch hielt er sich so fest an Kai. Reita war Blind, blind vor Liebe und Uruha wusste nicht, was er tun sollte. So viel Verantwortung, so viel auf seinen Schultern. Uruha wollte es nicht. Am liebsten würde er fliehen, alles sein lassen und neu anfangen, doch…er konnte es nicht. Er konnte die Band nicht schon wieder im Stich lassen. Das wäre Verrat, dann wäre er wie Kai und das wollte er nicht. Das war das Letzte, das er wollte. Uruha erschrak als sein Handy zu klingeln begann. Es lag auf dem Tisch vor ihm. Zögerlich streckte Uruha die Hand aus, griff danach. Uruha sah nicht auf das Display. Er glaubte auch so zu wissen, wer es war. Es gab nur eine einzige Person, die ihn immer wieder anrief und das war Ruki. Deshalb hob Uruha ab und legte das Hand an sein Ohr. Sofort meldete sich eine Stimme, die nicht zu Ruki gehörte. „Reiß dich zusammen. Du bist wie die anderen, kümmerst dich nur um dich und erkennst das Leid der anderen nicht.“ Uruha öffnete den Mund, doch schon vernahm er das gleichmäßige Tuten. Er hatte aufgelegt, wer immer das auch gewesen war. Uruha wollte gerade nachsehen, wer es denn gewesen war, doch missmutig musste er feststellen, dass die Nummer unterdrückt wurde. Verdammt. Was bildete sich dieser Unbekannte eigentlich ein? Er erkannte das Leid der anderen nicht? Ja, er hatte Reitas Leid nicht erkannt, aber was sollte er schon groß dagegen tun. Alles, was in seiner Macht gestanden hatte, hatte er doch schon getan. „Uruha?“ Uruha sah auf. Aoi? Was tat er hier? Warum war er hier? Wann war er gekommen? „Ich hab dir ein Bad eingelassen, Uruha. Komm. Ich helf dir auch wieder beim Ausziehen. Ich kuck dir schon nichts ab.“ Aoi kam auf Uruha zu und nahm seine Hand, zog ihn auf. „Während du badest mache ich dir wieder ein Abendessen, okay? Na komm.“ Aoi wandte sich um und wollte Uruha mit sieh ziemlich, doch dieser wehrte sich, blieb stehen. Verwirrt wandte sich Aoi um, versuchte zu lächeln. „Was ist denn los?“ Aois Lächeln war falsch, das erkannte Uruha sofort. Aber wieso erst jetzt? Oder war es schon immer falsch gewesen und hatte er es nur nicht erkannt? Hatte der Anrufer überhaupt Reita gemeint, oder doch…Aoi? Aber wie wahrscheinlich war das? Wie wahrscheinlich war es, dass er tatsächlich Aoi gemeint hatte, dass er gewusst hatte, was hier geschah? Uruha öffnete den Mund, doch Aoi kam ihm zuvor. „Du musst nichts sagen Uruha. Wirklich nicht. Ich will dich zu nichts zwingen oder so. Denk nur ruhig weiter nach. Ich kümmere mich schon um dich.“ Er kümmert sich um ihn? Aoi kümmerte sich um Uruha? Ja, das tat er wirklich. Irgendwie wurde Uruha erst jetzt, mit einem Schlag, ganz plötzlich bewusst, was Aoi alles für ihn tat, getan hatte. Es war seine Hand gewesen, die ihm von Fenster weggezerrt hatte. Er war es gewesen, der ihm etwas zu Trinken gebracht hatte und er war es auch gewesen, der Uruha still umarmt hatte, als er geweint hatte. Bisher hatte er es einfach hingenommen, war viel zu sehr von seinen Gedanken eingenommen gewesen, um Aoi überhaupt richtig wahrzunehmen. Aber nun, nur dank diesem komischen Telefonanruf… Uruha sah Aoi an, dass er nicht glücklich war. Aoi war traurig, sehr traurig sogar. War es wegen der Band? Wahrscheinlich. Aoi liebte die Musik, dass wusste Uruha nur allzu gut. Aoi musste sich schrecklich fühlen. Doch so gerne Uruha ihm auch helfen wollte, mit ihm reden wollte, er konnte es nicht. Noch nicht jedenfalls. Noch musste er mit sich selbst, mit seinen Fehlern klar kommen. Noch konnte er nicht mit Aoi über dessen Probleme reden. Ganz einfach. Uruha interessierten sie nicht, nicht im Moment. Er sah, dass Aoi traurig war und es tat ihm auch weh, doch Uruha wusste, dass er zuerst das mit der Band in Ordnung bringen musste, dann war Aoi dran. „Alles okay bei dir, Uruha?“ Uruha erschrak aus seinen Gedanken. Aoi sollte das wohl öfter tun, ihn rausreißen aus seinen Gedanken, ihn zurückholen. Uruha seufzte nur schwer und nickte. „Danke, dass du dich um mich kümmerst. Ich…“ Und schon wurde Uruha stürmisch von Aoi umarmt. Doch Uruha hob die Arme nicht, erwiderte die Umarmung nicht. Er stand einfach nur da. Warum wurde er gerade umarmt? „Endlich hast du wieder gesprochen. Ich hab mir solche Sorgen gemacht, weil du schon seit einer Woche kein Wort mehr gesagt hast, mit niemandem, kein einziges Wort.“ „Wirklich?“ Uruha war das gar nicht aufgefallen. Hatte er wirklich nichts gesagt? War wirklich schon eine ganze Woche vergangen? Aoi löste die Umarmung ein wenig, sodass er Uruha ansehen konnte. Aoi grinste breit und glücklich. War das nur, weil Uruha gesprochen hatte? Wieso machte ihn das so glücklich? Er hatte doch nur gesprochen. „Du hast eine ganze Woche lang nichts gesprochen, Uruha. Wir alle haben uns Sorgen gemacht. Ruki ruft jeden Tag an, aber du hast auch mit ihm nicht gesprochen, hast ihm immer nur stumm zugehört. Ich hatte echt Angst um dich.“ Angst? „Wieso?“ „Wir sind doch Freunde. Ruki hat doch Miyavi und Reita hat Kai, mehr oder weniger. Aber du hast doch niemanden, der auf dich aufpasst.“ Uruha runzelte die Stirn. Jemand, der auf ihn aufpasst? So etwas brauchte er doch gar nicht. Er war ein erwachsener Mann, der gut auf sich selbst aufpassen konnte. Und doch musste er sich eingesehen, dass er froh war, dass Aoi da war, sich die letzte Woche um ihn gekümmert hatte. Wer wusste schon, was gewesen wäre, wenn Aoi nicht da gewesen wäre. „Komm, geh dich baden.“ Aoi zog Uruha ins Bad und Uruha ließ es zu. Seit wann war Aoi denn so fürsorglich? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)