Hintergrundrauschen von Memphis ================================================================================ Kapitel 24: Bose-Einstein Kondensat ----------------------------------- Wir hörten von unten Musik heraufdringen. Die Band hatte angefangen. Pascal seufzte und nahm etwas Abstand zu mir. „Ich denke, wir sollten wieder zu den anderen. Die vermissen uns sicher schon.“ Ich schaute ihn immer noch an wie ein Mondkalb. Wie, wo, was? Denken? Irgendwie fühlte ich mich, als wäre ich gedanklich noch nicht ganz da. Pascal lächelte mich an und wuschelte mir durch die Haare. Ich sah ihm etwas verpeilt nach, als er aufstand und zur Türe ging. „Komm, wir wollen doch nicht den Auftritt verpassen.“ Wollen wir nicht? Ich hätte hier noch eine Weile sitzen bleiben können, hier mit Pascal. Aber er schien das anders zu sehen. Das war jetzt aber nicht wieder eine Abfuhr, oder? Aber wie er so in der Tür stand und mich anlächelte, hatte ich nicht das Gefühl. Ich folgte ihm. Irgendwie war es komisch. Ich wusste nicht genau, was nun eigentlich passiert war. Naja, doch, eigentlich wusste ich schon was passiert war, aber ich wusste nicht, was das jetzt alles zu bedeuten hatte. Waren wir jetzt irgendwie zusammen? Oh Gott, allein der Gedanke macht mich völlig fertig. Ich mit einem Kerl zusammen? Anderseits war es Pascal. Wobei ich nicht sagen konnte, ob das viel änderte. Ich war nicht schwul, aber wenn ich etwas von einem Kerl wollte, war ich auch nicht mehr hetero. Klar, bi, vielleicht, aber das machte es nicht besser. Ob man jetzt bi war oder schwul, wenn man mit einem Typ zusammen war, dann war man trotzdem für alle eine Schwuchtel. Der Gedanke beunruhigte mich etwas, das musste ich ehrlich zu geben. Ich hatte keinen Bock Ziel von irgendwelchen Spott zu werden, immerhin war ich nicht schwul. Scheiße... Pascal streifte kurz meine Hand mit seiner, bevor wir das Wohnzimmer betraten und als sich unsere Blicke trafen, wusste ich, das er es irgendwie wert war. Ich lächelte ihn kurz unsicher an, war aber froh, dass er nicht auf weiteren Körperkontakt bestand. Das wäre zu viel gewesen. Ob er das wusste? Wahrscheinlich. Die laute Musik der Band umfing uns und wir befanden uns in einer tanzenden Menge. Die Stimmung war sogar noch besser, als im Club, auch wenn es weniger Leute waren. Pascal hatte sich seinen Weg nach vorne gebahnt und ich hätte ihn beinahe aus den Augen verloren. Allerdings hatte ich die Vermutung, dass man sich spätestens nach dem Auftritt wieder über den Weg laufen würde. Ich beschloss deshalb mir ein Bier zu holen. Ich hatte nicht vor mich total zu besaufen, aber ein bisschen was wollte ich auf jeden Fall trinken. Könnte mir auch ganz gut tun. Die Bierkästen standen in der Küche, wo sich auch einige Leute unterhielten. Aber ich kannte niemand davon, was die die meisten nicht davon abhielt mir zu zuprosten als ich die Flasche öffnete. Was für soziale Menschen. Ich lächelte kurz und ging dann wieder ins Wohnzimmer. Ich sah Tanja, die neben Pascal ganz vorne stand und begeistert bei der Band mitfieberte oder Martin anhimmelte, wie man das sehen wollte. Pascal drehte sich kurz um, er schien nach mir zu suchen. Ich winkte ihm zu und er lächelte. Das schien zu reichen. Wir mussten jetzt nicht nebeneinander stehen. Eigentlich war ich etwas froh über den Abstand, ich sollte nachdenken. Vernünftig nachdenken, soweit ich das konnte. Ich nahm einen Schluck Bier. Pascal mochte mich. Ich mochte ihn. Das war schon mal eine tolle Grundlage, irgendwie. Mochte ich Pascal mehr, als nur einen Freund? Ich dachte kurz darüber nach, aber doch, es war recht eindeutig, dass ich ihn mehr mochte. Ich wusste nicht genau warum, es könnte wirklich daran liegen, das er schwul war und das eine gewisse Anziehung ausmachte. Ich war etwas verwirrt. Etwas war eigentlich untertrieben, ich war völlig verwirrt. Aber das war wohl normal in meiner Situation, oder? Ich schaute zu Pascal, er wippte mit zum Takt und ich konnte nicht anders, als mich dumm verliebt zu fühlen. Und ehrlich, es hätte mich schlechter erwischen können, oder? Pascal war genau das, was mein Leben brauchte. Ich lehnte mich gegen die Wand hinter mir und verbrachte die Zeit damit, Pascal zu beobachten. Ich hätte natürlich auch zu ihm hingehen können, aber im Moment wollte ich ihn mir nur ansehen und sicher gehen, ob alles den richtigen Weg lief. Ich hatte aber ein gutes Gefühl. Es musste einfach passen. Ein paar Mal suchte er meinen Blick, um mich anzulächeln. Aber er verstand wohl, dass ich gerade meinen Abstand brauchte. Nur jetzt. Die Wand fühlte sich kühl in meinem Rücken an und es tat gut. Hier war es furchtbar heiß und stickig. Aber was konnte man auch erwarten, wenn man in einem geschlossenen Raum voller Menschen war. Wenn man sich die Leute anguckte, könnte man meinen, wir wären wieder im blueIN vor ein paar Wochen. Jonas hätte für diese Party Eintritt verlangen sollen, ich war mir sicher, dass die meisten welchen gezahlt hätten. Als die Musik langsam ausklang, johlte und tobte die Menge. „So, Leute, ihr hört erst wieder im neuen Jahr was von uns! Immerhin haben der Benno und der Niko ein geiles Feuerwerk vorbereitet und das wollen wir doch nicht verpassen, oder?“ Martin hatte mit einem Mikro in der Hand einfach eine krasse Ausstrahlung. Ich sah seinen Blick, wie er Tanja anstarrte, sie war nicht sein Beuteschema, schien es aber wert zu sein, darüber hinwegzusehen. War es bei Pascal und mir nicht genauso? Naja, zumindest ähnlich. „Komm, wir müssen uns gute Plätze für das Feuerwerk sichern.“ Pascal stand plötzlich neben mir und ich drehte mich leicht verpeilt zu ihm. Er war doch gerade noch bei Tanja gewesen, oder nicht? Ich ging ihm trotzdem nach, als er in den Garten verschwand, wo sich schon einige Leute angesammelt haben. Anscheinend wussten schon die meisten, wie hier die Party ablief. Soweit ich wusste, feierten die meisten hier schon seit Jahren ihren Rutsch in ein neues Jahr. Konnte ich auch verstehen, es war wirklich cool. Pascal und ich standen etwas weiter weg von den anderen, aber die Sicht auf den Himmel war frei. Aber man musste auch sagen, dass es schwer war bei einem Feuerwerk einen schlechten Platz zu erwischen. Man musste ja nur den Himmel sehen können. Es war etwas kalt und ich überlegte, ob ich mir wieder eine Kippe anzünden sollte. Allerdings mochte Pascal den Geruch von Rauch nicht und den Geschmack sicher noch weniger. Ich ließ es bleiben. Ich spürte Pascals Schulter an meiner. Er lehnte sich etwas gegen mich. Ich schaute zu ihm hoch und er lächelte mich an. Ich wandte den Blick ab, irgendwie hatte sich eine ungewohnte Schüchternheit bei mir breit gemacht. Aber es war angenehm, ihn so nah bei mir zu haben und mir war auch komischerweise etwas wärmer, als vorher. Man hörte weiter weg einen Kirchturmglocke läuten, es war zwölf. Zeitgleich wurden die Raketen gezündet. Die beiden Typen, die das machten, hatten echt was drauf, stellte ich fest. Als ich nach oben in den Himmel schaute. „Hey, frohes Neues!“ Pascal drückte mich fest an sich und gab mir einen kleinen Kuss auf die Stirn. Ich schaute ihn nur total verblödet an und lächelte debil. Ich hoffe, er verstand auch so, dass ich ihm ein schönes Jahr wünschte. „Hier seid ihr!“ Martin kam auf uns zu gestürmt und umarmte erstmal Pascal und dann mich, um uns so im neuen Jahr willkommen zu heißen. Danach fühlte ich mich eigentlich, als würde man mich von einer Umarmung zur nächsten weiter reichen. Ich kannte die meisten Leute nicht einmal, die mich da umarmten und mir lachend ein frohes Neues wünschten. Ich lächelte in der Regel etwas verpeilt und hielt immer wieder Ausschau nach Pascal, aber dem schien es nicht anders zu gehen. So war das wohl, wenn man einen großen Bekanntenkreis hatte. Anstoßen musste man dann natürlich auch noch mit allen. Was wäre Silvester ohne ekligen Sekt? Da wäre ja der ganze Spass weg. Wie auch immer. Wir torkelten irgendwann gegen fünf beschwipst ins Bett. Ich hatte keine Ahnung, ob jetzt tatsächlich alle einen Schlafplatz gefunden haben. Aber das war mir ziemlich egal, Martin schlief hier nicht im Bett, also war alles in Ordnung. Pascal legte sich zu mir und ich grinste ihn breit an. Die Party war tatsächlich besser gelaufen, als ich erwartet hätte. Viel besser. „Woah, ich bin so fertig...“, meinte er mit einem Seufzen und legte seinen Arm über sein Gesicht. Ich fühlte mich ehrlich gesagt auch etwas schläfrig. Ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass wir schon irgendwas nach Fünf hatten. Ich fand das war eine Zeit bei der man ohne Schimpf und Schande schlafen gehen konnte. „Schlaf gut, Donnie.“, murmelte Pascal noch und schaltete das Licht aus. Komischerweise fühlte ich mich jetzt weniger müde. Ich lag hier mit ihm im Bett und irgendwie, es sollte jetzt mehr laufen, konnte das sein? Ich mein, immerhin hatten wir uns geküsst. Vor einigen Stunden. Aber wir hatten uns geküsst und jetzt lagen wir hier im gleichen Bett. Ich merkte, wie ich unruhig wurde und immer wacher. So ein Mist. Schlief Pascal schon? Ich schaute zu ihm rüber. Er lag nach wie vor auf dem Rücken, also war er noch wach. Er schlief nie auf dem Rücken! Spätestens wenn er eingeschlafen war, drehte er sich auf die Seite oder dem Bauch. Erstaunlich, dass ich sowas wusste. „Donnie?“ Er drehte sich zu mir und berührte meine Wange mit seiner Hand. Ich musste schlucken, es war eine sehr vorsichtige Berührung, die mich einfach total verunsichert. Er strich mir über die Wange und hielt an meinem Hals inne. Die Matratze senkte sich etwas und er kam näher. Ich spürte kurz seine Lippen auf meinen, dann kuschelte er sich an meine Halsbeuge. Ich legte meine Arme um ihn und nun wusste ich, wie sich Pascal damals gefühlt hatte. Als ich aufwachte lagen Pascal und ich Rücken an Rücken, so wie wir immer aufwachten. Ich streckte mich und gähnte verschlafen. Der Wecker teilte mir mit, dass ich gerade mal fünf Stunden geschlafen hatte, dafür fühlte ich mich aber überraschend fit. Pascal hatte sich wieder in seine Decke eingewickelt und pennte noch immer friedlich. Ich beschloss mal ins Bad zu gehen und dafür zu sorgen, dass ich irgendwie wieder menschlich aussah. Als ich dann auf den kalten Fließen stand und mein Spiegelbild anschaute, kam mir das von gestern alles so unwirklich vor. Ich hatte Pascal tatsächlich geküsst und wir waren Arm in Arm eingeschlafen? Ich war aber irgendwie beruhigt, dass nicht mehr passiert war. Das klang vielleicht komisch, aber alles andere wäre zu viel gewesen. Ich konnte mich schon kaum an den Gedanken gewöhnen, dass ich von mir aus einen Kerl geküsst hatte. Auch wenn ich mir dann nicht mehr viel dachte, wenn Pascal bei mir war. Ich musste das echt noch mit mir ausmachen. Ich spuckte die Zahnpaste in das Waschbecken und wusch mir noch kurz das Gesicht. Meine Haare standen wild ab, aber das taten sie immer. Ich hatte irgendwann mal beschlossen, dass das einfach mein persönlicher Style war. Immerhin war es pflegeleicht. Ich schaute noch mal kurz bei Pascal ins Zimmer, aber er schlief immer noch wie ein Bär. Hatte ich etwa was anders erwartet? Von unten hörte ich aber schon Frühstückgeräusche. Wenigstens waren nicht alle in Pascals Familie Morgenmuffel. Ich ging nach unten und setzte mich zu Doro neben der komischerweise mal ein Platz frei war. Sonst war der große Familientisch voll besetzt mit fremden Jugendlichen, naja, außer Martin und Lars. Martin winkte mir begeistert zu, sah aber ziemlich fertig aus. Außerdem hielt er sich nur an einem Glas Wasser fest. Ha, er hatte einen Kater und ich nicht. Das munterte mich etwas auf. Lars starrte mich nur kurz missgelaunt auf. Da is jemand schlecht auf mich zu sprechen. Zurecht. Ich verkniff es mir, ihn frech anzugrinsen und schenkte mir stattdessen einen Kaffee ein. „Wo hast du denn den Pascal gelassen?“, fragte Doro verwundert. Anscheinend hatte sie mich jetzt erst bemerkt. Aber ihre tiefen Augenringe sahen so aus, als hätte sie heute noch gar nicht geschlafen. Also konnte ich das verzeihen. Ich zuckte nur kurz die Schulter auf ihre Frage. Wie sollte ich denn darauf antworten, wenn ich nicht schreiben wollte? Jonas setzte sich zu uns an den Tisch, anscheinend hatte ich ihm den Platz geklaut, aber er überging das einfach und hatte sich neben irgend einen Typ gesetzt. Manchmal hatte ich ja das Gefühl, dass mich Jonas nicht allzu sehr mochte. Ich konnte aber nicht genau sagen warum, aber solange er nicht fies wurde, war vermutlich alles in Ordnung. „Wir müssen übrigens nachher noch die Raketenreste einsammeln. Sonst macht der Bauer wieder Terz.“ Man sah die Begeisterung, die Jonas Aussage auslöste. Einige erhoben sich gleich vom Tisch und murmelten was davon, dass sie noch was zu tun hatten. Schon klar. Mist, wenn ich jemand hätte, der mich fahren würde, hätte ich mich sicher auch aus dem Staub gemacht. Draußen war es nämlich kalt, nass und matschig und das wir dabei über ein Feld stacksen mussten, machte es nicht besser. Ich beschloss mich mit einem weiteren Kaffee und einem Honigbrot mental darauf vorzubereiten. Nach meinem vierten Scheibe Brot tauchte auch tatsächlich mal Pascal auf, wobei man ihn nur mit viel Wohlwollen als wach bezeichnen konnte. Er hatte noch seine Schlafklamotten an, also ein altes T-Shirt und Boxershorts, und wirkte irgendwie überrascht, dass hier soviele Menschen waren. „Morgen, Leute.“, murmelte er dann aber und ließ sich einfach neben Martin auf der Bank nieder, neben mir saß ja noch immer Doro und irgend ein Mädchen, das mir nur vage bekannt vor kam. Ich beobachtete, wie er sich Tee einschenkte. Pascal trank keinen Kaffee, war ihm zu bitter. Selbst seinen Tee trank er nur dann, wenn er schon fast im Zucker ersoff. Zu dem Zucker mit Tee aß er ein Marmeladenbrot, das er Martin geklaut hatte. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass er im Moment dazu in der Lage war, sich selbst eines zu schmieren. Er kaute langsam auf seinem Brot herum und vermutlich hätte man ihm auch einen Schwamm in die Hand drücken können und er hätte es mit der gleichen Begeisterung gegessen. Mich faszinierte es immer wieder, dass man morgens so neben der Spur sein konnte. Pascal gähnte immer wieder mal zwischen ein paar Bissen. Es sah so aus, als würde er gleich im Sitzen einschlafen. Ich musste grinsen. Es war einfach herrlich ihn zu beobachten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)