Mosaik von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 27: Erleichtert ----------------------- Hallo Ihr Lieben :-)! Ich melde mich mit einem neuen Kapitel aus Davids Familie zurück. Eigentlich wollte ich noch viel mehr in dieses Kapitel packen, aber...leider bin ich nicht so der Typ fürs Kürzen. Daher müsst Ihr Euch mit dem, was es heute gibt, erstmal zufrieden geben^^. Vorsicht Spoiler: Hiermit kündige ich für das (bzw. eines der) nächsten Kapitel einen kleinen Lime zwischen David und Sascha an! Ich hoffe, das ist in eurem Sinne XD. Und jetzt viel Spaß beim Lesen :-). Liebste Grüße, Lung ____________________________________________________________________ Es war Montag. Früher Nachmittag. Der Zug ratterte leise, während er auf seinen Gleisen dahin glitt und sich an Bäumen, Kühen und Strommasten vorbei schlängelte. Der Himmel, der sich wie eine stumme Drohung über die herbstliche Landschaft spannte, war zur Abwechslung mal schiefergrau und trostlos. Die dicken Regenwolken hingen so dicht aneinander, als wollten sie die Sonne endgültig in ihrer flauschigen Nässe ertränken. Es war wirklich ein Wunder, dass es nicht aus Eimern schüttete. Aber vielleicht wartete der Himmel nur auf den richtigen Augenblick. Zum Beispiel darauf, dass ein glückliches und eben getrautes Pärchen – selbst Schuld, wenn es so dumm war, sich ausgerechnet im November das Ja-Wort zu geben – in sensibler Garderobe aus der nächsten Kirche trat. Oder darauf, dass irgendein Mädchen ihren untreuen, aber reuevollen Freund mit einer Ohrfeige in die Wüste schickte und anschließend weinend in einem Taxi davon fuhr, während er dem Auto verzweifelt rufend nachrannte. Oder darauf, dass David und Sascha aus dem Zug ausstiegen, Davids Mutter begegneten und sie auf der Stelle feststellte, dass sie Sascha nicht ausstehen konnte. Denn jeder wusste ja, dass der Regen unpassende Momente und Dramatik liebte. David wandte den Blick vom geduldig Ausschau haltenden Himmel ab und blickte zu Mr. Dramaqueen hinüber, der ihm gegenüber auf dem zerschlissenen Zugpolster saß und vollkommen regungslos aus dem Fenster starrte. Seit sie vor zehn Minuten in den Zug gestiegen waren, hatte Dings kein Wort mehr gesagt. Einzig seine rechte Hand, die auf seiner schmalen Reisetasche lag und deren Finger sich in regelmäßigen Abständen krümmten und streckten, bewiesen David, dass er noch lebte und in der Zwischenzeit nicht an Herzstillstand gestorben war. Aber darauf wartete David eigentlich schon seit Samstagabend. Da hatte Sascha nämlich eingewilligt, mit ihm nach Braunschweig zu fahren. Nachdem David sich bei Mark den Montag freigebettelt hatte und vorsichtig bei seiner Mutter angefragt hatte, ob es in Ordnung ginge, wenn er seinen...ähm...Kollegen...mitbringen würde. „Aber natürlich ist das in Ordnung!“, hatte seine Mutter am Telefon begeistert betont, während Marisa im Hintergrund vor Freude gejault hatte, „Wir freuen uns alle darauf, endlich einen deiner Freunde aus dem Zentrum kennen zu lernen.“ David hatte Dings diese erleichternde Familienbotschaft ausgerichtet, doch der hatte daraufhin nur ein Geräusch von sich gegeben, das dem Todesröcheln einer Waldohreule ähnelte. Was immer das zu bedeuten hatte. Seither hatte Sascha seine Zeit vor allen Dingen damit verbracht, angsterfüllt an seinen Fingernägeln zu kauen und sich lauter hirnrissige Szenarien auszudenken, die alle damit endeten, dass Davids Eltern ihn aus dem Haus jagten und ihm untersagten, je wieder ein Wort mit ihrem Sohn zu sprechen. „Sehr unwahrscheinlich...,“ hatte David immer wieder versichert – mit jedem Mal etwas weniger enthusiastisch. Gott, insgesamt hatte er bestimmt schon mindestens acht Stunden seines Lebens damit verschwendet, Dings beruhigende Monologe zu halten, die zu Davids Erleichterung letztendlich auch gewirkt hatten. Tatsächlich war Mr. Familienphobie heute Morgen recht zuversichtlich gewesen. Offenbar...war er das inzwischen nicht mehr. David seufzte innerlich, während er sein Gegenüber, dem die Aufregung wie eine Leuchtreklame im Gesicht stand, eingehend betrachtete. „Sascha...,“ zischte er dann leise, „Sascha...!“ Dings zuckte zusammen, als hätte David ihm mit aller Kraft gegen das Schienbein getreten. Flackernd richteten sich seine dunklen Panikaugen auf David, dessen Magen unwillkürlich einen Salto schlug. Doch er achtete nicht darauf. „Alles in Ordnung?“, fragte er leise. Sascha starrte ihn an. Dann zwang er sich zu einem Lächeln. „Klar...,“ antwortete er mit einer Stimme, die eindeutig ein wenig höher und zittriger klang als sonst. Sofort schwemmte eine Welle Wärme durch Davids Inneres und seine Muskeln bebten sehnsüchtig. Am Liebsten wäre er aufgestanden und hätte sich neben Sascha gesetzt, um ihn mit...anderen, sehr wirksamen Argumenten zu trösten. Doch diesmal befanden sich nicht nur eine Oma und ein Punk mit ihnen im Abteil, sondern auch noch zwölf andere Fahrgäste – unter anderem ein giggelndes Mädchentrio –, von denen David ungern angestarrt werden wollte. Also räusperte er sich und rutschte nur kurz auf seinem Platz hin und her, bis der Kussdrang halbwegs verschwunden und sein Mund wieder bereit war, auf der sprachlichen Ebene zu arbeiten. „Mach dir doch nicht solche Sorgen!“, flüsterte er dann, während Dings ihn leidend ansah, „Meine Familie wird dich lieben!“ Das hatte er auch schon so oft gesagt, dass es ihm langsam zum Halse raus hing. Doch er war sich nach wie vor sicher, dass es der Wahrheit entsprach. Außerdem schien es Sascha jedes Mal wieder etwas zu trösten und zu erleichtern. „Meinst du...?“, murmelte der auch gleich und klang dabei so hoffnungsvoll, dass David ein leises Lachen unterdrücken musste. „Ja, natürlich!“, erwiderte er dann nachdrücklich, konnte sich aber einen kleinen Nachtrag nicht verkneifen, „Solange du meine Mutter nicht aufforderst, dich Meister zu nennen.“ Den Rest der Fahrt verbrachte David damit, den Schaden zu beheben, den sein Scherz in Saschas Seelenfrieden ausgelöst hatte. Als sie schließlich gemeinsam mit ihrem Gepäck – diesmal ohne Cello – in Braunschweig ausstiegen, hatte sich Sascha wieder einigermaßen von dem Meister-Schock erholt. Trotzdem war er noch ziemlich blass um die Nase, sodass David ihm alle paar Sekunden einen besorgt-schuldbewussten Blick zu warf, während sie sich durch den Andrang auf dem Bahnsteig schoben und nach Frau Spandau Ausschau hielten. Und langsam wurde auch er nervös. Hoffentlich geht alles gut..., flehte alles in ihm, Hoffentlich passiert kein Unglück. Hoffentlich mögen sie ihn. Oh Gott! – Hoffentlich mag er sie! In diesem Moment erspähte er seine Mutter neben einem Snackautomaten, wo sie sich suchend umsah. Sein Herz sprang ihm in die Kehle. „Da ist sie!“, informierte er Dings aufgeregt, der prompt noch eine Nuance weißer wurde, riss den Arm hoch und winkte. Sein Herz bollerte gegen seine Rippen, als der Blick seiner Mutter dem seinen begegnete. Sie trug Jeans und bequeme Schuhe und hatte sich ihre blonden Locken, die sie lediglich an David und Marisa weiter vererbt hatte, am Hinterkopf hochgesteckt. Sie sah aus wie immer – und lächelte strahlend. „Hallo!“, rief sie glücklich und nahm David in die Arme, als hätte sie ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, „Wie schön, dich zu sehen, mein Schatz. Gute Fahrt gehabt?“ „Mhm, ja...,“ machte David und befreite sich leicht verlegen aus ihrer mütterlichen Umarmung, „Mam, das ist Sascha.“ Er griff wahllos hinter sich, ertastete Dings’ Jacke und zog ihn näher. Fast konnte er ihn durch den Stoff zittern spüren. Himmel, hoffentlich geht das gut... „Hallo...,“ sagte Mr. Was-Wenn-Sie-Mich-Nicht-Mögen?! mit einer Stimme, so schüchtern, wie David sie noch nie aus seinem Mund gehört hatte. Mit wild pochendem Herzen schaute David ihn an. Das erste Mal in seinem Leben hatte er Lust zu beten. „Hallo, Sascha!“, sagte seine Mutter freundlich und ergriff die Hand, die er ihr unsicher hinhielt, „Es freut mich sehr, dich kennen zu lernen! Nenn mich einfach Elisa, das tun alle.“ Sascha blinzelte und dann – zu Davids unheimlicher Erleichterung – verzogen sich auch seine Lippen zu einem freudigen, erleichterten Lächeln, in dem noch etwas Anderes zum Ausdruck kam als bloße Freude über die herzliche Begrüßung. Doch David erkannte es nicht. „Danke,“ antwortete Dings gerade und tatsächlich füllten sich seine Wangen wieder mit etwas Farbe, „Ich freue mich auch...,“ Und man konnte meilenweit sehen, dass er das vollkommen ernst meinte. Während der Autofahrt vom Bahnhof zum Sitz der Familie Spandau fing es dann schließlich an zu regnen. Dicke Tropfen prasselten auf Straßen, Dächer und Autos und verwandelten die Stadt innerhalb kürzester Zeit in einen flachen See. David sah aus dem Fenster und lauschte seiner Mutter, die verkündete, dass sie bereits eine zweite Matratze in Davids Zimmer gelegt hatten und hofften, dass Sascha damit einverstanden wäre, was – oh, Wunder – er natürlich war. Anschließend erzählte sie fröhlich, dass Felix nach wie vor keine Ahnung von ihrem Kommen hatte, obwohl Marisa deswegen schon das gesamte Wochenende ganz aus dem Häuschen war, und dass sich auch Julian für den späten Nachmittag angekündigt hatte. Mit jedem Wort, das sie sprach, wuchs Davids Mitleid für Sascha. Er hoffte inständig, dass sich der Regen ein anderes Drama ausgesucht hatte und kein böses Vorzeichen für das folgende Aufeinandertreffen von Dings und dem Rest seiner Familie war. Er drehte den Kopf und schaute Mr. Rainman an, der neben ihm auf der Rückbank saß und sehr konzentriert atmete. Trotzdem wirkte er dabei ein bisschen erleichterter als noch auf der Zugfahrt. Bei seinem Anblick vibrierte jede einzelne von Davids Körperzellen vor Zärtlichkeit. Sascha war so tapfer. Und er war so unheimlich süß. Scheiße! Hoffentlich ging alles– „Wie lange arbeitest du eigentlich schon im Zentrum, Sascha?“, fragte Elisa in diesem Moment, hielt an einer Ampel und blickte in den Rückspiegel. Dings zuckte leicht zusammen. „S...Seit Anfang Oktober.“ „Und, gefällt es dir?“ „Ja, sehr. Es...ist wirklich interessant. Aber auch anstrengend.“ David lächelte matt, versuchte seinen liebevollen Herzschlag zu ignorieren und wandte mit Mühe seinen Blick von Sascha ab, der sich mit seiner Mutter über die Wetterverhältnisse im November und die Arbeitsbedingungen im Zentrum zu unterhalten begann. Noch nie zuvor hatte er sich so sehr eine Fernbedienung für sein Leben gewünscht. Er könnte einfach auf Pause drücken, sodass die ganze Welt um ihn herum – Sascha ausgeschlossen – einfror und nichts mehr mitbekam. Dann würde er ihn in die Arme nehmen und küssen und küssen und küssen und...küssen. Bis Sascha sich keine Sorgen mehr machte und seine eigenen Lippen endlich aufhörten so scheußlich zu kribbeln. Es war tatsächlich schon wieder fast eine Stunde her, dass er Dings geküsst hatte. Das war zu lange. Viel zu lange. Eine Ewigkeit, wenn man sich ständig nah war, sich aber nicht so nah sein konnte, wie man eigentlich wollte, weil alles um einen herum voller gaffender Leute war! Verdammte Scheiße. Grimmig starrte David durch die Windschutzschreibe nach draußen in den Regen, während sich sein Magen händeringend um die eigene Achse drehte und sein Herz wimmernd pochte. Ob seine Mutter es merken würde, wenn er Sascha einfach ganz schnell küssen würde? Ganz kurz? Wenn sie gerade konzentriert nach vorne schaute und dabei eine komplizierte, lange Frage formulierte... Natürlich würde Dings dann kurz nicht antworten können, aber dann würden sie sich einfach kurz fassen müssen. Außerdem– Himmel! Welcher verfluchte Mistkerl hat eigentlich Rückspiegel erfunden?! Kam es ihm nur so vor oder sah seine Mutter da recht oft hinein? So, als würde sie ihn und Sascha... beobachten... Um Gottes Willen! Was hatte das zu bedeuten? Ahnte sie etwa was? Benahm er sich zu auffällig? David riss sich zusammen und schüttelte kurz und entschieden den Kopf. Nein, nein... Das konnte nicht sein. Unmöglich. Ganz ruhig, ganz ruhig... Atmen... Alles war in Ordnung. Alles war gut. Alles war unter Kontrolle... Nachdem Elisa das Auto schwungvoll in eine Parklücke gelenkt hatte, stiegen sie aus und liefen hastig durch den Regen auf das Haus zu, in dem David aufgewachsen war. Es war mit Efeu bewachsen und aus mehreren Fenstern fiel warmes Licht auf den ausgestorbenen, dunklen und von Pfützen übersäten Fußweg. David fand, dass es einnehmend freundlich wirkte und hoffte mit ganzem Herzen, dass es Sascha genauso ging. Sein Herz begann wieder heftig in seiner Brust zu pochen. Julian war zwar noch nicht da und auch Felix war, soweit er wusste, noch in der Schule, aber sein Vater und Marisa waren wohl zu Hause. Sein Vater würde wahrscheinlich kein besonders großes Problem darstellen, aber Marisa...bildete auf ihre eigene Art und Weise eine kleine Herausforderung. Er schluckte und verschlang seine Hände ineinander, während seine Mutter die Haustür aufschloss. Neben sich spürte er Sascha beben. Irgendetwas in ihm schlug ihm vor, Dings’ Hand zu nehmen und zu drücken, um ihm ein wenig von seiner Furcht zu nehmen. Doch sie waren noch immer nicht allein. Und so ließ David es bleiben. „Wir sind da!“, rief Davids Mutter, sobald sie die Tür hinter ihnen dreien geschlossen und die trockene Wärme des Hauses sie in Empfang genommen hatte. Aus dem Wohnzimmer antworteten prompt zwei verschiedene Stimmen. Eine eher tief und eine eher hell. Irgendetwas fiel zu Boden und einen Moment später hörte David die kleinen, hastigen Schritte, die nur von einer einzigen Person stammen konnten. „David, David! David!“, kreischte die helle Stimme – dann bog ihre Urheberin auch schon um die Ecke. Marisas blonde Locken umrahmten ihr Kindergesicht. Ihre Augen strahlten ihren Bruder an. Vor lauter Eile stolperte sie fast. David wollte schon die Arme ausbreiten, da fiel der Blick seiner Schwester auf seinen Begleiter und urplötzlich wechselte sie die Richtung. „Sascha! Sascha!“ Und noch bevor irgendwer – Dings allen voran – erstaunt die Augen aufreißen konnte, flog sie Mr. Oh-Gott-Ein-Kind-Fällt-Mich-An in die Arme, als hätte sie ihr ganzes Leben nur auf ihn gewartet. Völlig verdutzt fing der sie auf und erwiderte Davids fassungslosen Blick auf die gleiche Weise, während sie ihn wie ein lange vermisstes Spielzeug herzte. „Da bist du ja endlich!“, krähte sie ihm ins Ohr, „Ich warte schon das ganze Wochenende. Ich muss dir unbedingt mein Puppenhaus zeigen!“, sie ließ seinen Hals los, richtete sich etwas auf und strahlte ihm ins Gesicht wie eine gigantische Glühbirne, „Papa hat mir nämlich aus Streichholzschachteln Kinderbetten gebaut und sie angemalt und die sehen jetzt ganz, ganz schön aus. Und Mama hat mir eine kaputte Tasse geschenkt und jetzt können meine Puppen auch baden und...,“ David schaltete ab. Irgendwo hinter sich hörte er seine Mutter lachen und auch sein Mund verzog sich zu einem erleichterten Grinsen. Es war ein herrlicher Anblick: Marisa, die strahlend auf Saschas Arm saß und ihm dabei einen Monolog hielt, während sein Gesichtsausdruck ununterbrochen zwischen beeindruckter Belustigung und sprachloser Verblüffung schwankte. Offenbar war er noch nicht so vielen Kindern wie Marisa begegnet. David öffnete gerade den Mund, um a) Sascha zu retten und b) seine Schwester dezent darauf hinzuweisen, dass er auch noch da war, als sein lächelnder Vater in seinem Blickfeld auftauchte und ihn davon abhielt. „David!“, unterbrach er den Puppensermon seiner Tochter und schenkte David eine feste, männliche Umarmung, „Auch mal wieder im Lande?“ David grinste verlegen gegen seine Schulter. Doch bevor er sich einen Grund zurecht gelegt hatte, weshalb er erst nach über einem Monat wieder zu Hause auftauchte, löste sich sein Vater wieder von ihm und wandte sich Dings zu, der Marisa in der Zwischenzeit zurück auf den Boden gesetzt hatte und nun abermals etwas nervös aussah. „Sascha,“ sagte Davids Vater lächelnd und schüttelte ihm die Hand, „Ich bin Volker. Schön, dass wir endlich mal einen Kollegen von David kennen lernen.“ David sah gerade noch rechtzeitig hin, um das plötzliche Flackern zu sehen, dass bei diesen letzten Worten seines Vaters über Saschas Gesicht huschte. Es war kein richtiges Mienenspiel, eher ein blasser, leiser Schatten eines Ausdrucks, der innerhalb eines Herzschlags wieder verschwand und sofort durch ein erleichtertes Lächeln ersetzt wurde. Eine Sekunde später war David sich schon sicher, dass er es sich nur eingebildet hatte. „Vielen Dank,“ lächelte Dings, während David versuchte, mit seiner Schwester Augenkontakt aufzubauen, den sie ihm aber beharrlich verweigerte, „Es ist wirklich nett, dass ich mitkommen durfte. Ich hoffe nur, das Geburtstagskind hat nichts dagegen.“ „Ach, bestimmt nicht,“ antwortete Volker munter und schenkte seiner Frau, die inzwischen Jacke und Straßenschuhe ausgezogen hatte und sich nun elegant an ihm vorbei Richtung Wohnzimmer schob, ein liebevolles Lächeln, „Der wird sich, sobald er von der Schule kommt, auf sein neues Playstationspiel stürzen und nichts Anderes um sich herum wahrnehmen.“ David hob den Kopf. „Was für ein Spiel?“, fragte er seinen Vater. Der seufzte und zuckte die Schultern. „Keine Ahnung wie es heißt. Irgendwas mit Autorennen. Julian hat es geschickt und er–,“ „Kann ich Sascha jetzt mein Puppenhaus zeigen?!“, schnitt Marisa ihrem Vater das Wort ab und zog eine Schnute, „Er möchte es jetzt endlich sehen!“ Dings’ Gesicht zuckte amüsiert. „Lass den Armen doch erst mal ankommen,“ antwortete Volker, bevor Sascha sich selbst ins Unglück reiten konnte. „Er ist doch schon angekommen!“, maulte Marisa und verschränkte ihre Arme. „Er hat aber immer noch Schuhe und Jacke an,“ entgegnete David und machte sich daran, seinen Reißverschluss zu öffnen, „Außerdem möchte er zuerst mein Zimm–,“ „Mit dir rede ich gar nicht!“, verkündete Marisa laut und sah ihn so böse an, dass David unwillkürlich einen Schritt rückwärts machte. „Wieso nicht?“ „Du warst gemein zu mir! Am Telefon!“ David unterdrückte ein entnervtes Stöhnen. Also daher wehte der Wind. Tja. Im Gegensatz zu anderen Kindern in ihrem Alter konnte seine Schwester eben sehr nachtragend sein. Er wusste das und wäre er allein mit ihr gewesen, würde er sich jetzt eventuell demütigen, indem er sie um Verzeihung anflehte und ihr hoch und heilig versprach, es nie wieder zu tun. Doch heute stand Sascha neben ihm. Sascha, vor dem er ungern eingestehen wollte, wie vernarrt er in seiner Schwester war. Sascha, der – oh Gott, er konnte es kaum glauben! – tatsächlich bei ihm zu Hause war. Sascha, der mit diesem schüchternen Lächeln und dem vom Regen feuchten Haar einfach hinreißend aussah und nach dem er sich seit Anfang ihrer Zugreise körperlich sehnte. „Ich war nicht gemein, ich war nur...,“ er suchte nach Worten, „...in Eile...,“ „Gar nicht...!“, plärrte Marisa und ballte ihre Fäustchen, „Du wolltest nur–,“ „Marisa, Schätzchen!“, rief Davids Mutter in diesem Moment aus der Küche, „Felix’ Torte ist fertig. Wolltest du sie nicht probieren?“ Einen Moment sah Marisa aus, als würde sie herzlich gern auf die Torte verzichten, wenn sie ihren Bruder dafür nur noch ein bisschen weiter anschreien durfte. Dann drehte sie sich jedoch um und rannte ohne ein weiteres Wort zu ihrer Mutter in die Küche. David ächzte erleichtert. Er konnte sich leibhaftig vorstellen, was das kleine Monster ihm alles an den Kopf geworfen hätte. Dinge, die Sascha und vor allem sein Vater nicht unbedingt wissen mussten. Auf keinen Fall wissen mussten. Trotzdem – der erste Teil des Hindernislaufs war damit erfolgreich bewältigt. Blieben noch seine Brüder, wobei Felix vermutlich der kompliziertere von beiden war. Sobald Sascha den geschafft hatte, würde Julian ein Klacks sein. Volker zwinkerte David zu. „Glück gehabt,“ sagte er und schmunzelte, „Fürs Erste bist du noch mal um ihr Puppenhaus herum gekommen, Sascha.“ „Oh, das wäre kein Problem gewesen,“ antwortete Mr. Puppenfreund treuherzig, „Ich habe–,“ Aber David ließ ihn nicht ausreden. „Und was für ein Problem das gewesen wäre, glaub mir,“ brummte er und zog sich hastig die Jacke aus, „Komm, ich zeige dir mein Zimmer und den Rest des Hauses. Bevor Marisa genug Torte probiert hat...,“ Offen gestanden ging es David weniger um die Hausbesichtigung als darum, so schnell wie möglich einen leeren Raum zu finden, in dem er seines Amtes walten konnte. Die Wahl fiel auf das erstbeste Zimmer, an dem sie vorbei kamen. „Also, das ist das Arbeitszimmer meiner Mam,“ eröffnete David seinem Besuch und zog ihn am Pullover hinter sich her, „Hier sitzt sie und korrigiert.“ Sobald Sascha den Raum ebenfalls betreten hatte und sich umzusehen begann, schloss David hastig, aber bemüht lautlos die Tür. „So viele Bücher...!“, hörte er Dings beeindruckt sagen, „Das müssen an die dr–,“ David erfuhr nie, wie viele Bücher seine Mutter wohl in ihren Regalen stehen hatte. Er konnte einfach nicht mehr warten, bis Sascha seine Schätzung ausgesprochen hatte. Er nahm ihn an den Hüften, drückte ihn rücklings an das nächste freie Stückchen Wand – direkt neben der Tür, beim Lichtschalter –, stemmte sich hoch so gut er konnte und küsste Mr. Bücherwurm stürmisch und glückselig auf den Mund. Einen Moment war Sascha wohl zu perplex, um sich zu bewegen oder den Kuss zu erwidern. Einen Moment. Dann fühlte David den Stromstoß, der durch seinen Körper hindurch zu gehen schien, und Dings zog ihn so heftig an sich, dass ihm die Luft wegblieb. Davids Herz überschlug sich beinahe vor Begeisterung und irgendwo in seinem Unterleib entzündete sich eine kribbelnde Flamme, die sich in alle Ecken seines Körpers ausbreitete. Erregt seufzte er in den wilden Kuss hinein und seine Hände schoben sich gierig unter Saschas Pullover und T-Shirt, legten sich verzückt auf die warme, glatte Haut des muskulösen Rückens, während Sascha die Finger in seinen Locken vergrub. Nach fünf brennenden Minuten lösten sie den Kuss schließlich und lehnten sich haltsuchend aneinander, bis sich ihr Atem normalisiert hatte. „Tut...mir...Leid, dass...ich dich...so überfallen hab...,“ keuchte David leise und legte seine Stirn an Saschas warme Brust, während sich seine Gedanken kopf- und hirnlos im Kreis drehten und Dings’ Haut noch unter seinen Fingern glühte. „Macht mir...gar nix...,“ japste Mr. Attackenopfer ebenso leise zurück und streichelte David liebevoll übers Haar, „Ich habe...sowieso...nur auf den richtigen Moment gewartet...,“ David lachte leise gegen Dings’ Schlüsselbein. „Vollidiot...,“ raunte David zärtlich und sein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Mit Mühe zog er seine Hände und einen Teil seiner Arme unter Saschas Klamottenschichten hervor und wischte sich einmal über den Mund. Jetzt galt es vorsichtig zu sein. Vorsichtig und vorausschauend. Niemand durfte sehen, wie sie zu zweit und leicht verplant aussehend aus dem Arbeitszimmer von Davids Mutter kamen, dessen Tür noch dazu geschlossen gewesen war. Vor allem nicht Marisa. Die brachte es fertig, diesem Umstand durchs ganze Haus zu brüllen. Und darauf konnte David sehr gut verzichten. David wandte sich eben ab, um zur Tür zu schleichen und durchs Schlüsselloch zu äugen, als Sascha nach seinem Arm griff. David wandte sich zu ihm um. „Was ist?“, fragte er leicht gehetzt, „Wir müssen aus dem Zimmer raus. Sonst–,“ „David?“, schnitt Dings ihm das Wort ab. David sah ihn an und sein Herz begann wieder schneller zu klopfen. Irgendetwas an Saschas Stimme und seiner Miene verunsicherten ihn. „Ja...?“ „Deine...Eltern... Also, deine Familie...,“ er holte einmal tief Luft und David musste unvermittelt schlucken, „Deine Familie...weiß nicht, dass wir beide z...mehr als nur...Kollegen sind. Oder...?“ David starrte ihn an, während sein Magen sich verkrampfte. „Nein!“, stieß er dann entsetzt hervor, „Natürlich nicht!“ Dings schwieg und einen Augenblick lang war sein Gesicht so ausdruckslos, dass David beim besten Willen nicht erahnen konnte, wie ihm zumute war. Dann lächelte er. „Okay...,“ David war so erleichtert, dass er nicht weiter auf Saschas Stimme und sein Lächeln achtete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)