Mosaik von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Nackt ---------------- David saß in der Zivi-Küche auf der Bank am Esstisch, rührte in seiner zweiten Tasse Kaffee und gähnte. Es war fünf nach acht und außerdem Montag. Kein gutes Omen. Er und Miriam hatten am vergangenen Abend noch bis halb zwölf sein neues Zimmer ausgeräumt, gesäubert, mit Zeitung ausgelegt und fröhlich gelb gestrichen. Die FÖJlerin hatte in ihrer eigenen Wohnung unterm Dach noch hellblaue Vorhänge für ihn gefunden und nun sah sein neues Zimmer gar nicht schlecht aus. Nur die Einrichtung ließ noch etwas zu wünschen übrig, da sie zum Schluss alles nur noch blindlings hineingestellt hatten, um schnell in die Federn zu kommen. Heute Abend würde er seine Möbel solange hin und her rücken, bis alles hinein passte und halbwegs wohnlich wirkte. Den neuen Zivi, von dem er noch immer nicht den Namen kannte, hatte er an diesem Abend zum Glück nicht mehr gesehen. Besser so, vielleicht hätte er ihn sonst niedergeschlagen. Inzwischen war seine Wut weitesgehend verraucht. Vielleicht hatten er und Mr. Obercool ja nur einen schlechten Start gehabt. Vermutlich war er gar nicht so übel. Außer David waren Freddy und Sebastian schon da. Sebastian, wie Eric ein ehrenamtlicher Mitarbeiter, saß neben David und las die Bildzeitung, die Heiko wie jeden Morgen mitgebracht hatte. Sein Cap verdeckte sein kurzes schwarzes Haar, an seinem linken Ohr baumelte ein goldener Ring. Freddy lehnte am geöffneten Fenster, das zum Parkplatz hinaus führte, und rauchte schweigend. Auf der Fensterbank standen ein Aschenbecher und seine Kaffeetasse. In diesem Moment klingelte es an der Tür, die in den Hof führte. „Ich geh schon...,“ murmelte David, stemmte sich vom Tisch hoch und schlurfte durch den Flur, an der kleinen Küchenzeile und der Tür zum Zivi-Bad vorbei, um zu öffnen. Es war Linda und sie strahlte, wie jeden Morgen. „Hallo!“, flötete sie gut gelaunt. „Morgen...,“ brummte David und schloss die Tür hinter ihr wieder. „Wasn mit dir los?“, fragte Linda verwundert, „Wenig Schlaf gehabt?“ „Das kannste laut sagen...,“ er gähnte ein weiteres Mal, während sie hintereinander zurück in die Zivi-Küche gingen und er auf ihren kastanienbraunen Pferdeschwanz blickte, der ihren Nacken streichelte, „Bin erst nach halb eins ins Bett gekommen.“ „Oh, dann versteh ich das. Guten Morgen!“ „Morgen, Kleine,“ Sebastian wandte sogar den Blick von der Zeitung ab, um ihr strahlendes Lächeln zu erwidern. „Morgen,“ knurrte Freddy, allerdings nicht unfreundlich. „Schönes Wochenende gehabt?“, erkundigte sich Linda und ließ sich auf das kleine Sofa fallen, das dem Esstisch gegenüber an der Wand stand. „Joa, war ganz schön,“ lächelte Sebastian. „Mhmpf...,“ machte Freddy. An der Tür zum Hof klackerte es und kurz darauf flog sie auf. Mit ein paar großen Schritten hatte Heiko den Flur durchquert. „Guten Morgen, Heiko!“, trällerte Linda. „Halt die Schnauze!“, erwiderte Heiko schlicht und stürmte an dem Esstisch vorbei, durch die Tür, die links in den Seminarraum und von da über eine kurze Treppe zu den Büroräumen führte. „Gute Laune wie immer,“ kommentierte Linda diese Beleidigung und grinste. „So kennen und lieben wir ihn...,“ schmunzelte David. „Habt ihr den neuen Zivi schon kennen gelernt?“, fragte die Praktikantin arglos an die drei Jungs gewandt. Sebastian schüttelte den Kopf, Freddy grinste schief und David schnaubte. „Aha,“ machte Linda, „Soll heißen?“ „David hat ihn schon von seiner liebenswertesten Seite kennen gelernt,“ frotzelte Freddy. Linda wandte sich wieder an David. „Ach ja? Was hat er getan?“ In kurzen Sätzen berichtete David ihr von dem erzwungenen Zimmertausch und der Dreistigkeit, mit der ihn der Neue behandelt hatte. „Nicht ernsthaft?“, Linda starrte ihn fassungslos an, „Was ist denn das für nen Scheißverhalten? Und Bettina hat das zugelassen?“, ungläubig schüttelte sie den Kopf, „Das ist echt voll mies. Hast du denn alles geschafft? Wenn nicht, kann ich heute gern etwas länger bleiben und dir noch helfen.“ „Lieb von dir, aber den Rest schaff ich wohl allein. Danke.“ Er lächelte. Heiko kam die Treppe zu den Büroräumen wieder hinunter getrampelt, knallte die Tür hinter sich zu und warf sich auf einen der beiden Stühle am Tisch, seinen erklärten Privatstuhl. Er war groß und schlank, Mitte Vierzig und hatte für einen Mann auffällig lange Wimpern. „Gibt’s noch Kaffee?“, raunzte er und schnappte sich seine Tasse, die immer auf dem Radio neben ihm stand und nie ausgewaschen werden durfte. „Nimm dir...,“ erwiderte David, der wieder neben Sebastian Platz genommen hatte und an seinem eigenen Kaffee nippte. „Was ist los, Lockenkopf?“, wollte Heiko von ihm wissen, während er die Kaffeekanne packte und sich Kaffee in die Tasse schüttete, „Du siehst ja noch beschissener aus als sonst.“ „Die Nacht war kurz,“ entgegnete David. „Der neue Zivi hat ihn gezwungen, in eins der beiden Zimmer rechts umzuziehen,“ erklärte Sebastian und klatschte die Bildzeitung auf die Tischplatte, „Ihm waren sie zu klein.“ „Dieser geleckte Hanswurst?“, Heiko zog die Zuckertüte zu sich und löffelte sich mehrmals mit seinem nassen Kaffeelöffel Zucker in die Tasse, „Ist das nicht der Neffe von Miss Finster?“ „Ja, genau, deshalb kann er sich so was auch erlauben...,“ murrte David. „Mach dir nix draus, Lockenkopf. Hast du denn alles für dein neues Zimmer?“, erkundigte sich Heiko und zog sich die schwarze Mütze, die er immer trug, tiefer in die Stirn, „Sonst besorg ich dir noch was. Ich muss heute Nachmittag eh zum Baumarkt.“ „Nein danke, Heiko. Ich habe alles, was ich brauche.“ Das war typisch für den zweiten Tierpfleger. In einer Sekunde war er beleidigend und unfreundlich, in der nächsten fürsorglich und sanft. Es klingelte wieder an der Tür. Diesmal ging Linda die Tür öffnen und kam mit Eric zurück, dem großen, breiten und bebrillten Reptilienfreund. „Morgen,“ sagte er lächelnd. „Morgen,“ machten die Anderen im Chor. Um fünf vor halb neun rauschte Bettina Eschebach – auch Miss Finster genannt – das erste Mal durch die Zivi-Küche durch. Sie grüßte ihre versammelten Mitarbeiter und verschwand anschließend Richtung Tierbetrieb, um nach dem Rechten zu sehen. Ein paar Minuten später war sie auch schon wieder da und stellte sich in der Mitte der Küche auf, sodass sie alle im Blick hatte. „So, dann kann’s ja losgehen,“ sie warf einen Blick auf ihre Uhr, „Sind denn alle da?“ „Miriam und Jessika haben frei,“ sagte Linda vom Sofa. „Ben auch,“ fügte David hinzu, „Der hat ja ab heute Nachtschicht.“ „Richtig, also–,“ „Der Neue fehlt noch,“ bemerkte Linda. Alle Gesichter wandten sich ihr zu. „Was?“, fragte sie treuherzig, „Heute ist doch sein erster Arbeitstag, oder nicht?“ „Richtig,“ erwiderte Bettina, „Er verspätet sich. David, geh bitte nach oben und hole ihn, ja? Wir warten solange.“ David starrte seine Chefin an. Das war ja wieder klar. Ausgerechnet er musste jetzt hoch laufen und Mr. Obercool holen, nur weil der zu unterbelichtet war, um simple Arbeitszeiten einzuhalten. Einen Moment wollte er sich weigern. Doch der Chefin widersprach man nicht, nicht als Zivi. Also nickte er und erhob sich von der Bank. „Sicher, bin gleich zurück.“ Er verließ die Küche, trottete durch den Flur und hinter der Hoftür die Treppe hoch, die zu den Zivi-Räumen führte. Am Treppenabsatz wandte er sich nach links, zu seinem Ex-Zimmer, seufzte einmal und klopfte an die geschlossene Tür. „Hey...,“ rief er und zögerte – er wusste seinen Namen ja immer noch nicht, „Dings! Es ist halb neun, wir wollen anfangen, nur du fehlst noch.“ Er wartete. Pennte der Kerl etwa noch? Da hörte er Geräusche hinter der Tür und trat zurück. Einen Moment später wurde sie von innen geöffnet. „Guten Mor–,“ Weiter kam er nicht. Dings stand vor ihm. Breit grinsend und vollkommen nackt. „Hi, David,“ sagte er und lehnte sich an den Türrahmen, als wäre es das Normalste der Welt einem Kollegen nackt die Tür zu öffnen, „Was kann ich für dich tun?“ „Äh...du...ich...,“ David wusste nicht, was er sagen wollte. Sein Magen drehte einen wilden Salto und seine Augen zuckten wie selbstständige Wesen über den bloßen Körper seines Gegenübers. Mr. Obercool war schlank, muskulös und er hatte breite Schultern und eine schmale Taille. Sein bestes Stück ließ keine Wünsche offen. Reiß dich zusammen und starr ihn nicht an wie ein Vollidiot!, blaffte er sich in Gedanken an. „Ich...würde sagen, du ziehst dich an und kommst runter,“ erklärte David und schaffte es glücklicherweise, seine Stimme gelassen und unbeeindruckt klingen zu lassen, „Wir warten alle auf dich.“ „Oh, tatsächlich?“, Dings tat überrascht, doch sein Schmunzeln wuchs weiter, unverwandt beobachtete er David, „Dann sollte ich mich wohl wirklich anziehen, was? Möchtest du mir nicht dabei helfen?“ David starrte ihn an. Sein Herz raste. Wie bitte? Hatte er das gerade wirklich gefragt? Das konnte doch nur ein saudummer Witz sein! In seinem Magen begann es zu brodeln. Dieser Typ hatte doch nicht mehr alle Tassen im Schrank! „Nein, danke!“, fauchte er , „Du bist Zivi, du solltest das inzwischen allein können! Ich geh runter, komm nach, wenn du fertig bist!“ Dann drehte er sich auf dem Absatz um und polterte die Treppe hinunter, ohne sich noch mal umzudrehen. Dieser Kerl war doch wahnsinnig! Beim Anziehen helfen... Unfassbar! „Er kommt gleich,“ informierte er die Anderen, sobald er zurück in der Zivi-Küche angekommen war und ließ sich neben Linda aufs Sofa fallen. Sein Gesicht schien zu glühen und er fächelte sich etwas Luft zu. „Gut, dann fangen wir schon mal an,“ bestimmte Bettina und sah in die Runde, „Wer möchte was machen?“ Einige Sekunden herrschte Schweigen. „Ich geh raus,“ sagte David dann. Frische Luft würde ihm gut tun. Außerdem war es draußen am unwahrscheinlichsten gewissen Zivis über den Weg zu laufen... „In Ordnung,“ willigte die Chefin ein, „Denk daran, dass Franziska nur noch sechs Küken kriegt.“ David nickte und lehnte sich im Sofa zurück. „Weiter?“, fragte Bettina. „Ich mach vorne,“ sagte Freddy rau. „Gut. Dann kannst du gleich mit den Mäusen anfangen. Futterküche und Quarantäne hat Phillip soweit fertig.“ „Okay,“ brummte Freddy. „Ich schau mir gleich erst mal die neue Schleiereule in der Quarantäne an,“ erklärte Heiko. Miss Finster nickte nur. „Papageien?“ „Kann ich machen,“ bot Sebastian an. „Soll ich dann die Schildkröten übernehmen?“, erkundigte sich Linda. „Okay,“ nickte Bettina und Linda und Sebastian lächelten sich zu. Dann wandte die Chefin sich an Eric, „Rep.-Raum?“ „Ja...,“ In diesem Augenblick erklangen Schritte auf der Treppe und im Flur und dann stand er im Eingang der Zivi-Küche: Mr. Hilf-Mir-Beim-Anziehen. Davids Gesicht verfinsterte sich. Der Kerl trug tatsächlich ein hellblaues Tommy Hilfiger Shirt, eine brandneue Jeans und die teuersten Pumaschuhe, die es im Moment zu kaufen gab. Seine Sonnenbrille saß auf seinem hochgegelten, dunklen Haar. So wollte er doch nicht in den Tierbetrieb? Da hätte er lieber nackt bleiben sollen... „Morgen zusammen!“, tönte der Neue fröhlich und sah in die Runde. „Morgen...,“ kam die zögerliche Antwort. „Schön, dass du jetzt auch zu uns gefunden hast,“ erwiderte Bettina und David freute sich, leichten Unmut in ihrer Stimme zu hören, „Normalerweise treffen wir uns pünktlich um halb neun. Ich würde dich bitten, dich ab jetzt nicht mehr zu verspäten.“ „Ich tu mein Bestes!“, entgegnete der Neue und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, dann wandte er sich an seine Kollegen, „Ich heiße Sascha Locon und freue mich darauf, euch alle kennen zu lernen.“ Sie starrten ihn an, nur Linda erwiderte freundlich sein Lächeln. David verkniff sich ein Schnauben. „Okay, Sascha,“ ergriff wieder Bettina das Wort, „Wo möchtest du am liebsten zuerst mitgehen?“ „Am liebsten...,“ antwortete Sascha und seine Augen richteten sich verschmitzt auf David, „Am liebsten würde ich mit David mitgehen.“ Stille trat ein. Davids Inneres versteinerte vor Entsetzen. Wie bitte? Nein, das konnte doch nicht sein Ernst sein! Bitte nicht! „Gut...,“ sagte Bettina langsam und David wandte ihr voller Verzweiflung sein Gesicht zu, „Dann gehst du mit David nach draußen.“ „Aber...,“ krächzte der Angesprochene. „Du kannst draußen Hilfe gebrauchen,“ schnitt Bettina ihm das Wort ab, „Zeig ihm alles, damit er sich möglichst schnell allein zurecht findet. Dann hätten wir ja alles. Gudi.“ Die Mitarbeiter erhoben sich stühlerückend. Alle, außer David. Er saß auf dem Sofa und starrte fassungslos zu Mr. Ich-Will-Mit-David-Mitgehen hinüber. Der grinste breit und zwinkerte ihm zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)