Laäros - Die Stadt der Türme von Oile ================================================================================ Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Kapitel 4 Evangelos: Ein stürmisches Klopfen vermischt mit erschöpftem Keuchen drang durch die Stille des Turmes. Evangelos hieb auf die Tür ein, als wäre der Teufel hinter ihm her. Er war in die Schule eingebrochen und hatte das Lehrerzimmer komplett auf den Kopf gestellt, nur um herauszukriegen, wo Noah wohnte. Als er schließlich den Turm inklusive Wohnungsnummer herausgefunden hatte, war er sofort dorthin gestürmt, um sich möglichst viel Zeit zu verschaffen. Die Tür öffnete sich so plötzlich, dass der Braunhaarige glatt hineinstolperte. Anstatt jedoch hinzufallen, stieß er gegen etwas großes, weiches. „Evangelos, was machst du hier um diese Zeit?“, fragte ein etwas erstaunt wirkender Noah. Er trug einen grau karierten Pyjama und blickte den Jungen vor ihm verschlafen an. Evangelos, der sich mittlerweile wieder gefangen hatte, zwängte sich einfach an ihm vorbei in die Wohnung. Sie war recht karg ausgestattet. Das Wohnzimmer, in dem er sich jetzt befand, war in einem bräunlichen Ton gehalten, zwei Sessel (mit aufgeplatzten Nähten), aus denen bereits der Innenstoff hervorquoll, und ein kleiner hölzerner Tisch standen in der Mitte. Drum herum lagen große und kleine, dicke und dünne Bücher, aufgeschlagene Hefte und auch die ein oder andere einzelne Seite; die Wände des Raumes waren trist und kahl. „WOW“, entfuhr es Evangelos trotz seiner niedergedrückten Stimmung „Das nennt man Chaos!“ „Ich selbst bezeichne es als Ordnung“, entgegnete der Lehrer trocken. „Warum bist du hier? Und das um diese Zeihhhht?“ Das letzte Wort ging in ein herzhaftes Gähnen über. Sofort wurde Evangelos wieder ernst. „Was wissen Sie über die Krankheit?“ „Was sollte ich darüber wissen, was du nicht weißt?“ „Sie wissen mehr, als Sie zugeben wollen. Johannes hat Sie damals durchschaut.“ Er blickte Evangelos verwirrt an. „Johannes?“ „Er war der, der Sie eingewiesen hat. Bitte, was wissen Sie?“ Der Blonde seufzte, dann veränderte sich seine Miene. Ein abweisender Ausdruck legte sich auf sein Gesicht „Ich wüsste nicht, was dich das angehen würde! Raus aus meiner Wohnung!“ Der Junge rührte sich nicht. „Sofort!“ Er bewegte sich keinen Zentimeter. „Wer hat ihnen gesagt, dass Sie nichts erzählen sollen? Grift? Die Regierung?“ Er holte tief Luft, bevor er rief: „Oder ihr eigener Verstand, der immer noch nicht kapiert hat, dass es denen da draußen egal ist, ob wir hier sterben oder nicht und...“ Evangelos hielt inne. Er war sich nicht sicher, ob er das Richtige getan hatte, indem er seinen Lehrer anbrüllte. Es war respektlos gewesen, sehr respektlos. Entweder hatte seine Reaktion nun Erfolg, oder er war blindlings ins Verderben gerannt; er presste die Lippen aufeinander und ging in eine leichte Abwehrhaltung. Noahs Brust bebte, er hatte die Hände zu Fäusten geballt und blickte zornig auf ihn herab. „Mach, dass du...“ Er brach ab und schloss die Augen, einige Sekunden später entspannten sich seine Züge, und auch die Atmung wurde wieder regelmäßiger, er seufzte. Er deutete auf den linken der beiden Sessel. „Setz dich.“ Evangelos kam sich durch den Stimmungswechsel ein wenig überrumpelt vor, ließ sich aber in den Sessel sinken, während Noah in dem anderen Platz nahm. Neugierig sah er ihn an, während der Ältere nachdenklich vor sich hinstarrte. „Wo soll ich beginnen?“ Er strich sich ein wenig über sein Kinn, an dem schon wieder kleine Bartstoppeln auszumachen waren. „Nun, ich denke es ist am besten, wenn ich am Ursprungsort anfange... Vor ungefähr 25 Jahren gab es Unten einen Chemiker und Wissenschaftler. Er nannte sich selbst Jason und experimentierte hauptsächlich mit lebenden Substanzen. Sein Ziel war es, eine eigenständige Lebensform zu entwickeln, die eigenständig lernen und leben konnte. Bei Untersuchungen stellte er jedoch fest, dass bei jedem seiner „Erzeugnisse“ der Teil fehlte, der dem neuen Lebewesen die Fähigkeit gab, wie ein Mensch denken und agieren zu können. Niemand weiß wie, aber schließlich schaffte er es, eine eigenständig denkende Art zu erschaffen. Es fehlte ihr jedoch ein Körper. Du kannst sie dir vielleicht als unsichtbare Geister vorstellen, etwas anderes wirst du auch niemals zu Gesicht bekommen.“ Evangelos sah ihn an als wäre er durchgedreht und musste sich stark zusammennehmen, um keinen abfälligen Kommentar abzugeben. Noah grinste. „Genau das ist auch die Reaktion der Menschen damals gewesen, sie erklärten Jason für verrückt. Um sich selbst zu beweisen, lud er schließlich die obersten Politiker, inklusive Präsidenten, ein, um ihnen die Existenz seiner Wesen zu beweisen. Vorerst hatte er die Geister nur in einer großen Glasröhre gefangengehalten, es waren knapp 25. Jason zeigte den Politikern ein Gerät, mit dem Wärmebilder empfangen werden konnten. Zu sehen waren leichte Umrisse von Gegenständen und skurrilen Gestalten, in deren Mitte sich der Wärmepol, eine helle Flamme, befand. Die endgültige Existenz bewies Jason jedoch, als eines der Wesen seine Gestalt wechselte. Und zwar von einem Schreibtischstuhl in den Präsidenten.“ Noah lächelte leicht vor sich hin und strich sich dann erneut eine seiner wüsten Haarsträhnen hinter das Ohr. Evangelos glaubte ihm kein Wort, nicht ein einziges. Niemals war es möglich, eine eigene Rasse ‚herzustellen‘; das war absolut lächerlich, völlig absurd, oder doch nicht? „Du glaubst mir nicht.“ Eine einfache Feststellung, die wohl nicht zu übersehen war, denn der Gesichtsausdruck des Jungen sagte soviel wie: Wenn das stimmt, bin ich der Kaiser von China! Er nickte langsam; Noah seufzte. „Dann...“ Evangelos unterbrach ihn. „Was hat das ganze überhaupt mit der Krankheit zu tun?“ „Es gibt keine Krankheit“ „Wie bitte? Natürlich gibt es eine Krankheit, die Menschen werden doch täglich –“ „Es gibt keine Krankheit! Es hat nie eine Krankheit gegeben. Die psychische Veränderung; das alles ist den Geistern zuzuschreiben.“ Er seufzte, ließ sich im Sessel zurücksinken und überschlug die Beine. „Jason machte noch mehrere Experimente mit ihnen und versuchte sie in eine Körper zu zwingen, was ihm jedoch nicht gelang. Es sah aus, als würden sie selbst entscheiden, wo sie sich einnisten wollten und wo nicht. In all der Zeit verließen sie nicht einmal die gläserne Säule. Jason hat ihnen immer Tiere hinein geworfen. Irgendwann probierte er das ganze Spielchen mit einem Affen aus, der um einiges menschlicher war als alle anderen Tiere zuvor. Er stellte schon wenige Minuten später starke Verhaltensänderungen fest. Der Affe behielt weiterhin seine angeborenen Fähigkeiten, wie Laufen oder gewisse Reaktion auf Geräusche, doch er veränderte sich psychisch rapide. Zum Beispiel hat er mit seinem Futter die anderen Affen angespuckt und ist andauernd gegen die Scheibe der Glassäule gerannt. Den Affen ließ Jason frei herumlaufen, während er die anderen Geister noch immer gefangen hielt. Er unterrichtete ihn und merkte, dass das Tier lernfähig war. Er brachte ihm, seinen Aufzeichnungen nach zu schließen, sogar Dinge bei, die ein Affe unmöglich erlernen konnte, Schreiben zum Beispiel. Als die Politiker von dieser Wendung erfuhren, erlaubte man Jason sein Projekt an anderen Affen fortzusetzen.“ Evangelos glaubte immer noch kein Wort. „Wenn es stimmt, was Sie sagen, – ich nehme es Ihnen ehrlich gesagt nicht ab – warum hat Jason sein Experiment nicht an Menschen durchgeführt?“ „Kannst du dir das nicht denken? Er wusste nicht, wie er die Geister wieder zum ‚Verschwinden‘ brachte. Und stell dir vor, ein Mensch wäre in diesem Zustand geblieben...“ Er räusperte sich. „Da der Professor durch die vielen Affen kaum noch Zeit hatte, schaffte er sich einen Lehrer für den ‚Unterricht‘ an. Als dann eines der Tiere starb, befreite sich der Geist und übernahm den Körper des Lehrers. Jason stellte wiederum fest, dass der Mann seine Grundfähigkeiten behalten hatte, sich jedoch affenähnlich verhielt. So viel zu deiner Frage mit den Menschen.“ „Ich glaube Ihnen immer noch nicht, und was hat das ganze überhaupt mit der ‚nicht vorhandenen Krankheit zu tun?“ Noah seufzte. „Geduld...“ „Ich habe keine Geduld! Johannes ist verdammt noch mal dabei, hingerichtet zu werden! Ich habe keine Zeit!“ „Was?!“, rief Noah schockiert. Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte Evangelos sich in diesem Moment selbst mit dem Wort „Stimmungsschwankungen“ charakterisiert. Erst war er ruhig, dann wütend, dann ungeduldig und dann wieder wütend... „Er wurde ab-ge-führt! Können Sie jetzt weiter reden?“ „Na...natürlich...“ ~*~*~ Johannes: Ich saß irgendwo im Nord-Ost-Turm fest, dem Standort des Gerichts wohlgemerkt. Ich zweifelte daran, dass man mir eine Gerichtsverhandlung geben würde; die gesamte Lage war aussichtslos. Der Raum, in dem ich mich befand, lag in kompletter Schwärze, Fenster gab es keine, und eine Lampe schien man nicht zu kennen. Der Boden unter mir und die Wand, an der ich mit dem Rücken lehnte, waren feucht und modrig, ein widerlicher Geruch ging von ihnen aus und erzeugte ein unangenehmes Kribbeln in meiner Nase. Und als ob das alles nicht schon genug gewesen wäre, war mein rechter Fuß zusätzlich noch mit einem ins Fleisch schneidenden Metallring, der meinen Bewegungsfreiraum wunderbar einschränkte, an der Wand festgekettet worden. Das Schlimmste war jedoch das Tropfen. Irgendwo links oben in der Ecke gab es eine undichte Stelle, aus der unablässig Wasser herabfiel und einen leisen, aber dennoch unüberhörbaren Ton erzeugte. Woher das Wasser kam, war mir ein Rätsel, immerhin befand ich mich, soweit ich mich erinnern konnte, im dritten Stock; Regen war also auszuschließen. Tropf Ich dachte über meinen bald bevorstehenden Tod nach. Maximilian hatte mir angekündigt, mich erst am frühen Morgen hinrichten zu lassen, damit die restlichen Bewohner der Stadt zusehen konnten. Er wollte mich möglichst stark demütigen, ließ mich aber vorher hoffnungslos vor mich hinvegetieren. Tropf Ich fragte mich, was mit Maya und Jasper geschehen war; ich bezweifelte ein wenig, dass sie tot waren, sie würden wahrscheinlich zusammen mit mir die letzte Ruhe finden. Tropf Es tat mir leid, sie damit hineingezogen zu haben. Es war nicht so, dass wir Freunde gewesen wären. Sie waren für mich mehr Mittel zum Zweck gewesen; ich hätte jeden anderen auswählen können. Wenn sie nicht auf sich selbst aufpassen konnten, war es ja ihr Problem. Trotzdem tat es mir leid. Durch mich waren sie erst zu dem Fall ‚Annette‘ gekommen. Tropf Woher kamen diese plötzlichen Schuldgefühle? Ich war nicht der Mensch, der sich entschuldigte, sondern eher jemand, der seine Gefühle in die hinterste Ecke sperrte, was mich unangreifbar machte. Seid wann fühlte ich wieder etwas wie Reue? Tropf Was Evangelos wohl gerade tat? Ich bildete mir ein, ihn ruhig in meiner Wohnung zu sehen, doch ich wusste, dass der Junge in dieser Situation niemals ruhig sein würde. Er war wahrscheinlich dabei, etwas Dummes anzustellen, suchte nach einem Gegenmittel für die Krankheit oder plante den Einbruch in den Gerichtsturm um mich zu befreien. Tropf Es erfüllte mich mit Freude zu wissen, dass mich jemand vermissen würde, doch mit Trauer, als mir klar wurde, wem ich somit eine neue Bürde auflud. Seid wann war ich so ein Gefühlsmensch? Stimmte es, dass sich Menschen in der Zeit vor ihrem Tod über alles und nichts Gedanken machten? Tropf Und was war mit mir damals, als ich noch Unten war und ein richtiges Leben führte? Was wäre aus mir geworden, was ist mit mir geschehen, dass mich die fröhlich Dinge allein ließen? Tropf Warum war ich eigentlich hier in Laäros? Warum hatte ich den Geliebten meiner Frau umgebracht? War es das wert gewesen? War es das wert gewesen, mein Leben quasi aufzugeben? Tropf Warum bereute ich den Mord erst jetzt zum ersten Mal ehrlich? Jetzt, wo ich darüber nachdachte, war die Antwort einfach; direkt nach der Tat hatte es keinen Grund für Reue gegeben, ich hatte mich gerächt und fühlte mich von einer Last befreit. Ich hielt den Mord für gerechtfertigt. Als ich hierher kam, begann ich das Vergangene zu vergessen und wegzusperren, weil ich wusste, dass ich mich früher oder später damit auseinander setzen musste. Ich hatte versucht, diesen Zeitpunkt aufzuschieben, und es war mir erfolgreich gelungen; bis jetzt. Tropf Mir war kalt, mein Körper zitterte leicht, und ich merkte, wie die beiden großen Zehen langsam taub wurden. Ich zog meinen Mantel enger zusammen und rieb meine Hände aneinander, um wenigstens ein wenig warm zu bleiben. Nicht, dass es viel geholfen hätte, aber es beschäftigte mich ein wenig, während ich weiter nachdachte. Ich stellte fest, dass ich den Tod des Mannes nicht bereute, jedoch die schwerwiegenden Folgen, die ich zu tragen hatte. Ich hätte meine Frau umbringen sollen, sie hatte es mehr verdient. Kranke Gedanken, doch war es nicht sie, die mich verletzt hatte? Tropf Es erschien mir klar und logisch. Sie hatte mein Vertrauen in jener Nacht missbraucht. Sie hätte den Tod mehr verdient als dieses Schwein, das mit ihr... Sie wusste gar nicht, was sie mir damit angetan hatte... Ich war schon immer ein stiller Mensch gewesen, schon bevor man mich hierher brachte. Ich lachte rauh und freudlos. Momentan war ich nicht ich selbst, es war die Krankheit, die mich zwang, so zu denken. Und es kam mir richtig vor. Tropf Meine Zeit lief davon, es würde sich nur noch um Stunden handeln, bis die Sonne aufging und die Stadt zum Leben erwachte. Und dann... ~*~*~ Evangelos: Die Stimmung in Noahs kleiner Wohnung hatte sich nicht viel verändert. Evangelos saß da, die Augen weit aufgerissen und doch unfähig, sich zu bewegen. Was sein Lehrer ihm gerade erzählt hatte, war schier unmöglich und menschenverachtend. Er ließ in Gedanken das Gesagte Revue passieren: „Man fand heraus, dass sich die Geister nicht aus einem bestimmten Umkreis entfernten, etwas an Jason Labor hatte sie dort festgehalten. Wie die Regierung später feststellte, war es ein kleiner, blauer Stein der seltsamerweise Einfluss auf die Geister ausübte. Als Jason starb, erwarb die Regierung seine gesamten Immobilien samt den übermenschlichen Wesen. Die Frage war dann, was man mit ihnen anstellen wollte. Weitere Experimente ergaben, dass ein Körper von einem Geist nur befreit werden konnte, wenn er starb. Irgendwann wurde dann der Innenminister durch einen Unfall besessen. Ab diesem Moment war eines der Hauptziele der Regierung das Lösen des Geisterproblems.“ Evangelos hatte an dieser Stelle eine gewisse Ahnung gehabt, worauf sein Lehrer hinauswollte und unglaubliche Furcht war in ihm aufgestiegen, bestätigt zu werden. „Laäros war damals überfüllt gewesen, die Stadt bestand erst einige Jahre, doch man hatte fast jeden Sträfling hierhin gebracht. In den Augen der meisten Menschen einschließlich der Regierenden waren alle, die in das Gefängnis kamen, widerliche Kreaturen. In höheren Kreisen wird noch heutzutage gemunkelt, dass der Vizepräsident schließlich die entscheidende Idee hatte, genau weiß es aber niemand. Es wurde beschlossen, die Geister mit Hilfe des kleinen Steins nach Laäros zu schicken, um einige der Gefangenen zu beseitigen. Man tarnte die körperlosen Wesen als eine unheilbare Krankheit, die Veränderungen an der Psyche eines Menschen bewirkte. In Wirklichkeit waren und sind es immer noch die übernatürlichen, körperlosen Wesen, die sich gelegentlich in die Körper der Menschen einnisten, nur um wieder durch den Tod des Betroffenen befreit zu werden.“ „Ein fortlaufender Kreislauf“, war Evangelos einziger Kommentar gewesen, dann hatte Stille den Raum überschwemmt. Noch immer versuchte er vergeblich den Zwiespalt in seinem Kopf zu bändigen. Auf der einen Seite vertraute er seinem Lehrer, denn das, was dieser erzählt hatte, klang einleuchtend und passte zur Regierung. Andererseits klang die Geschichte über Geister, Körperlose und Übermenschlichkeit völlig unglaubwürdig und schwachsinnig. Schließlich durchbrach er die Stille. „Es scheint alles zu stimmen ... irgendwie jedenfalls... aber – “ „Es klingt so grausam und erfunden“, vollendete der Blonde seinen Satz. Evangelos nickte. „Ich will Ihnen ehrlich gesagt nicht glauben, denn das würde mein ganzes Denken gegenüber einer gewissen regierenden Volksgruppe beträchtlich ändern. Ich mochte sie nie, aber so widerwärtig? Es ist unmöglich. Die Stadtleiter können uns nicht von einer Krankheit erzählen, die keine ist, und die Infizierten hinrichten, nur damit der Geist erneut jemanden besetzen kann. Das kann nicht sein...“ Sein Lehrer seufzte tief, bevor er sagte: „Sieh dich hier um“, er deutete auf die vielen Schriften. „Lies die Artikel, vieles gibt Hinweise auf die Wahrheit.“ Evangelos glaubte seinen Augen nicht, als er die vielen Ausschnitte las. Professor Jason behauptet, eigene Lebensformen kreiert zu haben oder Geisterartige Lebewesen von der Regierung bestätigt In einem Wissenschaftsmagazin stand: Erste Versuche an Affen mit dem Untertitel Neuerdings Heimschulen für Urwaldbewohner? Evangelos las ungläubig die Überschriften, die zu seinem Unglauben das Erzählte bestätigten. Jason tot – was geschieht mit seinen Hausgeistern? Irgendwo stand ein Innenminister Beckmann erkrankt an unheilbarer Krankheit geschrieben. Und wenig später. Tod Beckmanns sorgt für Erschütterung unter der Bevölkerung Erst als Evangelos auf einen Artikel traf dessen Schlagzeile Politiker berichten vom plötzlichen Verschwinden der Geister lautete, stoppte er die Suche nach einer Lüge in Noahs Geschichte. Es gab keine. Evangelos ließ sich zurück in seinen Sessel sinken und seufzte. Er wusste, dass er überzeugt worden war, so schrecklich es auch klang, doch eines war ihm noch unklar. „Woher wollen Sie wissen, dass die Körperlosen nach Laäros geschickt wurden? Wenn niemand anderes, abgesehen von der Regierung, etwas davon mitkriegen durfte?“ „Ich war, bevor ich hierher kam, Professor an einer Universität in der Fakultät Chemie. Mein Studium bezog sich hauptsächlich auf den Bereich der Plasma-Chemie. Als Nebenprojekt habe ich mich mit Jason beschäftigt und bin zufällig auf verdächtige Unterlagen von der Regierung gestoßen. Sie haben mich mit Geld bestochen, nichts zu erzählen, und in meiner Naivität stimmte ich zu...“ Er kratzte sich am Hals. Ein Klappern riss sie aus ihren Gedanken, beide sahen erschrocken auf und dann zur Tür. Die kleine Holzplatte, die den Schlitz für Ankündigungen verdeckte, vibrierte kaum merklich und auf dem Boden vor der Tür lag ein roter Zettel. Der Ältere erhob sich aus seinem Sessel und nahm den Zettel auf, er überflog das Geschriebene erst, bevor er vorlas: Öffentliche Hinrichtung 13. September 8.30 Uhr am Gerichtsturm Anlass: Verrat der Regierung, Ermordung des Führers Anwesenheit ist Pflicht Evangelos stöhnte und vergrub den Kopf in seinen Händen, ihm war schon wieder nach Weinen zumute, doch er wollte stark sein und seinen Gefühlen nicht nachgeben. Was hatte seine Mutter noch immer gesagt? Jungs heulen nicht! Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter. „Noch ist er nicht tot. Wir können ihn noch retten...“ Nun kamen ihm doch die Tränen hoch. „Und wie?“, schniefte er. „Selbst wenn er nicht besessen wäre, würde man ihn hinrichten. Er hat Grift ermordet.“ Er klang so hoffnungslos, wie er sich fühlte. Noah schwieg. Dann fragte er: „Johannes, war er schon besessen, als er den Mord beging?“ Evangelos nickte leicht. „Das heißt, die Körperlosen sind mittlerweile auf einem weit höherem Wissensstand“, murmelte er. „Wenn ein Geist so eine Tat planen kann, dann muss etwas dahinterstecken... er will vielleicht frei sein...“ Er nahm die Hand von der Schulter des Jungen und begann, im Zimmer auf und ab zu laufen. Evangelos betrachtete ihn aus roten Augen verwirrt. „Was muss passieren, um sie zu befreien und trotzdem zu verhindern, dass sie Schaden anrichten?“ Urplötzlich vergaß Evangelos seine Trauer und versuchte den Gedankengängen seines Lehrers zu folgen. „Was würde den Geistern helfen, länger in dem gleichen Körper zu bleiben, ohne dass es auffällt?“ „Kleinkinder...“, hörte der junge Grieche sich selbst murmeln. Noah blieb stehen und sah ihn etwas irritiert an „Was sagtest du?“ „Kleinkinder“, sagte Evangelos lauter. „Die Geister können sich von Anfang an in einen Körper hineindenken und werden sozusagen zu der Person. Außerdem können sie dann ein Menschenleben in dem Körper bleiben und ein normales Leben führen. Die Kinder würden davon nichts mitbekommen und normal aufwachsen.“ Noah klatschte in die Hände. „Das ist genial! Um Johannes zu helfen, müssen wir die Regierung hier oben stürzen, aber dafür sorgen, dass das Versorgungssystem nicht abbricht. Wir können sie also nicht töten, und sie zu etwas zu zwingen ist auch unmöglich, ohne dass die Regierung unten etwas mitbekommt. Bleibt nur die Hilfe der Körperlosen.“ Evangelos vollendete die Idee: „Wenn wir es also schaffen, die Geister zu überreden, dass sie die Körper der Vertreter besetzen, dann wären wir so gut wie frei.“ „Nicht ganz. Der kleine Stein bindet sie immer noch an Laäros. Wir müssten ihn finden und wenn möglich zerstören. Dann wären sie frei und sie können uns hier herausholen.“ Evangelos nickte leicht, aber mit einem kleinen Lächeln im Gesicht. Er konnte Hoffnung haben, hier wegzukommen. Und zwar mit Johannes. Dass andere Schwerverbrecher, Mörder und Vergewaltigter ebenfalls frei kommen würden, war ihm so ziemlich egal; ihre Taten waren nichts gegen die widerwärtigen Methoden der Regierung. Ihr Plan war theoretisch perfekt, praktisch fehlte jedoch noch eine Komponente. „Wie können wir mit den Körperlosen Kontakt aufnehmen, ohne Gefahr zu laufen, selbst besetzt zu werden?“ „Wenn wir den Stein finden und ihn bewegen, ich denke, dass sie das spüren. Wenn sie dann, wie ich vermute, auftauchen, müssen wir schnell agieren. Soweit wir wissen, sind sie lernfähig, wir könnten also mit ihnen reden und ihnen unseren Handel vorschlagen.“ Evangelos fuhr sich durchs Haar. „Wie bitte sollen wir mit denen reden, wenn wir sie nicht einmal sehen können?“ Erstaunlicher Weise hatte sein Lehrer auch darauf eine Antwort. „Wir brauchen einen Dolmetscher, einen besetzten Körper!“ „Und wo sollen wir einen Besessenen finden? Mitten in der Nacht?“ Die Hoffnungslosigkeit kehrte langsam wieder zurück. Der Ältere ließ sich wieder in seinem Sessel nieder. „Du hast Recht.“ Er seufzte, schloss die Augen und legte den Kopf zurück. „Moment“, flüsterte Evangelos plötzlich. „Johannes erwähnte etwas von dem Gehilfen in Jaspers Schmiede. Er sagte, Matthias sei krank.“ „Es ist jetzt drei Uhr Nachts. Wir haben also noch knapp sechseinhalb Stunden Zeit und ich habe keine Ahnung, wie lange wir brauchen. Wir müssen uns beeilen!“ Eilig und wie dunkle Schatten liefen sie über die leeren Brücken von Laäros. Glücklicherweise wusste Evangelos, wo Matthias wohnte: genau über der Schmiede. Innerhalb von 10 Minuten hatten sie den gesuchten Turm erreicht und huschten leise die Treppen hoch. Das Klopfen an der Tür zur Wohnung erzeugte einen hohlen Ton, der unangenehm laut im Turm widerhallte. Erst nach geschlagenen fünf Minuten Dauerklopfens öffnete sie sich einen Spalt breit. Der braune Lockenkopf dahinter warf ihnen einen argwöhnischen Blick zu. „Was wollt ihr hier?“ „Wir haben eine Bitte, die auch in deinem Interesse liegen sollte“, übernahm Noah das Reden. „Kommt morgen wieder!“, war die harsche Antwort der Gehilfe wollte die Tür wieder zuknallen, doch Evangelos stellte seinen Fuß dazwischen. „Lass das, du Bengel!“, fuhr er den Griechen an, doch der Junge störte sich nicht daran und drückte die Tür mit Noahs Hilfe auf. Matthias war ein kleinerer, muskulöser Mann mit kantigem Gesicht, breiter Nase und dichten, dunklen Augenbrauen. Das Einzige, was nicht so ganz zu dem eigentlich harten Auftreten passte, waren die Locken, und nicht zu vergessen der grün karierte Morgenmantel, den er trug. Noah fing wieder an zu sprechen, diesmal jedoch mit einer anderen Taktik. „Wir haben einen Vorschlag an dich und deine Artgenossen, körperloser Geist.“ Plötzlich veränderte sich das Verhalten des Lehrlings, er wirkte keineswegs mehr abweisend, sondern mehr interessiert. „Und zwar?“, seine Stimme war sanft, beängstigend weich und unheimlich. Evangelos erschauderte, und sein Magen zog sich seltsam zusammen. Der Blonde erklärte in knappen Worten, was sie vorhatten. „Wir brauchen nur jemanden wie dich, der uns dolmetscht“, endete er schließlich. Matthias sah verwirrt aus. „Ich soll was machen? Dolmetschen? Ich kenne diesen Begriff noch nicht.“ An dieser Stelle übernahm Evangelos. „Ein Dolmetscher ist ein Übersetzer. Wir brauchen dich, damit wir verstehen, was deine Artgenossen sagen, denn du kannst es für uns dolmetschen, also übersetzen.“ „Ich verstehe das Problem.“ Trotz der einfachen Antwort klang er gruselig. „Wenn wir auf die anderen treffen, musst du ihnen sagen, dass sie uns nicht besetzen dürfen.“ Er nickte. „Weißt du, wie wir alle zusammen bekommen?“, fragte Noah. „Nein.“ „Dann werden wir die umständliche Methode versuchen müssen.“ Er sah Matthias direkt an. „Weißt du, wo der Stein ist, der euch an die Stadt bindet?“ Der Gehilfe überlegte kurz. Dann sagte er: „Nicht genau. Ich kann nur soviel sagen, dass er irgendwo im Zentrum der Stadt liegt. Außerdem muss sein Radius vergrößert worden sein.“ „Also der Hauptturm. Das wird kompliziert werden. Johannes hat Grift dort umgebracht... Aber wenigstens haben wir einen Anhaltspunkt. Wirst du uns begleiten?“ Der junge Mann nickte und verschwand für einige Augenblicke, um kurz darauf komplett angezogen wieder zu erscheinen. „Wir können los.“ Und schon waren sie auf dem Weg zum Hauptturm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)