Bloodmoon von Jelly_Bell ================================================================================ Prolog: -------- Mit kaltem Angstschweiß auf der Stirn hetzte sie durch die finstere Nacht. Ihr weißes Kleid war völlig zerrissen und mit Blut besudelt. Mit jedem Schritt kam sie tiefer in den düsteren, bedrohlichen Wald und der Rückweg war durch ihre Verfolger versperrt. Noch dazu wusste Alice schon seitdem sie die Landstraße verlassen hatte nicht mehr wo genau sie sich befand. Was war bloß geschehen? Wo um alles in der Welt war sie hier? Und wieso zur Hölle trug sie ein Brautkleid? So viele Fragen spukten alle zugleich durch ihren Kopf und es gab keine Zeit um kurz anzuhalten und nach Luft zu schnappen, denn es wären todsicher ihre letzten Atemzüge. Doch wo rannte sie das eigentlich hin? Vielleicht ja geradewegs in ihr Verderben!? „Diese Männer! Wer sind diese Typen bloß?“ Mit Sicherheit würden sie schon längst irgendwo bei der nächsten Lichtung auf Alice warten um dann den begonnenen Auftrag zu ende zu bringen. Der stechende Schmerz in ihren Lungenflügeln wurde immer stärker. Jeder Atemzug viel ihr schwerer, bis sie kurz nicht aufpasste und sich ihr Fuß in einer alten knorrigen Baumwurzel verfing und die junge Frau, mit einen lauten Aufschrei auf den kalten, glitschigen und harten Waldboden stürzte. Das Echo ihrer Stimme hallte immer noch zwischen den Bäumen, während sie langsam wieder zu sich kam. Ihr Gesicht war blutüberströmt, die rote Flüssigkeit bahnte sich langsam einen Weg von ihrem Kopf über den Hals bis hin zu ihrem Dekollete Ihr Kopf schmerzte fürchterlich, aber ihr Knöchel bereitete Alice noch größere Sorgen. Der Fuß klemmte immer noch zwischen den alten Baumwurzeln und er war bereits stark geschwollen. „Wenn ich hier nicht auf der Stelle wegkomme haben diese Mistkerle mich in ihrer Gewalt! Dann bin ich tot!“ Doch plötzlich riss sie ein Geräusch aus ihren Gedanken. Im Wald herrschte Totenstille doch vor einer Sekunde, dessen war sie sich zu hundert Prozent sicher, hatte sie einen zerbrechenden Ast gehört. Sie war nicht allein. Jemand musste genau in diesem Moment ganz in ihrer Nähe sein. Hektisch und mit panischen Blicken schaute sie sich um. Es war stockfinster, unmöglich jemand hinter den bedrohlich wirkenden rabenschwarzen Silhouetten der mächtigen Bäume rings um sie herum zu erkennen. Erneut versuchte sie ihren Fuß von der knochigen Wurzel des alten Baumes zu befreien, doch vergeblich. Sie hatte keine Chance zu entkommen. Mit Sicherheit wären ihre Verfolger die Auslöser für das Geräusch eben gewesen und beobachteten sie schon eine ganze Weile aus dem sicheren Schutz der Dunkelheit heraus. Doch gerade als sie kurz davor war aufzugeben spürte sie eine eiskalte Hand auf ihrer Schulter. Anfangs wie gelähmt vor Schreck war sie nicht fähig zu reagieren, doch schon im nächsten Moment stieß die Rothaarige einen ohrenbetäubenden schrillen Schrei aus. Jedoch nicht all zu lang, denn im Bruchteil einer Sekunde schnellte bereits die nächste Hand hervor um sich bestimmt aber sanft auf ihre Lippen zu legen. „Ssssssch… ganz ruhig. Ich bring dich hier weg. Du bist jetzt in Sicherheit.“, hörte sie eine samtweiche ruhige Männerstimme neben ihrem Ohr hauchen. Sie zitterte am ganzen Körper vor Kälte und war panisch vor Angst, die Tränen die in ihr aufstiegen ließen sich kaum noch zurückhalten. Aber sie durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Sei stark! Sagte Alice sich immer und immer wieder. Es war immer noch dunkel im Wald und die dichte Wolkendecke schob sich, wie ein schwerer schwarzer Schleier, träge über den Wipfeln der Bäume entlang. „Wer bist du?“, brachte sie in einem kaum hörbaren Flüstern hervor als der Fremde ihren Mund wieder freigab. Ein leises Kichern war aus der Kehle des Mannes – er musste noch sehr jung sein – zu vernehmen. „Verzeih, wie unhöflich von mir. Ich heiße Ethan.“, säuselte ihr die Engelsstimme zu. Ein ungewöhnlicher Name. Und schon wieder taten sich neue Fragen auf. Wer war dieser Ethan? Wieso rettete er ihr das Leben? Und war er wirklich ihr Retter oder gehörte er mit zu der Gruppe von Männern die nach ihrem Leben trachteten? Wie gut standen ihre Chancen zur Flucht? Oder war es überhaupt nicht nötig vor ihm zu fliehen? Ihr gesunder Menschenverstand hätte ihr normalerweise dazu geraten sich vor diesem Mann in Sicherheit zu bringen, aber schon seine bloße Anwesenheit erfüllte jede Faser ihres Körpers mit einer tiefen allumfassenden Ruhe. Ihre Angst war jetzt nur noch ein schwaches Echo. Sie fühlte sich tatsächlich sicher und geborgen in seiner Nähe. Kapitel 1: Verwischte Fährten ----------------------------- Verwischte Fährten „Wie hast du das gemacht?“ Ungläubig musterte ich die dunklen Umrisse meines Lebensretters. Ethan trug mich erst seit wenigen Minuten auf seinen muskulösen Armen, doch wir mussten bereits eine enorm große Strecke zurückgelegt haben. Auch die Wolkendecke war längst nicht mehr so dicht wie zuvor. Immer größere Risse bahnten sich den Weg durch den finsteren Umhang, der jedes Sehen unmöglich zu machen schien. Nun brachen die ersten hellen Mondstrahlen zwischen den bedrohlichen Wolken hervor und tauchten die Bäume um uns herum in ein seltsames Licht. Alles schien so unwirklich. Wie in einem nächtlichen Traum. Der beißende eisige Zugwind peitschte mir nun nicht mehr ganz so stark ins Gesicht und ich wagte einen Blick in das Gesicht meines Beschützers, der mir immer noch keine Antwort auf die eben gestellte Frage gegeben hatte, zu riskieren. Erst jetzt sah ich diesen schmerzhaften Ausdruck der darin lag. Ethans Haut war sogar noch blasser als meine eigene und schimmerte auf eine wunderschöne seltsame Art und Weise unter dem geheimnissvollen Licht des Mondes. Sein Antlitz war so makellos schön, das ich mich ernsthaft fragen musste, ob ich nicht doch alles nur träumte, oder vielleicht sogar schon Tod war. Er hatte den Blick starr nach vorn gerichtet und in seinen dunkelroten Augen schien ab und an etwas aufzublitzen. Noch nie hatte ich einen Mensch mit so atemberaubend schönen Augen gesehen. Sein Kiefer war, genau wie alle anderen seiner Gesichtszüge, äußerst angespannt. Sein glänzendes kurzes dunkles rotes Haar wurde vom Wind nach hinten getrieben. Nur ab und zu peitschte ihm eine Strähne ins Gesicht. Doch er schien es nicht einmal zu bemerken. Ethan wirkte wie ersteinert. Während ich meinen Blick weiter über sein perfektes Gesicht wandern lies und seine gerade makellose Nase betrachtete, fiel mir auf, das er überhaupt nicht zu atmen schien. Die Nasenflügel bewegten sich kein einziges Mal, während auch seine wohlgeformten Lippen geschlossen blieben. Aber wie war das möglich? Er bewegte sich elegant und blitzschnell mit mir auf seinen, ebenfalls stark angespannten Armen, über den gefährlich rutschigen Waldboden und verbrauchte dabei keinen einzigen Atemzug. Einfach unmöglich, dachte ich abermals. Dabei lies ich erneut meine Augen von seinem unergründlich zauberhaften Gesicht über seinen Körper gleiten. Er war, soweit ich es durch seine Kleidung erkennen konnte, nahezu völlig unbewegt. Einzig und allein seine langen Beine schnellten über den nassen Waldboden. Sein Tempo war schlichtweg übermenschlich. Aber wie konnte das sein? Wer zum Teufel war dieser Mann? Oder sollte ich mich lieber fragen Was er war? Nur wenige Minuten waren vergangen, als wir plötzlich stehen blieben. Ich sah mich, mit angestrengtem Blick um und versuchte zu erkennen wo wir waren, aber außer einer dichten Wand aus Bäumen konnte ich nichts erkennen. „Zieh das Kleid aus.”, befahl mir eine melodische Stimme in strengem Ton. „Ich soll was tun?”, entgegnete ich empört. Wie unverschämt. Dachte dieser Kerl ernsthaft ich sei so leicht zu haben!? „Du sollst es ausziehen!.” - „Ich denk ja gar nicht dran!” Ein leises klagendes Seufzen verließ Ethans Kehle und ehe ich mich versah, stand er auch schon ohne jede Vorwarnung hinter mir, zog seinen langen dunklen Mantel aus und legte ihn mir um. Wie aufmerksam von ihm, dachte ich noch im ersten Moment, doch dann begriff ich was er eigentlich vor hatte. Ohne ein weiteres Wort glitten seine schmalen kalten Finger bereits kaum wahrnehmbar unter den Mantel und begannen damit, die einst weißen Stofffetzen, die noch von meinem Brautkleid übrig geblieben waren, von meinem Körper zu lösen, während ich regungslos in meiner Position verharrte. Selbst wenn ich es gewollt hätte, wäre ich einfach nicht im Stande gewesen mich auch nur einen Millimeter vom Fleck zu rühren. Mein gesamter Körper war wie erstarrt. Alles was ich spürte, war die Kälte die von seiner Haut ausging, jedoch berührte er die meinige kein einziges Mal. In Sekundenschnelle waren auch die letzten Stoffreste zu Boden gefallen. Mein Gesicht hingegen benötigte noch weniger Zeit, um sich in Windeseile um einige Nuancen zu verdunkeln. Ethan jedoch lies bereits wieder von mir ab und begann damit die Überreste meines Kleides aufzusammeln. Da stand ich nun. Halbnackt, nur mit einem Mantel bedeckt, gedemütigt, in Mitten eines bedrohlichen Waldes, mitten in der tiefsten Nacht, von zwei, oder sogar noch mehr Typen verfolgt, die mich Tod sehen wollten, zusammen mit einem eindeutig nicht menschlichen Wesen, welches mir aus einem unerklärlichen Grund das Leben gerettet hatte, mir aber dennoch immer neue Rätsel aufgab. Während ich meinen Gedanken nachhing, war der fremde Rothaarige bereits damit beschäftigt, meine zum Teil blutigen Stofffetzen an den verschiedensten Stellen im Wald großräumig zu verteilen. Was bei seiner Geschwindigkeit ein Leichtes für ihn war. „Was um alles in der Welt wird das nun schon wieder?”, fragte ich blauäugig. „Ich lege falsche Fährten für unsere Verfolger, um von unserer eigentlichen Spur abzulenken.”, gab Ethan fast tonlos zur Antwort. Immerhin hatte er offenbar seine Sprache wiedergefunden. Aber wieso unsere Verfolger? Diese Killer waren doch offensichtlich nur hinter einem von uns her, und zwar hinter mir. Wieso begab er sich meinetwegen, wegen einer völlig Fremden Frau in solche Gefahr? Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt für Ethan gewesen mich meinem Schicksal zu überlassen. Er hatte mich aus meiner misslichen Lage gerettet und hätte sich jetzt wohlwollend aus dem Staub machen können, um wenigsens noch seine eigene Haut zu retten. Warum tat er es aber nicht? Was veranlasste ihn dazu, mich weiterhin zu beschützen und sein eigenes Leben für mich zu riskieren? Hätte er ein schlechtes Gewissen gehabt, eine verletzte hilflose Frau hier in der eisigen Kälte zurückzulassen? Und selbst wenn, was war schon dabei!? Immerhin kannten wir uns ja nicht einmal. Wieso also, hatte er so ein Verantwortungsbewusstsein mir gegenüber? Es mußte einen Grund für sein heldenhaftes Verhalten geben und ich würde ihn herrausfinden, um jeden Preis. Stumm ließ er nun seinen Blick über meinen zitternden Körper wandern, was mich erneut zum Erröten brachte. „Soll ich noch irgendwas ausziehen!?”, fragte ich schnippisch um meine Unsicherheit zu überspielen. Keine Ahnung warum, aber etwas an meiner Reaktion brachte ihn zum Lächeln. Als ob er nicht schon ohnehin so verflucht atemberaubend schön ausgesehen hätte. Musste er jetzt auch noch zu allem Überfluss so verführerisch lächeln? Es war auch ohne diese zuckersüße Bewegung seiner Lippen schwer genug ihm böse zu sein. Als der letzte zerrissene blutig verdreckte Kleiderfetzen, geschickt plaziert war, umschlangen erneut Ethans starke Arme meinen geschwächten Körper und trugen mich wieder einmal viel zu schnell, durch den immer noch von der Nacht umhüllten, düsteren Wald. Ich presste mich so fest es ging an ihn um mich vor dem eiskalten Wind zu schützen. Und dennoch fror ich und mein gesamter Körper zitterte wie Espenlaub. Von Ethan ging keinerlei Wärme aus, er war genauso kalt wie die heutige Nacht. Einfach zu seltsam. Ich hätte schwören können, das er diesmal ab und zu verstohlen zu mir hinuntersah und dann jedes mal erneut ein schelmisches Lächeln über seine bezaubernden Lippen huschte, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Es dauerte nicht mehr lang, bis mich die Müdigkeit schließlich übermannte, mein Kopf an Ethans Brust sank und meine schweren Lider sich endlich schlossen. Kapitel 2: Böses Erwachen? -------------------------- Böses Erwachen? Murrend öffnete ich die Augen, als ich spürte wie mich neckend die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen im Gesicht kitzelten. Es war alles so schrecklich hell hier. Dagegen erschien mir plötzlich die Finsternis der vergangenen Nacht beinahe schon angenehm. Schützend hielt ich meinen Handrücken vor die Augen und sah mich langsam um. Ich lag in einer alten Scheune, auf Unmengen von Stroh gebettet und trug noch immer Ethans warmen Mantel. Also war das alles letzte Nacht doch kein Traum gewesen? Mein Blick glitt an mir hinab, bis zu meinem Fuß, an welchem sich ein sorgfältig angelegter Verband befand. War das etwa auch er gewesen? Natürlich. Wer sonst sollte mich verarztet haben? Ich sah mich weiter um, doch von dem Rothaarigen fehlte jede Spur. Außer riesigen Strohballen und den alten robusten Holzbalken des Scheunendaches war nichts zu erkennen. Wo steckte er bloß? Ob ich einfach nach ihm rufen sollte? Keine gute Idee. Was wenn unsere Verfolger in der Nähe waren? Dann würde ich sie auf direktem Weg zu uns locken und die ganzen Bemühungen von ihm wären umsonst gewesen. Früher oder später würde er schon wieder auftauchen. Ethan würde mich ja unmöglich hier einfach so liegen lassen können. Hoffte ich zumindest. Die Schmerzen in meinem Knöchel wurden zwar durch den gut angelegten Verband etwas gelindert, aber ich war trotz allem nicht in der Lage selbstständig aufzustehen und zu laufen. Mir blieb also nichts weiter übrig als hier zu warten bis mein fremder Begleiter endlich auftauchen würde, die Frage war nur wann das passierte. Als sich meine Augen endlich an das helle Licht gewöhnt hatten, spähte ich durch das offene Scheunenfenster. Wie spät es wohl war? Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und strahlte mit aller Kraft. Sicher würde sie in einigen Stunden bereits wieder in Richtung Horizont wandern um wieder unterzugehen. Ein Seufzen entwich meiner Kehle. “Schon wach Dornröschen?”, scherzte die Engelsstimme des Rothaarigen, der sich ganz in meiner Nähe befinden musste. Erschrocken fuhr ich herum und versuchte ausfindig zu machen aus welcher Richtung die bekannte Stimme kam. Doch Ethan war nirgends zu sehen. “Ha Ha! Wirklich sehr witzig!”, knurrte ich leicht. “Zeig dich lieber du Scherzkeks!” - “Was bekäme ich denn dafür?” - “Was du dafür bekommst? Wie darf ich das denn verstehen? Erst rettest du ohne mich vorher zu fragen mein Leben, trägst mich die halbe Nacht lang durch den Wald, entledigst mich gegen meinen Willen meiner Kleider, verarztest meinen Fuß, als wäre es eine Selbstverständlichkeit und verlangst dann dafür, dich mir einmal bei Tageslicht zu zeigen eine Gegenleistung? Bitte sag dass das ein schlechter Witz sein soll?” Nach einigen Sekunden des Schweigens durchbrach sein glockenhelles, schallendes Lachen, das von keinem Engelschor hätte übertroffen werden können, die Stille. Aber der Moment seiner Ausgelassenheit währte viel zu kurz. “Du bist wirklich ein außergewöhnlicher Mensch Alice.”, stellte er mit ernsterem Ton fest. “Aber hab bitte noch etwas Geduld mit mir, ich werde mich dir im Tageslicht zeigen, nur noch nicht heute. Also wirst du bis zur Dämmerung warten müssen.” - “Hast du etwa Angst vor einem Sonnenbrand? Du bist zwar um einiges blasser als ich, was eigentlich schon an Zauberei grenzt, aber so schnell wirst du dir deinen schönen Teint schon nicht ruinieren.” - “Wenn es nur das wäre.”, seufzte er gespielt, doch in seiner Stimme konnte ich deutlich den Wehmut hören. Als sich der Tag dem Ende zuneigte und die Sonne immer tiefer am Himmel sank, bis sie schließlich nur noch ein schmaler rötlicher Schimmer am Horizont war, kam der Grünäugige endlich aus seinem Versteck hervor. Erneut verschlug es mir den Atem beim Anblick seiner überwältigenden Schönheit. Ich wusste nicht wie viel mein Gesicht preisgab, aber aus irgend einem, mir unbekannten Grund zauberte er wieder einmal dieses himmlische Lächeln auf seine Lippen und ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Ich konnte nichts dagegen tun, gegen diese brodelnde Hitze, die sich unter meiner Haut ausbreitete. Er sah so unglaublich jung aus, aber sein elegantes Auftreten, sein überragender Charme und seine reifen Gesten zeugten von Jahrzehnte-, wenn nicht sogar Jahrhunderte langer Lebenserfahrung. Aber was spann ich mir da eigentlich gerade für einen Unsinn zusammen? Seinem Äußeren zu Folge konnte der Rothaarige höchstens Anfang 20 sein. Schon wieder dieses Schmunzeln. Was fand er denn nur so schrecklich amüsant? Es schien fast so, als wäre er bestens darüber informiert, was in meinem Kopf vor sich ging. “Verrätst du mir wieso du dich vor dem Sonnenlicht versteckst? Fast so wie ein Vampir?” - “Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft an solche alten Schauermärchen? Wie alt bist du Alice? Vier?”, spottete er. Doch seine angespannte Miene, die mir noch von letzter Nacht nur all zu bekannt war, verriet ihn. Entweder hatte ich nun völlig den Verstand verloren, oder Ethan war wirklich ein blutsaugendes Monster. Aber hätte er dann letzte Nacht nicht wie eine wilde, blutrünstige Bestie über mich herfallen müssen? Immerhin war ich von Kopf bis Fuß mit Blut überströmt gewesen. Nur, wenn ich Unrecht hatte und mich tatsächlich irrte, wie sollte ich mir dann all die unbegreiflichen Dinge erklären? Ich musste mir endlich Klarheit verschaffen! “Sind die Typen die hinter mir her sind auch Vampire?”, bohrte ich weiter. “Jetzt hör endlich auf mit diesem Unsinn! Schaust du zu viele Horrorfilme?” - “Nein, aber ich-“ - “Alice! Hör mir zu.. Du verrennst dich da in ein Hirngespinst!” So sehr er auch versuchte es zu unterdrücken, konnte ich trotz allem mehr als deutlich hören, wie der gereizte Unterton in seiner Stimme die Oberhand gewann. Wenn der Rothaarige wirklich ein Blutsauger war, begab ich mich dann nicht mit jedem weiteren Wort in noch größere Gefahr? Doch was hatte ich denn überhaupt noch zu verlieren? Wenn er mich jetzt nicht umbrachte, würden diese Gestallten von vergangener Nacht es tun. So gesehen war mein Tod ohnehin schon beschlossene Sache. Noch bevor ich diesen Gedanken beenden konnte, hatte sich etwas grundlegend verändert. Ethan versuchte jetzt nicht einmal mehr sich zu beherrschen. Der blanke, unverhohlene Zorn stand ihm ins Gesicht geschrieben. Was sollte dieser plötzliche Emotionswechsel? Ich hatte doch noch gar nichts weiteres gesagt, was ihn noch mehr hätte reizen können. “Was hast du Ethan?” - “Nichts!” - “Verkauf mich doch nicht für blöd. Wenn ich so falsch liege mit meiner Theorie, kannst du mir doch einfach sagen was es statt dessen ist!” - “Nein! Das kann ich eben nicht tun!” - “Warum?!”- “Darum.. Verdammt nochmal!” Er wurde von Sekunde zu Sekunde unbeherrschter. “Dann kann ich ja auch genau so gut gehen..” - “Einen Teufel wirst du tun!”, zischte er wutentbrannt. Doch selbst jetzt konnte ich einfach keine Angst vor ihm haben. Dieser Mann hatte mir das Leben gerettet. Warum sollte er es mir also jetzt einfach wieder nehmen? “Bitte verzeih meinen schroffen Ton. Ich hatte mich für einen Moment nicht unter Kontrolle. Bitte bleib hier! Dort draußen bist du nicht sicher. Außerdem würdest du mit deiner Verletzung nicht weit kommen. Und erst Recht nicht fliehen können, wenn diese Verbrecher wieder auftauchen sollten.”, meinte er beschwichtigend. Was sollte dieses ganze Theater eigentlich? Erst war er völlig grundlos wütend auf mich und jetzt wollte er mich wieder um jeden Preis hier behalten. Das ergab doch alles keinen Sinn! “Und was gedenkst du als Nächstes zu tun? Wohin sollen wir vor diesen Typen fliehen? Wir wissen ja noch nicht einmal wieso sie mich umbringen wollen! Und ich selbst habe keine Ahnung wer oder was du eigentlich bist und ob ich dir wirklich vertrauen kann.” Das hatte gesessen. Der Mimik des Rothaarigen war abzulesen, dass meine Worte ins Schwarze getroffen hatten. Aber warum um alles in der Welt machte er sich so viel daraus? Im Grunde konnte es ihm doch egal sein wie ich über ihn dachte, oder ob ich ihm mein Vertrauen schenkte. Wo war ich da nur hineingeraten? Allein mit einem potentiellen Vampir, zwei Killern, die uns dicht auf den Fersen waren und ohne jegliche Erinnerung an die letzten Tage und Wochen. Von Stunde zu Stunde warfen sich immer neue Fragen auf. Und so wie es aussah, konnte ich noch lange auf die ersehnten Antworten warten. Da ich fast den ganzen Tag mit schlafen zugebracht hatte, wollte ich die heutige Nacht dazu nutzen Ethan mehr Informationen zu entlocken. Allerdings war ich nicht auf seine geschickte Gegenoffensive vorbereitet gewesen. Er begann, ein mir völlig unbekanntes Lied, leise vor sich hin zu singen. In einer mir fremden Sprache. “Hör auf abzulenken! Du wirst mir jetzt Rede und Antwort gestehen. Ethan, du weisst doch viel mehr, als du mir gegenüber zugibst! Verrat es mir doch endlich. Bitte! Ich habe ein Recht darauf es zu erfahren. Immerhin geht es hier um mich!” Meine Entschlossenheit schwang allmählich in pure Verzweiflung um. Wo sollte das denn nur alles hinführen? Wieder einmal, viel zu schnell für meine Augen, lag er neben mir im goldenen Stroh. Nah genug um mir weiterhin diese traumhafte Melodie ins Ohr zu singen und doch offensichtlich darauf bedacht mir nicht zu nahe zu kommen. Er sang so leise, dass es kaum hörbar zu sein schien und doch drang seine klare, helle Engelsstimme ganz deutlich zu mir durch. Was war das bloß für ein Mann , der so urplötzlich und auf so geheimnissvolle Art und Weise in mein Leben getreten war? Und mit was für einem fremden, wunderschönen Lied, wog mich eben genannter da gerade in den unfreiwilligen Schlaf? Noch mehr ungeklärte Fragen, noch mehr schreckliche Ungewissheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)